Friedrich Theodor Vischer
Faust – der Tragödie dritter Teil
Friedrich Theodor Vischer

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Fünfter Auftritt

Die Vorigen. Unbekannter tritt ein und setzt sich in eine Ecke.

Valentin (aufstehend).
Guten Abend, was beliebt?

Unbekannter.
Mir alles eins, nur was es eben gibt.

Valentin.
Tirolerwein steht just noch da.

Unbekannter.
Gut, ja.

Valentin (aufwartend).
Bekomm's Euch wohl! Ihr seid vom Marsch ermattet?
(Für sich.)
Des Mannes Aug und Stirne ist beschattet,
Er muß was Schweres auf dem Herzen haben.
(Wieder zu dem alten Herrn tretend.)
Verzeiht, bedienen mußt' ich diesen Herrn.
Ich bitt, ich hör Euch gar so gern,
Fahrt fort, mit Euren Reden mich zu laben.
Zwar mich erschreckte Euer letztes Wort;
Wie lebt denn eine Christenseele dort?
Das muß ja schrecklich traurig sein,
Darf man denn nicht mehr in die Kirch hinein?

Alter Herr.
Warum denn nicht? Nur keine Litaneien,
Kein Zauberwort sagt da ein Priester her,
Gefallen ist der Unterschied vom Laien,
Mensch ist nur Mensch, und Pfaffen gibt's nicht mehr,
Mahnung und Trost in milderhabner Weise
Tönt von den Lippen weltgeprüfter Greise.

Unbekannter (ist aufmerksam geworden; für sich).
Er ist's. Es sei!
Er spricht ja hell und frei.
(Er tritt vor den alten Herrn und verbeugt sich ehrerbietig.)
Ich stelle mich.

Alter Herr.
Was soll's? Wer hieß es Euch?
Was wollt, wer seid Ihr? Sagt's nur gleich!

Unbekannter.
Urheber des Gedichtes: Faust,
Der Tragödie dritter Teil
Im Geist des zweiten Teiles treu gedichtet.

Alter Herr.
Du bist es, du, der mich so frech gezaust?
Entferne dich zu deinem eignen Heil!
Verkrieche dich! Du hast dich selbst gerichtet!

Unbekannter.
Hinnehmen muß ich's. Gehen darf ich nicht.
Ich bin beordert, stehe vor Gericht.

Alter Herr.
Geh, sag ich.

Unbekannter.
Zu bleiben wag ich.
Ich soll, ich muß es wagen,
Ein hoher Wille hat mir's aufgetragen.

Alter Herr.
So sprich! Nur schnell heraus damit!

Unbekannter.
Der Herr der Welt befahl mir diesen Schritt.
Vor deinem Angesicht soll ich mich stellen,
Soll jede Rüge meiner Sündenschuld
Aus deinem Mund hinnehmen in Geduld,
Dann sollst du mir das Richterurteil fällen,
Vielmehr es ist gefällt, du aber kannst es wenden,
Kannst mildern, schärfen, volle Gnade spenden.
Beschieden ist mir ausgesuchte Pein,
Dem Fegefeuer soll sie ähnlich sein;
Ob ewig oder nur auf Zeit,
Ob kurz, ob lange, dein ist der Entscheid,
Und woll' ich ganz in Demut nur mich fassen –
Ward mir bedeutet – dann vielleicht,
Wenn flehend ich dein Herz erweicht,
Werd' auf dein Fürwort alles mir erlassen.
Dies letztere sei pflichtlich nur berichtet,
Darauf hab ich zum voraus schon verzichtet.

Alter Herr.
Kannst du denn überhaupt noch zweifeln?
Fühlst du nicht selbst, dein Ort sei bei den Teufeln?
Verworfner, der die schnöde, scharfe Lauge
Auf meines Alters Lieblingswerk ergossen,
Tritt näher, schaue mir ins Auge!
Ist ganz dein Sinn verhärtet und verschlossen?
Kennst du ein Etwas? Weißt du, was ich meine?

Unbekannter.
Verehrung meinst du.

Alter Herr.                         Nun, und du fühlst keine?

Unbekannter.
Frei verehrt einen großen Mann
Der Mann, der selbst etwas schaffen kann.

Alter Herr (für sich).
Das läßt sich hören. (Laut.) Nichts als Hohneswaffen
Hast du geführt. Verneinen ist kein Schaffen.

Unbekannter.
Ach liebe Zeit! Ich hab nicht anders können!

Alter Herr.
Notwendigkeit willst du die Frechheit nennen?

Unbekannter.
Verzeiht, verzeiht, ich sag es ungeniert:
Ich find in Eures Dramas zweitem Teile
Fast keinen Satz, fast keine Zeile,
Die nicht kurios, nicht manieriert,
So daß es mir im Kopfe rädelt, surrt,
Summt, kitzelt, krabbelt, schwirrt und schnurrt;
Ich kann nicht anders, muß, sooft ich's lese,
Als wenn ein Kobold im Genick mir säße,
Muß in dem Tone weiter besteln, reimen,
Muß drehen, schnitzeln, schnipfeln, päppeln, leimen.

Alter Herr (für sich).
Wie unbequem auch dieser Flegel spricht,
Gesteh' ich mir, ganz unrecht hat er nicht.
Ward mir's doch am erreichten Ziele
Im Himmelslicht auf einmal selber klar,
Daß ich zuletzt ein alter Schnörkler war,
Als ob ein Zöpfchen mir vom Nacken fiele.
Und dennoch ist der Naseweis zu schelten.
(Laut.)
Und ließ' ich auch, was du mir vorrückst, gelten,
Dennoch ist Spott auf gute Geister schlecht,
Den Tadel bringt er um sein halbes Recht.

Unbekannter.
Hätt' ich's mit dir allein zu tun,
Ließ' ich vielleicht die spitze Feder ruhn,
Allein die blind lobpreisenden Verehrer,
Nußknackerisch scholastischen Erklärer,
Kleinmeister, brillenaugigen Magister,
Die famuli, die Pietätsphilister,
Die »Goethereifen«, die Goethe-Pietisten,
Die selbstgefällig dir im Mantel nisten,
Nur dieses Volk, für welches du ein Gott,
Ist schuldig, daß mein Tadel ward zum Spott;
Dir selber, denk ich, sind in Himmelshallen
Die Schuppen von dem Auge schon gefallen.

Alter Herr (für sich.)
Er sah's nicht, wie es vorhin mich ergetzte,
Als man beschleunigt an die Luft sie setzte,
Doch ist, als ahnt' er's. (Laut.) Allzu frech und wild
War doch dein Hohn auf tiefgedachtes Bild,
Auf manches hochbedeutsame Symbol,
Das du verzerrtest läppisch, albern, hohl
Und überdies frivol.

Unbekannter.
Ei, meine Späße, freilich sind sie krumm,
So toll wie meine Reime und so dumm,
Hanswurstisch, närrisch und gerade drum
Nicht bös,
Nicht gegen dich maliziös.
Ich dachte mir bei diesen Spielereien:
Vielleicht sie fallen mir herein,
Zerbrechen über meine Rätselknöpfe
Sich gar am Ende auch noch ihre Köpfe,
Wie sie an deinen harten Nüssen knackten,
Mit Spatzenschnäbeln bohrten, pickten, hackten –
Du saßest in bequemer Ruh
Verborgen hinter spanischer Wand
Und horchtest lächelnd dem Geknacke zu –

Alter Herr.
Vergleichst du mein Gebild mit deinem Tand?
Nur das Bedeutende macht sinnen,
Reizt, nötigt zum Gedankenspinnen.
An deinen Rätseln, diesen dünnen Blechen,
Wird niemand Kopf und Zähne sich zerbrechen
Weißt du, wie meine Prachtallegorien,
Anschauungen im großen Stil,
Bezaubernd Phantasie und Formgefühl,
Gewaltig jetzt auf eurer Bühne ziehn?

Unbekannter.
Verzeih, o großer, wunderbarer Mann,
Wenn ich darauf nicht fein erwidern kann.
Ausstattungsstück ist jetzt dein Faust geworden,
Da gaffen sie in dichtgedrängten Horden
Beim zweiten Teile dumpfen Staunens voll,
Und keiner weiß, was er sich denken soll.
Ist's aber – ja, ich frage – ist es gut,
Daß also man am schwachen Volke tut?
Daß man es anhält, sich für klug zu halten,
Indes beim Anblick blendender Gestalten
Narkotisch alle Nerven sich beduseln
Und Fragezeichen im Gehirne wuseln?

Alter Herr (für sich).
Zu lange schon! Er wird mir grob und gröber,
Der kecke Spürer, unbescheidne Stöber,
Noch manches, was ich selber längst erkannt,
Rührt er mir auf mit wählerischer Hand,
Wenn ich nicht jetzt ein kurzes Ende mache
Mit raschem Schritt zum Mittelpunkt der Sache.
(Laut.)
Du weißt wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist?

Unbekannter.
Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.

Alter Herr.
Noch eines sag ich,
Noch eines frag ich –
Und traurig g'nug, daß ich noch fragen muß
Der Faust am Schluß,
Der Faust als Volksregent
Im Kampfe mit dem Wogenelement,
Der Mann der Tat, der wirkt und schafft,
Die rein bewußte, sturmgereifte Kraft,
Der Faust, dem hohen Sinne ganz ergeben:
Nur der verdient sich Freiheit, so wie Leben,
Der täglich sie erobern muß, –
Der Faust, der selig in die Zukunft schaut,
Wo alles grünen wird, was er gebaut,
Wo er, fortwirkend in der Zeiten Fluß,
Mit freiem Volk auf freiem Grund wird stehn,
Der Faust, der nun zum Augenblicke spricht:
Verweile doch, du bist so schön!
Der große Faust – und den verstehst du nicht?
Die Lösung des Prologes und der Wette,
Daß er dem Tod, dem Teufel nun erliegt
Und dennoch es verdient, daß ich ihn rette,
Den Faust, der in der Niederlage siegt,
Den Faust, in dem die Menschheit lebt
Und ewig irrend ewig strebt,
Den siehst du nicht? Was jede Seele trifft,
Bespritzest du mit deines Hohnes Gift,
Und ich – Fürbitter soll ich für dich sein?
Hinweg, sag ich, fort zur verdienten Pein!

Unbekannter.
Nicht so ist's; mehr als manch Verehrerhundert
Hab ich von Herzen diesen Schluß bewundert,
Doch um so mehr des Schlusses Schluß beklagt,
Der nach des Schlusses wahrem Geist nicht fragt.
Gilt es denn gleich, woher ich die Symbole,
Aus welchem Fundort die Motive hole?
Darfst du, den Faust zum Himmel aufzuschwingen,
In pfäffische Gesellschaft ihn verbringen,
Die ihn, wenn sie halbwegs ihn nur gekannt,
Als Ketzer hätte sicherlich verbrannt?
Geruch des Weihrauchs, stimmt er zu den Sphären,
Wo mündig frei der Geist sich soll bewähren?
Soll altehrwürdig hier das Sinnbild walten,
Die Bibel bot dir schlichtere Gestalten.
Ich bleib dabei, die salbungsvollen Glatzen,
Sie sind und bleiben lächerliche Fratzen.

Alter Herr.
Das ist zu stark! Noch einmal sag ich, fort!

Unbekannter.
Es ist noch nicht mein letztes Wort.
Vor dich zu treten ist mir vorgeschrieben,
Entscheiden kannst du nach Belieben,
Ich bettle nicht, allein ich geh noch nicht;
Erst volle Wahrheit, danach das Gericht!

Alter Herr.
Noch stolz, noch stolz? Ist alles nicht erledigt?
Droht mir zum Schluß wohl gar noch eine Predigt?

Unbekannter.
Nenn's, wie du willst, nicht wohlweis soll es sein!
Von dir an dich leg ich Berufung ein.

Alter Herr.
Von mir an mich?

Unbekannter.             Ja, sag ich, an den Mann,
Den klaren, der es besser wissen kann.
Verstehen kannst du meines Spottes Born:
Erkrankte Liebe ist mein ganzer Zorn.

Alter Herr (sieht ihn nachdenklich an, für sich).
Will er jetzt schmeicheln? Nein, das kann er nicht!
Weich blickt er jetzt und gut, so blickt kein Wicht.

Unbekannter.
Nicht wehe tut's, wenn fragliches Talent
Sich in Manier, Geheimniskram verrennt,
Doch wenn es einem Genius widerfährt,
O das tut weh, das sticht und brennt und schwärt!
Zu dir hab ich von früher Jugend Tagen
Beglückt, entzückt die Augen aufgeschlagen.
Nur Staunen kann uns Mittleren geziemen,
Auch nur zu lösen deiner Schuhe Riemen
Bin ich nicht wert. Vor Menschen beugt mein Knie
Sich nie,
Doch könnt' es je sich beugen,
Wie ich dich ehre, würd' es dir bezeugen. –
Es schwebten Feen
Aus seligen Höhn
Und sangen um deine Wiege.
Ein himmlisches Rosenlicht
Umschwamm des Kindes Löckchen und Stirne.
Seliger Knabe du,
Hauchten segnend die Geisterstimmen,
Seliger Knabe du,
Einst, wer dein Lied vernimmt,
Dem werde es wohl, der werde froh,
Leicht, leichter rinne sein Blut! –
Als Gott erschaffen die Welt,
Da sah er an, was er hatte gemacht,
Und siehe da, es war sehr gut.
Also sehn wir mit deinen Augen
Luft und Erde und Baum und Tier
Und der Menschen gute Geschlechter,
Ein solcher Goldglanz zittert um alles,
Was da ist.
Es quillt, es sprudelt
In deinem Geist,
Ergiebig, reich, voll
Schießen und steigen kristallne Strahlen,
Verdichten sich, werden Bilder,
Scharf gezeichnete, hell geschaute,
Klar wie in jonischem Sonnenlicht,
Wohlbekannte und doch so fremde,
Denn es umschwebt sie ahnungsvoll
Ein namenloses Unendliches.
Sinn und Sinne hatten die Holden,
Jeglichen Nerv dir weihend gesegnet,
Gesegnet vor allem, daß es schaue,
Dein Auge.
Eine noch trat im Reigen hervor,
Raunend mit fein bewegten Lippen
Küßte sie deinen Kindermund;
Mit dem Gedanken, sagte sie, sei dir
Unbefohlen das Wort zur Hand,
Eines mit ihm, geboren mit ihm!
In einem Momente mit der Stimmung
Summe und klinge im innern Ohr
Die Weise, der Ton, der Akzente Rhythmus
Und des Lautklangs seelische Farbe!
Schöpfe am Quell, mein Liebling du!
Aus künstlicher Fassung mögen andre
In zierlichen Bechern holen und bieten
Gestriges Naß. –
    Hinein ins Leben mit keckem Sprung
Wirft sich die junge, strotzende Kraft.
Saftige Derbheit, wilder Mutwill,
Gärungsberauschter Jugendmut
Lärmt wie Frühlingsgewitter daher,
Blitzt und kracht und klatscht wie ein lauer,
Fruchtbarer Regen aufs Gefilde.
– So stürmisch und doch wie weich im Innern!
Hoffnungsloser Liebe Gewalt,
All ihr namenloses Weh
Packt und durchwühlt das sehnsuchtvolle,
An seines Reichtums Überfülle
Gefährlich kranke, in zehrender Wehmut
Schwelgende, nimmersatte,
Nach göttlichem Dasein lechzende Herz.
Vielbeweinte Dichtergestalt
Schreitet zum Tode. Aber der Dichter,
Er genest. Ihn rettet die Dichtung. –
Hinter dem krausen, sturmgejagten
Morgengewölke tagt es schon,
Wacht der Besinnung gesunde Kühle,
Öffnet sich täuschungsloser Blick,
Dringt in die eigne heiße Brust,
Dringt ins Getriebe der dichten Welt,
Durchschauet den Schein,
Unerbittlich, doch nie verneinend,
Was dem gemeinen, gottverlaßnen
Blicke Schein heißt –
Künftiger Weisheit früher Bote.
    Sieh, und auf einmal
Schwingt sich mit breitem Adlerfittich,
Schwebt in entzücktem Traumgesicht,
Heiligen Wahnsinns, göttlicher Trunkenheit
Pythische Wunderlaute stammelnd,
In Ätherhöhen dein Geist empor,
Ins lichtdurchdrungene tiefe Blau,
Und entschwindet. In welche Fernen
Hat dich, geheimnisvoller
Vertrauter des Weltgeists,
Die Sehnsucht getragen?
    Aber da bist du leibhaft wieder,
Trittst vertraulich in unsre Mitte.
Fröhlicher Leichtsinn scherzt und spielet,
Schwimmt in des Daseins Reiz und Lust.
Sorgend sieht auf das ungebundne
Weltkind der ernste, redliche Freund,
Zürnend der Sitte strenger Hüter.
Hast du vergessen, wie schwer das Leben
Wuchtet, wie sich die Wolken türmen,
Vergessen, wie leicht der bange Pilger
Im Gewitterdunkel, von Schlünden umgähnt,
Redlich suchend und dennoch irrend
Fehltritt und auf das schuldige Haupt
Niederzuckt der gezackte Blitz
Und in die Klüfte und in die Grüfte
Der arme Getroffne niedertaumelt? –
Du, o nimmer! Zart und zitternd
Schwingt mitfühlend der menschliche Nerv,
Leidet mit allen, leidet in allen
Sturmdurchwühlten, kampfzerrißnen,
Todwund blutenden Menschenherzen.
Seufzer aus Abgrundtiefen geholt,
Strom der Klagen, der heißen Zähren,
Wilder Verzweiflung gellender Aufschrei,
Eumenidengeheul dazwischen
Schlagen zum Himmel empor und rufen:
Menschenlos!
Aber es rührt sich, aber es gleitet
Über die Wunden weiblich weich,
Träufelt kühlenden Balsam ein
Priesterlich eine sanfte Hand,
Aber es lispelt Segenspruch
Priesterlich eine sanfte Stimme.
    Nach Oliven- und Myrtengärten,
Nach dem Lande, dem ungenannten,
Sehnt sich fluchbeladenes, armes,
Geraubtes Kind.
Stumme Liebe verzehrt sein Herz,
Tränen fließen, klagende Chöre,
Wehmutlösende, weiche Stimmen
Tönen an seiner frühen Gruft.
    Doch von fern aus nordischem Nebel
Steigt ein Gebilde geisterhaft,
Hebt sich dunkle Mannesgestalt.
Unter sinnender hoher Stirne
Schlagen sich große, brennende Augen
Weitauf. Heiliger Durst nach Wahrheit
Lohet im Blicke, lechzet und fragt,
Fragt die letzte, die höchste der Fragen.
Tiefster Zweifel, innerster Zwiespalt,
Der eine Brust zerreißen kann,
Klafft. Zum Bund mit der Hölle greift
Verzweiflung.
Aus der Tiefe was taucht herauf?
Ein Geist, nicht Teufel dem ersten Blick.
Unverblendbarer Weltverstand
Schmunzelt behaglich auf seinen Lippen,
Über das Leben lächelt er hin;
Erfahrung heißt er. Nicht leiden mag er
Überschwang. Das Titanenherz
Will er in seine Schule nehmen.
Hinter dem Lächeln aber zuckt es
Todgefährlich, Verneinung grinsend,
Höllische Tigerklaue lauert
Aus den Augen und um die Stirne. –
Herein in die Tagwelt dämmert seltsam
Gespenstischer Schein.
Unter dem Hexenkessel züngelt
Flackernde Flamme- – Zum Zauberberg
Geht es hinauf mit schwanken Schritten.
Schwefliches, schwüles Licht ergießt sich,
Flimmert umher und flirrt und knistert,
Schatten huschen, in wirrem Traume
Dreht sich die Welt, die Windsbraut sauset,
Durch die heulenden, zischenden Lüfte
Naht im Sturme dahergefegt
Hexenzunft. –
Alte Sagen klingen dazwischen,
Seltsame Stimmen singen verhallend
Von alten untergangnen Zeiten –
Rauschet und brauset die wilde Jagd?
Wotan mit seinem Geisterheer? – –
Aber in wilden Spukes Mitte
Schiebt sich grausige Geist-Erscheinung,
Tauchend aus des Gewissens Tiefe,
Betrogner Liebe Totenbild. –
    Am Rabensteine was jagt vorüber?
Die Rappen schnauben – der eine Reiter
Fragt etwas. »Vorbei!« ist die Antwort,
»Vorbei!« –
In Kerkermauern, in Moderluft
Klirren Ketten, wälzt sich auf Stroh
Ein Weib.
Engel vom Himmel, o alle Geister
Des Mitleids stehen weinend umher.
    Lasset in Flammen alles vergehen,
Was sie geschaffen, die Meisterhand,
Lasset den Namen selbst vergessen,
Aber die Blätter gerettet sein,
Die wenigen, die dies Bild entrollen:
Wie? so werden die Enkel fragen,
Wer ist der Geist, der namenlose?
Wer vermag mit so sichrer Hand
Aus des Lebens und aus der Seele
Tiefen zu schöpfen und zu holen,
Wer mit so ungeschminktem Bild
Jegliches Herz in seinem geheimsten
Marke zu packen und zu schütteln?
    Sanftere Rührung grüßt und begleitet
Mit innigem Wunsche ländliches Paar,
Wie es durch wogendes Kornfeld schreitet,
Schüchtern schweigende Lieb im Herzen.
Ahnungsvolle Beleuchtung streut
Hinter Gewitterwolken hervor
Die sinkende Sonne über das Feld.
Schwärzere Wolken jagen und bersten
Über der Völker entsetzten Häuptern.
Mannsmut will es, den Bund der Liebe
Zu wagen, mit fremdem, flüchtigem Weib
Ein Haus zu gründen. Der Vater zürnt.
Aber erweicht in der Seele Grund
Legt er den Liebenden Hand in Hand.
Hoch und entschlossen aufgerichtet
Neben den Eltern, neben der Jungfrau,
Der edlen, ernsten, schmerzgeprüften,
Neben den tiefbewegten Freunden
Steht der Jüngling, ein deutscher Mann.
Schützen wird er mit Heldenarm
Weib und Kind und Haus und Hof,
Die Äcker, die Gärten, die Felder rings,
All die Habe, die wohlbestellte,
Die satte, gediegne, wie sie der Dichter
Mit des Homeros Auge geschaut. –
    Ich ende. Wie sollen die lahmen, armen,
Stammelnden Worte dich erreichen!
Über die Flecken in deiner Sonne,
Über die Zeiten, da der Hellenen
Auserkorener Geisteserbe
Zu voll des Dankes tiefer, als gut ist,
Als germanisches Blut es duldet,
In das Himation sich vermummte,
Trägt im Fluge mich noch einmal
Das entlastete, freie, schlagende Herz;
Preisen möchte ich noch die hohe
Ruhe, die hinter allen Stürmen
Wie im Grunde des Meeres wohnt,
Preisen möcht ich die Stille, preisen
Möcht ich im leicht erregten,
Reizbaren, leidenschaftbestürmten
Geiste die Weisheit.
Läßt sie im Kreise der Engelheerschar
Steil vortreten den argen Schalk,
Wechselt der Herr des Himmels selbst,
Sicher, daß ihm, dem Weltenlenker,
Dienen muß der Verneinungsdämon,
Menschlich läßliches Wort mit ihm –
Oh, mit so heitrer, heller Stirne
Über den bunten Wolkenbildern,
Die du heraufführst, über den Drachen,
Die aus dem Abgrund du beschwörst,
Thront sie, die Lichte, die selig Stille
Ruhig, stetig im reinen Blau.
Geht der Dichter nieder in dir,
Der Weise steigt und zu seiner Rechten,
Inniger stets und milder schauend,
Freundlicher, nachsichtsvoller lächelnd
Herzliche Güte, Menschenliebe.

Bärbel (die eingeschlafen war, bei der eintretenden Stille erwacht und sich die Augen reibt).
Was gibt's? Was gibt's? Ja so, ja so!
Es hat mir nur geträumt, bin froh.
Die Geister gingen im Schlaf mir nach,
Von denen der Herr so wunderlich sprach,
So kurios. Fast wird mir bang,
Er möchte am End noch närrisch werden.
Ich meine, er sprach auch gar zu lang.

Valentin.
Ich hörte ihn ohne Schlafbeschwerden.
Ein biss'rl verrückt – du hast schon recht
Doch mir gefiel's nicht grad so schlecht,
Obwohl ich's nicht so ganz versteh;
Erging's ihm schlimm, mir tät's doch weh.

Alter Herr.
Bist endlich fertig? Längst schon war's zuviel;
Im Tadel kennst du, jetzt im Lob kein Ziel.

Unbekannter (stutzend).
Bist du denn da? Wie doch entfiel es mir,
Daß ich noch immer mich befand vor dir?
Ganz ohne Zeugen glaubte ich zu sein,
Ich sprach mit deinem Bild allein.
So ist es wirklich, zweifle nicht!
Ich lobe nicht gern ins Gesicht.

Alter Herr.
Vernommen hab ich deines Lobes Spenden
Und soll nun – meinst du doch vielleicht
Durch deinen Panegyrikus erweicht
Für deine Begnadung mich verwenden?

Unbekannter.
Nein, nimmermehr! Jetzt erst recht kannst du nicht,
Du darfst nicht, weil dies Loblied du gehört,
Und ich, dem doppelt nun der Stolz es wehrt,
Auf jede Hoffnung leiste ich Verzicht.

Alter Herr (sich abwendend).
So geh!

Unbekannter.
Nicht so! Laß mir ein andres Bild von dir!
Im Widerwillen scheide nicht von mir!
Leb wohl und gib mit zugewandtem Blick
Ein freundlich Wort dem Scheidenden zurück!
Dann trag ich leichter im Verbannungstal
Die angedrohte, unbekannte Qual.
Leb wohl und reiche freundlich deine Rechte!

Alter Herr (die Hand reichend).
Leb wohl!

Unbekannter.
Hab Dank! Und nun, ihr strengen Mächte!
Ich bin bereit, es komme, was da will.
Ich klage nicht, dem Schicksal halt ich still.


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