Friedrich Theodor Vischer
Faust – der Tragödie dritter Teil
Friedrich Theodor Vischer

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Dritter Auftritt

Faust und Valentin treten ein.

Valentin (umschauend).
Leer ist das Nest!
Hier vom Geschirr ein Rest!
Ach schau, hier wohnen Kaffeebasen!

Faust.
Die Töpfe halt ich für etrursche Vasen.
Und sieh, ein brauner Saft darin:
Da steckt gewiß geheimnisvoller Sinn!
Ist's wohl von dem, den ich in jener Nacht
Dem festlich hohen Morgen zugebracht,
Doch sanft gerührt nicht ausgetrunken?

Valentin.
Auch Semmelreste liegen da zum Tunken;
Mußt übern Topf die Nase neigen:
Das duftet ja nach Rüben und nach Feigen,
Zugleich auch nach Zichorie,
Des Weiberkaffees Glorie!
Dafür muß ich Verständnis han,
Hab's schwer der Bärbel abgetan.


Vierter Auftritt

Die Vorigen. Aus der Seitenspalte erscheint Helena.

Helena.
Erkennst du mich, o ritterlicher Faust, nicht mehr,
Mich Helena, mit der du einst im Liebesbund
Ineinsgeschlungen selig die Vereinigung
Entzweiter Kunstprinzipien stelltest dar?
Du warst der Inhalt, das romantische Prinzip,
Ich aber das antike, war die schöne Form.
Nachdem sodann das süß prinzipielle Band
Die Frucht getragen der modernen Poesie
In ihrer wild erhabnen Übersprudelung,
Da freilich mußt' ich lassen dich in tiefem Harm.

Faust.
Ach, alter Schatz, geschätzte Gliederpuppe,
Mir dünkt es, ausgegossen ist die Suppe.
Im Anfang schien mir's nett, doch die arkadsche Feier,
Gesteh' ich's nur, sie war langweilig ungeheuer.

Helena.
Ach geh, in jenen Grotten war's entzückend schön!
Das frühe Scheiden hat mich bitterlich gereut,
Die Renaissance, sie ist nicht ganz noch dargestellt,
Laß uns zu diesem Zweck noch mehr Prinzipchens tun!

Faust.
So wisse doch, ich bin ja fortgeschritten,
Hab mich entwickelt, hab mich evolviert,
Hab aus des Humanismus Lauberhütten
Zur Tat, zur Aktion mich resolviert,
Der Schönheit weiches, stilles Element
Ist jetzt ein aufgehobenes Moment.

Helena.
Bei meinen Göttern! Dir scheint leider unbekannt,
Was Interpretentiefsinn neuerdings entdeckt:
Ich bin ja Heroine, jener Tatensinn,
Den du nach meinem Scheiden in der Brust verspürt,
Du dankst ihn mir. Hellenischer hoher Heldengeist:
Der Bund mit mir hat mächtig dir ihn eingeimpft.
Aus ein paar Wörtchen des Mephisto schließt man dies:
»Man merkt es wohl, du kommst von Heroinen her«,
So sprach er. Daß man richtig draus argumentiert,
Ist evident, denn du gewannest eine Schlacht.

Faust.
Ah bah! Der Nekromant von Norcia, der Sabiner,
So gab ich an, war da mein treuer Diener;
In Wahrheit ist's Mephistos Zaubermacht,
Die mir den Sieg zustande hat gebracht.
Gestand ich doch: das wär' die rechte Höhe,
Da zu befehlen, wo ich nichts verstehe.

Helena.
Ja hattest du denn nicht mit blonder Krieger Schar
Im dritten Akt erobert den Peloponnes?

Faust.
Nun ja, als Goethe jene Worte schrieb,
Da hatt' er einfach diesen Punkt vergessen,
So kam es denn, daß beides stehenblieb;
Er ist halt überm Faust zu lang gesessen.
Doch auf was Grund – die Frage sei getan –
Sprichst du den Heroinentitel an?
Wenn's wahr ist, was geflüstert ward im Land,
Du habest noch in deinem led'gen Stand
Mit Theseus in Athen dich amüsiert,
Hat er zur Heldin dadurch dich kreiert?
Zwar allerdings trotz diesem Abenteuer
Erschienen noch in Spartas Fürstensaal
In ganzen Scharen elegante Freier,
Worunter mancher stolze General;
Doch wirst du selber nicht behaupten:
Weil sie in dir die Heroine glaubten;
Es galt ja doch nur
Der hübschen Figur.
Der Menelaos wurde der Beglückte,
Doch bald darauf der jämmerlich Berückte,
Mit einem stolzen Hirschgeweih Geschmückte,
Denn mit Prinz Paris, dem geputzten Fant,
Geschniegelten, trojanischen Leutenant,
Bist du nach Asien durchgebrannt.
Der Krieg brach los, du standst in guter Ruh
Und sahest mit dem Operngucker zu.
Genug, mir galt es nur, zu demonstrieren:
Verhältnisse mit Offizieren,
Sie können selbst bei schönen Damen
Den Anspruch auf den Heldennamen
Nicht logisch motivieren.

Helena.
Treuloser, hörst du nicht der Liebe Stimme mehr,
Dein Herz ist, hoff ich, doch kein Rabenvaterherz;
Erscheine, unsrer raschen Hochzeit rasche Frucht!


Fünfter Auftritt

Euphorion kommt aus der Seitenhöhle gehüpft, zur Laute singend, in kurzen Pausen hochaufspringend.

Euphorion.

Bin die Begeisterung,
Bin der sublime Schwung,
Bin auch der wilde Sprung
Tief in die Niederung,
Hurre hopp hopp!

Bin Himmelsstürmerei,
Edelste Raserei
Neuester Poesei,
Ungezähmt göttlich frei!
Hurre hopp hopp!
(Springt stärker auf.)

Helena.

Ach du lieb Knabenbild,
Springe doch nicht so wild,
Möglichenfalls
Brichst du den Hals!

Euphorion (springt noch heftiger).

Fern und so weiter fern,
Weit und so ferner weit
Spring ich und hüpf ich gern
Hoch über Raum und Zeit,
Hurre hopp hopp!

Fort und so ferner fort,
Fern und so forter fern
Stürm ich von Ort zu Ort,
Frage nach keinem Herrn!
Hurre hopp hopp!

Treulich und so fortan
Flieg ich zum Himmelszelt,
Freilich und fort so an
Nieder zur Erdenwelt!
Hurre hopp hopp!

Helena.

O denk, o denke,
Wem du gehörest,
Wie du uns störest
Durch diese Schwänke!
Lasse vom tollen Trieb
Deinem Papa zulieb,
Welcher im Staat
Möglicher künftiger,
Wirklicher zünftiger,
Zünftiger wirklicher,
Spreeflußbezirklicher
Geheimerrat!

Euphorion (wie vorhin).

Bin nicht nur Sang und Klang,
Sondern auch Tatendrang,
Nicht nur Geistüberschwang,
Auch etwas Dong Juang!
Hurre hopp hopp!

Bin nämlich eigentlich,
Wenn man profunder bohrt,
Merklich hinzeigentlich
Byron der stolze Lord.
Hurre hopp hopp!

Springe auch wagentlich
Diesem Mann und Papa
Nicht viel nachfragentlich
Über den Kopf, haha!
Hopsasa, hopsasa
Hurre hopp hopp!

(Er springt beiden mit sog. Grätschsprung über den Kopf.)

Valentin.
Jetzt ist's zuviel, verzogner Naseweis,
Lausbub, ich packe dich am Hosenpreis!

Faust.
Ja, faß ihn nur und gib zu seinem Heil
Ihm eine Tracht auf jenen Teil
Der menschlichen Persönlichkeit,
Der stets, da er so rund und breit,
Am meisten ein Objekt ist der Erziehung,
Ein Ziel der pädagogischen Bemühung!

(Valentin tut es.)

Helena.
Laß ab, laß ab, du nordisch eherner Barbar,
Germanischen Waldes wildes Eichelfraßprodukt!

Faust.
‛Ο μὴ δαρεὶς άνθρωπος ου παιδεύεται.

Euphorion.
Ototoi, ai, ai, ai!

Helena.
Ach, diese Hiebe auf des Kindes zart Gesäß,
Sie sind trotz tiefem Wort des Dichters Sophokles
Für fühlend weiches Griechenmutterherz zu räs!

Valentin (fortfahrend).
Hei! Wie das patscht
Und platzt und klatscht!

Faust.
Der Mensch ist schrecklich drastisch,
Die Griechin gar hört man in Reimen klagen.

Valentin.
Es macht sich gar so gut elastisch,
's ist eine Lust, recht draufzuschlagen.

Helena (wankend).
Entsetzt vom Anblick dieser grausen Schaudertat,
Geh ich verhauchend meine Seele jetzt zurück
In das geheimnisvolle Müttermagazin.
Ein altes Wort bewährt sich traurig auch an mir:
Daß Draht und Kleister dauerhaft sich nie vereint.
Zerrissen ist der Fädchen und der Drähtchen Band,
Werg, Leinwand, Flicken, Pappe fallen stäubend ab.
Bejammernd solches, sag ich schmerzlich Lebewohl
Und sinke dir noch einmal weinend an die Brust,
Doch sterbend laß ich meine Krinoline dir!

(Sie umarmt Faust und löst sich in Teilchen auf, welche in die Krinoline hineinfallen.)

Faust.
O dieser Wendung Tiefsinn ist enorm!
Es bleibet vom Antiken nur die Form!
Zwar ist's schon einmal dagewesen,
Auch kann man's sonst in Büchern lesen.

Valentin (in die Krinoline hineinblickend).
Was tausend! Trödelwerk von lauter Drähtchen,
Von Kurbeln, Stangen, Bügeln, Rädchen
Verkritzeltes Papier aus Schülermappen,
Pappreste, Leinwandfetzen, Flicken, Lappen –
Ganz blieb nur dieses luft'ge Reifgestelle,
Da sieht man's recht: Plusmacherei der Hölle!

Faust.
Am Hühnerkorbe freilich ist nicht viel!
Die Mode geht jetzt auf ein andres Ziel;
Von außen her umnähet sie den Rock
Mit Flatteraufputz, windigem Gelock,
Nach hinten drängt sie mit vermehrten Kräften,
Der Wölbung dort ein Bauschwerk aufzuheften,
Dort häuft und häuft sie und gestaltet so
Das zücht'ge Weib zum wandelnden Popo;
Sieht man sie gehn, so ist der rechte Name:
Da kommt ja ein Popo mit etwas Dame.
Die Dichtkunst, diesem reinen Drange gleich,
Baut dortherum ihr muffig Himmelreich;
Standhaft erprobet im Kloakenwerke
Des Nasennerves ungewohnte Stärke
Der neuen Zeit Savonarola,
Herr Zola,
Und ruft der Klassizistenzunft zum Trutz:
Das wahrhaft Ideale ist der Schmutz!
Da ist die steifste Klassik mir doch lieber;
Heb auf den Korb und stürze mir ihn über.

Valentin (tut es, reißt aber das Gestell wieder weg und wirft es beiseite).
Den Teufel auch! Was soll die Narretei!
Was soll die Maske der entseelten Puppe!
Geh du natürlich, ungezwungen, frei
Wie ich in deiner guten, deutschen Juppe.

Faust (nach dem Gestell greifend).
Nein, nein! Hochklassisch will ich jetzo bleiben
Der Poesie zu ihrem wahren Heil,
Pandora, Epimenides will ich schreiben,
Will schreiben meinen eignen, zweiten Teil.

Valentin.
Du warst ein andrer Kerl, mein Bester,
Als mich du schriebst und meine Schwester!
Zum Henker mit dem steifen Artefakt,
Das dich in Roßhaar, Wachstuch, Werg verpackt!
(Er zerreißt das Gestell.)

Euphorion (der wimmernd zugesehen).

Schreckliche Rupferei!
All meine Hupferei
Wird Überdruß!
Müde des Tageslichts,
Streb ich ins ew'ge Nichts –
Dies ist der Schluß.

Werde vor bittrem Leid
Jetzt die Zerrissenheit,
Weltschmerzlerei,
Die pessimistische,
Die nihilistische
Ausmerzlerei.

Fort mit der Seinerei!
Sei's die Verneinerei,
Die jetzt regiert!
Fort die Fortanerei!
Hoch die Nirwanerei!
Welt sei negiert!

(Er springt mit einer heftigen Schnellung ans Gewölbe auf und fällt zerplatzt in Form von Guttaperchalappen herunter.)

Valentin.
Da liegt der Spatz,
Da sieh den Schatz!
Ein Haufen Gummifetzen!

Faust.
Es ist auch wahr, wer mag sich da ergetzen,
Am Puppenspiele weiter noch sich letzen!
Das ganze Zeug ist endlich mir entleidet,
Ich mache einen Strich,
Der jetzt entschlossen scheidet
Mein altes Ich von einem neuen Ich.
(Er stößt die Lappen mit dem Fuße zu den Krinolinresten.)
Fort mit dem Plunder, und zertreten sei
Die tatenfaule Humanisterei!

(Beide treten auf den Resten herum.)

Gesang unsichtbarer guter Geister.

Glücklich erstanden!
Selig derjenige,
Der die Helenige,
Mehr krinolinische
Als heroinische,
Nicht sehr natürliche,
Wächsern figürliche,
Klassisch beschwatzende,
Mannsgeist befratzende,
Dann die euphorische,
Hüpfend emporische,
Auf und ab purzliche,
Springende, sturzliche,
Naseweis knabische,
Gummiarabische,
Sturmdrangpoetische,
Wilde, phrenetische,
Lordische, britische,
Launische, wittische,
Zweifelzerbissene,
Weltschmerzzerissene,
Willen kastrierende,
Dasein negierende
Prüfung bestanden!

Faust.
Ihr Geister, Dank! Doch fast des Lobs zuviel!
Es war im Grund ein abgeschmacktes Spiel.
Ich strecke mich nach einem höhern Ziel,
Ich such ein neues Blatt in meines Lebens Kodex.

Valentin.
Das tücht'ge Pritschen auf Euphorions Potex
Gemahnte mich an meine alten Zeiten.
Als guter Landsknecht möcht' ich wieder schreiten
Zur Schlacht, zur Schlacht,
Dreinhaun mit Macht!
Schlugst du nicht auch zu eines Kaisers Heile
Schon eine Schlacht in Goethes zweitem Teile?

Faust.
Das war ja nichts; warst vorhin ja dabei,
Wie ich der Helena gestand die Flunkerei;
Mephisto mit fingierten Kriegerscharen,
Mit allegorischen Automaten
Trieb mir den Feind im vierten Akt zu Paaren:
Dies ist das Ganze meiner Taten,
Symbole sind's von Noten, Tintenflüssen,
Depeschen, diplomatischen Ergüssen,
Mit denen ich, des Friedens schlaffer Sohn,
Trieb die bewaffnete Mediation.
Ich bin's nicht mehr, nicht mehr der friedereiche
Romantiker, der tatenscheue, weiche;
Seit diese Helena nun wieder hat gastieret,
Bin ich, ich wiederhol's, vom Schöngeisttum kurieret;
Mein Will' ist jetzt ein Helm, ein Schwert, ein Schild,
Mir graust vor jener Zeiten mattem Bild,
Da ich gestrebt, mir eine Macht zu schaffen,
Um zu bezwingen eine Welt in Waffen,
Dann so gepanzert vorzog, mich zu ducken,
Daß selbst ein Zwerg mir durft' ins Antlitz spucken;
Zum Spott der Völker war's benannt
Die Politik der freien Hand.


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