Friedrich Theodor Vischer
Faust – der Tragödie dritter Teil
Friedrich Theodor Vischer

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Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Mephistopheles vor einer großen, dunkeln Wolke, hinter welcher Glanz hervorstrahlt.

Mephistopheles.
Beim siedenden, höllischen Pech und Schwefel!
Das ist nicht recht, ist Verrat und Frevel!
Ein andrer, ein Schwächling mag dich loben,
Wortbrechende Eigenmacht da oben!
Sooft er mir in die Falle tappt,
Wird er mir wieder weggeschnappt;
Fass' ich ihn wieder, wird aus meinen Ketten
Ihn sicherlich ein neuer Staatsstreich retten!

Stimme des Herrn (aus der Wolke).
Es irrt der Mensch, solang er strebt.

Mephistopheles.
Nicht übel! Und wenn er zappelnd klebt
Und also in Wahrheit nicht mehr strebt,
Ist er nicht mein?

Stimme des Herrn.
Nein!
Er wird sich erheben
Und wieder streben.

Mephistopheles.
Schon gut, nur dauert es nicht lange.

Stimme des Herrn.
Auch dann ist uns um ihn nicht bange,
Aufs neue schwingt er sich empor.

Mephistopheles.
So, so! Nun aber kommt mir's vor,
Wir geraten ins ewige Lied hinein,
In die Schraube ohn Ende;
Mir wirbelt's im Oberkämmerlein,
Als ob das Gehirn mir brennte;
Wer sagt mir in dieser Finsternuß,
Wie das Drama dann finde seinen Schluß? –
Und noch etwas: liegt er im Sumpf und Schilfe,
Dann schickst du Geister zu seiner Hilfe.
So freilich zerreißt er leicht seine Kette:
Das ist Unrecht, das ist gegen die Wette.
Du sprachst von einem dunkeln, sichern Drange,
Der ihn noch in die Klarheit werde führen,
Du sprachst kein Wort von Helfen, Sekundieren,
Dir schien um Faust auch ohne das nicht bange;
Du gabst mir vor, er war mir überlassen,
Mit meinen Künsten durfte ich ihn fassen;
Auf seinen Urquell bautest du allein,
Und jetzt mit Geistern greifst du treulos ein.

Stimme des Herrn.
Ihre Kraft, sie gilt wie seine,
Denn die Menschheit, sie ist nur eine. –
Im Wechsel von Fallen und Streben
Bewegt sich ewig das Leben
Und des Lebens innerster Kern und Saft,
Das ist im Wechsel die strebende Kraft.
Unendlich dehnt sich im Lauf die Zeit,
Sie ist nur ewige Endlichkeit,
Wahrhaft ewig, unendlich in sich
Ist der Geist nur, das wahre, reine Ich.

Mephistopheles (lacht stark).

Stimme des Herrn.
Du lachst?

Mephistopheles. Ich lache, ja!
Denn in die Metaphysika,
So merk ich nun, geht's da hinein.
Hab solche Sachen, dünn und fein –
Jetzt will mir die Erinnerung wieder kommen –
In einem deutschen Hörsaal einst vernommen.
Nun aber – wird alles so enthüllt,
Wo bleibt dann Gestalt und Schein und Bild,
Was wird aus dir?
Was wird aus mir?
Wo bleibt der Tragödie ganzer Staat
Ohne den mythischen Apparat?
Und also der Schluß? Nun sage!
Ich wiederhole die Frage!
Mit Fausto was soll am Ende geschehn?
Bin doch begierig, will doch sehn!

Stimme des Herrn.
Nun ja, zum Himmel führ ich ihn ein,
Und das zweitemal soll es gültig sein.

Mephistopheles.
Ja, wenn er doch immer wieder irrt
Und der Sinn nur abstrakt in den Lüften schwirrt,
Daß das Streben im ewigen Einerlei
Von Fallen und Streben das Wahre sei,
Dann wird ja als sinnlich einzelnes Fakt
Die Rettung zu einem gewaltsamen Akt,
Ist Staatsstreich, ist Handeln wider den Pakt.
Ist des Bilds Bedeutung herausgehoben,
So ist es verflüchtigt, ist zerstoben,
Drängt es sich dick auch dann noch ein,
So ist es schiefer, konfuser Schein.

Stimme des Herrn (schweigt lange).

Mephistopheles.
Nun, nun? Kein Wort?
Wie lange währt das Schweigen fort?
(Für sich.)
Ich hör etwas – vertrau ich meinem Ohr,
So kommt mir's wie ein heimlich Lachen vor.
Da hätt' er also doch das Lachen
Sich nicht ganz abgewöhnt;
Das wäre nett, bei so bestellten Sachen
Ständ' es nicht krumm, wir wären halb versöhnt.

Erzengel Michael (tritt aus der Wolke hervor).
Nicht weiter verhandelt der Herr mit dir,
Sein letztes Wort übergibt er mir.
Es lautet: Punktum. Es bleibt dabei,
Faust wird gerettet, er wird frei!
Dir aber gönnt die Resolution
Noch etliche Satisfaktion.
Dafür, daß Faust, betäubt vom Myrrhendampfe,
Nicht wacker aushielt in dem Pfaffenkampfe,
Muß er von schimmlich modernden Figuren
Ertragen abgeschmackte Prozeduren,
Legendenhaft,
Studentenhaft
Zur Himmelfahrt sich weihen lassen.
Dann darfst du noch einmal ihn fassen:
Zu Fausti Sanctificatur
Bedarfs noch einer Doppelkur,
Einer trocknen und einer nassen;
Du darfst sie leiten, darfst für seine Nerven
Nach Lust die Läutrung schärfen.
Die Formen, das Verfahren
Wird man dir offenbaren.
Doch nicht mißbrauche das bedingte Recht,
Sonst geht dir's schlecht!
Laß insbesondre bei der zweiten Kur
Das Feuer weg, sonst zittre nur!
Und endlich soll der aufgeschloßne Himmel
Im Unterschied vom früheren Gewimmel
So übersinnlich mager sein,
So transparent, so äußerst fein,
So fadenscheinig und so dünn,
Daß nicht zu glänzend der Gewinn;
Conclusum. Imprimatur!
Janicula claudatur!

(Michael und der Glanz verschwinden.)

Mephistopheles.
O klägliche Abfinderei!
Schäbige Halbheit, unrecht gütliche,
So recht perfid gemütliche
Philistertyrannei!
Was kann ich sagen?
Ich muß es tragen!
Es ist mein Schicksal, ach, ich sehe,
Es kann einmal nicht anders sein
In der ewigen gemischten Ehe,
Der Ehe zwischen Ja und Nein!
Doch was ich kann, das will ich nützen,
Der Kerl soll stöhnen und schwitzen,
Will ihn schrauben und schütteln,
Stoßen und rütteln,
Zwicken und zerren,
Er soll mir plärren!
Und mag mir's auch verboten sein,
Das Feuer schmuggl ich dennoch ein!
Ich, der geborne Vulkanist,
Soll auf des Feuers Kraft verzichten?
Mitnichten, strenger Herr, mitnichten!
Der Willkürmacht begegne ich mit List!
Ich will ihn braten, rösten, brühen,
Das Fegefeuer soll nicht heißer glühen!
Dann sag ich mit lustigem Teufelston:
Siehst du, das ist der Humor davon!


Zweiter Auftritt

Geräumige Stube in Valentins Wirtshaus. Ein Teil des Raums durch einen seitlich gezogenen Vorhang geschieden und verhüllt, für den Zuschauer offen; ein Schragen ist darin sichtbar.

Bärbelchen (einen langen Tisch herrichtend).
Mein guter Vältl ist wieder da,
Den ich in Ängsten lange nicht mehr sah.
Was Grausliches auf seinem Gang geschehn,
Das deutet er mit dunkeln Winken an,
Spricht von Gespenstern, die sie schaudernd sahn,
Mein armer Kopf kann es nicht recht verstehn.
Bin nur zufrieden, wieder ihn zu haben. –
Mit einem Festtrunk soll ich Gäste laben,
Und an den Trunk soll anderes sich knüpfen,
Wovon die Decke jetzt noch nicht zu lüpfen.
Was steht uns wohl geheimnisvoll bevor?
Ein Wort von letzten, starken Läuterungen,
Von Himmelan, von Schweben und Empor
Ist halbverständlich mir ans Ohr gedrungen.
Was hat dabei mein Valentin zu tun?
Gibt's Arbeit noch? Darf er als Zeuge ruhn?
Was wird aus uns, aus unsrem Wirtshaus werden,
Wenn's Flattern angeht hochweg von der Erden?
Des Himmels Vorraum ist mir gut genug,
Nicht folgen kann ich allzu hohem Flug.


Dritter Auftritt

Faust tritt mit Lieschen ein.

Lieschen.
Sei mir gegrüßt, du schlichte Frau!
Der Horizont ist wieder blau,
Er strahlet Wonne auf uns nieder!
Wir haben unsre Freunde wieder!
Und bist du auch an Bildung mir nicht gleich,
Doch nah wie ich dem offnen Himmelreich.

Bärbelchen.
Ach Gott! Ich spüre gar kein Bildungsstreben,
Als brave Wirtin möcht ich weiter leben!

Faust (zu Lieschen).
Bestanden ist der dreifach harte Strauß,
Doch weh, noch ist die Probezeit nicht aus!
Nicht freut mich die Tafel, im wirtlichen Saal
Gerüstet zum Einweihungsfestbacchanal,
Verhülltes Schweres ist noch angedroht –
Oh, mir ist bang, und Zuspruch tut mir not!

Lieschen.
Sei stark! So hart wie die bestandne Pein
Kann diese letzte Läuterung nicht sein!

Faust.
Wer weiß! Sieh diesen Vorhang ausgebreitet!
Wie geisterhaft die langen Falten zucken!
Was hinter ihm sich mystisch vorbereitet,
Gibt mir gewiß noch Grausiges zu schlucken.

(Man sieht in der offenen Türe vier Gestalten in Kutten, mit Studentenmützen und Heiligenscheinen. Eine derselben schwebt beständig auf und ab.)

Aha! das sind sie, die beim leidensvollen
Einkleidungsfest mir assistieren sollen!
»Ein heil'ger Doktor, in Scholastik groß,
Soll Täufer sein bei deinem Fuchsenstoß,
Drei Patres seien Paten dir und Zeugen!«
So ist mir angesagt; ich muß mich beugen,
Muß sie ertragen nach dem finstern Spruch
Mit ihrem ranz'gen Heiligengeruch!
Ach! ich gesteh es, mir geschieht nur recht!
Warum auch hielt ich damals mich so schlecht
Vor dem Gespenste mit der schwarzen Kutte!
Dafür entlehnt aus faulem Kirchenschutte
Mein Dichter aus des alten Goethe Spalten
Boshaft die sporig modrigen Gestalten!

Lieschen.
Laß von Verdruß dich nicht zu stark beschweren:
Es gilt, sie allegorisch zu erklären!

Faust.
Ein schwacher Trost für meinen Katzenjammer:
Sie riechen eklich nach der Rumpelkammer.

Lieschen.
Zählst du dich zu den Schuldigen,
Zähl' auch zu den Geduldigen!
Zwar nach der Lehre neuerer Theologen,
Die einem denkenden Glauben huldigen,
Bin ich im Töchterinstitut erzogen,
Entwachsen dem byzantinischen Stil,
Wie auch dem folgenden Formenspiel,
Als da ist: dem romanischen Halbrundbogen
Und dem steilen, spitzigen, gotischen;
Aus Andachtbüchlein, niedlichen, modischen,
In schwarzem Saffian mit goldnem Schnitte
Ward schön gesungen in der Töchter Mitte.
Doch ließ' ich, um beseligt hinzuwallen,
Mir gern auch jeden ältern Stil gefallen;
Sei objektiv! Bedeutung ist in allen!

Faust.
Ach, sieh doch nur den einen von den Vieren
Beharrlich auf und nieder oszillieren!
Weist dies auf meines ungeratnen jungen
Euphorion verrückte Purzelungen?

Lieschen.
Mahnt dieses Bild magnetischen Prozesses
Dich an die Frucht begangenen Exzesses:
Als Buße für erkannte Schuld
Ertrag' auch dieses mit Geduld!


Vierter Auftritt

Die vier Patres treten ein. Pater Ecstaticus, auf- und abschiebend, Pater Seraphicus, Pater Profundus, an ihrer Spitze Doktor Marianus.

Dr. Marianus (mit segnender Gebärde).
Sei benedeit, o Faust, auf diesen Wegen!
Zum letzten Schritt empfange unsern Segen!

Faust.
Mit Ehrfurcht grüß ich euch, altheilige Gestalten,
Entschlossen, fromm und zahm die Weihung auszuhalten!
(Für sich.)
Dem Teufel fast möcht' ich mich lieber stellen
Als diesen übeldunstigen Gesellen!

(In dem durch Vorhang abgeteilten Nebenraum erscheint Mephistopheles mit Valentin, der eine Gerte trägt.)

Mephistopheles (für sich).
Brauchst ihn nicht zu zitieren,
Wirst ihn schon spüren!

Dr. Marianus (zu Faust).
Fürs erste bist du nun gebeten,
Hier in den innern Raum hineinzutreten.
(Während Faust unbemerkt noch zögert, zu Lieschen.)
Du, dieses Manns moralische Adjunkte,
Es gibt mitunter so gewisse Punkte,
Es kommt etwas, es geht jetzt etwas vor,
Das nicht wohl paßt für Weibes Aug und Ohr.
Dein Doktor Faustus wird ein wenig stöhnen,
Geh lieber fort, sei fern von diesen Tönen!
Die Festpokale wirst du gern noch scheuern,
Tu es und laß auf kurze Zeit den Teuern!

Lieschen.
Ach Gott, ach Gott, wird ihm doch nichts geschehen?

Dr. Marianus.
Ah bah! Du wirst gesund ihn wiedersehen!
(Lieschen geht ängstlich ab. Zu Bärbelchen.)
Du sorge, daß aus eurer Brauerei
Das volle Faß nun bald zur Stelle sei,
Dein Mann hat jetzt was anderes zu tun.

Bärbelchen.
Was denn? Was gibt es denn?

Dr. Marianus.                                 Nun, nun,
Er wird ein wenig streichen.

Bärbelchen.
Wen denn?

Dr. Marianus.
Den Faust, er hat bei ihm noch etwas gut.
Zwar du gehörst nicht zu den Allzuweichen,
Doch weilst du besser in des Kellers Hut.

Bärbelchen.
Den Faust? Das wäre leichtlich zu ertragen,
Hört' ich den Herrn ein wenig winseln, klagen;
Auch sah ich oft mit guter Ruh
Dem Raufen und Balgen im Wirtshaus zu.

Dr. Marianus.
Da sahst du nur bekleidete Gestalten;
Verschöben sich des Vorhangs breite Falten,
Der Anblick würde Frauen wohl beschämen:
Zur Adamstracht muß Faustus sich bequemen.
Geh lieber fort, es ist doch besser,
Und kümmre dich um deine Fässer.

(Bärbelchen geht ab.)

Faust (vortretend).
So, so? Und mich, mich fragt man nicht,
Ob ich es dulde, solches Schmachgericht?

Dr. Marianus.
So nah, mein Freund, dem Tor des Paradieses,
Sei doch vernünftig und erwäge dieses!
Es sammeln sich durch unsre Sünden
In unsres irdischen Leibes Schlünden,
In unsern Därmen, Muskeln, Sehnen,
Arterien und Venen
Gewisse spröde Stockungen,
Gewisse Saftverhockungen,
Gichtische Pfropfungen,
Kalkige Stopfungen;
Durch diese, wenn sie zähe sich verklemmt,
Wird auch der Seele Rührigkeit gehemmt,
Vorab bei Denkern, welche viel gesessen
Und teils zu wenig, teils zu viel gegessen.
Da gibt's nichts Beßres als ein tüchtig Kneten,
Vereint natürlich mit andächt'gem Beten. –

Mephistopheles (für sich).
Das lassen wir auf sich beruhn,
Ich denk, es wird's auch so noch tun.

Dr. Marianus.
Von Männerfaust läßt man die Muskel streichen,
Durchtalgend, mangend, bügelnd sie erweichen,
Man schafft durch diese gründliche Massage,
Dem trägen Blut erleichterte Passage,
Und mit der Flucht des Hämorrhoidalen
Erwacht die Seele neu zum Idealen.
Zu dieser Kur will's eine derbe Hand,
Drum ist dazu der Valentin ernannt.
Er hat in deinen Prüfungstagen
Dir deine Schuld nicht nachgetragen,
Hat dich geleitet, dich gestützt,
Als treuer Knappe dich beschützt,
Dies Satisfaktiönelein
Soll ihm darum gegönnet sein.
Ertrag es, wenn es brennt und saust,
Du weißt: es reimt sich Faust auf Faust!
Nun denn, so unterwerfe dich, mein Bester!

Faust.
Die alte Schuld an Bruder und an Schwester
Bricht meinen Stolz. So führet mich hinein!
Auch diese Buße will geduldet sein.


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