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VII

Die Hauptprobe war, wie das so vorzukommen pflegt, ein schreckliches Chaos. Alle die geschulten und während der Proben so folgsamen Dämonen des Theaters hatten sich im Nu losgerissen, waren durchgegangen wie Pferde; und da alle diese Pferde an dem Leitseil des Regisseurs hingen, verwickelten sich ihre Stränge, verknäuelten sich und rissen alles nieder, so daß Menschen und Dinge durcheinander zu purzeln schienen, von den Worten und Gebärden und Pausen ganz zu schweigen.

So war in der sechsten Szene, nachdem Kusofkin bereits ziemlich lustlos seine Schrittchen und Nickerchen gezeigt hatte, der Massenauftritt der Diener und Dienerinnen des Hauses, welche zum Empfang der Herrschaft herbeiströmen sollten wie die Kinder eines Waisenhauses zur Weihnachtsbescherung, ein richtiger Kuddelmuddel gewesen.

Die schlecht verkleideten und roh geschminkten, linkischen und halbverhungerten Komparsen fanden im Dunkel den Eingang nicht und begannen recht hörbar wie die Schwachsinnigen zu jammern und sich zu beklagen. Die Mascha gelangte überhaupt nicht in den Vordergrund und machte eine verzichtende Gebärde, der ein Knurren im Parkett antwortete. Das war der Direktor, der da knurrte, und während oben sich alles notdürftig ordnete, hörte man seinen Baß: »Der Inspizient ist eine Ochse.« – Wie um diese Behauptung zu illustrieren, setzte die Musik – sie sollte die alte Melodie: »Sieg, dein Donner soll erschallen!« noch vor dem Auftritt der Herrschaft intonieren, – viel zu spät ein. Die Klee stand schon auf der Bühne und mußte wieder abgehen. Das Knurren des Direktors im dunklen Parkett verstärkte sich besorgniserregend. –

Wieder erklang es hinter der Bühne: »Sieg, dein Donner soll erschallen!« Der Regisseur hatte die köstliche Idee gehabt, das Orchester aus einigen vulgo Dorfmusikanten, welche eine Art naiver Zirkusmusik in ulkigen, gemütlichen Dissonanzen vollführen sollten, und einem begleitenden Harmonium zu bilden. Bei der nun erfolgenden Wiederholung des Liedes hinkte leider das Harmonium nach und geriet mit seinen langgezogenen, breiigen Akkorden in die ohnehin grotesk verschleppte Melodie hinein. Der Harmoniumspieler merkte es sofort, beeilte sich, den andern Stimmen nachzukommen, das schwerfällige Instrument begann zu hasten und überholte nun wieder die Melodie.

Diese ungeschickte, torkelnde Hast des feierlichen Harmoniums hatte etwas unwiderstehlich Komisches. Das mit Zuhörern besetzte dunkle Parkett begann erst verräterisch zu sieden und zu glucksen, bis endlich ein breitwelliges Gelächter aufflutete.

Nun brach ein brutaler Krach zwischen dem Direktor und dem Regisseur los. Es wurde still auf der Bühne und still im Parkett. Man hörte nur noch die beiden Stimmen im dunklen Hause, den gutturalen, fettigen, überzeugten Baß des Direktors und den zitternden, mißtönig weinenden Diskant des Regisseurs.

»Daran ist nur Ihr Geiz schuld«, weinte der Regisseur. »Es geht eben nicht, wenn die Musiker erst auf der letzten Probe erscheinen.« –

»Nein, sondern Ihre Dorfmusikanten sind ein Blödsinn und eine Unfähigkeit von Ihnen«, brüllte der Direktor wie ein kranker Löwe.

Der Direktor blieb Sieger. »In einem solchen Hause, auf einem solchen Gute existiert überhaupt kein Harmonium«, entschied er am Ende, schon wieder im ruhigen, legeren Tone, mit Jovialität. Das Harmonium wurde gestrichen. »Weiter!« krähte der Regisseur. – Da trat plötzlich der Inspizient an die Rampe und hielt eine Rede in das dunkle Haus hinaus. Er war ein kleiner, glatzköpfiger, eigensinniger Mann, der eher wie ein verbitterter Ziegenbock als wie eine Ochse aussah. Während er sprach, streichelte er mit der Hand sein langes spitzes Kinn.

»Die Komparserie kann unmöglich wirkungsvoll auftreten,« sagte er pathetisch, »weil das Harmonium direkt im Wege steht.« – »Das ist ein ganz verfluchter Kasten«, behauptete er mit erhobener Stimme. Und er erläuterte weitläufig die schlechten Raumverhältnisse der Bühne, im Hinblick auf die Zu- und Abgänge. »Unsere Bühne ist ohnedies verbaut«, sagte er schließlich. –

Daraufhin blieb es im Parkett zuerst ganz stumm. Sodann hörte man vereinzeltes, unterdrücktes, über sich selbst erschrecktes Lachen. »Stille im Zuschauerraum!« donnerte der Direktor. »Ich lasse das Parkett räumen!« – Und nach einer Pause befahl er: »Das Harmonium weg von der Bühne!« –

Der Inspizient drehte sich wie ein Kreisel um seine Achse und stürzte ab, die Türen der Dekoration hinter sich weit offen lassend. Im Hintergrund der Bühne ging knarrend ein eisernes Tor auf. Tageslicht drang herein. Gespenstisch fahle Arbeiter in Schürzen erschienen dahinten und begannen das Harmonium wie eine dunkle, riesige Leiche hinauszuschleppen.

»Horuck!« schrien die Arbeiter. »Ho-ruck!« Von ihren scharrenden Füßen, welche im Takt vorwärtsstampften, qualmte Staub auf, der sich auf der Bühne verbreitete. Ein Sonnenstrahl stach durch diese Schmutzwolke und brach sich in ihr vielfarbig. Auf der Bühne standen die Schauspieler, dicht aneinander gedrängt, als eine düstere, schweigsame Herde, und warteten den Verlauf dieser Nebenhandlung ab. Manche hielten sich die Nase zu, und zwar ostentativ.

Im Parkett flammte ein Zündholz auf, das wahrscheinlich einer Zigarette galt, die unter einer abdeckenden Hand geraucht wurde. Ein Gewohnheitsraucher konnte sich wohl bei der allgemein zunehmenden Anarchie nicht länger zurückhalten; obwohl die Feuerpolizei im Hause war. Zum Glück hatte es der Direktor nicht bemerkt.

Dann begann das »Gnadenbrot« von vorne. Und bald ertönte wieder, jetzt ohne Harmonium und nur noch als Zirkusmusik, die alte, von Turgeniew vorgeschriebene Melodie: »Sieg, dein Donner soll erschallen!« –


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