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VIII.
Das Haus des Fischers Ferrato.

Andrea Ferrato war ein Corse und stammte aus Santa Mazza, einem kleinen Hafen im Bezirke von Sartene, der hinter einem Vorsprunge des südlichen Caps der Insel Corsika gelegen ist. Dieser Hafen, sowie diejenigen von Bastia und Porto Vecchio sind die einzigen, welche sich auf der Ostküste öffnen, die vor vielen Jahrtausenden willkürlich zerrissen wurde, jetzt aber durch das beständige Bespülen seitens der Strömungen wieder gleichmäßiger geformt ist; die Wogen haben nach und nach die Caps fortgerissen, die Golfe ausgefüllt, die kleinen Buchten erweitert, die Risse beseitigt.

Dort in Santa Mazza, auf jenem schmalen Meerarme, der sich zwischen Corsika und dem italienischen Festlande ausbreitet, manchmal auch inmitten der Klippen der Meerenge zwischen Bonifazio und Sardinien, war Andrea Ferrato einst seinem Gewerbe als Fischer nachgegangen.

Vor zwanzig Jahren hatte er ein junges Mädchen aus Sartene geheiratet. Zwei Jahre später hatte sie ihn mit einem Töchterchen beschenkt, welches auf den Namen Maria getauft wurde. Die Fischerei ist ein rauhes Handwerk, namentlich wenn man außer dem Fischfang auch die Korallenfischerei betreibt; behufs der letzteren muß man die Wasserbänke auf dem Grunde der gefährlichsten Stellen der Meerenge aufsuchen. Doch Andrea Ferrato war ein muthiger, kräftiger, unermüdlicher Mann, eben so geschickt in der Handhabung der Zug- als der Scharrnetze. Sein Geschäft ging gut. Seine Frau, ebenfalls rührig und umsichtig, hielt nach Wunsch das kleine Haus in Santa Mazza in Ordnung. Beide waren, da sie lesen, schreiben, rechnen konnten, verhältnißmäßig gebildet, wenn man bedenkt, daß es, wie statistisch nachgewiesen wird, auch heute noch auf der Insel 150.000 Menschen unter den 260.000 Einwohnern gibt, die weder lesen noch schreiben können.

Außerdem war Andrea Ferrato – vielleicht Dank seines Wissens – freimüthig in seinen Ansichten und in seinen Gefühlen, und diese Besonderheit seines Wesens hatte ihm in seinem Canton einige Feindschaft eingetragen.

Dieser auf der Südspitze der Insel gelegene Canton, der sich fern von Bastia, fern von Ajaccio, fern von den Hauptsitzen der Regierung und der Gerichtsbarkeit befindet, zeigt sich noch Allem, was nicht italienisch oder corsikanisch heißt, gegenüber sehr verschlossen; neue Geschlechter erst können hier eine Aenderung der Ansichten und Zustände herbei führen.

Es herrschte, wie gesagt, auch gegen die Familie Ferrato eine mehr oder minder gezeigte Feindschaft vor. Bei den Corsen ist es von der Feindschaft zum Haß nicht weit, vom Haß zu Ausschreitungen aber noch näher. Einige Umstände brachten bald ein offenes Zerwürfniß hervor. Eines Tages war Andrea Ferrato mit seiner Geduld zu Ende und in einer zornigen Aufwallung tödtete er einen ganz elenden Menschen, der ihm gedroht hatte. Er mußte flüchten.

Er war aber ganz und gar nicht der Mann dazu, sich in die corsische Wildniß zu begeben und in einem täglichen Kampfe gegen die Polizei oder gegen die Genossen und Freunde des Verstorbenen zu leben, jene endlose Folge der Blutrache herauf zu beschwören, welche schließlich die Seinigen am empfindlichsten getroffen hätte. Er entschloß sich, auszuwandern, und verließ heimlich Corsika, um auf die sardinische Küste hinüber zu flüchten. Seine Frau machte ihr kleines Besitzthum zu Geld, sie trat das Häuschen in Santa Mazza ab, verkaufte die Möbel, Barke und Netze und kam ihm mit ihrer Tochter nach. Er leistete darauf Verzicht, jemals in sein Heimatland zurück zu kehren.

Der Mord, den Andrea Ferrato begangen, trotzdem er in rechtlicher Nothwehr verübt war, lastete doch schwer auf dem Gewissen desselben. Die mit der Muttermilch eingesogenen abergläubigen Anschauungen gaben ihm den Wunsch ein, den Mord zu sühnen. Er war der Ansicht, daß ihm der Todtschlag nur vergeben werden würde an dem Tage, an welchem er mit Gefahr des eigenen Lebens einem Anderen das Leben gerettet haben würde. Er war entschlossen, es zu thun, sobald sich ihm die Gelegenheit böte.

Andrea Ferrato war, nachdem er Corsika verlassen, nur eine kurze Zeit in Sardinien geblieben, weil er dort leicht erkannt und entdeckt werden konnte. Er war energisch und muthig und zagte gewiß nicht für sich, wohl aber für die Seinigen, welche unter den Vergeltungen, die dort Familie an Familie übt, am meisten zu leiden gehabt hätten. Er wartete den richtigen Augenblick ab, um sich entfernen zu können, ohne Mißtrauen zu erregen, und fuhr dann nach Italien hinüber. In Ancona wurde ihm Gelegenheit geboten, über die Adria nach Istrien zu kommen. Er benützte sie.

So beschaffen waren die Verhältnisse, welche diesen Corsen in den kleinen Hafen von Rovigno geführt hatten. Seit siebzehn Jahren betrieb er wieder die Fischerei; sie verschaffte ihm wieder die frühere günstige Vermögenslage. Neun Jahre nach seiner Ankunft in Rovigno wurde ihm ein Sohn, Namens Luigi, geboren; seine Geburt kostete der Mutter das Leben.

Seitdem er Witwer geworden, lebte Andrea Ferrato lediglich seiner Tochter und seinem Sohne. Maria war jetzt achtzehn Jahre alt und vertrat an dem Knaben, der sein achtes Lebensjahr begann, Mutterstelle. Wenn der unüberwindliche Schmerz über den Verlust seiner treuen Gefährtin nicht mehr an ihm genagt hätte, wäre der Fischer von Rovigno so glücklich gewesen, als man es eben durch Thätigkeit und das Gefühl, seine Pflicht zu erfüllen, sein kann. Er wurde von Allen im Orte geliebt, er war stets gefällig und hatte für Jeden einen guten Rath. Man weiß bereits, daß er mit vollem Rechte für geschickt in seinem Berufe gehalten wurde. Inmitten der langgestreckten Klippen an den istrischen Küsten brauchte in ihm kein Bedauern über den ihm verlorenen Fischfang im Golfe von Santa Mazza und in der Meerenge von Bonifazio aufzusteigen. Er kannte sich in diesen Gewässern, in welchen man dieselbe Sprache redete, wie auf Corsika, bald recht gut aus. Der Nutzen, den ihm das Lootsen von Schiffen auf der Strecke von Pola bis nach Triest abwarf, kam noch zu dem Verdienste hinzu, den ihm die Ausbeutung dieser fischreichen Gewässer einbrachte. In seinem Hause waren stets arme Leute zu finden, und seine Tochter Maria unterstützte ihn nach Kräften in den Werken der Barmherzigkeit.

Aber der Fischer von Santa Mazza hatte nicht das Versprechen vergessen, welches er sich selbst gegeben: Leben um Leben! Er hatte einem Manne das Leben genommen, einem anderen wollte er es retten.

Aus diesem Grunde hatte er, als die Flüchtlinge sich an seiner Thür einfanden, trotzdem er ahnte, wer sie waren und welcher Gefahr er sich aussetzte, nicht gezögert, ihnen zuzurufen: »Treten Sie ein!« und gleich hinzu gesetzt: »Möge Gott Sie in seinen Schutz nehmen!«

Die Polizisten waren, ohne sich aufzuhalten, inzwischen am Hause Andrea Ferrato's vorübergegangen. Graf Sandorf und Stephan Bathory konnten also annehmen, daß sie im Hause des corsischen Fischers, wenigstens für einige Stunden der Nacht, gut geborgen waren.

Sein Haus stand außerhalb der Stadt, ungefähr fünfhundert Schritte von der Mauer entfernt, jenseits des Hafens auf einer Felsenschicht, welche die Küste überragte. In der Entfernung von mindestens einer Kabellänge brandete das Meer gegen die Klippen des Gestades, dessen endlose Fläche in weiter Ferne den Himmel zu begrenzen schien. Gegen Südost schob sich in sanfter Rundung das Vorgebirge in das Meer, dessen Krümmung die kleine Rhede von Rovigno auf der Adria bildet.

Ein Erdgeschoß, bestehend aus vier Zimmern, von denen zwei nach vorn, zwei nach hinten hinaus lagen, ein mit Schindeln bedeckter Schuppen, woselbst das Fischereigeräth aufbewahrt wurde, bildete das ganze Besitzthum von Andrea Ferrato. Sein Fahrzeug war eine dreißig Fuß lange Balanzelle mit viereckigem Hintertheile, die einen großen Mast mit einem Focksegel trug – ein für den Fischfang mit dem Scharrnetze sehr geeignetes Boot. Wenn es nicht benützt wurde, wurde es im Schutze der Klippen mit Wasser angefüllt; man konnte dann mittelst einer kleinen Jolle, die auf den Strand gezogen wurde, zu derselben gelangen. Hinter dem Hause dehnte sich noch ein halbkreisförmiger Raum aus, in welchem einige Gemüsesorten inmitten von Maulbeer-, Olivenbäumen und Weinstöcken sproßten. Eine Hecke schloß den Besitz gegen einen fünf bis sechs Fuß breiten Bach ab und bildete somit die Grenze gegen die Feldmark hin.

So beschaffen war das bescheidene, aber gastliche Heim, in welches die Vorsehung die Flüchtlinge geführt hatte, so beschaffen der Gastfreund, der seine Freiheit wagte, indem er ihnen einen Zufluchtsort bot.

Sobald die Thür sich hinter ihnen geschlossen hatte, prüften Mathias Sandorf und Stephan Bathory das Zimmer, in welchem sie der Fischer zuerst empfangen hatte.

Es war das Hauptgemach des Hauses und mit einigen Gegenständen ausgestattet, die sehr sauber gehalten waren und den Geschmack und die Thätigkeit einer sorgsamen Haushälterin verriethen.

»Vor Allem wollen Sie gewiß etwas essen? fragte Andrea Ferrato.

– Ja, wir sterben vor Hunger, antwortete Graf Sandorf. Seit zwölf Stunden sind wir jeder Nahrung bar.

– Hast Du gehört, Maria?« rief der Fischer.

Maria hatte im Nu ein weißes Leinen auf dem Tische ausgebreitet und eingepökeltes Schweinefleisch, gedörrten Fisch, Brot, eine Flasche einheimischen Weines, Weintrauben, zwei Gläser, zwei Gedecke darauf gestellt. Eine »Veglione«, das ist eine Oellampe mit drei Dochten, erleuchtete das Zimmer.

Graf Sandorf und Stephan Bathory setzten sich sofort an den Tisch; ihre Kräfte waren erschöpft.

»Und Ihr? fragten sie den Fischer.

– Wir haben schon zu Abend gegessen,« antwortete Andrea Ferrato.

Die beiden Ausgehungerten verschlangen im wahren Sinne des Wortes die Speisen, die ihnen ohne alle Umschweife und mit freudigem Gemüthe gereicht worden waren.

Doch auch während sie aßen, beobachteten sie unablässig den Fischer, seine Tochter und seinen Sohn, welche ihnen von einer Ecke des Raumes aus zusahen, ohne ein Wort zu sprechen.

Andrea Ferrato konnte ein Zweiundvierziger sein. Er hatte ein ernstes, vielleicht sogar trauriges Aussehen; sein sonnverbranntes Gesicht zeigte ausdrucksvolle Züge, dunkle Augen und einen lebhaften Blick. Er trug die Kleidung der Fischer des adriatischen Meeres, unter der man einen robusten und sehnigen Körper vermuthen konnte.

Maria, deren Wuchs und Gestalt den Fischer an seine verstorbene Frau erinnerten, war groß, wohlgestaltet, eher schön als niedlich; sie hatte funkelnde Augen, braunes Haar und eine von der Lebhaftigkeit des corsischen Blutes stammende warme Hautfarbe. Stets ernst gemäß den Pflichten, welche sie schon in früher Jugend zu erfüllen hatte, zeigte sie in ihrer Haltung und in ihren Bewegungen die Ruhe einer überlegenden Natur. Es kennzeichnete Alles an ihr eine Energie, die ihr in keiner Lage des Lebens, wohin sie auch das Schicksal warf, abgehen konnte. Ihre Hand war schon mehrfach von jungen Fischern des Landes erstrebt worden, doch bisher wollte sie von einer Verheirathung nichts wissen. Ihr ganzes Leben gehörte ihrem Vater und dem Knaben, der ihr ans Herz gewachsen war.

Luigi seinerseits war ein entschlossener, aufmerksamer, arbeitslustiger Junge und schon an das Seemannsleben gewöhnt. Er begleitete Andrea Ferrato auf den Fischfang und auf die Lootsenfahrten mit bloßem Kopfe bei Wind und Wetter. Er versprach, später ein kräftiger, gesunder, gut gebauter, überkühner, fast wagehalsiger, aller Gefahren und aller Unwetter spottender Mann zu werden. Er liebte seinen Vater und betete seine Schwester an.

Graf Sandorf hatte diese drei Wesen, welche eine so rührende Neigung mit einander verband, aufmerksam beobachtet. Es schien ihm unzweifelhaft, daß er sich bei braven Leuten befand, denen er sich anvertrauen konnte.

Als das Mahl beendet war, erhob sich Andrea Ferrato und näherte sich dem Grafen.

»Gehen Sie schlafen, meine Herren! meinte er gelassen. Niemand vermuthet Sie hier. Morgen wollen wir weiter überlegen.

– Nein, Andrea Ferrato, nein! erwiderte Mathias Sandorf. Jetzt ist unser Hunger gestillt. Wir besitzen wieder unsere Kräfte. Laßt uns das Haus sofort wieder verlassen, denn unsere Gegenwart bildet eine zu große Gefahr für Euch und die Euren!

– Ja, wir wollen aufbrechen, fügte Stephan Bathory hinzu. Gott möge Euch vergelten, was Ihr an uns gethan habt!

– Gehen Sie zu Bett, es muß sein! erwiderte der Fischer. Die Küste wird heute Abend bewacht. Man hat über alle Häfen die Sperre verhängt. Man kann in dieser Nacht nichts unternehmen.

– Es sei, da Ihr es wollt! antwortete ihm Mathias Sandorf.

– Ich will es!

– Eine Frage noch: Seit wann ist unsere Flucht bekannt?

– Seit heute Morgen. Doch, Sie waren zu Vieren im Thurme von Pisino. Sie sind jetzt nur Zwei. Der Dritte soll, wie man sagt, in Freiheit gesetzt sein ...

– Sarcany! rief Mathias Sandorf, den Zorn bemeisternd, der sich mächtig in ihm regte, als er diesen verwünschten Namen hörte.

– Und der Vierte ...? fragte Stephan Bathory, ohne zu wagen, den Satz zu Ende zu sprechen.

– Der Vierte ist noch am Leben, antwortete Andrea Ferrato. Die Hinrichtung ist aufgeschoben worden.

– Er lebt! rief Stephan Bathory.

– Ja, meinte Mathias Sandorf ironisch, man will warten, bis man uns wieder hat, um uns die Freude zu bereiten, gemeinsam sterben zu können.

– Maria, sagte Andrea, führe unsere Gäste in das nach hinten hinaus über der Umzäunung gelegene Zimmer, doch ohne Licht. Es ist nicht nöthig, daß man heute Abend das Fenster von außen erleuchtet sieht. Du kannst Dich ebenfalls schlafen legen. Luigi und ich werden wachen.

– Gut, Vater, sagte der Knabe,

– Kommen Sie, meine Herren!« das junge Mädchen.

Graf Sandorf und sein Gefährte wechselten einen kräftigen Händedruck mit dem Fischer. Sie gingen in das ihnen bezeichnete Zimmer und fanden daselbst zwei gute Maismatratzen, die ihnen nach den ausgestandenen Strapazen willkommen waren.

Andrea Ferrato hatte inzwischen mit seinem Sohne das Haus verlassen. Er wollte sich überführen, ob Jemand in der Umgebung, am Ufer oder jenseits des Baches umher lungerte. Er fand Niemand. Die Flüchtlinge konnten also bis zum Anbruche des Tages in Frieden ruhen.

Die Nacht verfloß ohne jeden Zwischenfall. Der Fischer war noch mehrere Male aus dem Hause getreten. Er hatte nichts Verdächtiges gesehen.

Am nächsten Tage, den 18. Juni, ging Andrea, während seine Gäste noch schliefen, bis mitten in die Stadt hinein und auf die Hafenquais, um Erkundigungen einzuziehen. An einzelnen Stellen fand er Ansammlungen von Neugierigen und Plaudernden vor. Das Plakat, welches seit dem frühen Morgen ausgehängt war und das die Flucht, die Androhung der Strafe, die versprochene Belohnung zur Kenntniß brachte, bildete überall den Gegenstand der Unterhaltung. Man schwatzte, man erzählte sich Neuigkeiten und man wiederholte Gerüchte in unbestimmten Ausdrücken, die nichts besagten. Nichts verlautete, daß Graf Sandorf und sein Gefährte in den Umgebungen der Stadt gesehen worden waren, man argwöhnte nicht einmal ihre Anwesenheit in der Provinz. Gegen zehn Uhr aber, als der Wachtmeister der Gensdarmerie und seine Leute nach Rovigno von ihrem nächtlichen Streifzuge zurückgekehrt waren, verbreitete sich das Gerücht, daß zwei Fremde vierundzwanzig Stunden früher an den Ufern des Canals von Leme gesehen worden waren. Man hatte die ganze Gegend bis zum Meere hin abgesucht, ohne indessen ihre Spur gefunden zu haben. Es war kein Anzeichen vorhanden, wohin sie sich gewendet haben konnten. War es ihnen gelungen, die Küste zu erreichen, eines Bootes habhaft zu werden und eine andere Gegend Istriens aufzusuchen oder sogar, über die österreichische Grenze zu entkommen? Alles schien glaubwürdig.

»So bleiben wenigstens fünftausend Gulden dem Staatsschatze erhalten, meinte man.

– Das Geld ist zu etwas Besserem nutz, als feige Angebereien zu belohnen.«

– Gewiß, wenn sie nur entkämen!«

– Entkämen? Geht doch! Die sind schon längst auf der anderen Küste der Adria in Sicherheit.«

Aus diesen Aeußerungen, die man innerhalb der meisten, aus Bauern, Arbeitern und Bürgern bestehenden Gruppen vor den Plakaten hören konnte, ging hervor, daß die öffentliche Meinung sich durchaus zu Gunsten der Verurtheilten aussprach – wenigstens bei den Bewohnern Istriens, die slavischer oder italienischer Abstammung waren. Die österreichischen Beamten konnten also kaum auf eine Denunciation von dieser Seite rechnen. Sie vernachlässigten indessen nichts, um der Flüchtigen wieder habhaft zu werden. Die gesammte Polizei und die Gensdarmerie-Geschwader waren vom frühen Morgen an unterwegs und ein ununterbrochener Depeschenwechsel fand zwischen Rovigno, Pisino und Triest statt.

Um elf Uhr kehrte Andrea Ferrato heim und erzählte seine Neuigkeiten, die mehr guter als schlechter Natur waren.

Graf Sandorf und Stephan Bathory beendeten in dem Zimmer, in welchem sie die Nacht zugebracht hatten, von Maria bedient, gerade ihr Frühstück. Die wenigen Stunden Schlaf, das gute Essen, die ihnen gewidmete Sorgfalt hatten sie sich vollständig von ihrer Abspannung erholen lassen.

»Nun, mein Freund? fragte Graf Sandorf, sobald sich die Thür hinter Andrea Ferrato geschlossen hatte.

– Ich denke, daß Sie, meine Herren, für den Augenblick nichts zu befürchten haben, antwortete der Fischer.

– Was sagt man in der Stadt? fragte Stephan Bathory.

– Man spricht allerdings von zwei Fremden, die gestern Früh gesehen wurden, als sie gerade im Begriffe standen, das Ufer am Canal von Leme zu betreten ... Und wenn es sich um Sie handelt ... meine Herren ...

– Es handelt sich in der That um uns, antwortete Stephan Bathory. Ein Mann, ein Salzarbeiter aus der Nachbarschaft, hat uns gesehen und angezeigt.«

Und Andrea Ferrato wurde von dem unterrichtet, was sich in der zerstörten Farm zugetragen hatte, während die Flüchtlinge sich dort verborgen hielten.

»Und Sie wissen nicht, wer dieser Denunciant ist? fragte Andrea dringend.

– Wir haben ihn nicht gesehen, antwortete ihm Mathias Sandorf, wir haben ihn nur hören können.

– Das ist ärgerlich, erwiderte Andrea Ferrato, aber ein wichtiger Umstand ist, daß man Ihre Spur verloren hat, und übrigens denke ich, daß, falls wirklich der Verdacht aufsteigen sollte, daß Sie in mein Haus geflüchtet sind, Sie eine Angeberei nicht zu befürchten haben. Die Stimmen im ganzen Umkreise von Rovigno lauten Ihnen günstig.

– Es überrascht mich nicht, das zu hören, antwortete Graf Sandorf. Die Bevölkerung der Provinz ist anerkannt brav. Man muß indessen mit den österreichischen Behörden rechnen und diese werden gewiß vor nichts zurückschrecken, um unser wieder habhaft zu werden.

– Zu Ihrer Beruhigung möge Ihnen dienen, meine Herren, ergriff der Fischer von Neuem das Wort, daß allgemein die Meinung verbreitet ist, Sie wären bereits auf die andere Küste des adriatischen Meeres hinübergeflohen.

– Möge Gott geben, daß dieses bald zur Wahrheit würde, warf Maria ein, welche die Hände wie zu einem Gebete gefaltet hatte.

– Es wird dahin kommen, theures Kind, antwortete Mathias Sandorf mit dem Ausdrucke innigster Ueberzeugung, es wird mit Gottes Hilfe dahin kommen!

– Und der meinigen, Herr Graf, setzte Andrea Ferrato hinzu. Ich werde jetzt meiner Beschäftigung wie gewöhnlich nachgehen. Man ist gewöhnt, Luigi und mich am Ufer die Netze ausbessern oder unsere Balanzelle anfeuchten zu sehen, und es ist gut, wenn wir nichts an unseren Gewohnheiten ändern. Bleiben Sie, bitte, in diesem Zimmer. Verlassen Sie es unter keinem Vorwande! Um noch weniger Verdacht zu erregen, öffnen Sie das auf die Umzäunung hinausgehende Fenster, aber halten Sie sich im Hintergrunde auf und zeigen Sie sich nicht. Ich bin in einer oder zwei Stunden zurück.«

Andrea Ferrato verließ mit seinem Sohne das Haus; Maria entledigte sich vor der Hausthüre wie gewöhnlich ihrer Obliegenheiten.

Am Ufer kamen und gingen die Fischer. Andrea Ferrato wollte vorsichtshalber einige Worte mit ihnen wechseln, ehe er seine Netze auf den Boden auszubreiten begann.

»Ein prächtiger Ostwind hat sich aufgemacht, sagte Einer.

– Ja, erwiderte Andrea Ferrato, der vorgestrige Sturm hat am Horizont ordentlich aufgeräumt.

– Hm, sagte ein Anderer nachdenklich, die Brise könnte gegen Abend doch stärker und zum Sturme werden, wenn die Bora sich hineinmischt.

– Dann wäre es auch nur ein Landwind und das Meer kann zwischen den Klippen nie aufrührerisch werden.

– Das muß man abwarten.

– Fährst Du heute Nacht auf den Fang, Andrea?

– Ich denke, wenn das Wetter es zuläßt.

– Aber die Sperre?

– Sie ist nur über die großen Schiffe, nicht über die Barken verhängt, weil diese sich nicht weit von der Küste entfernen.

– Desto besser; man hat gemeldet, daß der Thunfisch vom Süden in Zügen naht, wir dürfen nicht länger mit der Bereithaltung der Netze zögern.

– Gut, meinte Andrea Ferrato, bis jetzt haben wir noch nichts versäumt.

– Vielleicht doch!

– Nein, sage ich Dir, und wenn ich in der heutigen Nacht ausfahre, so fische ich auf den Bonit, an der Küste von Orsera oder Parenzo.

– Wie es Dir beliebt! Wir wollen unsere Netze hinter den Klippen auswerfen.«

Andrea und Luigi holten darauf ihre Netze, die unter einem Schuppen lagen; sie breiteten sie im Sande aus, um sie von der Sonne trocknen zu lassen. Zwei Stunden später kehrte der Fischer nach Hause zurück; nachdem er seinem Sohne aufgetragen hatte, die Haken vorzubereiten, die zum Fange des Bonits dienen, einer Fischart mit dunkelrothem Fleisch, die zur Gattung der Thunfische und zur Classe der Anxiden gehört.

Zehn Minuten später, nachdem er noch auf der Hausschwelle einige Züge aus der Tabakspfeife gethan, trat Andrea Ferrato zu seinen Gästen in das Zimmer, während Maria ihre Arbeit vor dem Hause fortsetzte.

»Herr Graf, der Wind kommt vom Lande und ich glaube nicht, daß das Meer in dieser Nacht sehr unruhig sein wird. Ich halte es für das Einfachste und Beste, um keine Spuren zu hinterlassen, daß Sie sich mit mir einschiffen. Wenn Sie dazu entschlossen sind, so halten Sie sich gegen zehn Uhr bereit. Um diese Zeit schlüpfen Sie zwischen den Klippen hindurch bis an den Saum der Brandung. Es wird Niemand Sie bemerken. Meine Jolle bringt Sie zur Balanzelle; wir gehen sofort in See, was keine Aufmerksamkeit erregen wird, da man weiß, daß ich heute Nacht auf den Fang fahre. Wenn die Brise kräftig genug ist, segle ich am Ufer entlang, um Sie jenseits der österreichischen Grenze, außerhalb des Bereiches der Mündungen von Cattaro, zu landen.

– Und wenn sie nicht stark genug sein sollte, fragte Graf Sandorf, was gedenken Sie dann zu thun?

– Dann gewinnen wir die offene See und fahren quer über die Adria; ich würde Sie dann an der Küste von Rimini oder an der Mündung des Po ans Land setzen.

– Würde Euer Schiff für eine so weite Ueberfahrt herhalten? fragte Stephan Bathory.

– Ja. Es ist ein gutes, halb überdecktes Boot, dessen Brauchbarkeit mein Sohn und ich schon beim heftigsten Unwetter erprobt haben. Etwas Gefahr wird man allerdings immer laufen ...

– Nichts ist natürlicher, als daß wir, deren Existenz auf dem Spiele steht, auch Gefahr laufen müssen, antwortete ihm Graf Sandorf. Aber daß Ihr, mein Freund, Euer Leben wagt ...

– Das ist meine Sache, Herr Graf, erwiderte Andrea; ich erfülle nur eine Pflicht, wenn ich versuche, Sie zu retten.

– Eine Pflicht?

– Ja.«

Und Andrea Ferrato erzählte den Vorgang aus seinem Leben, in Folge dessen er Santa Mazza auf Corsika hatte verlassen müssen, und daß das Gute, das er jetzt zu thun im Begriffe stand, nur eine gerechte Vergeltung des Ueblen wäre, welches er begangen.

»Edles Herz!« rief Graf Sandorf, von der Erzählung des Fischers erschüttert. Dann fuhr er fort:

»Gleichviel, ob Ihr uns nun bei Cattaro oder an der italienischen Küste aussetzt, so wird doch jedenfalls unsere Fahrt Eure längere Abwesenheit von Rovigno bedingen, was Euren Freunden vielleicht auffallen könnte. Ich möchte doch nicht, daß Ihr bei Eurer Heimkehr verhaftet würdet, nachdem Ihr uns die Freiheit verschafft habt.

– Fürchten Sie nichts, Herr Graf. Ich bleibe mitunter, namentlich zur Zeit der großen Fischzüge, fünf bis sechs Tage auf dem Meere. Uebrigens muß ich Ihnen nochmals wiederholen, daß das meine Sache ist. Wie ich gesagt habe, geschieht es, so und nicht anders machen wir es!«

Gegen den Entschluß des Fischers war also nicht anzukämpfen. Der Vorschlag Andrea's war augenscheinlich der beste und der am leichtesten auszuführende, da die Balanzelle – er hoffte es wenigstens – von der Laune des Meeres nichts zu befürchten hatte. Nur bei der Einschiffung müßte vorsichtig zu Werke gegangen werden. Die Nacht war aber voraussichtlich dunkel und ohne Mondschein, und sehr wahrscheinlich würde sich des Abends au der Küste ein dicker Nebel zeigen, der sich nicht weit auszudehnen pflegt. Um die bestimmte Stunde werde man auch längs der einsam liegenden Küste höchstens einen oder zwei Grenzjäger, die auf ihrem Patrouillengange begriffen wären, sehen. Die anderen Fischer und Nachbarn Andrea Ferrato's würden, wie sie erzählt hatten, bereits beschäftigt sein, ihre Netze jenseits der zahlreichen Klippen, das heißt, zwei bis drei Meilen unterhalb Rovignos, auf die Piken zu stecken. Sollten sie selbst die Balanzelle bemerken, so war diese bereits, wenn sie gesehen wurde, mit den unter ihrem Deck verborgenen Flüchtigen weit ab auf dem Meere.

»Und wie groß ist die Entfernung in gerader Linie zwischen Rovigno und dem zunächst liegenden Hafen an der italienischen Küste? fragte Stephan Bathory.

– Ungefähr fünfzig Meilen.

– Wie lange würde die Ueberfahrt dauern?

– Bei günstigem Winde brauchen wir ungefähr zwölf Stunden. Doch, Sie sind ohne Geld. Sie brauchen es. Nehmen Sie diesen Gürtel, in welchem sich dreihundert Gulden befinden und schnallen Sie ihn sich um den Leib!

– Mein Freund ...! sagte Mathias Sandorf abwehrend.

– Sie werden mir das später zurückgeben, schnitt der Fischer ab, wenn Sie in Sicherheit sind. Und nun erwarten Sie mich!«

Nach getroffener Verabredung zog sich Andrea Ferrato zurück, um seiner gewöhnlichen Beschäftigung theils im Hause, theils am Ufer nachzugehen. Luigi konnte, ohne bemerkt zu werden, Vorräthe für einige Tage an Bord der Balanzelle bringen, nachdem er sie vorsorglich in ein Aushilfssegel gewickelt hatte. Es war gar nicht möglich, daß ein Verdacht aufsteigen konnte, der Andrea Ferrato von seinem Vorsatze hätte abbringen können. Er trieb selbst die Vorsicht so weit, daß er seine Gäste während der übrigen Stunden des Tages nicht mehr wiedersehen wollte. Mathias Sandorf und Stephan Bathory hielten sich im Hintergrunde des kleinen Zimmers verborgen, dessen Fenster unablässig offen stand. Der Fischer würde sie schon benachrichtigen, dachten sie, wenn die Zeit da wäre.

Im Laufe des Nachmittags kamen Nachbarn zu Ferrato, um mit ihm freundschaftlich über den Fischfang und das Erscheinen des Thunfisches an den istrischen Küsten zu plaudern. Andrea Ferrato empfing sie in dem Wohnzimmer und bewirthete sie, wie üblich, mit Getränken.

So verfloß der größte Theil des Tages mit Kommen, Gehen und Unterhaltungen. Einige Male war auch von der Flucht der Gefangenen die Rede. Augenblicklich war sogar das Gerücht verbreitet, daß sie am Golf von Quarnero, auf der entgegengesetzten Küste Istriens, aufgegriffen worden wären – ein Gerücht, das indessen bald als unwahr bezeichnet wurde.

Es schien sich also Alles auf das Beste anzulassen. Daß das Gestade sorgfältiger als gewöhnlich bewacht wurde, theils durch die Beamten der Zollbehörde, theils durch Polizeiagenten und Gensdarmen, stand fest; doch konnte es nicht schwer fallen, während der Nacht die Aufmerksamkeit dieser Leute zu täuschen. Die Sperre war, wie man weiß, nur über die größeren Seeschiffe und über die Küstenfahrzeuge aus dem Mittelmeere verhängt, nicht über die Fischerbarken, die nahe dem Ufer blieben. Die Auftakelung der Balanzelle konnte daher frei von jedem Verdachte erfolgen.

Andrea Ferrato hatte aber einen Besuch nicht in Rechnung gezogen, den er in der achten Abendstunde erhielt. Dieser Besuch überraschte ihn zuerst, wenn er ihn nicht gar beunruhigte. Denn er verstand die bedrohliche Bedeutung desselben erst, nachdem der Gast sich entfernt hatte.

Es hatte gerade acht Uhr geschlagen. Maria beschäftigte sich mit den Vorbereitungen zum Abendbrod und der Tisch im großen Wohnzimmer stand bereits gedeckt, als zweimal an die Hausthür geklopft wurde.

Andrea Ferrato zögerte nicht, zu öffnen. Zu seiner Ueberraschung stand vor ihm der Spanier Carpena.

Dieser Carpena war ein Almayate, aus Almaya, einer kleinen Stadt der Provinz Malaga. Wie Andrea Ferrato Corsika, so hatte Jener Spanien verlassen, wahrscheinlich in Folge irgend einer anrüchigen Handlung, und sich in Istrien angesiedelt. Hier betrieb er das Gewerbe eines Salzarbeiters oder Salzsieders und brachte die Erzeugnisse aus den Bergwerken der westlichen Küste in das Innere des Landes – ein undankbares Brot, mit dem er gerade das verdiente, was er zum Leben brauchte.

Er war ein kräftiger, junger Mann, kaum fünfundzwanzig Jahre alt, untersetzt, mit breiten Schultern und einem dicken, mit struppigen, schwarzen Haaren besetzten Kopfe; seine Gesichtszüge waren bulldoggartige und erinnerten mehr an den Gesichtsausdruck eines Thieres als an denjenigen eines Menschen. Carpena war ein Feind jeder Geselligkeit, und da er neidisch, rachsüchtig und, mehr als das, feige war, so liebte man ihn nirgends. Man wußte nicht genau, warum er sein Vaterland verlassen hatte. Mehrere Streitigkeiten mit den Kameraden in den Salinen, gegen den Einen und den Anderen ausgestoßene Drohungen, Raufereien, welche die Folgen derselben waren, hatten seinen Ruf nur verschlechtert. Man ging ihm gern aus dem Wege.

Carpena hatte sowohl von seinem Charakter als auch von seiner Person durchaus keine schlechte Meinung. Im Gegentheil. Nur so ist auch der Versuch – man wird sehen, welche Absicht diesem unterlag – mit Andrea Ferrato in Verbindung zu kommen, zu erklären. Der Fischer hatte ihn von Anfang an, was nicht geleugnet werden kann, nicht gerade freundschaftlich empfangen. Das geht zur Genüge aus der folgenden Unterhaltung hervor, in deren Verlauf Carpena seine eigentlichen Absichten entwickelte.

Carpena hatte kaum einen Schritt in das Zimmer gethan, als auch schon Andrea Ferrato sich vor ihn hinstellte und ihn fragte:

»Was wollt Ihr bei mir?

– Ich ging vorüber und da ich bei Euch Licht sah, so klopfte ich an.

– Und warum?

– Um Euch einen Besuch abzustatten, Nachbar.

– Ihr wißt ganz gut, daß Eure Besuche mir nicht gefallen.

– Gemeinhin ja, heute aber dürfte das anders sein.«

Andrea Ferrato begriff nicht und konnte nicht ahnen, was diese im Munde Carpena's räthselhaften Worte bedeuteten. Er konnte ein seinen Körper durchlaufendes Zittern nicht unterdrücken, das seinem Gegenüber nicht entging.

Carpena hatte die Thür hinter sich geschlossen.

»Ich habe mit Euch zu reden, wiederholte er.

– Nein. Wir haben uns nichts zu sagen.

– Doch ... ich muß Euch sprechen ... und im Geheimen, setzte er mit leiser Stimme hinzu.

– So kommt!« antwortete der Fischer, der seine Gründe hatte, an diesem Tage Niemand abzuweisen.

Carpena durchschritt auf ein Zeichen Andrea's hin den großen Raum und folgte Jenem in dessen Zimmer.

Dieses war nur durch eine dünne Wand von demjenigen getrennt, in welchem sich Mathias Sandorf und Stephan Bathory befanden. Das eine führte auf die Straße hinaus, das andere auf die Umzäunung.

Sobald Beide allein waren, fragte der Fischer:

»Was wollt Ihr also von mir?

– Nachbar, sagte Carpena, ich berufe mich auf Eure gute Freundschaft.

– Und in welcher Beziehung?

– Hinsichtlich Eurer Tochter.

– Kein Wort weiter!

– Höret doch! Ihr wißt, ich liebe Maria, und es ist mein lebhafter Wunsch, sie zur Frau zu haben.«

In nichts Geringerem bestand Carpena's Forderung.

Er verfolgte das junge Mädchen schon seit mehreren Monaten mit seinen Anträgen. Man vermuthet wohl richtig, wenn man das selbstsüchtige Interesse in diesem Falle für größer als die Liebe anschlägt. Andrea Ferrato lebte, trotzdem er nur ein einfacher Fischer war, in guten Verhältnissen, dem Spanier gegenüber, der nichts besaß, war er sogar reich. Nichts natürlicher, als daß aus diesem Grunde Carpena den Gedanken faßte, Andrea's Schwiegersohn zu werden; aber auch nichts natürlicher, daß der Fischer aus demselben Grunde ihm ein für allemal einen Korb gegeben hatte, da Jener ihm in keiner Hinsicht behagen konnte.

»Carpena, erwiderte Andrea Ferrato kühl, Ihr habt Euch schon an meine Tochter gewendet, sie hat Euch nein! geantwortet; Ihr habt Euch schon an mich gewendet, ich habe Euch nein! geantwortet. Ihr kommt mir heute nochmals mit derselben Frage und ich wiederhole Euch nein! zum letzten Male!«

Das Gesicht des Spaniers legte sich in düstere Falten. Die Lippen zuckten auf und ließen die Zähne sehen. Seine Augen schossen tückische Blitze. Das schlecht beleuchtete Zimmer machte, daß Andrea Ferrato von dieser boshaften Physiognomie nichts bemerkte.

»Euer letztes Wort, das? fragte Carpena.

– Es ist mein letztes, sofern Ihr eben zum letzten Male Euer Verlangen vorgebracht habt, antwortete der Fischer. Solltet Ihr es erneuern, so werdet Ihr dieselbe Antwort erhalten.

– Ich werde es erneuern! Ja, ich werde es erneuern, wiederholte Carpena, sobald Maria es mich thun heischt!

– Sie! rief Andrea Ferrato, sie! Ihr wißt wohl, daß meine Tochter für Euch weder Freundschaft noch Achtung fühlt.

– Ihre Gefühle können sich ändern, sobald ich eine Unterredung mit ihr gehabt haben werde.

– Eine Unterredung?

– Ja, Ferrato, ich wünsche sie zu sprechen.

– Und wann?

– Sofort! ... Versteht mich recht! ... Ich muß sie sprechen, muß sie heute Abend noch sprechen!

– Ich verweigere diese Unterredung in ihrem Namen!

– Nehmt Euch in Acht, wenn Ihr das thut! rief Carpena laut. Nehmt Euch in Acht!

– Mich in Acht nehmen?

– Ich werde mich rächen!

– Pah! Räche Dich, wenn Du es kannst oder wagst, Carpena! antwortete Andrea Ferrato, der nun ebenfalls in Zorn gerieth. Deine Drohungen fürchte ich nicht, wie Du weißt. Und jetzt geh' oder ich werfe Dich hinaus!«

Das Blut stieg dem Spanier in die Augen. Er war nahe daran, dem Fischer zu Leibe zu gehen. Aber er bezwang sich, und nachdem er die Thür heftig aufgestoßen hatte, schritt er durch das Wohnzimmer, ohne ein Wort zu sprechen, zum Hause hinaus.

Kaum war er fort, als sich die Thür des Nebenzimmers, in welchem die Flüchtigen sich befanden, öffnete. Graf Sandorf, der jedes Wort der Unterredung gehört hatte, erschien auf der Schwelle; er ging auf Andrea Ferrato zu und sagte leise zu ihm:

»Das war der Mann, der uns dem Gensdarmerie-Wachtmeister verrathen hat. Er kennt uns. Er hat uns gesehen, als wir am Canal von Leme das Land betraten. Er ist uns bis Rovigno gefolgt. Er weiß augenscheinlich, daß Ihr uns bei Euch beherbergt. Laßt uns sofort fliehen oder wir sind verloren ... und Ihr auch!


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