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III.
Das Haus Toronthal.

Das gesellschaftliche Leben ist in Triest gleich Null. Die Verschiedenheit der Rassen und der Stände machen es, daß man sich gegenseitig wenig sieht. Die österreichischen Beamten möchten je nach der Stellung, die sie im amtlichen Leben bekleiden, die erste Rolle spielen. Es sind dies durchschnittlich achtbare, wohlunterrichtete, wohlwollende Leute, aber ihr Gehalt ist ein knapper und ihrer Stellung nicht entsprechend; sie können daher mit den Kaufleuten und Finanzmännern nicht wetteifern. Da man in den reichen Familien nur selten empfängt und die officiellen Vereinigungen fast stets verunglücken, so haben sich die letzteren genöthigt gesehen, den äußeren Luxus zu pflegen, in den Straßen der Stadt in Gestalt von prächtigen Equipagen, im Theater durch kostbare Toiletten und verschwenderischen Aufwand von Brillanten, den ihre Frauen in den Logen des Teatro Communale oder der Armonia zur Schau tragen.

Zu diesen wohlhabenden Familien gehörte zu jener Zeit auch die des Bankiers Silas Toronthal.

Der Chef dieses Hauses, dessen Ansehen sich über Oesterreich-Ungarn hinaus erstreckte, war damals siebenunddreißig Jahre alt. Er bewohnte mit seiner noch um einige Jahre jüngeren Gattin ein Palais in der Allee des Acquedotto.

Silas Toronthal galt für sehr reich und er mußte es sein. Kühne und glückliche Speculationen an der Börse, eine rege Geschäftsverbindung mit dem österreichischen Lloyd und anderen großen Häusern, wichtige Anleihen, deren Emissionen ihm anvertraut waren, mußten viel Geld in seinen Cassen zurückgelassen haben. Hieraus entstammte auch die Großartigkeit des Hausstandes, die viel von sich reden machte.

Trotzdem war es möglich, wie wir es schon Sarcany zu Zirone sagen hörten, daß die Geschäfte von Silas Toronthal dazumal ein wenig verwickelt lagen – wenigstens für den Augenblick. Es mochte das daher rühren, daß er vor sieben Jahren den Rückschlag auszuhalten gehabt hatte, den die Unruhen des französisch-italienischen Krieges der Bank und der Börse beibrachten, dann in neuerer Zeit hatte ihn der Niedergang der öffentlichen Fonds auf den ersten Bankplätzen, besonders auf denen Oesterreich-Ungarns, Wien, Budapest, Triest, eine Folge des Feldzuges, dem Sadowa ein Ende machte, ernsthafte Prüfungen durchmachen lassen. Zweifellos hatte auch die Verpflichtung, die bei ihm in baaren Geldern hinterlegten Summen zurückzahlen zu müssen, ihm bedenkliche Verlegenheiten bereitet. Aber eben so gewiß war, daß er sich von dieser Krisis wieder erholt hatte, und wenn es wahr war, was Sarcany sagte, so mußte er sich in neue gefährliche Speculationen eingelassen haben, welche die Solidität seines Hauses aufs Spiel setzten.

Und in der That hatte sich Silas Toronthal seit wenigen Monaten, wenigstens nach der moralischen Seite hin, wesentlich geändert. So sehr er sich auch zu beherrschen verstand, sein Aussehen war trotzdem ohne sein Wissen ein anderes geworden. Er war nicht mehr, wie einst, Herr über sich selbst. Beobachter hätten bemerken können, daß er den Leuten nicht mehr ins Gesicht zu sehen wagte, so wie es einst bei ihm Gewohnheit gewesen war, sondern sie mit halbgeschlossenem Auge und von der Seite anblickte. Diese Anzeichen waren auch der Aufmerksamkeit seiner Frau nicht entgangen, einer stets kränklichen Dame, die keine Energie besaß, sich ihrem Gatten willenlos unterwarf und, der Absicht desselben gemäß, nur eine sehr oberflächliche Idee von dessen Geschäft hatte.

Sollte ein tödtlicher Schlag das Haus des Bankiers einstmals treffen, so hatte Silas Toronthal von der öffentlichen Theilnahme gewiß nichts Gutes zu erwarten. Obgleich er zahlreiche Kunden in der Stadt, auf dem Lande besaß, so konnte er doch thatsächlich nur auf wenige Freunde zählen. Die hohe Meinung, welche er von seiner Lebensstellung hatte, seine angeborene Eitelkeit, eine gewisse Ueberlegenheit, die er Allem und jeder Sache gegenüber anzunehmen pflegte, waren nicht geeignet, einen anderen als einen geschäftlichen Verkehr mit ihm anzubahnen. Die Triestiner sahen in ihm auch den Fremden, da er aus Ragusa stammte und von Geburt Dalmatiner war. Es fesselten ihn also keine verwandtschaftlichen Bande an die Stadt, in der er vor fünfzehn Jahren den Grundstein zu dem Gebäude seines Glückes gelegt hatte.

In dieser Lage befand sich zur Zeit das Haus Toronthal. Wenn auch Sarcany Verdacht in obiger Hinsicht hegte, so bestätigte noch nichts das Gerücht, daß die Geschäfte des reichen Bankiers ernstlich verwickelt wären. Sein Credit hatte noch keine Beanstandung erfahren, öffentlich wenigstens nicht. Daher hatte auch Graf Sandorf nach Flüssigmachung seiner Gelder nicht gezögert, ihm eine beträchtliche Summe anzuvertrauen – eine Summe, die stets zu seiner Verfügung gehalten werden sollte, mit der Verpflichtung, dieselbe vierundzwanzig Stunden vor der Empfangnahme kündigen zu müssen.

Man ist vielleicht erstaunt darüber, daß zwischen diesem Bankhause, das zu den ehrenhaftesten gezählt wurde, und einer Persönlichkeit gleich der Sarcany's eine Verbindung existiren konnte. Es war dies aber der Fall, und zwar bestand dieses Verhältniß schon seit zwei oder drei Jahren.

Damals pflegte Silas Toronthal einen ausgedehnten geschäftlichen Verkehr mit der Regierung von Tripolis. Sarcany, Allerwelts-Commissionär und ein Licht in Zahlenangelegenheiten, gelang es, sich in diese Geschäfte hineinzudrängen, die gewiß nicht über jeden Zweifel erhaben waren. Es mußten da gewisse, besser verschwiegen bleibende Fragen, betreffend Extrazugaben bei Käufen, zweifelhafte Aufträge, wenig ehrenhafte Vorausbezahlungen, erledigt werden, in denen der Triester Bankier nicht mit seiner Person hervortreten wollte. Unter diesen Umständen war Sarcany der Agent für diese mißlichen Combinationen geworden, und er leistete dem Bankier auch noch andere Dienste ähnlicher Art. Damit war die Gelegenheit, einen Fuß in das Bankhaus setzen zu können, wie von selbst gekommen, oder es war vielmehr die Hand, von der das gesagt werden muß. Denn nachdem Sarcany Tripolis verlassen, hörte er nicht auf, dem Bankier gegenüber eine Art Gelderpresser zu sein. Damit ist noch nicht gesagt, daß der Bankier ihm auf Gnade und Barmherzigkeit überliefert war, denn ein materieller Beweis für jene bloßstellenden Operationen war nicht vorhanden. Aber trotzdem war die Lage des Bankiers eine delicate. Ein Wort genügte, ihm genug Unannehmlichkeiten zu bereiten. Sarcany wußte aber viele Worte und deshalb mußte Toronthal mit ihm rechnen.

Er zahlte also. Sarcany kostete ihn ganz bedeutende Summen, die mit der größten Leichtfertigkeit, namentlich in den Spielhöllen, wieder ausgegeben wurden, mit jener Ungenirtheit des Abenteurers, der um die Zukunft unbesorgt ist. Nachdem Sarcany den Bankier nunmehr in Triest selbst aufgesucht hatte, war er so unverschämt und diesem so unbequem geworden, daß dem Bankier die Sache schließlich zu arg wurde und er Sarcany jeden ferneren Credit kündigte. Sarcany drohte, Silas Toronthal blieb standhaft. Und er hatte Recht, denn der »Meistersinger« mußte schließlich sich selbst eingestehen, daß er in Ermanglung directer Beweise keine oder so gut wie keine Waffen in der Hand hatte.

Das war der Grund, weshalb Sarcany und sein ehrenhafter Gefährte Zirone schon seit geraumer Zeit mit ihren Einnahmen am Ende waren; sie besaßen selbst nicht so viel mehr, um die Stadt verlassen und anderswo ihr Heil versuchen zu können. Wir wissen aber auch bereits, daß Silas Toronthal ihnen noch eine letzte Unterstützung zu Theil werden ließ, um sich ihrer endgiltig zu entledigen. Diese Summe sollte es jenen möglich machen, von Triest nach Sicilien zurückkehren zu können, woselbst Zirone zu einer zweifelhaften Vereinigung gehörte, welche die östlichen und die inneren Provinzen des Landes beunruhigte. Der Bankier durfte also hoffen, daß er seinen tripolitanischen Makler nicht wiedersehen, daß er nichts mehr von ihm hören würde. Er täuschte sich hierin wie in vielen anderen Beziehungen.

Am Abend des 18. Mai war es gewesen, als die zweihundert Gulden, die Toronthal gesandt, nebst den wenigen sie begleitenden Worten, im Hotel, in dem die zwei Abenteurer wohnten, abgegeben wurden.

Sechs Tage später, also am 24. desselben Monates, fand sich Sarcany im Hause der Bank ein. Er begehrte zu Silas Toronthal geführt zu werden, und seine Forderung war eine so hartnäckige, daß man ihm schließlich willfahren mußte.

Der Bankier befand sich in seinem Cabinet, dessen Thür Sarcany sorgfältig hinter sich schloß, sobald man ihn hineingeführt hatte.

»Sie noch hier?! fuhr ihn Silas Toronthal an. Was wollen Sie hier? Ich habe Ihnen bereits, zum letzten Male, Geld geschickt, damit Sie Triest verlassen können! Mehr bekommen Sie von mir nicht, da können Sie noch so viel reden und noch so viel thun. Warum sind Sie nicht abgereist? Ich erkläre Ihnen, daß ich meine Vorsichtsmaßregeln treffen werde, um für die Folge Ihre Erpressungen zu vereiteln. Was wollen Sie von mir?«

Sarcany hatte dieser Worthagel, auf den er vorbereitet gewesen war, sehr kühl gelassen. Selbst von der unverschämten Haltung, die er bei seinen letzten Besuchen in diesem Hause anzunehmen pflegte, war heute nichts mehr zu sehen.

Er war nicht nur vollständig Herr seiner selbst, sondern auch sehr ernst. Er rollte sich, ohne dazu aufgefordert zu sein, einen Stuhl heran; dann wartete er geduldig, bis die schlechte Laune des Bankiers sich in lärmenden Beschuldigungen Luft gemacht hatte.

»Werden Sie nun endlich reden?« fragte Toronthal von Neuem, nachdem das Gehen und Kommen in seinem Arbeitszimmer aufgehört hatte; auch er setzte sich jetzt, konnte aber noch immer nicht seine Ruhe wiederfinden.

»Ich warte, bis Sie sich beruhigt haben werden, antwortete Sarcany gelassen, und ich werde, wenn es nöthig ist, noch länger warten.

– Es geht Sie wenig an, ob ich ruhig bin oder nicht. Zum letzten Male: was wünschen Sie?

– Silas Toronthal, erwiderte Sarcany, ich habe Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen.

– Ich habe weder Lust, mit Ihnen von Geschäften zu sprechen, noch solche mit Ihnen zu machen! rief der Bankier. Wir haben miteinander nichts mehr zu schaffen, und ich verlasse mich darauf, daß Sie noch heute Triest auf Nimmerwiedersehen verlassen.

– Gewiß will ich Triest verlassen, aber nicht früher, als bis ich meine Schulden bei Ihrem Hause getilgt habe.

– Sie Schulden tilgen? Sie wollen mir etwas wiedergeben?

– Ich will Ihnen Zinsen und Capital zurückgeben, ohne den Antheil an dem Gewinn zu zählen aus ...«

Silas Toronthal zuckte mit den Schultern bei diesem unerwarteten Vorschlage Sarcany's.

»Die Summen, die ich Ihnen vorgeschossen habe, meinte er, sind auf Gewinn- und Verlustconto übertragen. Wir sind miteinander fertig, ich verlange von Ihnen nichts und bin aus diesem Elende heraus.

– Und mir beliebt es, nicht Ihr Schuldner zu bleiben.

– Und mir, Ihr Gläubiger zu sein.«

Nach diesen Worten sahen sich beide Männer an. Dann zuckte auch Sarcany seinerseits mit den Schultern und sagte:

»Redensarten, nichts als Redensarten. Ich wiederhole Ihnen, daß ich in einer sehr ernsthaften Geschäftsangelegenheit zu Ihnen komme.

– Zweifellos auch eben so mißlich als ernsthaft?

– Es wäre gerade nicht das erste Mal, daß Sie zu mir Ihre Zuflucht nähmen, um ...

– Worte, leere Worte, fiel ihm der Bankier in die Rede als Entgegnung auf die vorhergegangene freche Bemerkung Sarcany's.

– Hören Sie mich an, sagte Sarcany, ich werde mich kurz fassen.

– Sie werden gut daran thun.

– Wenn das, was ich Ihnen vorschlagen will, Ihren Beifall nicht hat, so sprechen wir nicht mehr davon und ich gehe fort.

– Von hier oder aus Triest?

– Von hier und aus Triest.

– Morgen bereits?

– Heute bereits!

– Gut, sprechen Sie!

– Es handelt sich um Folgendes, meinte Sarcany, doch, fügte er, sich umsehend, hinzu, sind Sie auch gewiß, daß Niemand uns hören kann?

– Sie bestehen also darauf, daß unsere Unterredung ein Geheimniß bleibt? fragte der Bankier ironisch.

– Ja, Silas Toronthal, denn Sie und ich halten das Leben von hochstehenden Persönlichkeiten in unserer Hand.

– Sie vielleicht, ich nicht.

– Urtheilen Sie selbst. Ich bin einer Verschwörung auf der Spur. Worauf sie hinausläuft, weiß ich noch nicht. Aber seit der Geschichte, die sich inmitten der lombardischen Ebene abgespielt hat, seit Sadowa hat jeder Nichtösterreicher leichtes Spiel gegen Oesterreich. Ich habe sogar Grund genug, zu glauben, daß sich eine Bewegung zu Gunsten Ungarns vorbereitet, aus der wir zweifellos Nutzen ziehen könnten.«

Silas Toronthal begnügte sich, spöttisch zur Antwort zu geben:

»Ich kann aus einer solchen Verschwörung keine Vortheile ziehen.

– Vielleicht doch.

– Und wie?

– Dadurch, daß Sie dieselbe zur Anzeige bringen.

– Erklären Sie sich näher.«

Und Sarcany erzählte, was auf dem alten Kirchhofe von Triest sich zugetragen hatte, wie er sich der Brieftaube bemächtigen konnte, wie das chiffrirte Billet, von dem er eine Abschrift bei sich bewahrte, in seinen Besitz gelangt war und auf welche Weise er das Haus des Empfängers dieser Depesche herausgefunden. Er setzte hinzu, daß seit fünf Tagen Zirone und er Alles ausgekundschaftet hatten, was sich außerhalb des Hauses zugetragen. Danach kämen des Abends einige Personen dort zusammen, und zwar stets dieselben; ihr Eintritt in das Haus erfolge mit möglichster Vorsicht. Andere Brieftauben wären aufgestiegen, wieder andere gekommen; die einen flögen gen Norden, die anderen kämen von dort. Die Hausthür würde von einem alten Diener bewacht, der nicht gern öffne und jede Annäherung sorgfältig überwache. Sarcany und sein Gefährte hätten mit der größten Vorsicht zu Werke gehen müssen, um nicht die Aufmerksamkeit dieses Menschen zu erregen. Und trotzdem müßten sie befürchten, seit einigen Tagen Verdacht erregt zu haben.

Silas Toronthal begann der Erzählung Sarcany's mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Er fragte sich im Stillen, wie viel Wahres wohl an dem Gehörten sein könnte, für welches sein einstiger Makler Bürge sein wollte und in welcher Weise schließlich dieser sich sein Interesse an der Sache dachte, um einen Gewinn daraus ziehen zu können.

Nachdem Sarcany geendet und wiederholt bestätigt hatte, daß es sich dort um eine Verschwörung gegen den Staat handle und daß die Ausbeutung des entdeckten Geheimnisses von Nutzen sein würde, ließ sich der Bankier herbei, folgende Fragen an ihn zu stellen:

»Wo befindet sich das bewußte Haus?

– Es ist Nummer 80 der Allee des Acquedotto.

– Und wem gehört es?

– Einem ungarischen Edelmanne.

– Sein Name?

– Ladislaus Zathmar.

– Und wer sind die Personen, die ihn besuchen?

– Zwei namentlich, ebenfalls ungarischer Abstammung.

– Der Eine ...?

– Ist ein Professor aus hiesiger Stadt, Stephan Bathory.

– Der Andere ...?

– Graf Mathias Sandorf.«

Bei Nennung dieses Namens zuckte Toronthal überrascht leicht zusammen, was Sarcany nicht entging. Es war diesem nicht schwer geworden, diese drei Namen herauszufinden: er war Stephan Bathory gefolgt, als dieser in sein Haus in der Corsia Stadion zurückkehrte, und dem Grafen Sandorf bei dessen Heimkehr in das Hotel Delorme.

»Sie sehen, Silas Toronthal, ich habe nicht gezögert, Ihnen die Namen der Betreffenden auszuliefern. Sie begreifen also, daß ich mich schließlich mit Ihnen nicht herumspielen will.

– Alles das ist doch noch nichts Feststehendes, meinte der Bankier, der erst noch mehr erfahren wollte, ehe er sich zu etwas verpflichtete.

– Noch nichts Feststehendes? fragte Sarcany.

– Zweifellos! Sie besitzen nicht einmal einen Schimmer eines handgreiflichen Beweises.

– Und das hier?«

Die Abschrift des Billets wanderte in die Hand Toronthal's. Dieser prüfte sie ersichtlich mit Neugier. Doch diese mystischen Worte sagten ihm nichts und der Beweis fehlte, daß sie wirklich die Wichtigkeit besaßen, die Sarcany ihnen andichtete. Die ganze Geschichte konnte ihn nur insofern interessiren, als der Name des Grafen Sandorf im Spiele war, seines Kunden, dessen Stellung ihm gegenüber etwas beunruhigend wurde, sobald dieser eine unverzügliche Zurückzahlung der bei ihm hinterlegten Gelder verlangte.

»Nun wohl, sagte er schließlich, meine Meinung bleibt dabei, daß die ganze Angelegenheit bis jetzt durchaus keine Sicherheiten bietet.

– Mir scheint im Gegentheil nichts klarer zu sein, entgegnete Sarcany, den die Haltung des Bankiers in keiner Weise einschüchterte.

– Haben Sie das Billet entziffern können?

– Nein, Silas Toronthal, aber ich werde es übertragen, sobald die richtige Zeit gekommen sein wird.

– Und wie?

– Ich habe mit solchen Dingen, wie mit vielen anderen, ebenfalls zu thun und in meinen Händen schon eine hübsche Anzahl chiffrirter Depeschen gehabt. Aus der eingehenden Prüfung, die ich mit dieser Schrift angestellt, habe ich den Schluß gezogen, daß der Schlüssel hierzu weder auf einer Zahl, noch auf einem verabredeten Alphabet beruht, welches jedem dieser Buchstaben eine andere Bedeutung geben würde, als diese in Wirklichkeit ist. In diesem Briefe ist ein s ein s, ein p ein p, aber diese Buchstaben sind in einer Reihenfolge niedergeschrieben, welche nur mit Hilfe eines Gitters zu übertragen ist.«

Wir wissen bereits, daß Sarcany sich nicht täuschte. Letztgenanntes System war es, welches in diesem Falle angewendet wurde. Wir wissen auch, daß aus demselben Grunde der Inhalt sich nur noch schwerer aufklären ließ.

»Ich will nicht leugnen, daß Sie vielleicht Recht haben, sagte der Bankier, aber ohne Gitter ist das Billet unlesbar.

– Ersichtlich.

– Und wie werden Sie sich dieses Gitter verschaffen?

– Ich weiß es noch nicht, antwortete Sarcany, aber ich werde es mir verschaffen, dessen können Sie gewiß sein.

– Wirklich? An Ihrer Stelle, Sarcany, würde ich mir nicht so große Mühe geben.

– Ich werde mir alle Mühe geben.

– Wozu soll das gut sein? Ich würde mich begnügen, der Polizei von Triest den Verdacht mitzutheilen und ihr das Billet einzuhändigen.

– Ich werde es ihr sagen, Silas Toronthal, aber nicht auf bloße Vermuthungen hin, erwiderte Sarcany frostig. Ehe ich rede, muß ich thatsächliche Beweise haben und natürlich auch unbestreitbare. Ich denke diese Verschwörung meistern zu können, ja vollständig meistern zu können und Vortheile daraus zu ziehen, von denen ich Ihnen die Hälfte anbiete. Und wer weiß, ob es nicht vortheilhafter sein wird, mit den Verschwörern gemeinsame Sache zu machen, als gegen sie zu zeugen.«

Eine solche Sprache überraschte Toronthal nicht. Er wußte, wessen der intelligente und gottlose Sarcany fähig war. Wenn dieser Mann nicht zögerte, so vor dem Triester Bankier zu sprechen, so that er es, weil er bereits wußte, daß man Silas Toronthal Alles vorschlagen konnte, dessen dehnbares Gewissen sich allen möglichen Geschäften anbequemte. Sarcany kannte ihn übrigens, um es noch einmal zu wiederholen, schon eine geraume Zeit und er hatte überdies Grund zu glauben, daß die Lage des Hauses seit Kurzem eine nicht besonders klare mehr war. Konnte nun das Geheimniß dieser Verschwörung, wenn es aufgeklärt, ausgeliefert und nutzbar gemacht wurde, nicht dazu beitragen, die Geschäfte des Bankiers wieder in Fluß zu bringen? Sarcany nahm es an und daraufhin hatte er seinen Vorschlag gemacht.

Silas Toronthal seinerseits versuchte es, seinem ehemaligen Makler aus dem Tripolitanischen gegenüber diesmal den Verschlossenen zu spielen. Wenn wirklich eine Verschwörung gegen die österreichische Regierung, deren Veranlasser Sarcany entdeckt haben wollte, in der Entwicklung begriffen war, so wäre er der Letzte gewesen, der ihr freien Lauf gelassen hätte. Dieses Haus Ladislaus Zathmar's, in welchem geheime Unterredungen stattfanden, dieser chiffrirte Briefwechsel, die ungeheuere Summe, welche Graf Sandorf bei ihm zur steten Bereithaltung niedergelegt hatte, Alles das hatte wirklich einen verdächtigen Anstrich. Sehr wahrscheinlich hatte Sarcany die Lage der Dinge richtig erkannt. Der Bankier wollte indessen vorderhand noch mehr hören und erst dem Spiele seines Gegners auf den Grund kommen, ehe er sich ergab. Er zog es daher vor, mit einer gleichgiltigen Miene zu erwidern:

»Und wenn Sie das Billet entziffert haben werden – vorausgesetzt, daß Sie es wirklich dahin bringen sollten – werden Sie sehen, daß es sich lediglich um private Interessen handelt, die völlig belanglos sind und aus denen folglich weder für Sie noch für mich ein Nutzen entspringen wird.

– Nein, rief Sarcany im Tone innigster Überzeugung, nein! Ich bin einer der bedenklichsten Verschwörungen auf der Spur, einer Verschwörung, die von hochstehenden Persönlichkeiten angezettelt wird und ich kann nicht umhin, zu bemerken, daß Sie, Silas Toronthal, eben so wenig daran zweifeln als ich selbst.

– Also, was wollen Sie nun von mir?« fragte der Bankier, diesmal in sehr bestimmtem Tone.

Sarcany erhob sich und sagte mit einer etwas leiseren Stimme, dem Bankier dabei aber fest ins Auge sehend:

»Was ich will – er legte einen Nachdruck auf dieses Wort – ist das: Ich will so bald als möglich unter irgend einem noch aufzufindenden Vorwande Zutritt zu dem Hause des Grafen Zathmar haben und versuchen, das Vertrauen desselben zu gewinnen. Einmal auf dem Platze, wo mich Keiner kennt, muß ich nach einer Gelegenheit suchen, mich des Gitters bemächtigen und jene Depesche übertragen zu können, von der ich den bestmöglichsten Gebrauch in unserem Interesse machen werde.

– In unserem Interesse? wiederholte Toronthal. Warum liegt Ihnen daran, mich in diese Angelegenheit hineinzuziehen?

– Weil sie sich verlohnt und Sie einen großen Nutzen aus ihr ziehen werden.

– Und dann unternehmen Sie die Sache nicht einmal allein?

– Nein. Ich bedarf Ihrer Unterstützung.

– Erklären Sie sich nun endlich näher!

– Um zu meinem Ziele zu gelangen, muß ich mir Zeit lassen können, und Zeit kostet Geld. Ich habe aber keines mehr.

– Ihr Guthaben bei mir ist, wie Sie wissen, bereits erschöpft.

– Schön. So werden Sie mir jetzt ein neues eröffnen.

– Und was werde ich damit verdienen?

– Folgendes: Von den drei Männern, die ich Ihnen nannte, haben zwei kein Vermögen, Graf Zathmar und Professor Bathory, aber der dritte ist ausnehmend reich. Seine Güter in Siebenbürgen sind von bedeutendem Umfange. Es wird Ihnen nun nicht unbekannt sein, daß solche, sobald ihr Besitzer als Verschwörer verhaftet und verurtheilt ist, confiscirt zu werden pflegen und zum größten Theile an Diejenigen fallen, welche die Verschwörung aufgedeckt und zur Anzeige gebracht haben ... Sie und ich, Silas Toronthal, wir theilen.«

Sarcany schwieg. Der Bankier antwortete nicht. Er dachte darüber nach, was man von ihm zur Ausführung des Spieles forderte. Er war keineswegs der Mann dazu, sich persönlich in einem derartigen Unternehmen bloßzustellen; aber er fühlte, daß sein Agent Mann genug wäre, sie Beide handelnd zu vertreten. Wenn er sich entschloß, an diesem geheimen Anschlage Theil zu nehmen, so würde er versuchen müssen, jenen durch einen Vertrag zu binden, der auf seinen Vortheil hinausliefe und ihm zugleich erlaubte, im Schatten zu bleiben ... Er zögerte trotzdem noch. Bei Lichte besehen, was riskirte er? Er würde in dieser widerwärtigen Sache nicht genannt werden, dagegen den Verdienst einheimsen, einen ungeheuren Verdienst, der die Lage seines Hauses wieder befestigen konnte.

»Nun? drängte Sarcany.

– Nein, ich will nicht, antwortete Silas Toronthal; es schreckte ihn vor allen Dingen der Umstand zurück, einen solchen Theilnehmer, oder richtiger gesagt, einen solchen Mitschuldigen zu haben.

– Sie weisen mein Anerbieten zurück?

– Ja! Ich thue es! ... Ueberdies kann ich nicht an einen erfolgreichen Schluß Ihrer Muthmaßungen glauben.

– Nehmen Sie sich in Acht, Silas Toronthal, rief Sarcany drohend, ohne sich diesmal Zwang anzulegen.

– Mich in Acht nehmen? Und weßhalb?

– Weil ich Kenntniß von gewissen Geschäften habe ...

– Hinaus, Sarcany! schrie der Bankier.

– Ich werde Sie zu zwingen wissen!

– Hinaus!«

In diesem Augenblicke tönte ein leises Pochen an der Thür. Während Sarcany sich hastig dem Fenster zuwandte, öffnete sich die Thür und ein Diener meldete mit lauter Stimme:

»Graf Sandorf bittet Herrn Toronthal, ihn zu empfangen.«

Darauf zog er sich zurück.

»Graf Sandorf?« rief Sarcany.

Der Bankier fühlte sich einerseits sehr betroffen, Sarcany von diesem Besuche unterrichtet zu sehen, andererseits hatte er das Vorgefühl, daß ihm aus der unerwarteten Ankunft des Grafen noch große Verlegenheiten entstehen würden.

»Was hat der Graf Sandorf hier zu suchen? fragte Sarcany in einem unverkennbar ironischen Tone. Sie unterhalten also Verbindungen mit den Verschwörern im Hause Zathmar's? Ich habe mich womöglich an einen der ihrigen gewandt!

– Werden Sie nun endlich fortkommen?

– Ich werde nicht gehen, Silas Toronthal, sondern möchte erst erfahren, warum der Graf sich in Ihrem Hause einfindet.«

Sarcany hatte kaum diese Worte gesprochen, so schlüpfte er auch schon in ein an das Bureau grenzendes Cabinet, dessen Portiere hinter ihm zufiel.

Silas Toronthal stand schon im Begriff, Jemand herbeizurufen, um Sarcany aus dem Hause werfen zu lassen, doch besann er sich eines Anderen:

»Nein, murmelte er, es ist vielleicht nach alledem besser, wenn Sarcany hört, was hier verhandelt werden wird.«

Der Bankier klingelte dem Diener und gab den Befehl, Graf Sandorf unverzüglich vorzulassen.

Mathias Sandorf betrat das Cabinet und beantwortete ablehnend, wie es in seinem Charakter lag, die zuvorkommende Begrüßung Toronthal's. Dann ließ er sich auf einen Sessel nieder, den der Diener für ihn herbeirollte.

»Ich habe Ihren Besuch nicht erwartet, Herr Graf, da ich Sie fern von Triest glaubte, sagte der Bankier. Es ist stets eine Ehre für das Haus Toronthal, Sie empfangen zu dürfen, Herr Graf.

– Ich bin nur einer Ihrer geringsten Kunden, Herr Toronthal, erwiderte Mathias Sandorf; wie Sie wissen, speculire ich nicht. Ich muß Ihnen indessen noch immer erkenntlich sein für die Bereitwilligkeit, meinen gerade verfügbaren Geldern Aufnahme zu gewähren.

– Herr Graf, antwortete ihm Silas Toronthal, Sie werden sich erinnern, daß diese Fonds bei mir im Contocorrent stehen und ich bitte Sie, nicht vergessen zu wollen, daß sie Ihnen in Folge dessen Zinsen tragen.

– Ich weiß es, mein Herr, aber ich wiederhole Ihnen, daß ich durchaus keine feste Anlage in Ihrem Hause vornehmen, sondern das Geld nur in einen einfachen Verwahrsam legen wollte.

– Zugegeben, Herr Graf, sagte Silas Toronthal. Indessen, das Geld kostet gerade jetzt viel und es wäre daher nur gerecht, wenn das Ihrige nicht unthätig bliebe. Eine finanzielle Krisis scheint sich über das ganze Land ausbreiten zu wollen. Die innere Lage ist eine sehr heikle. Die Geschäfte liegen still. Einige Fallissements von bedeutenden Häusern haben das Publicum eingeschüchtert und andere sind noch zu befürchten.

– Aber Ihr Haus ist ein solides, Herr Toronthal, erwiderte Mathias Sandorf, ich weiß aus guter Quelle, daß es von den Rückschlägen aus diesen Fallissements nur sehr wenig berührt wurde?

– O sehr wenig, antwortete Silas Toronthal mit der größten Ruhe. Der Handel auf dem Adriatischen Meere sichert uns ein fortwährendes überseeisches Geschäft, welches den Wiener und Budapester Häusern fehlt; wir sind von der Krisis daher nur sehr wenig getroffen worden. Wir sind also nicht zu beklagen, Herr Graf, und wollen auch gar nicht beklagt sein.

– Ich kann Ihnen nur dazu Glück wünschen, Herr Toronthal, sagte der Graf. Ich möchte wohl wissen, ob man gelegentlich dieser Krise von einigen inneren Verwicklungen gesprochen hat?«

Obwohl Graf Sandorf diese Frage, scheinbar ohne die geringste Wichtigkeit darauf zu legen, ausgesprochen hatte, beobachtete ihn Silas Toronthal trotzdem mit der größten Aufmerksamkeit. Es war vielleicht doch möglich, daß diese Frage im Zusammenhange stand mit dem, was Sarcany erfahren hatte.

»Ich weiß nichts Derartiges, Herr Graf, und habe auch nicht gehört, daß die österreichische Regierung irgend welche Besorgniß in dieser Hinsicht hege. Haben Sie, Herr Graf, vielleicht Grund, anzunehmen, daß ein Ereigniß nahe ...?

– Keinen, antwortete Mathias Sandorf. Ich fragte nur, weil man in der hohen Finanz meistens schon von Ereignissen unterrichtet ist, wenn das Publicum noch keine Ahnung von ihnen hat. Meine Frage sollte Ihnen in jeder Beziehung die Freiheit lassen, mit Ja oder mit Nein darauf zu antworten.

– Ich habe in der That nichts Derartiges vernommen, Herr Graf, und würde es überhaupt für ein Unrecht halten, vor einem Kunden, wie Sie es sind, dessen Interessen vielleicht darunter leiden würden, mich verschlossen zu zeigen.

– Ich danke Ihnen, Herr Toronthal, antwortete Sandorf; ich denke ganz wie Sie, daß weder im Innern noch von außen her etwas zu befürchten ist. Ich werde auch Triest bald verlassen und nach Siebenbürgen zurückkehren, wohin mich wichtige Geschäfte rufen.

– Sie wollen abreisen, Herr Graf? fragte Silas Toronthal lebhaft.

– Ja, spätestens in vierzehn Tagen.

– Und Sie kehren zweifellos nach Triest zurück?

– Ich glaube es nicht, antwortete Mathias Sandorf. Aber ehe ich abreise, möchte ich noch das ganze Rechnungswesen über Schloß Artenak sichten lassen, welches sehr in Unordnung gerathen ist. Ich habe von meinem Intendanten eine Menge Rechnungen, Pachtzinse, Einkünfte aus den Forsten überwiesen erhalten, die ich selber kaum werde eintragen können. Kennen Sie vielleicht einen Buchhalter oder könnten Sie mir einen Ihrer Commis zur Verfügung stellen, der mir diesen Dienst leistet?

– Nichts leichter als das, Herr Graf.

– Ich wäre Ihnen äußerst verbunden.

– Und zu wann benöthigen Sie den Herrn?

– So schnell als möglich.

– Wo soll er sich Ihnen vorstellen?

– Bei meinem Freunde, dem Grafen Zathmar; sein Haus liegt in der Allee des Acquedotto, Nummer 89.

– Gut, soll geschehen.

– Die Arbeit wird so an zehn bis zwölf Tage dauern; sind meine Papiere erst geordnet, so reise ich auch sofort nach Schloß Artenak ab. Ich möchte Sie also bitten, mein Depot bereit zu halten.«

Silas Toronthal konnte bei dieser Forderung eine Bewegung nicht unterdrücken, welche aber der Graf nicht bemerkte.

»Wann sollen Ihnen die Gelder zugestellt werden, Herr Graf? fragte er.

– Am achten des nächsten Monats.

– Sie sollen zu Ihrer Verfügung sein.«

Graf Sandorf erhob sich nach diesen Worten und der Bankier gab ihm bis zur Thür des Vorzimmers das Geleit.

Als Silas Toronthal in sein Gemach zurückkehrte, fand er daselbst bereits Sarcany vor, der sich darauf beschränkte, zu sagen:

»Ehe zwei Tage um sind, muß ich als Buchhalter in das Haus des Grafen Zathmar eingeführt sein.

– Es muß so sein,« antwortete Toronthal.


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