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XI.
Auf der Suche

Der unauffindbare Kapitän war also an einer Stelle der Vereinigten Staaten wieder erschienen. Er hatte sich weder auf den Landstraßen, noch auf den Meeren Europas gezeigt. Die Fahrt über den Atlantischen Ozean, wozu er kaum vier Tage gebraucht hätte, hatte er nicht unternommen. Wählte er also nur Amerika zum Schauplatz seiner Versuche, und durfte man daraus schließen, daß er selbst Amerikaner wäre? ...

Der Leser wundere sich nicht, wenn ich es betone, daß das Unterseebot über das weite Meer, das die Alte und Neue Welt trennt, hätte hinfahren können. Abgesehen von seiner Schnelligkeit, die ihm im Vergleich zu den schnellsten deutschen, französischen und englischen Dampfern eine kurze Reisedauer gesichert hätte, hatte es von dem schlechten Wetter, das zuweilen auf jener Wasserwüste herrscht, überhaupt nichts zu fürchten; es brauchte ja nur von der Oberfläche unterzutauchen, dann fand es schon bei zwanzig Fuß Tiefe ungestörte Ruhe.

Es hatte jedoch die Fahrt über das Atlantische Meer nicht unternommen, und wenn seine Festnahme gelang, so erfolgte diese wahrscheinlich in Ohio, denn Toledo ist eine Stadt dieses Bundesstaates.

Das Geheimnis war übrigens im General-Polizeiamt ebenso streng gewahrt worden wie von dem Polizisten, von dem die letzte Mitteilung gekommen war und mit dem ich mich ins Einvernehmen setzen sollte. Keine Zeitung – und jede hätte dafür gewiß gern einen hohen Preis gezahlt – konnte darüber als erste etwas ausplaudern. Es war ja überaus wichtig, von dem Geheimnis nicht eher etwas in die Öffentlichkeit dringen zu lassen, als bis die geplante Nachsuchung zu Ende war. Weder von meinen Hilfspersonen noch von mir würde eine Indiskretion begangen werden. Der Polizist, an den ich mit einer Vollmacht von Herrn Ward gewiesen war, hieß Arthur Wells und erwartete mich in Toledo.

Wie bereits erwähnt, waren unsere Vorbereitungen zur Abreise schon seit einiger Zeit getroffen. Als Gepäck führten wir, für den Fall einer Verlängerung unserer Abwesenheit, drei wenig umfangreiche Mantelsäcke bei uns. John Hart und Nab Walker hatten sich mit Taschenrevolvern versehen und ich tat dasselbe. Wer wußte, ob wir sie nicht bei einem Angriff oder zu unserer Verteidigung nötig haben würden.

Die Stadt Toledo erhebt sich an der äußersten Südwestspitze des Eriesees, dessen Wasser die nördlichen Küsten von Ohio bespült. Der Schnellzug, in dem für uns drei Plätze belegt waren, rollte in der Nacht durch das östliche Virginien und Ohio, ohne eine Verspätung zu erleiden, dahin, und um acht Uhr morgens lief die Lokomotive in den Bahnhof von Toledo ein.

Arthur Wells erwartete uns schon auf dem Bahnsteige. Von dem Eintreffen des Oberinspektors Strock benachrichtigt, drängte es ihn, wie er mir sagte, mit mir in Verbindung zu treten, und ich selbst fühlte ja das gleiche Bedürfnis.

Kaum mit dem Fuße aus dem Wagen, sah ich mich nach dem Genannten um, der seinerseits die aussteigenden Passagiere musterte.

Ich ging auf ihn zu.

»Herr Wells? fragte ich.

– Herr Strock? erwiderte er.

– In eigener Person.

– Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung, setzte Wells hinzu.

– Werden wir einige Stunden in Toledo bleiben? fragte ich weiter.

– Entschuldigen Sie ... nein, Herr Strock. Vor dem Bahnhof erwartet uns ein Break mit zwei tüchtigen Pferden, und wir müssen sofort abfahren, um vor dem Abend an Ort und Stelle zu sein.

– Wir begleiten Sie, antwortete ich und gab meinen zwei Polizisten ein Zeichen, uns zu folgen. Haben wir einen weiten Weg vor uns?

– So gegen zwanzig Meilen.

– Und die Stelle heißt? ...

– Die Bucht von Black-Rock.«

Obgleich wir nun alle Ursache hatten, diese Bucht möglichst bald zu erreichen, mußten wir zunächst doch ein Hotel aufsuchen, um da unser Gepäck in Verwahrung zu geben. Das machte mit Hilfe Arthur Wells in einer Stadt, die hundertdreißigtausend Einwohner hat, keine besondere Schwierigkeit.

Der Wagen brachte uns nach dem White-Hotel, und nach einem schnell eingenommenen Frühstück waren wir schon um zehn Uhr unterwegs.

Der Break enthielt, außer dem für den Kutscher, vier Plätze. In den Kasten unter den Sitzen untergebrachter Proviant war für mehrere Tage vorhanden. An der völlig öden Bucht von Black-Rock, die weder von Landleuten noch von Fischern besucht wurde, wäre rein gar nichts zu erhalten gewesen. Dort gab es kein Gasthaus, wo man hätte essen, kein Zimmer, wo man hätte schlafen können. Wir befanden uns in der warmen Jahreszeit, im Monat Juli, wo die Sonne tüchtig einheizt. Von der Temperatur war also nichts zu fürchten, wenn wir auch ein- oder zweimal unter freiem Himmel nächtigen müßten.

Hatte unser Vorhaben jedoch den gewünschten Erfolg, so konnte es sich dabei nur um einige Stunden handeln. Entweder wurde der Kapitän der »Epouvante« überrumpelt, ehe er Gelegenheit fand zu entweichen, oder er entfloh vorher, und dann mußten wir auf jede Hoffnung, ihn abzufangen, verzichten.

Der einige vierzig Jahre zählende Arthur Wells war einer der besten Leute der Bundespolizei. Kräftig, kühn, unternehmend und kaltblütig wie nur irgendeiner, hatte er von seiner Brauchbarkeit schon bei mancher Gelegenheit, selbst unter den bedrohlichsten Umständen, die schlagendsten Beweise geliefert und seinen Vorgesetzten, die große Stücke auf ihn hielten, ein unbegrenztes Vertrauen eingeflößt. Eben jetzt hielt er sich eigentlich wegen einer ganz anderen Angelegenheit in Toledo auf, und nur der Zufall hatte ihn auf die Fährte der »Epouvante« geführt.

Unter der Peitsche des Kutschers rollte der Break schnell längs der Küste des Eriesees dahin und wandte sich dessen Südwestspitze zu. Die große Wasserfläche breitet sich zwischen dem kanadischen Gebiete im Norden und den Staaten Ohio, Pennsylvanien und New York im Süden aus. Wenn ich hier die geographische Lage dieses Sees hervorhebe und auf seine Tiefe, seine Ausdehnung, auf die Zuflüsse, die ihn speisen, sowie auf die Kanäle hinweise, durch die er seinen Wasserüberschuß abgibt, so wird sich das im weiteren Verlauf dieser Erzählung als gerechtfertigt erweisen.

Die Fläche des Eriesees mißt nicht weniger als achtundvierzigtausendsiebenhundertachtundsiebzig Quadratkilometer und dabei liegt sie fast sechshundert Fuß über dem Meeresniveau. Im Nordwesten steht er mit dem Huron-, dem Saint-Clairsee und dem Detroitflusse in Verbindung, die ihm alle ihr Wasser zusenden, und außerdem nimmt er mehrere minder bedeutende Zuflüsse auf, wie vom Rocky, vom Guyahoga und vom Black. Seinen Abfluß hat er im Nordosten nach dem Ontariosee durch den Niagarastrom mit den weltberühmten Fällen.

Die größte Tiefe, die im Eriesee mit der Sonde nachgewiesen ist, beträgt hundertfünfunddreißig Fuß (etwas über 41 m). Das zeigt, wie beträchtlich seine Wassermasse ist. Hier hat man vor allem das Gebiet der prächtigen Seen zu suchen, die zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika einander folgen.

In dieser Gegend, die etwa unter dem vierzigsten Breitengrade liegt, herrscht ein recht kaltes Winterklima, da die von keinem Hindernisse abgelenkten Winde aus den arktischen Gebieten oft mit unerhörter Gewalt darüber hinfegen. Infolgedessen ist auch der Eriesee jedes Jahr vom November bis Mitte April gewöhnlich fest zugefroren. Am. 12. April 1867 befand sich der Verfasser in Buffalo, als der Erie in seiner ganzen Ausdehnung eine Eisdecke trug.

Die bedeutendsten Städte, die sich am Ufer dieses großen Sees erheben, sind: Buffalo, das zum Staate New York gehört, und Toledo, das erste im Osten, das zweite im Westen, und ferner Cleveland und Sandusky, zum Staate Ohio gehörig, beide im Süden. Außerdem liegen noch kleinere Flecken und einfache Dörfer da und dort verstreut am Ufer. Der Umfang des Handels auf dem Eriesee ist recht bedeutend, und der jährliche Warenumschlag wird auf nicht weniger als zwei Millionen zweimalhunderttausend Dollars (fast 9¼ Millionen Mark) geschätzt.

Der Break folgte einer sehr gewundenen Straße, die sich den vielen Einbuchtungen und Vorsprüngen des Seeufers anpaßt.

Während der Kutscher sein Gespann zu scharfem Trabe antrieb, plauderte ich mit Arthur Wells und erfuhr dabei, was ihn veranlaßt hatte, die von ihm an das General-Polizeiamt in Washington adressierte Depesche abzusenden.

Achtundvierzig Stunden vorher, am Nachmittage des 27. Juli, hatte sich Wells zu Pferde nach dem kleinen Flecken Hearly begeben. Fünf Meilen von diesem fiel ihm, als er durch ein Wäldchen ritt, auf, daß ein Taucherboot nach der Oberfläche des Sees heraufkam. Er hielt an, sprang zur Erde und schlich sich nach dem Saum des kleinen Gehölzes hin. Hier sah er nun, ohne – von Strauchwerk beschützt – selbst bemerkt werden zu können, wie dieses Unterseeboot sich im Hintergrunde der Bucht von Black-Rock still legte. War das nun jener unergreifbare Apparat, der hier auftauchte und das Land anlief ... derselbe, den man vor Boston und im Kirdallsee beobachtet hatte?

Als das Unterseeboot nahe der das Ufer begleitenden Felsenwand angelegt hatte, sprangen zwei Männer auf den Strand.

Ob wohl der eine von diesen jener »Herr der Welt« war, von dem man seit seinem letzten Erscheinen auf dem Oberen See nicht mehr reden gehört hatte? Und war das die geheimnisvolle »Epouvante«, die hier aus den Tiefen des Eriesees aufgestiegen war?

»Ich war allein, sagte Wells, allein, nahe dem Grunde dieser Bucht. Wären Sie, Herr Strock, mit Ihren Begleitern dagewesen, so hätten wir, zu vieren gegen zwei, wohl einen Handstreich wagen und die Männer festnehmen können, ehe sie wieder auf ihr Schiff zu springen und zu entfliehen vermochten.

– Ganz gewiß, antwortete ich. Doch befanden sich nicht auch noch andere an Bord? Gleichviel ... nach der Überwältigung jener beiden hätten wir vielleicht erfahren, wer sie waren ...

– Und vor allem, fiel Wells ein, ob der eine von beiden der Kapitän der ›Epouvante‹ war.

– Ich fürchte nur eines, Wells: daß das Unterseeboot, mochte es sein, welches es wollte, die Bucht seit Ihrem Weggange von da verlassen haben werde.

– Das wird sich nach wenigen Stunden zeigen, und gebe der Himmel, daß wir das Fahrzeug noch vorfinden. Dann ... mit Anbruch der Nacht ...

– Doch sagen Sie, Sie sind wohl nicht bis zum Abend in dem kleinen Gehölz geblieben?

– Nein, gegen fünf Uhr bin ich fortgeritten und kam am Abend nach Toledo, wo ich noch die Depesche nach Washington aufgegeben habe.

– Sind Sie gestern wieder nach der Bucht von Black-Rock zurückgekehrt?

– Jawohl.

– Lag da das Unterseeboot noch am Lande?

– Genau an derselben Stelle.

– Und die beiden Männer? ...

– Die waren auch noch da. Meiner Ansicht nach hatte eine Havarie sie veranlaßt, zu deren Ausbesserung an der verlassenen Stelle ans Land zu gehen.

– Das wäre ja möglich, sagte ich, eine Beschädigung, die sie hinderte, ihre gewohnte Zuflucht unter der Oberfläche aufzusuchen. Wenn's nur an dem wäre!

– Ich habe triftige Gründe, das anzunehmen, denn sie hatten verschiedenes Material nach dem Strande geschafft, und soviel ich wahrnehmen konnte, ohne meine Anwesenheit zu verraten, wurde an Bord gearbeitet.

– Nur von den beiden Männern?

– Nur von diesen allein.

– Sollten denn, bemerkte ich, keine weiteren Leute da sein, einen Apparat von so außergewöhnlicher Geschwindigkeit – gleichviel ob Automobil oder Unterseeboot – zu bedienen und zu steuern?

– Das glaube ich nicht, Herr Strock. Jedenfalls habe ich nur die beiden Männer, wie am Tage vorher, wiedergesehen. Mehrmals kamen sie an das Wäldchen, worin ich mich versteckt hatte, heran, schnitten da einen Haufen Zweige ab und zündeten auf dem Strande ein Feuer an. Diese Bucht ist ja so öde und verlassen, daß sie – und das schienen sie zu wissen – eine Überraschung kaum zu befürchten hatten.

– Sie würden sie aber wiedererkennen?

– Mit voller Sicherheit! Der eine, eine mittelgroße, kräftige Gestalt, hatte strenge Gesichtszüge und trug Vollbart, der andere war kleiner, mehr untersetzt. Ich bin damals, wie am Tage vorher, erst gegen fünf Uhr wieder aufgebrochen. In Toledo erhielt ich dann spät am Abend noch das Telegramm des Herrn Ward, der mir Ihr Eintreffen ankündigte, und daraufhin habe ich Sie heute am Bahnhofe abgeholt.«

Eines stand also fest: Seit sechsunddreißig Stunden hatte das Unterseeboot, wahrscheinlich zur Vornahme notwendiger Reparaturen, in der Bucht von Black-Rock still gelegen, und wenn das Glück uns begünstigte, trafen wir es dort noch an. Was das Vorkommen der »Epouvante« auf dem Eriesee betraf, so erklärte sich das auf ganz natürliche Weise, darüber waren Arthur Wells und ich vollständig einig. Zum letzten Male war der Apparat auf dem Oberen See beobachtet worden. Die Strecke zwischen diesem und dem Eriesee hatte er entweder zu Lande, längs der Straßen von Michigan bis zum westlichen Ufer des Sees zurücklegen können, oder auch auf oder gelegentlich unter dem Wasser auf dem Detroitflusse. Jedenfalls aber war sein Vorüberkommen von nirgendsher gemeldet worden, obgleich die Polizei diesen Staat ebenso sorgfältig überwachte, wie jeden anderen Teil des amerikanischen Gebietes. Es blieb also nur die Annahme übrig, daß das Automobil sich zum Schiffe oder zum Unterseeboote verwandelt habe, denn nur so hätten der Kapitän und seine Begleiter das Gewässer des Eriesees, ohne Aufsehen zu erregen, erreichen können.

Wenn die »Epouvante« nun die Bucht aber schon verlassen hatte, oder wenn sie uns bei dem Versuche, sie anzuhalten, dennoch entschlüpfte, war unsere Sache dann verloren? ... Ich weiß es nicht; ein Erfolg war damit jedenfalls sehr fraglich geworden.

Mir war bekannt, daß im Hafen von Buffalo, am anderen Ende des Eriesees, zwei Torpedojäger lagen. Vor der Abfahrt von Washington hatte mich Herr Ward von deren Anwesenheit unterrichtet. Ein Telegramm an ihre Befehlshaber mußte ja genügen, sie, wenn nötig, zur Verfolgung der »Epouvante« aufzubieten. Doch wie konnten sie diese überholen, oder sie, wenn sie sich gar zum Unterseeboote verwandelte, unter der sie schützenden Oberfläche des Eriesees angreifen? Arthur Wells gestand auch zu, daß bei einem so ungleichen Kampfe der Vorteil nicht auf der Seite der Torpedojäger sein werde. Erreichten wir also in der nächsten Nacht unsere Absichten nicht, so wäre unsere Sache für so gut wie verloren anzusehen.

Wells hatte mir gesagt, daß die Bucht von Black-Rock nur sehr wenig besucht werde. Die Straße, die von Toledo nach dem einige Meilen entfernten Flecken Hearly führt, läuft eine gute Strecke weit vom Ufer hin. Wenn unser Break etwa die Höhe der Bucht erreicht hatte, konnte es vom Ufer aus auf keinen Fall bemerkt werden. Kam es nur erst an die Spitze des mehrfach erwähnten Gehölzes, so konnte es sich leicht zwischen dessen Bäumen verbergen. Von dort aus wollten wir, meine Begleiter und ich, uns dann mit dem Herannahen der Dunkelheit an dessen, nach dem Eriesee zu liegenden Rande begeben, wo wir leicht beobachten konnten, was im Hintergrunde der Bucht vorging.

Wells kannte diese Bucht übrigens sehr genau. Er hatte sie während seines Aufenthaltes in Toledo mehrmals besucht. Umrahmt von beinahe senkrecht abfallenden Felsen, gegen die die Wellen des Sees anschlugen, hatte sie in ihrer ganzen Ausdehnung eine Tiefe von dreißig Fuß. Die »Epouvante« konnte sich also, oben schwimmend oder untertauchend, dem Hintergrunde der Bucht nähern. An zwei oder drei Stellen stand das Ufer durch Lücken in der Felswand mit einem sandigen Streifen in Verbindung, der sich in der Breite von zwei- bis dreihundert Fuß bis zum Rande des kleinen Waldes hinzog.

Es war gegen sieben Uhr abends, als unser Break, nach einer Rast auf der Hälfte des Weges, an diesem Wäldchen anlangte. Noch war es aber zu hell, uns, selbst unter dem Schutze der Bäume, nach dem Ufer der Bucht hinzuschleichen. Damit hätten wir uns der Gefahr ausgesetzt, gesehen zu werden, und wenn der Apparat jetzt noch an der alten Stelle lag, würde er schnellstens weit hinaus aufs Wasser gefahren sein, vorausgesetzt, daß seine Reparaturen beendigt waren.

»Sollen wir hier Halt machen? fragte ich, als unser Break am Rande des Wäldchens stillstand.

– Nein, Herr Strock, antwortete Wells. Besser, wir verweilen vorläufig weiter im Innern, wo wir sicher sind, nicht aufgespürt zu werden.

– Kann denn der Wagen zwischen den Bäumen fortkommen?

– Jawohl, versicherte Wells. Ich habe das Gehölz schon in jeder Richtung hin durchmessen. Fünf- bis sechshundert Schritte von hier befindet sich darin eine Waldblöße, wo unsere Tiere werden können. Sobald es dann die Dunkelheit erlaubt, gehen wir vorsichtig weiter hinunter bis zu den Felsen, die den Hintergrund der Bucht umschließen.«

Dem Ratschlage Wells mußten wir natürlich Folge leisten. Das Gespann am Zügel geführt, meine Begleiter und ich zu Fuß, drangen wir unter die Bäume ein.

Strandkiefern, immergrüne Eichen und Zypressen standen hier dicht und regellos nebeneinander. Den Boden bedeckte ein üppiger Teppich von verschiedenen Gräsern nebst abgefallenen Blättern. Die hohen Baumkronen waren so dicht belaubt, daß die Strahlen der dem Untergange nahen Sonne sie nicht zu durchdringen vermochten. Von Wegen, selbst von Wildpfaden, sah man keine Spur. Dennoch erreichte der Break – ohne einige derbe Stöße war es freilich nicht abgegangen – nach zehn Minuten die erwähnte Waldblöße.

Umrahmt von hohen Bäumen, bildete diese etwa ein Oval und war von saftigen Gräsern bedeckt. Hier war es noch hell; vor Verlauf einer Stunde konnte es schwerlich dunkel werden. An Zeit gebrach es uns also nicht, eine Art Lager herzurichten und von der anstrengenden Fahrt auf ziemlich holperiger Landstraße auszuruhen.

Natürlich verlangte es uns sehr, an der Bucht zu sein und uns zu überzeugen, ob die »Epouvante« noch dalag. Die Klugheit gebot aber zu warten. Ein wenig Geduld ... dann würde die Dunkelheit gestatten, uns dieser zu nähern, ohne die Gefahr, gesehen zu werden. Das war die Ansicht Wells', und es erschien mir ratsam, dieser Rechnung zu tragen.

Die abgezäumten und auf dem Weideplatz frei umherlaufenden Pferde sollten während unserer Abwesenheit unter der Obhut des Wagenführers bleiben. Jetzt wurden die Sitzkasten des Breaks geöffnet, woraus John Hart und Nab Walker die mitgebrachten Lebensmittel hervorholten, die sie am Fuße einer herrlichen Zypresse niederlegten, welche mich lebhaft an den Waldbestand bei Morganton und Pleasant-Garden erinnerte. Wir hatten Hunger, und an Durst fehlte es uns natürlich auch nicht. An Speise und Trank war jedoch kein Mangel. Nachher wurden die Pfeifen angezündet und so warteten wir den Zeitpunkt ab, wo wir aufbrechen könnten.

Ringsumher im Walde herrschte tiefes Schweigen. Mit dem Herannahen des Abends legte sich auch der Wind mehr und mehr, und kaum zitterten noch die Blätter an den Spitzen der obersten Zweige. Nach dem Untergange der Sonne verdunkelte sich allmählich der Himmel und die Dämmerung wich der zunehmenden Finsternis.

Ich sah nach meiner Uhr; sie zeigte auf halb neun.

»Es ist nun wohl Zeit, Wells ...

– Ich bin bereit, Herr Strock.

– Nun denn, vorwärts!«

Dem Kutscher wurde noch besonders empfohlen, während unseres Fernbleibens die Pferde sich nicht vom Weideplatze verirren zu lassen.

Wells schritt voraus. Ich hielt mich dicht hinter ihm, und mir folgten John Hart und Nab Walker. In der Finsternis wäre es uns schwer geworden, den richtigen Weg einzuhalten, wenn Wells nicht als Führer gedient hätte.

Endlich sind wir am andern Rande des Gehölzes. Vor uns liegt der Strand bis zur Bucht von Black-Rock.

Alles ist still, alles verlassen. Wir können uns sorglos weiter vorwagen. Ist die »Epouvante« noch da, so muß sie an der Seeseite der Felswand ankern.

Ist sie aber auch wirklich noch da? Das ist die einzige, die wichtigste Frage, und ich gestehe, daß mir jetzt, wo die aufregende Angelegenheit ihre Lösung finden sollte, das Herz recht stürmisch klopfte.

Wells gibt ein Zeichen, weiterzugehen. Der Sand des Strandes knirscht unter unsern Füßen. Nur zweihundert Schritte, für die wenige Minuten genügen, und wir stehen an einer der Gesteinslücken, die zum Seeufer führen.

Nichts ... nichts! ... Die Stelle, an der Wells die »Epouvante« vor achtundvierzig Stunden gesehen hatte, ist leer! Der »Herr der Welt« befindet sich nicht mehr in der Bucht von Black-Rock.


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