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XIII.

In dem Gildas Tregomain ziemlich glücklich auf einem »Schiff der Wüste« segelt.

 

Am frühen Morgen des 23. März verließ eine Karawane die Hauptstadt des Imanats und folgte einem Wege ganz in der Nähe der Küste.

Eine wirkliche Karawane, und eine, wie sie der Frachtschiffer durch das Gebiet der Ille-et-Villaine noch nie hatte ziehen sehen, das gestand er Juhel ein, der sich darüber keineswegs wunderte. Die Karawane zählte gegen hundert Araber und Hindus und eine etwa gleiche Anzahl Saumthiere. Bei dieser numerischen Stärke war eine Gefährdung der Reise ausgeschlossen. Jedenfalls brauchte man von Landpiraten, die nicht einmal so gefährlich sind wie Seepiraten, keinen Handstreich zu fürchten.

Unter den Eingebornen befanden sich zwei oder drei jener Kaufleute oder Händler, von denen der französische Agent gesprochen hatte. Sie reisten ohne Prunk und Aufwand und dachten nur an die Geschäfte, die sie nach Sohar riefen. Von Fremden war nur unsre Reisegesellschaft bei dem Zuge.

Nazim und Ben Omar hatten sich vorgesehen, den Aufbruch der Karawane nicht zu versäumen. Von Meister Antifer, der daraus kein Geheimniß machte, unterrichtet, daß diese am folgenden Morgen abziehen sollte, hatten sie sich darauf eingerichtet. Der Malouin hatte sich um Ben Omar und dessen Schreiber sonst natürlich gar nicht gekümmert. Ihre Sache war es ja, ihm wohl oder übel nachzufolgen, ohne daß er sich darum zu sorgen brauchte. Er hatte sich auch wie früher vorgenommen, sie gar nicht zu kennen, und als er sie inmitten des Zuges gewahr wurde, beehrte er sie gar nicht mit einem Gruße, der Frachtschiffer aber wagte vor seinem drohenden Blicke nicht einmal, den Kopf nach ihrer Seite zu wenden.

Zum Transport der Reisenden und der Waarenfracht dienten Kameele, Maulthiere und Esel, denn an die Benützung eines Wagens irgendwelcher Art war hier gar nicht zu denken. Auf dem holprigen, ungebahnten und zuweilen sumpfigen Wege wäre auch das leichteste Gefährt nicht vorwärts gekommen. So ritten denn alle, wie es ihnen gerade beliebte.

Zwei mittelgroße, kräftige und muntre Maulthiere trugen Onkel und Neffen, die sie von jüdischen Verleihern in Mascat zu gutem Preise erhalten hatten. Auf ein paar Pistolen mehr oder weniger konnte es Meister Antifer hierbei ja nicht ankommen. Ein für das Gewicht Gildas Tregomain's geeignetes Maulthier war freilich um keinen Preis aufzutreiben gewesen. Für den Exkapitän der »Charmante Amélie« hatte also ein noch kräftigeres Thier beschafft werden müssen.

»Höre, Frachtfuhrmann, Du bringst uns wirklich in Verlegenheit! hatte der »höfliche« Meister Antifer ihn angelassen, nachdem alle probierten Maulthiere zurückgeschickt worden waren.

– Ja, was willst Du denn, alter Freund? – Du brauchtest mich ja nur ruhig zu Hause zu lassen! – Weißt Du, ich werde hier in Mascat bleiben und Eure Rückkehr abwarten.

– Nimmermehr!

– Ich kann mich aber doch nicht in einzelnen Stücken wegtragen lassen ...

– Herr Tregomain, fiel da Juhel ein, würden Sie etwas dagegen haben, sich eines Kameels zu bedienen?

– Ganz und gar nichts, mein Junge, wenn das Kameel darunter nicht zu sehr zu leiden hat.

– Das wäre eine Idee! rief Meister Antifer. Er würde vortrefflich aufgehoben sein auf einem jener Kameele ...

– Die man mit Recht »Schiffe der Wüste« nennt, setzte Juhel hinzu.

– Also ein Schiff der Wüste her!« begnügte sich der nachgiebige Frachtschiffer zu antworten.

So thronte denn Gildas Tregomain heute rittlings zwischen den beiden Höckern eines kräftigen Wiederkäuers. Das mißfiel ihm keineswegs. An seiner Stelle wäre wohl mancher stolz gewesen. Wenn das auch bei ihm zutraf, so ließ er doch nichts davon merken, sondern bemühte sich nur, sein Schiff nach besten Kräften zu steuern. Als die Karawane dann eine etwas schnellere Gangart annahm, wurde die Bewegung des Thieres freilich etwas stoßend. Der Frachtschiffer erfreute sich aber eines so prallen Fettpolsters, daß es dieses »Stampfen des Schiffes« zum größten Theile ausglich.

Am Ende der Karawane, wo er mit Vorliebe blieb, trottete Saouk auf einem etwas lebhaften Maulthiere als sattelfester Reiter dahin. Neben ihm, oder doch immer aufmerksam, nicht zurückgelassen zu werden, hockte Ben Omar auf einem so kleinen Eselein, daß seine Füße die Erde streiften – wodurch er vor einem gefährlicheren Sturze gesichert war. Ein Maulthier zu besteigen, dazu wäre der Notar nicht zu bewegen gewesen; von einem solchen fällt man zu hoch herunter. Uebrigens sind die arabischen Maulthiere sehr muthwillig und eigensinnig, und es bedarf einer starken, geübten Hand, sie im Zaume zu halten.

Die Karawane legte mit einer Tagreise, bei zweistündiger Mittagsrast, etwa zehn Lieues zurück. Ohne eine unerwartete Verzögerung mußte Sohar binnen vier Tagen erreicht sein.

Vier Tage erschienen Meister Antifer, dem immer die eiligste Besitzergreifung seines Eilandes durch den Kopf ging, eine unendlich lange Zeit. Und doch sah er sich jetzt dem Endziele seiner abenteuerlichen Reise so nahe. Das machte ihn aber so unruhig, so nervös, daß seine Begleiter ihm kein Wort mehr entlocken konnten und sich darauf beschränkt sahen, nur mit einander zu plaudern.

So machte der Frachtschiffer von der Höhe seines Wiederkäuers, zwischen dessen Höckern er hin und her schwankte, die Bemerkung:

»Juhel, unter uns, glaubst Du überhaupt an den Schatz Kamylk-Paschas?

– Hm! erwiderte dieser zögernd, die Sache gleicht mir zu sehr einer Phantasmagorie!

– Juhel ... wenn's nun jenes Eiland gar nicht gäbe? ...

– Nun, das auch angenommen, Herr Tregomain, wie aber, wenn sich gar kein Schatz daselbst vorfände? ... Dann muß es mein Onkel machen wie jener berühmte Marseiller Kapitän, der nach Bourbon absegelte und, weil er Bourbon nicht hatte finden können, nach Marseille zurückkehrte.

– Das würde ein furchtbarer Schlag für ihn sein, Juhel, und ich bezweifle, daß sein Gehirn den aushielte!«

Selbstverständlich hüteten sich der Frachtschiffer und sein junger Freund, derlei Hypothesen in Gegenwart Meister Antifer's laut werden zu lassen. Die Ueberzeugung des Starrkopfs hätte doch nichts zu erschüttern vermocht. Ein Zweifel an dem Vorhandensein des ungeheuern Schatzes auf dem, seiner Lage nach nur ihm bekannten Eiland war ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen. Höchstens beunruhigten ihn gewisse Schwierigkeiten, die er bei der schließlichen Ausführung seines Vorhabens fürchtete.

Die Heimreise verlief ja wahrscheinlich ohne Hindernisse. Von Sohar aus sollte ein Fahrzeug gechartert werden, damit wollte er zur Aufsuchung des Eilandes ausziehen, dann die drei Fässer ausgraben ... darin lag nichts, was den so entschlossenen Sinn unsres Malouin hätte lähmen können. Hier mit dem Frachtschiffer und Juhel sich unter einer ganzen Karawane mit über Land tragen zu lassen, war ja die leichteste Sache der Welt. Auch die Ueberführung des Schatzes vom Eiland nach Sohar machte voraussichtlich keine Schwierigkeiten. Um aber nach Mascat zurückzukommen, mußten die mit Gold und edlem Gestein gefüllten Fässer auf Lastthiere, ganz wie die gewöhnlichen Waaren, verladen werden, die auf diese Weise längs der Küste hin befördert wurden. – Wie sollten sie aber endlich eingeschifft werden, ohne die Aufmerksamkeit der Zollbeamten zu erregen ... ohne dafür einen sehr großen Ausfuhrzoll erlegen zu müssen? ... Vielleicht legte dann gar noch der Iman Beschlag darauf, als auf einen in seinem Gebiete gefundenen Schatz, denn Meister Antifer mochte immer von »seinem Eiland« sprechen ... Kamylk-Pascha hatte ihm das ja doch nicht rechtskräftig vererben können, es gehörte vielmehr zweifellos zum Imanat von Mascat!

Das waren, von allen übrigen ganz abgesehen, Schwierigkeiten, die einem wohl den Kopf verdrehen konnten. Welch wahnwitzige Idee aber auch von dem reichen Aegypter, seine Schätze einem Eiland im Golfe von Oman anzuvertrauen! Es gab ja in manchen Meeren Hunderte, ja, Tausende solcher Inseln, z. B. unter den unzähligen Gruppen im Stillen Ocean, die ganz unbeachtet sind und deren Besitz von niemand beansprucht wird, wo der Erbe jene Schätze hätte erheben können, ohne den geringsten Verdacht zu erwecken.

Doch an der Sachlage war ja nichts zu ändern. Das Eiland nahm seit der geologischen Gestaltung unsres Erdsphäroids eine gewisse Stelle im Golfe von Oman ein und lag da bis zum Ende der Welt. Ja, wenn man es hätte ins Schlepptau nehmen und so bis vor Saint Malo bringen können!

Man wird zugeben, daß Meister Antifer von schweren Sorgen bedrückt wurde, die sich in Paroxismen innrer Wuth umsetzten. Der bedauernswerthe Mann grübelte nur immer, sprach kein Wort, ritt allein dahin und versetzte seinem Maulthiere zuweilen einen so unverdienten Hieb, daß er sich gar nicht hätte beklagen können, wenn dieses einmal ausschlug und seinen Reiter aus dem Sattel brachte.

Juhel errieth wohl, wie es mit seinem Onkel stand, wagte aber nicht dreinzureden. Auch Gildas Tregomain erkannte von seinem hohen, zweihöckerigen Reitthiere aus recht gut, was im Gehirn seines Freundes vorging. Beide mußten darauf verzichten, dieser seelischen Erregung Einhalt zu thun, und warfen sich nur dann und wann verständnißvolle Blicke zu.

Der erste Tag brachte ihnen nicht zu große Anstrengung – vielleicht außer der warmen Luft. Das Klima des südlichen Arabiens nahe dem Wendekreis des Krebses ist für Europäer oft schon sehr lästig. Ein glühender Wind kommt meist von der Seite der Berge her, gegen den die schwache Brise vom Meere nicht aufkommen kann. Nach Westen hin strebt die Wand der Höhen von Gobel empor, von der die Sonnenstrahlen wie von einem Hohlspiegel zurückzuprallen scheinen. In der trocknen Jahreszeit ist dann auch die Nacht erstickend und an Schlaf gar nicht zu denken.

Wenn die drei Franzosen am ersten Reisetage doch nicht besonders zu leiden hatten, rührte das daher, daß die Karawane durch die bewaldeten Ebenen nahe der Küste hinzog. Die Umgebung Mascats hat ausnahmsweise eine ziemlich üppige Vegetation. Auf den trockneren Bodenstellen baut man hier Hirse, und Reis da, wo das Land von Sümpfen durchfeuchtet ist. Bananenwälder bieten reichlichen Schatten, ebenso die Mimosen, von denen das Gummi arabicum kommt, dessen ausgedehnter Export eine hervorragende Einnahmequelle des Landes bildet.

Gegen Abend wurde das Lager an einem kleinen Flusse aufgeschlagen, der, von den Bergquellen des Westens gespeist, trag nach dem Golfe zu fließt. Ihrer Zäume entledigt, weideten die Thiere nach Belieben und ohne Aufsicht, da sie an die regelmäßigen Ruheplätze des Zuges gewöhnt sind. Onkel und Neffe ließen ihre Maulthiere auch mit frei umherlaufen – was Saouk, sobald die Karawane anhielt, ebenfalls that. Das Kameel des Frachtschiffers kniete zur Stunde des Gebets wie ein gläubiger Moslem nieder, und herabkletternd streichelte Gildas Tregomain den Kopf des willigen Lastträgers. Ben Omar's Esel blieb ganz plötzlich stehen, und da sein Reiter nicht sofort abstieg, bockte das Thier und warf das Männchen dadurch einige Schritte weit auf die Erde hin. Gleich einem Muselmann im Gebet, lag der Notar, mit dem Gesicht nach Mekka gewendet, der Länge nach da. Wahrscheinlich lag es ihm aber näher, tüchtig zu schimpfen, als Allah seine Verehrung darzubringen.

Die Nacht verlief in dem, gegen vierzig Kilometer von Mascat entfernten Lager ohne jede Störung, und früh am nächsten Morgen setzte sich der Zug nach Sohar zu wieder in Bewegung.

Hier wurde die Landschaft nun offener. Bis zum Horizonte hin erstreckten sich öde Ebenen, auf denen der Sand an die Stelle des Grases trat – ganz wie in der Sahara, fand sich nur selten Wasser, kaum jemals Schatten, dafür wurde der Weg aber desto beschwerlicher. Für die an solche Karawanenreisen gewöhnten Araber hatte das nicht viel zu bedeuten; diese legen auch sehr lange Strecken oft in der drückendsten Sommerhitze zurück. Wie unsre Europäer das aushielten, war freilich eine andre Frage.

Wir beeilen uns, zu versichern, daß sie ohne Schaden davon kamen, selbst der Frachtschiffer, dessen Masse einige Wochen später unter den Strahlen der Tropensonne wohl zerflossen wäre. Durch den regelmäßigen Gang und den elastischen Tritt seines Kameels eingewiegt, lag er im Halbschlummer zwischen dessen beiden Höckern so sicher, als ob er selbst einen integrierenden Theil des Thieres bildete. Er hatte bald herausgefunden, daß sein gefälliges Reitthier die Hindernisse des Weges besser erkannte als er, was ihn veranlaßte, auf jede Lenkung desselben zu verzichten. Die »Charmante Amélie« glitt nicht sicherer dahin, wenn sie ein Gespann vom Leitwege neben der Rance auf dem Wasser stromauf schleppte.

Der junge kräftige Juhel weilte, während er das Gebiet des Imanats zwischen Mascat und Sohar durchzog, im Geiste immer in der ihm theuern Stadt der Bretagne in der Rue des Hautes-Salles, vor dem Hause, wo Enogate seiner wartete ... um die Prinzessin, mit der sein Oheim ihn verkuppeln wollte, machte er sich keine Sorgen. Nur seine reizende Cousine konnte und wollte er als Gattin heimführen, denn auf der ganzen Erde gab es keine Herzogin, und wäre sie auch aus königlichem Blute gewesen, die sich mit ihr hätte vergleichen können! Die Millionen Kamylk-Paschas – selbst wenn diese sich nicht als ein Traumgebilde erwiesen – sollten daran nichts ändern. Natürlich hatte Juhel von Mascat aus sofort an seine Verlobte geschrieben. Doch wann würde sie diesen Brief erhalten? ...

Meister Antifer wurde mit jedem Tage nur sorgenvoller und später drohte das noch schlimmer zu werden. Der Transport der drei kostbaren Fässer wollte ihm gar nicht mehr aus dem Kopfe gehen.

Wie sehr hätten sich seine Besorgnisse erst gemehrt, wenn er gewußt hätte, daß er, sogar in der Karawane, ganz besonders scharf beobachtet wurde! Es hatte sich nämlich ein etwa vierzigjähriger, recht gut aussehender Eingeborner, der in ihm nie einen Verdacht erweckt hatte, näher an Meister Antifer angeschlossen.

Jedesmal, wenn das Packetboot von Suez – in halbmonatlichen Zwischenräumen – in Mascat anlegte, war die Polizei des Imans immer auf dem Posten. Abgesehen von der Steuer, die jeder das Land betretende Fremde erlegen mußte, war der Souverän auch stets sehr neugierig zu erfahren, was Europäer, die hier landeten, wohl vorhaben möchten. Auch als die drei Malouins den Quai betraten und sich in dem englischen Hôtel einquartiert hatten, widmete ihnen der Chef der Polizei eine wahrhaft zärtliche Sorgfalt.

Wie erwähnt, thut die wohlorganisierte Polizeimacht Mascats ihre Pflicht in tadelloser Weise. Nach regelrechten Pässen fragt sie zwar nicht, denn mit solchen sind alle Spitzbuben gewöhnlich versehen, und sie stellt auch keine hochnothpeinlichen Fragen, auf die zu antworten jeder Schwindler schon vorbereitet ist. Sie verliert die Leute aber nicht aus den Augen und beobachtet sie mit einer Discretion, einer Zurückhaltung, die der Intelligenz der Orientalen alle Ehre macht.

Auch Meister Antifer's Schritte wurden also von einem Beamten sorgsam überwacht. Ohne eine Frage an diesen oder seine Begleiter zu richten, mußte er sich doch nach und nach über die Absicht klar werden, die die drei Europäer nach dem Imanat geführt hatte. Wenn sie sich hier unter einem Volke bewegten, dessen Sprache sie nicht verstanden, so bot er sich ihnen höchstens zuvorkommend als Dolmetscher an. Dann, von dem Beamten unterrichtet, ließ sie der Iman gewiß nicht wieder abreisen, außer wenn es für ihn ganz interesselos war, sie zurückzuhalten.

Diese Ueberwachung mußte das große Vorhaben Meister Antifer's natürlich wesentlich erschweren. Wenn es schon schwierig genug war, einen Schatz von unglaublichem Werthe auszugraben, ihn nach Mascat zu bringen und auf das Suezer Packetboot zu schaffen, so wurde das, wenn Seine Hoheit wußte, um was es sich handelte, fast zur Unmöglichkeit.

Zum Glück – wir müssen das wiederholt betonen – ahnte Pierre-Servan-Malo nichts von der Verschlimmerung seiner Aussichten für die Zukunft. Er wußte ja nicht, daß er unter den Augen einer Art Geheimpolizisten des Imanats reiste, und auch seine Begleiter hatten gegenüber dem höflichen und gefälligen Araber, der sich doch nicht aufdrängte, irgend welchen Verdacht nicht geschöpft.

Saouk hatte für den unauffälligen Vorgang aber schärfere Augen. Der des Arabischen etwas mächtige, angebliche Schreiber Ben Omar's konnte mit einigen, auch nach Sohar reisenden Händlern dann und wann etwas plaudern. Diese Leute, denen jener Polizeibeamte nicht unbekannt war, machten aus dessen Eigenschaft kein Geheimniß. Saouk ahnte, daß der Mann ganz besonders um Meister Antifer's willen hier sein möchte; das verursachte ihm doch einige Sorge. Wollte er die Erbschaft Kamylk-Paschas nicht in die Hände eines Franzosen fallen lassen, so gönnte er sie dem asiatischen Iman doch ebensowenig. Der Beamte wendete übrigens den beiden Aegyptern keinerlei Aufmerksamkeit zu, er konnte ja auch gar nicht wissen, daß sie mit den drei Europäern dem nämlichen Ziele zustrebten. Landsleute von ihnen kamen ja öfters nach Mascat, und auf diese hatte man nicht besonders Acht – ein Beweis, daß die Polizei doch noch nicht ganz vollkommen ist, nicht einmal im Imanat Seiner Hoheit.

Nach anstrengendem, nur durch die Mittagspause unterbrochenem Tagesmarsche machte die Karawane kurz vor Sonnenuntergang Halt.

Hier zeigte sich, neben einer halb ausgetrockneten Lagune, eine der Naturmerkwürdigkeiten dieser Gegenden: ein Baum, unter dem die ganze Karawane Platz fand, und der am Mittag, wegen seines jeden Sonnenstrahl abwehrenden Laubdaches, recht wünschenswerth gewesen wäre.

»Einen solchen Baum hab' ich doch mein Lebtag noch nicht gesehen! rief Juhel, als sein Maulthier unter den ersten Zweigen von selbst still stand.

– Und ich werde seinesgleichen wohl in meinem Leben nicht wiedersehen! antwortete der Frachtschiffer, der sich auf seinem niederknieenden Kameel erhob.

– Was sagst Du dazu, lieber Onkel? fragte Juhel.

Der »liebe Onkel« sagte indeß gar nichts, einfach weil er nichts davon gesehen hatte, was das Erstaunen seines Freundes und seines Neffen erweckte.

»Mir scheint, ließ sich Gildas Tregomain vernehmen, wir haben da in Saint Pol de Léon, in einer Ecke unsrer Bretagne, einen Weinstock, der auch ziemlich berühmt ist ...

– Ja, Herr Tregomain, doch mit dem Baume hier hält er keinen Vergleich aus!«

Nein, so groß der Weinstock von Saint Pol de Léon auch sein mochte, gegen diesen Goliath der Pflanzenwelt hätte er doch wie ein einfacher Busch ausgesehen.

Es war das eine Banane – eine Art Feigenbaum – mit einem unglaublich dicken Stamme, der im Umfange wohl hundert Fuß messen mochte. Von diesem thurmähnlichen Stamme gingen in etwa fünfzehn Fuß Höhe eine Menge Aeste ab, die sich hundertfach verzweigten und zusammen eine Fläche von gut fünftausend Quadratmetern überdachten. Ein ungeheurer Schirm, der ebenso jeden Sonnenstrahl wie jeden Regentropfen vom Boden abhielt.

Bei genügender Zeit – denn Geduld genug besaß er dazu – hätte der Frachtschiffer gern die Zweige der Banane gezählt, denn es plagte ihn die Neugier, wie viele es deren wohl sein möchten.

Da sollte seine Neugier, und zwar unter folgenden Umständen, befriedigt werden.

Als er die unteren Aeste der Banane zu zählen anfing und sich mit weit ausgespreizter Hand, die Finger nach oben, hier- und dorthin drehte, hörte er hinter sich die Worte rufen:

» Ten thousand.«

Diese beiden englischen, deutlich mit orientalischem Accent ausgesprochenen Wörter verstand er freilich wegen gänzlicher Unkenntniß des Englischen nicht, wohl aber Juhel, der nach einigen Worten, die er mit dem Eingebornen, der jene eben ausrief, gewechselt hatte, zu ihm sagte:

»Wie es scheint, trägt der Baum zehntausend Aeste und Zweige.

– Zehntausend?

– Das sagte wenigstens der Araber.«

Dieser Araber war kein andrer als der Polizist, den man den Fremden für die Reise durch das Imanat nachgesendet hatte und der die passende Gelegenheit aufgriff, mit ihnen in nähere Beziehung zu treten. So wurden jetzt einige Fragen und Antworten in angelsächsischer Sprache zwischen Juhel und dem Araber gewechselt, der sich als Dolmetscher der britischen Gesandtschaft in Mascat vorstellte und den drei Europäern höflichst seine Dienste anbot.

Juhel dankte dem Eingebornen und machte seinem Onkel von dem Vorfalle Mittheilung, da er diesen wegen der Schritte, die sie nach dem Eintreffen in Sohar thun mußten, für recht vortheilhaft ansah.

»Gut ... schon gut! ... begnügte sich Meister Antifer zu antworten. Sieh, was Du mit dem Manne anfangen kannst und sage ihm, daß er freigebig bezahlt werden solle ...

– Wenn sich etwas zum Bezahlen vorfindet!« murmelte der ungläubige Tregomain.

Glaubte sich nun Juhel wegen dieser Bekanntschaft beglückwünschen zu dürfen, so war Saouk davon gewiß weit weniger befriedigt. Den Polizisten im Einvernehmen mit den Malouins zu sehen, das konnte seine Unruhe nur verschlimmern, und er nahm sich vor, das Thun und Treiben des Eingebornen zu beobachten. Ja, wenn Ben Omar nur erfahren hätte, wohin die Fahrt ging, ob man dem Ende derselben nahe wäre oder nicht! Er wußte ja nichts davon, ob das Eiland im Gewässer des Golfs von Oman, in der Meerenge von Ormuz oder vielleicht im persischen Golfe lag, ob man es an den Küsten Arabiens oder nahe denen Persiens, bis dahin wo das Reich des Schahs mit dem des Großsultans zusammenstößt, suchen sollte. Wie viel Zeit sollte die ganze Angelegenheit beanspruchen? Würde Meister Antifer von Sohar aus noch einmal zu Schiffe gehen? Da er das in Mascat nicht gethan hatte, erschien es annehmbar, daß das Eiland jenseits der Meerenge von Ormuz zu suchen wäre, wenn sich die Karawanenreise nicht gar bis Chardjra, bis El Kalif, vielleicht gar bis Korenc, ganz oben im persischen Meerbusen, fortsetzte.

Diese Ungewißheit erregte Saouk tief, und der arme Teufel von Notar hatte natürlich die Folgen davon auszustehen.

»Ist's denn meine Schuld, jammerte er, daß der Herr Antifer mich wie einen Stockfremden behandelt! ...«

Wie einen Stockfremden? ... O nein, noch schlimmer, wie einen Eindringling, den Kamylk-Paschas Testament ihm auf den Hals gehetzt hatte. Ja, wenn das eine Procent nicht gewesen wäre! Dieses eine Procent war schon einige Mühen und Qualen werth. Wann sollten diese aber aufhören?

Am nächsten Tag zog die Karawane über eine endlose Ebene, eine Art Wüste, ohne jede Oase dahin. Auch die beiden folgenden Tage wurden sehr beschwerlich, ganz besonders durch die Hitze. Der Frachtschiffer konnte wohl fürchten, daß er sich auflösen würde, wie die Eisberge aus den nördlichen Meeren, die nach niedrigeren Breiten hinabtreiben. Jedenfalls verlor er, zur großen Befriedung seines zweihöckerigen Trägers, wenigstens ein Zehntel seines Gewichtes.

Aus den letzten Etappen ist kein besonderer Zwischenfall zu erwähnen. Höchstens wäre zu bemerken, daß der Araber – der sich Selik nannte – mit Juhel noch nähere Bekanntschaft machte, da beide der englischen Sprache mächtig waren. Der junge Kapitän bewahrte jedoch immer eine kluge Zurückhaltung und hütete sich, von den Geheimnissen seines Onkels etwas verlauten zu lassen. Auch dem angeblichen Dolmetscher diente er mit der Fabel, daß es sich ihnen nur um die Auswahl einer Küstenstadt zur Eröffnung einer Geschäftsniederlassung handle.

Juhel mochte wohl annehmen, daß der andre seinen Worten Glauben schenkte; der geriebene Bursche stellte sich aber nur so, um leichter noch mehr aus ihm herauszulocken.

Am 27. März und nach viereinhalbtägigem Marsche zog die Karawane durch die Stadtmauer von Sohar ein.


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