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XII.

In dem Saouk sich entschließt, die Hälfte des Schatzes Kamylk-Paschas zu opfern, um sich die andre Hälfte zu sichern.

 

Und als Gildas Tregomain Juhel bat, ihm auf der Karte seines Atlas den Punkt zu zeigen, wo Mascat lag, da wollte er kaum seinen Augen trauen. Der Exkapitän der »Charmante Amélie«, der Schiffer von der Rance, hierher geschafft ... so weit ... so weit ... bis nach den Meeren Asiens!

»Wir befinden uns also am Ende von Arabien, Juhel? fragte er, sein Glas auf der Nase zurecht schiebend.

– Ja, Herr Tregomain, am südlichsten Ende davon!

– Und der Golf da, der sich im Hintergrunde ausbreitet?

– Ist der Golf von Oman.

– Und der andre, der einer Pöckelkeule ähnelt?

– Das ist der persische Golf.

– Und die Meerenge, die sie verbindet?

– Ist die Straße von Ormuz.

– Und endlich das Eiland unsres Freundes?

– Das muß irgendwo im Golfe von Oman liegen ...

– Wenn es da liegt!« versetzte der Frachtschiffer, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Meister Antifer ihn nicht hören konnte.

Das Imanat von Mascat zwischen dem zweiundfünfzigsten und dem siebenundfünfzigsten Meridian und dem zweiundzwanzigsten und siebenundzwanzigsten Breitengrade, erstreckt sich bei einer Länge von fünfhundertvierzig über eine Breite von zweihundertachtzig Kilometern. Pachtweise gehört dazu auch noch ein Streifen der persischen Küste von Laristan bis Maghistan, ein zweiter Streifen an der Küste von Ormuz und Kistrim, ferner in Afrika der große Theil, der sich vom Aequator bis zum Cap Delgado – mit Zanzibar, Jula, Molinde und Sofala – hinzieht, alles zusammen ein Staat von einer halben Million Quadratkilometern – etwa so groß wie Frankreich – und mit zehn Millionen Einwohnern, Arabern, Persern, Hindus und Juden nebst vielen Negern. Der Iman ist also ein Herrscher, der eine gewisse Beachtung verdient.

Bei der Fahrt den Golf von Oman hinauf und in der Richtung nach Mascat war der »Oxus« an einem öden, unfruchtbaren und von hohen senkrecht abfallenden Wänden umrahmten Ufer vorübergekommen, das an einzelnen Stellen wie mit Burgen aus der Feudalzeit besetzt erschien. Etwas weiter rückwärts wölbten sich einige Hügel von etwa fünfhundert Meter Höhe, die ersten Anfänge der Gebel-Achdar-Kette, die bis etwa tausend Meter ansteigt. Daß das Land so unfruchtbar ist, erklärt sich aus dem vollständigen Fehlen irgend eines bedeutenden Wasserlaufs. Immerhin vermögen die Umgebungen der Hauptstadt eine Bevölkerung von sechzigtausend Köpfen zu ernähren. An Weintrauben, Mangofrüchten, Pfirsichen, Feigen, Granatäpfeln, Wassermelonen, sauern und süßen Citronen und vorzüglich an Datteln giebt es hier Ueberfluß. Die Dattelpalme ist vor allem der Baum des arabischen Landes. Nach ihm schätzt man den Werth der Besitzungen und spricht z. B. von einem Gute von drei- oder viertausend Dattelpalmen, wie bei uns von einem solchen von drei- oder vierhundert Hektaren. Das Imanat treibt ziemlich schwunghaften Handel, da der Iman nicht allein das Staatsoberhaupt, sondern auch der Hohepriester und gleichzeitig der größte Kaufmann des Landes ist. Sein Königreich besitzt nicht weniger als zweitausend Fahrzeuge mit siebenunddreißigtausend Tonnen. Die Kriegsflotte zählt gegen hundert Schiffe mit mehreren Kanonen, das Landheer bilden fünfundzwanzigtausend Mann. Das Einkommen des Herrschers wird auf dreiundzwanzig Millionen Francs berechnet. Selbst Besitzer von fünf Schiffen, hat er das Recht, die Schiffe seiner Unterthanen zum Besten seiner Geschäfte zu verwenden – was ihm gestattet, diesen eine ganz besondere Ausdehnung zu geben.

Der Iman ist der völlig unbeschränkte Herrscher seines Gebiets, das, zuerst von Albuquerque erobert, 1507 die portugiesische Oberhoheit abschüttelte. Seit einem Jahrhundert ganz unabhängig, wird das Imanat von den Engländern unterstützt, die ohne Zweifel darauf speculieren, nach dem Gibraltar in Spanien und dem Gibraltar von Aden, dem Gibraltar von Perim, auch noch ein Gibraltar des Golfes von Persien zu errichten. Die hartnäckigen Sachsen werden schließlich noch alle geeigneten Stellen der Erdkugel »gibraltarisieren«.

Meister Antifer selbst und seine Begleiter hatten sich um die politischen, die industriellen und commerciellen Verhältnisse des Landes vor der Abreise aus Frankreich nicht im mindesten gekümmert.

Für sie hatte das Imanat ja nicht das mindeste Interesse, als das einer Station auf der Fahrt nach einem der Eilande des Golfes.

Jetzt drängte sich ihnen aber gleichsam die Gelegenheit auf, den heutigen Zustand dieses Königreichs wenigstens etwas genauer kennen zu lernen, da sie sich in die Nothlage versetzt sahen, einen Consularbeamten Frankreichs in diesem Winkel Arabiens um Auskunft anzugehen.

Seit einem, 1841 zwischen dem Iman und der französischen Regierung abgeschlossenen Vertrag wohnte hier nämlich ein solcher Vertreter.

Ihm fällt es nur zu, seinen Landsleuten zur Seite zu stehen, wenn deren Geschäfte sie bis zur Küste des Indischen Oceans führen.

Pierre-Servan-Malo hielt es also für angezeigt, diesen Consularagenten aufzusuchen. Die recht gut organisierte und deshalb spürsinnige Polizei des Landes hätte in dem Eintreffen der drei Fremden in Mascat etwas Verdächtiges sehen können, wenn diese nicht einen glaubhaften Grund für ihre Reise angaben. Selbstverständlich wollten sie ihr Geheimniß dabei nicht preisgeben.

Der »Oxus« sollte nach achtundvierzigstündigem Aufenthalt nach Bombay weitergehen. Meister Antifer und seine Begleiter schifften sich also sofort aus, ohne sich nach Ben Omar und Nazim auch nur umzusehen. Diesen lag es ja ob, sie im Auge zu behalten und sich ihnen anzuschließen, wenn sie die Nachsuchungen im Golfe unternahmen.

Meister Antifer an der Spitze, Juhel in der Mitte und Gildas Tregomain als Nachtrupp, begaben sie sich, von einem Führer geleitet, nach einem englischen Hotel durch die Straßen und über die Plätze des modernen Babylon. Ihr Gepäck kam nach. Es versteht sich von selbst, daß der Chronometer, der kostbare Chronometer, der ihnen zur Auffindung der Länge des Eilandes dienen sollte, ganz besonders in Acht genommen wurde. Meister Antifer hatte ihn sogar eigenhändig tragen wollen. Ein Seemann hätte nicht so viel Rücksicht auf seine Gattin nehmen können, wie Meister Antifer auf dieses Instrument, das ihm immer die Pariser Zeit anzeigte.

Am meisten erstaunte der Frachtschiffer, sich hier in Mascat, wie der Doge von Genua am Hofe Ludwigs XIV. zu sehen.

Nachdem sie ihre Zimmer gewählt hatten, begaben sich unsre Reisenden zum Bureau des Consularagenten, der sehr erstaunt war, mit einem Male drei Franzosen auf seiner Schwelle erscheinen zu sehen.

Er war Provençale, etwa fünfzig Jahre alt und hieß Joseph Bard. Der Mann trieb Handel mit Baumwolle und Manufacturen, mit indischen Shawls und chinesischer Seide, sowie mit gold- und silbergestickten Stoffen, die von den reichen Orientalen sehr begehrt werden.

Unter Landsleuten war die Bekanntschaft bald gemacht und alles Nothwendige besprochen.

Meister Antifer und seine Begleiter hatten zuerst ihren Namen und ihren Beruf angegeben. Ein Händedruck, und da bot der Agent ihnen auch schon einige Erfrischungen an und fragte sie nach dem Zwecke ihrer Reise.

»Ich habe nur selten Gelegenheit, Landsleute zu empfangen, sagte er, es ist daher ein Vergnügen für mich, Sie, meine Herren, bei mir zu sehen, und ich stelle mich ganz zu Ihrer Verfügung.

– Wir sind Ihnen sehr dankbar, antwortete Meister Antifer, denn Sie können durch einige Auskunft über die Verhältnisse des Landes uns einen großen Gefallen erweisen.

– Handelt es sich bei Ihnen nur um eine Lustreise? ...

– Ja und nein, Herr Bard. Wir sind alle drei Seeleute, mein Neffe, Kapitän der langen Fahrt, und Gildas Tregomain, früherer Befehlshaber der ›Charmante Amélie‹.«

Meister Antifer, der seinen Freund zum »Befehlshaber« stempelte, sprach von dessen Flußschiff jetzt ganz wie von einer Fregatte.

»Und ich, ich bin Kapitän in der Küstenfahrt, setzte er hinzu. Wir sind von einem bedeutenden Hause in Saint Malo beauftragt, in Mascat oder in einem Hafenorte des Golfes von Oman oder auch des Persischen Meerbusens ein Handelscomptoir zu errichten.

– Mein Herr, antwortete Joseph Bard, sehr bereitwillig, ein Unternehmen zu unterstützen, von dem er vielleicht selbst Nutzen ziehen konnte, ich kann Ihre Absicht nur loben und biete Ihnen meine Dienste an, Sie zu gutem Ende zu führen.

– Dann, mischte Juhel sich ein, gestatten wir uns, Sie zunächst zu fragen, ob es sich empfiehlt, ein solches Comptoir in Mascat oder in einer andern Stadt an der Küste zu eröffnen.

– Am besten in Mascat selbst, versicherte der Agent. Dieser Hafen nimmt durch seine Verbindungen mit Persien, Indien, Mauritius, la Réunion, Zanzibar und mit der Küste Afrikas täglich an Bedeutung zu.

– Und welche Artikel werden hier vorzugsweise ausgeführt? fragte Gildas Tregomain.

– Datteln, Rosinen, Schwefel, Fische, Copal, arabischer Gummi, Schildpatt, Rhinoceroshörner, Oel, Cocosnüsse, Reis, Hirse, Kaffee und Zuckerbackwerk.

– Zuckerbackwerk? wiederholte der Frachtschiffer, dessen Zungenspitze schon zwischen den Zähnen sichtbar wurde.

– Gewiß, mein Herr, bestätigte Joseph Bard, jenes Backwerk, das man hier zu Lande ›Hulwah‹ nennt und das aus Honig, Zucker, Gluten und Mandeln besteht.

– Das müssen wir kosten!

– So viel Du willst, erwiderte Meister Antifer. Doch kommen wir auf unsere Fragen zurück. Herr Bard war so freundlich, uns die wichtigsten Ausfuhrartikel zu nennen ...

– Denen noch die Erzeugnisse der Perlenfischerei im persischen Meerbusen hinzuzufügen wären, antwortete der Agent, eine Fischerei, deren Ertrag sich jährlich auf acht Millionen Francs beläuft ...«

Da hätte man sehen sollen, welche verächtliche Miene sich um den Mund des Meister Antifer legte. Perlen für acht Millionen! Das ist was Rechtes in den Augen eines Mannes, der hundert Millionen Edelsteine sein eigen nannte!

»Freilich, fuhr Joseph Bard fort, befindet sich der Perlenhandel in den Händen von Hindukaufleuten, die sich eine Concurrenz nicht würden bieten lassen.

– Auch außerhalb Mascats? sagte Juhel.

– Auch außerhalb der Hauptstadt, wo die Händler, das muß ich Ihnen gestehen, es mit kritischem Blicke betrachten würden, wenn sich Fremde niederließen ...«

Juhel benützte diese Antwort, um das Gespräch auf ein andres Gebiet überzuleiten.

Die Hauptstadt des Imanats liegt nämlich genau unter 50° 20' der Länge und 23° 33' nördlicher Breite. Daraus ergab sich, daß die Lage des Eilandes etwas oberhalb derselben zu suchen war. Die Hauptsache blieb nur, Mascat unter dem Vorwand verlassen zu können, daß man einen geeigneten Ort zur Einrichtung eines malouinischen Comptoirs aufsuchen wolle. Deshalb fragte auch Juhel, nachdem er erklärt, daß es rathsam sein möchte, vor einer endgiltigen Niederlassung in Mascat die andern Städte des Imanats zu besuchen, nach denen, die an der Küste lagen.

»Das ist zunächst Oman, antwortete Joseph Bard.

– Im Norden von Mascat? ...

– Nein, im Südosten.

– Und im Norden?

– Ist die bedeutendste Stadt Rostak.

– Am Golfe?

– Nein, im Innern.

– Und an der Küste?

– Ist es Sohar.

– Wie weit liegt das von hier?

– Etwa zweihundert Kilometer.«

Ein Augenblinzeln Juhels machte seinen Onkel auf die Wichtigkeit dieser Antwort aufmerksam.

»Und ist Sohar auch eine handelsthätige Stadt?

– Eine sehr thätige, der Iman residiert dort zuweilen, wenn es Seiner Hoheit gerade beliebt ...

– Seiner Hoheit!« wiederholte Gildas Tregomain.

Dieser Titel hatte für die Ohren des Lastschiffers offenbar einen angenehmen Klang. Eigentlich kam dieser nur dem Großtürken zu; Joseph Bard hielt es aber für angebracht, ihn auch auf den Iman anzuwenden.

»Seine Hoheit ist in Mascat, fügte er hinzu, und wenn Sie sich für eine Stadt entschieden haben, meine Herren, wird es nöthig sein, seine Genehmigung zur Errichtung eines Comptoirs einzuholen.

– Die uns Seine Hoheit hoffentlich nicht verweigern wird? versetzte der Malouin.

– Im Gegentheil, versicherte der Agent, er wird sich beeilen, sie gegen klingende Münze zu ertheilen.«

Meister Antifer machte eine Bewegung, als wollte er sagen, daß er bereit sei, königlich zu bezahlen.

»Wie gelangt man nach Sohar? fragte Juhel.

– Mit einer Karawane.

– Mit einer Karawane! ... rief der Frachtschiffer etwas beunruhigt.

– Ja, erklärte Joseph Bard, wir haben im Imanat weder Eisenbahnen, noch Tramways, nicht einmal Postverbindungen. Der Weg dahin wird im Karren oder auf dem Rücken eines Maulesels zurückgelegt, wenn man es nicht vorzieht, zu Fuß zu gehen ...

– Solche Karawanen ziehen aber wohl nur nach längeren Zwischenräumen aus? fragte Juhel.

– Entschuldigen Sie, erwiderte der Consularagent. Der Handel zwischen Mascat und Sohar ist ziemlich lebhaft, und gerade morgen ...

– Morgen? fiel Meister Antifer ein. Das trifft sich gut, morgen werden wir uns einkarawanen!«

Die Aussicht, »sich einzukarawanen,« wie sein Freund sich ausdrückte, erschien Gildas Tregomain keineswegs verlockend, und die Grimasse, die er dabei zog, ließ das deutlich genug erkennen. Nun war er indeß nicht nach Mascat gekommen, um seinen Kopf aufzusetzen, und so mußte er sich wohl entschließen, auch in der beschwerlichsten Weise mit weiter zu reisen.

Immerhin glaubte er bezüglich dieser Fahrt von Mascat nach Sohar eine Bemerkung nicht unterdrücken zu dürfen.

»So schieß' los, ermunterte ihn Meister Antifer.

– Nun, sagte Gildas Tregomain, wir sind doch alle Drei Seeleute, nicht wahr?

– Alle Drei, bestätigte sein Freund, der dabei freilich einen Seitenblick auf den Kapitän der ›Charmante Amélie‹ fallen ließ.

– Ich sehe deshalb nicht ein, fuhr der Frachtschiffer fort, warum wir nach Sohar nicht zu Wasser gehen sollten. Zweihundert Kilometer ... mit einem soliden Fahrzeuge ...

– Ja, warum nicht, stimmte da Meister Antifer zu, dadurch könnten wir Zeit gewinnen.

– Gewiß, erklärte Joseph Bard, und ich würde der Erste sein, das anzurathen, wenn damit nicht gewisse Gefahren verknüpft wären.

– Welche Gefahren? fragte Juhel.

– Der Golf von Oman ist nicht sicher, meine Herren. Vielleicht an Bord eines größeren Handelsschiffes mit nicht zu schwacher Besatzung dürfte nichts zu fürchten sein.

– Fürchten? polterte Meister Antifer heraus. Fürchten? Etwa Windstöße oder so einen kleinen Sturm?

– Nein, aber Seeräuber, die in der Nähe der Meerenge von Ormuz nicht so selten sind.

– Teufel!« rief der Malouin.

Wir müssen ihm aber die Gerechtigkeit widerfahren lassen, zu versichern, daß er sich vor den Piraten selbst keineswegs fürchtete, nur wegen der Rückfahrt, wenn er die Millionen bei sich führte, war er etwas besorgter.

Auf jene Bemerkung des Agenten hin entschlossen sich die Reisenden auch, den Heimweg nicht zur See zu nehmen. Sie wollten mit einer Karawane abreisen und mit einer solchen zurückkehren, da das offenbar die größte Sicherheit bot. Gildas Tregomain mußte sich also bequemen, mit über Land zu gehen, empfand aber doch einige Unruhe, wie er dabei fortkommen würde.

Die Verhandlung brach hiermit ab. Die drei Franzosen waren sehr erfreut, einen französischen Agenten getroffen zu haben. Bei der Rückkehr wollten sie ihm einen Besuch abstatten, sie versprachen, ihm über ihre Unternehmung auf dem Laufenden zu halten und sich nur nach seinen Rathschlägen zu richten. Der Schlaukopf Antifer ließ sogar durchblicken, daß die Gründung eines Comptoirs gewiß recht umfängliche Geschäfte zur Folge haben werde, deren Nutzen der Agentur zufließen müßte.

Ehe sie sich trennten, wiederholte Joseph Bard seine Empfehlung, sich bei Seiner Hoheit vorzustellen, und erbot sich übrigens, eine Audienz für die distinguierten Fremdlinge zu vermitteln.

Die genannten distinguierten Fremdlinge machten sich wieder auf den Weg nach dem Hôtel.

Inzwischen conferierten Ben Omar und Nazim in einem Zimmer des nämlichen Hôtels miteinander, und es versteht sich von selbst, daß es dabei von Seiten Saouk's zuweilen recht heftig herging.

Der angebliche Schreiber und der Notar waren in Mascat angekommen. Gut. Noch wußten sie aber nicht, ob Mascat auch das Endziel der Reise sei oder ob Meister Antifer sie noch darüber hinausführen werde. Das zu wissen war aber die Pflicht des einfältigen Omar, der es zu erfahren ja ein Recht hatte, und doch war dieser bisher nicht weiter gekommen als der falsche Nazim.

»Das kommt davon, wenn man so schauderhaft seekrank wird! zankte Nazim. Du hättest auch besser daran gethan, gesund zu bleiben!«

Ja, das meinte der Notar wohl auch ... ebenso wie er gern mit diesem Schelm von Franzosen gesprochen, in sein Geheimniß eingedrungen wäre und erfahren hätte, wo der Schatz niedergelegt war.

»Beruhigen sich Eure Excellenz, antwortete Ben Omar; noch heute werd' ich den Herrn Antifer sehen und alles erfahren ... das heißt, wenn es nicht noch einmal zu Schiffe weiter geht!«

Daß der Notar Kenntniß von der Oertlichkeit bekommen mußte, wohin der Legatar Kamylk-Paschas sich begab, um sich in Besitz seiner Erbschaft zu setzen, stand ja außer Frage. Da das Testament die Mitanwesenheit des Testamentsvollstreckers, also Ben Omar's, dabei ausdrücklich vorschrieb, konnte Meister Antifer ihm diese ja nicht vorenthalten. Anders lag es nur, wie Saouk, wenn das Eiland erreicht war und seine Schätze ausgeliefert hatte, sie ihrem Eigenthümer rauben könne. Auf diese vom Notar öfters wiederholte Frage hatte er niemals eine Antwort gegeben, einfach, weil er keine zu geben wußte. Jedenfalls würde er vor keinem Mittel zurückschrecken, sich ein Vermögen anzueignen, das er für das seinige ansah und um das ihn Kamylk-Pascha zu Gunsten eines ganz Fremden gebracht hatte. Das erschreckte Ben Omar, den einfachen, versöhnlichen Notar, der Gewaltmitteln abhold war, schon im voraus, denn er wußte, daß Seine Excellenz das Leben eines Menschen ebenso hoch schätzte, wie eine vertrocknete Feige. Jetzt handelte es sich nur darum, die weitere Entwicklung der Angelegenheit sorgsam zu verfolgen und je nach Umständen zu handeln, wenn der Malouin seine Schätze erst in der Hand hätte.

Darüber einigten sich beide, freilich erst nach furchtbaren Drohungen gegen Ben Omar und nachdem Saouk ihm wiederholt hatte, daß er ihn für den Ausgang verantwortlich mache. Damit ging Seine Excellenz fort und legte ihm ans Herz, auf die Rückkehr Meister Antifer's nach dem Hotel ein Auge zu haben.

Diese Rückkehr erfolgte übrigens erst spät am Abend. Gildas Tregomain und Juhel hatten sich das Vergnügen gegönnt, durch die Straßen von Mascat zu flanieren, während Meister Antifer – in Gedanken – einige hundert Kilometer weiter östlich auf seiner Insel umherspazierte. Man hätte ihn gar nicht über den Eindruck fragen dürfen, den die Hauptstadt des Imanats auf ihn machte, ob ihre Straßen belebt, ihre Läden reich ausgestattet wären, oder ob die aus Arabern, Indiern und Persern gemischte Bevölkerung irgend einen originellen Typus aufweise. Er hatte nichts sehen wollen, während Juhel und der Frachtschiffer sich lebhaft für alles interessierten, was ihnen in dieser so orientalisch gebliebenen Stadt vor Augen kam. Sie waren stehen geblieben vor den Magazinen mit Waaren aller Art, mit Turbans, Gürteln, Wollenmänteln, rohen Baumwollstoffen und mit den, »Mertaban« genannten Oel- und Weinkrügen, deren Färbung durch ihr Email schimmerte. Angesichts der schönen Sachen dachte Juhel daran, wie sich Enogate über den Besitz derselben freuen würde. Welch reizendes Andenken an diese recht unzeitige Reise müßten sie für sie bilden! Und gewiß würde sie sich glücklicher schätzen, diese wunderbar gearbeiteten Kleinigkeiten, diese Nichtse von künstlerischem Werth, aus der Hand ihres Verlobten zu erhalten, als sich mit den prächtigen Diamanten ihres Oheims zu schmücken.

Das meinte auch Gildas Tregomain, denn er sagte zu seinem jungen Freunde:

»Wir wollen doch dieses Halsband für die Kleine kaufen und Du übergiebst es ihr bei der Heimkehr.

– Bei der Heimkehr! antwortete Juhel seufzend.

– Und auch den hübschen Ring hier ... was sag' ich? ... nur einen Ring ... nein, zehn Ringe, einen für jeden Finger ...

– Woran mag meine arme Enogate jetzt wohl denken? murmelte Juhel.

– An Dich, mein Junge, gewiß immer nur an Dich ...

– Und wir sind Hunderte von Meilen von einander getrennt!

– Halt! Vergessen wir auch nicht, eine Schachtel mit dem vortrefflichen Zuckergebäck, das uns Herr Joseph Bard so sehr empfohlen hat, auszuwählen!

– Es ist da, bemerkte Juhel, vielleicht rathsam, es erst zu kosten, ehe wir es kaufen.

Nein, mein Junge, nein! erwiderte Gildas Tregomain. Ich bin der Meinung, daß Enogate als die erste davon naschen soll ...

– Und wenn ihr das Zuckerbackwerk nicht schmeckt? ...

– O, sie wird es schon köstlich finden, da Du ihr's so weit her mitgebracht hast.«

Ja, der vortreffliche Seeheld verstand sich auf das Herz junger Mädchen, obwohl keine – weder in Saint Malo, noch in Saint Servan oder in Dinard – je daran gedacht hatte, Frau Tregomain zu werden!

Kurz, beide bedauerten keineswegs ihren Spaziergang durch die Hauptstadt des Imanats, die mehr als eine große europäische Stadt um ihr gefälliges Aeußere und ihre Sauberkeit hätte beneiden können – mit Ausnahme seiner Vaterstadt, die Pierre-Servan-Malo nun einmal für eine der ersten der Welt ansah.

Juhel bemerkte übrigens, daß die Polizei hier sehr streng von zahlreichen, etwas verdächtig erscheinenden Beamten ausgeübt wurde.

Diese Leute verfehlten auch nicht, alle Schritte der in Mascat gelandeten Fremdlinge zu beobachten, vorzüglich da sich diese über den Zweck ihres Hierherkommens ganz ausschwiegen. Im Gegensatz zu den polizeilichen Scheerereien mancher europäischer Staaten, die die Vorzeigung eines Passes verlangen und eine Menge gestrenger Fragen stellen, begnügte man sich hier jedoch wahrscheinlich damit, den Malouins so weit, wie es diesen beliebte, nachzugehen, man enthielt sich voraussichtlich aber jeder indiscreten Frage. So geschah es auch; doch da sie den Fuß einmal auf das Gebiet des Imanats gesetzt hatten, sollten sie nicht wieder von hier fortkommen, ohne daß der Iman über ihre Absichten unterrichtet war.

Zum Glück argwöhnte Meister Antifer davon nichts, denn er hätte dann mit Recht für den Ausgang seines Abenteuers gefürchtet. Hundert Millionen einem Eilande des Golfes von Oman zu entnehmen, das hätte Seine – für Ihre Interessen sehr besorgte – Hoheit gewiß nicht zugegeben. Wenn in Europa der Staat die Hälfte eines gefundenen Schatzes beansprucht, so zögert in Asien der Souverän, der hier der Staat ist, nicht im mindesten, gleich alles einzustecken.

Als Meister Antifer ins Hôtel zurückgekehrt war, konnte sich Ben Omar nicht enthalten, ihn mit einer unklugen Frage zu behelligen. Nachdem der Notar die Zimmerthür sehr vorsichtig ein wenig geöffnet hatte, begann er mit einschmeichelnder Stimme:

»Dürfte ich vielleicht erfahren? ...

– Was?

– Erfahren, Herr Antifer, welche Richtung wir nun einschlagen?

– Erste Straße rechts, zweite links und dann immer geradeaus!«

Und damit stieß ihm Meister Antifer die Thür vor der Nase zu.


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