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X.

Mit einem kurzen Bericht über die schnelle Fahrt des Dampfers »Steersman« von Saint Malo nach Port-Saïd.

 

Am 21. Februar verließ der englische Dampfer »Steersman« mit der eintretenden Ebbe des frühen Morgens den Hafen von Saint Malo. Es war ein Kohlenschiff von neunhundert Tonnen, das nur zwischen Newcastle und Port-Said fuhr und Steinkohlen beförderte. Gewöhnlich lief der Dampfer unterwegs nirgends an. Diesmal hatte eine leichte Havarie, eine Undichtheit seiner Condensatoren, ihn dazu gezwungen, die ihm nöthige Reparatur vornehmen zu lassen. Statt in Cherbourg einzulaufen, hatte sich dessen Kapitän aber nach Saint Malo gewendet, weil er daselbst einen alten Freund hatte. Achtundvierzig Stunden später war der Dampfer zur Weiterfahrt fertig und er hatte zur Zeit, wo wir ihn dem freundlichen Leser vorstellen, das Cap Fréhel bereits gegen dreißig Seemeilen im Nordosten hinter sich gelassen.

Wir lenken aber die Aufmerksamkeit des Lesers vornehmlich auf diesen Dampfer, obwohl Hunderte solcher durch den Canal fahren, auf denen das Vereinigte Königreich seine schwarzen Bodenschätze nach allen Theilen der Welt versendet – und zwar vornehmlich deshalb, weil sich Meister Antifer, mit ihm auch sein Neffe Juhel und mit beiden sein Freund Gildas Tregomain an Bord desselben befand. Es könnte ja auffallen, daß man sie nicht in einem bequemen Eisenbahnwagen traf. Wenn es sich um eine Reise handelt, bei der einer hundert Millionen einzuheimsen gedenkt, da kann er sich's bequem machen, und braucht nicht gerade besonders zu sparen.

Das hätte Meister Antifer, der Erbe des reichen Kamylk-Pascha wahrscheinlich auch gethan, wenn sich ihm nicht die Gelegenheit bot, unter annehmbaren Verhältnissen zu reisen.

Kapitän Cip, der Befehlshaber des »Steersman« war ein alter Freund Meister Antifer's. Während seines Aufenthalts im Hafen verfehlte der Engländer auch nicht, den Malouin aufzusuchen und selbstverständlich fand er in der Rue des Hautes-Salles die freundschaftlichste Aufnahme. Als er vernahm, daß sich sein Freund zu einer Reise nach Port-Saïd rüstete, bot er ihm für mäßigen Preis an, diese an Bord des »Steersman« auszuführen. Es war ein tüchtiges Schiff, das bei ruhigem Wasser seine neun Knoten lief und das zur Zurücklegung der fünftausendfünfhundert Seemeilen, die Großbritannien von dem Ostende des Mittelländischen Meeres trennen, nur dreizehn bis vierzehn Tage brauchte. Für den Personentransport war der »Steersman« jetzt freilich nicht eingerichtet, Seeleute machen aber nicht so große Ansprüche. Jedenfalls fanden sie an Bord eine geräumige Cabine und die Fahrt sollte ohne Umsteigen vor sich gehen, was immerhin gewisse Vortheile bot.

Meister Antifer hätte sich auf einer Bahnfahrt auch nicht wohl fühlen können. Das Geschwätz im Waggon bei einer langen Reise wäre ihm zuwider gewesen. Seiner Meinung nach erschien es weit besser, sich zwei Wochen lang auf einem tüchtigen Schiff einzuschränken und dabei die erquickende Meeresluft zu athmen, als in einen rollenden Kasten gezwängt immerfort Rauch und Staub durch die Nase einzuziehen. Das war auch Juhels Ansicht, freilich nicht die des Frachtschiffers, dessen seemännische Thätigkeit sich ja nur auf das Wasserband zwischen den Ranceufern beschränkt hatte. Mit der Eisenbahn des westlichen und des östlichen Europa hatte er darauf gerechnet, den größten Theil der Fahrt abzumachen. Sein Freund entschied aber einmal anders. Auf einen Tag kam's ja nicht so genau an. Wenn man erst nach einem oder zwei Monaten eintraf, so mußte sich das Eiland ja immer noch an dem bezeichneten Punkte vorfinden. Kein Mensch kannte dessen Lage – mit Ausnahme des Meisters Antifer, Juhels und Gildas Tregomain's. Der seit einundzwanzig Jahren in der mit dem Doppel- K bezeichneten Grube versenkte Schatz lief keine Gefahr, wenn er auch noch einige Wochen länger schlummerte.

Hieraus erklärt sich, daß Pierre-Servan-Malo, so eilig er es im Grunde hatte, das Anerbieten des Kapitän Cip für sich und seine Begleiter annahm – und nur deshalb haben wir den »Steersman« unsern geneigten Lesern vorgestellt.

Meister Antifer hatte also für sich, seinen Neffen und seinen Freund Tregomain, der eine hübsche Summe in Gold im Gürtel trug, den Fahrpreis entrichtet. Außer den Baarmitteln führten sie noch einen Sextanten und ein Nachschlagebuch zur Ablesung der Sonnenhöhe bei sich und hatten auch eine Spitzhaue und eine Schaufel zur Ausgrabung des Bodens auf dem Eilande bei sich. Der Dampfer war ein sehr gutes Schiff mit einer aus zwei Maschinisten, vier Heizern und einem Dutzend Matrosen bestehenden Besatzung. Der Kapitän der »Charmante Amélie« hatte seinen Widerwillen wohl oder übel bekämpfen und sich zu einer Ueberfahrt zur See entschließen müssen, wo er vielleicht die schlimmen Launen Neptuns kennen lernen sollte – er, der nur an das Lächeln schöner Flußnymphen gewöhnt war. Meister Antifer hatte ihm jedoch auf den Kopf zugesagt, daß er sein Bündel zu schnüren und es an Bord des »Steersman« zu befördern habe – und dagegen wagte er nicht die leiseste Einwendung. Alle nahmen zärtlich von einander Abschied; Enogate lag schluchzend an Juhels Brust, Nanon theilte ihre Zärtlichkeit zwischen ihrem Neffen und ihrem Bruder und Gildas Tregomain hatte große Angst, die nicht zu sehr in seine Arme zu pressen, die den Muth gehabt hatten, sich in dieselben zu werfen. Schließlich war auch die Versicherung gegeben worden, daß die Abwesenheit nicht lange dauern werde und nicht sechs Wochen vergehen würden, ohne daß die ganze Familie wieder im Hause der Rue des Hautes-Salles vereinigt wäre, und dann wollte man Meister Antifer – ob dieser nun Millionär geworden wäre oder nicht – schon dazu zu bringen suchen, die so traurig unterbrochne Eheschließung vor sich gehen zu lassen.

Dann war das Schiff nach Westen hinaus gefahren und das junge Mädchen folgte ihm mit nassen Augen, bis sein Mastwerk am Horizonte untertauchte.

Da hat wohl der Dampfer »Steersman« zwei Personen vergessen, die doch nicht von so geringer Bedeutung waren und denen die Pflicht oblag, den Legatär Kamylk-Paschas zu begleiten? In der Liste befanden sich der Notar Ben Omar und Saouk oder Nazim nicht und nicht an Bord des Schiffes, dessen Abfahrt sie aber nicht etwa versäumt hatten.

Es lag das vielmehr so, daß die Zustimmung des ägyptischen Notars, mit auf den Dampfer zu gehen, nicht zu erlangen gewesen war. Schon bei der Fahrt von Alexandrien nach Marseille war er so jämmerlich seekrank gewesen, wie das überhaupt, sogar für einen Notar, nur statthaft ist. Jetzt, wo sein Unstern ihn gar bis nach Suez und wer weiß wohin sonst noch verschlagen sollte, hatte er feierlich geschworen, nur den Landweg zu benützen, so lange der Seeweg zu vermeiden war. Saouk hatte dem in keiner Weise widersprochen, und Meister Antifer brannte ja im Grunde auch nicht darauf, Ben Omar als Reisegesellschafter zu haben. Er hatte sich vielmehr begnügt, mit diesem gegen Ende des Monats zusammenzutreffen, ohne ihm zu sagen, daß sie bis Mascat weiter reisen mußten. Dann würde der Notar noch genügend Gelegenheit haben, den Zorn des unzuverlässigen Elements zu kosten.

Meister Antifer hatte sogar hinzugefügt:

»Da Ihr Client Sie beauftragt hat, als Testamentsvollstrecker bei der Ausgrabung meines Legats gegenwärtig zu sein, so kommen Sie mit dorthin. Wenn die Umstände uns aber nöthigen, gemeinschaftlich zu reisen, so bleiben wir einander möglichst weit vom Leibe, denn ich verspüre keine Lust, mit Ihnen oder Ihrem Schreiber noch nähere Bekanntschaft zu machen!«

Aus dieser wenig freundlichen Bemerkung erkennt man ja unsern Malouin.

Saouk und Ben Omar hatten Saint Malo darauf vor der Abfahrt des »Steersman« verlassen, und deshalb fanden sie sich also nicht unter den Passagieren des Kapitän Cip – worüber es auch keinem Menschen einfiel, sich irgendwie zu beklagen.

Der Leser weiß ja, daß der Notar, von einer Seite bedrängt von der Furcht, seinen Antheil einzubüßen, wenn er der Hebung des Schatzes nicht beiwohnte, und von der andern durch den unbeugsamen Willen Saouks angespornt, den Meister Antifer schon nicht verlassen würde. Er mußte ja vor diesem in Suez eintreffen und würde ihn hier gewiß mit einiger Ungeduld erwarten.

Inzwischen glitt der »Steersman« unter Volldampf längs der französischen Küste hin. Er wurde vom Südwind nicht allzusehr belästigt, da ihm das nahe Land noch einigen Schutz gewährte. Gildas Tregomain konnte sich entschieden Glück wünschen. Er hatte sich vorgenommen, diese Reise bestens auszunützen, die Sitten und Gebräuche der verschiedenen Länder zu studieren, in die ihn das Schicksal nun einmal verschlug. Da es aber zum ersten Male war, daß er sich aufs hohe Meer wagte, fürchtete er mit Recht, von der Seekrankheit belästigt zu werden. So ließ er die Blicke halb neugierig, halb ängstlich über den Horizont schweifen, wo Himmel und Wasser sich berührten. Er versuchte es gar nicht, den wetterfesten Seemann zu spielen, der brave Mann, und etwa, große Schritte machend, sich zu stellen, als ob er die Bewegungen des Schiffes gar nicht spürte. Seine Füße hätten wohl auch bald ihren Stützpunkt verloren, da sie nur das unbewegte Deck eines Flußschiffes gewöhnt waren. So saß er denn auf die Arme gestützt und etwas zusammengebogen auf einer Bank des Hinterdecks, wobei ihn der unerbittliche Pierre-Servan-Malo mit seinen schlechten Witzen nicht verschonte.

»Na, Frachtschiffer, wie gehts denn?

– O, bis jetzt hätt' ich mich nicht gerade zu beklagen.

– Na freilich, jetzt gondeln wir auch eigentlich noch durch Süßwasser hin, und Du hast am Ende das Recht zu glauben, Du wärst auf der ›Charmante Amélie‹ zwischen den engen Ufern der Rance. Wenn aber so ein steifer Nordwester käme und das Meer die Zähne zeigte, dann würdest Du die Deinigen wohl nicht mehr so stille halten!

– Das Meer hat doch keine Zähne, alter Freund!

– Na, das ist so eine Redensart, und ich erwarte vom Ocean, wenn wir erst den Aermelcanal im Rücken haben ...

– Du meinst, dann würde ich krank werden? ...

– Und ganz gehörig, das will ich Dir schriftlich geben!«

Meister Antifer verstand wirklich die Leute, die sich nur an seine Worte hielten, ins Bockshorn zu jagen. Juhel glaubte sich also verpflichtet, die schlechte Wirkung dieser Vorhersagungen abzuschwächen.

»Mein Onkel übertreibt gern, Herr Tregomain. Sie werden vielleicht gar nicht mehr seekrank werden ...

– Als ein Meerschwein? Weiter verlange ich ja gar nichts,« antwortete der Frachtschiffer, der nach einigen Schaumkronen hinwies, die das Kielwasser des »Steersman« aufwirbelte.

Gegen Abend passierte das Schiff die äußerste Spitze der Bretagne. Als es in den, durch die Höhen von Ouessant gedeckten Canal du Four einlief, hatte es nicht zu schwere See, obwohl der Wind gerade von vorn stand. Die Passagiere legten sich zwischen acht und neun Uhr nieder und ließen den Dampfer während der Nacht die Landspitze Saint Mathieu, die Einfahrt von Brest, die Bai von Douarnenez, das Inselgewirr der de Seins umschiffen und den Cours nach Südwesten der Iroise gegenüber einschlagen.

Der Frachtschiffer träumte so krank zu sein, als wäre sein letztes Stündlein gekommen. Zum Glück war's aber nur ein Traum. Am nächsten Morgen begab er sich, obwohl das Fahrzeug tüchtig schaukelte und stampfte und sich einmal auf einen Wogenkamm emporhob, um dann wieder hinabzusinken, doch ohne Zögern auf's Verdeck hinauf. Da es sein Geschick einmal bestimmt hatte, daß er seine Laufbahn als Schiffer durch eine Fahrt auf dem Meere abschließen sollte, gedachte er sich wenigstens alle Vorkommnisse dabei fest ins Gedächtniß einzuprägen.

Eben erschien er also auf den letzten Stufen unter der Treppenkappe, von wo er mit dem halben Leibe hervorguckte. Doch wen erblickte er da auf einem Gitter ausgestreckt ... bleich ... blutlos, glucksend, wie eine sich entleerende Tonne? ...

Den Meister Antifer in Person – Antifer Pierre-Servan-Malo, angegriffen, wie es nur die zarteste Lady auf der Ueberfahrt von Boulogne nach Folkestone sein kann!

Hei, der fluchte und wetterte aber, als er das ruhige und muntere Gesicht seines Freundes erblickte, dem auch nicht das geringste zu fehlen schien!

»Ja ... tausend Donnerwetter! rief er. Sollt' einer das glauben? Nach zehn Jahren, wo ich den Fuß auf keine Planke gesetzt habe ... bin ich ... ein alter Küstenfahrer ... schlimmer krank als so ein Führer einer Frachtschute!

– Ja ... aber ... ich bin überhaupt nicht krank, wagte Gildas Tregomain zu bemerken, indem er so freundlich wie möglich lächelte.

– Du nicht! ... Und warum bist Du's nicht? ...

– Ich wundre mich selbst darüber, lieber Freund.

– Deine Rance hat doch aber niemals so ausgesehen, wie hier das Meer bei steifem Südwest! ...

– Nein, das nicht.

– Und Du siehst auch nicht aus, als ob Du kentern müßtest ...

– Ich bedaure es, erwiderte Gildas Tregomain, weil Dir das nicht zu gefallen scheint.«

Nun denke man sich einen aus noch besserem Teige gekneteten Menschen auf diesem Erdenrund!

Wir beeilen uns übrigens hinzuzufügen, daß das Unwohlsein des Meister Antifer bald vorüberging. Ehe der »Steersman« noch das Cap Ortegal an der Nordwestspitze Spaniens passierte und als er noch im Golfe de Gascogne, der vom Wogenschwall aus dem Atlantischen Ocean immer gehörig gepeitscht wird, dahinschwankte, hatte der Malouin seinen sichern Tritt und seinen Theerjackenmagen bereits wiedergewonnen. Es war ihm nur ergangen, wie es so vielen Seeleuten zu ergehen pflegt, die längere Zeit nicht auf's Wasser hinausgekommen sind. In seinem Stolze fühlte er sich darum nicht weniger gedemüthigt, wenn er bedachte, daß dieser Führer der »Charmante Amélie«, der Kapitän eines Flußkahns, ganz unversehrt geblieben war, während sich ihm alle Eingeweide umgewendet hatten. Die Nacht wurde recht peinlich, während der »Steersman« bei hohem Seegang seinen Weg längs der Buchten von Corunna und Ferrol fortsetzte. Der Kapitän Cip wollte sogar schon einen Hafen anlaufen und hätte das wohl auch gethan, wenn ihn Meister Antifer nicht davon abhielt. Ein irgend längerer Aufenthalt machte ihn besorgt wegen des Packetboots über Suez, das nur monatlich einmal den Persischen Golf berührt.

Jetzt, zur Zeit der Frühlingssonnenwende, mußte man sich allemal und überall auf schlechtes Wetter gefaßt machen. So erschien es also richtiger, keinen Nothhafen anzulaufen, so lange eine wirkliche Gefahr nicht vorlag.

Der »Steersman« steuerte in sichrer Entfernung von den Klippen der spanischen Küste dahin. Er ließ die Bai von Vigo und die drei Zuckerhüte, die deren Eingang bezeichnen, auf Backbord liegen, ebenso die malerischen Küsten von Portugal. Am nächsten Morgen peilte man auf Steuerbord die Berlengainseln, die nur zum Aufstellen von Leuchtthürmen gemacht zu sein scheinen und die den Schiffen, die aus hoher See kommen, die gefährliche Nähe des Landes anzeigen.

Es liegt auf der Hand, daß während der langen Mußestunden meist nur von der großen Angelegenheit, von dieser außergewöhnlichen Reise und von ihren bestimmten Ergebnissen die Rede war. Meister Antifer hatte seine ganze moralische und physische Würde wiedergewonnen. Mit gespreizten Beinen, den Horizont nachlässig musternd, schritt er festen Ganges einher und suchte höchstens auf dem Gesicht des Frachtschiffers ein Zeichen von Uebelbefinden zu entdecken, das sich doch nimmermehr einstellen wollte.

Da rief er ihm die Worte zu:

»Nun, wie findest Du denn den Ocean?

– O, sehr viel Wasser, lieber Freund.

– Ja, freilich etwas mehr als in Deiner Rance! ...

– Gewiß, deshalb ist ein Fluß, der auch seinen Nutzen hat, doch nicht zu unterschätzen ...

– Ich unterschätze ihn nicht, Frachtschiffer ... ich verachte ihn ...

– Lieber Onkel, fiel da Juhel ein, man darf niemand verachten, und ein Fluß kann ja auch seinen Werth haben ...

– Genau soviel wie ein Eiland!« fügte Gildas Tregomain hinzu.

Da spitzte Meister Antifer die Ohren, denn dieses Wort hatte seine schwache Stelle getroffen.

»Gewiß, rief er, es giebt aber Eilande, die unter solche ersten Ranges zu rechnen sind ... zum Beispiel das meinige!«

Dieses Fürwort deutete die Arbeit an, die sich im Gehirn des Bretonen vollzogen hatte – ein besitzanzeigendes Fürwort, wenn es überhaupt eines gab. Jenes Eiland im Golfe von Oman gehörte ihm ja nach Erbrecht an.

»Doch, da von meinem Eiland die Rede ist, sag' einmal, Juhel, beobachtest Du denn auch alle Tage den Gang Deines Chronometers? ...

– Selbstverständlich, lieber Onkel; ich habe wirklich kaum je ein so vorzügliches Instrument gesehen.

– Und Deinen Sextanten?

– Seien Sie überzeugt, daß er dem Chronometer die Wage hält.

– Gott sei Dank, sie haben auch Geld genug gekostet.

– Wenn sie hundert Millionen einbringen sollen, ließ Gildas Tregomain sich vernehmen, da braucht man den Preis nicht so genau anzusehen.

– Ganz recht, Frachtschiffer!«

Das war auch in der That nicht geschehen, der Chronometer war im Atelier von Breguet gefertigt – mit welcher Sorgfalt, bedarf keiner weiteren Erwähnung. Der Sextant erwies sich des Chronometers würdig und lieferte in geschickter Hand Winkelangaben bis auf weniger als eine Secunde. Was die Handhabung aber betraf, so konnte man sich schon auf den jungen Kapitän verlassen. Mit Hilfe dieser beiden Instrumente ließ sich die Lage der Insel also mit absoluter Genauigkeit bestimmen.

Neben diesem guten Zutrauen des Meister Antifer und seiner Gefährten auf ihre Meßinstrumente, hegten sie doch ein nur zu begründetes Mißtrauen gegen Ben Omar, den Testamentsvollstrecker Kamylk-Paschas. Davon sprachen sie sehr häufig und eines Tages sagte der Onkel zu seinem Neffen:

»Er gefällt mir nicht im geringsten, dieser Omar, und ich werde ein scharfes Auge auf ihn haben!

– Pah, wer weiß, ob wir ihn überhaupt in Suez wiederfinden, meinte der Frachtschiffer zweifelnd.

– Das wäre! rief Meister Antifer. Der erwartete uns doch wochen- und monatelang, wenn's sein müßte! ... War der Spitzbube nicht nach Saint Malo einzig aus dem Grunde gekommen, mir meine Breite abzuluchsen?

– Sie haben ganz recht, lieber Onkel, stimmte Juhel zu. Der ägyptische Federfuchser muß gut beobachtet werden. Meiner Ansicht nach ist er nicht viel Werth, und ich gestehe, daß mir sein Schreiber Nazim auch nicht mehr Werth erscheint.

– Ich denke wie Du, Juhel, ließ der Frachtschiffer sich vernehmen. Jener Nazim sieht mir ebensoviel wie ein Schreiber aus, als ich selbst das Aussehen ...

– Eines Theaterneulings habe! sagte Pierre-Servan-Malo, der seinen Kiesel im Munde umherrollte. Nein, genannter Schreiber sieht nicht so aus, als könne er Acten verfassen. Nun, in Aegypten ists ja nicht so sehr zu verwundern, wenn solche Federhelden das Aussehen von Beys mit Sporen und Schnurrbart haben! ... Ein Unglück ist nur, daß er nicht französisch spricht ... Man hätte ihn vielleicht aushorchen können ...

– Ihn aushorchen, bester Onkel? Wenn Sie vom Principal nicht viel herausgebracht haben, dann glauben Sie mir, wäre das beim Schreiber noch weniger möglich gewesen. Ich meine, Sie sollten sich lieber jenes Saouk's erinnern ...

– Welches Saouk's? ...

– Jenes Sohnes Murad's, des Vetters von Kamylk-Pascha, jenes Mannes, der zu Ihren Gunsten enterbt wurde ...

– Nun, wenn der sich uns quer in den Wind legte, würd' ich ihm schon einen Cours geradeaus anweisen! Ist denn an dem Testamente noch zu deuteln? ... Was will er also von uns, jener Abkömmling von Paschas, denen ich mich verpflichte, alle Roßschweife abzukaufen? ...

– Und doch, lieber Onkel ...

– Ach was, ich kümmere mich um ihn ebensowenig, wie um Ben Omar, und wenn dieser Contractfabrikant krumme Wege einschlägt ...

– Nimm Dich in Acht, lieber Freund! ermahnte ihn Gildas Tregomain, von dem Notar kannst Du nicht loskommen ... Er hat das Recht, sogar die Pflicht, Dich bei Deinen Nachsuchungen zu begleiten ... Dir nach dem Eilande zu folgen ...

– Nach meinem Eilande, Frachtschiffer! ...

– Ja doch ... also nach Deinem Eiland! Das Testament enthält ausdrücklich diese Bestimmung, und da ihm eine Provision von einem Procent, das heißt einer Million Francs zusteht ...

– Eine Million Fußtritte soll er bekommen!« rief der Malouin, dessen Reizbarkeit bei dem Gedanken an die hohe Belohnung, die Ben Omar erhalten sollte, wach gerufen wurde.

Das Gespräch wurde hier durch ein betäubendes Pfeifen unterbrochen. Der »Steersman«, der sich dem Lande stark genähert hatte, glitt eben zwischen der Spitze des Cap Saint Vincent und dem Felsen hin, der sich von diesem nach der Seeseite zu erhob.

Der Kapitän Cip unterließ es niemals, dem auf dem hohen Ufer liegenden Kloster einen Gruß zu entsenden, den der Prior durch seinen väterlichen Segen erwiderte. Einige alte Mönche erschienen auf einer Art Söller, und reichlich gesegnet umschiffte der Dampfer die äußerste Spitze, um nach Südosten zu steuern.

Während der Nacht und längs der Küste hin erkannte man das Leuchtfeuer von Cadiz und kam durch die Bai von Trafalgar. Weiter dampfte der »Steersman« im Süden des Leuchtthurms von Cap Spartel vorüber, ließ die schönen Hügel von Tanger mit ihren hübschen weißen Landhäusern auf Steuerbord, und die terassenförmigen Abhänge hinter Tarifa auf Backbord liegen, während er in die Meerenge von Gibraltar einfuhr.

Von hier aus dampfte der Kapitän Cip, unterstützt durch die Strömung im Mittelmeere, schneller vorwärts, wobei er sich der Küste von Marokko näherte. Da kam Ceuta, ein in den Felsen gesprengtes spanisches Gibraltar, in Sicht; dann wurde ein Cours nach Südosten eingehalten und man ließ schon vierundzwanzig Stunden später die Insel Alboran hinter sich.

Eine herrliche Fahrt, deren Reize die Passagiere ruhig genießen konnten, während das Schiff sie längs der afrikanischen Küste hintrug. Es giebt kaum etwas Malerischeres als dieses Panorama mit seinen schön geformten Bergen im Hintergrunde, den vielfachen Einschnitten des Ufers und den Hafenstädten, die, von keinem Winter belästigt, plötzlich hinter hohen Küstenfelsen in grüner Umrahmung auftauchen. Leider ist es nie historisch festgestellt worden, ob der Frachtschiffer diese Naturschönheiten auch nach Gebühr würdigte und sie in seiner Erinnerung die Reize der geliebten Rance zwischen Dinard und Dinan aufwogen. Das Gleiche gilt davon, als er das von seinem mit einem Fort bedeckten Spitzberge beherrschte Oran erblickte, als er das auf seiner Casbah amphitheatralisch aufgebaute Algier sah, oder das in großartigen Felsenmassen halb verlorene Bougie, Philippeville, das halb moderne, halb antike Bona, das tief hinten in seinem Golfe liegt.

Etwa gegenüber La Calle entfernte sich dann der »Steersman« mehr vom Lande und schlug die Richtung nach dem Cap Bona ein. Am Abend des 5. März hoben sich die Höhen von Karthago kurze Zeit von einem reinweißen Himmel ab, als die Sonne in einem Dunstschleier versank. Noch während der Nacht gelangte der Dampfer dann nach Umschiffung des Cap Bona in den östlichen Theil des Mittelmeeres, das sich bis zu den Hafenplätzen der Levante hinzieht.

Das Wetter hielt sich recht günstig. Zuweilen gab es eine mäßige Böe, dazu aber wölbte sich der schönste Himmel über den Reisenden. So bekamen sie die Insel Pantellaria in Sicht, vorzüglich den spitzen Gipfel, einen ehemaligen Vulcan, der recht wohl eines Tages wieder thätig werden könnte. Der Untergrund dieses Theiles des Meeres ist übrigens vom Cap Bona an bis tief hinten im griechischen Archipel vulcanischer Natur. Hier sind Inseln wie Santorin und viele andre aufgestiegen, die vielleicht einst selbst einen neuen Archipel bilden.

Juhel hatte gewiß ganz recht, als er zu seinem Onkel sagte:

»Es ist wirklich ein Glück, daß Kamylk-Pascha nicht ein Eiland in dieser Gegend gewählt hat, um seine Schätze zu verbergen.

– Ja, das ist ein Glück ... ein großes Glück!« stimmte Meister Antifer ein.

Sein Gesicht wurde schon ganz bleich bei dem Gedanken, daß sein Eiland hätte aus einem Meer emporsteigen können, das immerfort durch unterirdische Gewalten beunruhigt wurde. Glücklicher Weise ist der Golf von Oman gegen Störungen dieser Art gesichert, kennt derartige Erschütterungen nicht, und die Insel lag gewiß noch an derselben Stelle, die ihre geographischen Coordinaten ergeben.

Nachdem der »Steersman« an den Inseln Gozzo und Malta vorübergekommen war, wandte er sich geraden Wegs der ägyptischen Küste zu.

Der Kapitän Cip bekam Alexandrien in Sicht. Hierauf steuerte er an dem Netze der Nilmündungen, einer Art Fächer zwischen Rosette und Damiette, vorbei, und wurde am Morgen des 7. März noch vor Port-Said nach dem Lande gemeldet.

Der Suezcanal war jener Zeit noch im Bau, er wurde ja erst 1869 eröffnet. Der Dampfer mußte also in Port-Said anhalten. Hier sind unter französischem Antrieb französische Häuser, Hütten mit spitzen Dächern, phantastische Villen längs eines schmalen Landstreifens emporgewachsen, der sich zwischen dem Meere, dem Canal und dem Menzalehsee hinzieht. Das ausgegrabne Erdreich diente zur Ausfüllung eines Theiles des hiesigen Sumpflandes, und die dadurch gewonnene Ebene trägt jetzt die Stadt, der es weder an einer Kirche, noch an einem Krankenhause oder an Werften fehlt. Malerische Bauwerke erheben sich mit der Front nach dem Mittelländischen Meere zu und der benachbarte See ist mit grünen Eilanden besäet, zwischen denen Fischerboote umhergleiten. Eine Art Rhede von zweihundertdreißig Hektar Oberfläche wird von zwei Dämmen geschützt, deren einer, der westliche, einen Leuchtthurm hat und eine Länge von dreitausendfünfhundert Metern aufweist, während der andre, der östliche, siebenhundert Meter kürzer ist.

Meister Antifer und seine Freunde nahmen vom Kapitän Cip Abschied, dankten ihm aufrichtig für die gute Aufnahme, die sie auf seinem Schiffe gefunden hatten, und am nächsten Morgen schon begaben sie sich nach der Eisenbahn, die damals die Verbindung zwischen Port-Said und Suez herstellte.

Wäre der Canal jener Zeit schon vollendet gewesen, so hätte sich Juhel gewiß für die Fahrt durch denselben entschieden und Gildas Tregomain konnte sich zwischen den Ufergeländen der Rance glauben, obwohl die Bitterseen und die Ismailas weniger bretonisch als Dinan und mehr orientalisch als Dinard sind.

Und Meister Antifer? ... Der hätte nicht daran gedacht, diese Wunder anzuschauen, nein, weder die der Natur, noch die der Menschenhand, für ihn gab's ja auf der Erde nur einen einzigen Punkt, das Eiland des Golfes von Oman, sein Eiland, das wie ein glänzender Metallknopf sein ganzes Wesen hypnotisierte.

Er würde auch nichts von Suez sehen, der Stadt, die jetzt so viel genannt wird; sehr deutlich bemerkte er aber beim Verlassen des Bahnhofs zwei Männer, von denen der eine sich in höflichsten Grüßen überbot, während der andre seine orientalische Würde vollständig bewahrte.

Das waren Ben Omar und Nazim.


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