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Das Liebeszeichen

Schatz, ich lie – a – iebe dich,
Laß dein Herz erweichen,
O erhö – ho – höre mich,
Gib mir flink ein Zeichen! …

sang Resca und zupfte dazu die Guitarre, wobei er den Mund weit aufriß und die Augenbrauen in die Höhe zog. Kaum war das kurze Nachspiel auf der Guitarre zu Ende, brach ein langes Beifallklatschen an der Ecke des Piano dell'Orbo aus. Die Freunde, die Guitarre über die Schulter gehängt, versammelten sich rings um Resca und plauderten mit gedämpfter Stimme vor der Türe Concettinas, der Obstfrau. Da sich die Tür nicht öffnete, sagte Resca: »Wahrscheinlich schlaft die Alte noch nicht. Gute Nacht, meine Herren.«

In diesem Augenblick löste sich vom Torbogen des Karmeliterklosters ein Schatten los, leise, leise, und ein Mann trat nun an die jungen Leute heran und sagte im Tone ausgesuchtester Höflichkeit: »Bravo, meine Herren! Schöne Stimmen und gute Instrumente!«

Resca maß den Unbekannten: ein unansehnliches Männchen, mit unrasiertem Gesicht und einem großen Schlapphut auf dem Kopf, der ihm bis über die Ohren ging. Er warf das Band der Guitarre über die Schulter und erwiderte sehr trocken: »Besten Dank!«

»Nun müßt ihr mir eine Gefälligkeit tun, meine Herren,« sagte der andere. »Ihr müßt meiner Geliebten, die hier nebenan wohnt, noch ein Lied singen.«

Die Freunde, die sahen, welche Wendung das Gespräch nahm, kamen nun ganz nahe und machten sehr ernste Mienen.

Resca, der wahrlich keine Lust hatte, zu so später Stunde Händel anzufangen, sah dem Unbekannten unter der Straßenlaterne scharf in die Augen und sagte, jedes Wort betonend: »Entschuldigen Sie, lieber Freund. Es ist spät und wir wollen heimgehen.«

Der andere aber ließ sich nicht einschüchtern und beharrte auf seiner Aufforderung: »Nur ein kurzes Liedchen, zwei Schritte von hier.«

Resca schob seine Mütze tief ins Gesicht und fragte halblaut, mit seltsamer Stimme: »Soll das etwa eine Drohung sein? Was?«

»Ihr seid euer Fünf … Schöne Drohung das!«

»Dann lassen Sie uns gefälligst in Frieden.«

»Das ist eine Ungezogenheit, das muß ich schon sagen.«

Resca trat einen Schritt zurück und packte rasch die Guitarre am Griffbrett. Aber er hielt sich zurück und sagte ruhig: »Ich sage Ihnen, Sie sollen mich meines Weges gehen lassen.«

»Und ich wiederhole Ihnen, daß das eine Ungezogenheit ist,« erwiderte der andere mit eisiger Kälte, die Hände in den Taschen.

»Beim Blute –«

Die Gruppe löste sich im Nu auf, und man sah Messer blitzen. Das Männchen hatte einen Sprung nach hinten gemacht; es stand jetzt mit dem Rücken gegen die Wand und rief aus: »Sßt! beim Blute –! Die Polizei!«

In der Nähe war das Balkengerüst eines Neubaues, und augenblicklich verschwanden die Messer hinter dem Bretterverschlag.

Die Streifwache näherte sich mit regelmäßigen Schritten und nahm die Gruppe ins Auge.

»Wir sind Freunde,« sagte das Männchen, »und haben unseren Schätzchen hier nebenan ein Ständchen gebracht.«

»Habt ihr den Erlaubnisschein?«

»Bitte, da ist er,« antwortete Resca.

In diesem Augenblicke schlug die Kirchturmuhr Eins, und von ferne her ertönte der rüde Gesang eines Betrunkenen, der längs der Gaslaternen im Zickzack näher kam.

»Der da singt sicher ohne Erlaubnisschein,« meinte scherzhaft einer von der Gruppe.

»Ruhe!« gebot der Karabinieri-Offizier; »sonst lasse ich euch untersuchen!«

Das Männchen, das ein Liedchen für die Geliebte verlangt hatte, sah ihn schweigend an, wie er sich mit der Patrouille entfernte; dann spuckte er ihm nach: »Pfui, Spitzel!«

»Hören Sie, lieber Freund,« hub Resca von neuem an, »hier paßt es mir nicht, Lärm zu schlagen, ich habe meine guten Gründe. Aber wenn Sie dort unter den Torbogen kommen wollen, steh' ich Ihnen sofort zu Diensten.«

»Nein. Ich habe soeben gesehen, daß Sie ein Mann sind, und das genügt mir. Über mich wird Ihnen ein jeder, der mich kennt, Auskunft geben: ich weiß, was sich gehört. Ich heiße Giovanni Mendola.«

»Wenn dem so ist, Herr Giovanni, so will ich Ihnen das Lied singen, und müßten wir selbst eine Meile weit marschieren.«

»Schönsten Dank!« sagte Mendola. »Aber jetzt brauch' ich das Lied nicht mehr. Es genügt mir, Ihren guten Willen gesehen zu haben.«

Und da jeder von ihnen nach vielen Händedrücken seines Weges ging, zog Mendola den Resca beiseite.

»Verzeihen Sie! Auf ein Wort … Ich wollte bloß … wie ist Ihr Name?«

»Giuseppe Resca, zu dienen,« antwortete er. »Man nennt mich auch den ›Blonden‹!«

»Ich wollte der Frau Concettina, die jetzt Ihre Geliebte ist und hinter der Tür lauscht, bloß beweisen, Herr Giuseppe, daß man die Männer nicht geringschätzig beurteilen darf … Und daß ich, wenn ich auch klein von Wuchs bin, doch ein großes Herz habe … Aber ich sehe, daß Sie ein Ehrenmann sind, und ich will nicht, daß Ihre Leute oder meine Leute Unglück ins Haus bekommen wegen so einer gemeinen Weibsperson, die, bei Gott, nicht mehr wert ist als der da!«

Und mit diesen Worten schleuderte er verächtlich seinen Schlapphut zu Boden und spuckte darauf.

Da wurde plötzlich das Fensterchen der Obstfrau weit aufgerissen, und eine Flut von Schmähworten brach über das Männchen herein.

»Taugenichts! Häßlicher Zwerg! Lump! Ekel!«

»Lassen Sie sie reden, Herr Giuseppe,« antwortete Mendola ruhig und nahm Resca, der sich nicht sträubte, am Arme. »Lassen Sie Frau Concettina reden; sie ist jetzt in der Wut und erinnert sich eben nicht mehr, daß sie mir damals nicht mit Schimpfworten entgegenkam, wenn ich sie nachts besuchte, als der Grosso, ihr Mann, Gott hab' ihn selig, noch am Leben war, und daß sie mir hier an dieser nämlichen Stelle, wo wir jetzt stehen, süße Worte zuflüsterte.«

»Schweig, infamer Lügner!«

»Warum denn? Ich rede ja bloß die Wahrheit. Und dein jetziger Liebhaber, der hier anwesend ist, siehst du, glaubt mir mehr als dir …«

»Genug jetzt!« unterbrach ihn Resca. »Beim Blute … genug!«

»Sie haben recht. Sprechen wir nicht weiter darüber,« sagte Mendola. Und ohne auf Frau Concettina zu hören, die ihn mit Flüchen überhäufte, fügte er hinzu: »Gute Nacht und auf Wiedersehen, Herr Giuseppe. Hat mich sehr gefreut, Sie kennen zu lernen. Und nehmen Sie mir nichts für ungut. Nicht wahr?«

»Warten Sie. Ich gehe mit.«

»Ah, ich verstehe. Auch ich hätte mich, zu meiner Zeit, für die da umbringen lassen, wenn sie es von mir verlangt haben würde. Aber wozu das Geschwätz? Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Herr Giuseppe. wo und wann Sie wollen.«

»Morgen.«

»Schön. Um welche Stunde? Und wo paßt es Ihnen am besten?«

»Kennen Sie den Pizzolato, den Hadernhändler in Vico Stretto?«

»Wer kennt den nicht? Der große Laden im Cortile del Sole?«

»Ganz richtig. Der große Laden im Cortile del Sole. Kommen Sie um zwölf Uhr mittags hin ich werde auch dort sein, Herr Giovanni.«

Das Männchen ging behäbig seines Weges, und der »Blonde« kehrte zum Obstladen der Witwe zurück. Es war stockfinster, und Tor und Fenster waren geschlossen. Die Geliebte schmollte …

Er kam am nächsten Tage wieder, vor 12 Uhr mittags, und traf Frau Concettina an, die sich gerade hinten im Laden kämmte, eine Beschäftigung, zu der sie gewöhnlich eine volle Stunde brauchte, so lange, bis ihr welliges langes Haar vor dem Spiegel ganz in Ordnung gebracht war.

»Nun, was ist denn, Frau Concettina? Wollen die schönen Haare heute nicht parieren?« begann Resca nach einigem Zögern.

»Das also ist die große Liebe, die Sie für mich haben? Mit allen den Leuten zu verkehren, die mir übel wollen?« sagte sie, ohne sich nach ihm umzukehren.

»Der, von dem Sie sprechen, den traf ich gestern durch Zufall auf der Straße, und nicht ich habe ihn angesprochen, sondern er mich. Und ich bin gekommen, um dich zu fragen, was du mir zu sagen hast, jetzt, wo du allein im Laden bist.«

»Ich wüßte nicht, was ich Ihnen sagen soll. Den Menschen kenne ich nicht, und ich schwöre Ihnen, daß ich von ihm und allen Lügen, die er zu erfinden gewagt hat, nichts weiß. Ich bin bereit, einen Eid darauf abzulegen vor der Madonna delle Quarant' Ore!«

»Gut,« sagte Resca und erhob sich. »Gut. Leb wohl.«

Mendola erwartete ihn im Cortile del Sole und sprach leise mit dem Hadernhändler, einem bartlosen, großen, dicken Mann, der wie ein Bauchredner sprach. Sie drückten einander die Hand, und der Hadernmann ließ sie miteinander reden und eilte ins Magazin, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen.

Giovanni Mendola war glattrasiert und hatte sein Sonntagsgewand angezogen. Am Tage sah er noch schmächtiger und kleiner aus mit seinem Hühnerkopf und dem eigentümlichen Augenblinzeln, das einen immerwährend glauben ließ, er erzähle lustige Schnurren; und wenn er mit den Weibern sprach, mußten sich diese wie gekitzelt fühlen.

»Hören Sie,« sagte er zum ›Blonden‹; »bei Gott, es tut mir leid. Manchmal gibt ein Wort das andere, und man weiß nicht, was daraus entsteht. Ich hätte besser getan, zu schweigen, da Sie sich der Frau Concettina so warm annehmen. Umsomehr, als es wirklich nicht der Mühe lohnt, sich ihrethalben umzubringen.«

»Ich weiß es. Ich bin bloß gekommen, um meine Pflicht zu tun.«

»Weiber!« fügte Mendola hinzu. »Ein Narr, wer sich mit ihnen einläßt!«

Der Hadernmann erschien an der Magazintür und sagte, er wäre bereit.

»Hören Sie nur noch das eine, Herr Giuseppe, wenn Sie ihr ein für allemal den Mund schließen und sie los sein wollen, dann sagen Sie ihr, Sie wüßten von einem gewissen Zeichen, das ihr der Mendola hinterlassen hat. Weiter hab' ich nichts zu sagen.«

»Pßt!« unterbrach ihn der Hadernmann. »Jetzt heißt es: ruhig Blut!«

Die Gehilfen, die damit beschäftigt waren, die Hadern zu sortieren, zogen sich, einer nach dem andern, schleunigst zurück, nachdem ihr Chef mit einem Stocke gedroht hatte. Während Mendola, der ›Blonde‹ und zwei ihrer Freunde ins Magazin eintraten, blickte der Hadernhändler hinein, sagte: »Hier finden Sie alles,« schloß die Tür und entfernte sich.

Es folgten einige Augenblicke vollkommener Stille, dann ein anhaltendes Stampfen im Magazin, dann Sprünge auf dem Fußboden, und kurze, scharfe Ausrufe. – – Endlich steckte einer der Freunde den Kopf hinaus.

»Alle beide!« antwortete er auf einen fragenden Blick des Hadernmannes.

»Seht ihr auf eure Arbeit, ihr dort!« rief er den Gehilfen zu, die neugierig die Köpfe hoben.

Als erster kam Mendola heraus, ganz geknickt, mit wachsbleichem Gesicht; und dann kam der ›Blonde‹, ebenfalls totenbleich, geführt von zwei Freunden, die ihn mühsam aufrechthielten.

»Ist alles in Ordnung?« fragte sie der Hadernmann.

»Ja, Herr, bei beiden. Gefahr ist keine.«

»Ihr dort, arbeitet ruhig weiter!« gebot der Hadernhändler mit krächzender Stimme den Gehilfen. »Und für alle Fälle: Ihr habt nichts gesehen und wißt von nichts.«

* * *

Im Spital wollte man vom ›Blonden‹ eine Menge Dinge erfahren; wer es gewesen sei, wie und wann. Mendola ließ sich, um diese lästigen Fragen zu vermeiden, heimlich in einem kleinen Stübchen von Freunden kurieren. Aber auch der ›Blonde‹ hatte einen harten Schädel und er verriet nicht mit einer Silbe, was sich zugetragen. »Es war ein Zufall. Ich arbeitete als Sattler. Ich hielt den Pfriem so … Schön, schön, steckt mich ins Gefängnis, aber ich kann nichts anderes sagen.« Der Untersuchungsrichter und die Polizei waren machtlos; sie brachten nichts aus ihm heraus.

Als Frau Concettina ihre alte Magd schickte, um zu sehen, wie es um den ›Blonden‹ stünde, wiederholte er dasselbe, ohne sich umzuwenden. »Es geht mir ganz gut. Es war ein Zufall, nicht der Rede wert. Grüßen Sie mir die Frau.«

Doch kaum hatte er das Spital verlassen, ging er, obgleich noch schwach und bleich, die Obstfrau aufsuchen.

»Heilige Jungfrau! Ich bin beinahe gestorben vor Angst um Sie!« sagte sie. »Wie geht es Ihnen jetzt?«

»Mir geht es gut,« antwortete er. »Und ich bin eigens jetzt gekommen, wo niemand im Laden ist, um mit dir allein zu reden.«

»O mein Gott! Sie werden doch nicht wieder mit den alten Dingen anfangen? Was hat man Ihnen von mir gesagt? Sprechen Sie deutlich.«

»Und wenn ich deutlich spreche, wirst du dann deutlich antworten?«

»Ja, bei allen Heiligen!«

»Du, sieh dich vor; deine Augen strafen deine Worte Lügen, Concettina! Was hast du mit Giovanni Mendola gehabt?«

»Ich? Nichts hab' ich mit ihm gehabt! Er kam öfters hieher, Nüsse und Äpfel kaufen. Es kommen ja so viele Leute. Es geht ja zu in dem Laden … Ich bitte dich, Peppino, sieh mich nicht so an! Wenn du mir nicht glauben willst, werde ich die Nachbarn als Zeugen rufen … Ich gehe gleich, sie rufen …«

»Nein! Laß die Nachbarn in Ruhe. Sag mir, was es zwischen euch beiden gegeben hat. Wenn du seine Geliebte warst, so lange der Grosso, dein seliger Mann, noch am Leben war, warum hast du mir gegenüber die Spröde gespielt, jetzt, wo du Witwe bist?«

»Bist du gekommen, mich zu beschimpfen? Nun gut, da du noch immer dem Menschen glaubst und mich im Verdacht hast … gut, dann will auch ich nichts mehr von dir wissen, und ich will dich weder als Liebhaber noch als Mann! … Und jetzt laß mich gehen …«

»Nein, geh nicht fort! Du hast von dem Andern, weil er dich geliebt hat, ein Zeichen davongetragen, das verborgen ist und das niemand sehen kann. Auch ich will dir ein Zeichen lassen, aber im Gesicht, damit alle Leute sehen können, daß auch ich dich geliebt habe!«

Er trug in seiner Tasche eine scharfgeschliffene Kupfermünze, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt wie eine Zuckernuß, und wo er mit dieser Münze hintraf, da blieb ein Zeichen fürs ganze Leben.

»Hilfe! Mörder!« kreischte das Weib auf und stürzte sich, blind vor Wut, auf ihn, während ihr das dicke Blut die Wange herunterlief. Der ›Blonde‹ kreideweiß im Gesicht, stammelte, während die Nachbarn ihn festhielten: »Jetzt geh' ich zufrieden ins Zuchthaus!«


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