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Briefe an E. Bernard.

Ich glaube immer noch, dass man in den Ateliers so gut wie nichts von Malerei und auch nichts vom Leben lernt und dass man sich darauf einrichten muss, leben und malen zu lernen ohne zu den alten Mätzchen und Witzen seine Zuflucht zu nehmen.

Wenn man mit einem Maler auf gespanntem Fusse steht und darum sagt: Wenn so ein Kerl mit mir zusammen ausstellen soll, so ziehe ich meine Bilder zurück – und ihn dann schlecht macht, so scheint mir das nicht so gehandelt wie sich's gehört, denn bevor man so kategorisch urteilt, sollte man doch genau hinsehen und nachdenken. Bei einiger Ueberlegung fände man wohl – gerade wenn es sich um einen Feind handelt – an seinen eigenen Arbeiten nicht weniger auszusetzen, als an denen des Anderen? Der hat ja ganz ebensoviel Daseinsberechtigung wie wir. Wenn man bedenkt, dass der oder jener – mögen sie Pointillisten sein oder eine andere Richtung haben – auch manchmal etwas Gutes leistet, so müsste man, statt sie herunter zu reissen, gerade wenn es sich um einen Feind handelt, mit Achtung und Sympathie von ihnen sprechen. Sonst wird man zu engherzig und ist nicht besser als jene, die keinen anderen gelten lassen und sich für die einzig Auserwählten halten. Das muss man selbst auf die Akademiker ausdehnen, denn nimmt man z. B. ein Bild von Fantin-Latour oder gar sein ganzes Lebenswerk! Der ist ja allerdings kein Neuerer und hat doch etwas Ruhiges und Sicheres, das ihn in die Reihe der unabhängigsten Charaktere stellt.

*

Mein lieber Bernard! Da ich versprochen hatte Dir zu schreiben, will ich gleich damit anfangen Dir zu sagen, dass das Land hier mir eben so schön wie Japan zu sein scheint durch die Klarheit der Luft und seine heiteren Farbeneffekte. Das Wasser steht in der Landschaft als Fleck von schönstem Smaragd oder reichem Blau, von der Farbe, wie wir sie aus Kreppstoffen kennen. Blasse Sonnenuntergänge lassen den Erdboden blau erscheinen. Prachtvoll gelbe Sonne! Und ich habe noch nicht einmal das Land in seiner gewöhnlichen Sommerherrlichkeit gesehen. Die Tracht der Frauen ist hübsch und Sonntags besonders sieht man auf dem Boulevard sehr naive und überraschende Farbenzusammenstellungen. Und zweifellos wird das im Sommer auch noch lustiger. Ich bedaure nur, dass das Leben hier nicht so billig ist wie ich es gehofft hatte und bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, mich so billig einzurichten, wie man es in Pont-Aven kann. Anfänglich habe ich fünf Francs bezahlt und jetzt bin ich bei vier Francs täglich. Man müsste den hiesigen Dialekt sprechen und man müsste Bouillabaisse und Aioli essen können, dann liesse sich sicherlich eine nicht kostspielige Pension in Arles finden. Wenn die Japaner in ihrem Lande nicht vorwärtskommen, setzt sich ihre Kunst zweifellos in Frankreich fort. – Am Anfang dieses Briefes schicke ich Dir eine kleine Skizze zu einer Studie, die mich beschäftigt und aus der ich etwas machen möchte – Matrosen, die mit ihrer Liebsten der Stadt zugehen, die sich mit ihrer Zugbrücke in merkwürdiger Silhouette von der riesigen gelben Sonnenscheibe abhebt. Ich habe noch eine andere Studie derselben Zugbrücke mit einer Gruppe Wäscherinnen gemacht.

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Ich habe ein Haus gemietet, aussen gelb gestrichen, innen ganz geweisst, in vollster Sonne.

Ich habe folgendes Stillleben gemalt: eine Kaffeekanne aus blauer Emaille, eine tiefblaue Tasse mit Untertasse, einen Milchtopf, blasskobalt und weiss gewürfelt, eine Vase mit orange und blauen Mustern auf weissem Grunde, einen blauen Majolikatopf mit rosa Blumen und grünbraunen Blättern, das Ganze auf einem blauen Tischtuch gegen einen gelben Hintergrund. Zu diesen Gefässen zwei Apfelsinen und drei Citronen. Das giebt eine Symphonie von blauen Tönen, belebt durch eine Skala von Gelb bis zum Orange. Dann habe ich noch ein Stillleben: Citronen in einem Korbe auf gelbem Hintergrunde. Ausserdem eine Ansicht von Arles: Von der Stadt selbst sieht man nur einige rote Dächer und einen Turm, das Uebrige steckt im Grünen (Feigenbäume), alles ganz im Hintergrunde, darüber ein schmaler Streifen blauer Himmel. Die Stadt ist von vielen Wiesen umgeben, die mit Löwenzahn übersät sind, ein gelbes Meer. Diese Wiesen werden, ganz vorn, durch einen Graben abgeschnitten, der ganz mit violetter Iris gefüllt ist. Während ich daran malte, wurde gerade das Gras gemäht, daher ist es nur eine Studie und kein fertiges Bild, wie ich es beabsichtigt hatte. Aber was für ein Motiv, wie! Ein Meer von gelben Blumen, mit der Barre von violetter Iris, und im Hintergrunde die kokette, kleine Stadt mit ihren schönen Frauen!

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Eine technische Frage – sage mir doch mal Deine Ansicht. – Schwarz und Weiss, so wie wir sie im Laden bekommen, will ich kühn auf die Palette setzen und sie benutzen wie sie sind. Wenn ich (Du musst aber daran denken, dass ich von der japanischen Vereinfachung der Farbe spreche) in einem grünen Park mit rosigen Wegen einen Herrn sehe, ganz schwarz angezogen, nimm mal an einen Friedensrichter, der den Intransigeant liest, über ihm der Himmel in reinstem Kobalt, warum in aller Welt sollte ich nicht besagten Friedensrichter in einfachem Schwarz und den Intransigeant in einfachem, rohen Weiss malen? – denn der Japaner abstrahiert von den Reflexen und setzt flache Töne einen neben den anderen – charakteristische Striche, die naiv Bewegungen oder Formen festhalten. – In einer anderen Gedankenreihenfolge: Bei einem Farbenmotiv, das z. B. einen gelben Abendhimmel darstellt, könnte man zur Not eine grellweisse Mauer, gegen den Himmel gesetzt, mit einem krassen Weiss oder mit demselben Weiss, durch einen neutralen Ton gedämpft, malen, denn der Himmel giebt ihr eine leise lila Tönung. – In dieser so naiven Landschaft, die eine ganz geweisste Hütte darstellen soll (sogar das Dach ist geweisst), auf ein orangefarbenes Terrain gestellt (denn der südliche Himmel und das Mittelmeer rufen ein intensives Orange hervor, da die blauen Töne sehr kräftig sind), giebt die schwarze Note der Thür, der Fenster und des kleinen Kreuzes auf dem Dach einen Kontrast von Schwarz und Weiss, der dem Auge ebenso wohl thut wie der Gegensatz von Orange und Blau. –

Nach derselben Theorie hier noch ein amüsanteres Motiv: Eine Frau in einem weiss und schwarz karrierten Kleid in derselben einfachen Landschaft, blauer Himmel, orange Erdboden. Es genügt vollkommen, dass das Schwarz und das Weiss Farben sind (wenigstens können sie in vielen Fällen als solche angesehen werden), denn ihr Kontrast ist ebenso pikant, wie z. B. Grau und Rot. Die Japaner bedienen sich übrigens derselben Töne, sie drücken fabelhaft schön den matten blassen Teint eines jungen Mädchens und den pikanten Kontrast des schwarzen Haares aus durch vier Federstriche auf weissem Papier; ebenso bei ihren schwarzen Dornbüschen, die sie mit unzähligen weissen Blumen besäen.

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Endlich habe ich das mittelländische Meer gesehen und habe eine Woche in Saintes-Maries zugebracht. Um dorthin zu gelangen, bin ich mit der Post durch die Camargue gefahren, durch Weinberge, Wiesen und flaches Gelände wie in Holland. In Saintes-Maries sah ich Mädchen, die einen an Cimabue und Giotto denken liessen – gerade, dünn, ein wenig traurig und mystisch. Am Strande, der ganz flach und sandig ist, kleine grüne, rote, blaue Schiffe, in Form und Farbe so reizend, dass man dabei an Blumen denkt. Ein Mann allein führt sie, diese Barken gehen aber nicht auf hoher See; sie fahren nur bei schwachem Wind ab und kommen zurück, sowie er zu stark wird.

Ich hätte grosse Lust, auch Afrika zu sehen. Aber ich mache keine festen Pläne für die Zukunft. Alles wird von den Umständen abhängen. Was ich kennen lernen wollte, war die Wirkung eines tieferen Blau des Himmels. Fromentin und Gérôme sehen den Süden farblos, und eine Menge Leute ebenfalls. Lieber Gott, natürlich, wenn man trockenen Sand in die Hand nimmt und ihn dicht vor die Augen hält – auf die Weise angesehen, sind Wasser und Luft auch farblos. – Kein Blau ohne Gelb und ohne Orange, und wenn ihr blau malt, malt doch gelb und orange auch – hab' ich recht?

Ich befinde mich hier im Süden entschieden besser als im Norden. Ich arbeite selbst in der vollen Mittagsstunde, bei greller Sonne, ohne irgend welchen Schatten, und siehst Du, ich fühle mich behaglich wie eine Grille. Gott, warum habe ich dieses Land nicht mit 25 Jahren kennen gelernt, statt mit 35 herzukommen. In jener Epoche aber war ich für das Graue begeistert, oder vielmehr für das Farblose, ich träumte immer einen Millet, und hatte meine Freunde in dem Malerkreis Mauve, Israels etc.

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Ich habe den »Sämann« gemalt. Ach, die schönen Kalenderillustrationen, in alten Landkalendern, wo der Hagel, der Regen, der Schnee und das schöne Wetter in ganz primitiver Weise dargestellt sind, wie sie Anquetin so gut für seine »Ernte« gefunden hatte.

Ich will Dir nicht verhehlen, dass ich das Landleben nicht hasse – ich bin eben darin aufgewachsen. Plötzliche Erinnerungen von früher, das Sehnen nach jenem Unendlichen, wovon der »Sämann«, »die Garbe« Zeugen sind, entzücken mich noch wie ehedem. Wann aber werde ich den Sternenhimmel malen – jenes Bild, das mich immer beschäftigt? Ach, ach, es ist wirklich so, wie der brave Cyprian in »En ménage« von J. K. Huysmans sagt: »Die schönsten Bilder sind die, die man träumt, wenn man im Bett seine Pfeife raucht, die man aber nie malt.« – Und doch muss man an sie herangehen, wenn man sich auch noch so inkompetent fühlt gegenüber der unsäglichen Vollendung, dem siegreichen Glanz der Natur.

Hier noch eine Landschaft: Untergehende Sonne, aufgehender Mond? jedenfalls Sommerabend: eine violette Stadt, gelbes Gestirn, grünblauer Himmel, Getreide in allen Tönen: altgold, kupfer, grünes Gold, rotes Gold, gelbes Gold, gelbe Bronze, grün, rot. Ich habe es bei vollem Nordwind gemalt.

Folgendes wollte ich eigentlich über Weiss und Schwarz sagen: Nimm mal meinen »Sämann«: Das Bild ist in zwei Hälften geteilt, die obere ist gelb, die untere ist violett. Nun sieh: Die weisse Hose beruhigt und erheitert das Auge, in dem Augenblick, wo der starke, grelle Kontrast des Gelb und des Violett es irritieren könnte.

Ein Grund zu arbeiten ist, dass die Bilder bar Geld sind. Du wirst mir sagen, dass dieser Grund erstens recht prosaisch, zweitens nicht wahr ist; aber es ist doch wahr. Ein Grund nicht zu arbeiten ist, dass zunächst Leinwand und Farben viel Geld kosten. Nur Zeichnen ist billig.

Der Hauptgrund, warum ich dies Land so liebe, ist der, dass ich hier weniger die Kälte zu fürchten habe, welche die Zirkulation meines Blutes hemmt, und dadurch mich verhindert, zu denken oder irgend etwas zu thun. Du wirst das merken, wenn Du Soldat sein wirst und etwa hier in diese Gegend kommst. Deine Melancholie wird verfliegen – welche sehr leicht davon herrühren kann, dass Du zu wenig Blut hast. Das alles kommt von dem verdammten schlechten pariser Wein und dem niederträchtig schlechten Rindfleisch. Bei mir war es schon so weit gekommen, dass mein Blut nicht mehr zirkulierte, effektiv gar nicht mehr, im wahren Sinne des Wortes. Hier, ungefähr nach vier Wochen, ist es wieder in Bewegung gekommen, und, mein lieber Freund, in jener Zeit hatte ich einen Anfall von Melancholie wie Du jetzt hast, unter dem ich ebenso wie Du gelitten hätte, wenn ich ihn nicht freudig als ein Zeichen der beginnenden Heilung begrüsst hätte, die sich denn auch baldigst einstellte.

Das Symbol des heiligen Lukas, des Schutzpatrons der Maler, ist, wie Du weisst, ein Rindvieh. Man muss also geduldig wie ein Rindvieh sein, wenn man das Kunstfeld beackern will. Wie gut haben es doch die Stiere, die nichts mit der verdammten Malerei zu thun haben.

Aber folgendes wollte ich noch sagen: nach der Melancholieperiode wirst Du frischer als vorher sein. Deine Gesundheit wird sich kräftigen und Du wirst die Natur um Dich herum so schön finden, dass Du gar keinen anderen Wunsch haben wirst, als zu malen. Ich glaube, Deine Poesie wird sich auch in gleicher Weise ändern. Nach Exzentrizitäten wirst Du dahin gelangen, Sachen von ägyptischer Ruhe und grösster Einfachheit zu machen.

*

Du wirst zweifellos zugeben, dass weder Du noch ich von Velasquez oder Goya ein volles Bild haben können, was sie als Menschen und als Maler waren, denn weder Du noch ich haben Spanien, ihre Heimat, und all die schönen Bilder, die im Süden geblieben sind, gesehen, was nicht verhindert, dass das Wenige, das man kennt, schon unendlich viel ist.

Fraglos ist es von eminenter Wichtigkeit, um die Künstler des Nordens, Rembrandt an der Spitze, kennen zu lernen, ihr Land und die etwas kleinliche und intime Geschichte jener Epoche, sowie die Sitten ihres alten Vaterlandes kennen zu lernen. Ich muss es wiederholen, weder Du noch Baudelaire habt eine genügend sichere Kenntnis von Rembrandt, und was Dich anbetrifft, möchte ich Dir immer wieder Lust machen, die grossen und die kleinen Holländer recht lange anzusehen, ehe Du Dir eine feste Meinung bildest. Hierbei handelt es sich nicht nur um seltene, kostbare Steine, sondern man muss aus Kleinodien herauslesen, und wird auch manchen unechten unter den echten Diamanten finden. So würde ich, obgleich ich doch nun schon mehr als 20 Jahre die Schule meines Vaterlandes studiere, in den meisten Fällen schweigen, wenn darauf die Rede käme, so falsch wird gewöhnlich die Frage behandelt, wenn über die Maler des Nordens diskutiert wird. – So kann ich Dir nur antworten: Herr Gott, sieh sie Dir nur ein wenig besser an, es lohnt tausendmal die Mühe. – Wenn ich z. B. behaupte, dass der Ostade des Louvre, welcher die Familie des Künstlers darstellt: den Mann, die Frau und zehn Kinder – ein Bild ist, das unendlich wert ist, studiert und durchdacht zu werden – ebenso der Friede zu Münster von Terburg – wenn, in der Louvresammlung, die Bilder, die ich gerade besonders hochschätze und hervorragend finde, sehr oft von den Künstlern vergessen werden, selbst von denen, die gerade wegen der Holländer kommen, so überraschen mich diese Irrtümer nicht. Denn ich weiss, dass meine Wahl auf Spezialkenntnisse gegründet ist, die die meisten Franzosen gar nicht erlangen können.

Ich verfolge keinerlei System beim Malen, ich haue auf die Leinwand mit regellosen Strichen und lasse sie stehen. Pastositäten – unbedeckte Stellen hier und da – ganz unfertige Ecken – Uebermalungen – Brutalitäten, und das Resultat ist (ich muss es wenigstens annehmen) zu beunruhigend und verstimmend, als dass Leute, die auf Technik sehen, daran Gefallen finden können.

Wenn ich so direkt immer nach der Natur male, suche ich in der Zeichnung das Wichtige aufzufassen. Dann fülle ich die durch den Kontur begrenzten Flächen (ob sie nun geglückt sind oder nicht: empfunden sind sie jedenfalls) mit vereinfachten Tönen aus. In allem, was Terrain ist, muss derselbe violette Ton vorkommen, der ganze Himmel muss im Grunde in einem blauen Ton gehalten sein, das Laubwerk blaugrün oder gelbgrün (wobei man absichtlich das Gelb oder Blau betonen muss) – mit einem Wort, keine photographische Nachahmung, das ist die Hauptsache!

Es scheint mir immer mehr und mehr, dass die Bilder, die gemalt werden müssten, die notwendigen und unumgänglichen Bilder, wenn die Malerei die heitere Höhe der griechischen Bildhauer, der deutschen Musiker, der französischen Romanschriftsteller erreichen soll, die Kraft eines einzelnen Individuums überschreiten. Sie müssten also demnach von einer Gruppe Künstler ausgeführt werden, die sich verbinden, um eine gemeinsame Idee auszuführen. Zum Beispiel einer hat einen glänzenden Farbenauftrag und es fehlt ihm an Ideen, jener hat eine Ueberfülle von ganz neuen dramatischen oder heiteren Eingebungen, ihm fehlt aber die richtige Form sie wiederzugeben. Grund genug, um den Mangel von Corpsgeist bei den Künstlern zu beklagen, die einander kritisieren, befehden, glücklicherweise ohne einander vernichten zu können. Du findest dies alles wohl banal? Wer weiss! Aber die Sache an sich, die Möglichkeit einer Renaissance, das ist doch gewiss keine Banalität!

Es thut mir manches Mal leid, dass ich mich nicht dazu entschliessen kann, mehr zu Hause und aus dem Kopf zu arbeiten. Sicherlich ist die Phantasie eine Fähigkeit, die man entwickeln muss, denn sie allein setzt uns in Stand, eine begeisterndere und tröstlichere Welt zu erschaffen, als wir mit einem flüchtigen Blick auf die Wirklichkeit, die sich stets wandelt und schnell wie der Blitz vorübergeht, auffassen können. Wie gern würde ich einmal versuchen, den Sternenhimmel zu malen! Und ebenso am Tage eine Wiese, vollbesät mit Löwenzahn! Wie soll einem aber das gelingen, wenn man sich nicht dazu entschliesst, zu Haus und nach der Phantasie zu arbeiten.

*

Was mich immer im Louvre zur Verzweiflung bringt, ist, mitansehen zu müssen, dass die Esel von der Verwaltung ihre Rembrandts verderben lassen und so und so viele schöne Bilder ruinieren. – So ist der gelbe, unangenehme Ton von einigen Rembrandts die Wirkung eines Verblassens durch Feuchtigkeit oder andere Ursachen (Heizung, Staub etc.), was ich Dir an den Fingern nachweisen könnte. – Und daher ist es eben so schwer zu sagen, welche Farbe Rembrandt hat, als das Grau des Velasquez genauer zu präzisieren. Man könnte, mangels eines besseren Ausdrucks, Rembrandt-Gold sagen, damit hilft man sich auch, aber es ist recht vage.

Als ich nach Frankreich kam, habe ich vielleicht besser als mancher Franzose Delacroix und Zola verstanden, für die meine Bewunderung aufrichtig und grenzenlos ist. Da ich eine ziemlich komplette Auffassung von Rembrandt hatte, fand ich, dass Delacroix durch die Farben, und Rembrandt durch die Valeurs wirkt, aber sie sind einander ebenbürtig. Zola und Balzac, welche auch die Maler eines ganzen Zeitalters sind, bereiten denen, die sie lieben, seltene Kunstgenüsse, dadurch, dass sie das Ganze der Zeit wiedergeben, die sie schildern.

Wenn auch Delacroix die Menschheit, das Leben malt, statt einer Epoche im allgemeinen, so gehört er darum nicht weniger zu der Familie der Universalgenies. Ich liebe sehr die Schlussworte eines Artikels, wenn ich mich nicht irre, von Théophile Silvestre, der einen Lobeshymnus so beschliesst: »So starb, beinah lächelnd, Eugène Delacroix, der, ein Maler grossen Namens, die Sonne im Kopf und Sturm im Herzen hatte, der von den Kriegern zu den Heiligen, von den Heiligen zu den Liebenden, von den Liebenden zu den Tigern und von den Tigern zu den Blumen überging.«

Auch Daumier ist ein grosses Genie. Millet noch ein Maler einer ganzen Generation und ihres Milieus. Möglich, dass diese grossen Genies übergeschnappt sind und dass man auch übergeschnappt sein muss, um den Glauben und die grenzenlose Bewunderung für sie zu haben. Wenn dem so wäre, würde ich meine Verdrehtheit der kühlen Vernunft der anderen vorziehen.

Rembrandt studieren – das ist vielleicht der direkteste Weg. – Aber erst mal ein Wort über Frans Hals: Der hat nie den Heiland, die Verkündigung an die Hirten, eine Kreuzigung oder Auferstehung gemalt, niemals hat er nackte, wollüstige oder grausame Frauenleiber gemalt.

Immer, immer, immer hat er Porträts gemalt, nichts anderes: Soldatenbilder, Offiziers-Vereinigungen, Porträts von Magistratspersonen, die zur Beratung versammelt sind – die Porträts von Matronen, mit rosiger oder gelblicher Hautfarbe, in weissen Hauben, in schwarzen Woll- oder Atlaskleidern, die über das Budget eines Waisenhauses oder Hospitals diskutieren.

Er hat einen angeheiterten Trinker gemalt, die alte Fischhändlerin als lustige Hexe. Ein schönes böhmisches Weibsbild, Neugeborene im Steckkissen, den eleganten Kavalier, bon-vivant, mit forschem Schnurrbart, in Stulpstiefeln und Sporen.

Er hat sich und seine Frau gemalt, als junge Liebende, im Garten auf einer Rasenbank, nach der Hochzeitsnacht.

Er hat Strolche und lachende Strassenjungen gemalt, Musikanten und eine dicke Köchin.

Er kann nichts anderes, aber all dies ist dem Paradies von Dante, den Meisterwerken Michelangelos und Raffaels, ja selbst den Griechen ebenbürtig, es ist schön wie Zola, nur gesünder und heiterer, aber ebenso lebenswahr. Denn seine Zeit war gesünder und weniger traurig. Was ist nun Rembrandt? Genau dasselbe: ein Porträtmaler! Erst muss man diesen gesunden, klaren und übersichtlichen Gedanken von den beiden holländischen Meistern haben, die einander ebenbürtig sind, um dann erst tiefer in diesen Gegenstand einzudringen. Wenn man sich also diese ganze glorreiche Republik vorstellt, welche nur durch die beiden fruchtbaren Porträtisten in grossen Zügen vor das Auge gebracht wird, behalten wir einen weiten Spielraum für die Landschaften, Interieurs, Tierbilder und philosophischen Sujets. Aber ich beschwöre Dich, verfolge wohl meine Schlussfolgerungen, die ich versuche, Dir auf die einfachste Weise klar zu machen. – Fülle jeden Winkel des Gehirns mit jenem Meister Frans Hals, der die Porträts einer ganzen, bedeutenden, lebenden und unsterblichen Republik gemalt hat. Fülle auch jeden Winkel Deines Gehirns mit jenem nicht minder grossen Meister der holländischen Republik: Rembrandt van Ryn, ein grossangelegter Mensch, ebenso naturalistisch und gesund wie Hals – und nun sehen wir aus dieser Quelle – Rembrandt – die direkten und wirklichen Schüler, van der Meer aus Delft, Fabricius, Nicolaus Maës, Pieter de Hooch, Bol, ebenso wie die von ihm beeinflussten Künstler Potter, Ruysdael, Ostade entspringen.

Ich nannte Dir Fabricius, von dem wir nur zwei Bilder kennen. Dabei nenne ich noch nicht einen ganzen Haufen guter Maler, und vor allem nicht die unechten Diamanten. Und gerade diese unechten Steine sind dem französischen Laien am vertrautesten. War ich verständlich? Ich versuche die grosse, einfache Lösung zu zeigen: die Malerei der Menschheit – oder sagen wir lieber einer ganzen Republik mittels des Porträts – viel später werden wir etwas mit Magie, mit Heilandbildern und Frauenakten zu thun haben, das ist ungeheuer interessant, aber nicht die Hauptsache.

Ich glaube nicht, dass die Frage über die Holländer, die wir in diesen Tagen erörtern, ohne Interesse ist. Sobald von Männlichkeit, Originalität oder Naturalismus die Rede ist, so ist es sehr interessant, sie um Rat zu fragen. Aber erst muss ich einmal über Dich sprechen, über zwei Stilleben, die Du gemalt hast und über zwei Porträts Deiner Grossmutter. Ist Dir jemals etwas besser gelungen? Warst Du in irgend einer Arbeit mehr ein Eigener, eine Individualität? Meiner Meinung nach, nein! Das gründliche Studium des ersten Gegenstandes, der Dir unter die Hände kam, der ersten Person, genügte Dir, um ernst zu schaffen. Weisst Du, was es war, das mir diese drei oder vier Studien so wert machte? Etwas unerklärlich Eigenwilliges, etwas sehr Kluges, Zielbewusstes, Festes, etwas unbeirrt Sicheres, das war es. Niemals warst Du Rembrandt näher als damals, lieber Freund. In Rembrandts Atelier, unter den Augen dieser unvergleichlichen Sphinx, hat van der Meer aus Delft jene ausserordentlich solide Technik gefunden, die nie mehr übertroffen wurde und nach welcher man jetzt brennend sucht. Ich weiss schon, dass wir jetzt nach Farbe suchen und arbeiten, wie sie nach dem Halbdunkel und nach Valeur. Was machen aber diese kleinen Unterschiede, wenn es sich vor allem darum handelt, sich stark auszusprechen.

Augenblicklich bist Du dabei, die Malweise der frühen Italiener und Deutschen zu untersuchen, die symbolistische Bedeutung, welche die spiritualisierte und mystische Malerei der Italiener vielleicht enthält – fahre nur darin fort …

Ich finde eine Anekdote über Giotto ganz hübsch: Es war ein Preisausschreiben für irgendein Bild, das die Jungfrau darstellen sollte. Ein Haufen Entwürfe wird an die damalige Verwaltungskommission der schönen Künste geschickt. Einer davon, Giotto signiert, ist ein einfaches Oval, eine Eiform. Die Jury, zwar sehr intrigiert, aber doch voller Vertrauen, überweist das betreffende Jungfraubild an Giotto. Wahr oder nicht, mir gefällt die Anekdote.

Kehren wir nun aber zu Daumier und zum Porträt der Grossmutter zurück. Wann wirst Du uns wieder einmal Studien von solcher Solidität bringen? Ich fordere Dich dringend dazu auf, wenn ich auch keineswegs Deine Versuche die Linienführung betreffend unterschätze und gegen die Wirkung kontrastierender Linien und Formen durchaus nicht gleichgültig bin. Das Uebel, mein braver alter Bernard, liegt darin, dass Giotto und Cimabue ebenso wie Holbein und van Eyck in einem, Du gestattest das Wort, obeliskenhaften Milieu lebten, wo alles wie auf architektonischen Postamenten angeordnet war, wo jedes Individuum ein Baustein war, alles sich gegenseitig hielt und eine monumentale Gesellschaftsordnung bildete. Wenn die Sozialisten, wovon sie noch sehr weit entfernt sind, auf logische Weise ihr Gebäude konstruiert haben werden, so wird jene Gesellschaftsordnung wohl wieder auf ähnliche Weise ins Leben treten. Wir aber, weisst Du, leben in vollständiger Zügellosigkeit und Anarchie; wir Künstler, die wir die Ordnung und die Symmetrie lieben, wir isolieren uns und arbeiten uns ab, um in irgendein einzelnes Stück Stil hineinzubringen. Puvis wusste das recht gut und als er, der kluge und ehrliche Mann, seine elysischen Gefilde vergass und zu unserer Epoche herabstieg, machte er ein sehr schönes Porträt, »den jovialen alten Mann«, der in einem blauen Interieur einen Roman in gelbem Umschlag liest, neben sich ein Glas Wasser mit einem Aquarellpinsel und einer Rose – dann auch eine elegante Dame, wie sie die Goncourts geschildert haben.

Ja, die Holländer, die malen die Sachen wie sie sind, sicher ohne viel zu überlegen, wie Courbet seine nackten Schönen malte, sie malten Porträts, Landschaften und Stilleben. Das ist noch gar nicht das Dümmste. Aber wenn wir, weil wir nicht wissen, was wir thun sollen, es ihnen nachmachten, so geschähe das doch nur, um unsere schwache Kraft nicht in unfruchtbaren metaphysischen Grübeleien auszugeben, die das Chaos nicht in ein Wasserglas pressen können, denn gerade darum ist es ja das Chaos, weil es in kein Glas von unserm Kaliber hineingeht.

Wir können – und das machten ja gerade diese Holländer, die für Leute von System verteufelt gescheit waren – eben auch nur ein Atom aus dem Chaos malen: ein Pferd, ein Porträt, eine Grossmutter, Aepfel oder eine Landschaft.

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Die Malerei von Degas ist männlich und unpersönlich, gerade weil er sich damit begnügt hat, für seine Person ein einfacher Bourgeois zu sein, der nichts vom Lebensgenuss wissen will: er sieht das menschliche Getier um sich herum leben und geniessen, und malt es gut, weil er nicht wie Rubens Anspruch darauf macht, Kavalier und Lebemann zu sein …

Neulich entdeckte ich hier eine kleine Radierung von Rembrandt und kaufte sie auch, eine männliche Aktstudie, realistisch und einfach. Er steht an eine Thür oder Säule gelehnt, in einem düstern Interieur; ein Sonnenstrahl streift von oben das gesenkte Gesicht und das volle rote Haar. Man kann dabei an Degas denken, so wahr empfunden und kräftig ist der Körper.

Sag' einmal, hast Du Dir jemals ordentlich »den Ochsen« oder »das Innere eines Fleischerladens« im Louvre angesehen? Ich glaube kaum. Es wäre geradezu eine Lust für mich, einen Morgen mit Dir in der Galerie der Holländer zu verbringen. All das lässt sich nicht beschreiben, aber vor den Bildern selbst könnte ich Dir solche Herrlichkeiten und Wunder zeigen, dass eben dadurch die Primitiven erst in zweiter Reihe in meiner Bewunderung stehen. Ich bin nun einmal so wenig exzentrisch!

Eine griechische Statue, ein Bauer von Millet, ein holländisches Porträt, eine nackte Frau von Courbet oder Degas, diese ruhige durchgearbeitete Vollkommenheit bewirkt es, dass mir die Primitiven und die Japaner daneben nur wie Schrift gegen Malerei vorkommen. Es interessiert mich zwar ungemein, aber ein abgeschlossenes Kunstwerk, eine Vollkommenheit macht uns die Unendlichkeit greifbar, und die Schönheit voll geniessen, giebt einem das Gefühl der Unendlichkeit …

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Kennst Du einen Maler, Namens van der Meer? Der hat z. B. eine sehr schöne vornehme Holländerin gemalt, die guter Hoffnung ist. Die Farbenskala dieses seltsamen Künstlers ist: blau, zitronengelb, perlgrau, schwarz und weiss. Schliesslich lässt sich ja auch in seinen wenigen Bildern der ganze Reichtum der Palette finden; aber die Zusammenstellung von zitronengelb, mattblau und hellgrau ist für ihn ebenso charakteristisch, wie es schwarz, weiss, grau und rosa für Velasquez sind. Natürlich sind die Holländer in den Museen und Sammlungen zu zerstreut, um sich danach ein Bild von ihnen zu machen, hauptsächlich wenn man nur den Louvre kennt. Und doch haben gerade die Franzosen: Ch. Blanc, Thoré, Fromentin am besten über diese Kunst geschrieben.

Die Holländer hatten gar keine Einbildungskraft und Phantasie, aber kolossalen Geschmack und ein untrügliches Gefühl für das Arrangement; sie haben keine Heiligen- und Christusbilder gemalt … Rembrandt doch! Das ist wahr – aber er ist auch der Einzige, und wirklich biblisch gedachte Bilder kommen auch verhältnismässig wenig in seinem Lebenswerk vor; er als Einziger hat wohl Christusbilder u. s. w. gemalt. Aber die seinen gleichen keiner anderen religiösen Malerei; bei ihm ist es eine Art metaphysischer Zauberei.

Auf folgende Weise hat er Engel gemalt: Er hat ein Selbstporträt von sich gemacht, zahnlos und mit einer baumwollenen Mütze auf dem Kopfe.

Erstes Bild nach der Natur im Spiegel. Er träumt und träumt, und seine Hand malt wiederum sein Porträt, aber aus dem Kopf, der verzweifelte Ausdruck wirkt erschütternd.

Zweites Bild. Er träumt und träumt weiter, und wie kommt es! ich weiss es nicht! aber ebenso wie Sokrates und Mohamed ihren vertrauten Schutzgeist hatten, malt Rembrandt hinter den Greis, der eine Aehnlichkeit mit ihm selbst hat, einen Engel mit dem rätselhaften Lächeln des Leonardo … Es handelt sich zweifellos um den St. Matthäus im Louvre. Ich zeige Dir einen Künstler, der träumt und nach der Phantasie schafft, nachdem ich gerade behauptet habe, dass das Charakteristische der Holländer ist, dass sie keine Erfindungsgabe und keine Phantasie haben. Bin ich dadurch unlogisch? Nein! Rembrandt hat nichts erfunden; er kannte und fühlte ganz genau diesen Engel und diesen sonderbaren Heiligen.

Delacroix malt uns einen gekreuzigten Christus, indem er ganz unerwartet einen hellen zitronengelben Ton hinsetzt; diese glänzende farbige Note giebt dann dem Bilde jenen unbeschreiblichen und geheimnisvollen Zauber, wie ein einsamer Stern am dunklen Abendhimmel. Rembrandt arbeitet mit den Valeurs in derselben Weise, wie Delacroix mit den Farben. Uebrigens ist aber ein weiter Weg zwischen dem Vorgehen Delacroix' und Rembrandts und der ganzen übrigen religiösen Malerei.

*

Ich habe gerade das Porträt eines jungen Mädchens von 12 Jahren fertig gemacht: braune Augen, schwarze Haare und Brauen, graugelber Teint, auf weissem, stark mit veroneser Grün getöntem Hintergrund, in blutroter Jacke mit violetten Streifen, blauem Rock mit grossen Orangetupfen, in der niedlichen kleinen Hand eine Oleanderblüte. Ich bin dermassen dadurch erschöpft, dass mir der Kopf gar nicht nach Schreiben steht.

*

Die Bibel ist Christus, denn das alte Testament strebt hin zu diesem Gipfel. Paulus und die Evangelisten bewohnen den anderen Abhang des heiligen Berges. Wie klein ist diese Geschichte! Herrgott, hier ist sie in ein paar Worten: Es scheint nur Juden auf der Welt zu geben, diese Juden, welche plötzlich erklären, dass alles ausser ihnen unrein sei. All die anderen südlichen Völker unter jener Sonne: die Aegypter, die Inder, die Aethiopier, Ninive, Babylon, warum haben sie ihre Annalen nicht mit derselben Sorgfalt aufgeschrieben? Das Studium von all diesem muss schön sein, und all das lesen können, wäre beinahe so wertvoll als gar nicht lesen können. Aber die Bibel – die uns so verstimmt, die unsere Verzweiflung und tiefsten Unmut in uns wachruft; deren Kleinlichkeit und gefährliche Torheit uns das Herz zerreisst – enthält einen Trost wie einen Kern in harter Schale, ein bitteres Mark und das ist Christus. Die Christusgestalt, so wie ich sie fühle, ist nur von Delacroix und Rembrandt gemalt worden, nur Millet hat die Lehre Christus gemalt. – Ueber den Rest der religiösen Malerei kann ich nur mitleidig lächeln, nicht vom religiösen, sondern vom malerischen Standpunkt aus. Die frühen Italiener, Flamen und Deutschen sind für mich Heiden, die mich nur ebenso interessieren wie Velasquez und so und so viele andere Naturalisten.

Christus, als einziger unter allen Philosophen, Magiern etc., hat als Hauptdogma ein ewiges Leben bejaht, die Unendlichkeit der Zeit, die Nichtigkeit des Todes, die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Wahrheit und der Hingebung. Er hat unbeirrt als Künstler gelebt, ein grösserer Künstler als irgend einer, den Marmor, den Thon und die Palette verachtend, denn er arbeitete in lebendigem Fleisch. Das heisst: dieser unglaubliche Künstler, der für das grobe Instrument unseres modernen, nervösen und zerrütteten Gehirns unbegreiflich ist, schuf weder Statuen, noch Bilder, noch auch Bücher – er sagt es selbst ausdrücklich – er schuf wirkliche lebende Menschen, Unsterbliche. Das ist etwas Ernstes, besonders weil es die Wahrheit ist. Dieser grosse Künstler hat also auch keine Bücher geschrieben. Unbedingt würde ihn die christliche Litteratur im ganzen empören. Denn wie selten sind in ihr litterarische Produkte zu finden, die neben dem Evangelium des Lukas, den Episteln des Paulus, die so einfach in ihrer harten und kriegerischen Form sind, Gnade finden würden. Aber wenn auch dieser grosse Künstler Christus es verschmähte, Bücher über seine Ideen und Sensationen zu schreiben, so hat er sicherlich das gesprochene Wort, hauptsächlich die Parabel nicht verachtet. (Welche Kraft liegt in dem Sämann, in der Ernte, in dem Feigenbaum!) Und wer unter uns würde wagen, zu sagen, dass er gelogen hätte, als er mit Verachtung den Fall der römischen Bauwerke weissagte, und dabei behauptete: Wenn selbst Himmel und Erde schwinden, so werden meine Worte nicht schwinden.

Diese gesprochenen Worte, die er als grand Seigneur nicht einmal für nötig hielt aufzuschreiben, sind der höchste Gipfel, den je die Kunst erreicht hat, in solcher reinen Höhe bekommt sie Schöpferkraft, erhabenste Schöpferkraft.

Solche Betrachtungen führen uns weit, weit hinweg (erheben uns noch selbst über die Kunst). Sie lassen uns einen Einblick thun in die Kunst, das Leben zu gestalten und schon im Leben unsterblich zu sein, und doch haben sie auch Beziehungen zur Malerei. – Der Beschützer der Malerei, St. Lucas, Arzt, Maler und Evangelist, der leider Gottes nur das Rindvieh zum Sinnbild hat – ist da, um uns Hoffnung zu machen. Aber unser wahres und wirkliches Leben ist recht jämmerlich, wir armen, unglücklichen Maler vegetieren unter dem verdummenden Joch eines kaum ausführbaren Metiers auf diesem undankbaren Planeten, auf dem die Liebe zur Kunst uns die wahre Liebe unmöglich macht.

Da aber nichts gegen die Vermutung spricht, dass es auf unzähligen anderen Planeten und Sonnen ebenso Linien, Farben und Formen giebt, so bleibt es uns unbenommen, eine gewisse Heiterkeit in Bezug auf die Möglichkeit zu bewahren, unter höheren Bedingungen, in einer veränderten Existenz zu malen, etwa durch ein Phänomen, das vielleicht nicht unbegreiflicher und überraschender ist als die Umwandlung der Raupe in den Schmetterling, des Engerlings in den Maikäfer, welche Existenz des Maler-Schmetterlings einen der unzähligen Sterne zum Schauplatz haben könnte, die nach dem Tode uns vielleicht nicht unerreichbarer wären, als die schwarzen Punkte auf einer Landkarte, die im irdischen Leben Städte und Dörfer bedeuten.

Das Wissen! Die wissenschaftliche Logik scheint mir ein Instrument zu sein, das sich in der Folge noch ungeahnt entwickeln wird; denn z. B. hat man die Erde als eine Fläche angenommen. Das war auch ganz richtig. Sie ist es noch heute, von Paris bis nach Asnières. Das verhindert aber nicht, dass die Wissenschaft beweist, dass die Erde rund ist, was jetzt niemand bestreitet. Nun nimmt man ebenso jetzt an, dass das Leben flach sei, und von der Geburt zum Tode führe. Wahrscheinlich ist das Leben aber auch rund und weit höher an Ausdehnung und Fähigkeiten als die Sphäre, die uns bisher allein bekannt ist. Spätere Generationen werden uns wahrscheinlich über dieses interessante Problem aufklären und dann könnte eventuell die Wissenschaft – nichts für ungut – zu ungefähr denselben Schlüssen kommen, die Christus als die andere Hälfte des Lebens gelehrt hat. Wie dem aber auch sei, Faktum ist, dass wir Maler sind, im realen Leben, und dass wir unserm Schaffen unseren Atem einblasen sollen, solange wir selbst atmen.

Ach, das schöne Bild von Eugène Delacroix, die Barke Christi auf dem See Genezareth! Er, mit seiner blassgelben Aureole schlafend, leuchtend, in einem Fleck von dramatischem Violett, dunklem Blau, von Blaurot, die Gruppe der erschreckten Jünger auf dem furchtbaren smaragdgrünen Meer, welches steigt und steigt bis oben an den Rahmen. Welch genialer Entwurf!

Ich würde Dir Skizzen machen, wenn ich nicht gerade drei oder vier Tage lang nach einem Modell – einem Zuaven – gezeichnet und gemalt hätte und einfach nicht weiter kann. Das Schreiben, wiederum, ruht mich aus und zerstreut mich. Es ist scheusslich, was ich da gemacht habe, eine Zeichnung des sitzenden Zuaven, dann eine Oelskizze des Zuaven gegen eine ganz weisse Mauer: und dann ein Porträt des Zuaven gegen eine grüne Thür und einige orangegelbe Ziegel einer Mauer: alles hart und hässlich und schlecht gemacht. Dennoch, da wirkliche Schwierigkeiten dabei überwunden sind, kann es den Weg in die Zukunft ebnen. Die Figur, die ich mache, ist gewöhnlich schon für meine eigenen Augen abscheulich, wieviel mehr erst für die Augen anderer; und doch stärkt einen das Studium der Figur am meisten, wenn man es auf andere Weise macht, als es uns z. B. bei Herrn Benjamin Constant gelehrt wurde. Sag' mal: erinnerst Du Dich noch des Johannes des Täufers von Puvis? Ich finde den einfach fabelhaft und eben solche Hexerei wie Eug. Delacroix.

Mein Bruder macht momentan eine Ausstellung von Claude Monet, 10 Bilder, in Antibes von Februar bis Mai gemalt. Es soll wunderschön sein. Hast Du jemals Luthers Leben gelesen? Das ist nötig, damit einem Cranach, Holbein, Dürer verständlich wird. Er, seine gewaltige Persönlichkeit ist das hohe Licht der Renaissance.

*

Wenn wir einmal zusammen im Louvre wären, möchte ich gern die Primitiven mit Dir sehen. Ich gehe immer noch mit grösster Liebe zu den Holländern, Rembrandt an der Spitze, den ich früher soviel studiert habe. Dann Potter. Der stellt Dir auf eine Fläche von 4-6 Metern einen weissen Hengst hin, der brünstig und verzweifelt wiehert, über ihm ein düsterer Gewitterhimmel und das Tier vereinsamt in der zart-grünen Unendlichkeit einer feuchten Wiese. – Ueberhaupt, in diesen alten Holländern stecken Herrlichkeiten, die mit nichts anderem zu vergleichen sind.

Ich schicke Dir heute ein paar Skizzen nach Oelstudien; auf diese Weise lernst Du Motive kennen aus der Natur, welche den alten Cézanne begeistert hat. Denn die Crau, bei Aix, ist ungefähr dasselbe, wie die Umgebungen von Tarascon und die hiesige Crau. Die Camargue ist noch einfacher, denn da sind weite Strecken schlechten Bodens mit nichts anderem als Tamarindensträuchern und harten Gräsern bewachsen, die für diese mageren Weiden dasselbe sind, wie das Spartogras für die Wüste.

Da ich weiss, wie Du Cézanne liebst, denke ich mir, dass Dir diese Skizzen aus der Provence Freude machen könnten. Nicht etwa, dass irgend welche Aehnlichkeit zwischen einer Zeichnung von mir und Cézanne ist, Gott bewahre, ebensowenig wie zwischen Monticelli und mir; nur liebe ich dasselbe Land leidenschaftlich, das sie so geliebt haben, und auch aus denselben Gründen wegen der Farbe und der logischen Zeichnung.

Mit gemeinsamer Arbeit wollte ich damals nicht sagen, dass zwei oder drei Maler an demselben Bild arbeiten sollten, sondern ich verstand darunter eher abweichende Arbeiten, die aber doch zusammengehören und einander ergänzen. Sieh mal, die frühen Italiener, die deutschen Primitiven, die holländische Schule und die eigentlichen Italiener, bilden diese Werke nicht alle zusammen ganz unwillkürlich eine Gruppe, eine Serie?

Eigentlich bilden ja die Impressionisten auch eine Gruppe, trotz all ihrer unglückseligen Bürgerkriege, in welchen beide Seiten versuchen, einander aufzufressen, mit einem Eifer, der einer besseren Sache würdig wäre. In unserer nordischen Schule ist Rembrandt Herr und Meister, da sein Einfluss sich geltend macht bei jedem, der sich ihm nähert. Wir sehen z. B. Paul Potter Tiere malen in Brunst und Leidenschaft, beim Gewitter, im Sonnenschein, in der Melancholie des Herbstes, während dieser selbe Potter, bevor er Rembrandt kannte, trocken und kleinlich war.

Rembrandt und Potter sind zwei Menschen, die wie Brüder zu einander halten, und wenn auch Rembrandt nie einen Pinselstrich an Potters Bildern gethan hat, so hindert das nicht, dass Potter und Ruysdael ihm das Beste verdanken, was in ihnen ist: das unfassbare Etwas, wobei uns das Herz erschauert: wenn es uns gelingt, einen Winkel des alten Hollands zu erkennen, »à travers leur tempérament«.

Ausserdem machen aber die materiellen Schwierigkeiten des Malerlebens die Zusammenarbeit und Vereinigung der Künstler wünschenswert (ganz ebenso wie zu Zeiten der Korporation Sanct Lucas), da sie einander das materielle Leben erleichtern, wenn sie sich wie gute Kameraden gern hätten, statt einander in den Haaren zu liegen. Die Maler würden glücklicher sein, in jedem Fall aber weniger lächerlich, dumm und niederträchtig. Aber – ich bestehe hierauf nicht weiter, – ich weiss schon, dass das Leben mit uns in so rasendem Lauf davongeht, dass man nicht Zeit hat, zu diskutieren und gleichzeitig zu handeln. Das ist der Grund, warum wir, da eine Vereinigung immer sehr unvollständig besteht, jetzt auf hoher See in unsern kleinen, jämmerlichen Barken fahren, einsam auf den grossen Wogen unserer Zeit. Ist sie eine Periode der Entwicklung oder des Verfalls? Wir können darüber nicht Richter sein, denn wir stehen ihr zu nahe, um nicht durch die Verzerrungen der Perspektive zu Irrtümern geführt zu werden. Die zeitgenössischen Ereignisse erhalten wahrscheinlich in unsern Augen übertriebene Proportionen, sowohl für unser Missgeschick wie für unser Verdienst.

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Heute wieder einmal ein harter Arbeitstag. Was würdest Du wohl zu meinen jetzigen Arbeiten sagen? Jedenfalls würdest Du nicht den gewissenhaften und beinahe schüchternen Pinselstrich Cézannes darin finden. Da ich aber denselben Landstrich, die Crau und die Camargue, male, wenn auch an einer etwas anderen Stelle, so könnten immerhin einige Farbenanklänge darin vorhanden sein. Was weiss ich! unwillkürlich habe ich 'mal an Cézanne gedacht, gerade wenn ich mir seinen ungeschickten Pinselstrich (entschuldige das Wort »ungeschickt«) bei manchen Studien vorgestellt habe, die wahrscheinlich bei vollem Nordwind ausgeführt sind. Da ich, die Hälfte der Zeit, mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, erkläre ich es mir, warum Cézannes Pinselstrich manchmal sicher, manchmal ungeschickt ist: seine Staffelei wackelt eben. Ich habe einige Male rasend schnell gearbeitet; wenn es ein Fehler ist, kann ich mir nicht helfen. Zum Beispiel den »Sommerabend«, eine Leinwand von 30 cm im Quadrat, habe ich in einer Sitzung gemalt. Zum zweiten Male darangehen – unmöglich, sollte ich sie zerstören, warum eigentlich? Wo ich gerade bei starkem Nordwind hinausgegangen bin, um es zu malen. Ist es nicht vielmehr die Stärke des Gedankens, die wir suchen, als die Ruhe der Pinselführung und ist denn überhaupt bei solcher Arbeit, die im ersten Affekt direkt am Ort und nach der Natur gemacht wird, eine ruhige und ganz geregelte Malweise immer möglich?

Meiner Treu, mir scheint das ebensowenig möglich, wie beim Fechten.

Wenn sich doch mehrere Künstler zusammenthun würden, um an grossen Dingen gemeinsam zu arbeiten. Die Zukunftskunst könnte uns dann Proben davon zeigen. Für die notwendigen Bilder müsste man eben jetzt zu mehreren sein, um die materiellen Schwierigkeiten ertragen zu können. Aber leider sind wir noch nicht so weit – mit der bildenden Kunst geht es nun 'mal nicht so schnell wie mit der Litteratur. Ich schreibe Dir heute wieder wie gestern, in grosser Eile, ganz abgehetzt, und augenblicklich bin ich nicht imstande zu zeichnen, der Morgen auf dem Felde hat alle meine Fähigkeiten erschöpft. Wie das müde macht solche südliche Sonne! Ich bin absolut unfähig, meine eigene Arbeit zu beurteilen, ich kann nicht sehen, ob die Studien gut oder schlecht sind. Ich habe sieben Getreidestudien: unglücklicherweise ganz gegen meinen Willen nur Landschaften, alles in einem Goldton, schnell, in wahnsinniger Hast, gemacht, wie der Schnitter, der schweigend in der glühenden Sonne schafft, nur in dem Gedanken, möglichst viel herunterzuschneiden.

Ich kann mir schon denken, dass Du einigermassen überrascht warst zu sehen, wie wenig ich die Bibel goutiere, obgleich ich schon öfter versucht habe, sie etwas eingehender zu studieren. – Eben nur ihr Kern, Christus, scheint mir vom künstlerischen Standpunkt aus höherstehend und jedenfalls etwas anderes als die griechischen, indischen, ägyptischen, persischen Altertümer, die doch auch weit vorgeschritten sind. Aber ich wiederhole es: dieser Christus ist mehr Künstler als alle Künstler – er arbeitet in lebenden Geistern und Körpern, er macht Menschen statt Statuen – dann, ja dann fühle ich mich als rechtes Rindvieh – da ich doch Maler bin – und ich bewundere den Stier, den Adler, den Mann, mit solcher Anbetung, dass sie mich gewiss davon abhalten wird, je ein Streber zu werden.

Ich komme immer mehr und mehr darauf, dass die Küche etwas mit unserer Fähigkeit, zu denken und Bilder zu malen, zu thun hat; bei mir z. B. trägt es nicht zum Gelingen einer Arbeit bei, wenn mein Magen mich stört. Im Süden sind die Sinne gesteigert, die Hand wird leichter, das Auge lebhafter, das Gehirn klarer – natürlich unter einer Bedingung: dass die Dysenterie oder ein anderes Unbehagen einem nicht das Ganze verdirbt und einen herunterbringt. – Daraufhin glaube ich behaupten zu können, dass, wer gern künstlerisch arbeiten will, im Süden seine Fähigkeiten gesteigert finden wird.

Die Kunst ist lang und das Leben ist kurz, und man muss mit Geduld versuchen, seine Haut teuer zu verkaufen. – Ich möchte in Deinem Alter sein und mit meinen Erfahrungen nach Afrika gehen, um dort zu dienen. Um gute Arbeit zu machen, muss man gut wohnen, gut essen und in Frieden seine Pfeife rauchen und seinen Kaffee trinken. Damit will ich nicht sagen, dass es nicht noch manches andere Gute giebt, jeder soll so machen, wie es ihm am besten zusagt, aber mein System scheint mir besser als alle anderen.

Fast gleichzeitig mit der Abschickung meiner Studien kam Deine und Gauguins Sendung an. Das war eine Freude, es ist mir ordentlich warm ums Herz geworden, als ich Eure beiden Gesichter sah. Dein Bild, das weisst Du, liebe ich sehr. Uebrigens, wie Du weisst, gefällt mir alles was Du machst, und vor mir hat vielleicht noch niemand Deine Sachen so goutiert wie ich. – Ich lege es Dir ans Herz, vor allem das Porträt zu studieren, arbeite darin soviel Du kannst und lasse nicht locker, wir müssen mit der Zeit das Publikum durch das Porträt erobern – darin liegt meiner Meinung nach die Zukunft. Aber verlieren wir uns nicht in Hypothesen.

Ein grosses Bild, – einen Christus mit dem Engel in Gethsemane; ein anderes, einen Dichter vor ausgestirntem Himmel darstellend – habe ich, trotz der Farbe, die daran gut war, ohne Gnade zerstört, weil die Form nicht zuvörderst nach den Modellen studiert war, was in solchem Falle notwendig ist.

Vielleicht sind meine letzten Studien gar nicht impressionistisch, dann kann ich mir auch nicht helfen. Ich mache, was ich mache, mit voller Hingabe an die Natur, ohne an irgend etwas anderes zu denken.

Ich kann nicht ohne Modelle arbeiten. Ich drehe wohl der Natur kühn einmal den Rücken zu, aber ich habe eine furchtbare Angst davor, die Richtigkeit der Form zu verlieren. Vielleicht später einmal, nach zehn Jahren Studium – aber wahr und wahrhaftig, ich habe eine so brennende Neugier nach dem Möglichen und Wirklichen, dass ich weder den Wunsch noch den Mut habe, ein Ideal zu suchen, das aus meinen abstrakten Studien entstehen könnte. Andere mögen für abstrakte Studien begabter sein, sicherlich gehörst Du dazu, auch Gauguin, vielleicht auch ich einmal, wenn ich alt bin, inzwischen füttere ich mich durch die Natur. Ich übertreibe wohl 'mal oder ändere am Motiv, aber ich erfinde nie das ganze Bild, im Gegenteil, ich finde es sogar fertig vor und brauche es nur aus der Natur herauszuschälen.

Das Haus wird mir jetzt wohnlicher vorkommen, wo ich die beiden Bilder von Euch darin habe. Wie glücklich wäre ich erst, Dich selbst im Winter darin zu haben. Es ist ja wahr, die Reise kostet ein bischen viel. Aber kann man nicht die Kosten riskieren und sie durch Arbeit wieder einbringen? Im Winter lässt es sich im Norden so schwer arbeiten – vielleicht hier auch, da ich ja noch gar keine Erfahrung darin habe, das muss man erst abwarten, aber es ist verdammt nützlich, den Süden zu kennen, wo sich das Leben mehr im Freien abspielt, um besser die Japaner zu verstehen. Und dann liegt in manchen Orten hier etwas so unerklärlich Erhabenes und Nobles, das Dir gerade sehr gut liegen würde.

Wenn Dein Vater einen Sohn hätte, der Gold in den Kieseln oder auf den Trottoirs suchen und finden würde, so würde Dein Vater sicherlich dieses Talent nicht missachten; nun hast Du meiner Ansicht nach mindestens ein ebenso wertvolles. Dein Vater könnte vielleicht bedauern, dass es nicht ganz neues und glänzendes Gold ist, das auch gleich in Louis geprägt ist, aber er würde vielleicht Deine Funde sammeln und sie nur zu einem guten Preise abgeben. Na, dann soll er doch dasselbe mit Deinen Bildern und Zeichnungen thun.

Die Idee, eine Art Freimaurerschaft von Malern zu bilden, gefällt mir nicht sonderlich, ich bin ein grosser Feind von Vorschriften, Institutionen u. s. w. – ich suche eben anderes als Dogmen, die, weit davon entfernt, Dinge zu ordnen, nur endlose Streitereien hervorrufen. Das ist ein Zeichen des Verfalls. – Da eine Malervereinigung vorläufig nur in sehr vagen Umrissen existiert, lassen wir doch vorläufig die Dinge gehen wie sie gehen. Es ist weit schöner, wenn sich so etwas ganz natürlich krystallisiert, je mehr gesprochen wird, desto weniger wird gethan. Wenn Du Dein Teil dazu beitragen willst, so musst Du nur mit Gauguin und mir weiter arbeiten.

*

Die Ausschmückung des Hauses absorbiert mich gänzlich, und ich hoffe und glaube, dass es ganz geschmackvoll wird, wenn auch ganz verschieden von allem was Du machst. Ich wäre recht neugierig, Skizzen aus Pont-Aven zu sehen, Du musst mir aber eine ausgeführtere Studie schicken. Na, Du wirst schon alles aufs beste machen, ich liebe nämlich Dein Talent so, dass ich mir mit der Zeit eine kleine Sammlung Deiner Werke anlegen will. – Mir war es immer sehr rührend, dass die japanischen Künstler oft solche Tauschgeschäfte unter einander gemacht haben. Das zeigt doch, dass sie sich liebten und zusammenhielten, dass eine gewisse Harmonie unter ihnen herrschte, und dass sie in brüderlicher Eintracht lebten, statt in Intriguen. Je mehr wir ihnen darin gleichen, desto wohler wird es uns ergehen. Es scheint auch, dass einige unter diesen japanischen Künstlern sehr wenig Geld verdienten und wie einfache Arbeiter lebten. Ich habe die Reproduktion (Publikation Bing) einer japanischen Zeichnung: ein einziger Grashalm. Welch ein Muster von Gewissenhaftigkeit! Ich werde es Dir gelegentlich einmal zeigen.

Die besten Projekte und Berechnungen gehen so oft in die Brüche; während wenn man auf gut Glück arbeitet, und aus dem Zufall Vorteil zieht, was der Tag einem zuträgt, man eine Menge guter, unvorhergesehener Sachen zuwege bringt. Gehe doch auf einige Zeit nach Afrika, der Süden wird Dich entzücken und Dich zu einem grossen Künstler machen. Auch Gauguin verdankt viel von seinem Talent dem Süden. Ich nehme nun seit Monaten die stärkere südliche Sonne in mich auf; das Resultat dieses Experiments ist, dass für mich, hauptsächlich vom koloristischen Standpunkt aus, Delacroix und Monticelli bestehen bleiben, Künstler, die man jetzt mit Unrecht zu den reinen Romantikern, zu Künstlern mit übertriebener Phantasie zählt. Sieh 'mal, der Süden, der von Fromentin und Gérôme so trocken wiedergegeben worden ist, ist sogar schon hier ein Land, dessen intimen Zauber man eben nur mit den Farben des Koloristen wiederzugeben vermag.

In meiner Skizze »der Garten« ist vielleicht etwas wie »Des tapis velus – de fleurs et verdure tissus«. Auf alle Deine Zitate wollte ich Dir mit der Feder antworten, wenn auch nicht in Worten. Mir steht heute auch wenig der Kopf zu Diskussionen, ich stecke bis über die Ohren in der Arbeit. Ich habe nämlich zwei grosse Federzeichnungen gemacht, ein endloses flaches Land, von der Höhe eines Hügels in der Vogelperspektive gesehen: Weinberge, abgeerntete Getreidefelder, die sich bis ins Unendliche verlieren, und sich wie die Meeresoberfläche bis an den Horizont ausdehnen, der von den Hügeln der Crau begrenzt wird. Es sieht nicht japanisch aus und doch habe ich in Wahrheit nie etwas so Japanisches gemacht. Ein winzig kleiner Arbeiter, ein kleiner Zug, der durch die Getreidefelder fährt – das ist das ganze Leben, das man darauf sieht. Denk' mal: als ich an einem der ersten Tage an diesen Ort kam, sagte ein befreundeter Maler: »Das wäre aber blödsinnig langweilig zu malen!« Ich antwortete nichts darauf, fand es aber so herrlich, dass ich nicht einmal die Kraft fand, diesen Idioten anzuschnauzen. Ich bin wieder und wieder hergekommen, habe zwei Zeichnungen davon gemacht, von diesem flachen Land, in dem nichts ist – nichts als die Unendlichkeit, die Ewigkeit. Na und nun kommt, während ich so zeichne, ein Kerl an, nicht Maler, sondern Soldat. Ich frage ihn: Wundert es Dich sehr, dass ich dies ebenso schön wie das Meer finde? »Nein, das wundert mich gar nicht (er kannte übrigens das Meer), dass Du es ebenso schön wie das Meer findest, denn ich finde es noch viel schöner als den Ozean, da es bewohnt ist.«

Wer war nun der kunstverständigere Beschauer, der Maler oder der Soldat? Für meinen Geschmack der Soldat, hab' ich nicht recht?

Ich will Menschen malen, Menschen und wieder Menschen, nichts geht mir über diese Serie von Zweifüsslern, angefangen vom kleinsten Wickelkind bis hin zu Sokrates, von der Frau mit schwarzen Haaren und weisser Haut bis zur Frau mit gelben Haaren und ziegelrotem, von der Sonne gebräuntem Gesicht. Inzwischen male ich andere Sachen.

Ich habe aber doch eine Figur dabei, die eine vollkommene Fortsetzung von einigen meiner holländischen Bilder ist. Ich habe sie Dir einmal mit verschiedenen Bildern aus jener Zeit gezeigt, die Kartoffelesser u. s. w. und ich hätte gern, dass Du auch diese siehst. Es sind immer Studien, bei denen die Farbe eine solche Rolle spielt, dass das Weiss und Schwarz einer Zeichnung sie Dir gar nicht wiedergeben könnte. Ich hatte sogar vor, Dir davon eine sehr grosse und sorgfältige Zeichnung zu schicken. Es wurde aber etwas ganz anderes, obgleich es ganz korrekt war, denn eben nur die Farbe kann die Suggestion der glühenden Luft geben, bei der Ernte, um die volle Mittagszeit und bei voller Hundstagshitze, und wenn die fehlt, dann ist es eben ein anderes Bild. Gauguin und Du, Ihr wisst, was ein Bauer ist, und wieviel von der Bestie darin sein muss, wenn er von der richtigen Rasse sein soll.

Ich denke daran, mein Atelier mit einem halben Dutzend Sonnenblumen zu schmücken; das wird eine Dekoration, bei der die grellen oder gebrochenen Töne des Chrom auf einen Hintergrund von verschiedenem Blau platzen werden, vom zartesten Veronesergrün bis zum Königsblau, mit dünnen Latten eingefasst, die mit Goldgelb gemalt sind; es soll so eine Art Effekt wie gotische Kirchenfenster haben. – Ach, wir Hirnverbrannten, was wir so durch die Augen für Genüsse haben, nicht wahr? Aber die Natur rächt sich dafür am Tier in uns, und unser Körper ist jämmerlich und oft eine schreckliche Last. Schon seit Giotto, der ein kränklicher Mensch war, ist es so. Aber welche Augenweide und welche Lustigkeit giebt einem das zahnlose Lachen des alten Löwen Rembrandt mit einem Tuch um den Kopf und der Palette in der Hand.

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Der Kopf steht mir eigentlich gar nicht zum Briefschreiben, aber ich fühle solche Leere in mir, gar nicht mehr au courant zu sein, was Ihr, Gauguin und die anderen macht. Ich habe hier noch ein Dutzend Studien, die wahrscheinlich mehr nach Eurem Geschmack sind als jene vom letzten Sommer. Unter diesen Studien ist eine: Eingang in einen Steinbruch. Blasslila Felsen auf rötlichem Terrain, wie man es auf einigen japanischen Zeichnungen findet. In Zeichnung und Farbenverteilung in grossen Flächen hat es sogar eine gewisse Aehnlichkeit mit dem, was Ihr in Pont-Aven macht. In diesen letzten Studien führe ich mehr durch was ich will, weil mein Gesundheitszustand sich gebessert hat: z. B. eine Leinwand von 30, bebautes Land in lila Tönen, Hintergrund von Bergen, die hoch bis zum Rahmen ansteigen. Also nichts weiter als rauhes Terrain und Felsen mit einer Distel und trocknen Gräsern in einer Ecke, dazu ein Männchen in Violett und Gelb. Das wird Euch hoffentlich beweisen, dass ich noch nicht schlaff geworden bin.

Ach Gott, das ist ein recht armseliges Stückchen Land hier; alles ist so schwer wiederzugeben, wenn man seinen intimen Charakter treu herausbringen will und nicht damit zufrieden ist, etwas ungefähr Wahres zu malen, sondern den wahren Boden der Provence. Um das zu erreichen, muss man hart arbeiten, und dabei wird's dann natürlich etwas abstrakt, denn es handelt sich darum, der Sonne und dem blauen Himmel ihren natürlichen Glanz zu geben und dem verbrannten, melancholischen Boden seine Kraft, dass man darin das feine Aroma des Thymians spürt.

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Als Gauguin in Arles war, habe ich mich, wie Du weisst, einmal verführen lassen, nach der Phantasie zu arbeiten, eine schwarze Dame, die in einer gelben Bibliothek einen Roman liest. Damals erschien mir das Arbeiten nach der Phantasie als etwas sehr reizendes. Aber, mein Lieber, das ist ein verzaubertes Land, und plötzlich sieht man sich vor einer unübersteigbaren Mauer. Vielleicht, nach einem Leben von männlichem Suchen und Streben, nach harten Kämpfen, Körper an Körper, mit der Natur, kann man sich daran wagen; aber ich will mir vorläufig nicht daran den Kopf einrennen und das ganze Jahr über habe ich mich nach der Natur abgequält, weder an den Impressionismus, noch an dies oder jenes denkend. Und doch habe ich mich wieder einmal gehen lassen, ein neuer Fehlschlag und ich habe genug davon. Also jetzt arbeite ich in den Olivenbäumen und suche die verschiedenen Effekte des grauen Himmels über gelbem Boden mit der schwarzgrünen Note des Laubes; ein anderes Mal, Boden und Laubwerk tief violett gegen gelben Himmel gesetzt, dann wiederum der Boden gelbrot gegen einen zartgrünen und rosa Himmel. Schliesslich interessiert mich das doch mehr als all die oben genannten Abstraktionen. Wenn ich so lange nicht geschrieben habe, so geschah es, weil ich keine Lust zum Diskutieren hatte und in dem vielen Nachdenken auch eine Gefahr sah, da ich gegen meine Krankheit kämpfen und mein Gehirn beruhigen musste. Beim ruhigen Arbeiten werden schon die schönen Sujets von selbst kommen, die Hauptsache nur ist, sich ganz an der Wirklichkeit zu stählen, ohne irgend welchen vorgefassten Plan, ohne eine von Paris ausgegebene Losung. Uebrigens bin ich mit diesem Jahr sehr unzufrieden, vielleicht aber wird es sich als eine solide Grundlage für das kommende herausstellen. Ich habe mich ganz von der Luft der Hügel und der Obstgärten durchdringen lassen und damit wollen wir 'mal sehen, wie wir weiter kommen. Mein ganzer Ehrgeiz beschränkt sich jetzt auf ein kleines Häuflein Erde: Getreide, das emporspriesst, ein Olivengarten, eine Zypresse (letztere übrigens nicht leicht zu machen). –


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