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Ein Denkmal den Tapferen,
gefallen für ihr Vaterland den 24. August 1832
Es war im Jahre 1832. Die Transkaukasischen Staaten Grusien, Imeritien und Mingrelien waren seit dem Anfange des Jahrhunderts russisch.
Zar Georg XII. von Grusien hatte 1800 dem Kaiser Paul seine Krone angeboten. Er hatte dies in der richtigen Erkenntnis getan, daß sein durch innere Fehden zerrüttetes Reich den Angriffen der Perser und Türken nicht widerstehen könne.
Zar Solomon von Imeritien hatte ebenfalls in Folge des auf ihn ausgeübten Druckes 1804 sich Rußland unterwerfen und in die Einverleibung seines Königreiches einwilligen müssen.
Im selben Jahre erkannte auch der Dadian (Fürst) von Mingrelien die russische Oberhoheit an und sein Fürstentum wurde russische Provinz. Die christlichen Staaten im Westen Transkaukasiens hatten sich unter den Schutz des mächtigen Selbstherrschers aller Reußen gestellt.
Die kleinen mohammedanischen Chanate und Sultanate im Osten und Südosten Transkaukasiens wurden auch ohne zu große Anstrengung von den tapferen russischen Truppen erobert.
Aber diese neuen russischen Provinzen hatten keinen Zusammenhang mit dem Reich. Die gewaltige Hochkette des Kaukasus trennte sie in einer Länge von über tausend Werst vom eigentlichen Rußland und die einzige über das Gebirge führende Straße, die grusinische Heerstraße, war damals keine sichere Verbindung; räuberische Überfälle, Lawinen und Felsabstürze machten das Reisen auf ihr gefährlich und unsicher. Das Gebirge war von tapferen, ihre Unabhängigkeit liebenden Bergvölkern bewohnt, gegen die Rußland bis 1859 in einem auf beiden Seiten mit unvergleichlichem Heldenmut und wilder Tapferkeit geführten Eroberungskrieg hat kämpfen müssen, um sich den Besitz der transkaukasischen Gebiete zu sichern.
Unter den Stämmen, die sich tapfer gegen die Fremdherrschaft gewehrt, haben die Tschetschenzen sich besonders hervorgetan. Sie bewohnen die Nordabhänge des Kaukasus, östlich von Wladikawkas. Räuberisch und kriegerisch, dabei tapfer und von ritterlichen Ehrbegriffen, haben sie manchen harten Strauß mit den Kosaken gekämpft, die am nördlichen Ufer des Terek in einer langen Reihe von Stanitzen (Dörfern) hauptsächlich im 18. Jahrhundert angesiedelt worden waren, um das Reich vor Überfällen der Bergvölker zu schützen.
Am 8. Oktober 1831 übernahm der General-Leutnant Baron Rosen das Oberkommando über die russischen Truppen im nördlichen Kaukasus. Bald nach seinem Amtsantritt beschloß er im Einverständnis mit seinem Generalstabschef Weliaminof die Tschetnia, das Land der Tschetschenzen, durch systematisches Verheeren zu unterwerfen. Die Dörfer sollten erobert und zerstört, das Vieh fortgetrieben, die Ernten vernichtet werden.
Es dauerte nicht lange, bis dieser Plan ausgeführt werden konnte. Am 5. August 1832 brach Rosen mit 9000 Mann und 28 Kanonen von Narsan auf und überschritt am Tag darauf den Fluß Sundja. Damit war er auf feindlichem Gebiet; es begann das nie aufhörende Gefecht. Damals bedeckten dichte Wälder die Nordabhänge des Gebirges, und wenn auch die russischen Truppen schon breite Durchhaue durch das Dickicht angelegt hatten, so umschwärmten doch, begünstigt durch die Nähe des Waldes, die für ihre Heimat erbittert kämpfenden Tschetschenzen Tag und Nacht das russische Expeditionskorps. Wehe dem Ermüdeten, der zurückblieb, wehe dem Tollkühnen, der sich allein zu weit in den Wald wagte, wie aus der Erde gestampft waren die Tschetschenzen da und mancher tapfere russische Soldat hat dort sein Leben lassen müssen, ohne ein Kreuz auf sein Grab zu erhalten.
Ein Lager konnte nur da aufgeschlagen werden, wo der Wald außer Schußweite war. Das Expeditionskorps blieb so lange in dieser Stelle im Lager, bis alle in der Nähe befindlichen Dörfer verbrannt waren. Kleinere Kolonnen wurden ausgesandt, die Ernten zu vernichten und alleinstehende Häuser anzuzünden. War das getan, dann brach das Korps zu neuen Kämpfen auf. Aber beschwerlich war der Weg und gefährlich der Marsch. Nie bekamen die Russen einen Feind zu sehen, aber die ganze Zeit fühlten sie sich beobachtet – da steigt ein kleines Wölkchen aus dem Walde auf – dort eins aus jenen Gebüschen am Bergesabhang und die Kugeln pfeifen und treffen, die Tschetschenzen sind gute Schützen. Die Russen aber hatten kein Ziel, wohin zu schießen, ringsum Wald und Gebüsch; sie konnten nur ungefähr nach den Rauchwölkchen zielen.
Das Expeditionskorps durchquerte auf diese Weise kämpfend das ganze Land der Tschetschenzen von Westen nach Osten, und verheerte und vernichtete alles auf seinem Wege.
Am 24. August wurde das reiche und große, 600 Häuser zählende Dorf Germentschuck erstürmt und zerstört. Es lag am Zusammenflusse der Djalka und des Kulkulu. Die unglücklichen Einwohner hatten, als sie ihr Dorf von den russischen Truppen umgeben sahen, beschlossen, sich aufs äußerste zu verteidigen und die Zerstörung ihrer Heimat nicht zu überleben. Hatte doch das Leben ohne Freiheit keinen Wert für sie. Sie fochten mit dem Heldenmute derer, die ihr Leben im voraus geopfert. Aber ein Widerstand war unmöglich. Germentschuck ist kein Dagestansches Adlernest, das zwei- bis dreihundert Schützen gegen eine ganze Armee verteidigen können. Es liegt schon am Fuße der Berge auf sanft gewelltem Terrain.
Früh am Morgen erschien das russische Expeditionskorps und besetzte mit Artillerie die das Dorf beherrschenden Anhöhen. Eine Aufforderung zur Übergabe wurde nicht erlassen. Diese wäre unerwünscht gewesen und hätte den Oberkommandierenden in Verlegenheit gebracht, denn Germentschuck sollte nicht besetzt, sondern vernichtet, sollte dem Erdboden gleichgemacht werden.
Nicht leicht aber wurde es den kampfgeübten russischen Truppen, das Dorf zu nehmen. Jedes Haus war in eine Festung verwandelt und umgeben von einer hohen mit Schießscharten versehenen Hofmauer. Jedes Haus wurde von den Tschetschenzen mit wilder Verzweiflung verteidigt, denn das russische Korps war so plötzlich vor dem Dorfe erschienen, daß die Einwohner nicht Zeit gehabt hatten, ihre Frauen und Kinder in den nahen Wald in Sicherheit zu bringen. Die Gegenwart ihrer Familie aber trieb die Männer zu einem Verzweiflungskampfe, wie er, sogar in der blutgetränkten Geschichte des Kaukasus, nur selten vorgekommen ist.
Jedes Haus mußte einzeln gestürmt werden. Die Infanterie konnte anfangs nichts ausrichten, die ihr Ziel nie fehlenden Kugeln der Tschetschenzen trafen den Tollkühnen, der sich zu nahe heranwagte. Es mußten Feldkanonen herbeigeschafft werden, doch die Pferde und Soldaten fielen immer wieder unter den Kugeln der Tschetschenzen, bis es endlich den Russen gelang, ihr Artilleriefeuer auf das Haus zu eröffnen. Da ward bald eine Bresche in die den Hof umgebende Mauer geschossen, bald auch hatten die Kanonenkugeln die Wand des Hauses durchschlagen und mit Todesverachtung stürmten die Russen hinein. Dann entspann sich in den dunkeln engen Räumen des Hauses ein fürchterliches Gemetzel, wo die Tschetschenzen mit ihrem kurzen leichten Kinshal, dem kaukasischen Dolche, im Vorteil waren, während der eingedrungene russische Soldat mit dem schwerer zu handhabenden Bajonett angreifen mußte. In dem Hause aber kämpften und fielen Frauen, Kinder und Greise – bis es still drinnen geworden und die Kanone vor ein anderes Haus gefahren werden konnte.
Mehr wie ein Haus ging in Flammen auf und krachend und lichterloh brennend fiel das Dach dann zusammen und begrub seine Verteidiger und die eingedrungenen Feinde unter brennenden Trümmern. Kroch dann ein verwundeter Tschetschenze aus dem Trümmerhaufen heraus, so wurde ihm unerbittlich durch ein Bajonettstoß der Garaus gemacht. Weder Frauen noch Kindern wurde Pardon gegeben, denn die mit ihnen kämpfenden Kosaken waren erbittert und durch den Kampf wie berauscht.
Der russische Soldat ist von Natur gutmütig; bei der Erstürmung von Germentschuck aber wurden verwundete Frauen niedergemetzelt und Kinder in brennende Häuser geschleudert. Daher töteten viele Tschetschenzen vor den Augen der eingedrungenen russischen Soldaten ihre Frauen und Kinder als sie einsahen, daß keine Rettung mehr möglich und daß ihnen kein anderer Ausweg blieb, wenn sie nicht wollten, daß ihre Lieben in die Hände der siegestrunkenen Feinde fielen.
Die Sonne neigte sich schon nach Westen, als der mit seinem Stabe auf einem Hügel haltende Oberkommandierende den Sieg der russischen Truppen sah. Die meisten Häuser brannten lichterloh und fast das ganze Dorf war in der Gewalt der Russen. Nur an einer Stelle, am Ende des Dorfes, war der Widerstand ungebrochen. Dort standen nahe beieinander drei Häuser, umgeben von Gärten. In die Nähe dieser Häuser durfte sich niemand wagen. Ein wohlgezielter Schuß machte seinem Leben ein Ende. In weitem Kreise umgaben russische Scharfschützen die Häuser und wechselten mit den Insassen Schüsse.
Nachdem ein Offizier und mehrere Soldaten gefallen, befahl der Oberkommandierende auch hier mit Artillerie vorzugehen. Eine Kanone wurde herbeigebracht und die Kugeln fegten durch die Häuser. Aber schon nach einigen Schüssen mußte die Beschießung aufgegeben werden, denn die auf der andern Seite stehenden russischen Infanteristen fielen unter den Kugeln der eigenen Kanonen; aber wegnehmen konnte man dort die Infanterie nicht, um nicht den Tschetschenzen einen Weg zur Flucht freizugeben. Es wurden daher Freiwillige aufgefordert, sich zu melden, um die drei Häuser in Brand zu stecken. Einige Kosaken erklärten sich zum Wagnis bereit und krochen unter dem Schutze von vorgehaltenen Eichenplanken an die Schmalseite eines der Häuser heran und es gelang ihnen die aus Lehm und Holz bestehende Wand in Brand zu setzen, so daß die Verteidiger des Hauses sich von dieser Wand zurückziehen mußten.
Dann wurden von einigen Soldaten mit äußerster Vorsicht Handgranaten hingebracht und ein Kosak kletterte an der brennenden Seite des Hauses aufs Dach und warf die Handgranaten mit glimmender Zündschnur durch den Schornstein ins Haus. Doch nur zwei Granaten hörten die Russen platzen und dann nicht mehr. Die Tschetschenzen löschten sie aus, indem sie sich auf sie setzten.
Das Feuer aber fraß immer weiter um sich und der den Angriff leitende russische Offizier erkannte, daß den tapferen Verteidigern der drei Häuser nur die Wahl blieb zu verbrennen, oder sich zu ergeben. Darum wurde ein Parlamentär hinübergesandt, der den Tschetschenzen anbieten sollte, sich unter ehrenvollen Bedingungen zu ergeben, mit dem Rechte, gegen gefangene Russen umgetauscht zu werden.
Nach einer kurzen Beratung kam ein halbnackter, von Rauch geschwärzter Tschetschenze heraus und sagte dem Parlamentär, er und seine Landsleute wollten keine Gnade von den Russen annehmen. Das einzige worum sie bäten sei, man möge ihren Verwandten sagen: sie seien gestorben, wie sie gelebt, und hätten die Unterwerfung unter fremdes Joch verweigert.
Und eine Salve aus allen in den Wänden angebrachten Schießscharten bekräftigte die Worte des Sprechers. Doch auf den Parlamentär wurde nicht geschossen.
Nun begannen die Russen auch an die anderen Häuser Feuer anzulegen.
Obschon mancher russische Soldat dabei sein Leben lassen mußte, so standen doch bald alle drei Häuser in Flammen.
Da ging gerade friedlich und den Himmel purpurn und orange färbend die Sonne am Steppenrande unter und die im Süden rasch hereinbrechende Nacht hätte die Szenen der Verwüstung verhüllt, wenn nicht die brennenden Häuser die schaurigen Fackeln gewesen wären, die mit grellem, unruhigem Licht hier und da das Dunkel erhellt hätten.
Weiter und weiter fraß das Feuer.
Aus den brennenden Häusern ertönt ein Gesang, langgezogen und eigentümlich, das Herz mit Weh ergreifend. Es sind die Tschetschenzen, die vor ihrem nahen Ende den Totengesang ihres Volkes anstimmen.
Bald, bald deckt mich die Erde,
Die kühle Steppenerd,
Mein Vater, wein nicht, denn ich fall
Für Freiheit, Heim und Herd.
Bald spielt im hohen Grase
Auf meinem Grab der Wind,
O Mutter, wein und trau're nicht
Zu lange um dein Kind.
Und du, schwarzlock'ge Schwester,
Entsag nicht Lust und Tanz,
Und trüb nicht lang mit Tränen dir
Der dunklen Augen Glanz.
Doch du, mein ältrer Bruder,
Warst Bruder mir und Freund,
Du wirst nicht vorenthalten mir
Die Rache an dem Feind.
Auch du, mein jüngrer Bruder,
Stets tapfer, treu und gut,
Wirst rächen, wenn Allah es gibt,
Mein hier vergossnes Blut.
Ich schoß hier manche Kugel,
Dem Feind bracht sie den Tod,
Ich sandte sie, wohin ich wollt',
Wie es die Ehr' gebot.
Mein treuer Hengst, nicht wirst du
Mich tragen mehr zur Schlacht,
Wenn silberhell der Mond bescheint
Die Stepp' in lauer Nacht.
Des Paradieses Huris
Vom Himmel auf uns sehn,
Ob wir als Helden heut den Kampf,
Den letzten noch, bestehn.
Die Schönste unter ihnen,
Der Tapferste erhält,
Sie streiten sich, wer unter uns,
Am ehrenvollsten fällt.
Kalt bist du, Tod, doch warst du
Mein Sklave lange Zeit,
Der Leib zur Erd, doch meine Seel'
Zum Himmel fahre heut.
So sangen sie im brennenden Gebäude. Voll klang es anfangs, doch allmählich wurde der Sang schwächer und schwächer, als die Männer, die Helden, einer nach dem andern abberufen wurden in eine andere Welt, wo kein Volk das andere bedrückt und unterjocht, wo kein Blut vergossen, noch eine Träne geweint wird.
Der Totensang war aus. Nicht alle waren erstickt, verbrannt – einige der Tapferen waren noch am Leben.
Durch die Schießscharten war ihnen wohl noch etwas frische Luft zugeführt worden. Jetzt aber drohte der entsetzliche Erstickungstod. Ein junger Tschetschenze hatte nicht die Kraft im brennenden Zimmer sitzen zu bleiben. Er sprang auf und eilte zur Tür. Lieber wollte er doch im Kampfe fallen. Die Russen sahen mit Staunen aus dem lichterloh brennenden Hause noch ein menschliches Wesen herauskommen. Nachdem der junge rauchgeschwärzte Tschetschenze seine Flinte abgeschossen, lief er, seinen Dolch in der Hand, gerade auf die Russen zu. Ein alter Kosak ließ ihn auf zehn Schritt herankommen, dann zielte er gut und schoß ihn durch die Brust. Hoch sprang der tödlich Verwundete auf und stürzte hin, richtete sich dann noch einmal in seiner vollen Länge auf, um langsam nach vorn sich neigend, hinzufallen.
Nach einigen Minuten kam noch ein Tschetschenze aus dem brennenden Hause, ein alter Mann mit versengtem Bart. Ihm gelang es, durch die erste Reihe der russischen Scharfschützen zu kommen, um dann von mehreren Bajonetten durchbohrt, zusammenzubrechen.
Unter den Trümmern der Häuser wurden noch 70 verkohlte Leichen gefunden und begraben. Doch schmückt kein Denkmal ihr Grab oder die Stätte, da sie gefallen, – und ihre Namen sind unbekannt.
Sie starben als Helden, die letzten 72 Tschetschenzen von Germentschuck.