Else Ury
Was das Sonntagskind erlauscht
Else Ury

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Neckpeterle und Schreikäterle

Selten zankten sich wohl Geschwister so arg, wie das Neckpeterle und das Schreikäterle.

Ja – so hatten sie die Eltern genannt, denn der Peter, das Brüderchen, ließ nicht nach, sein Schwesterchen zu necken und zu foppen, und das Kätchen schrie dann wie am Spieß.

In dem schönen Mecklenburg waren die Kleinen zu Haus, wo die blauen Waldseen so still und verschwiegen, wie eine verwunschene Märchenprinzessin in dem grünen Dämmerlicht des Waldes vor sich hinträumen.

Dort hatte der Vater der Kinder ein prächtiges Gut; da gab es Pferde und Kühe, meckernde Ziegen und fette Schweine, schnatternde Gänse, Enten, Hühner und niedliche Täubchen, ja, das war ein lustiges Leben auf dem Hof.

Aber die Kinder verdarben sich durch ihre Ungezogenheit selbst die Freude an all' dem Schönen; schon am frühen Morgen ging das Geschrei los.

Als Kätchen an den Puppenwagen kam, um ihre Kleinen zu waschen und anzuziehen, da hatte das Neckpeterle heimlich der Puppe Aurelchen einen schwarzen Schnurrbart gemalt; Ernestinchen hatte von roter Tusche einen stattlichen Kinnbart erhalten, und selbst das kleine Alwinchen im Steckkissen trug einen Backenbart.

Ach, wie brüllte das Schreikäterle da los: »Mama–a–a, Mama–a–a!« gellte es durch Haus, Hof und Garten.

Die Täubchen flogen erschreckt ans Fenster und schauten in die Kinderstube – was war denn da passiert? – die Hühner scharrten ärgerlich im Sande; die Enten und Gänse schnatterten: »Unartiges Pack – Pack – Pack – Pack, unartiges Pack – Pack – Pack – Pack«; ja selbst die Schweine im Stall grunzten vor Ärger über die bösen Kinder.

Mama aber griff zur Rute hinter dem Spiegel, und Neckpeterle und Schreikäterle kriegten beide ihr Teil, da schrie das Kätchen noch viel mehr.

Der Peter aber hörte nicht auf zu necken; auf die süßen Speisen, welche das Kätchen so gern aß, streute er ihr heimlich Salz. Ach – wie schrie die Kleine da, als sie einen großen Bissen davon in den Mund nahm.

Wollte das Kätchen die Hühner und Täubchen auf dem Hof füttern, so verscheuchte sie das Neckpeterle, und hatte es geregnet und das Kätchen ging nachher in den Garten, so schüttelte der böse Peter heimlich die nassen Bäume, daß ein tüchtiger Wasserschauer auf die Kleine herabbrauste, und »Mama–a–a, Mama–a–a!« ertönte es wieder von den Lippen des Schreikäterle.

Es war kurz vor Weihnachten. Die Kinder hatten lange Wunschzettel geschrieben, aber der Vater sprach im strengen Ton: »Peter, wenn du das Kätchen noch einmal neckst, oder wenn du, Kätchen, auch nur ein einziges Mal bis zum Christfest noch ›Mama‹ schreist, so kehrt Knecht Ruprecht diesmal nicht bei euch ein, und ihr geht ganz leer aus. Merkt's euch!«

O, was für einen Schreck bekamen die Kleinen da; gar nichts sollten sie zum lieben Christfest bekommen? Nein, lieber nahmen sie sich zusammen, ganz brav wollten sie bis Weihnachten noch sein!

Aber die Sache war nicht so einfach.

Als das Kätchen am Nachmittag ihr Märchenbuch nahm, um das schöne Märchen von den Waldelfchen noch einmal zu lesen, da hatte das böse Neckpeterle fast alle Seiten verklebt. »Ma–« begann das Schreikäterle, doch da hielt sie erschreckt inne.

»Wir wollen doch brav sein,« sprach sie vorwurfsvoll zum Brüderchen.

Ach, richtig – das Neckpeterle hatte es rein vergessen!

Zwei Tage dachten die Kinder nun an ihr Versprechen, aber dann ging die alte Leier wieder los.

Das Neckpeterle gab und gab keine Ruh'!

Wie das Kätchen ihren Wintermantel anziehen wollte, hatte der Peter die Ärmelchen mit Sicherheitsnadeln zugesteckt, daß sie nicht hinein konnte, und als der Vater sie am Abend nach der Zeitung in das dunkle Zimmer schickte, wo das Käthchen so wie so schon Furcht hatte, da hockte das böse Neckpeterle in der finstersten Ecke und brummte und knurrte wie der Wolf aus Rotkäppchen; ach, wie schrie das Schreikätchen da!

»Mama–a–a–a,« brüllte sie vor Angst, und Mama lief schnell herbei, und eine tüchtige Tracht Prügel bekamen beide Kinder.

Papa aber sprach: »So – ihr habt nicht Wort gehalten, nun ist es für diesmal um Weihnachten geschehen, auch nicht ein Stückchen Pfefferkuchen sollt ihr bekommen!«

Bitterlich weinten da die Kinder; aber je näher Weihnachten kam, desto lauter pochte ihr Herzchen, würde Knecht Ruprecht dies Jahr wirklich ganz und gar an ihrer Tür vorübergehen?

So kam der Heiligabend heran; seit langer Zeit herrschte heut' in der Kinderstube wieder Frieden. Die Kinder waren so aufgeregt, daß Neckpeterle ganz das Necken vergaß, und Schreikäterle hockte bei ihren Puppen und flüsterte Aurelchen ganz heimlich ins Ohr: »Ob dir Knecht Ruprecht wirklich nicht das neue Mäntelchen und das Pelzmützchen bringt?« – Aurelchen schaute die Kleine groß an; sie wußte es auch nicht!

Dunkel wurde es – ganz dunkel; schon steckte man den großen, buntflimmernden Weihnachtsbaum an, und noch immer klopfte Knecht Ruprecht nicht an die Tür.

In Mecklenburg nämlich breitet der Weihnachtsmann seine Geschenke nicht unter dem brennenden Christbaum aus; riesengroße Pakete wirft er durch die Tür, auf jedem steht der Name des Besitzers und – »Julklapp« – ruft er dazu.

Da plötzlich pochte es laut dreimal.

Die Kinder hielten den Atem an.

Die Tür öffnete sich halb; eine schwarz vermummte Gestalt wurde sichtbar, und »Julklapp – Julklapp« rief eine tiefe Stimme.

Ein Paket nach dem anderen sauste durch die geöffnete Tür; jetzt – da flog eins zu Peters Füßen, und hier – eins zu Kätchens Platz, die Namen der Kinder standen darauf.

So hatte der gute Knecht Ruprecht sie doch nicht vergessen – hei, wie flink ging das Auspacken! Ein Papier nach dem anderen flog von den Paketen, immer kleiner wurden sie, und noch immer kam nichts zum Vorschein. Die Gesichter der Kleinen wurden lang und immer länger – da fühlte Kätchen einen Gegenstand, sie riß das letzte Papier herab, – eine große Rute schaute heraus! Ein Zettelchen hing daran, darauf stand:

»Knecht Ruprecht bringt den Kindern klein,
Die wie am Spieß »Mama« stets schrei'n,
'ne große Rute nur fürwahr –
Nun bessere dich bis nächstes Jahr!« –

Ach – wie schämte sich das kleine Kätchen da; heiße Tränen flossen auf die Weihnachtsrute herab, nun wollte sie sich aber ganz gewiß bessern!

Und der Peter?

Der hatte in seinem Paket einen Zettel gefunden, darauf stand:

»Willst du etwas finden,
Such' nur bei den Linden!«

Da zog sich der Kleine geschwind das Mäntelchen an und lief in den beschneiten Garten hinaus. An der größten Linde war wieder ein Zettel befestigt; beim Mondschein las Peter:

»Hast es immer noch nicht – ach –
Such' mal in der Scheune nach!«

Und der Peter lief neugierig in die Scheune. Den ganzen Raum mußte er durchsuchen; schließlich fand er ein kleines Zettelchen, das trug die Worte:

»Denkst – du hast es schon – ja Kuchen!
Unter'm Bett mußt du jetzt suchen!«

Da kroch der Peter unter alle Betten; Hurra – unter dem letzten lag ein großes Paket! Er zog es hervor und öffnete es.

Ein großer Steinbaukasten war's, wie ihn sich der Peter sehnlichst gewünscht; auf dem Deckel prangte das Bild eines stolzen Turmes, aber als Peter strahlend den Deckel aufzog – da war der ganze Kasten mit Kieselsteinen gefüllt, und auf dem Zettel, der oben lag, stand:

»Siehst du nun, wie schlecht das schmeckt,
Wird gefoppt man und geneckt?
Laß' in Frieden Käterle,
Neck' sie nie mehr, Peterle,
Gibst' bis nächste Weihnacht Ruh,
Kriegst 'nen Steinbaukasten du!« –

O, das war ein recht trauriges Weihnachtsfest diesmal!

Aber es hatte doch genützt; Peterle neckte sein Schwesterchen nie mehr; er dachte immer an den Weihnachtsheiligabend, und wenn das Kätchen mal »Mama« schreien wollte, dann nickte die Weihnachtsrute so böse hinter dem Spiegel hervor, daß sie ganz geschwind den Mund schloß.

Und im nächsten Jahr brachte Knecht Ruprecht dem braven Peter und dem artigen Kätchen doppelt schöne Geschenke.



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