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13. Kapitel. Nesthäkchen geht auf Reisen.

»Was – meine Lotte will mich morgen also wirklich allein lassen und in die weite Welt hinausfliegen?« fragte Vater und nahm sein Nesthäkchen zärtlich auf den Schoß.

»Mutti bleibt ja bei dir,« tröstete Annemie, »und du fährst doch dann auch selbst mit ihr fort in die Schweiz. Aber wenn du so schrecklich gern willst, lasse ich Fräulein und Klaus allein zu Onkel und Tante aufs Gut fahren und komme lieber mit euch mit.«

.

»Möchtest du das denn so gern?«

»Ja, schrecklich gern!« Annemie schlang beide Ärmchen um Vaters Hals.

Doktor Braun war ganz gerührt.

»So schwer wird dir die Trennung von uns, Lotte?«

»Ach, bewahre,« Annemies lachendes Gesichtchen zeigte nichts von Abschiedsweh, »aber weißt du, Vatchen, in der Schweiz, da kann ich doch den ganzen Tag Schweizerkäse essen, soviel ich nur will! Den esse ich so schrecklich gern, und die Löcher esse ich am liebsten!« Damit sprang Nesthäkchen davon, weil sie noch so furchtbar viel bis morgen zu tun hatte.

Fräulein packte mit Mutti im Kinderzimmer den Koffer. Annemie holte ihren kleinen Puppenkorb herbei und begann die Kleider ihrer Kinder hineinzustopfen. Aber der war im Umsehen voll.

»Fräulein, hast du noch viel Platz? Ich kriege Irenchens Schulmappe gar nicht mehr hinein, und Babys Soxlet klemmt sich auch schon«, jammerte das Puppenmütterchen voll Eifer.

»Aber Annemiechen, was willst du denn bloß mit all dem Zeug, Tante Kätchen hat schon an euch beiden Krabben genug!« lachte Mutti.

»Ja, aber meine Kinder wollen doch auch aufs Land. Irenchen muß sich rote Backen holen, Mariannchen soll mit ihren schlimmen Augen viel ins Grüne gucken, und Lolo will ich auf die Bleiche legen, damit sie weiß wird und kein Negerkind mehr ist. Baby soll tüchtig im Regen wachsen, und Kurt, der Strick, kann sich dort mal wenigstens ordentlich austoben. Gerdachen aber, von der trenne ich mich überhaupt nicht!«

»Was – und das halbe Dutzend Puppenjören willst du Tante Kätchen mit ins Haus schleppen?« fragte Mutti und versuchte vergeblich, ernst zu bleiben.

»Ja, natürlich, sie wird sich sehr freuen, und Kusine Elli auch, wenn sie auch schon zwölf Jahre alt ist.«

»Nein, Lotte, das geht nicht. Eine Puppe magst du mitnehmen, die anderen bleiben hier. Nun suche dir eine aus!« sagte Mutti in bestimmtem Ton.

Nesthäkchen machte ein enttäuschtes Gesicht, und die Puppen saßen ebenfalls mit enttäuschten Mienen da. Sie hatten sich schon so auf die Reise gefreut.

Das ist eine schwere Aufgabe für eine Mutter, die Wahl unter ihren Kindern, die sie doch alle lieb hat, zu treffen. Am notwendigsten war sicher dem blassen Irenchen die Reise aufs Land. Aber Annemie wollte doch die schwarze Lolo auf die Bleiche legen, denn, wenn Wäsche dort weiß wurde, wie Frida ihr erzählte, warum sollte Lolo nicht auch weiß werden! Da aber fiel ihr Blick auf Gerda. Die saß ganz still auf ihrem Stühlchen und schaute ihre kleine Mama ängstlich an.

»Nein, Gerdachen, hab' keine Furcht, du kommst mit, wie werde ich mich denn von meinem süßen Nesthäkchen trennen!« rief die Kleine und zog die Lieblingspuppe an ihr Herz.

Aber da fühlte sich Annemie selbst ans Herz gezogen, und zwar an Muttis. Die flüsterte: »Und ich muß mein Nesthäkchen hergeben!« Dabei hatte sie sogar Tränen in den Augen.

»Dafür kriegst du ja soviel Schweizerkäse!« Ob nun Annemies Trost ihr einleuchtete, oder ob Mutti daran dachte, daß Vater, der so angestrengt in seinem Beruf war, eine Erholung ohne seine lebhaften Sprößlinge durchaus nötig hatte, sie wischte die Tränen schnell wieder fort. Wußte sie doch auch die Kinder bei ihrer Schwester und unter Fräuleins Aufsicht vorzüglich aufgehoben. Hans, der Große, machte inzwischen eine Wandertour mit seinem Turnlehrer und mehreren anderen Jungen.

»Fräulein, da hättest du bald was Schönes gemacht, den hättest du doch ganz sicher vergessen, nicht?« Keuchend brachte Nesthäkchen, als der Koffer fast schon voll war, ihren großen Puppenwagen angeschleppt.

»Aber Annemie, das Riesending können wir doch nicht mitnehmen – und was bringst du denn jetzt noch herbei, bist du denn ganz und gar nicht gescheit?« Halb belustigt, halb ärgerlich griff Fräulein nach dem Vogelbauer mit Mätzchen, den Annemie bereits in den Koffer mitten auf ihre schön geplätteten Sommerkleidchen befördert hatte.

»Ja, aber meine Gerda muß doch spazierenfahren, und Mätzchen verhungert sicherlich, wenn ich ihm nicht Futter und Wasser gebe«, behauptete die Kleine und warf ihre kleinen Holzpantinen noch hinterdrein in den Koffer.

Fräulein hatte alle Mühe, sie davon zu überzeugen, daß Frida Mätzchen gerade so gut versehen würde wie sie, und daß Gerda noch lieber in dem kleinen Leiterwagen der Vettern ausfahren würde. Vielleicht fand sich auch noch in Arnsdorf ein alter Puppenwagen von Kusine Elli in der Rumpelkammer. Auch die Holzpantinen konnte sie entbehren, da sie doch wohl da nicht scheuern würde.

Als aber Klaus, der zweite junge Reisende, nun ebenfalls erschien, unter dem einen Arm seine Schmetterlingssammlung und unter dem anderen die Festung mit sämtlichen Regimentern, die er mit in den Koffer zu verpacken wünschte, da wurde es dem Fräulein denn doch zu bunt. Schmetterlinge, Festung und sämtliche Regimenter wanderten ins Jungenzimmer zurück, und Klaus dazu. Annemie aber wurde auf Besuch zu Hanne geschickt, weil die sie doch nun so lange entbehren mußte. Jetzt hatte Fräulein endlich Ruhe zum Packen, nur die Puppen durften zugucken.

Eigentlich war es schon am Tage vor der Reise so schön, daß man gar nicht erst zu verreisen brauchte. Vater und Mutter waren noch zärtlicher als sonst, Hanne ließ die Kleine über alle ihre Kästen gehen, weil sie doch morgen nicht mehr da war, und Hans schenkte ihr sogar einen großen Radiergummi. Das Schwesterchen war so begeistert von dieser Freigebigkeit, daß es sich liebevoll an seinen Rücken hängte und ausrief: »Ich wollte, daß du lieber mit nach Arnsdorf kämest, Hänschen, und Klaus mit seinem Lehrer reiste!«

Im Nebenzimmer aber saß eine, auf die all die anderen Puppen neidisch blickten, die wünschte das noch tausendmal mehr. Puppe Gerda sah bereits im voraus ihre Sommererholung durch den wilden Klaus arg beeinträchtigt.

Als gegen Abend auch noch Großmama erschien, um den Enkelchen Lebewohl zu sagen, und ihnen eine große Tüte Keks für die Reise mitbrachte, da war die Seligkeit voll. Klein-Annemarie war gar nicht zu bändigen, so aufgeregt war sie. Sie setzte mit Klaus über Hutkarton, Koffer und Stühle, und Fräulein drohte, sie nicht mitzunehmen. Und als sie dann endlich in ihrem Bettchen lag, da betete sie voll Inbrunst: »Lieber Gott, mache doch bloß, bitte, daß ganz schnell morgen ist.«

Das mußte der liebe Gott denn wohl auch getan haben, denn als Fräulein Annemie eine Stunde früher als sonst weckte, war die Kleine so müde, als ob sie eben erst eingeschlafen wäre.

»Annemie, der Zug geht ab!« rief Fräulein.

Hei – wie war Nesthäkchen da im Augenblick aus dem Neste – wie blitzten die eben noch so verschlafenen Augen. Auch Gerda sprang mit beiden Füßen zu gleicher Zeit heraus.

Heute ging das Anziehen noch mal so schnell. Wenn man reisen will, ist das Wasser nicht so naß wie sonst, der Kamm ziept nicht die Spur, und selbst die zwei Tassen Kakao sind im Umsehen leer, wenn man auch gar keinen rechten Appetit hat.

»Fräulein, der Zug geht ab!« Jetzt war es Annemie, die Fräulein drängte, und der es nicht rasch genug gehen konnte. Lange, bevor das Auto geholt wurde, stand sie bereits reisefertig da. Auf dem rechten Arm die ebenfalls reisefertige Gerda, in dem linken ihren Teddybären, dem sie Kurts Mütze aufgesetzt und Irenchens blaues Cape umgebunden hatte.

»Soll dieser junge Herr etwa auch mit?« fragte Vater amüsiert, sich den merkwürdigen Reisenden anschauend.

Annemie bejahte eifrig, weil sie doch bloß eine Puppe mitnehmen dürfe, und Tiere auf einem Gut, wo es doch soviel Ochsen und Kühe gibt, sicher sehr willkommen sein würden.

»Ja, aber Bären gehören doch nicht auf ein Gut«, überredete sie Mutti, da Nesthäkchen durchaus den Teddybären als Reisegefährten mitnehmen wollte.

Auch Vaters Einwurf: »Der kriegt doch keine roten Backen von der Landluft!« half nichts, nur Fräuleins energisches Verfahren: »Dann bleibst du auch zu Hause!«

Der Bär wanderte zu den zurückgelassenen Puppen, und nachdem Hanne und Frida Nesthäkchen nochmals versprachen, für ihre armen, mutterlosen Kinder zu sorgen, konnte sie endlich mit ihrer Gerda die Reise antreten.

Klaus, die grüne Botanisiertrommel umgehängt, und das Schmetterlingsnetz wie eine Fahne in der Hand schwenkend, thronte bereits auf dem Bock neben dem Chauffeur. Auch die Eltern fuhren mit zur Bahn.

Ach, wie herrlich ist verreisen, wenn Hanne und Frida vom Balkon herunterwinken, wenn der Herr Portier in höchst eigener Person die Koffer aufladen hilft, und das Auto so wundervoll tutet!

Mit glänzenden Augen fuhr Nesthäkchen zum Bahnhof. Dort gab es wieder eine Freude. Großmama hatte sich eingefunden, um ihrem Herzblatt Annemie noch einen Abschiedskuß zu geben. Der kleine Reisekorb mit Bonbons aber, den Großmama Puppe Gerda überreichte, weil sie doch ihr Patchen wäre, war doch sicher für ihre kleine Mama bestimmt.

Vater und Mutter wollten ihr Nesthäkchen gar nicht aus dem Arm lassen.

»Sei folgsam und artig, Lotte – Klaus, Fräulein schreibt mir alle Tage über dein Betragen einen Brief, daran denke, wenn du etwas Ungezogenes tun willst! Und grüßt Onkel Heinrich und Tante Kätchen schön –« Da gab der Stationsvorsteher das Zeichen.

»Tü–ü–üh – abfahren!« schrie Annemie, während Mutti mit tränendem Blick auf ihr Kleinchen blickte. Und seelensvergnügt fuhr Nesthäkchen in die weite Welt hinaus.

Die Reise wurde den Kindern nicht lang. Auch Gerda sperrte Mund und Nase auf. Nein, was gab's da draußen alles zu sehen. Zuerst einen großen, dunklen Wald, in dem sicherlich Rotkäppchen dem Wolf begegnet war. Dann ein Dorf mit vielen niedlichen Häuschen und einem roten Kirchlein, gerade solches, wie Annemie es daheim in ihrem Baukasten hatte. Nun kam eine Wiese mit wunderschönen roten, blauen, weißen und gelben Blümchen – ei, wer da doch pflücken könnte! Aber die Eisenbahn ratterte unbekümmert um Klein-Annemies Wunsch weiter – ratteratta – ratteratta – puff – puff – puff – ratteratta – immer weiter.

»Ach, die vielen, vielen Schäfe dort drüben!« Die Kleine klatschte vor Freude in die Hände.

»Das ist eine Hammelherde,« belehrte sie Fräulein, »und der alte Mann mit dem langen Stab ist der Hirt.«

»Annemie, du bist ja selbst ein Schaf, es heißt doch nicht Schäfe, sondern Schafe!« hielt auch Klaus für nötig, das Schwesterchen zu belehren. Abgesehen von dieser Liebenswürdigkeit aber verhielt er sich recht brav, da er fast die ganze Zeit über mit Futtern beschäftigt war.

Gerda, die zuerst ihres Lebens nicht recht froh wurde, weil Klaus ihr gegenübersaß, und sie aus seinen braunen Augen spitzbübisch anblinzelte, verlor allmählich ihr Mißtrauen. Der Junge war ja heute gar nicht zum Wiedererkennen artig.

Aber die Puppe hatte sich zu früh gefreut.

Als sie jetzt alle drei einträchtig miteinander aus dem Fenster schauten, fragte Klaus, dem die Äcker und Wälder allmählich langweilig wurden, das Schwesterchen mit treuherzigem Gesicht: »Du, Annemie, wollen wir mal ›Wind‹ spielen?«

»Au ja, Kläuschen!« Auch Annemie hatte nun genug von den Wiesen und Feldern, die alle ziemlich gleich aussahen.

»Hui« – machte Klaus pfeifend, und noch einmal »hui« – da flog Puppe Gerdas Strohhütchen aus dem Fenster mitten in den roten Mohn hinein.

»Mein Hütchen – mein schöner Hut!« schrie Gerda, oder war es Annemie gewesen? »Der Zug soll halten, du sollst nicht weiterfahren, du oller Zug!« Bitterlich weinte die Kleine.

Die Eisenbahn aber ratterte weiter, unbekümmert um Annemies und Gerdas Jammer – ratteratta – ratteratta – puff – puff – puff – ratteratta – immer weiter. Und es hörte sich sogar an, als ob sie Klein-Annemie noch obendrein auslachte. Oder war das etwa der ungezogene Klaus, der sich ins Fäustchen lachte?

Als Fräulein ihn ausschalt, hatte er noch einen großen Mund: »Was plärrt denn das dumme Ding, sie hat doch selbst gewollt, daß wir Wind spielen!«

Aber da Fräulein mit ernstem Gesicht sagte: »Du, es geht heute noch ein Brief an Mutti ab, Klaus«, da wurde er recht kleinlaut und mit einemmal wieder ein wahrer Musterknabe.

Gerda bekam eine Zipfelmütze aus Nesthäkchens Taschentuch, weil sie doch unmöglich ohne Hut nach Arnsdorf kommen konnte. Was hätten wohl die Kühe dazu gesagt!

Annemie aber beschäftigte sich jetzt damit, eine in der Ecke sitzende Dame angelegentlich zu betrachten, welche die Augen geschlossen hatte.

»Die Tante schläft!« teilte sie Fräulein mit lauter Stimme mit.

»Stst« – machte Fräulein und legte mahnend den Finger auf den Mund.

Die Dame bewegte sich unruhig, machte aber die Augen nicht auf.

»Die Tante schläft noch immer«, erklang es nach einem Weilchen zwar etwas gedämpfter, aber doch noch so laut, daß Fräulein aufs neue den Finger auf den Mund legen mußte.

Die Schlafende hatte jetzt ihre Lippen geöffnet, sanfte Schnarchtöne entquollen ihnen.

»Chch – chchch – chchchch – pfff – pfff –« das klang beinahe so schön wie die Eisenbahnmusik.

»Die Tante schnarcht!« flüsterte Nesthäkchen in heller Begeisterung.

Aber als jetzt ein ganz besonderes grunzendes chchch – chchchch – pff – pfff – einsetzte und der Zug auch gerade dazu »ratteratta – puff – puff« – machte, da sahen sich Klaus und Annemie zuerst erschrocken an, und dann lachten sie plötzlich beide laut los.

Die Dame fuhr zusammen und riß die Augen auf.

»Seht ihr, nun habt ihr die Dame gestört,« sagte Fräulein ärgerlich, »verzeihen Sie, gnädige Frau.«

»Das macht ja nichts«, lächelte die Dame freundlich und schloß aufs neue die Augen.

»Weißt du was, Annemiechen, schlafe du auch ein bißchen«, schlug Fräulein vor und nahm Nesthäkchen, das sich die Augen rieb, auf den Schoß.

»Nein, ich kann nicht schlafen, sonst kommt der alte Wind wieder und weht am Ende meine Gerda aus dem Fenster.« Die Kleine warf einen vielsagenden Blick auf den gerade mit Großmamas Bonbonkorb liebäugelnden Klaus.

»Ich passe schon auf«, beruhigte Fräulein das von der Reise ermüdete Kind. Da klappten Annemies Augenlider zu, und nach einem Weilchen auch die von Fräulein. Nur Puppe Gerda schlief nicht, die saß aufrecht in ihrer Ecke und hielt Wache.

Da sah sie denn, wie der unnütze Klaus vorsichtig die Goldschnur von dem Bonbonkörbchen, das Großmama doch ihr geschenkt hatte, löste, und einen Bonbon nach dem andern in seinen Mund spazieren ließ.

»Du, der maust mir meine Bonbons!« Weinerlich zupfte die Puppe ihre schlafende kleine Mama an dem einen Rattenschwänzchen.

Annemie fuhr erschreckt hoch, wie vorhin die Dame, und weckte weinend Fräulein.

Klaus bekam einen Klaps auf die Hände und Annemie ein Stück Schokolade von der Dame, die inzwischen ausgeschlafen hatte.

Und nun war man auch gleich da. Endlich! Fräulein setzte Annemie das Hütchen auf, und Annemie zog Gerda ihre Zipfelmütze kleidsamer.

Der Zug hielt. Onkel Heinrich stand auf dem Bahnsteig und hob Annemie und Gerda mit lachendem »Na, du Dreikäsehoch, bist du da?!« aus dem Abteil. Dann gab er Klaus einen zärtlichen Nasenstüber: »Immer noch solch Bandit wie früher, Junge?« und nahm Fräulein die Reisetasche ab.

Nun ging es zu dem Wagen. Denn man hatte noch über eine Stunde bis zum Gut Arnsdorf zu fahren. Auf dem Bock saß stramm in seinem blauen Rock mit blanken Knöpfen August, der Kutscher, und legte die Hand an die Mütze.

Nesthäkchen knickste in tiefer Ehrfurcht vor ihm. Der sah ja noch viel vornehmer aus als ihr Portier in Berlin. Klaus aber klopfte die beiden Braunen, an die Klein-Annemie sich nicht recht herantraute, freundschaftlich auf den Rücken, schwang sich zu dem feinen August auf den Bock und bettelte ihm seine Peitsche ab. Damit knallte er lustig, während der Wagen den Landweg entlang holperte.

»Siehst du, Kleinchen, das ist eine Windmühle, da mahlt der Müller sein Korn, und von dem Grasberg dort kann man fein heruntertrudeln. Dies hier sind schon unsere Wiesen, da fahren wir nächstens ins Heu«, unterhielt Onkel Heinrich sein kleines Nichtchen, das er liebevoll auf den Schoß genommen.

Aber als das Plappermäulchen zu all den verlockenden Aussichten schwieg, und Fräulein ihm lächelnd zuwinkte, da sah sich Onkel die Annemie näher an.

Holla – das Fräuleinchen schlief ja. Den Blondkopf hatte es fest an Onkels Ärmel eingekuschelt, die Bäckchen waren gerötet und das Mündchen leis geöffnet. Die lange Reise hatte die Kleine allzusehr ermüdet. Auch Puppe Gerda hatte die Augen zugeklappt. Fest schlafend, so hielten die beiden kleinen Reisenden ihren Einzug in Arnsdorf.


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