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17. Kapitel. Beim Photographen

Nun ist auch Mädi wieder ganz gesund. Bubi kann wieder mit ihr spielen und braucht nicht mehr auf eigene Faust Dummheiten zu machen.

Bubi und Mädi sind in großer Aufregung. Sie sollen photographiert werden. Nicht bloß von Vati mit dem Knipskasten, den man wie alles Schöne nicht anfassen darf. Nein, Mutti fährt mit ihnen zu einem richtigen Photographen.

Die Omama in Freiburg feiert nächstens ihren fünfzigsten Geburtstag. Dazu soll das Bild von Bubi und Mädi hinreisen.

Aber nicht nur das Bild reist hin. Nein, nun kommt erst das allerschönste. Bubi und Mädi dürfen selber mitfahren.

Sie stehen beide unten im Hofgärtchen und erzählen den Hühnerchen die große Neuigkeit.

»Etsch – wir werden doch photophiert und ihr nich – etß – wir fahren doch zu mein seine große Omama und ihr nich!« so rufen die beiden kleinen Zwillinge durch das Drahtgitter den Hühnern zu.

Die machen »Schnickschnack – Ga – ga – ga – gack – Schnickschnack!«

Aber sie ärgern sich furchtbar, daß sie zu Hause bleiben müssen.

»Sieh nur mal, wie fein wir sind!« sagt Mädi zu dem Gockelhahn.

Der bläht stolz seine Federn auf:

»Kikeriki –
Ich bin der Feinste hie!«

schreit er wütend.

»Is ja gar nich wahr! Du hascht kein rosa Kleid an und keine weischen Schuhchen, siehschte!« schreit Mädi in sein Kikeriki hinein.

»Und photophiert wirste auch nich – siehste!« ärgert auch Bubi den Hahn. Aber er schielt dabei mit einem Auge zum Wetterhahn hinauf und mit dem anderen zur Wohnung des Herrn Verwalters hin. Ob der auch nicht herauskommt und ihn da oben an den Wetterhahn anhängt, weil er seinen Hahn ärgert.

Die Hühner sind ebenfalls mit ihren kleinen Freunden böse. Sie scharren wütend Sand.

»Du, smeiß nich mit Sand! Mein seine Mädi hat ihr ßönes Kleidßen an. Sonst sag' ich's Frau Annßen«, warnt Bubi die Hühner.

Mädi unterhält sich inzwischen mit der Pumpe. Einen großen Bogen macht sie um dieselbe herum.

»Pumpe, du darfscht mich heute nich mit Wasser naßspritschen. Sonscht ist Frau Annchen böse.«

Die Pumpe denkt: »Wenn du nur nicht ungehorsam bist, Mädi. Ich bin's ganz gewiß nicht.«

Oben bei der Frau Lehmann auf der Hintergalerie hat der Papagei seine Sommerwohnung bezogen.

»Du – Jakob, wir werden heut photophiert«, erzählt Bubi ihm.

Jakob wundert sich so sehr, daß er kein Wort vor Staunen herausbringen kann. Bisher hat er sich mit seinem schönen, bunten Federkleid immer für den Schönsten im Hofe gehalten. Aber heute sind Bubi und Mädi entschieden noch feiner. Bubi hat einen hellblauen Leinenanzug an mit niedlichen Höschen. Jakob macht seinen Schnabel noch krummer als sonst. Er würde ganz gern ein bißchen nach den Kindern hacken, weil er sich ärgert, daß er nicht mehr der Schönste ist.

Auch dem kleinen Steinzwerg im Rosengärtchen vorn wird es berichtet, daß Bubi und Mädi heute photographiert werden. Der gute Zwerg macht noch freundlichere Augen als sonst. Er freut sich, wie hübsch die kleinen Zwillinge heute sind. Und wenn es nach ihm ginge und nicht nach dem Herrn Wirt, er ließe die Kinder heute bestimmt in sein schönes Gärtchen hinein.

Aber da kommt schon die Mutti und nimmt Bubi und Mädi an die Hand.

Der Photograph wohnt in Berlin in einem großen Hause, hoch oben unter dem Dach.

Man fährt mit einem Fahrstuhl hinauf. Mädi hat Angst vor dem Fahrstuhl. Sie klammert sich fest an Muttis Hand und ist froh, als er nicht mehr in den Himmel hineinfliegt. Bubi dagegen findet es wundervoll. Er ist ja auch zwei Stunden älter.

»Bitte, lieber Onkel Fahrstuhl,« bittet er den Fahrstuhlführer, »fahren Sie mich doch noch'n bißen weiter spazieren.«

»Ja, weiter geht's aber nicht«, sagt der. »Höchstens kann ich dich wieder mit runternehmen.«

»Natürliß, denn kann ich ja auch wieder mit runterfahren.« Bubi ist einverstanden.

Mutti nicht. »Nachher fahren wir wieder hinunter, Bubi. Der Herr Photograph wartet jetzt auf uns.«

»Nee – nee, nich nachher wieder mit dem ollen Fahrstuhlonkel fahren!« Mädi macht vor Angst ein Heulgesicht.

»Nee, gleich will ich mit dem Onkel fahren, dem is das sonst so doll langweilig, wenn er immer bloß alleine fahren muß.« Bubis und Mädis Wünsche sind heute entgegengesetzt.

Inzwischen wird bereits die Tür beim Photographen geöffnet.

Bubi und Mädi sehen sich erstaunt um. Die Zimmerdecke ist aus Glas.

»Wohnt hier Schneewittchen mit'n gläsernen Sarg, Onkel Graf?« fragt Mädi mit großen Augen.

»Freilich, Herzchen, hier wohnt Schneewittchen. Gleich sollst du sie haben, wenn du brav still sitzt.« Der Herr holt aus einem Schrank eine Puppe mit schwarzen Haaren und legt sie dem beglückten kleinen Mädchen in den Arm.

»Is das mein sein Schneewittchen?«

»Ich borg' dir's ein bißchen, solange du mich besuchst.«

»Und was krieg' ich geßenkt?« meldet sich Bubi.

»Ja, natürlich, du mußt doch auch etwas haben, kleiner Mann. Wie wär's denn mit dem Ball?«

»Nee«, lehnt Bubi ab. »Hab' ich alleine zu Haus bei meiner Frau Annßen. Ich will'n Dornhöschen haben oder'n verstiefelten Kater.« Er ist Mädis Zwilling, und wenn sie Schneewittchen bekommt, will er etwas Gleichwertiges haben.

»Hm – na, hier hast du ein Bilderbuch, Kleiner. Da ist Dornröschen drin.« Der nette Onkel gibt Bubi ein Buch.

»Behaupt nich! Bloß olle Bilder.« Bubi sucht vergebens in dem Buch nach einer Puppe, wie Mädi sie hat.

»Aber Bubi, wie unartig! Der Herr Photograph hat mehr zu tun, als euch Spielsachen herauszusuchen«, erhebt Mutti Einspruch.

»Lassen Sie nur, gnädige Frau. Das gehört auch dazu, daß die kleine Gesellschaft vergnügt und zufrieden ist. Sonst bekommen wir kein gutes Bild. Befehlen gnädige Frau, Knie- oder Bruststück?«

Bubi hört mit großen Augen zu, während Mädi sich mit ihrem Schneewittchen beschäftigt.

»Ja, ich weiß nicht, was hübscher wird«, überlegt Mutti. »Ich würde raten, daß wir bei den Kindern Kniestück, nicht Bruststück nehmen«, sagt der Photograph.

Bubi ist bereits an der Tür und rüttelt daran aus Leibeskräften. »Nein, nein, der olle Onkel Graf soll uns kein Stück vom Knie nehmen. Ich will nach Haus zu Frau Annßen und Minnaßen!« Bubi, der nur höchst selten weint, bricht in ein Zetermordsgeschrei aus.

Mädi hat keine Ahnung, um was es sich handelt. Aber als sie ihren Bubi schreien hört, weint sie natürlich zur Gesellschaft mit. Dafür ist sie ja sein Zwilling.

»Ja, Kinder, was fällt euch denn ein?« Mutti weiß nicht, ob sie lachen oder sich ärgern soll. »Warum weint ihr denn eigentlich?«

»Der olle Onkel will uns'n Stück von unserm Knie nehmen – bestimmt – er hat's gesagt.« – Bubi ist außer sich.

»Aber, du Dummerchen!« Mutti kann vor Lachen kaum sprechen. »Der Herr Photograph meint doch nur, wie weit er das Bild nehmen soll, ob bis zur Brust oder bis zum Knie. Nein, was seid ihr beide dumm!«

Mädi beginnt sich vor Schneewittchen zu schämen. Bubi aber schaut den Photographen, der belustigt auf ihn blickt, noch immer mißtrauisch an. »Tuste uns auch bestimmt nich weh, Onkel Graf?«

»Bestimmt nicht. Komm, jetzt wischst du dir mal erst die Tränchen ab, Kleiner. Sonst sieht ja ein jeder, der euer Bild nachher anschaut, daß du geweint hast.«

Nein, es ist wirklich ein guter Onkel. Er gibt Bubi jetzt sogar eine Trompete. »So, da kannst du blasen, soviel du Lust hast. Nur wenn ich ›jetzt‹ rufe, dann hörst du auf, verstehst du?«

»Natürliß. Aber ßickt dein seine Lehmfrau nich rauf, wenn ich so'n Radau mache?« Bubi ist lieber vorsichtig.

»Wer?« verwundert sich der Photograph, während er alles für das Bild zurechtmacht.

»Nein, Bubi, hier wohnt keine Frau Lehmann«, sagt die Mutter lächelnd.

Worauf Bubi natürlich sofort ohrenzerreißenden Radau mit seiner Trompete vollführt.

Mädi und Schneewittchen werden auf ein Stühlchen gesetzt. Bubi muß daneben stehen.

»So – jetzt ganz still gestanden, meine kleinen Herrschaften«, ruft der Photograph.

Ja, was macht er denn da? Unter ein großes schwarzes Tuch kriecht er mit dem Kopf.

»Mum – mum kuckuck!« ruft Bubi ausgelassen. Und ehe Mutti ihn zurückhalten kann, hat er dem Photographen das schwarze Tuch vom Kopf gerissen.

»Aber Kleiner, das darfst du doch nicht tun, du verdirbst mir doch das ganze Bild.« Der Photograph ist ärgerlich. Er holt einen großen Ständer herbei. Da hinein wird Bubis Kopf geklemmt.

Mädi sieht es mit angstvollen Augen. »Der olle Onkel soll mein sein Bubi nicht weh tun«, sagt sie weinerlich.

»Muttißen, nimmt er mir jetzt ein Stück von mein sein Kopf?« auch Bubi scheint die Sache nicht recht geheuer.

»Nein, Bubi, das geschieht nur, damit du stillstehst.«

»Ich kann noch ganz ßön springen.« Da die Beine nicht eingeklemmt sind, beginnt Bubi hin und her zu hopsen.

»Stillgestanden!« ruft der Photograph schon ganz verzweifelt.

»Linksum kehrt!« kommandiert Bubi, wie er das bei den Turnern auf dem Treptower Sportplatz schon öfters beobachtet hat.

»Nun schaut euch mal beide recht lieb an, du und dein kleines Schwesterchen. Aber ganz still dabei stehen, so ist's schön – ganz still – –«

Bubi und Mädi haben sich jetzt lange genug lieb angeschaut. Gerade in dem Augenblick, wo der Photograph das Bild aufnehmen will, fallen sie sich beide um den Hals.

»So lieb – so doll lieb!« sie erdrücken sich beinahe gegenseitig vor Zärtlichkeit.

Der Photograph ist schon ganz schwach. Er weiß sich keinen Rat mehr. Mutti kommt ihm zu Hilfe.

»Vielleicht gestatten Sie mir, den Kindern eine Geschichte zu erzählen. Da pflegen sie ganz ruhig zuzuhören und solche niedlichen, andachtsvollen Gesichtchen dabei zu machen«, schlägt die Mutti vor.

»Au ja, erschählen! Mutti soll erschählen – Mädi auf'n Schoß nehmen!« Mädi und Schneewittchen sind von ihrem Stühlchen auf und davon.

»Nein, Mädi, du mußt still sitzen bleiben, sonst erzähle ich nicht. Was wollt ihr hören?«

»Von den sieben Geischlein –«

»Nee, vom verstiefelten Kater is behaupt viel ßöner.«

»Also erst von den sieben Geißlein. Es war einmal eine Geisenmutti, die hatte sieben niedliche kleine Geißlein. Die waren immer sehr artig. Eines Tages ging die Mutti auf die Wiese, um frisches Gras zum Mittag zu kaufen. Da sagte sie: – – –«

»Fertig!« ruft der Photograph, ganz glücklich, daß die kleinen Wildfänge nun endlich stillgehalten.

»Nee, behaupt nich fertig«, belehrt ihn Bubi empört. »Erst kommt doch noch der Wolf.«

»Was sagte da die Mutti – was sagte da die Mutti?« Auch Mädi ist entrüstet über die Störung des Photographen. »Weiter erschählen, Muttichen!«

»Zu Hause erzähle ich euch die Geschichte zu Ende, Kinder.« Die Mutter setzt Mädi das Hütchen auf.

»Nee – nee – schu Hause haschte keine Zeit. Hier sollschte von den niedlichen kleinen Geischlein erschählen«, bettelt Mädi.

»Ja, hier hat der Herr Photograph keine Zeit mehr für uns. Andere Leute wollen auch noch photographiert werden. Nun verabschiedet euch, Kinder.«

Das ist leichter gesagt, als getan. Zwar von dem Herrn Photographen wird ihnen der Abschied nicht weiter schwer. Aber Mädi will durchaus nicht Schneewittchen Lebewohl sagen. Sie bleibt dabei: »Das is mein sein Schneewittchen, die hat mir der Onkel Graf doch geschenkt.«

Auch Bubi will seine Trompete nicht wieder herausgeben. Erst die Aussicht, daß er wieder mit dem Fahrstuhl fahren darf, bewegt ihn dazu.

Mädi dagegen läßt Schneewittchen nur zurück, wenn Mutti ihr verspricht, nicht wieder mit dem ollen Fahrstuhl hinunterzufahren, sondern zu Fuß die Treppen hinabzugehen.

Der Photograph atmet auf, als der anstrengende kleine Besuch fort ist.

Zu Hause aber erzählt Mädi Frau Annchen und den Puppen: »Photefieren tut behaupt nich weh. Aber gräschlich is es. Erscht kriegt man dabei 'ne Puppe Schneewittchen geschenkt, und denn muß man sie wieder schurückschenken. Und Schneewittchen is auch mit photefiert.«

Puppe Elschen und Lilli sind mit Recht darüber ärgerlich, daß das fremde Balg mit photographiert worden ist und sie nicht.


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