Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15. Kapitel. Alle Neune

Bubi wird viel schneller mit den Windpocken fertig als Mädi und Puppe Lilli. Er sagt, der Wind hätte ihn nur ganz wenig »gepockt«. Mädi und Lilli müssen noch im Bett liegen, als Bubi schon wieder herumspringen kann.

Das tut er mit solchem Radau, als ob er ihn für sein Zwillingsschwesterchen mitmachen müsse. Zweimal schon hat Frau Lehmann heraufgeschickt und um Ruhe bitten lassen. Der Lärm wäre ja nicht mehr auszuhalten, hat die Mathilde bestellt.

»Frau Annßen, kann der Papagei von der Lehmfrau auch keinen Radau vertragen, is der auch navös?« erkundigt sich Bubi teilnehmend. Dann rollt er seine Kegelkugeln unbekümmert weiter.

Auch Puppe Lilli beschwert sich, daß Bubi so rücksichtslos ist und mit seinen Kegeln solchen Lärm macht. Besonders wenn er »alle Neune« wirft, dann ist das ein Krach, daß die kranke Puppe Lilli laut stöhnt und sich ihren armen schmerzenden Zelluloidkopf hält. Mädi, die ein bißchen schlafen soll, fährt ebenfalls jedesmal erschreckt hoch, wenn Bubi »alle Neune« schreit.

»Weißt du, Bubi, du könntest ein bißchen zu Minna in die Küche gehen, daß Mädi Ruhe hat«, schlägt die Mutti vor.

»Und ich?« meldet sich Puppe Lilli. »Ich habe die Windpocken sogar im Kopf. Da habe ich Ruhe noch viel nötiger als Mädi.«

Bubi findet, daß sie alle beide keine Ruhe brauchen. Aber wenn Mutti etwas in diesem bestimmten Tone sagt, dann muß man gehorchen, ob man will oder nicht.

Bubi marschiert mit seinem kleinen Auto, das immer im Kreise herumfährt, wenn man es aufzieht, zu Minna in die Küche hinaus.

Die freut sich natürlich sehr mit ihm. Sie läßt sogar ihre Klöße im Stich und sieht zu, wie schön das Auto in der Küche herumfährt.

»Am Sonntag gehe ich aus, Bubi. Da kannst du mir dein Auto borgen«, meint sie. »Ich möchte zu gern mal mit 'nem Auto spazierenfahren.«

Bubi betrachtet mit zweifelnden Blicken sein kleines Auto und die große, dicke Minna.

»Na, meinetwegen«, sagt er schließlich. »Ich will dir mein sein Auto borgen, Minnaßen. Aber du darfst es bestimmt nich kaputt machen.«

Das verspricht Minna denn auch.

Minna dreht ihre Klöße, und Bubi guckt zu.

»Kann man mit den ßönen Klößen Ball spielen?« erkundigt er sich.

»Na, da würdest du wohl nicht viel zu Mittag übrig behalten«, lacht Minna.

»Aber Kegelßieben kann man bestimmt damit. Sie sind behaupt ebenso ßön wie mein seine Kegelkugeln«, sagt Bubi anerkennend.

Minna lacht so sehr, daß der Kloß aus ihrer roten Hand wieder in die Schüssel zurückspringt.

»Weißte was, Bubichen, hol' man lieber deine Kegel mit den Kegelkugeln hier in die Küche raus. Dann haste wenigstens was zu spielen, und hier störste keinen Menschen damit«, schlägt Minna vor.

»Minnaßen, stört's dich auch bestimmt nich, wenn ich ›alle Neune‹ ßiebe?« fragt Bubi noch vorsorglich. »Biste auch nich navös wie die Lehmfrau und ihr Papagei?«

»Nee.« Minna muß immer lachen, wenn Bubi bei ihr in der Küche ist. »Nee, schieb' man ruhig ›alle Neune‹. Ich hab' Nerven wie'n Strick.«

»Zeig' mal den Strick«, verlangt Bubi. »Is das so'n Strick wie ich, wenn ich unartig bin?«

Nein, die Minna wird heut' mit ihren Klößen nicht fertig. Wenn sie doch immerzu über Bubi lachen muß.

Der Kleine holt sich sein Kegelspiel in die Küche heraus.

»Ob die Mathilde unten in der Küche bei der Lehmfrau auch nich etwa navös is und um Ruhe bitten läßt? Was meinst du, Minnaßen?«

Minnachen meint gar nichts. Die muß jetzt aufmachen. Es klingelt.

»Der Onkel geheime Wolf – der Onkel geheime Wolf!« Bubi läuft hinter Minna her zur Eingangstür. Denn den Onkel Doktor liebt er sehr.

Aber es ist nicht der Onkel Doktor. Ein schwarzer Mann steht draußen.

Bubi ist nicht feige. O nein – ganz und gar nicht. Wenn sie beim Spazierengehen einem Schornsteinfeger auf der Straße begegnen, dann sagt er großartig zu Mädi: »Aber Mädißen, du brauchst dich doch nich zu ängsten, dein sein Bubi is doch bei dir!«

Ja, das ist auf der Straße, wo es hell ist, und die Sonne scheint. Aber wenn im dunklen Korridor plötzlich ein schwarzer Mann an der Tür steht, dann muß sich sogar Bubi hinter der breiten Minna verstecken.

»Ick bring' de Kohlen«, sagt der schwarze Mann. »Sollen se in'n Keller, Fräulein?«

»Jawoll,« antwortet Minna, »ich hol' man bloß die Schlüssel.« Sie schiebt Bubi, der sich hinten an ihren Rock eingekrallt hat, zur Seite und will in die Küche zurück.

Bubi steht unschlüssig. Soll er hinterdrein laufen oder bleiben? Ein Junge darf keine Angst haben, sagt Vati. Also bleibt er. Aber der Vorsicht wegen drückt er sich ganz an die Wand.

»Na, Kleiner, du bist doch nich etwa bange?« lacht der schwarze Kohlenmann.

»Nee, ich bin doch ßon so'n großer Junge!« Bubi fühlt sich in seiner Ehre gekränkt. Der schwarze Mann sieht eigentlich ganz freundlich aus. Bubi betrachtet ihn angelegentlich. »Wäßte dich behaupt nich?« erkundigt er sich schließlich. Er denkt es sich eigentlich recht angenehm, Kohlenmann zu sein und nicht von Frau Annchen gewaschen zu werden. »Wenn ich erst ein großer Herr bin, dann wird Bubi auch Kohlenmann«, entscheidet er sich schließlich.

»Na schön, Kleiner, denn kannste ja zu mir in die Lehre kommen«, scherzt der Kohlenmann. »Sie haben ja da'n drolligen kleinen Knopp, Fräulein«, sagt er zu der mit den Schlüsseln und der Küchenlampe zurückkommenden Minna.

Bubi kann nichts von dem »drolligen kleinen Knopp« an der Minna entdecken. Er weiß nicht, daß er selbst damit gemeint ist.

»Ja, Bubichen, was mach ich nu inzwischen mit dir?« überlegt die Minna. »Frau Annchen plättet, die kann dich Wildfang nich brauchen. Da kannste dich an dem heißen Eisen verbrennen. Und bei Mutti sollste auch nich sein, weil du da Mädichen störst. Willste mit runter in den Keller?«

»Nee«, sagt Bubi, ohne zu überlegen. Im Keller ist es dunkel und unheimlich. Und noch dazu der schwarze Kohlenmann, wenn er auch ganz freundlich redet – »nee, ich bleibe lieber hier.«

»Ja, wenn du mir versprichst, ganz artig inzwischen zu spielen.«

»Natürliß, Minnaßen!« ruft Bubi voller Überzeugung.

Minna leuchtet dem Kohlenmann in den Keller hinunter.

Bubi geht artig in die Küche zu seinen Kegeln.

Was man verspricht, muß man auch halten. Ein Mann – ein Wort! Wenn man auch nur ein kleiner Mann ist.

Die Kegelkugeln machen auf den Steinfließen mächtigen Radau. Am Ende ist die Mathilde unten doch nervös. Oder auch die Lehmfrau und ihr Papagei kommen in die Küche hinaus, überlegt Bubi. Nein, da will er doch lieber nicht solchen dollen Krach machen. Er hat ja der Minna versprochen, artig zu sein.

Aber er weiß schon, was man tun kann. Man nimmt einfach Minnas Klöße zum Kegelschieben. Die sind ebenso schön rund wie die Kegelkugeln. Und machen gar keinen Lärm, wenn man auch noch so doll »alle Neune« mit ihnen schiebt.

Gedacht – getan!

Holla – da rollen Minnas schöne Klöße über den Küchenboden. Ganz leise benehmen sie sich dabei. Da braucht die Lehmfrau sicher nicht um Ruhe bitten zu lassen. Nur schade, daß die Kegel nicht von den Klößekugeln umpurzeln wollen. So doll Bubi auch »alle Neune« schiebt, kein Kegel bewegt sich. Nur die Klöße gehen dabei auseinander. Das ist auch ganz lustig.

Minna findet die Sache weniger lustig, als sie wieder aus dem Keller heraufkommt.

»Herreje – Bubi, was machst du denn da für Geschichten?« Minna steht starr. »Meine schönen Klöße – biste denn nicht gescheit, Junge! Das sind doch keine Kegelkugeln nich! Nu haben wir heute mittag nichts zu essen.« Sie ist ganz außer sich.

»Ach, liebes Minnaßen, sei doch bloß nich böse! Ich hab' mir deine Klöße doch bloß 'n bißen geborgt zum leisen Kegelßieben. Damit die Lehmfrau nicht raufschickt. Nu kannste sie aber wiederkriegen.«

»Wer soll denn die Klöße jetzt noch essen, die sich auf der Erde rumgekegelt haben?« ruft Minna empört. »Nu, sieh man zu, wo du heute Mittagbrot kriegst.«

Bubi steht geknickt da. Ganz besonders artig wollte er doch sein, er hat es so gut gemeint. Und nun ist die Minna so aufgebracht darüber und will ihm gar kein Mittagbrot geben. Wenn man kein Junge, sondern ein kleines Mädchen wäre, müßte man eigentlich weinen.

Es ist wirklich bedauerlich, daß die großen Leute oft die guten Absichten der kleinen Leute gar nicht verstehen.


 << zurück weiter >>