Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.
Araxes

Titelblatt

»Araxes.«

Ruf nach Befreiung der Urningsnatur vom Strafgesetz.

An die Reichsversammlungen Norddeutschlands und Oesterreichs.

 

 

Impositas sibi enim fuit indignata catenas Natura;
excussoque jugo sua vincula rupit:
Ceu frustra domitus pontem indignatus Araxes.

 

 

Von Karl Heinrich Ulrichs,

Privatgelehrtem, hannoverschem Amtsassessor a. D., Verfasser der Schriften über Urningthum: Memnon, Gladius furens, Argonauticus und Prometheus.

Numa Numantius, Buch XI.

Schleiz.
Verlag von C. Hübscher (Hugo Heyn). 1870.

Ruf nach endlicher Befreiung der Urnings-Natur vom Strafgesetz.

Libertas vindicata.

 

 

Impositas sibi enim fuit indignata catenas Natura;
excussoque jugo sua vincula rupit:
Ceu frustra domitus pontem indignatus Araxes.

 

 

I. Die Geschlechtsnatur des mannliebenden Urnings und die Rechtssphäre des Gesetzgebers.

Meine Herren Mitglieder des norddeutschen Reichstags! Man fordert von Ihnen, eine von den Vätern ererbte Strafbestimmung neu zu sanctioniren. Es ist die sogenannte »naturwidrige Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts«, welche auf's neue zu einem Vergehen gestempelt werden soll.

Nun leben in Norddeutschland etwa 20,000 erwachsene Urninge, d. i. Individuen männlichen Körperbaues, welche ausschließlich zu Männern oder Jünglingen Geschlechtsliebe empfinden. Es handelt sich also um eine zahlreiche förmliche Menschenclasse, deren Geschlechtsacten dieser Stempel aufgedrückt werden soll.

Da fordert es aber doch fürwahr nicht nur die Menschlichkeit, nein, die nackte Gerechtigkeit, vor der Beschlußfassung erst einmal zu prüfen:

ob diese Menschen denn etwa nicht anders können, als sie thun? ob sie vielleicht einem ganz andren Naturgeset unterworfen sind, als die eigentlichen Männer?

Eine solche Prüfung aber wird zu einem überraschenden Ergebniß führen.

Daß ein eigentlicher Mann zu einem Manne geschlechtliche Liebe empfinde, ist unmöglich. Der Urning ist nicht wahrer Mann. Er ist ein Gemisch von Mann und Weib. Mann ist er nur dem Körperbau nach. Der ihm eigne Liebestrieb dagegen ist der eines weiblichen Wesens. Derselbe muß demnach auf das männliche Geschlecht gerichtet sein, während geschlechtliche Berührung mit Weibern ihm weiblichen Horror einflößen muß. So ist seine Geschlechtsnatur denn in der That auch organisirt. Vor geschlechtlicher Berührung eines Weibes empfindet er einen nie erlöschenden Widerwillen, der alle Merkmale eines horror naturalis an sich trägt. Geschlechtliche Liebe empfindet er nur zum männlichen Geschlecht. Er kann nicht anders. Diese Liebesrichtung hat nicht er selber sich gegeben. Er kann dieselbe sich auch nicht nehmen.

Seine Geschlechtsnatur ist demnach völlig anders organisirt, als die des eigentlichen Mannes, dem männlicher Liebestrieb innewohnt, gerichtet also auf Weiber, und der männlichen Horror empfindet vor geschlechtlicher Berührung eines Mannes. Der Urning ist einem ganz andren Naturgesetz unterworfen.

Wie und warum die Natur so zwitterhafte Geschöpfe ins Dasein rufe, ist ein noch nicht gelöstes Räthsel. Daß sie dagegen so handelt, daß also die Natur es ist, die dem Urning seine Geschlechtsliebe giebt, ist nicht mehr zu bestreiten. Man hat sich darin gefallen, die Entstehung der Urningsliebe auf allerlei andre Ursachen zurückzuführen (auf Selbstbefleckung, etc.). Alle diese Hypothesen sind irrig.

Von keinem lebenden Wesen der ganzen Schöpfung, das mit Geschlechtstrieb begabt ist, kann nun aber gefordert werden, diesen gewaltigen Trieb lebenslang zu unterdrücken, in grausamer Selbstmarterung ihn in sich selber sich verzehren zu lassen. Periodische Befriedigung desselben ist vielmehr, im Stadium der Geschlechtsreife, directes Naturbedürfniß zur Erhaltung der Gesundheit Körpers und Geistes. Diesen ihren Tribut fordert die Natur ebenso unerbittlich vom Urning wie vom eigentlichen Manne. Am Weibe aber Geschlechtsacte zu vollziehen, wäre ihm einfach naturwidrige Unzucht.

Es ist widersinnig, Acte urnischer Geschlechtsliebe beurtheilen zu wollen herausgerissen aus ihrem Zusammenhang mit der hermaphroditischen Geschlechtsnatur, von der sie nur Ausfluß sind.

Zum Beweis für all diese Sätze berufe ich mich:

a) auf den Inhalt meiner naturwissenschaftlichen Schriften Inclusa, Formatrix, Prometheus, namentlich Memnon,

b) eventuell auf ein von einem wissenschaftlichen Collegium einzuholendes Gutachten.

Auch der Urning ist Mensch. Auch er hat daher natürliche Menschenrechte. Seine Geschlechtsrichtung ist berechtigt kraft des Rechts der Natur. Der Gesetzgeber hat kein Recht, sich über die Natur zu stellen; kein Recht, die Schöpferin zu verfolgen in den Wesen, die sie erschuf; kein Recht, lebende Wesen dafür zu martern, daß sie dem Triebe unterworfen sind, den sie ihnen gab.

Der Urning ist auch Staatsbürger. Auch er hat daher Staatsbürgerrechte: und dem entsprechend hat der Staat auch ihm gegenüber Pflichten zu erfüllen. Er hat nicht das Recht, ihm gegenüber sich leiten zu lassen von Willkühr oder blinder Verfolgungssucht. Der Staat ist nicht befugt, wie bisher geschah, den Urning zu behandeln wie einen rechtlosen. Deßhalb hat der Gesetzgeber denn allerdings das Recht, die Äußerungen des urnischen Liebestriebes einzuzwängen in diejenigen Schranken, welche er befugt ist allen Staatsbürgern zu ziehen. Drei Dinge darf er demnach dem Urning verbieten:

a) Verführung unreifer Knaben,

b) Rechtsverletzungen (durch Zwang, Drohung etc., Mißbrauch bewußtloser etc.),

c) öffentliche Verletzung der Schamhaftigkeit.

Die Äußerungen des Liebestriebes gerade ihm dagegen absolut zu verbieten, also auch

unter erwachsenen,

bei freiwilliger Einwilligung beider Theile,

ohne öffentliche Verletzung der Schamhaftigkeit:

dies liegt außerhalb seiner Rechtssphäre. Dafür fehlt es an jedem Rechtsgrund. Daran hindern ihn das natürliche Menschenrecht und die Grundsätze des Rechtsstaats. Daran hindert ihn das Gesetz der Gerechtigkeit, das mit zweierlei Maß zu messen verbietet. Solange der Urning die Linie a, b, c, respectirt, darf der Gesetzgeber ihm nicht verbieten, dem berechtigten Naturgesetz zu folgen, dem er unterworfen ist.

Urningsliebe innerhalb jener Linie ist überall kein wirkliches Verbrechen. Ihr fehlen alle Merkmale eines solchen. Sie ist nicht einmal eine Schändlichkeit, Verderbtheit oder Schlechtigkeit, weil sie ganz einfach die Erfüllung eines Gesetzes der Natur ist. Sie zählt zu den mancherlei eingebildeten Verbrechen, welche schon, zur Schande der civilisirten Menschheit, Europa's Gesetzbücher verunziert haben. Sie zu bestrafen erscheint daher als eine officiell begangene Rechtlosigkeit.

Daß die Urninge das Unglück haben, eine schwache Minorität zu bilden, kann ihrem Menschenrecht und ihrem Staatsbürgerrecht keinen Abbruch thun. Das Gesetz der Gerechtigkeit hat im Rechtsstaat auch für Minoritäten zu gelten. Und hat der Gesetzgeber auch Jahrhunderte lang dem in's Gesicht geschlagen, von der Königin von Pegu bis zu den Inka's von Peru und von den Hermunduren bis auf die neueste Barbarei von Bürgerschaft und Senat der freien Stadt Bremen: das Recht der Natur und das Gesetz der Gerechtigkeit kennen keine Verjährung.

Den urnischen Liebestrieb jemals auszurotten: dieser Hoffnung wolle der Gesetzgeber von vorn herein entsagen. Das haben selbst die brennenden Scheiterhaufen früherer Jahrhunderte, auf denen man Urninge verbrannte dem Schöpfer zum süßen Geruch, nicht vermocht. Auch ihn zu binden und zu knebeln ist umsonst. Der Kampf gegen die Natur ist ein vergeblicher. Gegen sie ist selbst die Omnipotenz der Staatsgewalt, mit Aufgebot ihres ganzen Apparats von Zwangsmitteln, zu schwach. Ihn zu zügeln dagegen wird er im Stande sein. Der Urninge eignes Sittlichkeitsgefühl, ihre Vernunft und ihr Gewissen bieten zu diesem Ziele ihm ihre rückhaltlose Mitwirkung dar.

II. Das »Rechtsbewußtsein des Volks«, weil auf groben Irrthümern beruhend, werthlos. Lynch-Gesetzgebung.

Auf meine Forderung, die Natur freizugeben, hat man geantwortet: » Non possumus. Des Volkes Rechtsbewußtsein fordert die bedingungslose Bestrafung.« Motive zum Entwurf.

Aber, meine Herren, das wäre doch, in ziemlich durchsichtiger Umhüllung, Lynch-Justiz! Doch was sage ich? Lynchjustiz bemächtigt sich nur einzelner Fälle: es wäre Lynch-Gesetzgebung!

Dieses sog. »Rechtsbewußtsein« ist ein Pseudo-Rechtsbewußtsein. Es setzt sich in Widerspruch mit Menschenrecht und Staatsbürgerrecht, mit dem Gesetz der Gerechtigkeit und mit dem Organismus des Rechtsstaats. Es ist nichts andres, als blinden Hasses rechtlose Verfolgungswuth. Es ist nichts andres, als des Pöbels Geschrei: und von dem wollte der Gesetzgeber sich beirren lassen?

Des Volkes Rechtsbewußtsein ist eine Anschauung von Recht und Unrecht, die, wie das Rechtsbewußtsein jedes einzelnen, richtig, aber auch falsch, sein kann. Einen Rechtsgrund bildet es nie.

Ein Rechtsgrund für Bestrafung freiwillig gewährter Urningsliebe unter erwachsenen fehlt. Volkshaß und Volkswuth können diesen Mangel nicht ersetzen. Ohne Rechtsgrund aber strafen ist Rechtsmord.

Allerdings soll die Volksanschauung die Gesetze dictiren, aber nur die geläuterte, die von Irrthum, Rohheit und blinder Verfolgungssucht gereinigte.

Unser deutsches Volk indeß legt oft genug an den Tag, wie sehr es die Nothwendigkeit fühlt, verderbliche Irrthümer abzustreifen und ohn' Unterlaß fortzuschreiten zu reinerer Erkenntniß der Dinge. Auch ist es noch nicht so tief gesunken, daß es nicht Gerechtigkeit höher stellte, als die eigne blinde Leidenschaft. Darum eben legt es ja das Mandat der Gesetzgebung nieder in die Hände einsichtsvoller und prüfender Männer. Das deutsche Volk will gar keine Lynch-Gesetzgebung.

Und in der That, daß das Volk so über Urningsliebe denkt, kann ihm gar nicht zugerechnet werden. Nicht seine: seiner Denker Sache war es, über diese dunkle Seite der menschlichen Natur Licht zu verbreiten. Die Denker aber, statt dieselbe zu erforschen, erklärten:

»Es ist unbelohnend und schauderhaft, die entarteten Triebe der menschlichen Natur kennen zu lernen.« Memnon § 25.

Ueber diese »entarteten Triebe« freilich die schauderhaftesten Dinge zusammenzulügen: das war den Denkern nicht im mindesten schauderhaft. Gladius furens Anhang II.] Zugleich ward das Volk durch die Strafjustiz immer und immer wieder daran gewöhnt, Urningsliebe als Verbrechen zu betrachten. Es wäre fürwahr ein Wunder gewesen, wenn unter solchen Einflüssen sich nicht schiefe Begriffe bei ihm festgesetzt hätten.

Das auf greifbaren groben Irrthümern beruhende Rechtsbewußtsein des Volks ist werthlos.

Der Irrthümer, auf denen das gegenwärtige »Rechtsbewußtsein« beruht, sind namentlich 4.

a) Das Volk meint, der Urning habe ursprünglich Weiber geliebt; durch allerlei gräuliche Laster aber sei sein Liebestrieb umgelenkt worden, z. B. durch zu häufigen Weibergenuß oder durch Selbstbefleckung, oder auch: seinen auf Weiber gerichteten Liebestrieb habe er aus bewußter böser Absicht willkührlich umgedreht, wie man etwa eine Locomotive rückwärts bewegt, wenn man eine Schraube dreht. Daß Urningsliebe ein Werk der Natur ist, davon hat das Volk keine Ahnung.

b) Das Volk meint, der Urning müsse ein schändlicher, verächtlicher, verworfener, verderbter, bösartiger Mensch sein, der nur aus Schlechtigkeit zu blühenden jungen Männern sich hingezogen fühle und der schon wegen seiner ganzen Sinnesart nichts besseres verdiene als das Zuchthaus. Diese sinnreiche Idee ist in allen Kreisen so tief eingewurzelt, daß selbst wissenschaftlich gebildete Männer, wie der preußische Polizeidirector Dr. Stieber, ganz überrascht sind, das Gegentheil zu finden. In seinem »practischen Lehrbuch der Criminalpolizei« (1860; Cap. 19) sagt dieser: »Unter denen, die diesem traurigen Laster erlegen sind, giebt es sogar ganz geistreiche, talentvolle und hochgestellte Männer, von gutmüthigem, ja. sogar edlem, Character.« Die Heimath der Urningsliebe sucht man unter dem Abschaum der Menschheit. Aber sie wohnt unter dem ehrlichen Strohdach des Landmanns und in der Werkstatt des redlichen Handwerkers, am Pflug und an der Hobelbank, unter der Blouse des Arbeiters, durch alle Schichten und Classen des Bürgerstandes hindurch, bis hinauf zu den höchsten Spitzen der Gesellschaft. Urninge giebt es in Deutschland unter Richtern, Staatsanwälten, Polizeibeamten, Aerzten, Advocaten, Officieren, Geistlichen, Professoren, Abgeordneten, unter Grafen, Fürsten und Prinzen von Geblüt, unter den besiegten von Königgräz, wie unter den Siegern: ehrenhafte Männer in Amt und Würden, deren achtungswerther Character allein schon Bürgschaft leistet, daß das, was die Natur von ihnen fordert, Laster oder Verbrechen nicht sein könne. Aus dem Alterthum sei nur einer hier genannt: der Ruhm Thebens, Epaminoudas. Kämpfend in der Schlacht fiel er an der Seite seines Geliebten, des im Jugendglanz prangenden Caphisodorus. Man bestattete beider Leichen in einem gemeinsamen Grabe. Unser Jahrhundert würde vielleicht sich Glück wünschen dürfen, wenn es, statt seiner augenverdrehenden »sittlichen« Heuchler, Männer hervorbrächte, wie Epaminondas und Caphisodorus.

c) Unter den verschiedenen urnischen Liebesacten giebt es einen, den das Volk fälschlich für das letzte Ziel aller Urningsliebe hält. Von diesem meint es nun, er verursache Rückenmarksdarre, Auszehrung, Epilepsie, Blutfäulniß und Wassersucht. Dergleichen haben frühere Mediciner und Juristen wirklich drucken lassen, z. B. Close, Henke, selbst noch Tardieu. Die Citate siehe in Gladius furens Note 17. [Zwar schrieben sie diese Unwahrheiten vermuthlich vollkommen wissentlich. Aber du lieber Gott, was thut man nicht alles »im Interesse der Sittlichkeit«! »Im Interesse der Sittlichkeit« hat auch Herr Dr. Schwarze von Dresden, Generalstaatsanwalt, Reichstagsabgeordneter und Juristentagsdeputationsmitglied, 1867 einen Antrag unterdrückt, den ich im Juristentag gestellt hatte und der mit gegenwärtiger Schrift gleiches Ziel verfolgte.] Solchen Stimmen lieh das Volk willig sein Ohr. Mir erzählte 1868 ein preußischer Unterthan, ein naher Verwandter von ihm habe als Soldat sich einmal einem feinen Herrn hingegeben. Davon habe er das Nervenfieber bekommen und sei gestorben. Wie die Sachen einmal liegen, möchte ich auch niemandem rathen, er sei Urning oder nicht, solchen Gespenstergeschichten gegenüber leise Zweifel zu äußern. »Das Volk« würde ja sofort geheime Triebe und, wenn der erzählende jung, »Absichten« wittern! – Der 1864 verstorbene redliche Casper, bekannter Berliner Gerichtsarzt, war der erste, welcher hinreichenden Muth besaß, auf Grund ausgebreiteter Erfahrungen jene Behauptungen für läppische Ammenmährchen zu erklären. Citate siehe Gladius furens Note 17 und Argonauticus § 51.] Es folgte der österreichische Strafgesetzentwurf von 1867, der in seinen Motiven erklärt: diese Art der Liebesübung sei weder unzüchtiger als andre, noch auch gesundheitsschädlicher. Dasselbe erklärt ferner das Gutachten der königl. preuß. Medicinaldeputation vom 24. März 1869 (siehe unten: IV).

d) Das Volk meint, der Urning sei insonderheit unreifen Knaben gefährlich. Es wähnt, daß die urnische Neigung vorzugsweise auf sie gerichtet sei oder doch in ihrem Verlauf zu Knabenliebe führen müsse. Dem unreifen Knaben ist der Urning um keines Haares Breite gefährlicher, als der eigentliche Mann dem unreifen Mädchen. Gern übrigens überlasse ich dem Gesetz den Knabenschänder zur verdienten Bestrafung. Die Integrität eines willenlosen unmündigen Knaben sei jedem Urning ein Heiligthum. Wer sie antastet, für den habe ich kein Wort der Vertheidigung. Verführung unreifer Knaben sei also, vollinhaltlich räume ich es ein, strafbare, qualificirte Unzucht.

Sobald die Anschauung des Volks von diesen 4 groben Irrthümern gereinigt sein wird, wird es die absolute Bestrafung schwerlich noch fordern. Dann werden bei ihm vielmehr die Worte Eingang finden Vergleiche Werenfels epigr. 62 in am. lit. 1730.:

Ut sentiant omnes idem,
Fieri nequit nec poscitur.
Hunc ut feram, qui feminas
Amare, quas amo, nequit,
Cui pulchriores sunt mares:
Fieri potest et poscitur.

III. Namen von Männern, die sich für die Abschaffung der absoluten Bestrafung ausgesprochen haben.

Prometheus § 45 nannte ich 20 Nichturninge, die sich bereits für die Abschaffung ausgesprochen haben, Männer der Wissenschaft, darunter 11 Juristen und 6 Mediciner und unter diesen den Oberjustizrath Feuerbach (Stuttgart), die Professoren der Rechte John (Göttingen), Hälschner (Bonn), v. Holtzendorff (Berlin) und Tewes (Graz) und den Professor der Medicin Westphal (Berlin). Auch nannte ich 3 Zeitungen, die sich ebenso ausgesprochen hatten, 2 Berliner und eine Leipziger. Seither sind noch weitere Nichturninge dem beigetreten mit Namen von gutem Klang. Ich bin ermächtigt ihre Namen öffentlich zu nennen. Inzwischen hat sich auch noch eine 3te Berliner Zeitung, der »Publicist«, in gleicher Richtung erklärt.

1) » Publicist« v. 31. Oct. 1869: »Die neuere Criminalpolitik ist uneins, ob der Staat ein Recht habe, Handlungen zu bestrafen, die aus geschlechtlicher Abirrung entspringen, solange sie sich gründen in dem freien Willen zweier willensfähiger Personen. ... Auch wieder in das norddeutsche Strafgesetzbuch wird die Urningsmanie Aufnahme finden, ... weil das sittliche Gefühl des Volks die Neigungen und Handlungen dieser Menschen verdamme. ... Die Frage bleibt indeß: Kann man diesen Neigungen und Handlungen mit dem Gesetz beikommen, solange sie niemanden schädigen? ... Sicher bleibt, daß eine Leidenschaft unwiderstehlich sein muß, die.... Das Treiben jener Menschen, die vielleicht doch nur unglückliche Sclaven einer unglücklichen Geistesverbildung sind, schädigt die öffentliche Sittlichkeit viel weniger, als ein einziger Scandalprozeß. Das wäre denn doch auch zu bedenken. ... Das Strafrecht des Staats gegenüber den Tollheiten der Menschen, die sich jetzt den Gattungsnamen »Urninge« beigelegt haben, beruht auf einer veralteten Anschauung, die nicht mehr stichhaltig ist.«

Dieser Ausspruch ist um so wichtiger, als er von ganz andren Gesichtspunkten ausgeht, als ich, gleichwohl aber mit mir zu dem gleichen Ergebniß gelangt.

2) Professor John hat sich seither auf's neue für die Abschaffung ausgesprochen. Zum officiellen Entwurf hat er einen von ihm »revidirten« Entwurf veröffentlicht, in welchem der fragliche § gestrichen ist.

3) Dasselbe gilt vom Prof. v. Holtzendorff. In 2 Schreiben, mit denen er am 13. und 17. März 1870 mich beehrt, sagt er:

»Die Streichung würde durchaus angemessen und gerecht sein. ... Die gewichtigen für die Straflosigkeit sprechenden Gründe ....«

4) Rechtsanwalt Sußmann zu Schubin bei Bromberg schreibt mir am 28 Feb. 1870:

»Allen Ihren Schritten trete ich bei, die Sie notwendig erachten, um aus dem nordd. Strafgesetz eine Bestimmung fernzuhalten, welche von der Mehrzahl der modernen Strafgesetzgebungen bereits gestrichen ist und welche von hervorragenden Männern der Natur- und Rechtswissenschaft als gemeinschädlich nachgewiesen ist.«

5) Cantons-Archivar Otto Henne-Am Rhyn zu St. Gallen in der Schweiz, Verfasser mehrerer historischer Werke und einer im Erscheinen begriffenen »Culturgeschichte der Neuzeit,« zugleich Jurist, schreibt mir am 17. und 23. Feb. 1870:

»Von der Richtigkeit Ihrer Ansichten überzeuge ich mich immer mehr. Auch bin ich jetzt weit besser, als früher, im Stande, die Gefühle Ihrer Naturgenossen zu begreifen, selbstverständlich soweit ich als Nichturning mich in deren Lage hineinzudenken vermag. ... Ihre Bemühungen für Abschaffung der Bestrafung scheinen mir vollkommen begründet zu sein. Käme ich je in den Fall, hiefür etwas thun zu können, so würde ich es thun. Das Benehmen des Münchner Juristentags gegen Ihren Antrag am 29. Aug. 1867, das Sie in Gladius furens schildern, hat mich tief empört. ... Ich bin also davon überzeugt, daß Urningsliebe angeborne, natürliche Eigenthümlichkeit gewisser Menschen ist, und finde, daß ihre Aeußerungen nur unter gleichen Umständen bestraft werden sollen, wie die der Liebe zu Weibern, also namentlich bei Jugendverführung, Gewaltanwendung und erregtem Aergerniß. ... Mit solcher Begeisterung, wie Sie, kann man nicht einer schlechten Sache das Wort reden. Ich habe nichts dagegen, daß Sie meinen Namen nennen.«

6) Die erwähnte Aeußerung des Professors der Medicin Dr. Westphal zu Berlin ist zwar einigermaßen reservirt, darum indeß nicht weniger werthvoll. Sein Aufsatz über »contraire Sexualempfindung« (im »Archiv für Psychiatrie,« 1869, Seite 73–108) bringt zunächst ausführliche selbstangestellte Beobachtungen an einer (aufrichtigen) Urnigin und an einem (verlogenen) Urning, welche bis in's kleinste Detail hinab lediglich Bestätigungen meiner Theorie sind. Auch bringt er lange Auszüge aus meiner Schrift Inclusa, mit denen diese Beobachtungen fast bis auf's Wort wiederum übereinstimmen. Nur glaubt er an jenen beiden Individuen hie und da Symptome von Geisteskrankheit zu erblicken (Tiefsinn, Schwermuth etc.). Er ist darum zweifelhaft: ob nicht männlicher Liebestrieb in einem Weiberkörper und weiblicher in einem Männerkörper stets zurückzuführen sei auf Geisteskrankheit? (Gewiß nicht! Urning und Urnigin sind im Durchschnitt körperlich und geistig ebenso gesund, wie durchschnittlich Mann und Weib. Warum sollte es nicht aber auch unter ihnen geisteskranke geben?) An diese Idee knüpft sich nun folgendes Schlußwort (S. 108):

»Immerhin mögen die geschilderten« Seelen-»Zustände häufiger sein, als man weiß.« (Unendlich häufiger!) »Es ist Pflicht, die Aufmerksamkeit diesem Gegenstande zuzuwenden. Kommt es einmal zur Aufhebung des« preuß.» § 143, tritt demnach nicht mehr das Gespenst des Gefängnisses drohend vor das Bekenntniß der perversen Neigung: dann werden diese Fälle gewiß in größerer Zahl zur Cognition der Aerzte gelangen, in deren Gebiet sie gehören.« – Obschon ich die »perverse Neigung« in keiner Weise als Object des Irrenarztes anerkennen kann, so erblicke ich doch mit Genugthuung zwischen den Zeilen den Gedanken: sie gehöre nicht zur Cognition des Strafrichters, und den Wunsch der Wissenschaft: das »drohende Gespenst des Gefängnisses« verscheucht zu sehn.

7) Dagegen habe ich auch einen kleinen Apostaten zu verzeichnen. Unter den Prometheus § 45 genannten 6 Medicinern befindet sich Dr. med. Stadler zu Bremen, unter Hinweis auf Gladius furens Note 25 (Wortlaut seiner Aeußerung vom Januar 1868). Herr Stadler erklärt jetzt plötzlich: Urningsliebe müsse doch unter allen Umständen bestraft werden. Herr Stadler ist im Begriff, ein Weib zu nehmen. Ah! ich begreife. Die Braut möchte ihn für einen Urning halten. Von der Liste der Ehrenmänner, in die ich ihn so voreilig aufgenommen hatte, sei er daher hiedurch wieder gestrichen.

IV. Gutachten der kön. preuß. wissenschaftl. Deputation für das Medicinalwesen v. 24. März 1869. (Auszug.)

» ... Hiegegen läßt sich nichts einwenden« (d. i. gegen die erwähnte österreichische Motivirung: »sie sei nicht gesundheitsschädlicher als andre«) »und müssen wir der österreichischen Auffassung völlig beistimmen. ... Eine zwischen männlichen Personen ausgeführte Nachahmung des Coitus kann, abgesehen von etwa zu Stande kommenden örtlichen Verletzungen Namentlich Hauteinrisse; ebenso leicht heilbar, wie jeder andre Hauteinriß. Dergleichen örtliche Verletzungen kommen auch beim gewöhnlichen Coitus vor. Ueber diese Verletzungen vgl. Casper; Citate: Argonauticus § 51. Anm. des Verfassers., im wesentlichen ebenso wie der gewöhnliche Coitus, nur durch den Exceß nachtheilig werden. Ob in der Unzucht zwischen männlichen Personen eine besondre Herabwürdigung des Menschen oder eine besondre Unsittlichkeit liege gegenüber andren Arten der Unzucht [wie sie in widerwärtigster Weise bekanntermaßen zwischen Mann und Weib und zwischen Weib und Weib zur Ausführung kommen und zwar ohne mit Strafe bedroht zu sein. – »Zwischen Weib und Weib« ist übrigens falsche Auffassung für: »zwischen Urnigin und Weib.« Anm. des Verf., dürfte kaum zu unsrer Competenz gehören. Hienach sind wir nicht in der Lage, irgendwelche Gründe dafür beizubringen, daß, während andre Arten der Unzucht vom Strafgesetz unberücksichtigt gelassen werden, gerade die zwischen männlichen Personen mit Strafe bedroht werden sollte.«

V. Das Non plus ultra der Unzucht.

Um die absolute Bestrafung zu rechtfertigen, hat man seltsamerweise geltend gemacht, urnische Liebesübung sei nicht nur Verletzung des Gesetzes der Natur, sondern auch noch das non plus ultra von »Unzucht« So hat am 12. Apr. 1869 der preuß. Cultusminister v. Mühler dem Justizminister officiell erklärt: »im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit erscheine es ihm durchaus unstatthaft, die absolute Bestrafung fallen zu lassen.«

Wie dadurch die absolute Bestrafung sich rechtfertigen solle, ist mir nicht verständlich. Auch aus diesem Gesichtspunct wäre es doch immer nur gerechtfertigt, eine Verletzung der öffentlichen Sittlichkeitzu bestrafen, also urnische Liebesübung, welche Aergerniß erregt.

Allein der ganze Gesichtspunct selbst ist unhaltbar.

Die erwähnten österreichischen Motive sagen: diese Art der Liebesübung sei weder gesundheitsschädlicher noch auch unzüchtiger als andre, welche man nicht mit Strafe bedrohe.

Mit Recht. In der urnischen Liebe mag das Spiel der Gefäße höchstens um einige Grade unästhetischer sein, als in der gemeinen Liebe. Denn unästhetisch ist unbestritten auch der regelmäßige Act zwischen Mann und Weib. Es giebt aber auch noch andre Naturbedürfnisse, welche unästhetisch sind: Beweis genug, daß unästhetisch noch nicht unzüchtig ist.

Aber wir dürfen noch viel weiter gehn. Von den Äußerungen des angebornen urnischen Geschlechtstriebes, die das non plus ultra der Unzucht sein sollen, fallen weitaus die meisten überhaupt nicht unter den Begriff »Unzucht«. Mit diesem aufhetzenden Wort haben die Verfolger so oft und so gern den öffentlichen Haß und die öffentliche Verachtung gegen uns aufgestachelt. Auch diese Waffe bedaure ich ihnen entwinden zu müssen. (Wozu eigentlich hat man statt des einfachen Ausdrucks »naturwidrig« den förmlich ekelerregenden »widernatürlich« für den Entwurf gewählt?) Weitaus die meisten Aeußerungen dieses Triebes fallen vielmehr unter 3 ganz andre, den Begriff Unzucht ausschließende, Begriffe, nämlich: a) Unter den Begriff der Erfüllung eines Naturbedürfnisses, und zwar eines solchen, dessen Erfüllung, nach vollendeter Entwicklung der Geschlechtsreife, die Natur nun einmal gebieterisch verlangt. Von irgend einem lebenden Wesen lebenslängliche Unterdrückung des geschlechtlichen Naturbedürfnisses zu fordern, wäre rechtlose Grausamkeit. Ein Gelübde dem Urning aufzuzwängen, das er gar nicht abgelegt hat, ist der Gesetzgeber nicht befugt.

b) Unter den Begriff eines medicinischen Heilmittels zur Erhaltung, Förderung, so sogar zur Wiederherstellung der Gesundheit Körpers und Geistes. Vergleiche, was ich darüber angeführt habe: Vindex § 50; Formatrix § 5, § 6: Memnon II Einleitung § 146. » Des rapports modérés avec des garçons nous apportent la joie et la santé. La privation est une cause d'infirmités, de souffrances, de désordres nombreux.« Ein italiänischer Arzt sagt: » Usus et amplexus pueri bene temperatus salutaris medicina.«

c) In sehr vielen Fällen endlich fallen die Geschlechtsacte zwischen dem Urning und seinem Geliebten sogar unter den Begriff rechtmäßiger, gleichsam ehelicher, Liebesacte, weil sie vollzogen werden innerhalb eines dauernden, auf Achtung, Anhänglichkeit und Treue gegründeten, Liebesbündnisses. Das urnische Liebesbündniß ist legitim nach dem Recht der Natur, nach dem natürlichen Menschenrecht, und der Gesetzgeber hat kein Recht, dreinzufahren mit dem Schwert der Strafjustiz. Auch der Urning hat natürlichen Anspruch auf eine äußere Form, unter der er ohne Sünde Mensch sein kann, d. i. seine geschlechtliche Natur erfüllen. Diese Bündnisse existiren. Sie existiren der Polizei und dem Strafgesetz zum Trotz. Nur deßhalb sind sie noch nicht als rechtmäßige Ehebündnisse öffentlich anerkannt, weil die Kirche das Recht der Natur verkennt und ihren eignen Beruf, weil sie bisher sich geweigert hat, unsre Bündnisse zu sanctioniren. (In Deutschland wenigstens. In den slawischen Districten Dalmatiens haben, seit unvordenklichen Zeiten und noch zur Zeit des Aufhörens der venetianischen Herrschaft, die katholischen Priester sie sanctionirt. Erst nach dem Uebergang des Landes an Oesterreich hat, wahrscheinlich auf Betrieb der neuen Regierung, die Kirche ihren Priestern dies verboten.) Und doch hat auch die unfruchtbare Blüthe das Recht zu blühn und ihr Mysterium zu begehn. Und doch sollte auch unsre Liebe das Recht haben, hinzutreten vor die Altäre des Gottes, der sie erschuf. Vgl. Prometheus §§ 32. 33. § 29.

Und das alles soll eingezwängt und zusammengestampft werden unter den Begriff »Unzucht«, nur um den abgeblichenen Fetzen eines Scheingrundes zu haben für die Bestrafung der Natur?

VI. Die vom Strafgesetz herbeigeführten urnischen Selbstmorde.

Daß ein so giftiger Volks- und Pöbelhaß (jenes »Rechtsbewußtsein«) der Urningsliebe thatsächlich anklebt, spricht nun aber gerade umgekehrt für ihre Nichtbestrafung! Wolle man doch wirklich einmal ruhig prüfen. Weil er nämlich ihr anklebt, so hat eine Criminaluntersuchung wegen Urningsliebe unendlich größere Schrecknisse in ihrem Gefolge als jede andre. Und dies wieder hat 2 Folgen, die der Gesetzgeber endlich würdigen sollte: die dadurch herbeigeführten Selbstmorde und die dadurch der Erpressung gewährte Ermuthigung oder kurz gesagt das der Erpressung ertheilte Privilegium der Straflosigkeit.

Untersuchung wegen Urningsliebe führt nämlich verhältnißmäßig weit öfter zum Selbstmord, als Untersuchungen, welche von diesen besondren Schrecknissen nicht begleitet sind, z. B. wegen politischer Vergehen, wegen Preßvergehens, wegen Duells, ja selbst weit öfter als Untersuchungen wegen Diebstahls, ja Mordes. Si contra duos facis idem, idem non est. Die neuesten urnischen Selbstmorde, die mir bekannt geworden, sind der Fall Mühlberg – Bremen Sept. 1866 Memnon § 68. § 119.]–, Hinkel – Seckbach bei Frankfurt a. M. Nov. 1868 Argonauticus § 70. – und Frosch (Ingenieurhauptmann) – Berlin Nov. 1869 Prometheus § 53. fgde..

Haben Sie, meine Herren, das Recht, für weiter nichts, als für die Erfüllung eines Naturgesetzes, den Urning in den Selbstmord zu drängen? Wollen Sie durchaus noch mehr schuldloses Blut fließen sehn?

Ein Gesetzbuch, welches die Todesstrafe kennt, das corpus juris, enthält ein berühmtes Wort Kaiser Trajan's, welcher rescribirte: »Es ist besser, daß 10 Mörder am Leben bleiben, denn daß ein schuldloser hingerichtet werde.« Meine Herren! Hier vor Ihnen stehn nicht Mörder, überhaupt nicht Verbrecher: hier stehn schuldlose! Hier stehn Menschen, Ihre Mitmenschen, welche dafür, daß sie der Natur folgen, durch die Schrecknisse der Untersuchung Jahr aus Jahr ein in den Selbstmord getrieben werden. Meine Herren, die Todesstrafe haben Sie verworfen. Wenn aber der Mörder nicht mehr hingerichtet werden soll: dann wollten Sie es noch verantworten, für die Erfüllung des Naturgesetzes den Urning durch Untersuchungsrichter und Gendarm in den Selbstmord zu treiben?

VII. Die gesetzlich privilegirte Gaunerbande der Rupfer.

»Geld her! Mehr Geld! Noch mehr! Oder ich zeige an.« Dieser Ruf, einem Urning gegenüber ausgesprochen, wirkt größere Wunderdinge, als je das wunderthätige Gnadenbild von San Ildefonso.

Die Zauberkraft, die diesen Worten innewohnt, ist den Gaunern nur zu wohl bekannt. Aber nur deßhalb ist es ihnen möglich, mit dieser Drohung so bewunderungswürdige Meisterstücke von Erpressung auszuführen, weil Untersuchung wegen Urningsliebe, in Folge der ungezähmten öffentlichen Wuth gegen sie, von den erwähnten ganz besondren Schrecknissen umgeben ist.

Diesen Erpressungen ist der Urning schutzlos preisgegeben. Den Schutz der Gerichte kann er nicht anrufen. Ginge er zur Polizei, so würde er zwar seines Peinigers Verhaftung vielleicht erreichen, sicher aber zugleich auch seine eigne.

Diese Erpressungen, oft Jahre lang frech, kühn und roh fortgesetzt, sind für das Gemüth des Opfers wahrhaft lähmende und demüthigende Folterwerkzeuge. Oder, frage ich, ist der Gedanke zu ertragen:

Wer seine Pflichten als Mensch und als Staatsbürger, wer seinen Beruf treu erfüllt, dem kann, bloß weil er seinem Naturgesetz folgte, ein Gauner im Handumdrehn Ehre und Lebensglück über den Haufen stoßen?

Eines Spitzbuben Schweigen muß er erkaufen! Er ist vielleicht ein Mann von Stellung im Staat; er genießt des Vertrauens und der Achtung seiner Mitbürger; er ist Richter, Lehrer, Officier, Abgeordneter. Es klopft. Der Rupfer tritt ein. Das Geld wird hingezählt: der Preis, für den dessen Schweigen bisher käuflich war. Wie aber, wenn es dem Schurken nun gefällt, indem er das Geld einstreicht, die Achsel zu zucken und verächtlich zu sagen: »Diese Summe ist doch eigentlich eine wahre Lumperei!« Was nützen nun alle schon gezahlten Summen? Ist nicht noch immer seine Existenz auf einen Schlag vernichtet, wenn es jenem gefällt, nun dennoch zum Staatsanwalt zu gehn? Ist er nicht

centum vinctus ahenis
Post tergum nodis?

So oft ich einen einherschreiten sehe, dessen Geheimniß ich weiß, ist mir's, als hörte ich sie klirren, die unwürdige Kette, die er unsichtbar mit sich umherschleppt, als dringe an mein Ohr:

Indigni stridor ferri tractaeque catenae.

Diese raffinirten Rupfereien haben schon ihrerseits zu Selbstmorden geführt. (Einen Fall davon siehe Gladius furens Seite 36. 37.)

Haben Sie, meine Herren, ein Recht, frage ich, für weiter nichts, als für die Erfüllung eines Naturgesetzes, den Urning solchen Vampyrn gefesselt und geknebelt auszuliefern? Sind Sie die hohen Protectoren der Erpressung?

Ja, sogar directe Plünderung, Diebstahl, directes Wegraffen von Börse, Uhr, Ring und Kette vor dem Auge des Opfers – kann unter der Daumschraube eines solchen Gesetzes nicht verfolgt werden. Der Rupfer wäre ein Narr, wenn er eine so einladende Situation nicht ausbeuten wollte. Meine Herren, dem Volke, das Sie vertreten, sind Sie verantwortlich für Ihre Gesetze: und auch Ihre Mitbürger, die 20,000 Urninge Norddeutschlands, gehören dazu!

»Kommt dergleichen denn aber wirklich vor?« O, nur allzu oft! natürlich gerade ohne daß der Polizei und dem Staatsanwalt Meldung gemacht wird. Dennoch werden beide ziemlich genaue Ahnung davon haben; und beiden wird schwerlich, wenigstens annäherungsweise, entgehn, welch unerhörte Dimensionen es annimmt, dies thatsächlich privilegirte Verbrechen. Beide wissen aber auch, daß ihm gegenüber ihre Thätigkeit eben durch den bewußten § lahm gelegt ist.

Es giebt wirklich keinen einträglicheren Industriezweig ! In Wien, Berlin, Hamburg, Prag, Graz etc. lebt der Rupfer, aller Gesetze spottend, förmlich heerdenweise und bandenmäßig organisirt. Er »freut sich des Lebens«, während sein gemartertes Opfer qualvoll und ruhelos auf dem nächtlichen Lager sich windet.

»Sollten denn aber nicht wenigstens diese enormen Dimensionen Uebertreibung sein?« Aber man würdige doch die große Anzahl, in der die Urninge in großen Städten zusammenströmen, und daß auch vom Urning, trotz aller ihm drohenden Marter und Gefahr, die Natur periodisch und regelmäßig, unerbittlich pochend, ihren Tribut fordert. Zu rupfen bietet sich daher gar ausgiebige Gelegenheit: und – Gelegenheit macht Rupfer!

Wohl weiß ich, daß auch andre §§ des Strafcodex Erpressungen thatsächlich in ihrem Gefolge haben. So z. B. kommen einigermaßen ähnliche Fälle vor bei Verführung unreifer Mädchen. Allein einerseits können sie dort ihrer Natur nach nirgend diese thatsächlichen Dimensionen annehmen; andrerseits sind sie dort nun einmal ein unvermeidliches Uebel, da z. B. Verführung unreifer Mädchen nach allen Grundsätzen des Rechts strafbar bleiben muß: während Urningsliebe nichts andres ist als ein eingebildetes Verbrechen.

Haben Sie denn das Recht, meine Herren, Ihren eignen Gesetzen gegen Erpressung, Diebstahl und Plünderung so die Pulsader zu unterbinden? Haben Sie das Recht, gegen diese 3 Verbrechen wohlformulirte §§ aufzustellen, unmittelbar neben sie aber einen andren, der ihre Anwendung unmöglich macht? Können Sie es verantworten, den Rechtsstaat so zu organisiren, daß, indem das vermeintliche Verbrechen verfolgt wird, das wirkliche straflos bleibt? Herrlicher Rechtsstaat! Haben Sie das Recht, dem Verbrechen einen Freibrief, einen so unerhörten, zu ertheilen? Haben Sie das Recht, in einem Brütofen Rupfer auszubrüten und großzuziehn? Haben Sie das Recht, durch thatsächlich schützende Gesetze wahre Räuberbanden in's Leben zu rufen? Haben Sie das Recht, dem Staat solche Geschwüre einzuimpfen? Diesem Otterngezücht wollten Sie, meine Herren, durch Erneuerung des § den gefährlichen Giftzahn neu in die Kinnlade einsetzen?

Den Staat von Spitzbuben zu säubern, hat man oft versucht, mit den größesten Anstrengungen und dennoch vergeblich. Sie, meine Herren, sehen sich in der seltnen Lage, es zu können durch einen einzigen Federstrich.

Kaiser Philippus hatte einen Sohn, der im Schmuck der Jugend prangte. In Rom lebte damals ein junger Mensch, der mit seinem Körper ein Gewerbe trieb und – dem princeps juventutis täuschend ähnlich sah. Des Kaisers Zorn darüber war der erste Anstoß, daß in Rom Urningsliebe, zuvor straffrei, mit Strafe, mit immer gesteigerter, belegt ward, zuletzt (unter dem Einfluß des Christenthums!) mit dem Feuertode. Aber es war die Natur, die man verfolgte! Das hatte man nicht bedacht. Und sie verfolgt man nicht ungestraft. Ausrotten ließ sie sich nicht. Man vermochte sie nur zu martern. Was war die Folge? Aus der Zeit des Gipfelpuncts der Marterstrafen, aus der Zeit des Constantius, haben wir eine warnende, eine drohende, Antwort, auf die ich schon wiederholt hingewiesen habe. Aurelius Victor, sehr unser Gegner, erzählt die Einführung der Bestrafung der Urningsliebe ( de Caesaribus, in Philippo), sagt dann aber, hinblickend auf seine Zeit:

Vorumtaman manet. Quippe, loci conditiune mutata, pejoribus agitatur flagitiis. (Trotzdem lebt sie fort. Die Äußerlichkeiten des Orts hat sie verändert. Betrieben aber wird sie, und unter schändlicheren Schandthaten, denn zuvor.)

Nun, meine Herren, nach schändlichen Schandthaten, von denen sie umgeben ist in Folge der Bestrafung, brauchen Sie nicht lange zu suchen. Sie brauchen die Räuberbanden nicht erst aus dem Boden zu stampfen. Sie dürfen nur in den Berliner Thiergarten gehn, Nachts oder bei Tage, um feingekleideten Mitgliedern derselben zu begegnen. Bei Ihnen handelt es sich darum, den Gaunern das Handwerk zu legen, die das Gesetz Ihrer Vorgänger großgezogen hatte, und die so lange gefütterte Viper durch Ausbrechen des Giftzahns zahnlos zu machen.

VIII. Eine vom Strafgesetz herbeigeführte Seelenstörung (Tiefsinn).

Die haarsträubende Verurtheilung des Superintendenten Forstner zu Wien zu einjährigem Kerker (Aug. 1869) war die Folge der Denunciation eines Soldaten, des Kanoniers Vogel. (Vgl. Argonauticus.) Seither soll der Verfolgungseifer des damaligen Platzcommandanten von Wien vielfach die Soldaten aufgestachelt und angeleitet haben, gleichfalls Kanonier-Vogel'sche Lorbeern zu pflücken. Mehrere der schönsten unter ihnen gingen nun förmlich auf die Urnings-Jagd. Sie gingen darauf aus, uns Netze zu stellen, diese schmucken Bösewichter. Um uns grausam zu fangen und dann zu denunciren, begannen sie hold mit uns zu liebäugeln und machten uns mit wahrer Sirenenstimme auch noch allerlei verlockende Vorspiegelungen von ihrer Huld. Die Folge waren neue Scandale. Ein sehr anständiger junger Urning lernte einen derselben kennen, ebenfalls einen Kanonier. Dieser läßt sich von ihm einige Mal die Zeche bezahlen und macht ihm dann den Vorschlag, gemeinschaftlich ein Bad zu besuchen. Als beide vor demselben Zusammentreffen, wird, auf des Soldaten Veranstaltung, jener auf der Straße verhaftet und zur Polizei geführt, obschon noch nicht das Atom einer Geschlechtshandlung vorliegt. Auf Betreiben jenes Platzcommandanten Ich ersuche meinen Herrn Correspondenten um den Namen dieses edlen Menschenfreunds. wird nun eine Untersuchung »wegen versuchter Verleitung zur naturwidrigen Unzucht« eingeleitet, Monate lang fortgeführt und – wegen mangelnden Thatbestandes dann eingestellt! Das ganze Erlebniß, zuerst der schändliche Verrath des Schurken, dann die Schrecknisse der Untersuchung, hat jedoch seinen Nervenzustand und seinen Geist zerrüttet. Er ist tiefsinnig geworden! An jedem Ort glaubt er sich von Spähern und Verfolgern umringt. Zuletzt hat er sich der Geistlichkeit in die Arme geworfen. Diese erklärte ihn für »besessen«. Durch Uebungen im Gebet, Fasten und Besprengung mit Weihwasser gelang es ihr, den bösen Geist (den angebornen Liebestrieb) glücklich auszutreiben. Jetzt wird er als leuchtendes Exemplar eines bekehrten Sünders zur Erbauung frommer Seelen gezeigt. O du dreifach gemarterter! Du Opfer des Verraths, frommer Gewissensfolterung, und, als Vorbedingung zu allem, eines ruchlosen Gesetzesparagraphen!

Nach alle dem sage ich:

Nicht die Erfüllung des Naturgesetzes der Urningsnatur, nein dieser Paragraph, ist ein Verbrechen wider die Natur.

IX. Bereits abgeschafft gewesene Verfolgung der Urningsnatur. Wiedereinführungen der Verfolgung durch Preußen. Rechtseinheit Deutschlands.

Als Sie, meine Herren, die Todesstrafe verwarfen, fiel sehr wesentlich auch diese Rücksicht in's Gewicht: die Genehmigung wäre die Wiedereinführung einer Strafart gewesen, die seit 1848 durch humanere Gesetze vielfach bereits abgeschafft war. Dem Zuge des Jahrhunderts entgegen wehte in der preußischen Gesetzgebung seit langer Zeit ein Zug der Härte, der wie es scheint specifisch preußisch ist. Dieser Härte mußten, dieser Härte wollten Sie entgegentreten. Sie folgten dem Zuge des Jahrhunderts.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der absoluten Bestrafung der Urningsliebe. Vielleicht darf man darum auch hier Verwerfung erhoffen. Hier wäre Ihre Zustimmung die Krönung der Wiedereinführung einer Strafe, die durch mildere Gesetze vielfach bereits abgeschafft gewesen ist und zum Theil es heute noch ist. Auch hier fordert die Abschaffung der unverkennbare Zug des Jahrhunderts: und auch hier wieder ist es ein specifisch preußischer Zug der Härte, welcher das bereits abgeschaffte wiedereinzuführen strebt.

In 11 Ländern und Landestheilen Deutschlands war in den 40er Jahren Urningsliebe – solange sie obige Linie respectirt – bereits straffrei, nämlich in:

Königreich Baiern rechts des Rheins,
Königreich Würtemberg,
Königreich Hannover,
Herzogthum Braunschweig,

ferner, in Folge des code pénal, am ganzen linken Rheinufer, also in:

Großherzogthum Luxemburg
Limburg
Rheinpreußen
Rheinbaiern
Rheinhesscn
Birkenfeld
Meisenheim.

Ueberall war die Bestrafung gewichen dem Zuge der Humanität und zugleich den Ideen des Jahrhunderts vom Rechtsstaat. Der Staat, der den Anstoß gab, diese mildere und freiere Anschauung wieder zu verdrängen, war Preußen.

Indem es durch sein Strafgesetzbuch von 1851 den code pénal verdrängte, stellte es in seinem Rheingebiet die absolute Bestrafung der Urningsliebe wieder her. Es fand 2 Nachahmer: Hessen Darmstadt für Rheinhessen, Oldenburg für Birkenfeld. Dies Verdrängungswerk setzte Preußen fort, und zwar auch einheimischer Gesetzgebung gegenüber: indem es 1867 sein Strafgesetzbuch von 1851 auch in jene Länder und Gebiete verpflanzte, die es 1866 durch Vertrag oder durch einseitige Occupation seiner Herrschaft unterworfen hatte. Dadurch gingen der milderen und freieren Gesetzgebung 3 fernere Gebiete verloren:

das im Friedensvertrag mit Baiern erworbene bairische Gebiet, in welchem seit 1813, also bereits seit 54 Jahren, die absolute Bestrafung abgeschafft gewesen war,

Meisenheim,

Königreich Hannover.

Das hannoversche Volk war seit langer Zeit gewöhnt gewesen an ständische Mitwirkung bei der Gesetzgebung; und hier war aus völlig selbstständiger Entwicklung die Gesetzgebung eines deutschen Volksstammes hervorgegangen, der von milder Rechtsanschauung, aber unbeugsamem Rechtssinn, getragen war. Diese Gesetzgebung eines ganzen Volksstammes ward vernichtet ohne alle ständische Mitwirkung durch den Federstrich einer kön. preuß. Cabinets-Ordonnanz. Es war das derselbe Arm der Gewalt, welcher mich und hundert meiner wackeren Landsleute in die Festungscasematten von Minden schleppte, welcher uns nicht vor einen Richter stellte: weil wir uns nicht beugten vor der Theorie, daß Eroberung und Vergewaltigung ein Recht gewähre. Die Verdrängung des milden hannoverschen Strafgesetzbuchs von 1840 erregte selbstverständlich Mißvergnügen wegen der gewaltthätigen Form, unter der sie sich vollzog. Aber auch weil materiell Bestimmungen importirt wurden, die der Rechtsanschauung der Hannoveraner als Härten erschienen. In diesem Sinne erklärte sich sogar derjenige Theil der hannoverschen Presse, welcher mit der Herrschaft der Eroberer täglich liebäugelte, wie z. B. die »Ztg. für Norddeutschland.« In der schüchternen Form, die damals durch die dictatorische Militairverwaltung geboten war, wagte sie es am 15. Aug. 1867 von verschiednen »noch nicht abgestellten Mängeln« des nach Hannover verpflanzten Strafcodex zu reden und von seiner »Reformbedürftigkeit.« Unter diesen Mängeln nannte sie ausdrücklich die »Höhe der Strafen gegen die geschlechtliche Sittlichkeit.« (Man erinnert sich, wie selbst ein Theil der preußischen Presse jene Cabinetsordonnanzen »Gesetzgebungswolkenbruch« nannte.) Besonders diese Stimmen der Unzufriedenheit aus Hannover wünschte man wohl zu beschwichtigen, als später, zu Anfang des J. 1869, officiöse preußische Blätter versicherten: »Bei Schaffung des norddeutschen Entwurfs werden diejenigen Härten ausgemerzt werden, die man dem preußischen Strafcodex vorgeworfen hat.« Und nun? Ja! nun zeigt es sich, daß die officiösen Blätter wieder einmal .... Verschont geblieben sind von jenen 11 Gebieten also nur noch fünf. Vier davon sind der preußischen Machtsphäre und damit dem Andringen des preußischen Zuges der Härte glücklicherweise entrückt:

Baiern
Würtemberg
Luxemburg
Limburg;

während Braunschweig noch ein kleines Object ist, an welchem jener Zug seine Macht üben kann. Ohne große Kraftentfaltung! Durch die Annahme des § 173 des norddeutschen Entwurfs wäre der Urningsnatur somit auch dieser letzte Fleck Freiheit geraubt.

Baiern, Würtemberg, Luxemburg und Limburg nannte ich »ihm glücklicherweise entrückt.« Ja: Gott sei Dank entrückt! Am 23. Feb. 1870 schreibt mir ein urnischer Freund in Oesterreich:

»Also § 143 in den norddeutschen Entwurf wiederaufgenommen? Und die preußischen Parteien möchten auch Baiern aufnehmen in den Nordbund? Also auch die musterhafte Rechts-Gesetzgebung dieses kleinen Rechtsstaatesmöchten sie verdrängen und ihn umwandeln in eine Zwangsanstalt? Mit Zusammenfassung aller Kräfte muß das verhindert werden!«

Man sagt uns: »Diese Freistätten der Urningsnatur zu verdrängen, geschieht im Namen der Rechtseinheit Deutschlands.« Aber wie sinnvoll! Der Rechtseinheit wäre ja ebenso genügt durch das umgekehrte Verfahren, durch Ausdehnung des Gebiets der Freistätten auf den Nordbund. Die Replik kennen wir schon: » Non possumus. Uns hindert das »»Rechtsbewußtsein«« des Volks.« Nun, wenn im Nordbund die Gesetzgeber die unberechtigte Verfolgungswuth blinder VoIksleidenschaft höher stellen, als Rechtsstaat, Menschenrecht und Gleichheit vor dem Gesetz: dann sei mir gepriesen, Zerrissenheit, die du doch Baiern davor bewahrtest, sich beugen zu müssen unter solche Grundsätze! Baiern, in Deutschland die älteste Freistatt der Urningsnatur, soll und darf nicht umarmt werden von diesen Polypenarmen!

Während Braunschweig, die letzte Insel im Norden, schutzlos preisgegeben ist den hinwegspülenden Wogen, darf Baiern doch fortfahren, Dank dem Geschick, im Herzen Deutschlands der verfolgten Natur ein Asyl zu bieten, einen Zufluchtsort, wo ein gemarterter und gehetzter Mensch aufathmen kann, wohin die Schergen der Verfolgung ihre Hand vergeblich ausstrecken.

X. Oesterreich. Peccatur et intra. »Conspiremus!«

Fast gleichzeitig stürmen die Unglücksbotschaften auf uns ein. Es ist, als sollte unser Muth und unsre Siegesgewißheit auf eine recht harte Probe gestellt werden. Nicht genug, daß der norddeutsche Entwurf die Verfolgung der Natur erneut: eine Münchner Behörde hat im Fall Forstner die Rechtsstaatsprincipien der eignen Landesgesetze kopflos übertreten, den verfolgten verhaftet und den österreich. Schergen ihn ausgeliefert.

Ja! jetzt kommt auch noch die unerhörte Post: In dem freisinnigen österreichischen Regierungsentwurf des damaligen Justizministers Komers – Ehre seinem Namen! – vom 25. Jun. 1867 war der bisherige österreichische § 129 gestrichen; der Ausschuß der Abgeordnetenkammer aber hat denselben als § 273 wieder hineincorrigirt! Vor allen Dingen beeile ich mich, die Namen der Ausschußmitglieder in weiteren Kreisen bekannt zu machen. Diese Männer des Fortschritts zu Barbarei und Ungleichheit vor dem Gesetz heißen:

Mende, Leonardi, Dr. Dittrich, Limbeck, Tschabuschnigg, Wirobek, Dr. Hanisch, Dr. Mandelblüh.

Ich weiß nicht, ob den Herren ein bescheidnes Büchlein bekannt ist, das einst in Lübek erschien unter dem Titel: »Kinderfibel, verbessert durch Johann Ballhorn«? Worin eigentlich die ballhornsche Verbesserung bestand, ist mir leider entfallen. Jedenfalls aber ist der gute Lübeker abgethan, seit die Welt einen »österreichischen Strafgesetzentwurf, verbessert durch Mende–Mandelblüh,« besitzt.

Und noch eins. Der gegenwärtige österreichische Justizminister Dr. Herbst handelt ganz, wie sein preußischer Amtsbruder in Sachen des Grafen Czarnecki (Prometheus § 51). Die Begnadigung, die ich für Forstner und Hofer erbeten hatte (Prometheus § 52 § 64 f), hat er durch Schreiben an mich v. 1. Feb. 1870 abgelehnt.

Das sind Geduldsproben!

Iliacos extra muros peccatur et intra!

Also auch in Baiern selbst, in der gepriesenen Freistatt, wird gesündigt! Einem Gesetz in's Antlitz schlagen, welches die Mission hat, dem ganzen Deutschland in kurzem zum Muster zu dienen trotz alles Sträubens germanischer Rohheit: fürwahr, das ist Entweihung! Du Geist der Menschheit, vergieb ihnen! Sie wußten nicht, was sie thaten! Was nach bairischem Gesetz straflos ist, kann auf keiner Scholle bairischer Erde als Verbrechen behandelt werden. Es kann dafür weder verhaftet noch ausgeliefert (ja, nach besondrem Gesetz, nicht einmal ausgewiesen) werden. Meine Beschwerde an beide Kammern über Forstners Auslieferung (Prometheus § 52) ist noch nicht erledigt. Der Referent der Reichsrathskammer, Herr v. Bomhard, ehemaliger Justizminister, hat in einem erstatteten Bericht über sie den Mangel einer Vollmacht gerügt. Im österreich. Kerker zu Suben wird nun aber dem ausgelieferten nicht gestattet, Vollmachten zu unterzeichnen, deren ausgesprochener Zweck es ist, die Gesetzmäßigkeit gerade der erfolgten Auslieferung anzufechten. So sieht sich eine Wirksamkeit für Befreiung der Natur überall eingeschnürt, wie die Fliege von den Fäden, mit denen die Spinne sie umwickelt. Ich aber erwiderte dem Herrn v. Bomhard:

»Sobald eine so flagrante Verletzung verfassungsmäßiger Freiheit der Person den bairischen Kammern auch nur zur Kenntniß gebracht ist, werden dieselben, als berufene Wächterinnen der Verfassung, doch einschreiten wollen kraft eignen Berufs!«

Die Beschlußfassung der Kammern bleibt abzuwarten. Herr v. Bomhard hatte inzwischen die Güte, von seinem erstatteten Bericht mir einen Abdruck zuzusenden. Aus demselben entnehme ich wenigstens eins: hätte Forstner die »Haftbeschwerde« erhoben wider den begangenen Fehler, so würde er nicht ausgeliefert worden sein. – Ein einzelner Verstoß hebt die Freistatt noch nicht auf.

Dieser Gedanke soll uns denn auch Muth gewähren gegenüber jenem neuesten Hohn auf Natur und Menschenrecht, den die Herren Mende–Mandelblüh begangen haben. Sollte ihr Attentat wirklich Gesetzeskraft erlangen, so werden wir der schützenden Nachbarschaft Baierns gedenken und zugleich uns erinnern an das, was jüngst in Paris Gustave Flourens schrieb an seinen Freund Malespine. (Den Brief bringt die Pariser »Réforme« v. 13. Feb. 1870 und nach ihr die Frankfurter Ztg. vom 15.) Herr Flourens wird mit uns sympathisiren, wenn wir ebenso denken über unsre verfolgten österreichischen Naturgenossen, wie er über seine politischen Gesinnungsgenossen.

»11. Feb. 1870. Lieber Freund! Die Grausamkeit des bonapartistischen Generalstabs wüthet noch immer gegen die Soldaten, unsre armen Brüder. Viele dieser unglücklichen Opfer werden fort und fort aus politischen Motiven nach Africa geschickt in die Strafcompagnien. Wir sind indeß glücklich genug, von Zeit zu Zeit einige dieser verurtheilten ihren Bedrückern zu entreißen. Ein Corporal und ein Gemeiner von den Fußjägern der Caserne prince Eugène, Fayolle und Asnon, sollten vor einigen Tagen eingeschifft werden, als wir das Glück hatten, sie zu retten. Sie befinden sich jetzt im Ausland. Sie sind in Sicherheit! Ihre Effecten haben wir in einer Schachtel dem General Canrobert zugeschickt und diese Gelegenheit ergriffen, ihn wissen zu lassen, wie wenig wir uns fürchten und wie sehr wir seine unmenschlichen Gesetze verabscheuen.«

Wir werden Gelegenheit haben, Freunden zu schreiben, wie folgt:

»Lieber Freund! Die Grausamkeit des österreichischen Gesetzes wüthet noch immer gegen unsre armen Brüder. Viele dieser unglücklichen Opfer werden fort und fort in die Kerkermauern geschickt. Wir sind indeß glücklich genug, von Zeit zu Zeit einige dieser verurtheilten ihren Bedrückern zu entreißen. Vor einigen Tagen sollte N. N. in den Kerker gebracht werden, als wir das Glück hatten, ihn zu retten. Er befindet sich jetzt auf bairischem Boden. Gegen etwaige Verirrungen einer bairischen Unterbehörde, die aus Unkenntniß die eignen Gesetze übertritt, hat er Anleitung erhalten die Haftbeschwerde zu erheben. Er befindet sich in einem Lande, wo der Natur die Freiheit zurückgegeben ist durch das Gesetz. Er ist in Sicherheit! Vorladung, Urtheil, Haftbefehl, Steckbrief und den ganzen schauerlichen Marterapparat haben wir in einer Schachtel den Herren Mende–Mandelblüh zugeschickt und diese Gelegenheit ergriffen, sie wissen zu lassen, wie wenig wir uns fürchten und wie sehr wir ihre unmenschlichen Gesetze verabscheuen.«

Unsre Losung wird dann also heißen: conspiriren. Die Gesetze zwingen uns ja dazu. In Wien werden wir eine geheime Warschauer Nationalregierung organisiren zur Befreiung der Natur. Wir sind nicht geborne Mieroslawsky's, nein: erzogene. Unsre Erzieher heißen Mende und Mandelblüh. Hineinziehn aber in unser Complott werden wir alle Anhänger der Menschlichkeit, des Fortschritts der Wissenschaft, des Rechtsstaats und der Freiheit, auf daß die Verfolgung der Natur, auf daß die Anwendung eines ruchlosen Gesetzes lahm gelegt werde. Jeder Ehrenmann trete herzu zu einer Conspiration, zu deren geistigen Urhebern Männer zählen, wie Holtzendorff, Sußmann, Henne-Am Rhyn und Westphal! Den Schergen der Verfolgung wird zuletzt nur der Pöbel noch übrig bleiben, welcher einst ja auch einen Huß noch selbst auf dem Scheiterhaufen verhöhnte und den Henkersknechten zujauchzte, als sie mit den Feuerbränden herbeikamen. Conspiremus!

XI. Der Urning als Christenbrunnen-Vergifter.

Wenn man achselzuckend über alles sich hinwegsetzt, was gegen den § bisher geltend gemacht ist, wenn trotz alle dem nun dennoch fortgestraft werden soll – ohne Rechtsgrund –, so erinnert mich das lebhaft an jene Vergiftung eines Christenbrunnens, für die ein Jude verbrannt werden sollte. Aber es stellte sich heraus, daß der Jude unschuldig war.

»Thut nichts;« rief jemand, »der Jude wird verbrannt!«

Der Herr Generalstaatsanwalt, Abgeordnete und Juristentagsdeputationsmitglied Dr. Schwarze von Dresden, der Unterdrücker meines Münchner Antrags, hat nun in meinen Augen, sammt seinen etwaigen Gesinnungsgenossen in Wien und Berlin, eine frappante Aehnlichkeit mit jenem Judenverfolger, der ein so großes Wort gelassen aussprach.

Bisher erklärte man die schändlichen Urninge für infam, bestrafte sie und trieb sie in den Selbstmord, ohne sich graue Haare darob wachsen zu lassen:

weil sie sich auflehnen wider die Natur, um deren Gesetzen zuwider zu handeln,

weil ihre Liebesacte das non plus ultra von Unzucht sind,

weil sie so infam sind, statt zu Weibern zu jungen Männern sich hingezogen zu fühlen,

weil sie an diesen sich vergreifen, während doch deren Keuschheit so schutzbedürftig ist,

weil aus ihren Umarmungen Rückenmarksdarre, Epilepsie und Wassersucht entstehn, weil an ihrer Liebe die Volkskraft der Nationen zu Grunde geht.

Nun, das läßt sich hören. Aber verzeihen Sie: es wird doch wohl, will's Gott, alles das auch wirklich wahr sein, Herr Schwarze? Laßt doch sehn.

Seither ist nachgewiesen, daß die haarsträubende Rückenmarksdarre nur noch dazu tauglich ist, kleine Kinder in's Bett zu jagen, große aber aufzuhetzen zur Mißhandlung und zur Verhöhnung von Mitmenschen. Herr Schwarze aber sagt – Sie gestatten mir wohl, nach Ihrem Auftreten in München Sie anzureden als den menschgewordenen Verfolgungsgeist –:

»Thut nichts; der Urning wird bestraft!«

Und ferner, daß die Volkskraft der Nationen an ganz andren Ursachen zu Grunde geht, daß urnische Liebesübung sehr unschuldig daran ist, daß diese vielmehr auch bei kräftigen und in der Fülle der Gesundheit stehenden Nationen in voller Blüthe steht und gestanden hat, z. B. bei den kriegerischen alten Kelten, bei den heutigen Tscherkessen des Kaukasus, den Beduinen der arabischen Wüste, den Serben, Bosniaken, Montenegrinern und Albanesen. (Vgl. Glad. fur. S. 20–22.) Herr Schwarze sagt;

»Thut nichts; der Urning wird bestraft!«

Aber es handelt sich ja gar nicht um ein Vergreifen an jungen Männern, sondern um eine Gunsterweisung, die ein erwachsener einem erwachsenen freiwillig gewährt. Herr Schwarze sagt:

»Thut nichts; der Urning wird bestraft.«

Die Keuschheit der Jungfrau zu schützen, überläßt der Staat lediglich der Jungfrau selbst. Der erwachsene junge Mann aber, dem man ja sogar den Schutz des Vaterlandes anvertraut, ist doch nicht schutzbedürftiger, als die schwache Jungfrau. Herr Schwarze sagt:

»Thut nichts; der Urning mag sich erschießen.

Urnische Liebesübung fällt aber keineswegs stets unter den Gesichtspunct der »Unzucht«. Auch sie kann ebensowohl einfache Erfüllung des geschlechtlichen Naturbedürfnisses sein, auch medicinisches Heilmittel. Ja, sie kann sogar das Seitenstück des rechtmäßigen Liebesacts der Ehe sein. Herr Schwarze aber sagt:

»Thut nichts; der Urning mag sich erhängen.«

Aber es ist nachgewiesen, daß noch nie, solange die Welt steht, ein Urning, indem er einen jungen Mann liebte, sich wider die Natur aufgelehnt hat, daß er dadurch vielmehr nur demjenigen Naturgesetz folgt, das für ihn maßgebend ist: ganz so, wie Herr Schwarze, Herr Mende und Herr Mandelblüh demjenigen folgen werden, das für sie das maßgebende ist. Herr Schwarze sagt:

»Thut nichts; der Urning wird bestraft.«

Und ferner, daß der Urning gar nicht anders kann, als nur an blühenden männlichen Individuen die Wonne der geschlechtlichen Liebe empfinden, daß des Jünglings Leib ihm das prangendste Werk der ganzen Schöpfung ist, daß er diese Liebesrichtung sich nicht gegeben hat und sich nicht nehmen kann, daß sie ihm von höherer Hand unausrottbar eingepflanzt ist. Es ist demnach kein Grund aufzufinden, seine Liebesrichtung »schändlich« zu nennen.

Herr Schwarze aber bleibt taub und sagt:

»Thut alles nichts; der Urning ist infam! Lassen Sie mich in Ruh und der § wird wiederhergestellt. Punctum!«

Ich aber sage: Herr Schwarze! Der § wird nicht wiederhergestellt: so wahr es eine höhere Gerechtigkeit giebt, so wahr die Menschheit fortschreitet ohn Unterlaß zu reinerer Erkenntniß der räthselhaften Werke der Natur und abstreift die morsch gewordne Fessel tausendjährigen Irrthums, so wahr ungerechter Haß dahinschwinden muß vor dem heiligen Walten, das siegreich endlich in jeder Menschenbrust sich regt!

XII. Formulirte Anträge.

a) Demnach beantrage ich: den § einfach zu streichen. Eventuell beantrage ich wenigstens den Zusatz:

»Unter vorstehenden § fällt nicht, wer geschlechtliche Handlungen begeht, versucht oder duldet, welche der Richtung des Geschlechtstriebes gemäß sind, die entweder ihm selbst oder dem andren Theile angeboren ist.«

b) Im Einführungsgesetz würde auszusprechen sein:

»Alle bisher ausgesprochenen Verurtheilungen wegen naturwidriger Unzucht zwischen Personen männlichen Geschlechts nebst ihren Rechtsfolgen, als Verlust der Ehrenrechte, der Fähigkeit Aemter zu bekleiden, des Adels etc., sind kraft dieses Gesetzes vernichtet. Auch alle sonstigen Folgen, welche in den Gesetzen an Verurtheilungen oder erlittene Strafen geknüpft sind (z. B. im Freizügigkeitsgesetz, in Wahlgesetzen), sind bei den erwähnten Verurtheilungen kraft dieses Gesetzes aufgehoben. Die wegen jenes Rechts in Strafhaft oder Untersuchungshaft befindlichen sind sofort in Freiheit zu setzen, Untersuchungen sofort einzustellen.«

Eventuell:

»Dem Zusatz zu § . . wird rückwirkende Kraft beigelegt. Alle bisher ........ des Adels etc., sind demnach auf Antrag der verurtheilten, selbst noch nach erfolgter Strafverbüßung, vom erkennenden Gericht zu vernichten, sobald sie mit seinem Inhalt in Widerspruch stehn. Die Stellung des Antrags ist an eine Frist nicht gebunden. Nach ausgesprochener Vernichtung cessiren auch alle sonstigen ............ in Wahlgesetzen).«

c) Für die Strafbestimmung über Aergernißerregung beantrage ich folgende Fassung, welche urnische und nichturnische Acte zusammenfaßt:

»Wer durch eine öffentlich begangene geschlechtliche Handlung Aergerniß erregt, verwirkt, wenn es vorsätzlichgeschah, Gefängniß, wenn fahrlässig, Geldstrafe. Dienstthuenden Sicherheitsbeamten und sonstigen öffentlich angestellten Denuncianten, ferner Auflauerern und Kindern unter 8 Jahren gegenüber wird Aergerniß nicht erregt.«

Gründe:

1) Durch eine präcise Fassung muß die Strafbarkeit des bloßen Gerüchts ausgeschlossen sein. Die Handlung muß dadurch Aergerniß erregen, daß sie öffentlich begangen und von unbetheiligten direct erblickt ward, nicht dadurch, daß sie nachträglich zum Stadtgeklatsch wird, etwa in Folge der Schwatzhaftigkeit eines Mitwissers. Nur so wird Rechts-Sicherheit gewährt. Die Geschwätzigkeit eines dritten hast du nicht in deiner Gewalt. Für dieselbe kannst du daher gerechterweise auch nicht büßen.

2) Man wird, was bisher völlig außer Acht blieb, streng scheiden müssen zwischen beabsichtigter Aergernißerregung und derjenigen, welche wider Willen, absichtslos, aus bloßer Unachtsamkeit geschieht. Letztere wird man sicherlich nicht entehrend strafen dürfen: mithin nur mit Geldbuße. Und dies umsomehr, als es thatsächlich oft recht schwer zu entscheiden ist: α) ist die Handlung wirklich öffentlich begangen?

β) ist die Erregung von Aergerniß durch sie den handelnden wirklich als Verschulden zuzurechnen (als Vorsatz oder als Fahrlässigkeit)? oder war diese Erregung nur die Folge einer von ihnen unabhängigen Zufälligkeit?

Von 2 so dünnen Fäden darf es doch nicht wohl abhangen, ob jemand der Schmach des Gefängnisses verfallen sei, der um keinen Preis das öffentliche Schamgefühl verletzen wollte.

(Näher ausgeführt und begründet ist vorstehendes in Gladius furens Anhang III.)

Nach der milden Gesetzgebung Hannovers ward in nichturnischen Fällen die Aergernißerregung entweder mit Gefängniß oder mit Geld geahndet, und zwar nur im Polizeistrafverfahren. Thatsächlich ward fast nur auf Geld erkannt. Ja, nach der Praxis ward sogar in urnischen Fällen geringfügiger Natur nur auf solche Geldstrafe erkannt. Vgl. Formatrix Einl. S. XI, m.

3) Durch Satz 2 werden einige aufgetauchte Streitfragen nach den Grundsätzen des Rechtsstaats erledigt.

XIII. Vox male ominata.

Meine Herren vom norddeutschen Reichstag! machen Sie gut, was Ihre Vorgänger in der Gesetzgebung verschuldet. Meine Herren von beiden Häusern des österreichischen Reichsraths! sühnen Sie das Unrecht Ihres Ausschusses. Suchen Sie Ihren Ruhm nicht im Zerstören des Lebensglückes berechtigter Mitmenschen. Weigern Sie sich, dem, was Natur ist, den fälschenden Stempel des Verbrechens aufzudrücken. Erklären Sie laut:

»Wir können es nicht. Dies ist ein Gesetz der Leidenschaft zur Verfolgung der Natur, zur Verhöhnung des Rechtsstaats, zur Verewigung der Gaunerei und zur Permanenterklärung von Selbstmorden.«

Geben Sie der Natur die Freiheit zurück! Verwerfen Sie den § 173 des norddeutschen, den § 273 des österreichischen Entwurfs.

Ihrer Entscheidung sehe ich mit Spannung entgegen, ohne Unruhe. Denn des Sieges meiner Idee bin ich gewiß. Es ist möglich, daß es ein unglücklicher Gedanke war, von Ihnen die Befreiung der geknebelten Natur zu begehren. Es ist möglich, daß die Geschichte von Ihnen in ihre Tafeln eingraben wird:

LIBERIAS AB HIS IMPROSPERE POSTULATA EST.

Das wäre ein ominöses Wort; für Sie, nicht für mich. Der Anstoß ist gegeben. Der Stein ist im Rollen. Aufhalten werden Sie ihn nicht mehr. Wenn Sie es gutheißen, daß die Urningsnatur auf's neue rechtlos eingezwängt werde in die grausame Marterung der Criminaluntersuchung, so werden Sie damit nichts einärndten, als den Ruhm des bairischen Gesetzgebers von 1751. Dieser befand sich in Ihrer Lage. Er sah sich einer aufgetauchten neuen Idee gegenüber. »Einer Idee!« sagte er lächelnd. Hie und da wagte man damals zu behaupten: »Zauberei sei nur eingebildetes Verbrechen.« Noch aber war ja erst 2 Jahr zuvor, am 21. Jan. 1749, zu Würzburg, auf Grund regelrechter Criminaluntersuchung, die Nonne Renata Sänger wegen Zauberei »von Rechtswegen« enthauptet worden. [Zu Schubin in der Provinz Posen, auf Grund regelrechter Criminaluntersuchung, muß heute Graf Carl Czarnecki »von Rechtswegen« hinter dem Eisengitter schmachten auf 4 Jahr! für Aeußerungen feiner Urningsnatur ohne Jugendverführung, ohne Gewaltthat, ohne Aergernißerregung: und der preußische Justizminister hat mir unter dem 4. Dec. 1869 die für ihn erbetene Begnadigung verweigert. Ebenso zu Suben Superintendent Forstner!] »Eine Idee! Mit einer Idee macht man kurzen Proceß.« So enthielt denn, der begonnenen Agitation Trotz bietend, der bairische codex Maximilianeus von 1751 einen wohlformulirten erneuerten Paragraphen gegen das Verbrechen der Zauberei. In welche Lüfte ist dieser verweht? An diesem bairischen Gesetzgeber haftet der Ruhm, ein Gesetz auch da noch erneut zu haben, als es bereits von der Idee gebrandmarkt war. Das vorige Jahrhundert brachte 2 Ideen zur Reife und zum Siege: Abschaffung der Folter und Ausstoßung der Zauberei aus der Reihe der Verbrechen. Zwei fernere wird das gegenwärtige zur Reife und unaufhaltsam zum Siege führen: Abschaffung der Todesstrafe und Befreiung der Urningsnatur vom Strafgesetz. So will's der Geist der Menschheit, der nach Wahrheit ringt.

Würzburg, 24 März 1870.

Karl Heinrich Ulrichs.


 << zurück weiter >>