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Pucki macht Geschäfte

»Der neue Kehlkopfspiegel ist sehr teuer, Pucki.«

»Wenn du ihn haben mußt, müssen wir ihn kaufen.«

»Wir müssen eben von dem zurückgelegten Autogeld nehmen.«

»Hm –, ich denke, es wird uns schon einmal ein Auto vom Himmel fallen. Ich habe so allerlei gute Gedanken und kenne die Wege, die zum Besitz eines Wagens führen.«

»Daß du eine tüchtige Hausfrau bist, weiß ich. Nun wollen wir einmal sehen, ob du in finanziellen Dingen ebenso tüchtig bist, kleine Pucki. – Was sind das für Wege?«

»Claus, laß das mein Geheimnis sein.«

»Wenn wir uns das Auto zu Weihnachten schenken wollen, müssen wir uns zunächst klar sein, was wir eigentlich wollen. Vor vier Wochen sind wir einmal nach der Provinzhauptstadt gefahren, um uns die verschiedensten Wagen anzusehen.«

Pucki lief davon und brachte, als sie wieder das Zimmer betrat, unter jedem Arm ein ansehnliches Paket. »Autoprospekte«, rief sie strahlend. »Ich habe die verschiedensten Wagentypen im Kopf. Es gilt nur noch, den letzten Entschluß zu fassen.«

»Und der dürfte am kommenden Sonntag gefaßt werden, Pucki.«

»Ja – unsere Eltern haben uns eingeladen, wir sollen mit ihnen am Sonntag zur Auto-Ausstellung fahren. Am Sonntag wird gekauft! Bis dahin wissen wir, was wir haben wollen.«

»Das wissen wir eigentlich schon heute, Pucki, aber – –«

»Uns fehlt noch einiges Geld. Bis zum Sonntag ist das auch geschafft.«

»Na, na, Pucki!«

»Meine Wege führen zu Geld!«

»Hu – das hast du wunderschön gesagt. Und wenn mir deine Wege gefallen, will ich sie in Zukunft auch wandeln. – Pucki, willst du etwa den Großpapa wegen des Honorars mahnen? – Du – denke an das Pulver!«

»Und an deinen Verweis, lieber Claus. O nein, ich will ganz anders zu Geld kommen! Damit du aber nicht wieder überrascht wirst, sollst du mit mir den Weg wandeln, der zum Besitz führt. Ich brauche ohnehin deine Erlaubnis dazu.«

Claus lehnte sich in den Sessel zurück. »Marschieren wir also den Weg!«

»Hast du dich nicht gewundert, lieber Mann, daß ich bei meinem letzten Besuch in Birkenhain mein Fahrrad mitnahm und – die Puppenküche?«

»Der Mann, der eine Pucki zur Frau hat, muß sich das Wundern abgewöhnen.«

»Claus – legst du noch großen Wert auf das Kasperletheater, mit dem du in der Jugend gespielt hast? Der Vater gab es uns mit. Nun steht es wohlverwahrt auf dem Boden. Kann ich das Theater haben?«

»Freilich, was mein ist, ist auch dein.«

»Herrlich! Also, bester Claus, ich werde mein Fahrrad, die Puppenküche und das Kasperletheater verkaufen. Jetzt, dicht vor Weihnachten, werden wir die Sachen schnell los werden und erzielen ein fabelhaftes Geld dafür, das wir dann in die Autokasse legen.«

»Sehr schön gedacht! Ich glaube aber nicht, daß der Ertrag groß sein wird.«

Pucki setzte ein pfiffiges Gesicht aus. »Du wirst ganz neue Talente an deiner Frau entdecken. Die Sachen werden für das Meistgebot verkauft. Ich habe ein gutes Mundwerk und erziele hohe Preise.«

»Einverstanden!«

»Ich werde in der Rahnsburger Zeitung inserieren. Außerdem mußt du es allen Bekannten sagen. Wer das meiste bietet, bekommt das Fahrrad, die Puppenküche und das Theater.«

Von nun an erzählte Pucki jedem von dem prächtigen Fahrrad, von dem herrlichen Theater und der schönen Puppenküche. Jeder, der in die Sprechstunde kam, wurde darauf aufmerksam gemacht. Claus hatte nicht erlaubt, daß das Kasperletheater im Wartezimmer ausgestellt würde, wie es Pucki am liebsten gesehen hätte. Aber im Wohnzimmer war es aufgestellt, daneben die blitzblank geputzte Küche. Im Hausflur stand das Fahrrad.

Selbstverständlich hatte Pucki nicht versäumt, den Schwestern Waltraut und Agnes zu erzählen, was sie bezwecke.

»Wir brauchen Geld für unser Auto«, sagte sie, »nun muß ich jede Gelegenheit wahrnehmen, um die Autokasse zu füllen.«

»Ich könnte dir auch etwas zu verdienen geben«, flüsterte Agnes der Schwester zu.

»Wird gemacht, Agnes! Für unser Auto tue ich alles!«

»Ich bringe dir morgen die angefangenen Socken mit, die ich dem Vater zu Weihnachten schenken soll. Stricken ist etwas Fürchterliches! Ich werde nicht fertig damit, und du kannst dir einige Pfennige verdienen.«

»Schämst du dich nicht«, brauste Pucki auf, »für solche dummen Geschäfte bin ich nicht zu haben. Den guten Vater willst du betrügen und in Rahnsburg herumbummeln, anstatt zu stricken! – Komm mir nicht noch einmal mit solchen Geschäften.«

Agnes ging betreten ab. Eine halbe Stunde später kam auch Waltraut mit einem Anliegen. »Pucki, du könntest meiner Klasse einen großen Gefallen tun. Dein Mann kann doch viel in Mathematik. Wir sollen eine Arbeit schreiben, aber wir sind alle sehr schwach. Ich werde dir die Aufgabe bringen. Sag doch, bitte, Claus, daß er uns hilft.«

»Das wird ja immer besser! Ich habe Agnes heute schon gesagt, daß ich eure Faulheit nicht unterstütze. Claus würde dir heimleuchten, wenn er das hörte!«

»Du hättest mir diesen Dienst wirklich leisten können. Luise Schäfer wollte auch dein Fahrrad kaufen.«

»Dann soll sie nur kommen.«

»Wenn du die Mathematikaufgabe nicht für uns machen läßt –«

»Ach was, sage ihr, das Fahrrad sei prächtig. Sie bekommt nirgends so billig ein so schönes Rad.«

»Was soll es kosten?«

»Der Fahrradhändler will mir zwanzig Mark dafür geben. Er macht natürlich ein gutes Geschäft damit. Für dreißig Mark will ich es ihr verkaufen.«

Am Nachmittag kam tatsächlich Luise Schäfer, um das Fahrrad zu besehen.

»Dreißig Mark ist sehr teuer, Frau Doktor, für vierzig Mark bekomme ich schon ein neues. Fünfundzwanzig Mark will ich geben.«

»Nein, ich verkaufe es dafür nicht. Der Händler bietet mir schon zwanzig.«

»Vielleicht überlegen Sie es sich noch. Ich komme morgen noch einmal wieder.«

Am Nachmittag kam die Waschfrau, um den nächsten Waschtag zu verabreden. Frau Nordmann war eine Witwe, die sich mit fünf Kindern tapfer durchs Leben schlug. Pucki bewunderte oft die unermüdlich tätige Frau, die nie klagte, die von früh bis spät tätig war, keine Arbeit scheute und sich mit wenigem begnügte.

»Vielleicht wissen Sie jemanden, Frau Nordmann, der ein Fahrrad kaufen möchte oder ein Kasperletheater. Mir stehen die Sachen zwecklos herum. Jetzt, um die Weihnachtszeit, würde ich die Sachen sicherlich gut los.«

»Ein Fahrrad – –?«

»Sehr gut erhalten, sehr geschont. Es sieht fast wie neu aus.«

»Was soll es kosten?«

»Haben Sie einen Käufer? Der Händler bietet zwanzig Mark. Vielleicht bekomme ich dreißig oder gar fünfunddreißig Mark dafür.«

Pucki sah den Schatten, der über das Gesicht der Frau lief. »Ist das zu teuer?« fragte sie.

»Nein, nein! – Es wird schon jemand kommen, der das bezahlen kann.«

»Wissen Sie jemanden?«

»Nein, nein, Frau Gregor. – Vielleicht finde ich später mal ein ganz billiges Rad.«

»Brauchen Sie ein Fahrrad?«

»Meine Älteste, die Minna, könnte eine Tagesstellung in Kolkow annehmen. Leider ist die Zugverbindung recht schlecht, und zu Fuß kann sie es nicht machen. Sie wissen ja, sie hat es mit dem Herzen.«

»Was könnten Sie denn für das Fahrrad anlegen?«

»Nein, Frau Gregor, ich habe nur zehn Mark liegen. Ich könnte es vielleicht durch Waschen langsam abarbeiten. Wenn Sie jedoch schon einen anderen Käufer haben – –«

Frau Nordmann brach das Gespräch ab, sprach wieder von der Wäsche, und auch Pucki erwähnte das Fahrrad nicht mehr.

Gegen Abend kam der Inhaber eines Spielwarengeschäftes von Rahnsburg und bot Pucki für das schöne große Theater zwanzig Mark.

»Dreißig«, sagte die junge Frau.

»Wo denken Sie hin, Frau Doktor. Ich muß auch etwas daran verdienen. Ich arbeite es auf und kann es dann als fast neu verkaufen. – Na, zwanzig Mark? – Gemacht?«

»Ich will es mir überlegen.«

Beim Abendessen fragte Claus, ob sie bereits glänzende Geschäfte gemacht hätte.

»Nun«, erwiderte sie, »siebzig bis achtzig Mark kann ich bestimmt zusteuern.«

»Pucki, du bist ein Finanzgenie!«

»Ja, ja, du kannst auf deine Frau stolz sein, Claus! Ich verstehe Preise zu nehmen.«

Am nächsten Vormittag fand sich eine Schwester des Kinderkrankenhauses aus der Kreisstadt ein. Sie hätte gehört, daß Frau Gregor ein schönes Kasperletheater zu verkaufen hätte. Solch ein Theater wollte man längst anschaffen, um den kranken Kindern damit Freude zu machen.

»Ihnen gebe ich es ganz besonders gern«, sagte Pucki erfreut. »Für dreißig bis fünfunddreißig Mark können Sie es haben.«

Pucki sah das bestürzte Gesicht der Schwester und wurde ein wenig verlegen. »Zu teuer?« fragte sie schüchtern.

»Freilich, viel zu teuer, das können wir nicht bezahlen.«

»Nun, die Leitung eines Krankenhauses wird doch – –«

»Es ist nicht die Leitung, von der ich geschickt werde. Einige von uns Schwestern haben sich zusammengetan, weil wir gern die Kinder aufheitern wollen. Schwester Martha und Schwester Paula haben von ihrem Gehalt noch Angehörige zu unterstützen und können daher nur ein Geringes beitragen. Wir hofften so ein Theater für zehn Mark bekommen zu können.«

»Der hiesige Kaufmann« – Pucki stotterte – »bietet – Ich dachte mir – ich will es mir überlegen.«

»Sie würden ein gutes Werk tun, Frau Doktor. Viele helle Kinderaugen würde es geben. Kann ich das Theater einmal sehen?«

Pucki führte die Schwester ins Wohnzimmer.

»Wie reizend! Damit könnten wir ganze Vorstellungen geben. – Nun, Frau Doktor, wie ist es? Sie als die Frau eines Arztes werden verstehen, daß uns viel daran liegt, unseren Kindern, die so viele Schmerzen auszuhalten haben, Freude zu schaffen.«

»Zehn Mark?«

»Ja, mehr können wir nicht aufbringen. – Ich will noch einmal mit den Schwestern sprechen. Vielleicht erklären sie sich bereit, etwas mehr zusammenzubringen.«

Puckis Gesicht färbte sich dunkelrot. Die Worte der Schwester stachen ihr geradezu ins Herz. Sie, die Frau eines Arztes, der eine gute Praxis hatte, wollte Krankenschwestern, die in schwerer Arbeit ihr Brot verdienten, zu neuen Opfern veranlassen. Sie schämte sich plötzlich so sehr, daß sie die Augen nicht mehr aufschlagen konnte.

»Ich werde mit den Schwestern reden.«

»Nein«, preßte Pucki mühsam hervor, »ich will nicht. – Schenken Sie das Theater den kranken Kindern zu Weihnachten. Ich gebe es umsonst an das Krankenhaus. Bitte, nehmen Sie es sogleich mit, oder – ich lasse es hinschicken. Freilich, ich schicke es! Es findet sich schon eine Gelegenheit. Sie haben gar nichts dafür zu bezahlen. In zwei bis drei Tagen ist es in Ihrem Besitz.«

Nicht einmal den Dank wollte Pucki entgegennehmen, denn sie schämte sich noch immer, daß sie mit kranken Kindern ein Geschäft machen wollte. Wie jämmerlich stand sie vor der Schwester da, die gern und freudig einen Teil ihres Verdienstes hergab, um Kranken eine Freude zu bereiten.

»Wir laden Sie zur ersten Vorstellung ein, liebe Frau Doktor.«

Die Schwester war gegangen. Pucki empfand eine innere Erleichterung. Wie würden sich die Kinder freuen! Das Puppentheater machte ihnen ganz gewiß viel Spaß. Sie sah in Gedanken die vielen leuchtenden Augen und hörte das Lachen und Jubeln der Kinderstimmen, wenn Kasperle gar zu übermütig war. Sie dachte zurück an die eigene Kinderzeit. Die Kasperle-Vorstellungen in Rahnsburg waren ihr bis heute noch unvergessen geblieben. – Wie konnte sie nur einen einzigen Augenblick den Gedanken fassen, das Kasperle-Theater einem Krankenhause zu verkaufen!

»Pucki, pfui, schäme dich! Du bist ein recht eigennütziger Mensch!«

Auf einen Zettel schrieb sie das Wort »Verkauft«. Mit einem Reißnagel wurde er an das Theater befestigt.

Während sie in der Küche stand, fiel ihr plötzlich wieder das Auto ein. Claus würde sie fragen, ob schon etwas verkauft sei. Wenn er das Wohnzimmer betrat, sah er den Zettel. Sie hatte sich ihm gegenüber als Finanzgenie bezeichnet und gesagt, er könne stolz auf ihre Verkaufstalente sein.

»Ich muß das Fahrrad zu einem noch höheren Preis verkaufen. Sechzig bis siebzig Mark wollte ich zusteuern. – Sechzig Mark zahlt mir keiner für das Fahrrad, und die Puppenküche bringt höchstens fünf Mark. Ob mich Claus auslacht?«

Als Claus mittags nach Hause kam, sah er sofort den Zettel.

»Nun, ist das Geschäft sehr gut gewesen?«

»Ich warte noch auf den Verkauf des Rades«, wich Pucki aus.

Er schaute sie mit forschendem Blick an. »Wieviel Scheine sind es geworden, Pucki? Ich bin entsetzlich neugierig. Wenn du wirklich ein so vortrefflicher Verkäufer bist, wie es scheint, wird es vielleicht eine Limousine.«

»Es ist wohl besser, ich nenne dir erst die Summe für alle drei Sachen. Denn wegen des Rades stehe ich noch in Verhandlungen. Es sind mehrere Bewerber gekommen.«

»Herrlich! – Ich hätte nicht gedacht, daß man solche Summe daraus erzielen kann. Wenn wir übermorgen mit den Eltern zur Ausstellung fahren, nehmen wir deinen Erlös in einem besonderen Beutel mit«, scherzte er.

Am Nachmittag kam Luise Schäfer noch einmal. »Verkaufen Sie mir das Rad ganz schnell, Frau Doktor. Heute hat Marion Werner gesagt, sie wollte sich das Rad auch einmal ansehen, und Marion hat mehr Geld als ich. Ihr kommt es auf zehn Mark nicht an.«

»So werde ich Marions Besuch erst abwarten.«

»Sie verstehen das Geschäft ausgezeichnet. Sie hätten mir das Rad wirklich verkaufen können, denn fünfundzwanzig Mark ist sehr viel Geld.«

»Geschäft ist Geschäft, liebe Luise. Ich kann es nicht billiger verkaufen, mein Mann will es nicht.«

Am Nachmittag stellte sich die Waschfrau ein, um in der Waschküche alles für den morgigen Waschtag vorzubereiten. Wie blaß und elend sie aussah. Wie sie das Wasser schleppte! Wie ihr die Tropfen über das Gesicht rannen! Und plötzlich bemerkte Pucki, daß sich Frau Nordmann Tränen aus den Augen wischte.

»Was ist denn los, liebe Frau Nordmann? Warum weinen Sie?«

»Ich war heute vormittag auf Arbeit. Trude war unvorsichtig mit dem Feuer. Sie hat sich nicht nur die Hand, sondern auch das Wollkleid verbrannt. In ihrem Schreck warf sie noch eine Decke auf die Flamme, um sie zu ersticken. Ich muß ja Gott danken, daß es nicht schlimmer ausging. Ach, es ist zu traurig! Ein Unglück kommt nach dem anderen.«

»War mein Mann schon bei Ihnen?«

»Nein, Frau Doktor, wir machen mit geriebenen Kartoffeln Umschläge. Minna versteht das.«

»Ich sage es meinem Manne, er wird noch heute kommen. Oder soll ich hingehen? Ich verstehe mich auch darauf.«

Obwohl Frau Nordmann abwehrte, beschloß Pucki doch, hinzugehen und nach dem Rechten zu sehen. Sie war bisher nur einmal ganz flüchtig in der Wohnung der Wäscherin gewesen. Heute wollte sie sich genauer darin umsehen.

Was sie sah, schnitt ihr ins Herz. Alles war sauber, aber sehr dürftig. Die Armut schaute aus allen Ecken heraus. Pucki sprach lange mit Minna und fragte sie, wie es mit der Stelle in Kolkow sei.

»Wenn ich ein Paar derbe Schuhe bekomme, kann ich die Stelle annehmen. Ich hoffe, daß mir zu Weihnachten welche geschenkt werden.«

»Sie können radfahren?«

»Ja, aber ich habe kein Rad.«

Dann beschäftigte sich Pucki mit den anderen Kindern. Sie spielten mit zwei alten Puppen, während Trudel im Bett lag und stöhnte. Pucki gab Anweisungen für die Behandlung der verbrannten Hand. Dann machte sie sich langsam wieder auf den Heimweg. Ein Auto fuhr an ihr vorüber. Da huschten ihre Gedanken hin zu der Limousine, die Claus am Sonntag kaufen wollte, weil seine geschäftstüchtige Frau siebzig Mark zusteuern wollte. Sie sah Minna, die auf Schuhe wartete, und sah die Wäscherin, über deren abgehärmte Wangen die Tränen liefen.

Ganz leise schlich Pucki in die Wohnung, blieb auf der Diele stehen und strich fast zärtlich über das Fahrrad. »Das Kasperle-Theater wird vielen Kindern Freude machen. Liebes Rad – bist du nicht auch dazu geschaffen, um in ein Haus Glück zu bringen?« Dann stand sie vor der Puppenküche und sah im Geist zwei Kinder auf der Erde sitzen und damit spielen. Sie schloß die Augen. Wieder war es ihr, als müsse sie sich ein wenig schämen. Sie hatte es so gut, sie konnte sich Freuden schaffen; ihr Leben floß in Sonne und Glück dahin. War es möglich, daß sie die vergaß, die kümmerlich neben ihr lebten? War es nicht ihre Pflicht, wenigstens den Menschen, mit denen sie in engere Berührung kam, nach Kräften zu helfen? Monatelang hatte das Fahrrad unbenutzt auf dem Boden im Elternhause gestanden. Und jetzt, da sie sich ein neues Vergnügen schaffen wollte, denn es sollte ein schönes Auto sein, wollte sie dieses Rad verkaufen, statt anderen damit zu helfen.

»Verkauft!« so stand an dem Kasperle-Theater. Claus wollte wissen, wieviel sie dafür bekommen hätte. Ob Claus ihre Handlungsweise verstand, wenn sie ihm sagte, daß sie nichts, gar nichts an Geldeswert erzielt hatte, daß sie aber ein paar Menschen glücklich gemacht hätte? O ja, Claus würde das verstehen! Er hatte ihr doch schon als Kind ins Album geschrieben: »Beglücke du, so wirst du glücklich sein.«

Noch saß der Hut auf Puckis Locken, noch war der Mantel nicht ausgezogen. Sie rief in die Küche: »Emilie, ich bin sogleich wieder zurück.« Die Puppenküche wurde in einen großen Bogen Papier eingeschlagen. Die junge Frau nahm das Rad, schwang sich darauf und fuhr den Weg zurück, den sie eben gegangen war.

Auch bei Nordmanns wollte sie keinen Dank. Die Kleinen, vor die sie die Puppenküche hinstellte, waren viel zu überrascht, um Dankesworte zu sagen. Und Minna? – Sie wollte es nicht glauben, daß Pucki ihr das Rad schenken wollte.

Dann stand die junge Frau wieder in ihrer Wohnung. Sie lachte und lachte vor Glück, denn in ihrem Herzen war großer Jubel. Seit langem war sie nicht so froh gewesen wie jetzt. Schließlich lief sie hinunter zur Waschfrau, um ihr mitzuteilen, daß sie das Fahrrad Minna geschenkt hätte, um ihr damit eine Weihnachtsfreude zu bereiten, und daß sie sich damit selbst ein schönes Weihnachtsgeschenk gemacht hätte.

Abends stellte sich Claus ein. Er merkte sofort, daß das Rad im Flur fehlte. Er ging ins Wohnzimmer; auch die Puppenküche war fort.

»Alles ausverkauft! – Großer Ausverkauf! – Pucki, jetzt laß mich wissen, wie groß deine Künste im Verkaufen sind. – Warte noch einen Augenblick, ich hole den Beutel.«

Mit einer schwarzen Ledertasche kam er zurück, die er vor Pucki auseinanderspreizte.

Die junge Frau schaute stumm zu Boden. Dann hob sie die Blauaugen zu dem Gatten auf. In ihren Augen stand ein heller Schein.

»Sechzig Mark? – Siebzig Mark? – – Noch nicht genug? – Pucki, vielleicht sogar achtzig?«

»Claus, mein lieber, guter Mann, vielleicht kaufen wir doch nur ein Kleinauto mit einem Notsitz. Es hängen so schöne Kindheitserinnerungen daran.«

Ein Weilchen betrachtete er sein junges Weib schweigend. Er kannte seine Pucki viel zu gut, um nicht sofort zu wissen, daß das Geschäft nicht glänzend ausgefallen war. Aber er neckte sie so gern.

»Das Auto kommt später. Pucki, jetzt will ich erst wissen, ob ich wirklich stolz auf meine liebe Frau sein darf. – Sprich, was hast du erzielt?«

»Claus, du hast mir einst einen Vers ins Stammbuch geschrieben. Er lautete: ›Beglücke du, dann wirst du glücklich sein.‹«

Er legte den Arm um sie. »Und nun bist du sehr, sehr glücklich, Pucki? Hast dir heute ein besonderes Glück geschaffen? – Pucki, ich habe Schwester Laura vom Kreiskrankenhaus gesprochen.«

»Na«, sagte Pucki schnippisch, »dann weißt du ja schon, was es für ein Geschäft war.«

»Und wer bekam das Fahrrad geschenkt?«

Sie zwinkerte mit den Augen. »Geschenkt?« fragte sie unsicher zurück.

»Nein, nein, teuer bezahlt! – Aber vielleicht hast du die Puppenküche mit dazugegeben. Frau Nordmann hat mir vorhin so etwas erzählt.«

Pucki drückte das Gesicht an die Schulter des Gatten. »Bist du mir böse, Claus?«

»Pucki, liebe, prächtige Frau! Jetzt erst weiß ich, daß ich wirklich stolz auf dich sein kann. Die Verkäufe, die du gestern und heute machtest, sind deiner wert!«

»Und das Auto?«

»Warte alles ruhig ab. Am Sonntag werden wir wissen, ob und was wir kaufen.«


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