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Noch einmal Filetbraten

Mit erhobenem Finger stand Pucki nach beendetem Frühstück vor ihrem Mann. »Ich setze eben meine Ehre darein, dir zu beweisen, daß ich eine Kochkünstlerin bin. Gestern las ich in meiner Hausfrauenzeitung, daß es außerordentlich schwierig sei, ein Filet richtig zu braten. Kaum die Hälfte aller Hausfrauen verstünde es, weil man hier nicht nach Eingelerntem, sondern nach dem Gefühl handeln muß. Dieses Kochgefühl, glaube ich, besitze ich. Daß das Filet vor einigen Tagen mißriet, daran war ich ja nicht schuld.«

»Gewiß, Pucki, das hast du mir schon zehnmal gesagt.«

»Trotzdem habe ich das brennende Verlangen, meine Ehre als gutkochende Hausfrau wiederherzustellen. – Also, Claus, heute um ein Uhr gibt es wieder Filet, ich flehe dich an, sei pünktlich! Es darf heute nichts dazwischenkommen. Ich habe eine Ahnung, daß es heute ein äußerst gemütliches Mittagsmahl sein wird.«

»Nun, Pucki, ich bin in den letzten vier Tagen immer pünktlich zum Essen heimgekommen, und ich hoffe, daß ich heute dein prächtig gelungenes Filet mit Behagen verspeisen kann. Aber – auf Überraschungen – –«

»Sei still, sei still, Claus, rufe das Unglück nicht herbei!«

Claus hatte sich erhoben, um hinüber ins Sprechzimmer zu gehen, denn Punkt neun Uhr begann die Arbeit. Im Wartezimmer saß bereits eine Frau mit ihrem Kinde.

Da kam der Briefträger. Claus griff nach den Briefen, las sie durch, und dann lachte er leise auf.

»Der Brief ist zwar an mich gerichtet, doch du sollst ihn öffnen und lesen. Ich muß hinüber.«

Pucki hielt den Gatten am Rockärmel fest. »Von wem?«

Claus wandte das Schreiben um. »Vom Großpapa.«

»Himmel!«

»Ich muß hinüber, man wartet auf mich.«

»Claus, ich habe das Empfinden, als käme das Unheil in unser Haus. – Der Großpapa zerstört unser Glück.«

»Pucki, wie wäre das möglich?«

»Ja, Claus, du hast recht. – Ich hoffte, da er sich solange nicht gemeldet hat, daß er den Plan, nach Rahnsburg zu kommen, aufgegeben hätte. Vielleicht schreibt er das.«

Claus war aus dem Zimmer geeilt. Pucki wog den Brief in der Hand, ehe sie ihn öffnete. Dann las sie ihn. Plötzlich sprang sie auf, als sei der Blitz vor ihr niedergefahren.

»Donnerstag – – heute? – – Ist der Großpapa übergeschnappt?«

Ihr erster Gedanke war, hinüber zu Claus zu eilen, um ihm mitzuteilen, daß Herr Wallner und seine Pflegerin mit dem Nachmittagszuge, der gegen fünf Uhr in Rahnsburg eintraf, ankommen wollten, um von Doktor Gregor nach einer Försterei, in der man behaglich wohnen könne, gefahren zu werden.

»Es würde meiner Gesundheit schaden, wenn das nicht klappte. Sie, als Arzt, müssen wissen, daß ich Aufregungen nicht vertrage. Ich fordere daher als Ihr Patient, daß ein Wagen am Bahnhof steht und daß das Heim behaglich und äußerst ruhig ist«, schrieb er.

Pucki schaute ins Sprechzimmer. Da saßen schon wieder zwei andere Patienten. Sie wußte, daß Claus keine privaten Störungen liebte. Er meinte mit Recht, in der Sprechstunde gehöre er den Patienten. Pucki legte den Brief auf den Tisch und schlug mehrmals mit der Faust darauf.

»Schreibt man so an den Arzt, von dem man behandelt werden will? Aber Claus ist eben viel zu gutherzig. Er entschuldigt alles mit kranken Nerven. Ich werde Claus ein wenig gegen den Großpapa aufhetzen.«

Trotzdem überlegte Pucki, wohin man den Großpapa bringen könnte. Das Forsthaus Birkenhain, ihr Elternhaus, lag zwanzig Minuten von Rahnsburg entfernt. Die Eltern hatten im Obergeschoß zwei Zimmer, die sie schon mehrmals an Sommergäste vermietet hatten, seitdem die älteste Tochter aus dem Hause war. Aber niemals würde sie den Eltern zumuten, diesen unleidlichen Mann aufzunehmen. Dann war noch ein zweites Forsthaus in der Nähe von Rahnsburg, in dem Förster Steigum lebte, Engelbert Steigum, das Engelchen, das sie einst auf der Waggerburg kennengelernt hatte. Nein, zu Steigum konnte sie den gräßlichen Herrn Wallner auch nicht geben. Er würde auch da nur Unruhe stiften und die Nase in Dinge stecken, die ihn nichts angingen.

Aber wohin sonst? Der Großpapa brachte es fertig, Claus sogleich auf dem Bahnhof eine Szene zu machen, wenn er ihm riet, zunächst ins Hotel zu gehen und sich selbst ein Unterkommen zu suchen. War denn niemand in Rahnsburg, der Engelsgeduld besaß?

Nach der Schmanz, dem einsam gelegenen Erbhof, auf den sich Rose verheiratet hatte? Mit ihren drei Kindern, dem Gatten und dessen Eltern führte sie ein gar glückliches Leben. Drei kleine Kinder hatte sie. O nein, das ging nicht! Rose Teck durfte sie solchen Logierbesuch nicht zumuten, auch wenn Herr Wallner sehr gut zahlte.

Den Finger an der Stirn, schritt Pucki im Wohnzimmer auf und ab und überlegte. »Jetzt weiß ich's – jetzt habe ich den Menschen mit der Engelsgeduld gefunden! – Oh, Herr Wallner kommt ins Waldheim zu Fräulein Caspary.«

Dieser Ausweg war ein glücklicher Gedanke. Fräulein Caspary besaß die Engelsgeduld, die notwendig war, um mit diesem Nörgler fertig zu werden. Fräulein Caspary war über zwanzig Jahre lang als Lehrerin an der Rahnsburger Schule tätig gewesen. Pucki hatte bei ihr die ersten Lese- und Schreibversuche gemacht. Fräulein »Casperle« war sie genannt worden. Die damals junge Lehrerin verstand es dennoch, sich in Respekt zu setzen und wurde trotz ihrer Strenge von den Kindern geliebt. Nun hatte sich Fräulein Caspary am Waldesrande, dicht bei Rahnsburg, ein Eigenheim erbauen lassen. Dort lebte sie mit ihrer Schwester und vermietete an erholungsbedürftige Leute. Im Augenblick war niemand dort. Im Waldheim war der Großpapa sehr gut aufgehoben. Sogleich wollte sich Pucki auf den Weg machen, um mit Fräulein Caspary alles zu besprechen. Heute noch hing sie mit herzlicher Liebe an dem älteren Fräulein, und oft genug sprach sie mit ihr von der Zeit, in der Pucki der Lehrerin gar viel zu schaffen gemacht hatte.

»Emilie, ich muß fortgehen, bin aber sehr rasch wieder hier. In der Küche ist nichts zu tun, denn heute gibt es Filet. Das brate ich in der Mittagsstunde selbst.«

Ein Viertelstündchen später saß Pucki bei den beiden ältlichen Fräulein Caspary und erzählte mit sprudelnder Lebhaftigkeit vom Großpapa Wallner und Fräulein Faupe. Sehr oft wurde ihr Bericht durch das Lachen ihrer einstigen Lehrerin unterbrochen.

»Sie sind mit uns Rangen immer gut fertig geworden, Fräulein Caspary. Sie werden auch den Großpapa zähmen. Leicht ist die Arbeit nicht, denn er ist der scheußlichste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen ist. Eine Freude, ihn aufzunehmen, ist es ganz bestimmt nicht. Lesen Sie nur einmal seinen Brief, und Sie werden sofort erkennen, was er für ein Mensch ist.«

»Der Brief ist allerdings ein wenig merkwürdig«, meinte Fräulein Caspary, »trotzdem will ich es wagen. Ich bin dir sogar herzlich dankbar, Pucki, daß du an mich gedacht hast.«

»Sie haben ja auch an meinen Mann gedacht. Als Sie Halsschmerzen hatten, haben Sie ihn gleich gerufen.«

Fräulein Caspary forderte Pucki vergeblich auf, noch ein wenig zu bleiben, aber die junge Frau meinte, sie hätte noch manches vorzubereiten. »Zum Filet, das ich heute braten werde, gibt es gemischtes Gemüse, vorher eine Suppe und nachher Kompott.«

»Das ist ja ein herrliches Essen.«

»Nur ausnahmsweise. So verschwenderisch essen wir sonst nicht, denn mein Mann verdient noch nicht soviel. Außerdem müssen wir furchtbar sparen. Wir wollen uns zu Weihnachten ein Auto kaufen. Aber heute ist es eine Ausnahme, denn heute mache ich vor mir selbst das Examen als Küchenmeisterin.«

Diesmal konnte Pucki das Ende der Sprechstunde kaum erwarten. Als endlich der letzte Patient das Zimmer verließ, eilte sie zu Claus und rief ihm erregt zu, daß der Großpapa heute schon ankäme. »Lies nur mal seinen Brief, da wirst du schon sehen, wie er mit dir umspringt.«

»Pucki«, mahnte Claus.

»Du hältst diesem Manne immer noch die Stange! Was gefällt dir denn an ihm? Du dürftest nie vergessen, was er mir angetan hat. Du müßtest ihm das täglich unter die Nase reiben.«

»Ich sagte dir schon einmal, daß wir mit Herrn Wallner nicht streng ins Gericht gehen dürfen, denn er ist ein schwer leidender Mann.«

»So wirst du es auch dulden, daß er weiter zu mir ungezogen ist? Nur weil er ein Kranker ist?«

»Pucki, ich denke, du willst meine rechte Kameradin sein?«

»Das bin ich auch! Aber auch ein Arzt darf sich nicht ausnutzen lassen. Schreibt man solch einen Brief? – Was bildet sich der Mann ein? Claus, du mußt ihm deine Meinung sagen!«

»Wäre es nicht richtiger, wir überlegten, wohin wir den Großpapa bringen?«

»Das habe ich schon getan. Er ist bereits untergebracht. Er kommt ins Waldheim, zu Fräulein Caspary.«

Claus zog die erregte kleine Frau an sich. »Ich freue mich, daß dein Grimm nur äußerlich ist und daß du für den alten Großpapa sofort etwas Passendes gesucht hast. Das wird er dankbar anerkennen.«

»Trotzdem mußt du ihm gründlich deine Meinung sagen. Das bist du mir schuldig.«

»Ich werde schon mit ihm fertig werden.«

»Nein, Claus, so entwischst du mir nicht! Deine Frau verlangt, daß du ihm zeigst, wer hier der Herr im Hause ist. Wenn Herr Wallner heute kommt – er wird natürlich wieder sehr dreist auftreten –, so – –«

»Werden wir ihn freundlich empfangen.«

»Nach diesem Brief?«

»Ja, Pucki. Wir beide werden sehr freundlich zu dem kranken Herrn sein.«

»Nein, Claus, das werden wir nicht sein!«

»Pucki!«

»Ich habe es ja gewußt, der Großpapa bringt Unfrieden in unser Haus! Da haben wir's! Nein, ich bin nicht freundlich zu ihm – ich denke nicht daran! Und wenn du es verlangst – ich tue es nicht!«

»Wenn du in so schlimmer Laune bist, Pucki«, sagte Doktor Gregor ruhig, »ist es das beste, ich mache rasch meine Besuche auswärts. Wenn ich dann zurückkomme, ist meine kleine Frau wieder sanft und lieb.«

»Um ein Uhr gibt es Filet«, sagte sie barsch. »Sei pünktlich!«

»Nun, Pucki, bekomme ich heute keinen Abschiedskuß?«

»Freilich bekommst du ihn – aber dem Großpapa mußt du deine Meinung sagen.«

Claus ging davon. Pucki lief ins Wohnzimmer und wollte ihm nachwinken. Es fiel ihr plötzlich ein, daß sie heute zum ersten Male nicht nett zu ihrem Claus gewesen war. Aber er wandte sich nicht mehr um. Er schritt rasch die Straße hinunter und sah nicht, daß seinem jungen Weibe die Tränen in die Augen traten, und hörte auch nicht die kläglichen Worte: »Meinetwegen, sei nett zu ihm, ich werde mich auch bemühen, in ihm einen Kranken zu sehen. – So, nun will ich das Mittagessen doppelt sorgsam herrichten. Ich glaube, ich war nicht nett.«

Diese Erkenntnis schmerzte sie tief. So heftig wollte sie nie wieder sein! Claus war immer sehr lieb zu ihr. Was fiel ihr denn ein, ihn derart anzuknurren? Sie machte es genau wie der Großpapa, den sie nicht leiden konnte und dessen Verhalten sie tadelte.

Mit größter Hingabe kochte sie das Essen. Auf den Tisch kamen auch wieder Blumen. Dann schob sie unter den Teller des Gatten eine Karte mit dem selbst verfaßten Vers:

»Laß vergessen sein, was ich getan,
Sieh mich wieder zärtlich an,
Hab' ich dich gekränkt, vergib,
Du weißt es ja – ich hab' dich lieb!«

Das würde ihn versöhnen. Sie brauchte nicht erst bittende Worte zu sagen. Wenn er sich niedersetzte, las er die Karte, dann nahm er seine Pucki in die Arme, und alles war gut. Dieser ersten kleinen Meinungsverschiedenheit sollte nicht so bald eine zweite folgen, das schwur sie sich hoch und heilig.

Nun wartete sie mit klopfendem Herzen darauf, ob Claus auch pünktlich zurückkommen würde. Schon briet das Filet im Ofen. Da hörte sie, daß Claus den Schlüssel ins Schloß steckte und atmete befreit auf.

Alles klappte! – Claus hatte den Kopf zur Küchentür hineingesteckt und Pucki einen freundlichen Gruß zugerufen. Ihre Augen leuchteten auf. Alles war wieder gut. Trotzdem sollte er die Karte lesen; daraus sah er, daß sie ihr Vorgehen bereute.

»Wir können zu Tisch gehen, Claus!«

Da läutete der Fernsprecher. Pucki war eben dabei, das Filet aus dem Bratofen zu nehmen und auf die Schüssel zu legen. Sie hielt den Atem an. – Wirklich, zum zweiten Male geschah das Entsetzliche: Claus wurde abgerufen.

»Filet ist ein Unglücksbraten«, sagte er. »Dieses Mal laß es nicht hart werden. Ich bitte dich, iß ohne mich, ich muß sofort über Land fahren.«

»Claus, es dauert nur zehn Minuten.«

»Ein Menschenleben ist in Gefahr.«

Noch stand Pucki in der Küche und starrte auf die schön angerichtete Schüssel, in deren Mitte der Braten lag, herrlich geraten. Sie hörte die Flurtür zufallen – Claus war fort.

Sie sollte sich den Braten allein schmecken lassen? – Allein schmeckte es überhaupt nicht. Es war zum Verzweifeln! Nie wieder bereitete sie Filet!

Da klingelte es schon wieder an der Flurtür. Pucki ging selbst hinaus, um zu öffnen. Nun war es einerlei, ob der Braten hart wurde.

»So – da wären wir!«

Der Großpapa!

Pucki faßte es im ersten Augenblick kaum. Er wollte doch erst um fünf Uhr nachmittags kommen, jetzt zeigte die Uhr eins.

»Ich stellte gestern fest, daß der Frühzug besser ist. So habe ich diesen Zug genommen. – Guten Tag, Fräulein Sandler. Die Schwester hat noch mit dem Gepäck zu tun. Ich komme zunächst allein. – Ist das ein trauriges Nest, dieses Rahnsburg. – Nun, wollen Sie mich nicht einlassen?«

»Hier wohnt kein Fräulein Sandler – hier wohnt Doktor Gregor mit seiner Frau.«

»Ach ja, ich vergaß! Sie haben sich ein nettes Nest ausgesucht. Zwei Gasthöfe hat der Ort, und nichts bekommt man zu essen. Schweinebraten, Schweinebraten, Koteletts. Schweinebraten esse ich aber nicht. Ich habe mir gedacht, beim Herrn Doktor Gregor bekomme ich vielleicht etwas Gutes. – Na, kleine Frau? – Hm, hier riecht es gut! Was gibt es denn?«

»Ich habe für meinen Mann Filet gebraten.«

»Nun also! – Wo ist der Herr Doktor?«

»Er ist fort, er wurde soeben abgerufen.«

»Nun gut – ich bin froh, daß ich endlich zur Ruhe komme. Die Schwester wird auch bald hier sein. Vielleicht ißt sie aber im Gasthof, ich habe es ihr geraten.«

Herr Wallner hatte inzwischen Hut und Mantel abgelegt und stand nun auf der Diele. Emilie war in der Küche und wartete mit dem Tablett auf den Ruf, auftragen zu dürfen.

Pucki kämpfte mit sich. Da war das herrliche Filet, das Claus bestimmt nicht mehr essen konnte, da er länger als eine Stunde fortblieb.

»Na, junge Frau, verstehen Sie etwas vom Kochen oder hat die Köchin alles gut angerichtet? Ich erinnere mich, daß Sie in Eisenach nicht einmal richtig den Tee aufbrühen konnten.«

»Oh, ich koche jetzt alles selbst.«

»Da freut sich wohl Ihr Mann?«

»Ja –, mein Mann ist augenblicklich nicht daheim. Da Sie im Hotel nichts für Ihren Geschmack finden, so darf ich mir wohl erlauben, Sie heute mittag als meinen Gast einzuladen.«

»Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute von Ihnen höre. Ich habe es auch nicht anders erwartet. Wenn man um ein Uhr ankommt, gibt es Mittag. So wird es in meinem Hause gehalten.«

Pucki dachte an den kleinen Zusammenstoß, den sie heute vormittag mit Claus gehabt hatte. Er verlangte, daß sie freundlich zu Herrn Wallner sein sollte. Er würde es auch für richtig halten, daß sie ihn nun zum Essen dabehielt, zumal er selbst nicht anwesend sein konnte.

Feurige Kohlen würde sie auf sein Haupt sammeln! Gerade heute, da das Essen so gut gelungen war, da sie ein Festessen hergerichtet hatte, sollte der Großpapa mitessen. Zwar kam ihr plötzlich wieder die Erinnerung, daß er ihr in Eisenach jeden Bissen in den Mund zählte, aber das konnte sie während des Essens gut anbringen. Ohne kleine Nadelstiche sollte es auch heute nicht abgehen. Immerhin, daß sie heute das schöne Essen mit dem gräßlichen Großpapa einnehmen sollte, das war ihr auch jetzt noch unfaßlich.

»Bitte, nehmen Sie Platz, das Mädchen trägt gleich auf.«

Pucki stand an der Anrichte und füllte die Suppe auf die Teller. Emilie trug sie zum Tisch hinüber. Der Großpapa betrachtete prüfend das Geschirr, schob die Teller hin und her und entdeckte unter seinem Teller den Zettel.

»Laß vergessen sein, was ich getan,
Sieh mich wieder zärtlich an,
Hab' ich dich gekränkt, vergib,
Du weißt es ja – ich hab' dich lieb!«

Herr Wallner rückte auf dem Stuhl hin und her. Dann schob er die Karte hastig in seine Rocktasche. Pucki setzte sich nieder und nötigte mit übergroßer Höflichkeit zum Zulangen. Herr Wallner war merkwürdig still geworden.

»Fleischbrühe gab es auch in Eisenach – ich erinnere mich noch ganz genau.«

Der Großpapa rührte die Suppe um. Schweigend löffelte er sie aus.

»Findet sie Ihren Beifall?«

»Ja.«

Dann kam das Filet.

»Filet braten ist eine schwere Kunst. Ich koche aber sehr gern. – In Eisenach ließ man mich wenig in die Küche. – Nun, dort war ich ja auch für die drei Kinder da. – Was machen denn die Kinder? Sind sie noch immer so unartig wie früher?«

»Ja, leider.«

»Steht noch immer der große Korb mit zerrissener Wäsche im Kinderzimmer, Herr Wallner? – Wieviel Nachfolgerinnen habe ich denn schon gehabt?«

»Weiß ich nicht.«

»Das kann ich mir denken. Es wird bestimmt eine stattliche Zahl sein. – Schmeckt Ihnen der Braten?«

»Ja.«

Warum war der alte Herr plötzlich so einsilbig geworden? Er fing doch sonst an, an allem herumzunörgeln.

»Wollen Sie nicht zulangen?«

Der Großpapa wurde immer wortkarger. Da hielt es Pucki für richtig, ihre Sticheleien einzustellen. So nahmen sie den Nachtisch schweigend ein.

Endlich war das Essen beendet.

»Ich habe Sie im Waldheim bei zwei sehr netten Damen eingemietet, Herr Wallner. Wenn es Ihnen recht ist, machen wir uns auf den Weg.«

Herr Wallner rührte sich nicht.

»Auf meinen Mann können Sie heute nicht warten. Es kann noch ein Weilchen dauern, ehe er zurückkommt. Es ist vielleicht am richtigsten, wenn ich Sie zu Fräulein Caspary begleite.«

»Ich – möchte Ihnen danken«, sagte da Herr Wallner.

»Ich habe Sie gerne zum Essen gebeten, Herr Wallner. Da Sie in unseren Gasthäusern nur Schweinebraten bekamen und mit anderen Gerichten unzufrieden waren, habe ich es für selbstverständlich gehalten, Sie in meinem Hause gastfrei zum Mittagessen aufzunehmen.«

»Warum waren Sie sonst so häßlich zu mir?«

»Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder heraus.«

»Warum verstellen Sie sich so sehr?«

Er streckte Pucki die Hand hin. »Lassen Sie das Versteckspielen sein, junge Frau, das kränkt mich, ich vertrage das nicht.«

»Wer spielt Versteck?«

»Nun, Sie! – Sie haben mich eben wissen lassen, daß Sie Ihre Ungezogenheiten bereuen, daß es Ihnen leid tut, mich gekränkt zu haben. – Warum sind Sie jetzt schon wieder so unfreundlich zu mir?«

»Was habe ich – –?«

»Gestehen Sie es ruhig ein. Aber – Sie sollen sich in mir nicht getäuscht haben. Schließen wir Frieden, Frau Gregor.«

»Wir beiden?«

»Nun ja«, erwiderte Herr Wallner. »Ich muß offen gestehen, Sie haben mich beschämt. Ich weiß, ich war nicht immer nett zu Ihnen, aber – da Sie mir den hübschen Vers geschrieben haben, da Sie mich sozusagen um Verzeihung baten für alles, was Sie mir angetan haben, so will ich Ihren Wunsch erfüllen und Sie lieb ansehen. – Na, junge Frau – schauen wir uns mal in die Augen.«

»Was wollen wir?«

»Frieden schließen, uns nicht mehr gegenseitig ärgern, denn das hatten wir uns beide doch vorgenommen. – Sie sind wirklich ein guter Mensch, Pucki, ein sehr guter Mensch, sonst hätten Sie mir das Gedicht nicht gemacht. Eine andere Frau hätte mich gewiß nicht zu Tisch eingeladen, und Sie benützen die Gelegenheit, mich für alle Kränkungen um Verzeihung zu bitten. Ich freue mich darüber, daß Sie mir sogar sagen, Sie haben mich lieb. – So, und nun reichen wir uns die Hände.«

»Das Gedicht war – –«

»Weiß schon, es war sehr nett von Ihnen.« Er ergriff Puckis Hände. »Und nun werde auch ich mich bemühen, alle mir zugefügten Kränkungen zu vergessen. Ich will ständig an das Gedicht denken, das ich in der Tasche habe. Und wenn Sie mich wieder einmal ärgern, wenn ich wieder einmal aufbrausen will, werde ich denken:

Hab' ich dich gekränkt, vergib,
Du weißt es ja – ich hab' dich lieb.«

»Aber ich – –«

»Schon gut, Pucki. Sie können nicht sagen, was Sie fühlen. Aber der Zettel hat mir alles verraten. So, nun gehen wir zusammen nach dem Waldheim. Ich denke, wir werden in Rahnsburg gemeinsam recht nette Stunden verleben. Sie haben einen prächtigen Mann, der mich sicherlich gesund machen wird.«

Pucki sagte nichts mehr. Sie war im ersten Augenblick ein wenig verstört und wußte nicht, ob sie den Irrtum richtigstellen sollte. Noch einmal schaute sie zurück. Da stand der Großpapa in der Tür und warf ihr eine Kußhand zu.

Mit Puckis Selbstbeherrschung war es vorüber. Sie stürmte ins Schlafzimmer und warf sich lachend aufs Bett.

»Ich soll den Großpapa liebhaben? – Ich soll ihn gebeten haben, er soll mich zärtlich ansehen. – Ach, ich sterbe vor Lachen!«

Es dauerte längere Zeit, bis sich die junge Frau beruhigt hatte. Sie hörte Herrn Wallner auf der Diele unruhig auf und ab gehen. Da kam sie endlich wieder zum Vorschein, aber auf ihrem Gesicht lag noch das lustige Lachen.

»Nun, Herr Wallner, wollen wir jetzt gehen?«

»Freilich, Frau Doktor.«

Er schob seinen Arm in den der jungen Frau. So schritten sie beide dem Waldheim zu. Von Zeit zu Zeit kicherte Pucki leise vor sich hin.

Man war mit Fräulein Caspary rasch einig. Sie warf einen erstaunten Blick auf Frau Gregor und flüsterte ihr beim Gehen zu:

»Das ist doch ein ganz reizender alter Herr.«

»Abwarten!« erwiderte Pucki trocken. Dann verabschiedete sie sich rasch und ging nach Hause. Dort wurde sie noch einmal von einem Lachkrampf ergriffen.

Der heimkehrende Claus hörte schon an der Flurtür die fröhlichen Laute. Puckis Laune schien wiederhergestellt zu sein. Der kleine Zusammenstoß heute vormittag hatte ihn betrübt.

Nun stand er seiner jungen Frau wieder gegenüber, die ihn stürmisch umhalste und küßte.

»Pucki, was ist denn geschehen?«

»Ich mache dir schnell Rühreier und Bratkartoffeln, lieber Claus, setze dich nur schon ins Eßzimmer. Ach, ich habe dir etwas ganz Lustiges zu erzählen!« – Wieder konnte sie vor Lachen nicht weiterreden. »Rühreier – kein Filet? Arme Pucki, mit Filet hast du wirklich kein Glück.«

»Glück und Spaß, Claus! Das Filet hat dem Großpapa herrlich geschmeckt. Doch jetzt mußt du rasch Essen haben, dann erzähle ich dir von dem Wunder, das sich am sechsundzwanzigsten Oktober dieses Jahres im Hause des Arztes Doktor Gregor ereignete.«

Er hörte seine junge Frau draußen in der Küche mit dem Geschirr hantieren; zwischendurch klang mehrfach ihr silberhelles Lachen.


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