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Auf der Hochzeitsreise

Pucki schloß die Augen. Es war fast zuviel des Schönen, was sie in den letzten Stunden gesehen hatte. Es war überhaupt alles wie ein wunderbarer Traum. Unfaßlich schön! Saß sie wirklich auf einem Rheindampfer? Hielt ihre Hand die des jungen Gatten, ihres Claus? Oh, es war alles Wirklichkeit! Das Rauschen, das ihr Ohr vernahm, kam von den Wellen her, die gegen das Schiff schlugen: Wellen des Rheins!

Hochzeitsreise an den Rhein! – Ihr innigster Wunsch, einmal den schönsten deutschen Strom zu sehen, war in Erfüllung gegangen. Claus führte sie an den sagenumwobenen Rhein. Nun saß sie neben ihm, auf der Bank des stolzen Motorschiffes »Loreley«, öffnete zwinkernd die Augen und schaute hinauf zu den rebengeschmückten Hügeln, zu den stolzen Burgen, die bald von rechts, bald von links herniedergrüßten. Es war fast zuviel der Herrlichkeit! Von den alten Zinnen wehte die Vergangenheit hernieder, die sanften Herbstlüfte schienen von Liebeslust und Liebesweh der alten Ritter und jungen Ritterfräulein zu erzählen, von kühnen, verwegenen Taten, aber auch von manchem Raubzuge, von Schlachten und Siegen.

Der frische Plaudermund war verstummt. Zu mächtig wirkte die zauberhafte Schönheit der Landschaft auf die junge Frau. Es war Pucki nicht möglich, in die laute Fröhlichkeit der übrigen Fahrgäste mit einzustimmen. Aber ihnen allen mochte vielleicht die Gegend bekannt sein. Für Pucki war sie etwas ganz Neues.

»Fahren wir wirklich an den Rhein? Führst du mich nach Köln, Koblenz, St. Goar und Mainz, wenn wir verheiratet sind?« Wie oft hatte Pucki vor ihrer Ehe diese Frage an ihren geliebten Claus gerichtet. Lächelnd nickte er dazu, denn er wußte ja, daß Pucki, das fröhliche Försterkind aus Birkenhain, die Natur über alles liebte. Weit würde sich ihr Herz öffnen auf dieser ihrer Hochzeitsreise, die ihr das Schönste vom Schönen zeigte.

Achtlos lagen die zahlreichen Prospekte, die Pucki schon vorher aus einem Reisebüro zusammengeholt hatte, neben ihr auf der Bank. Was sollten ihr jetzt noch diese Ansichten, da sie die Natur in voller Schönheit vor sich hatte. Mit jeder Biegung des Rheins bot sich ihrem Auge ein neues, schönes Bild.

Die stolze Ruine Rheinfels wurde sichtbar. Claus berührte die Hand seiner jungen Frau. »Vergiß das Essen und das Trinken nicht, Pucki. Wir sind in diesem Augenblick fünfzig Stunden verheiratet. Wollen wir darauf anstoßen?«

Die Gläser klangen aneinander, dann glitten ihre Augen wieder hinüber zu den Rheinufern. In Puckis Herzen stieg heiße Dankbarkeit empor, daß es ihr vergönnt war, diese herrliche Gegend zu sehen. Auf einmal jauchzte sie laut auf und machte eine Bewegung, als wolle sie ihrem Gatten um den Hals fallen.

Er wehrte aber ab. Dieses zärtliche Schauspiel brauchte man den Mitreisenden nicht zu bieten. Trotzdem freute er sich über die Lebhaftigkeit und Natürlichkeit seiner jungen Frau. Gerade diese letzte Eigenschaft hatte ihm von jeher an dem Försterkinde gefallen. Ihn, den Sohn des Oberförsters Gregor, zog es schon als Primaner zu der kleinen Hedi Sandler hin, deren gutes Herz dem Kinde so manchen Streich gespielt hatte. Er hatte Pucki aufwachsen sehen und hatte sie niemals aus den Augen verloren, auch dann nicht, als er sich dem medizinischen Studium zuwandte und Pucki das Elternhaus verließ, um in Rotenburg die höhere Schule zu besuchen. Dann freilich war eine Zeit gekommen, in der Claus Gregor Pucki ein wenig aus dem Gesicht verlor, denn er hatte in Brasilien in einem Krankenhaus eine Stellung angenommen. Aus dem jungen Mädchen aber entwickelte sich ein prächtiger, gewissenhafter Mensch, der mit Freude und Lust den Beruf einer Kindergärtnerin erwählte.

Wenn Hedi Sandler zu den Ferien ins Elternhaus zurückkam, so geschah es nicht selten, daß auch Claus Gregor bei den Eltern in der Oberförsterei weilte. So wurde aus der Kinderfreundschaft bald eine gegenseitige tiefe Neigung. Vor einem Jahr, auch im Herbst, war das bindende Wort gesprochen worden. Ostern hatte Pucki ihr Abschlußexamen gemacht. In der kleinen Stadt, in der Pucki als ABC-Schütze einst die Schule besuchte, ließ sich Claus Gregor schließlich als Arzt nieder. Nach Puckis Wünschen hätte die Hochzeit schon im Frühling sein sollen, sogleich nach dem abgelegten Examen. Sie meinte, ein junger Arzt könne nicht ohne Frau sein, es gäbe so viel zu helfen. Pucki hatte die feste Absicht, ihrem Gatten nach Möglichkeit beruflich beizustehen. Aber Frau Sandler meinte, es sei gut und richtig, wenn Pucki das Sommerhalbjahr dazu verwende, sich erst in hauswirtschaftlichen Dingen zu vervollkommnen. Schweren Herzens fügte sich das Försterkind, aber länger als bis zum September sollte nicht gewartet werden.

»Der Monat September ist die günstigste Zeit, den schönen Rhein kennenzulernen. Später sieht man nichts mehr von der Traubenlese. Dann gibt es Nebel und Kälte. Ich möchte so gern im September heiraten. Ach, laß uns nicht länger warten.«

Die Eltern gaben nach, zumal auch Claus meinte, der September wäre für ihn der beste Monat, da er dann eine gute Vertretung bekommen könnte, die später nicht mehr frei sei. Man hatte dann lange überlegt, welchen Tag man zur Eheschließung wählen solle. Claus meinte, das sei doch ganz gleichgültig, aber Pucki bestand darauf, daß der Hochzeitstag ein Dienstag, ein Donnerstag oder ein Sonnabend sein müsse. Als man sich schließlich auf den Donnerstag geeinigt hatte, wurde von Pucki der Wandkalender befragt. Auch die Namen hatten für sie eine Bedeutung. Nun wurde gewählt zwischen dem 5. September, dem »Herkules«, und dem 19. September, dem »Titus«.

»›Herkules‹ wäre eine gute Vorbedeutung, denn Herkules ging siegreich aus allen Gefahren hervor. – Ich denke, wir heiraten am ›Herkules‹, das ist etwas für dich, Claus.«

»Nun, wir könnten ja auch am ›Titus‹ heiraten, das wäre etwas für dich, Pucki.«

»Für mich?« fragte sie gedehnt zurück. »Titus – war das nicht ein alter Römer?«

»Ein römischer Kaiser. Anfangs war er ein sehr übler Bursche, später aber wurde er ein prachtvoller Herrscher, der überall Segen stiftete. Vielleicht heiraten wir doch am ›Titus‹.«

»Puh – da müssen wir noch lange warten. Der ›Herkules‹ wäre am fünften, der ›Titus‹ am neunzehnten September. Aber« – sie zwinkerte den Verlobten mit ihren Blauaugen an, »wenn du meinst, daß der ›Titus‹ besser zu mir paßt, dann – abgemacht. – Wir heiraten am Donnerstag, den neunzehnten September.« –

Es war keine große Hochzeit gewesen. Man hatte nur Puckis drei Freundinnen mit deren Männern oder Verlobten eingeladen, dazu die nächsten Familienangehörigen. Noch am selben Abend waren Claus und Pucki abgereist und saßen nun auf einem Rheindampfer, um in St. Goar an Land zu gehen und dort für einige Tage Aufenthalt zu nehmen. Vorher waren sie zwei Tage in Köln gewesen. Vierzehn Tage sollte die Reise dauern. Ein einziger schöner Traum!

Doktor Claus Gregor erhob das Glas. »Auf unseren fünfzigstündigen Ehekrieg!«

»Dort die Katz und drüben die Maus«, hörte Pucki auf der anderen Seite des Schiffes eine Stimme sagen. Wie ein Pfeil schoß sie hinüber. – Wahrhaftig, von den beiden Bergkuppen grüßten die Burgen hernieder. Claus war seiner lebhaften jungen Frau gefolgt.

»Ich glaube, ich bin für dich Nebensache, Pucki. Dir ist die Burg Katz dort oben wichtiger als dein Claus.«

Aus ihren blauen Augen traf ihn ein inniger Blick. »Es ist wunderbar schön hier, Claus!«

»Gewiß, Pucki, aber darüber darfst du nicht das Nötigste vergessen. Wir sind gleich in St. Goar und wollen dort aussteigen.«

»Claus, können wir nicht noch ein wenig mit dem Schiff fahren? Nur noch eine Station weiter. Mit dem nächsten Dampfer fahren wir dann zurück. Es ist doch wirklich einerlei, wann wir in St. Goar ankommen. Es gefällt mir doch so gut auf der ›Loreley‹.«

»Nun ja, wir könnten noch Mittag essen.«

»Ich mag nichts essen, Claus.«

»Na, na, Pucki! Nachher stellt sich plötzlich der Hunger ein.«

Aber Pucki dachte wirklich nicht an Essen und Trinken. Wieder machte der Rhein eine scharfe Biegung, und sie sahen St. Goar vor sich liegen, dem das Schiff langsam zusteuerte.

Sie blieben an Bord und beschlossen, bis Bacharach weiterzufahren und dann wieder nach St. Goar zurückzukehren.

»Fräulein«, sagte einer der Reisenden, dem längst die blonde Naturschwärmerin aufgefallen war, »sehen Sie, dort drüben der hohe Felsen ist die ›Loreley‹.«

Obwohl der Loreleyfelsen Puckis höchste Aufmerksamkeit erregte, trat auf ihre Stirn eine tiefe Falte.

»Ja«, sagte sie laut, »mein Mann hat mir das vorhin schon gesagt. Mein Mann hat mich genau unterrichtet. Ich will mit meinem Mann zu Fuß hinauf zur Loreley gehen. – Mein Mann ist schon zweimal oben gewesen.« Dann wandte sie dem jungen Erklärer stolz den Rücken, ging zurück zu ihrem Claus, ergriff das Weinglas und rief so laut, daß es die Umsitzenden hören konnten: »Also, auf dein Wohl, lieber Mann!«

»Aber Pucki, schrei nicht so laut«, mahnte Claus leise, der bemerkt hatte, daß seine junge Frau allgemeine Aufmerksamkeit erregte.

»Fräulein hat er mich genannt«, flüsterte Pucki ihrem Claus zu, »dabei habe ich längst die Handschuhe abgezogen. Er mußte den goldenen Ring am Finger der rechten Hand doch sehen.«

»Na, Pucki, wenn dir nichts Schlimmeres geschieht«, lachte Claus, »als daß du für ledig angesehen wirst – –«

»Ich bin doch nun einmal eine junge Frau, und das sollten mir die Leute ansehen.«

Claus lachte. Er wußte, daß seine geliebte Pucki sehr stolz auf ihre neue Würde als Ehefrau war. In Köln hatte sie das öfter betont. Als sich Pucki dann erhob und auf den Tisch mit den Auslagen von Karten und Büchern zusteuerte, unterdrückte Claus mühsam das Lachen. Er wußte genau, was sich in der nächsten Minute ereignen würde. In Köln, in Bonn und in Königswinter: überall dasselbe.

Nun stand Pucki vor den Ansichtskarten, wühlte und suchte darin herum und hielt schließlich ein ganzes Päckchen in der Hand. Der Verkäufer nannte den Preis.

»Wieviel? – – Zwei Mark und achtzig Pfennig? Das ist aber teuer!«

»Mein liebes Fräulein, Sie haben aber auch eine schöne Erinnerung an die Rheinfahrt.«

Pucki öffnete die Handtasche. »Ach, ich habe kein passendes Geld – –«

»Ich kann wechseln, Fräulein.«

»Nicht nötig«, sagte sie und fuhr fort, jede Silbe betonend: »Mein Mann wird den kleinen Betrag gern entrichten. Wir sind nämlich auf der Hochzeitsreise. Ich werde meinen Mann gleich heranwinken.«

Claus wartete bereits auf diesen Wink. Es war immer dasselbe. Mochte in Puckis Börse noch soviel Kleingeld sein, sobald sie als junges Mädchen angesprochen wurde, rief sie nach ihrem jungen Gatten und erzählte laut und deutlich hörbar, daß sie sich auf der Hochzeitsreise befand.

Claus kam herbei und bezahlte, der Verkäufer aber wünschte dem jungen Paar viel Vergnügen für die fernere Reise. Dann schob Pucki ihren Arm in den ihres geliebten Claus und schritt an seiner Seite hoheitsvoll zurück zu ihrem Platz.

»Hast du genug Ansichtskarten?« neckte Claus. »Wenn das so weitergeht, müssen wir die Karten per Fracht in unser neues Heim nach Rahnsburg senden. Du willst gewiß recht fleißig schreiben? Pucki, Pucki, wie hast du dich verändert! Sonst ist das Schreiben bei dir eine Seltenheit.«

»Ach, Claus, mußt du mich immer necken? Schau dir lieber die Gegend an. Wäre es nicht herrlich, wenn wir hier am Rhein dauernd leben könnten?«

»O weh! – Und ich dachte, du wolltest meine treue Mitarbeiterin im kleinen Rahnsburg sein? Was mache ich nun, wenn meine junge Frau am Rhein bleiben möchte und ich allein in Rahnsburg sitze?«

Da legte sie ihren Arm um seinen Hals und ließ ihn erst wieder los, als sie unterdrücktes Lachen vom Nebentisch hörte.

»Na ja«, sagte ein weißhaariger Herr schmunzelnd, »wenn man auf der Hochzeitsreise ist, nimmt das nicht wunder. Prosit, junge Frau, ich wollte, Sie flögen mir auch einmal an den Hals.«

Puckis Augen flammten auf. War das nicht eine Kränkung? Wie würde Claus das auffassen? Einer wollte seine junge Frau umarmen – und das auf der Hochzeitsreise! Ihr wurde ordentlich bange. Wenn Claus jetzt aufsprang und den kühnen Sprecher zur Rede stellte? Angstvoll schaute sie ihm ins Gesicht. Der aber erhob sein Glas, prostete dem alten Herrn zu und rief lachend hinüber:

»Glaub' es schon, daß Ihnen so etwas gefallen könnte.«

Pucki war darüber sprachlos. Was sie für eine unerhörte Dreistigkeit angesehen hatte, erschien Claus nur ein fröhlicher Scherz. Von nun an vermied sie sorgfältig, ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. Alle Aufmerksamkeit widmete sie wieder der herrlichen Umgebung.

In Bacharach stiegen sie aus.

»Hier in dem altberühmten Weinstädtchen wird Mittag gegessen«, sagte Claus.

»Ich habe noch keinen Hunger, mich hat die schöne Natur satt gemacht.«

Claus lachte. »Komm nur!«

Das Mittagessen schmeckte Pucki sehr gut, auch dem Wein sprach sie freudig zu. Er drohte ihr mit dem Finger. »Pucki, der Wein ist gefährlich!«

»Er schmeckt so gut!«

»Wer wird ans Weintrinken denken, wenn er eine so schöne Gegend sieht!« lachte er.

»Du sollst mich nicht immerfort necken. – Prösterchen, Claus!«

»Wollen wir hinauf zur Burg Stahleck gehen?«

Pucki mochte nicht, sie hatte allerhand Ausreden, weil sie ihrem Manne nicht eingestehen wollte, daß sie dem Wein ein wenig zu reichlich zugesprochen hatte und müde geworden war.

»Bleiben wir lieber hier und betrachten wir die herrliche Gegend.«

»Und trinken starken Kaffee, nicht wahr, Pucki?«

»Hast du wirklich etwas gemerkt? – Claus, du bist furchtbar tüchtig! – Also, trinken wir Kaffee, denn das ist das richtige.«

Mit dem nächsten Schiff fuhren die beiden zurück nach St. Goar. Dort stiegen sie aus und nahmen in einem Hotel direkt an der Landungsbrücke Wohnung. Ehe der Inhaber eine Frage an die Ankommenden stellen konnte, sagte Pucki hastig:

»Mein Mann und ich möchten gern ein Zimmer mit Aussicht auf den Rhein. Wir sind auf der Hochzeitsreise; ich habe den Rhein noch nie gesehen. Mein Mann hat die Absicht, mir alles Sehenswerte zu zeigen. Wir können doch ein Zimmer haben?« Dabei spreizte Pucki die rechte Hand mit dem goldenen Trauring recht auffällig und stieg dann hinter dem Kellner die breite Treppe hinauf.

Das Zimmer gefiel Pucki außerordentlich gut. Es hatte sogar einen Balkon. Nun stand sie hier oben, schaute hinab auf den Rhein und auf die vielen Schiffe, und Claus mußte ihr alles erklären.

Am anderen Morgen wurde der Aufstieg zum Loreleyfelsen angetreten. Übermütig lachend sprang Pucki die hohen Steinstufen hinan und neckte Claus, wenn er ihr nicht ebenso hurtig folgte. Ihn entzückte die Anmut seines jungen Weibes, Puckis übermütige Frische, ihr lachendes, glückliches Gesicht. Er freute sich darüber, daß sie die Schönheiten der Natur so verständnisvoll in sich aufnahm. Für alles zeigte sie Anteilnahme, gern ließ sie sich über dieses und jenes belehren.

»Das Schönste an unserer Hochzeitsreise ist«, rief Pucki fröhlich aus, »daß sie noch lange nicht zu Ende ist. Vierzehn Tage wollen wir unterwegs sein, dann – –«

»Kommt der Alltag mit seiner Arbeit.«

»Darauf freue ich mich auch, Claus! Dir helfen können, wird wunderschön sein. – Wirst du mich auch brauchen können, Claus?«

»Nun, ich will mal sehen, wie du dich anstellst.«

»Prachtvoll! – Ich werde die unruhigen Patienten festhalten, werde Ängstlichen Mut zusprechen, werde im Empfangszimmer sein, dir die Bücher führen und dir die Instrumente in Ordnung halten; kurzum, ich nehme dir jede Arbeit ab, die dir Zeit raubt.«

Er lachte. »Wer hat sich denn vor acht Tagen entsetzt abgewandt, als sich in der Oberförsterei unser Holzhacker in den Finger hackte? – Wer konnte kein Blut sehen?«

»Ja, Claus, mit Blut ist das so eine Sache. Aber, das lerne ich auch noch. – Wie lange bleiben wir in Wiesbaden?«

»Ich denke, acht Tage.«

»Und dann kommt die Rückreise?«

»Über Eisenach.«

Pucki seufzte auf. »Ja, über Eisenach. Ich werde mir die Wartburg endlich mit Genuß ansehen. Ach, Claus, ich glaube, es war die schlimmste Zeit meines Lebens, als ich bei Wallners die erste Stellung im Haushalt annahm. Brrr, der abscheuliche Großvater!«

»Vielleicht können wir Wallners einen kurzen Besuch machen?«

»Eher gehe ich in die Hölle. Das Schicksal wird mir gnädig sein und diesen alten Griesgram nie wieder meinen Weg kreuzen lassen. Der Großvater könnte mir die Stimmung verderben.«

»Er wird ja nicht gerade, wenn wir in Eisenach sind, auch oben auf der Burg sitzen.«

»Ich brächte es fertig, auf den Besuch der Burg zu verzichten, wenn ich den entsetzlichen Mann dort träfe. Aber dieser Abschnitt meines Lebens ist vorüber. – Strich darunter!«

Der Loreleyfelsen war erklommen. Claus und Pucki durchschritten zunächst das Restaurant, um sich zum Aussichtsfelsen zu begeben. Dann stand die junge Frau entzückt oben und schaute hinab auf den Rhein, auf seine vielen Windungen und Krümmungen, auf die zahlreichen Schiffe, die ruhig dahinzogen, und auf die unübersehbaren Weinberge, die in der Morgensonne lagen.

»Wunderbar schön! – Herrlich!« Es war Pucki unmöglich, ihren Gefühlen vollen Ausdruck zu geben. Sie stand und staunte und ließ den Zauber der Natur auf sich wirken.

»Vielleicht eine Aufnahme auf dem Loreleyfelsen gefällig?« ertönte da eine Stimme. Vor Pucki stand ein junger Mann, einen Apparat im Arm. »Setzen sich die Herrschaften auf dem Felsen hier nieder; solch eine Aufnahme ist eine schöne Erinnerung fürs Leben.«

Pucki war sogleich bereit, und auch Claus willigte ein. Nun saßen sie, eng aneinandergeschmiegt, an der äußersten Felszacke. Mit strahlendem Lachen schaute Pucki dem Gatten ins Gesicht.

»Ich habe schon manches Brautpaar aufgenommen –«

»Brautpaar? – Wir sind auf der Hochzeitsreise.«

Pucki ließ drei verschiedene Bilder knipsen. Dann schaute sie wieder voll Entzücken hinunter auf den Rhein, während Claus auf den jenseitigen Felsvorsprung ging, um auch von dort aus die herrliche Aussicht zu genießen.

»Die Bilder sind heute abend fertig. Wohnen die Herrschaften unten in St. Goar? Wohin darf ich die Bilder schicken?«

Pucki hörte kaum, was der Photograph fragte. Es gab so vieles zu sehen.

»Darf ich um den Namen der Herrschaften bitten?«

»Hedi Sandler. Fräulein Hedi Sandler.«

Der Photograph machte ein eigentümliches Gesicht. »Und der Herr?«

Nun wandte sie sich endlich dem Frager zu. »Was wollen Sie? Welchen Herrn meinen Sie?«

»Ich fragte das Fräulein, wohin ich die Bilder senden sollte. In welchem Hotel wohnen die Herrschaften?«

»Mein Mann und ich wohnen im ›Rheinhotel‹.«

Warum lachte der Mann so dreist? Plötzlich kam es Pucki zum Bewußtsein, daß sie in ihrer Versunkenheit ihren Mädchennamen genannt hatte. Sie wurde dunkelrot und wußte nichts anderes anzufangen, als eiligst hinüber zu ihrem Claus zu gehen und ihm zuzuflüstern: »Claus, du mußt mich retten! Ich habe soeben eine große Dummheit gemacht.«

»Aber das ist ja furchtbar«, erwiderte er lachend. »Was hast du wieder angestellt?«

»Ich hatte ganz vergessen, daß ich verheiratet bin. Fräulein Sandler, sagte ich. – Du mußt dem Manne klarmachen, daß wir beide verheiratet sind.«

Dem Photographen wich Pucki nun aus. Sie wollte nicht einmal im Gasthaus einen Imbiß einnehmen, weil der Photograph beständig in ihrer Nähe umherging, um auf neue Gäste zu warten.

»Ja, ja«, sagte sie schließlich, »eine Hochzeitsreise erfordert viel Überlegung. Aber wenn man zwanzig Jahre lang Hedi Sandler geheißen hat, ist es sehr schwer, plötzlich Frau Doktor Gregor zu sein.«

»Bereust du es? Möchtest du lieber wieder Pucki Sandler sein?« fragte Claus zärtlich.

»Lieber, lieber Claus!« Sie umarmte ihn stürmisch. »Ich glaube, ich habe es dir in den vier Tagen unserer Ehe schon tausendmal gesagt, daß ich über alle Maßen glücklich bin, daß es auf der Erde nichts Herrlicheres gibt, als die Frau des Arztes Claus Gregor zu sein.«

»Nun, mein Liebling, du wirst schon noch einsehen, daß es eine Arztfrau nicht immer leicht hat, daß sie oft ihre eigenen Wünsche zurückstellen muß, denn der Beruf eines Arztes bringt Unruhe ins Leben.«

»Siehst du, Claus, gerade das finde ich herrlich. Jede Stunde eine andere Überraschung.«

»Mitunter sind es Überraschungen, die von der Hausfrau nicht geschätzt werden.«

»Ach, ich bin ganz anders! Ich werde diese Überraschungen immer schätzen.« –

Am Nachmittag unternahmen die jungen Eheleute einen Aufstieg zur Feste Rheinfels. Wieder bot sich Puckis Blicken ein bezauberndes Bild. Unten die kleinen Ortschaften St. Goar, St. Goarshausen, Oberwesel und Boppard. Die Ruine selbst zog Pucki sehr stark an, so daß sie mit Begeisterung an der Führung teilnahm, die unermüdlich treppauf, treppab ging. Sie stellte gar viele Fragen.

»Claus«, flüsterte sie, »hier möchte ich mit dir ganz allein wohnen, hier riecht es so schön modrig. Dafür schwärme ich.«

»Mir ist die frische Luft in meiner Wohnung in Rahnsburg lieber.«

Seit geraumer Zeit fiel Pucki eine Dame auf, die Claus öfters mit forschenden Blicken musterte. Pucki runzelte unwillig die Stirn. Sie schob ihren Arm noch ein wenig fester in den ihres Gatten und sagte laut und deutlich: »Ach, Claus, eine Hochzeitsreise ist etwas Herrliches. Und daß du dich als Arzt freigemacht hast, dafür bin ich dir doppelt dankbar.«

Dann saßen sie im Schloßhofe beim Kaffee, als ein Kellner an ihren Tisch trat und Herrn Doktor Gregor fragte, ob er Arzt sei und bereit wäre, einer plötzlich Erkrankten beizustehen. Claus erklärte sich selbstverständlich sofort bereit.

»Warte einen Augenblick, Pucki, ich will nachsehen, was vorgefallen ist.«

»Ach, Claus, man sollte dich doch wenigstens auf der Hochzeitsreise in Ruhe lassen.«

»Ich bin sogleich wieder bei dir, mein liebes Kind. Siehst du, das ist schon eine der Überraschungen, von denen ich vorhin sprach.«

Pucki schwieg und schaute dem davongehenden Gatten nach. Nach kurzer Zeit schon kam er zurück: »Eine Dame ist plötzlich ohnmächtig geworden. Sie fühlt sich noch sehr schwach und bittet, daß ich sie hinunter nach St. Goar bringe. Wir wollen also aufbrechen. Ich lasse soeben nachsehen, ob draußen am Burgeingang Wagen stehen. Ist das nicht der Fall, will die Erkrankte in meiner Begleitung den Weg zu Fuß zurücklegen.«

»Nun gut«, sagte Pucki lebhaft, »so werde ich sogleich beweisen, daß ich dir wertvolle Hilfe leisten kann. Wir machen gemeinsam mit der Erkrankten den Abstieg.«

Ein Wagen war nicht da. Im Gastzimmer saß auf einer Bank die Leidende. Pucki zog die Stirn kraus. Das war ja dieselbe Dame, die vorhin ihren Claus so auffällig angesehen hatte. Sie sah gar nicht leidend aus, schien es Pucki, im Gegenteil, sie lächelte Claus geradezu verführerisch an. Nur mit Mühe unterdrückte Pucki eine Bemerkung, als sie sah, daß ihr junger Ehemann der Leidenden den Arm reichte und ihr riet, sich fest darauf zu stützen. Pucki stand unbeweglich daneben. Sogar ein mahnender Blick des Gatten fruchtete nichts.

»Es tut mir sehr leid, Herr Doktor, Ihnen diese Umstände machen zu müssen. Aber ich leide an Ohnmachtsanfällen.«

»Wäre es nicht richtiger, Sie blieben noch ein wenig hier oben?«

»Nein, Herr Doktor, ich muß zurück. – Es wird schon gehen.«

»Meine Frau wird Sie auch noch ein wenig stützen.«

Pucki blieb stumm, sie reichte der Leidenden zögernd den Arm, schaute jedoch voller Mißtrauen hinüber, ob sich die Kranke nicht gar zu fest auf den Arm ihres Claus stützte. Das war doch alles nur eine Komödie! Die Frau fand sicherlich Gefallen an ihrem Claus und neidete ihr das junge Glück. Sicherlich wollte sie nur an der Seite dieses stattlichen, schönen Mannes hinunter nach St. Goar gehen.

Je näher die drei dem Ort kamen, je lebhafter wurde die Patientin. Ausschließlich richtete sie ihre Worte an Claus und kümmerte sich nicht im geringsten um Pucki, die plötzlich mit einem Ruck ihren Arm aus dem der Dame gezogen hatte. Oh, Pucki hatte längst bemerkt, daß die Komödiantin allein gehen konnte. Sie begriff nur nicht, aus welchem Grunde Claus sie noch immer führte. Erkannte er denn nicht, daß es sich hier um ein Täuschungsmanöver handelte?

»In welchem Hotel wohnen Sie, Herr Doktor?«

»Wir wohnen unmittelbar an der Landungsbrücke, im Rheinhotel.«

»Sind Sie zufrieden?«

»Wir sind erst gestern angekommen.«

»Ich möchte nämlich aus meinem Hotel ausziehen. – Ich will es auch mit dem Rheinhotel versuchen. Sind vielleicht noch Zimmer frei?«

»Nein, alles ist besetzt«, klang Puckis Stimme dazwischen. Das fehlte gerade noch, daß diese dreiste Person in ihr Hotel kam und ihren Claus auch weiterhin mit Beschlag belegte! Nun wandte Claus den Kopf herum und schaute sein junges Weib mit strahlendem Lachen in den Augen an. Er kannte diesen Ton, und er wußte genau, daß Pucki, wie sie ihm einmal gesagt hatte, nahe am Platzen war.

»Ja, ja, Pucki«, sagte er, »es gibt mitunter Überraschungen.«

»Wie meinen Sie, Herr Doktor?«

»Ich machte meine liebe Frau nur auf etwas aufmerksam.«

»Ich werde noch heute in meinem Hotel sagen, daß ich ausziehe, denn ich fühle mich darin nicht wohl. Ich werde versuchen, im Rheinhotel unterzukommen.«

»Tun Sie das ruhig. Ich glaube, morgen wird ein Zimmer frei«, sagte Claus verschmitzt lächelnd, und wieder warf er Pucki einen zärtlichen Blick zu. Langsam ebbte die Erregung in Pucki ab. Morgen nachmittag verließen sie St. Goar, um weiter nach Rüdesheim zu fahren. Wenn morgen die Komödiantin ins Rheinhotel übersiedelte, waren sie bereits abgereist. Mit dieser Erkenntnis erwachte in Pucki wieder der Übermut.

»Freilich«, sagte sie plötzlich übertrieben liebenswürdig, »morgen wird im Rheinhotel ein Zimmer frei. Oben im ersten Stockwerk. – Wir wohnen auch im ersten Stock. Vielleicht stoßen unsere Zimmer sogar aneinander. O ja, es wohnt sich herrlich im Rheinhotel. Sie sollten wirklich umziehen.«

Doktor Gregor und Pucki begleiteten die Leidende bis zu deren Hotel. Die junge Frau erhielt zum Abschied nur ein kurzes Kopfnicken, Claus hingegen eine überschwengliche Dankesrede.

»Ich würde Ihnen raten, mein lieber Doktor, heute abend einen Spaziergang am Rheinufer zu unternehmen. Vielleicht treffen wir uns.«

»Es wäre richtiger, gnädige Frau, wenn Sie sich nach Ihrem Ohnmachtsanfall zeitig niederlegten, zumal Sie morgen einen Umzug vorhaben.«

Dann verabschiedete man sich. Kaum war man außer Hörweite gekommen, als Pucki entrüstet ausrief: »Aber Claus, hast du denn nicht bemerkt, daß diese Frau mit dir anbandeln wollte?«

»Nein, Pucki! Sie hatte wirklich einen kleinen Schwächeanfall. Da es sich hier um eine junge Frau handelt, kann man nicht wissen, woher der Schwächeanfall kommt.«

»Ich habe es wohl gesehen, daß sie sich sehr eng an dich schmiegte.«

»Eifersüchtig, mein Kleinchen?«

Pucki senkte den Kopf. »Nein, Claus«, sagte sie, »eifersüchtig werde ich niemals sein, ich weiß ja, daß du mich sehr liebhast. Ich bin nur ärgerlich, daß jemand das Glück unserer Hochzeitsreise stört.«

»Aber Pucki, kleine, liebe Pucki! Kann dieser Zwischenfall unsere glückliche Stimmung beeinträchtigen? Mein liebes, gutes Kind, ich glaube, du wirst noch ganz andere Dinge in der Ehe erleben. Ich bitte dich heute schon herzlich, dir durch solche Zwischenfälle die gute Laune nicht verderben zu lassen.«

»Du gefielst ihr, da hat sie mir mein großes Glück geneidet.«

Er lachte auf. »Es ist doch gut, wenn ich den Menschen gefalle. Das bringt Praxis, kleines Frauchen. Was sollte aus mir werden, wenn alle sagten, der Doktor Gregor ist ein gräßlicher Mann, den man nicht ansehen mag! Keiner würde mich rufen. Wenn ich aber meinen Mitmenschen gefalle – Na, kleine Pucki, meinst du nicht auch, daß das von Vorteil ist?«

»Ja, du hast recht«, sagte sie seufzend. »Nun habe ich schon den ersten Beweis erhalten, daß es nicht leicht ist, die Frau eines Arztes zu sein.«

»Als wir heute vormittag hinauf zur Loreley gingen, meintest du, es sei herrlich, gerade eine Arztfrau zu sein, und Überraschungen verschiedenster Art liebtest du.«

Pucki drückte den Kopf fest an die Brust des jungen Gatten. »Ach, Claus, es kommt immer wieder etwas Neues. Erst glaubte ich, daß ich mit der Schule ausgelernt hätte und dünkte mich recht klug. Doch bald sah ich ein, daß ich gar nichts verstand, als ich aufs Seminar kam. Als ich dann mein Examen gemacht hatte, bildete ich mir wieder ein, nun wäre ich ganz bestimmt mit dem Lernen fertig. Heute bin ich eine junge Frau, die Frau eines Arztes. – Nun geht das Lernen von vorne an. – Ich glaube, man wird niemals fertig damit!«

»Hast recht, meine liebe Pucki, man wird mit dem Lernen niemals fertig! Das Leben stellt uns Menschen immer wieder vor neue Aufgaben. Herzlich möchte ich dich aber darum bitten, laß dir die gute Laune durch derartige kleine Zwischenfälle nicht verderben. Wir wollen auf unserer Hochzeitsreise nur Sonne haben. Kein Mißton soll unser junges Glück trüben.«

»Gut, Claus, ich werde mir das ernstlich vornehmen. Mag da kommen, was will, ich behalte meine gute Laune. Und wenn dir zwanzig Frauen ohnmächtig in die Arme fallen, ich ärgere mich nicht. Du wirst, solange wir unsere Hochzeitsreise machen, nie eine Falte auf meiner Stirn sehen. Das ist mein nachträgliches Hochzeitsgeschenk für dich.«


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