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Das Sportfest

Auf den letzten Sonntag im Juli war das Sportfest bei Niepels angesetzt. Bereits am Sonnabend zeigte der Himmel ein strahlendes Blau. Freundlich lachte die Sonne auf die Koppel, auf der emsig gearbeitet wurde.

Gutsbesitzer Niepel wollte den Kindern ein wirkliches Freudenfest bereiten. Er hatte außer den verschiedensten Sportgeräten noch eine Bude aufschlagen lassen, in der sich die Kinder ausruhen konnten. An jedem Ende der Koppel waren Bänke aufgestellt, denn Herr Niepel rechnete damit, daß zahlreiche Zuschauer und die Eltern der mitwirkenden Kinder herauskommen würden, um dem Feste beizuwohnen. Man sah einen Barren, einen Rundlauf und ein stehendes Reck. In der Bude lagen mehrere Holzbalken, die als Hindernisse für die Laufstrecke dienen sollten. Sogar ein kleiner Zaun fehlte nicht, über den die Schnelläufer beim Hindernisrennen klettern sollten. Für den morgigen Sonntag war noch das Aufstellen der hohen Kletterstange geplant, an deren oberstem Ende ein Kranz befestigt war, der mit Beuteln voller Süßigkeiten behängt werden sollte. Herr und Frau Niepel, die Familie des Oberförsters, der Apotheker und Fräulein Caspari hatten Leckereien für den Kranz gestiftet.

Hauslehrer Hupfer hatte einen schweren Stand. Die Drillinge ließen ihm keine Ruhe. Tausend Fragen wurden an ihn gestellt; die Jungen kamen mit immer neuen Forderungen.

»Das ist ja alles nischt«, sagte Paul endlich, »wir brauchen noch eine Reitbahn, einen Schießstand und eine glatte Rollschuhbahn. Auch müßte ein Teich vorhanden sein, denn Schwimmen gehört zum Sport.«

»Wir haben reichlich genug, Paul. Macht ihr eure Sache nur recht gut, dann wird es auch ohne eure Wünsche ein hübsches Sportfest.«

»Es wird wirklich was Großartiges, aber nur, weil wir – na, das ist unser Geheimnis.«

»Höre, Paul, mir kommt es vor, als hättet ihr eine besondere Überraschung.«

Paul wandte dem Hauslehrer den Rücken und lief davon.

Aber auch im Forsthause Birkenhain war keine Ruhe mehr. Pucki konnte kaum den Sonntag erwarten. Und als der ersehnte Tag endlich anbrach, wollte sie schon am frühen Morgen hinaus nach dem Niepelschen Gute.

»Der Wagen ist um einhalb zwei Uhr in Rahnsburg und holt Fräulein Caspari und die kleinen Tänzerinnen ab«, sagte Frau Sandler. »Dann fährt er hier vor und holt uns.«

»Wenn er doch erst käme!«

Die beiden Kinder hatten in den letzten Tagen manche geheime Beschäftigung. Sie äußerten wiederholt, daß sie einen besonderen Spaß für das Sportfest vorbereiteten.

»Ach, Mutti, wir haben schon viel geübt. Es wird herrlich! Der Harras ist ein sehr liebes Tier.«

»Der Harras kommt aber nicht mit, Pucki.«

Das Kind machte ein entsetztes Gesicht. »Der Harras ist doch die Hauptsache, Mutti, der muß mit, sonst geht es nicht.«

»Aber Pucki!«

»Mutti, Mutti«, bat Pucki erregt, »wenn der Harras nicht mitkommt, können wir alles nicht machen.«

So wurde schließlich die Erlaubnis erteilt. Förster Sandler wollte, nachdem er ein Stündchen dem Turnen der Kinder zugeschaut hatte, mit dem Hunde wieder heimgehen.

Hätte Pucki gewußt, daß auf der Koppel Claus Gregor und sein jüngerer Bruder Eberhard emsig bei der Arbeit waren, um eine kleine Schießbude zu errichten, dann wäre sie auch ohne Erlaubnis der Eltern nach dem Gute gelaufen, um den Freunden zuzusehen. Oberförster Gregor meinte, daß zu einem Sportfest eine Schießbude unbedingt gehöre. Claus hatte sich erboten, die Aufsicht zu übernehmen und die Gewehre selbst zu laden, damit kein Unglück entstände.

Endlich war es so weit. Der festlich geschmückte Leiterwagen hielt vor dem Forsthause. Acht kleine Mädchen saßen mit Fräulein Caspari darin. Jedes Kind trug einen Pappkarton, in dem sorgsam ein Dirndlkleid verpackt war. Fräulein Caspari hatte Mühe, die unruhige Kinderschar in Ordnung zu halten.

Pucki und Rose brachten einen Puppenwagen aus dem Hause.

»Was soll der Wagen?« fragte Frau Sandler.

»Laß nur, Mutti, den brauchen wir für die Vorstellung.«

Rose trug auf dem Arm den gelben Kater, den geliebten Peter.

»Soll der auch mit?«

»Den brauchen wir auch!«

Dann kamen noch die große Puppe und mehrere Pappschachteln auf den Wagen. Schließlich pfiff das Kind nach dem Harras, der mit einem Satz mit auf den Leiterwagen sprang, zur Freude aller Kinder.

Unter Lachen und Scherzen kam man auf dem Niepelschen Gute an. Es gab eine laute, stürmische Begrüßung. Die Drillinge schrien den Ankommenden entgegen, was alles für Vorbereitungen getroffen wären, und dann gingen alle auf den Sportplatz. Die hohe Kletterstange erregte sogleich Puckis Interesse.

»Da komm' ich schon 'rauf«, stellte sie prüfend fest. »Was dort oben hängt, hole ich mir.«

Man zögerte nicht lange mit dem Beginn des Sportfestes. Aus Rahnsburg und dem Dorf, das in der Nähe des Gutes lag, hatten sich zahlreiche Zuschauer eingefunden. Die aufgestellten Bänke waren dicht besetzt. Pucki begrüßte den Oberförster mit seiner Familie und flüsterte Claus zu, daß sie alles von der Stange herunterreißen würde.

Herr Hupfer eröffnete die Veranstaltung, indem er dreimal klingelte und eine kurze Ansprache hielt. Sport sei heute für die Jugend unerläßlich, sagte er, und alle Knaben und Mädchen sollten ihr Bestes hergeben, damit man sähe, daß sie mit Lust und Liebe bei der Sache wären.

Die Knaben trugen Turnanzüge und ebenso die Mädchen. Nur die, welche am Volkstanz beteiligt waren, hatten sich in ein Zelt zurückgezogen, in dem sie sich unter Aufsicht von Fräulein Caspari umkleideten. Sie trugen alle hübsche, bunte Dirndlkleider.

Die Knaben kamen zuerst an die Reihe. Sie zeigten ihr Können an Reck und Barren. Mitten auf der Koppel stand Herr Hupfer und leitete die Vorführungen. Er hatte seine helle Freude an den Leistungen, denn seine drei Zöglinge zeigten sich heute von der besten Seite.

Dann kam der Volkstanz. Es war ein reizendes Bild, die acht Mädchen so frisch und fröhlich tanzen zu sehen. Ihre Leistungen wurden laut beklatscht. Sie sangen zu ihrem Tanz ein altes Bauerntanzlied.

Claus Gregor schaute sich nach Pucki um. Sie war verschwunden, und Rose fehlte auch. Man wollte gerade zum Dauerlauf antreten, als das Hausmädchen an den Hauslehrer herantrat und ihm etwas zuflüsterte. Herr Hupfer klingelte.

»Mit dem Dauerlauf warten wir noch ein wenig. Försters Pucki und Rose Scheele wollen uns nun durch eine besondere Überraschung erfreuen.«

Vom Gutshause her bewegte sich ein eigenartiger Zug. Ein Puppenwagen wurde von einem Jagdhunde geschoben, der brav auf den beiden Hinterpfoten ging. Rechts und links neben dem Wagen schritt je ein kleines Mädchen, das einen Blätterkranz trug. In den Händen hielten die beiden je ein Windrädchen, das sich lustig drehte. Die Windrädchen hatte Rose Scheele aus buntem Papier gefertigt. Beim Näherkommen der Gruppe sah man im Kinderwagen eine Katze liegen, die ein rosa Jäckchen trug.

»Der Kater mit den Sachen der kleinen Agnes!« rief Frau Sandler entsetzt.

Herr Niepel brach in lautes Lachen aus. Der kleine Zug, der sich langsam an den Bänken vorbei bewegte, sah entzückend aus. Erst jetzt waren alle Einzelheiten zu sehen. Harras, der kluge, gutmütige Hund, war am Schwanz mit einer leuchtend roten Schleife geschmückt, und auf den Kopf hatten ihm die Kinder eine Haube gesetzt, die mit Bändern unter dem Maul zusammengebunden war. Eine Schärpe aus grünen Blättern vervollständigte seine Ausrüstung. Der Kater lag regungslos im Wagen.

Ein lautes Gelächter brach los. Puckis Augen glitten erfreut über die Anwesenden. Die viele Mühe, die sich Rose und sie selber gemacht hatten, wurde heute belohnt; alle fanden diese Vorführung äußerst reizvoll. So fuhr der Puppenwagen mehrmals hin und her, bis der Kater schließlich aus dem Wagen sprang und unter hellem Lachen der Zuschauer über den Sportplatz lief. Das schien auch für Harras das Zeichen zu sein, seine Rolle als Kindermädchen zu beenden. Er lief mit langen Sprüngen hinter Peter her. Trotzdem beklatschten alle den Einfall der beiden Mädchen lebhaft. Sie konnten viel Lob dafür einheimsen.

Sehr bald waren Rose und Pucki zum Sportplatz zurückgekehrt. Nun konnte es an den Dauerlauf gehen. Pucki, die immer wieder zur großen Stange hinüberschaute, vertrödelte damit viel kostbare Zeit und wurde eine der Letzten. Dagegen erhielt Rose Scheele einen Preis.

Das Hindernislaufen fiel für Pucki noch schlechter aus. Sie stolperte sogar über einen Balken und lag auf der Nase. Hier wurde Martin der Sieger, der mit einem Satz über den Zaun sprang. Er erhielt als Preis das längst ersehnte Taschenmesser.

Wieder klingelte Herr Hupfer, denn die Kaffeepause war gekommen.

»Jetzt wird bei Kaffee und Kuchen ausgeruht, dann geht es ans Klettern und ans Reiten für die Kleinen. Dann folgt das Geräteturnen und zum Schluß eine Überraschung meiner Zöglinge, von der ich selber nicht weiß, was es sein wird.«

»Und das wird das Feinste«, schrie Paul. »Alles, was gewesen ist, war doch nichts«, flüsterte er Martin zu.

»Nach Schluß des Sportes dürft ihr euch an der Würfel- und Schießbude belustigen. Auch stehen zwei Pferde zur Verfügung. Da wir aber ein Sportfest veranstalten, wollen wir während des Kaffeetrinkens noch ein wenig Denksport treiben und Rätsel aufgeben. Ein jeder, der ein hübsches Rätsel weiß, darf es sagen.«

Alle riefen durcheinander, denn jeder wußte ein Rätsel. So hatte Herr Hupfer Mühe, wieder Ordnung in die aufgeregte Kinderschar zu bringen. Es gelang ihm jedoch bald.

»Es ist meines Wissens das erstemal«, sagte Frau Niepel zu Frau Gregor, »daß eine Veranstaltung so nett und friedlich verläuft wie das Sportfest. Nicht einen einzigen Mißklang hat es bisher gegeben.«

»Ihr Hauslehrer scheint ein äußerst tüchtiger Herr zu sein.«

»So folgsam und brav wie heute sind meine drei Jungen noch nie gewesen. Wir werden mit Freuden an den heutigen Tag zurückdenken.«

»Wir sind noch nicht zu Ende«, sagte der Oberförster, »erst heute abend können wir uns über den Verlauf des Sportfestes freuen.«

»Sie sehen doch, wie alles klappt. Meine Jungen haben heute keine Neigung zu tollen Streichen.«

»Was wird das denn für eine Sonderüberraschung, die die drei planen?«

»Das weiß ich nicht, Herr Oberförster«, erwiderte Frau Niepel.

Während des Kaffeetrinkens wurden Rätselfragen gestellt.

»Was ist schwerer«, fragte Rose, »ein Pfund Eisen oder ein Pfund Bettfedern?«

»Eisen«, riefen mehrere. »Ach, das ist aber ein leichtes Rätsel!«

»Falsch«, sagte Rose.

»Rede doch keinen Quatsch«, rief Paul. »Eisen ist immer schwerer.«

Rose lachte. »Nein, ein Pfund ist eben ein Pfund. Man muß nur recht viel Bettfedern nehmen, um ein Pfund zu haben. Beides ist gleich schwer.«

»Ach so«, sagte Paul. »Ist das ein dummes Rätsel! Ich werde euch ein anderes aufgeben. – Wie wird der Neger, wenn er ins Rote Meer fällt?«

»Rot«, piepste Dora.

»Nein, weiß«, rief Waltraut. »Dann geht doch aller Schmutz von ihm ab.«

»Er bleibt schwarz«, sagte Pucki. »Das ist ihm doch angewachsen.«

»Hahaha, seid ihr dumm«, lachte Paul, »der Neger wird naß, wenn er ins Rote Meer fällt. Das Rote Meer ist doch ein großes Wasser.«

»Nun will ich euch mal ein Rätsel aufgeben«, rief der Hauslehrer. »Paßt gut auf. Auf einem Dach sitzen sieben Schwalben. Wenn ich drei davon herunterschieße, wieviele bleiben noch sitzen?«

»Du darfst keine Schwalben schießen«, rief Pucki aufgeregt. »Das ist eine ganz schlechte Tat. Schwalben darf niemand schießen.«

»Nun ja, Pucki, da hast du recht. Also waren es keine Schwalben, sondern Sperlinge.«

»Die kleinen Sperlinge haben dir auch nichts getan. Die kannst du ruhig auf dem Dach sitzen lassen.«

»Nun sei man still, kleine Plaudertasche, und lasse die anderen raten.«

»Das ist ja viel zu leicht«, rief Wanda Meister, »wenn sieben auf dem Dache sitzen und drei heruntergeschossen werden, bleiben vier Schwalben sitzen.«

»Nein, drei!« rief ein anderes Mädchen.

»Kannst du aber schlecht rechnen! Es bleiben bestimmt vier.«

»Es bleibt gar keine Schwalbe sitzen«, sagte Herr Hupfer, »die anderen fliegen fort, wenn ich schieße.«

»Das machen sie ganz recht«, sagte Pucki. »Wenn einer mit einem Schießgewehr kommt, wissen sie schon, daß er ihnen was tun will.«

»Und nun übt einmal eure kleinen Zungen«, sagte Fräulein Caspari, »versucht einmal recht schnell den folgenden Satz zehnmal nacheinander zu sagen: Zwischen zwei Zwetschgenbäumen zwitschern zwei Schwalben.«

Da ging ein Gezwitscher los, daß den Erwachsenen die Ohren dröhnten. Sie beteiligten sich schließlich auch alle an der Aufgabe, die nicht recht glücken wollte.

»Nun sage du es mal, großer Claus.«

Der begann sofort: »Zwischen zwei Zwetschgenbäumen zwitschern zwei Schwalben. – Zwischen zwei Zwetschgenbäumen schwitzen zwei Schwalben – –«

»Hahaha«, lachte Pucki, »das ist ja falsch, großer Claus.«

»So sage du es doch richtig.«

Doch Pucki versprach sich schon bei den ersten Worten.

»Versucht es erst einmal mit einem leichteren Satz«, meinte Fräulein Caspari. – »Hört zu: Ulm ist eine große Stadt in Süddeutschland. Nun sagt einmal: In Ulm, um Ulm und um Ulm herum.«

Abermals wurde unter Gelächter der Satz vollkommen verdreht. Noch lange versuchte die Kinderschar die Sätze nachzusprechen, es gelang aber nicht. Da eilte Pucki zu Herrn Hupfer.

»Ich bin satt. – Geht es nicht bald weiter?«

»Jawohl, mein Kind, nun kommt bald das Klettern an der hohen Stange.«

»Na endlich!«

Wieder ging es hinaus zum Sportplatz. Die Reihenfolge der Kletterer wurde durch das Los entschieden. Pucki hatte die Nummer vier gezogen. Der erste Knabe kam fast bis an die Spitze der Stange, dann rutschte er ab. Thusnelda konnte es gar nicht. Ihr folgte Fritz Niepel, der glücklich die Spitze erklomm, oben eine Tafel Schokolade abriß und unter dem Beifall der Zuschauer wieder herunterrutschte. Pucki, die schon an der Stange stand, wurde von Fritz kräftig getreten, doch das hemmte ihren Eifer nicht. Nun klomm das kleine Mädchen mit unglaublicher Gewandtheit an der glatten Stange empor und erreichte den Kranz mit den Süßigkeiten. Man klatschte lebhaft Beifall. Pucki riß ein Säckchen nach dem andern ab und warf es hinab.

»Genug, Pucki«, rief Herr Hupfer, »nur ein Stück, andere wollen auch etwas haben.«

Aber Pucki hörte nicht. Unentwegt plünderte sie den Ring, bis nicht ein Stück mehr an dem Kranz hing. Zwei Knaben begannen zu schimpfen, eines der Mädchen weinte, und Paul lief zur Stange und nahm zwei der heruntergeworfenen Beutelchen an sich.

»Halt«, gebot ihm Herr Hupfer. »Pucki bekommt einen Beutel, die anderen bleiben als Preise für die Sieger liegen. Ihr werdet der Reihe nach versuchen, an der Stange hinaufzuklettern. Wem es gelingt, mit einer Hand den Kranz zu berühren, der bekommt eines der Säckchen.«

Dann sammelte er die Beutelchen auf.

Pucki kam blitzschnell heruntergerutscht. »Gib nur her«, meinte sie, »ich habe sie abgerissen.«

»Nein, Pucki«, sagte der Hauslehrer, »ich habe vor Beginn gesagt, daß jeder nur ein Säckchen abreißen darf.«

»Ich bin so rasch 'raufgeklettert, wie es die anderen nicht können.«

»Das ist einerlei, du bekommst nicht mehr.«

Da ging Pucki schmollend zur Seite.

»Das hast du aber gut gemacht, Pucki«, rief der Oberförster, »ich habe noch nie ein Mädchen so gut klettern sehen wie dich.«

»Und ich hab' doch nur ein Säckchen bekommen.«

»Dann suche mal in meinen Taschen, kleines Mädchen.«

Sofort fuhren Puckis Hände in eine der Taschen, aus der eine Tafel Schokolade zum Vorschein kam.

»Du bist viel netter, Onkel Oberförster, als der Hauslehrer.«

Die Kletterei an der Stange war beendet. Nur wenigen Kindern war es gelungen, den Kranz zu erreichen. Nun begann das Reiten für die Kinder, die sich am Klettern nicht beteiligt hatten. Zwei Ponys wurden auf den Sportplatz geführt, und dann kam noch etwas Seltsames. Alle Kinder machten lange Hälse. Herr Hupfer führte an einem Strick ein Dromedar.

Das Tier sah wirklich reizend aus! Herr Hupfer hatte dazu vier Kinder genommen, ein größeres und drei kleinere. Das größte der Kinder wurde vornean gestellt, das zweite und dritte Kind gingen hinter dem ersten her und hielten sich mit den Händen am Vordermanne fest. Das vierte Kind mußte den Kopf senken, die Hände auf dem Rücken zusammenlegen und damit einen Federbesen festhalten, der den Schwanz vorstellte. Allen Kindern waren graubraune Strümpfe angezogen worden. Dann wurde die kleine Gruppe mit einer großen, hellbraunen Decke überdeckt. Die Köpfe des zweiten und dritten Kindes bildeten die Höcker, die noch ein wenig ausgepolstert worden waren. Der Kopf des Dromedars war von Herrn Hupfer selbst angefertigt worden. Er war mit Heu ausgestopft, und Augen und Maul waren aufgemalt. Dann wurde das Tier angeschirrt, und nun kam das Ungetüm langsam auf den Sportplatz. Die Kleinen fürchteten sich anfangs, doch die größeren Kinder begannen sogleich das Ungetüm zu necken. Sie ließen aber davon ab, als Hupfer warnend mit dem Finger drohte.

»Ich staune über meine Kinder«, sagte Frau Niepel.

»Dieses Sportfest wird noch lange in angenehmster Erinnerung bleiben.«

Auf den Ponys begann ein lustiges Reiten; dann wurden die Tiere wieder fortgeführt. Noch einmal gab es Darbietungen an den Turngeräten, dann klingelte Herr Hupfer wieder und sagte, es würde nun eine kleine Pause eintreten, weil Paul, Walter und Fritz einige Zeit zur Vorbereitung ihrer Überraschung haben müßten. Inzwischen sollten sich die Kinder an der Schieß- und Würfelbude belustigen.

Auch hier ging alles ruhig ab. An der Würfelbude stand Fräulein Caspari und händigte den Gewinnerinnen kleine Geschenke aus. Pucki stand nur an der Schießbude. Sie wollte dem großen Claus durchaus helfen, die Gewehre zu laden, doch er erlaubte es nicht.

»Ich bin doch ein Försterskind«, meinte sie.

»Schießgewehre dürfen Mädchen unter sechzehn Jahren nicht in die Hand nehmen.«

»Ich möchte aber auch einmal schießen.«

Sie versuchte es, traf jedoch nicht einmal die Scheibe, weil sie zum Sportplatz hinüberschielte, auf dem merkwürdige Vorbereitungen getroffen wurden. Zwei Knechte des Gutes ließen in den Erdboden vier lange Stäbe ein. Das abgesteckte Quadrat wurde daraufhin mit Seilen verbunden. Über das Gesicht des Hauslehrers huschte ein Lächeln. Die Vorbereitungen ließen darauf schließen, daß die Knaben einen Boxkampf planten. Vom Boxen hatten die drei keine Ahnung, denn Herr Hupfer war der Ansicht, daß zehnjährige Knaben dafür noch nicht reif wären. Woher sie überhaupt die Idee hatten, war ihm unklar. Jedenfalls würde es ein recht eigenartiger Kampf werden. Hoffentlich gab es nicht zu viele blaue Flecken.

Nach kurzer Zeit erschien das Hausmädchen und bat Herrn Hupfer, er möge auf das Grammophon eine Marschplatte legen und klingeln.

Die Zuschauer nahmen wieder auf den Bänken Platz und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Der Marsch begann. Da kamen im Gänsemarsch die Drillinge angeschritten. Voran Fritz, der kleinste. Er war nur mit Turnhose und Sandalen bekleidet. Ihm folgte Walter. Herr Hupfer verbiß sich das Lachen. Auch Walter und Paul hatten nur die Turnhose angelegt, aber die Hände steckten in Männersocken, die dick mit Stroh ausgestopft waren. Die Strohwülste waren um die Handgelenke mit Bändern festgebunden. Auch die Knie waren geschützt. Breite Stoffstreifen waren mehrmals darumgewickelt, die oberhalb und unterhalb des Knies mit Bindfaden befestigt waren.

In dieser sonderbaren Aufmachung schritten die drei Knaben, stolz erhobenen Hauptes, nach den Klängen des Grammophons um den abgesteckten Kampfplatz zweimal herum. Dann krochen sie unter den Seilen in das Innere des Kampfplatzes.

Während sich Walter und Paul gegenüberstellten und die Arme verschränkten, winkte Fritz, der den Ringrichter darstellte, eines der Mädchen heran, das ihm einen Henkelkorb reichte. Er stellte den Korb neben sich, wühlte darin herum und fand nach längerem Kramen das Gesuchte: eine Trillerpfeife. Darauf legte er über eins der Seile zwei Servietten und stellte eine Flasche zu seinen Füßen nieder.

»Klingeln«, schrie Fritz Herrn Hupfer zu.

Der klingelte lange.

»Meine geehrten Herrschaften«, rief Fritz, »sogleich beginnt der große Boxkampf zwischen den berühmtesten Boxern der Welt! Sie sehen hier –« er wies auf Walter – »den großen Boxer Schmeling, und hier« – er wies auf Paul – »den kraftvollen Boxer Paolino. Die beiden werden jetzt miteinander kämpfen. Ich, als Ringrichter werde entscheiden, wer k. o. ist. Wertes Publikum, Sie sollen die Boxer durch Beifallsäußerungen anfeuern, damit es ein harter Kampf wird.«

»Ach Gott, wenn die Jungen nur keine Dummheiten machen!« sagte Frau Niepel.

Herr Hupfer, der auf der dritten Bank Platz genommen hatte, erhob sich und trat in die Nähe des abgesteckten Kampfplatzes.

»Und nun, meine Herrschaften«, rief Fritz erneut, »gebe ich mit der Pfeife das Zeichen zur ersten Runde.«

Ein schriller Pfiff ertönte. Paul und Walter rannten aufeinander zu, hoben die gut gepolsterten Fäuste und schlugen aufeinander ein. Fritz schaute den beiden Kämpfenden mit Kennermiene zu.

»Du mußt nicht so frech hauen«, rief Walter plötzlich und versuchte Paul von hinten zu überfallen.

Ein Pfiff. »Von hinten darfst du nicht kommen. – Meine Herrschaften, die erste Runde ist beendet. Walter hat einen Punkt.«

Fritz warf die Pfeife zu Boden, nahm dann in jede Hand eine Serviette und schwenkte sie vor den beiden Brüdern hin und her.

»Braucht einer Stärkung?« erscholl wieder die Stimme Fritzens.

Herr Niepel und der Oberförster lachten. »Ihr Donnerwetterjungens, der Schmeling kann es nicht besser machen. Nun aber feste los, tüchtig Schläge austeilen.«

Fritz pfiff erneut. »Meine Herrschaften, die zweite Runde beginnt.«

Diesmal schlugen die Knaben schon heftiger aufeinander los, einmal bekam sogar Fritz einen Schlag vor den Kopf.

»Du, Dussel, ich bin doch der Ringrichter!« schrie er und versetzte Walter einen Stoß in die Seite, daß dieser auf die Erde flog.

»Hallo«, rief Oberförster Gregor lachend, »Herr Ringrichter, der Nierenschlag ist verboten!«

Schon hockte Paul neben Walter auf dem Boden und bearbeitete ihn mit seinen Boxhandschuhen.

»Eins – zwei – drei –« zählte Fritz. Er wurde im Zählen immer schneller und hastete die Zahlen sieben, acht, neun, zehn immer schneller herunter. »Aus –, die zweite Runde ist zu Ende!« Damit riß er Paul von dem noch immer am Boden liegenden Walter los.

»Schade, nun ist der Kampf schon beendet. Er war so schön«, lachte Herr Niepel.

»Kein Gedanke! Jetzt kommt doch die dritte Runde«, rief Fritz, »der Kampf ist noch unentschieden. – Gleich geht es wieder los!«

Da war Walter auf Paul eingedrungen, warf den Überraschten auf den Boden und versetzte ihm mit den Boxhandschuhen kräftige Schläge auf den Rücken. Aber Paul machte sich durch einen Purzelbaum frei, und nun gab es einen sehr erregten Kampf. Die Gemüter der Knaben erhitzten sich mehr und mehr. Bald lag Walter, bald Paul auf dem Boden, und Fritz feuerte die Kämpfenden mit dem Ruf an:

»Hau ihn, hau ihn feste!«

Paul war der Überlegene. »Warte nur«, schrie er wütend, »jetzt lande ich einen Kinnhaken!«

Da warf sich Walter mit der ganzen Wucht seines Körpers gegen den Angreifer, und Paul kollerte aus dem abgesteckten Kampfplatz heraus. Walter eilte ihm nach und stieß in seiner Erregung nach ihm. Paul raffte sich auf und eilte davon.

»Holla, Jungens, hübsch zurück in den Kampfring!«

Keuchend kehrten die beiden Meisterboxer zurück. »Das sage ich dir, den Kinnhaken kriegst du doch noch!«

Und plötzlich begann Walters Nase zu bluten. Da klingelte Herr Hupfer.

»Es ist genug!«

Walter blutete heftig aus der Nase. Da kam Pucki herbeigelaufen, ein Taschentuch in den Händen.

»Komm, Walterchen, ich wische dir alles ab. – Ach, du armer, lieber Junge. Hat es sehr weh getan?«

»Laß, Pucki«, sagte Herr Hupfer, »ich gehe mit Walter ins Haus.«

Währenddessen hatte sich Fritz an die Flasche gemacht, nahm sie auf, setzte sie an den Mund und trank voller Behagen das Himbeerwasser, das eigentlich für die beiden Kämpfenden zur Stärkung bestimmt gewesen war.

Währenddessen tröstete Herr Hupfer seinen Zögling. Dessen Nase schwoll ein wenig an.

»Einen Kinnhaken kriegt der Paul doch noch«, sagte Walter, »ich werde ihn schon mal k. o. schlagen.«

»Laßt nur das Boxen sein, Jungens, davon versteht ihr noch nichts.«

»O doch, wir haben viel geübt. Wir haben Ihr ganzes Buch durchstudiert.«

»Jawohl, das habe ich gemerkt. Das Buch habt ihr mir aus dem Zimmer genommen und im Walde liegen lassen. In Zukunft bekommt ihr es nicht wieder.«

»Ach, Herr Hupfer, wir müssen noch viel mehr vom Boxen lernen, denn den Kinnhaken muß ich noch landen, eher habe ich keine Ruhe.«

Auf dem Sportplatz machte Frau Niepel ein sorgenvolles Gesicht. »Es wäre doch gar zu sonderbar gewesen, wenn eine unserer Veranstaltungen ohne Zwischenfall zu Ende geführt worden wäre. Jetzt will ich einmal nach Walter sehen.«

»Aber forsche Jungens sind es doch«, meinte der Oberförster. »Seien Sie ganz ruhig, liebe Frau Niepel, aus den dreien werden mal tüchtige Männer. Sie müssen sich in der Jugend mal die Nase blutig schlagen, sonst wird nichts Rechtes aus ihnen.«

Pucki stand neben dem großen Claus. »Es war sehr schön«, sagte sie. »Besonders gut hat mir das Boxen gefallen. Da wäre ich gern dabei gewesen. – Jetzt lerne ich auch das Boxen.«

»Nein, Pucki, das ist nichts für Mädchen. Das würde mir gar nicht gefallen, Pucki.«

»Soll ich's lieber nicht lernen?« fragte sie treuherzig.

»Nein – ich möchte, daß du ein liebes und sanftes Mädchen wirst.«

»Ach nein, großer Claus«, lachte das Kind, »ich bin doch der kleine Puck, der wird niemals brav!«

»Das ist sehr schlimm! Da sind wohl schon sehr viele schwarze Bohnen im Himmelskästchen?«

»Leider ja«, kam es seufzend über Puckis Lippen.

»Könntest du mir zu Liebe nicht einmal versuchen, ein wenig artiger zu sein?«

»Ach, großer Claus, ich versuche es so oft.« Dabei drückte sie dem großen Freunde kräftig die Hand.


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