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Das Himmelskästchen

Die drei Kinder des Försters hatten die Masern glücklich überstanden. Die großen Ferien waren angebrochen, und Pucki freute sich, daß sie so viel freie Zeit gehabt hatte, während ihre Schulfreundinnen lernen mußten. Sie hörte freilich mit sichtlichem Unbehagen, daß die Mutter während der Ferien hin und wieder Thusnelda ins Forsthaus rufen wollte, damit sie mit Pucki alle die Aufgaben durchging, die während Puckis Krankheit in der Schule durchgenommen worden waren. Aber mit Thusnelda lernte es sich wahrscheinlich viel besser als mit Fräulein Caspari. Sie brauchte dann nicht stille zu sitzen und nicht so gut aufzupassen.

Nun war Rose Scheele zum dritten Male ins Forsthaus Birkenhain gekommen. Das zehnjährige Mädchen sah auch dieses Mal wieder recht blaß aus, denn in der Großstadt war die Wohnung klein und dunkel.

»Du wirst schon wieder frisch und gesund werden«, sagte Pucki beim Empfang und umarmte die geliebte Freundin ein um das andere Mal.

»Mein lieber, lieber Wald, die lieben Vögel und alle ihr lieben Menschen, ich habe es vor Freude kaum aushalten können!«

Pucki kam sogleich mit dem Poesiealbum angelaufen. »Sieh mal, Rose, das hat mir der große Claus geschenkt. Darin stehen alle meine Freundinnen mit Versen und Bildern. Du wirst staunen, wie viele Freundinnen ich habe. Und jetzt mußt du auch einschreiben. – Sieh mal, der Harras hat auch eingeschrieben.«

Rose lachte. »Der Harras kann doch nicht schreiben.«

»O doch! – Ich habe ihn an der Pfote gehalten, dann hat er einen Bleistift bekommen. Sieh mal, das hat er geschrieben.«

Rose Scheele las die undeutlich gekritzelten Worte: »Ich bin dein bester Freund.« Die schmutzige Pfote des Hundes machte sich auf dem Blatt deutlich bemerkbar.

Pucki schlug das Blatt um. »Gleich hinterher hat der Fritz Lange, weißt du, der freche Bengel mit dem großen Ritz auf der Stirn, eingeschrieben: Ich bin dein allerbester Freund.«

Rose blätterte weiter. Da standen viele Verse von den Schulkameradinnen, es fehlten aber auch Minna und die Oberförsterin nicht. Dann kam der Schmanzbauer und die Schmanzbäuerin; sogar deren Sohn Michael, der zur See fuhr, hatte einen Spruch eingeschrieben.

»Und hier steht die Ida auf dem allerletzten Blatt. Guck mal, was sie geschrieben hat.

Wer dich lieber hat als ich,
Der schreibe sich noch hinter mich.«

»Aber hier hinten auf dem Einbanddeckel steht ja noch eine. ›Ich habe Dich doch noch lieber‹, hat sie geschrieben.«

»Ach, das ist die Meta, die können wir alle nicht leiden. Die wollte mich nur ärgern. Und nun mußt du auch einschreiben, Rose. In das Buch der Freundschaft gehörst du doch zuerst.«

Schon am nächsten Tage schrieb Rose Scheele das folgende Verslein hinein:

»Ich bin Deine Freundin, so schreib' heute ich ein,
Ach, könnt' ich fürs Leben Dir stets Freundin sein.«

Pucki las den Vers mit Begeisterung. »Natürlich bist du fürs ganze Leben meine Freundin, so wie Erika die Freundin meiner Mutti fürs ganze Leben ist. Du kommst immer zu uns, dann werden wir zusammen groß, und wenn wir heiraten, ziehen wir auch zusammen, und unsere Kinder sind wieder Freunde.«

Rose hatte so viel zu fragen. Sie wollte wissen, wie es dem Schmanzbauern und seiner Frau ginge. Sie hatte die beiden Leute bei ihrem Aufenthalt im Sandlerschen Hause von Herzen liebgewonnen.

»Weißt du, was wir heute machen?« sagte sie. »Wir holen uns aus dem Wald grüne Zweige, dann machen wir einen Kranz mit Blumen, gehen zum Kirchhof und legen ihn der guten Großmutter, der ich vorlesen durfte, aufs Grab. Ich kann nämlich einen Kranz flechten.«

»Was du alles kannst«, staunte das Försterkind. »Meiner Mutti hast du so einen schönen Teller aus bunten Perlen mitgebracht, und dem Vati hast du aus kleinen Lederstückchen einen Tabaksbeutel zusammengenäht.«

»Deiner Mutti mache ich noch eine kleine Kommode für Knöpfe und deinem Schwesterchen aus Streichholzschachteln allerlei Möbel für die Puppenstube. Die sind fein.«

»Kannst du das auch?«

»Und dann mache ich noch einen Hampelmann –«

»So einen, der mit den Beinen zappelt, wenn man am Faden zieht?«

»Ja, so einen.«

»Bist du aber klug«, sagte Pucki bewundernd. »Was kannst du denn noch, Rose?«

»Aus einem großen Blatt kann ich einen Puppenhut machen und eine Girlande aus grünen Blättern – –«

»Hahaha«, lachte das Försterkind, »das kann ich schon lange, das haben wir schon oft gemacht. – Na, und was kannste noch?«

»Stricken.«

»Puh – das ist eklig! Nun komm aber rasch, wir wollen grüne Zweige holen. Wir gehen zu den großen Büschen, die sind gar nicht weit, da bekommen wir schöne Zweige.«

Noch am selben Tag band Rose Scheele einen Kranz aus Tannengrün. Frau Sandler erlaubte gern, daß die Kinder aus dem Garten Blumen abschnitten, um sie in den Kranz zu flechten.

»Es ist sehr lieb von dir, Rose, daß du an die Schmanzgroßmutter denkst. Du hast ihr so manche frohe Stunde bereitet – –«

»Ich auch, Mutti! Als ich ihr vorgelesen habe, ist sie in den Himmel gegangen. Sie hat sich auch über mich gefreut.«

»Du hast aber niemals daran gedacht, der guten Schmanzgroßmutter ein paar Blümchen aufs Grab zu legen.«

»Das mache ich heute, Mutti. Ach, ich weiß schon, ich werde sie sehr erfreuen. Sie hört es ja nicht mehr, sonst würde ich ihr gern eine Geschichte vorlesen.«

»Aber sie schaut vom Himmel auf euch nieder und freut sich, wenn kleine Mädchen zu ihr kommen.«

Der Kranz, den Rose geflochten hatte, war recht nett geworden. Sie hatte sich große Mühe bei der Arbeit gegeben. Pucki trug einen großen Strauß Gartenblumen in den Händen. Die Kinder wanderten in Begleitung der Mutter nach dem Rahnsburger Kirchhof. Auch Frau Sandler hatte Blumen mit, um einige Gräber lieber Bekannter zu schmücken.

Nun standen die Kinder am Grabe der Schmanzgroßmutter. Frau Sandler war weitergegangen, sie ließ die beiden Mädchen allein zurück. Rose faltete andächtig die Hände und sprach halblaut ein Gebet. Dann schloß sie mit den Worten:

»Ich danke dir, liebe Schmanzgroßmutter, daß du immer so gut zu mir gewesen bist. Ich war doch ein ganz fremdes Kind, doch du hast mich immer liebgehabt. Nun bringe ich dir heute einen Kranz, den ich selber gewunden habe.«

»Ob sie das hört?« fragte Pucki flüsternd.

Behutsam legte Rose den Kranz auf dem Hügel nieder. »Sie hört es und sieht uns auch.«

»Schmanzgroßmutter, siehst du auch meine Blumen? Wenn die Schmanzgroßmutter noch lebte, würde sie auch einen Vers in mein Poesiealbum geschrieben haben.«

Pucki schaute unverwandt auf die ältere Freundin. Rose stand noch immer mit gefalteten Händen am Hügel. Da legte auch sie die Händchen ineinander und sagte leise:

»Lieber Gott, laß es der Schmanzgroßmutter auch im Himmel recht gut gehen. Großmutter, wir werden bald wiederkommen.«

»Freilich, Pucki, man soll die Leute, die gestorben sind und die wir lieb hatten, nicht vergessen, auch wenn sie in der Erde liegen. Wir gehen auch immer an Vaters Grab und bringen ihm Blumen.«

»Nun wollen wir heimgehen«, sagte Pucki ein wenig ängstlich. Der Gedanke, daß der Vati oder die Mutti einmal in der Erde liegen sollten, war so schrecklich für das Kind, daß es daran nicht denken wollte. Pucki sah sich auf dem Friedhof um, erblickte die Mutti an einem der Gräber, lief auf sie zu, umschlang sie stürmisch und sagte:

»Nicht wahr, Mutti, du stirbst aber nicht? Ich will dich auch nicht wieder ärgern, du sollst kein Herzweh haben. Und wenn ich einmal unartig bin, haust du mich, dann ist dir wieder gut.«

»Aber Pucki, es tut mir doch selber weh, wenn ich dich strafen muß.«

»Dann strafste mich eben nicht mehr«, klang es zurück. »Ich will aber ganz artig sein.«

»Davon merke ich im Augenblick nichts, Pucki, denn schon wieder beißt du an den Nägeln. – Pfui, wie deine Händchen aussehen!«

Hastig zog Pucki die Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über. »So, nu sind die Hände wieder fein, nun sieht es keiner, Mutti.«

»Du bist und bleibst ein übermütiges Mädelchen.«

»Ich bin eben dein lieber Puck.«

Gemeinsam gingen die drei zur Försterei zurück. Unterwegs forschte Pucki bei Rose, was sie noch alles machen könne.

»Man kann aus Streichholzschachteln auch kleine Häuschen machen und aus einer Kiste eine Puppenstube.«

»Ach, das machen wir alles, Rose, das wird fein werden!«

Von nun an wurde im Forsthause geleimt, gehämmert und geschnitzelt. Minna war verzweifelt. Jede Streichholzschachtel verschwand; die Hölzchen lagen auf dem Herd, aber die Schachtel war fort. Jeden vorübergehenden Spaziergänger bestürmte Pucki, ob er nicht eine Streichholzschachtel hätte, denn daraus ließen sich die herrlichsten Sachen herstellen. Es war bereits eine Standuhr für die Puppenstube hergestellt, das waren zwei aufeinandergeklebte Schachtelhüllen mit einer quergestellten Schachtel oben, auf die Rose das Zifferblatt gezeichnet hatte. Die Mutter gab den Draht für die Zeiger her. Ebenso hatten die Kinder einen kleinen Wagen gebastelt. Als Räder wurden Korkscheiben benutzt, die aus Pfropfen geschnitten waren. Auch Pfropfenmänner und Pfropfenfrauen konnte Rose anfertigen, indem sie Streichhölzchen als Arme und Beine in die Pfropfen steckte. Als Kopf klebte sie ein weißes Papierblättchen auf, und Pucki zeichnete freudestrahlend Augen, Nase und Mund mit Rotstift darauf.

Besondere Freude machte dem Försterskinde die Herstellung einer kleinen Kommode, die für die Mutter bestimmt war. Sechs Streichholzschachteln wurden zu je drei übereinander geklebt.

»Es sieht wirklich aus, als wäre es eine Kommode. Nun hat sie sechs kleine Schubladen.«

Ein Bandrest, so breit wie die Streichholzschachteln, wurde um die sechs Schachteln gelegt und an einer Stelle sauber zusammengenäht.

»Deine Mutti kann nun in jedes Schübchen etwas anderes legen, Pucki. In ein Schübchen weiße Hemdenknöpfe, in das zweite Stecknadeln, ins dritte Haken und Ösen und so weiter. Und damit sie weiß, was jedes Schübchen enthält, nähen wir vorn an das Kästchen immer das an, was hineinkommen soll. Wir können die kleine Kommode auch noch schöner machen und die Schübe vorn und hinten mit Papier bekleben und erst dann die Knöpfe und Haken daraufnähen.«

Pucki ging mit Feuereifer an die Arbeit. »Wenn diese Kommode fertig ist, machen wir rasch noch eine für den großen Claus.«

»Ach nein, Pucki, der große Claus kann damit nichts anfangen. Das ist nur etwas für Muttis.«

»Ich möchte aber dem großen Claus was machen. – Weißte nicht was? Soll ich ihm einen Topfhandschuh nähen?«

Rose überlegte. »Einen Topfhandschuh braucht er auch nicht – aber du kannst ihm einen Serviettenring aus bunten Perlen machen. Das ist leicht und was sehr Schönes.«

Pucki wollte sogleich mit der Arbeit beginnen, doch Rose meinte, erst müsse die kleine Kommode für die Mutti fertiggestellt werden. Man dürfe nicht vieles auf einmal anfangen. Trotzdem wurde neben dieser Arbeit, die im geheimen betrieben wurde, noch vielerlei anderes gebastelt. Wenn aus Rahnsburg die Schulfreundinnen von Pucki ins Forsthaus kamen, so bestaunten sie die schönen Dinge, die unter Roses Händen entstanden. Schließlich schleppten die kleinen Mädchen allerlei buntes Papier, Pappe, Draht, Pfropfen und Zigarrenkisten ins Forsthaus. Stundenlang saßen die Kinder nun zusammen und fanden es herrlich, ihr Spielzeug selber herstellen zu können.

Förster Sandler und seine Frau staunten ebenfalls, was Roses geschickte Hände fertigbrachten. Aus Flaschenkorken waren Männer, Frauen und Pferde entstanden, sogar eine Lokomotive stand auf dem Tisch. An Puppenmöbeln waren Stühle, Tische, Schränke und Betten gefertigt worden, alles sauber und ordentlich gearbeitet. Sogar einen ganzen Hühnerhof hatte Rose gebaut. Auf einen Pappdeckel klebte Rose Moos, machte aus Pappe ein Hühnerhaus und umgab alles mit einem Zaun. Die Hühner, gleichfalls aus Pappe gefertigt, erhielten Beine aus Draht, damit sie stehen konnten. Diese selbstgebastelten Spielsachen machten den Kindern die denkbar größte Freude. Von nun an wurde in fast allen Rahnsburger Familien, in denen kleine Mädchen waren, ähnliche Spielsachen gearbeitet.

Pucki, die gewöhnlich nur zusah, wenn andere tätig waren, fand dieses Mal auch Gefallen an der Beschäftigung. Strahlend zeigte sie den Niepelschen Drillingen ihre Kunstwerke. Walter und Fritz bestaunten die Sachen, während Paul vieles daran auszusetzen hatte.

»Wir machen was viel Schöneres!«

»Was macht ihr denn?« forschte Pucki neugierig.

»Das sagen wir nicht. Wenn ihr nächstens zu uns kommt, dann erlebt ihr ganz was Neues. Ihr werdet nämlich bald alle zu uns eingeladen.«

»Was erleben wir denn?« forschte Pucki erregt.

»Wir verraten nichts«, sagte Paul bestimmt. »Na, du wirst die Augen so weit aufreißen, daß du sie nicht mehr zumachen kannst.«

»Werden wir bald eingeladen?«

»Herr Hupfer sagte, es ist noch nicht so weit, aber bald ist es so weit.« Und plötzlich begann Paul laut zu lachen.

»Au, das wird fein!«

Pucki wandte sich an Walter und Fritz. Sie wollte durchaus erkunden, was man in Kürze auf dem Niepelschen Gute erleben werde. Doch die beiden Knaben kniffen listig die Augen zusammen und lachten.

»Großartig wird es!«

Da legte das Försterskind schmeichelnd den Arm um Fritz. »Bin ich deine Freundin? – Bist du mein Freund?«

»Ja, Pucki.«

»Dann sage mir ganz leise, was wir erleben werden.«

Fritz machte sich aus den umschlingenden Armen los und lief davon. Auf Puckis Stirn zeigte sich eine finstere Falte.

»Du oller dummer Junge!« Dann steckte sie den Finger in den Mund und knabberte am Nagel.

Drei Tage später stellte sich Claus Gregor im Forsthause ein. Er begrüßte Rose herzlich, denn auch er mochte das liebe Mädchen sehr gern.

»Dir habe ich etwas mitgebracht, Pucki. Du hast so lange im Bett liegen müssen, jetzt bekommst du etwas zum Andenken an mich.«

»Ich weiß schon – das wolltest du mir damals schon schenken!«

»Jawohl, kleiner Wildfang, nun ist es fertig geworden.«

Pucki wickelte aus dem Papier ein viereckiges Kästchen heraus. Auf den Klappdeckel waren gepreßte Blumen geklebt: Vergißmeinnicht, Männertreu, Löwenmaul und fleißiges Lieschen.

»Die Blumen habe ich für dich gepreßt, kleine Pucki. Wie das fleißige Lieschen sollst du auch immer fleißig sein. Vergessen sollst du mich auch nicht, und das hier –« Claus lachte: »Kennst du diese Blume?«

»Freilich kenne ich sie! Es ist Löwenmaul!«

»Sie soll dich daran erinnern, daß man nicht immer einen großen Mund haben soll, wenn einem etwas nicht paßt.«

»Hahaha, meinste mich?«

Claus lachte abermals.

»Und was ist das hier für 'ne Blume? Ist das nicht Männertreu? Hast du das draufgeklebt, weil du immer mein treuer Freund sein willst?«

»Ja, Pucki.«

»Das ist aber schön. – Was tue ich nun in das Kästchen hinein? – Weißt du, als du mir den Kasten gabst, habe ich gedacht, daß er voll Schokolade ist. – Und nun ist er ganz leer.«

»Nun gefällt er dir nicht?«

»Ach ja – mir gefällt er schon, mir gefällt alles, was du mir schenkst, auch das Poesiealbum. Und wenn du mir mal das Schaukelpferd schenkst, das beim Kaufmann Puche steht, freue ich mich noch viel mehr.«

»Du weißt noch gar nicht, Pucki, daß dieses Kästchen ein Wunderkästchen ist.«

Pucki klappte den Deckel mehrmals auf und zu, schüttelte dann das Kästchen und sagte: »Er ist ja noch immer leer. – Was ist das für ein Wunderkasten, großer Claus?«

»Solch ein Kästchen habe ich bei einem kleinen lieben Mädchen gesehen, das in demselben Haus wohnt, in dem ich wohne. Die kleine Grete war immer recht unartig, niemand mochte sie leiden. Da hat sie eines Tages solch ein Kästchen bekommen. Die Mutter schenkte ihr dazu noch ein Säckchen mit schwarzen Bohnen, und jedesmal, wenn das kleine Mädchen etwas Häßliches getan hatte, legte die Mutter eine schwarze Bohne hinein. An jedem Sonntag hat sie dann die Bohnen gezählt und dem Kinde gezeigt, wie oft es häßlich gewesen war. Die kleine Grete war darüber recht traurig und nahm sich vor, sich zu bessern. So sind immer weniger schwarze Bohnen in das Kästchen gekommen, und jetzt geschieht es nur noch selten, daß die Mutter eine Bohne hineintun muß. – Nun hat die Mutter gesagt, daß sie für jede gute Tat eine weiße Bohne in das Kästchen legen will. Die kleine Grete kommt oft zu mir und zeigt mir, wieviel weiße Bohnen in dem Kästchen liegen. Das freut mich natürlich, darum nenne ich das Kästchen ein Wunderkästchen, weil aus der bösen Gretel ein gutes Gretel wurde.«

»Hast du die Gretel nun sehr lieb, weil sie so gut ist?«

»Ja, Pucki, liebe Kinder habe ich immer gern.«

»Hast du sie noch lieber als mich?«

»Wie wäre es, Pucki, wenn du auch jedesmal eine schwarze Bohne in das Kästchen legen wolltest, sobald du einen schlimmen Streich machst?«

»Guckst du dann nach, wie viele schwarze Bohnen in dem Kasten sind?«

»Jawohl. – Wenn ich zu Weihnachten wieder auf Ferien komme, sehe ich nach.«

»Wenn nun aber die schwarzen Bohnen alle gar nicht in den Kasten gehen?«

»Oho, solch unartiges Mädchen wirst du doch nicht sein, daß du bis Weihnachten hundert schlimme Streiche ausführen wirst.«

Rose Scheele, die bisher schweigend dabeigesessen hatte, sagte plötzlich: »Das ist kein Wunderkästchen, das ist ein Himmelskästchen.«

Claus und Pucki blickten Rose fragend an.

»Das ist wie beim lieben Gott«, fuhr sie fort. »Der hat viele große Schalen, für jeden Menschen eine. In diese Schale wirft er jedesmal, wenn ein Mensch was Schlimmes tut, eine schwarze Kugel. Wenn der Mensch dann wieder was Gutes tut, wirft er eine weiße Kugel dazu. Das macht er so lange, bis der Mensch tot ist. Wenn der Mensch dann an die Himmelstür kommt und fragt, holt der liebe Gott sich viele kleine Englein herbei und sagt: ›Nun rasch, zählt mal die Kugeln!‹ Sind dann mehr schwarze Kugeln als weiße, dann schlägt der liebe Gott die Himmelstür zu und sagt: ›Hübsch draußen bleiben, lieber Mann.‹ Sind aber mehr weiße Kugeln, dann darf er in den Himmel kommen.«

»Darf er auch hinein, wenn nur eine weiße Kugel mehr drin ist als schwarze?« fragte Pucki gespannt.

»Ja«, sagte Rose. »Dann muß er aber ganz vorne bleiben und darf nicht in den schönen Himmel, in dem die Englein umherfliegen.«

Nachdenklich blickte Pucki auf das Kästchen. »Vielleicht ist es gut so. – Man weiß dann, wie oft man böse gewesen ist. Ich werde auch immer schwarze Bohnen in das Kästchen tun, und dann nehme ich noch ein anderes Kästchen, in das lege ich die weißen Bohnen. Wenn du dann wiederkommst, großer Claus, zählen wir. Wenn zu viele schwarze Bohnen in meinem Himmelskästchen sind, will ich schnell recht viel Gutes tun.«

»Ich hoffe, daß du recht oft an das Kästchen denkst, wenn du einen schlimmen Streich ausführen willst.«

Das kleine Mädchen seufzte. »Ach, wenn ich immer artig sein soll, macht das keinen Spaß. Manchmal merkt man ja, daß man unartig war. Das ist eben der Puck, der in mir sitzt, und dafür kann ich nicht.«

»Nun, ich denke, du wirst dich recht oft an das Himmelskästchen erinnern.«

»Ja, großer Claus, aber die Gretel darf nicht so viele weiße Bohnen haben, das mag ich nicht leiden. Die Gretel wird auch ungezogen sein, du weißt es nur nicht.«

Minna gab bereitwillig weiße und schwarze Bohnen heraus. Es war nur fraglich, ob Pucki die schlechten und guten Taten selbst erkennen würde. Schon am Abend kam die erste schwarze Bohne in das Kästchen. Waltraut hatte sich einige Puppenstubenmöbel zum Spielen geholt. Als Pucki das sah, nahm sie sie ihr fort und zerbrach absichtlich einen kleinen Stuhl.

»Du«, sagte Rose ernst, »das war aber häßlich von dir.«

»Ach ja«, seufzte Pucki gedrückt, nahm schweren Herzens aus dem Säckchen eine schwarze Bohne und legte sie mit traurigem Gesicht in das Himmelskästchen.


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