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Pechsträhne und Versöhnung

Klein-Goldköpfchen hatte auf der Insel seinen Platz mit dem Freitags vertauscht. Es saß in der oberen Kiste und ließ die Beine nach unten hängen. Das frische Gesichtchen des Kindes war kummervoll. Der Opa hatte ihr Vorwürfe gemacht, die Oma zürnte sogar, das bedrückte das Kinderherz. Es mußte etwas geschehen, um die geliebten Großeltern wieder zu versöhnen.

»Hier oben kann ich viel besser nachdenken«, hatte das Lama zu Robinson gesagt, »und ich muß furchtbar nachdenken, was ich tun soll.«

Freitag, der den Kummer des Lamas sah, war durch die Fliederhecke gekrochen und heimgelaufen. Der Weg war ja nicht weit. Er hatte nicht eher geruht, als bis ihm seine Großmutter eine große Schüssel voll gelber Pflaumen mitgab. Nun stand diese Schüssel neben der Feuerstelle auf der Insel, und Freitag warf hin und wieder dem tiefbekümmerten Lama Fütterung zu. Aber auch das wollte heute nichts nützen. Klein-Goldköpfchen baumelte immer heftiger mit den Beinen, und als sich Robinson von seinem Lager erhob, als er sich gleichfalls in seine Kiste setzte, erhielt er plötzlich von den baumelnden Beinen Ernas einen heftigen Schlag gegen Stirn und Auge, so daß er laut aufschrie.

»Was ist denn los?«

Robinson hielt die Hand an die schmerzende Stelle. Klein-Goldköpfchen kam herunter und sah das Unheil. Das Kind hatte dabei wohl zu rasch seine Behausung verlassen, so polterte die obere Kiste hinter ihm her und fiel auf die Feuerstelle. Lautes Klirren war zu hören, – die gute Glasschüssel mit den gelben Pflaumen war zerbrochen.

»Verflixt!« sagte Freitag und kraute sich den Kopf, »die Großmutter wollte mir die Glasschüssel nicht geben, sondern eine Emailleschüssel. Da hab' ich ihr gesagt: Laß nur, wir sind vorsichtig!«

»Ich glaube, du hast mir das Auge ausgeschlagen«, grollte Robinson.

»Ich renn' ganz schnell zu Onkel Kuno und hol' dir was. Es gibt was, um eine Beule wieder klein zu machen. Man legt was Kühles auf, dann brennt es nicht mehr so sehr.« Schon jagte Klein-Goldköpfchen durch den Garten, vorüber an Adrian, und stürmte durch die Hintertür in die Apotheke zu Onkel Kuno.

Hastig wurde Bericht erstattet.

»Gib mir ganz schnell was, Onkel Kuno, sonst kriegt er auf dem Auge 'ne Beule. Ich hab' ihn kräftig gebumst!«

»Euer wildes Spielen gefällt mir schon lange nicht«, sagte der junge Apotheker, »schick mir den Lothar einmal her.«

Klein-Goldköpfchen breitete beide Arme weit aus, um sie dem Onkel um den Hals zu legen. Der machte im selben Augenblick eine Bewegung nach rechts. Wieder lautes Klirren, Erna hatte mehrere kleine Fläschchen, die auf dem Ladentisch standen, heruntergeworfen.

»Oh – – oh – –« rief sie erschrocken, »was ist heute nur los? – Alles geht kaputt!«

»Mach, daß du hinauskommst, du Irrwisch«, schalt Onkel Kuno. Drei kleine Flaschen mit fertiggestellter Medizin lagen zerbrochen auf der Erde. Als dann Klein-Goldköpfchen den Onkel flehend anschaute, rief er nochmals mit Donnerstimme: »Rrrrraus!«

Das Kind eilte davon. Dem Robinson mußte geholfen werden. Wenn Onkel Kuno nichts für die Beule gab, würde es der Opa tun. Also im Eilschritt die Treppe hinauf. Oben stand Rosine, das Hausmädchen.

»Wo ist der Opa?«

»Unten in der Garage!«

Klein-Goldköpfchen setzte sich auf das Treppengeländer und rutschte hinab. Unten stand der Kinderwagen von Tante Karla. Als das Kind, das nicht mehr bremsen konnte, vom Geländer seitwärts absprang, stieß es den schönen Wagen um. Lautes Poltern war zu hören. Karla, das Söhnchen auf dem Arm tragend, trat aus der Küche, sah die Bescherung, und sogleich ergossen sich heftige Scheltworte über Klein-Goldköpfchen. Karla wurde noch ärgerlicher, als sie bemerkte, daß sich die Fahrstange des Wagens verbogen hatte.

»Mußt du immer so wild sein, Erna? – Siehst du nicht, daß hier der Wagen steht?«

»Ich hab' es wirklich nicht gesehen, Tante Karla, – ich kam doch wie ein Blitz heruntergerutscht.«

»Du sollst überhaupt nicht auf dem Treppengeländer herunterrutschen.«

»Ach, Tante Karla«, seufzte Klein-Goldköpfchen, »heute ist alles furchtbar schlimm, alles geht kaputt! – Ach, ich bin schon so unglücklich.«

»Unartig bist du, weiter nichts. Das wilde Spielen mit den vier Knaben tut dir gar nicht gut. Du bist anfangs, als du hier warst, viel artiger gewesen.«

»Tantchen, – du hast einen so niedlichen Jungen, der fürchtet sich doch, wenn du so laut redest. Sieh mal, Tantchen, ich bin doch jetzt ein Lama.«

»Nein, du bist und bleibst die kleine Erna Wendelin.«

»Aber ich bin doch in den Ferien. – Weißt du, wenn man nicht in den Ferien ist, muß man artig sein, aber wenn man in den Ferien ist – da ist man – –« Klein-Goldköpfchen lachte schelmisch, »das hat mein Vati mal gesagt, in den Ferien ist man wie ein losgelassener Affe. Und ich bin ein losgelassenes Lama. Da kann man ein bißchen unnütz sein.«

»Du hast immer eine Ausrede.«

»Biste nun wieder gut?«

»Nein, erst wenn du mir beweisen kannst, daß du nicht mehr unnütz sein willst.«

»Zu Hause bin ich das artigste Kind der Welt, da paß ich auf meine Brüder und Schwestern auf. Aber jede Frau ist doch von ihrer Arbeit angestrengt und muß sich mal erholen. Und ich erhole mich hier, wenn ich das Lama bin.«

»Schon gut, Jungfer Unnütz!«

»Ach so, ich will ja den Opa suchen. Der Robinson kriegt 'ne Beule.« Klein-Goldköpfchen eilte davon, fand aber den Opa nicht. Adrian sagte, Herr Wagner sei fortgegangen. So mußte sie rasch zurück zur Insel, um Robinson nach der Apotheke zu schicken.

Aber Robinson war schon fort. Er hatte es vorgezogen, seine Mutter aufzusuchen und sich von ihr Stirn und Auge kühlen zu lassen. Freitag hatte inzwischen die schönen gelben Pflaumen aufgegessen, sich dann aber, beim Zusammenraffen der Scherben, ziemlich kräftig in den Finger geschnitten. Mit einem unglaublich unsauberen Taschentuch versuchte er das rinnende Blut zu stillen.

»Es ist schrecklich«, rief Klein-Goldköpfchen verzweifelt, »heute will gar nichts glücken! Mit so 'nem dreckigen Taschentuch darfst du nicht an den schlimmen Finger. Das weiß ich von meinem Bruder Stefan. Der hat es auch mal so gemacht, da ist der Väti gekommen und hat ihn ausgescholten.«

»Ich hab' doch kein anderes Taschentuch!«

»Ich gebe dir meins.«

Aber Klein-Goldköpfchen stellte fest, daß das eigene Taschentuch auch nicht viel besser aussah. Sie hatte vorhin damit die Kiste des Freitag ausgewischt, die ihr zum Sitzplatz dienen sollte. Da Freitag in seiner Kiste allerlei Krimskrams angehäuft hatte, war der Boden nicht gerade sauber zu nennen.

»Warte, ich nehme meinen weißen Strumpf.«

Der Strumpf wurde ausgezogen, um den Finger Freitags gewickelt, doch sehr rasch zeigte auch er rote Flecken. Klein-Goldköpfchen meinte, es werde bald besser werden.

»Lieber Herr«, sagte sie mit dunkler Stimme, den Vater nachahmend, »die Wunde ist nicht lebensgefährlich. Es ist eine Zerreißung Ihrer Ader, darum blutet es so sehr. Es kann natürlich alles Blut nicht aus Ihrem Körper hinaus, weil das Herz neues nachpumpt.«

Da kam Onkel Kuno angegangen. Er wollte nachsehen, warum der verbeulte Robinson nicht bei ihm erschien.

»Der ist schon weg«, sagte Erik, »er läßt sich von Mutter verbinden.«

»Und was hast du da?«

»Es blutet halt.«

»So komm mit mir. Da werde ich dich verpflastern. Ihr seid fürchterliche Rangen. Es wird ein Glück sein, wenn die Schule wieder anfängt und die ganze Robinsoninsel fort ist.«

Während sich Onkel Kuno mit Erik entfernte, horchte Klein-Goldköpfchen erschreckt hinüber nach den Zelten der feindlichen Stämme. Von dorther kam heftiges Schreien und Weinen. Sie eilte hinüber. Die beiden Häuptlinge hatten sich wieder einmal in den Haaren. Das aus Tüchern hergestellte Zelt war zum Teil heruntergerissen, das eine Tuch, das am Stamme des Baumes befestigt worden war, wies mehrere Löcher auf. Moritz heulte, und selbst Klein-Goldköpfchen vermochte nicht, die Streitenden zu besänftigen. Wutentbrannt zogen die beiden Knaben schließlich ab. Allein und verlassen stand Erna im Garten.

»Es ist schlimm«, sagte sie immer wieder. »Was ist heute nur los?«

Während sie noch klagte, sah sie im Gemüsegarten Rosine, die Petersilie holte. Da schlich Klein-Goldköpfchen hinüber, tippte das treue Hausmädchen in den Rücken und klagte leise:

»Ach, Rosine, immer ein Unglück kommt nach dem anderen. Jetzt sind alle böse! Jetzt mag mich keiner mehr leiden, und ich bin doch eigentlich artig.«

»Was hast du denn schon wieder angestellt?«

Die kleine Erna berichtete von ihrem Unglück. »Alles geht schief und krumm, Rosine. – Was mache ich nur!«

»Ja ja, du scheinst heute wirklich in einer Pechsträhne zu sein.«

»In was?«

»In einer Pechsträhne.«

»Was ist denn das?«

»Du hast heute kein Glück, was du anfängst, geht dir schief aus.«

»Ist das eine Pechsträhne?«

»Ja, so sagt man.«

»Warum sagt man so?«

»Wahrscheinlich kommt diese Redensart von dem Märchen her. Da war doch die Tochter des Zauberers, die schöne Nachtigalla.«

»Ach, Rosine, erzähle doch!«

»Ich hab' jetzt keine Zeit, ich muß in die Küche.«

»Ich komme mit, Rosine, ich helf' dir in der Küche. Du weißt doch, ich kann schon allerlei kochen.«

»Wenn du heute in der Pechsträhne bist, wird die Sache gefährlich.«

»Dann sitze ich eben ganz artig neben dir, und du erzählst mir von der Pechsträhne.«

»Das kann ich tun.«

Rosine hatte die Petersilie abgepflückt, Klein-Goldköpfchen trug sie nach der Küche, zog einen Schemel herbei, und während Rosine ihrer Arbeit nachging, bat das Kind erneut:

»Jetzt erzähle mir von der Pechsträhne.«

»Es lebte einmal ein Zauberer, der eine wunderschöne Tochter hatte, die er Nachtigalla nannte, weil sie sehr schön sang. Diese Tochter hatte pechrabenschwarzes Haar, das war so lang, daß es bis zur Erde reichte. Auf dieses Haar war Nachtigalla sehr stolz.«

»Ich habe goldene Haare, Rosine, darum heiße ich Klein-Goldköpfchen. Und meine Mutti hat auch goldene Haare, sie heißt nur Goldköpfchen.«

»Nachtigalla hatte also pechschwarze Haare, doch war ein Zauber in ihren Haaren. Jeder, der eine Haarsträhne von ihr bekommen hatte, zu dem kam das Glück. So wollte natürlich jeder eine Strähne von ihrem pechschwarzen Haare haben.«

»Das war dann die Pechsträhne?«

»Nein, das war eine Glücksträhne, denn das Haar brachte Glück. So hatte es der Zauberer eingerichtet. – Natürlich wollte nun jeder, der mit Nachtigalla in Berührung kam, eine Strähne ihres Haares haben, aber sie hütete ihre Haare sehr und schenkte nur ganz selten eine Strähne fort. Da beschlossen die jungen Burschen eines Dorfes, Nachtigalla ihrer Haare zu berauben. Sie schlichen ganz heimlich in das Haus des Zauberers, doch der sah die Burschen und verzauberte sie in Bäume. So wurde um das Haus des Zauberers nach und nach ein riesengroßer Wald, und niemand wagte es mehr, Nachtigallas Haare zu stehlen.«

»Aber wo ist denn die Pechsträhne?«

»Warte doch ab, kleine Ungeduld«, sagte Rosine, »das Märchen ist noch lange nicht zu Ende.«

»Na, dann ist es gut. – Mach es mal recht lang.«

»Natürlich waren die Leute in der ganzen Gegend sehr traurig, daß so viele junge Burschen verzaubert waren. Trotzdem gab es immer noch mutige Leute, die durchaus Nachtigallas Haar haben wollten. Eines Tages kam ein Spielmann in den Ort, der hörte auch von dem Zauber, der in Nachtigallas Haar wohnte. Er meinte, er könne den Leuten helfen, er wisse Rat.«

»Du, – was hat er denn gemacht?«

»Er ging zu dem Besitzer einer Weinhandlung und sagte ihm, er werde ihm das Haar der schönen Nachtigalla bringen, wenn er dafür fünfzig Flaschen seines besten Weines bekäme. Der Besitzer war sogleich einverstanden und schenkte dem Spielmann fünfzig Flaschen seines besten Weines. In einer Nacht begaben sich zwanzig mutige Männer wieder nach dem Hause des Zauberers und trugen die Weinflaschen. Der Spielmann führte den Zug an. Alle kamen bis an den Brunnen, aus dem der Zauberer und seine Tochter das Trinkwasser schöpften. Der Spielmann ließ das Wasser ab und füllte statt dessen den Wein hinein. Dann schlichen alle wieder fort. Am anderen Morgen kamen der Zauberer und seine Tochter zum Brunnen. Ei, wie schmeckte heute das Wasser gut!«

»Du, – Rosine, – ich hab' auch mal süßen Wein getrunken, – unten im Keller. Dann bin ich eingeschlafen.«

»Genau so erging es dem Zauberer und dessen Tochter. Sie wurden furchtbar müde, legten sich vor ihr Haus in die Sonne, und bald schnarchten sie so laut, daß man es weithin hören konnte.«

»Sie haben so fest geschlafen wie ich im Keller.«

»Der Spielmann und die Burschen des Dorfes vernahmen das Schnarchen. Sie schlichen heran, und nun schnitt jeder eine dicke schwarze Haarsträhne von Nachtigallas Haar ab. Wie freuten sich alle, daß sie nun vom Glück begleitet sein würden, denn das Haar sollte ihnen Glück bringen.«

»Na, wenn der Zauberer die Jungen erwischt hätte, denen wäre es aber schlecht gegangen!«

»Freudestrahlend kehrten die jungen Leute in ihren Ort zurück. Am nächsten Tage erwachte der Zauberer, sah seine Tochter, der das lange Haar fehlte, weckte Nachtigalla, und dann schalt er so laut, daß es in der Umgegend wie Donnergrollen klang. Er wollte furchtbare Rache an den Dieben nehmen. Er ging in die Küche seines Hauses, kochte in einem großen schwarzen Kessel eine dicke Tunke, hing sich den Kessel um den Hals und flog damit hoch in die Lüfte.«

»Hu, das ist aber schaurig!«

»In der Nacht goß der Zauberer nun aus diesem Kessel die schwarze Flüssigkeit in die Straßen der Ortschaft, aus der die Diebe gekommen waren. Und als das schwarze Pech auf den Wegen lag, sah es aus, als ob dort schwarze Haare lägen. Das wollte der Zauberer so. Er fuhr wieder durch die Luft davon und wartete auf seine Rache.«

»Hu, Rosine, mir gruselt schon!«

»Als die Bewohner der Ortschaft am nächsten Morgen aus den Häusern traten, glaubten sie überall lange, pechschwarze Haare zu sehen. Sie dachten, das sei die Strähne, die der Bruder oder der Vater kürzlich von der schönen Nachtigalla mitgebracht hatte. Sie beugten sich nieder, um die Haare aufzuheben, griffen aber ins Pech. Dieses Pech blieb ihnen an Händen und Füßen kleben. Es ging nicht mehr ab, und die Folge war, daß die Menschen nicht mehr recht laufen und nicht mehr recht zufassen konnten, denn was sie angriffen, ging entzwei oder entfiel ihren Händen. Da sie auch nicht ordentlich laufen konnten, fielen sie häufig auf die Nasen. Aus den Wolken aber tönte eine Stimme ›Das ist meine Rache! Ihr wolltet eine Glücksträhne, jetzt habt ihr eine Pechsträhne erhalten!‹«

»Das war natürlich der böse Zauberer?«

»Ja, das war die Rache des Zauberers. – Und nun behauptet man bis auf den heutigen Tag, daß man manchmal solch eine Pechsträhne gefunden hat, wenn alles mißglückt.«

Klein-Goldköpfchen saß nachdenklich auf dem Küchenschemel. Endlich sagte es seufzend: »Was macht man nur? – Alle sind sie böse mit mir, weil ich in der Pechsträhne sitze.«

»Du mußt alle wieder versöhnen, mußt sehr lieb und artig sein, mußt allen Freude machen.«

»Soll ich allen was schenken?«

»Das kannst du auch. Vor allem aber mußt du dich bemühen, immer brav und artig zu sein.«

»Ach, das wird schlecht gehen, Rosine. – Ich bin doch jetzt in den Ferien. Und in den Ferien ist man ein losgelassener Affe.«

»Man kann auch in den Ferien ein artiges Mädchen sein.«

»Wenn ich auf der Insel bin, kann ich nicht artig sein. Da bin ich doch das Lama.«

»Ein Lama ist ein sanftes und braves Tier.«

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich allen was schenke und doch noch ein bißchen unartig bin.«

»Geschenke, die von einem unartigen Kinde gegeben werden, machen keine Freude.«

Klein-Goldköpfchen lachte pfiffig. »Rosine, ich denke mir schon Geschenke aus, die eine große Freude machen. Dann bin ich wieder artig, und dann sind alle nicht mehr böse.«

»Was willst du denn schenken?«

»O Rosine, ich habe viel Geld. – Leider nicht alles, was ich in Heidenau bekommen habe. Der freche Mann hatte mir doch alles genommen. Aber zwei blanke Markstücke habe ich wieder und noch ein Fünfzigpfennigstück und noch zehn Pfennige. Dafür kann ich viel kaufen.«

»Kaufe nur kein dummes Zeug.«

»Nein, was sehr Schönes. – Ich kaufe nur, was viel Freude macht, und dann sind alle wieder gut. – Du, Rosine, ich geh gleich jetzt los und kaufe was.«

»Renne nur nicht zu weit fort, es gibt bald Mittagessen.«

»Nur ein kleines Stückchen! – Nur bis zum Kaufmann, der so viele schöne Sachen hat.«

»Von dort kommst du aber gleich wieder zurück.«

Das Lama ging hinauf in sein Stübchen, holte die kleine rote Handtasche mit dem Gelde, ließ die vier Geldstücke durch die Finger gleiten und machte sich auf den Weg.

Vor dem Schaufenster des Kaufmanns Kreiling blieb Klein-Goldköpfchen stehen. Da lagen viele schöne Dinge, doch das war alles sicherlich sehr teuer. Das Fünfzigpfennigstück wollte Erna opfern, nicht mehr. Die beiden blitzenden Markstücke wollte sie durchaus wieder zurück nach Heidenau bringen. – Für fünfzig Pfennig bekam sie gewiß allerlei.

Erna drückte sich fast die Nase an der Scheibe platt. Sie fand nichts Geeignetes. Vielleicht drüben beim Papierhändler. Sie huschte über die Straße.

»Ich glaube, Onkel Kuno wird sich furchtbar freuen, wenn ich ihm einen Bleistift schenke, er muß oft schreiben.«

Da lag auch Briefpapier, eine Mappe mit einem blauen Deckel. Die Oma schrieb oft Briefe. Der Opa und Tante Karla mußten aber auch etwas bekommen, denn sie zürnten auch.

Ob sie einmal in die Nebenstraße ging und beim Gemüsehändler nachsah, was Freude machte? Oder – weiter hinten, in der Eisenhandlung? Ein paar schöne Haken machten gewiß Spaß, die konnte der Opa vielleicht brauchen.

Aber dort, der Zigarrenladen.

»Oh, der Opa hat immer eine Zigarre im Munde! Der Opa kriegt eine Zigarre!«

Noch ein kurzes Zögern, dann betrat Klein-Goldköpfchen den Laden.

»Was kostet eine Zigarre?«

»Zehn Pfennige, – zwölf Pfennige, fünfzehn Pfennige –«

»Halt –«, rief Erna, »zehn Pfennige ist genug. Bitte geben Sie mir eine Zigarre. – Oder haben Sie sie noch billiger? Sie ist für meinen Opa.«

»Schickt dich der Opa her?«

»Nein«, sagte Erna geheimnisvoll flüsternd, »ich will ihm eine Zigarre schenken. – Ich will ihm eine Freude machen.«

»Dann mußt du eine Zigarre für zwanzig Pfennige nehmen, eine gute Zigarre!«

Erna öffnete ihr Täschchen, betrachtete eine Weile die Geldstücke und schüttelte den Blondkopf. »Ich möchte lieber eine für zehn Pfennige. Ich muß meiner Oma auch noch was schenken. Soviel Geld habe ich nicht.«

Der Zigarrenhändler reichte Erna eine Zigarre, die er in einen Papierbeutel steckte. Klein-Goldköpfchens Augen glitten an den Fächern entlang. Da standen so viele schöne Kisten mit bunten Bildern.

»Was kostet eine Kiste?«

»Mit fünfundzwanzig Stück Inhalt oder mit fünfzig Stück darin?«

»Ach nein, eine leere Kiste. – Ich möchte doch dem Opa die Zigarre schenken. – Können Sie mir nicht so ein hübsches Papierringelchen drum machen, wie die Zigarren dort haben?«

»Das geht eigentlich nicht. Aber dir zu Gefallen will ich es tun.« Der freundliche Herr streifte über die Zigarre den gewünschten Papierring.

»Wenn Sie nun noch so gütig wären und die schöne Zigarre in einen Kasten legten, würde sich mein Opa furchtbar freuen.«

Der Zigarrenhändler nahm eine leere Kiste und legte die Zigarre hinein. Als er die Kiste einpacken wollte, unterbrach ihn Erna aufs neue:

»Bitte, ich möchte gern eine Kiste mit einem Bild von einer Frau.«

Herr Blum lachte belustigt, suchte ein Weilchen unter dem Ladentisch und sagte: »So eine habe ich gerade nicht da.«

Erna wies mit dem Finger hinauf zu einem Regal. »Können Sie die Kiste nicht ausschütten?«

»Nein, mein Kind, das geht nicht. Aber hier habe ich eine Kiste mit einer Türkin. Das ist doch auch eine schöne Frau.«

»Kann ich mal hinter den Ladentisch kommen und sehen, was Sie noch haben?«

Nach längerem Suchen fand Erna eine kleinere Kiste, die ihr gefiel. Wieder wurde die Zigarre hineingelegt, dann packte der Geschäftsinhaber die Kiste in Papier und reichte sie dem Kinde.

Erna zahlte die zehn Pfennige, dann drehte sie das Kistchen hin und her.

»Fehlt noch etwas?«

»Der Opa hat neulich so ein hübsches Gummibändchen um seine Kiste gehabt, so ein Gummibändchen macht furchtbar viel Spaß. Würden Sie die Güte haben und mir ein Gummibändchen drum machen?«

Auch das geschah. Lachend folgte Blum dem Wunsche des Kindes.

»Vielleicht noch etwas für die eine Zigarre gefällig?«

»Danke, jetzt bin ich zufrieden«, sagte die Kleine hoheitsvoll.

Die Kiste unter den Arm geklemmt, eilte sie stolz der Apotheke zu. Der Opa hatte sein herrliches Geschenk. Nun mußte sie weiter überlegen, was sie den anderen gab, damit alle wieder versöhnt waren.

Beim Mittagessen merkte Klein-Goldköpfchen sehr wohl, daß ihr die Oma, Onkel Kuno und Tante Karla nicht recht verziehen hatten. Sie machte aber ein pfiffiges Gesicht und dachte an die Geschenke, die sie heute nachmittag austeilen würde. Gleich nach Tisch begab sie sich wieder auf Entdeckungsreisen. Sie kannte die Gegend genau, blieb vor jedem Laden stehen, überlegte und kam schließlich an ein Handarbeitsgeschäft. Ein kleiner Kragen gefiel ihr, den konnte Tante Karla gut auf eine Bluse brauchen.

Sehr stolz betrat sie den Laden, ließ sich den Kragen zeigen, brach aber in einen Schreckensruf aus, als sie den Preis hörte. Aus der roten Tasche kramte sie das Fünfzigpfennigstück.

»Ich will dafür meiner Oma und Tante Karla was kaufen. Was nehme ich denn nur?«

Auch hier konnte man dem niedlichen kleinen Mädchen nicht zürnen. Es fand freundlichen Rat. Vielleicht ein Päckchen Nähnadeln? Oder eine Rolle Garn.

Klein-Goldköpfchen ging im Laden umher. Da klang ein Jubelruf von ihren Lippen: »Ist der Fingerhut mit dem blauen Edelstein sehr teuer?« Sie hatte einen Fingerhut entdeckt, dessen Kuppe ein blauer Stein war.

»Zehn Pfennige«, sagte das junge Mädchen.

»Mit dem schönen Edelstein? Ist der auch dabei?«

»Natürlich.«

»Dann nehme ich den Fingerhut mit dem Edelstein. – Können Sie mir auch ein Kästchen dazu geben?«

Für den Fingerhut wurde ein Kästchen gesucht. Auch in diesem Laden erbat Klein-Goldköpfchen ein Gummibändchen und ging freudestrahlend fort. Den Fingerhut bekam Tante Karla, die oftmals nähte. – Was aber für die Oma und Onkel Kuno?

Der Zufall kam Erna zu Hilfe. An der Straßenecke stand ein Mann, der hatte in einem Kasten, den er um den Hals trug, allerlei Dinge. Neugierig blieb das kleine Mädchen stehen. Sofort pries ihr der Mann seine Waren an. Immer wieder ertönte Ernas Frage:

»Kostet das hier auch zehn Pfennige? – Was kostet denn zehn Pfennige?«

»Ein Stern mit weißem oder schwarzem Zwirn. Oder Sicherheitsnadeln? Dann hier diese Knöpfe.«

»Ich möchte diese Knöpfe für die Manschetten.«

»Die kosten mehr als zehn Pfennige.«

Klein-Goldköpfchen legte die Manschettenknöpfe zurück in den Kasten. »Pui, das ist zu teuer, ich möchte was für zehn Pfennige.«

»So nimm den Zwirn.«

Nach längerem Überlegen entschloß sich Erna, für die Oma den Zwirn zu kaufen. Ein Kästchen bekam sie von dem Manne nicht. Nun fehlte noch das Geschenk für Onkel Kuno. Es war wohl am richtigsten, wenn sie Noch einmal zu dem Zigarrenhändler ging und auch eine Zigarre für Onkel Kuno kaufte. Vielleicht schenkte er ihr noch eine Kiste für den Zwirn.

»Da bist du ja wieder«, lachte Herr Blum. »Was wird jetzt für ein Einkauf gemacht?«

»Ich muß noch eine schöne Zigarre für Onkel Kuno haben.«

»Er raucht aber nur Zigaretten.«

»Dann nehme ich eine Zigarette.«

»Nimm lieber ein ganzes Kästchen.«

»Aber nur für zehn Pfennige.«

»Gut«, lachte Herr Blum, »auch die habe ich. Vier Zigaretten für zehn Pfennige.«

»Da wird sich Onkel Kuno freuen. Aber das Kästchen ist nicht so hübsch. Kann ich kein anderes bekommen?«

»Das geht nicht.«

»Können Sie mir nicht noch eine kleine Kiste für den Zwirn geben?«

Klein-Goldköpfchen erhielt auch diese Kiste und war zufrieden. So herrliche Geschenke mußten die Angehörigen versöhnen.

Daheim hörte sie das Schreien und Lärmen der Spielgefährten im Garten. Heute hatte Erna kein Verlangen nach der Robinsoninsel. Die Kaffeezeit winkte, dann sollten die Geschenke verteilt werden. Dabei würde Klein-Goldköpfchen allen versichern, daß es von nun an wieder das artigste Kind der Welt sein wolle.

Es wurde zum Kaffeetrinken gerufen. Alle stellten sich ein. Klein-Goldköpfchen kam mit seinen zwei Zigarrenkisten und zwei kleinen Kästchen an. Mit freudestrahlenden Augen legte es an jeden Platz sein Geschenk.

»Was ist denn das?« fragte der Opa.

Schon saß sie auf seinen Knien, schlang beide Arme um seinen Hals, und während sie der Reihe nach alle Familienmitglieder zärtlich anblickte, sagte sie mit ihrer süßen Stimme:

»Weil ich doch in der Pechsträhne war, hatte ich soviel Unglück und konnte nicht artig sein. Aber nun bin ich wieder artig. Und ihr könnt alle wieder sehr lieb zu mir sein und mich furchtbar gerne haben, denn von morgen an bin ich das artigste Kind der Welt. Und damit ihr mir wieder gut seid, habe ich jedem was Schönes gekauft. – Oh, ihr werdet euch freuen! Ich habe soviel Geld ausgegeben, damit ihr euch freuen sollt. – Opa, hast du mich nun wieder lieb?«

Man konnte nicht anders, man mußte dem schmeichelnden Kinde gut sein, das so treuherzig um sich blickte. Die Geschenke wurden bestaunt; jeder nahm die Kleine zärtlich in die Arme und gab ihr den Versöhnungskuß.

»Wir sind dir ja gar nicht böse«, sagte Tante Karla, »es ist uns nur nicht lieb, wenn du so wild bist.«

»Ich bin doch das Lama! Aber ich bin ein glückliches Lama, denn nun seid ihr mir wieder alle gut, und nun kann ich sausen.«

»Ich denke, wir wollen ein Versöhnungsfest feiern«, lachte der Opa.

»Ihr könnt euch an euren Geschenken freuen, nach mir ruft schon der Robinson. – Ich muß ganz fix fort!«


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