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Das Kreuzworträtsel und seine Folgen

»Laß mich in Ruhe, Erna, ich habe heute keine Zeit für dich!«

»Ach, Onkel Kuno, gestern hast du auch schon keine Zeit für mich gehabt. Wirst du morgen endlich Zeit für mich haben? Es ist in deinem Laden so schön, und ich möchte noch so vieles wissen.«

»So geh zu Tante Karla, ich habe zu tun.«

»Du wolltest mir doch eine Zeitung geben.«

»Hier hast du eine Zeitung.«

Erna durchblätterte die Zeitung und reichte sie Onkel Kuno wieder hin. »Nein, die nicht, ich brauche eine andere Zeitung, so eine mit Bildern, und hinten muß ein Kreuzworträtsel sein.«

»Du Quälgeist, – störe mich nicht beständig bei der Arbeit, geh zur Großmama. Im Wohnzimmer liegen solche Zeitschriften, dort kannst du dir eine geben lassen.«

»Hast du morgen für mich Zeit, lieber Onkel?«

»Das weiß ich noch nicht. Du kannst morgen einmal nachfragen kommen.«

Erna verließ die Apotheke, ging ins Wohnzimmer der Großeltern. Dort saß Frau Wagner und schrieb in ein Buch ein.

»Alles schreibt«, seufzte die Kleine, »keiner hat für mich kleines Mädchen Zeit, das zu Besuch ist.«

»O doch, mein Liebling, wir haben für dich Zeit. Was willst du denn?«

»Der Opa hatte gestern den ganzen Tag für mich Zeit. – Heute ist der Opa fortgegangen, na, da kommst du eben an die Reihe, du liebe Oma. – Du willst doch auch was von mir haben.«

»Du wirst vielleicht schon heute einige Kinder kennenlernen, liebe nette Kinder aus Dillstadt, mit denen du spielen kannst.«

»Weißt du, Oma, ich wollte mich eigentlich von dem Kinderlärm erholen. Ich kann doch auch mit den Großen bekannt werden. Zu Hause habe ich immer so einen großen Haufen Kinder, und der Väti hat gesagt, ich soll die Augen aufmachen und was Neues lernen.«

»Die Kinderchen, die wir dir bringen werden, sind sehr nett, mit denen wirst du vergnügt spielen können.«

»Wollt ihr denn nicht mit mir spielen?«

»Freilich, Klein-Goldköpfchen, aber Kinder gehören nun einmal zu Kindern. Für heute vormittag mache ich dir aber einen anderen Vorschlag. Tante Karla fährt sogleich den kleinen Harald in den Stadtpark, da kannst du mitgehen. Tante Karla nimmt dich sehr gern mit. Der Stadtpark hat viele schöne Bäume und einen großen Spielplatz für die Kinder.«

»Und Bänke, auf denen man sitzen kann?«

»Viele Bänke, mein Liebling, im Stadtpark gehen an schönen Tagen sehr viele Leute spazieren.«

»Ach ja, dann will ich gleich zu Tante Karla gehen, sie soll mich mit in den Stadtpark nehmen. Aber erst gibst du mir eine Zeitschrift mit einem Kreuzworträtsel.«

Frau Wagner ging zur Zeitungsmappe und entnahm ihr einige illustrierte Zeitschriften. »Du kleiner Knirps wirst ja noch kein Rätsel raten können.«

Erna suchte in den Blättern und nickte befriedigt. »So, liebe Oma, nu paß mal auf!« Dabei beugte sie sich über das Blatt und begann langsam zu lesen: »Oma, sag mir einen europäischen Strom.«

»Da gibt es viele. Laß nur, Erna, du kannst noch kein Kreuzworträtsel raten.«

»Oma, bitte, bitte, sag mir doch ein Schneidergerät.«

»Nadel, – Schere – aber es ist besser, du gehst mit Tante Karla in den Stadtpark.«

»Oma, ach gib mir doch mal einen Bleistift, dann gehe ich los!«

Erna bekam einen Bleistift, den sie in ihre kleine rote Handtasche steckte.

»Sieh mal, Oma, ich habe immer noch die drei blitzenden Geldstücke, das sind drei Mark. Die stecken hier in der kleinen Tasche. Ist das nicht niedlich?«

Die Großmama schaute in die Mitteltasche des roten Handtäschchens. »Behüte sie recht gut, Klein-Goldköpfchen, und sei hübsch sparsam. – Doch nun lauf, sonst fährt Tante Karla davon.«

Tante Karla, Onkel Kunos Frau, war dabei, den kleinen Harald zum Ausfahren fertigzumachen. Er trug ein hellblaues Jäckchen, ein ebensolches Mützchen und lag in einem mit hellblauem Stoff ausgeschlagenen Wagen.

»Oh, das ist wie bei unserer Ulla, aber die ist nicht blau, die ist rosa.«

»Ulla ist auch ein kleines Mädchen. Mädchen bekommen rosa Kleider, die Knaben blaue.«

Erna lachte. »Da willst du mir ja was Feines einreden, Tante Karla, ich habe auch ein blaues Kleidchen und bin doch kein Junge!«

»Das ist nur bei kleinen Kindern der Fall, die noch im Wagen gefahren werden.«

»Ach so, damit die Mutti gleich weiß, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. – Oh, das hat die Natur aber klug eingerichtet!«

»Kleiner Schnickschnack, mach dich fertig, wir gehen in den Stadtpark.«

»Tante Karla, kannst du Kreuzworträtsel raten?«

»Freilich, ich rate sie sogar recht gern.«

»Nu, dann können wir gehen!«

Erna nahm ihre rote Handtasche, klemmte die Zeitschrift unter den Arm und schritt gravitätisch neben dem Kinderwagen her.

»Nun werden die Leute denken, ich bin deine Tochter, und der Kleine im Wagen ist mein Bruder.«

»Das werden sie freilich denken, Erna.«

»Der Opa nennt mich immer Klein-Goldköpfchen, das höre ich sehr gern.«

»Ist auch ein sehr niedlicher Name, Erna.«

»Der Opa sagt gar nicht mehr Erna, er sagt immer Klein-Goldköpfchen, das höre ich wirklich gerne, liebe Tante Karla.«

»Da soll ich dich wohl auch so nennen?«

»Ich bitte darum.«

Man fuhr dem Stadtpark entgegen. Auf dem großen Spielplatz, der inmitten hoher schattiger Bäume angelegt war, setzte sich Karla auf eine Bank.

»Wenn du willst, kannst du dort drüben im Sande spielen. Schau, dort sind schon drei kleine Mädchen.«

»Sie sind wirklich etwas klein, Tante Karla, ich spiele viel lieber mit größeren Jungen oder – unterhalte mich mit Herren. Die wissen schon allerlei, und ich kann manches lernen.«

»Spiele lieber mit Kindern.«

»Erst wollen wir das Rätsel raten, Tante Karla. – So, jetzt paß mal gut auf, jetzt muß ich wissen: eine Gattung von Singvögeln und einen Leuchtkörper der Bergleute. – Du, was ist denn das?«

»Zeige mal her, Klein-Goldköpfchen, ich werde das Rätsel raten, und du kannst aufpassen.« Karla zog einen Bleistift aus der Tasche. Da wehrte Erna energisch ab.

»Nicht hinschreiben«, rief sie erregt, »du mußt mir nur sagen, was es ist.«

»Wir müssen die Felder doch ausfüllen, sonst kommen wir nicht weiter.«

»Nein, nein, Tante Karla, so ein bißchen kann ich ja hinschreiben, aber nicht alles. – Weißt du ein germanisches Getränk?«

»Ein germanisches Getränk. – Vielleicht Met.«

»Gut, das schreibe ich hin. – Sag doch auch den Leuchtkörper der Bergleute.«

Karla warf einen Blick auf das Rätsel. »Grubenlampe.«

»Schreib' ich hin. – Und nu sag' mir eine Fußbekleidung.«

Wieder betrachtete Karla das Rätsel. »Schuh«, sagte sie.

»Und nu ein Schneidergerät.«

»Nadel – Schere –«

»Nadel – – gut!«

»Aber Erna, das heißt ja hier ein Schneidegerät und kein Schneidergerät.«

»Laß nur, das stimmt schon!«

»Nein, das stimmt nicht. Eine Nadel ist doch kein Schneidegerät, das wird wohl ›Säge‹ sein.«

Erna ließ sich schließlich bestimmen, »Säge« einzuschreiben.

»Nu dürfen wir aber nichts mehr schreiben, jetzt sagst du mir nur alles. – Also, was ist ein Ur – Ur – Urn – kunden–beamter?«

»Vielleicht ein Notar.«

»Und was ist ein Nordlandtier?«

»Da es nur drei Buchstaben haben darf, wird es ein Ren sein.«

»Und ein griechischer Buchstabe mit drei Buchstaben?«

»Eta –«

»Eta – – eta – – eta – –«, wiederholte Erna, um sich das schwere Wort einzuprägen. »Und was ist 'ne Segelstange mit drei Buchstaben?«

»Raa – –«

»Gut –, so, liebe Tante Karla, nun kannst du wieder auf deinen kleinen Jungen aufpassen, und ich gehe ein bißchen im Park spazieren.«

»Aber nicht zu weit, Klein-Goldköpfchen! Der Park hat viele Wege, du könntest dich verlaufen.«

Erna schnippte mit dem Finger: »Dann frage ich einfach: ›Wie komm' ich zur Apotheke von meinem Opa? Er heißt Wagner und hat ein Kind, das ist der Onkel Kuno, der jetzt die Apotheke hat. Bitte sagen Sie mir den Weg.‹ Dann führt man mich hin, und ich gehe nicht verloren.«

»Trotzdem möchte ich nicht, daß du dich weit entfernst.«

»Ach, ich möchte nur so ein bißchen im Stadtpark spazieren gehen.« Schon war Erna von der Bank aufgestanden, klemmte wieder die Zeitung unter den Arm, ging über den Spielplatz und bog in einen breiten Weg ein. Da stand eine Bank, auf der saß ein alter Herr, der die Zeitung las. Erna betrachtete ihn prüfend, er sah nett aus. Da setzte sie sich neben ihn auf die Bank und breitete ihre Zeitschrift aus. Sie legte den Bleistift an die Stirn, schickte die Augen zum Himmel und gab sich den Anschein, als denke sie angestrengt nach. Es dauerte auch gar nicht lange, da warf der alte Herr einen Blick auf das kleine Mädchen, das über ein Kreuzworträtsel nachzudenken schien.

Erna merkte das. »Ein germanisches Getränk«, murmelte sie, »das wird wohl – – Met sein.« Dann gab sie sich den Anschein, als schreibe sie das Wort ein. »Eine Segelstange – – eine Segelstange – – nun, das könnte Raa sein.«

»Ratest du schon so schwere Rätsel?«

»Ach – das ist gar nicht so schwer.«

»Erlaube mal, da ist doch allerlei zu raten, was du noch nicht wissen kannst.«

»Ach – ich weiß das schon. – Ein griechischer Buchstabe,– der könnte Eta sein, sonst paßt das andere nicht.«

Nun faltete der alte Herr seine Zeitung zusammen und betrachtete voller Staunen das kleine goldhaarige Mädchen. »Nun rate mal weiter«, sagte er.

Erna lächelte verstohlen vor sich hin. »Ein Leuchtkörper der Bergleute kann doch nur eine Grubenlampe sein.«

»Du bist ja das reine Weltwunder, kleines Mädchen. – Wie alt bist du denn?«

»Ich bin gar nicht so klein, wie Sie denken, ich werde bald acht Jahre alt.«

»Und da kannst du schon griechische Buchstaben?«

»Ich kenne noch mehr! – Jetzt muß ich einen – einen – Ur–kun–den–be–amten haben.«

Erna überlegte. Wie war doch das schwierige Wort gewesen, das Tante Karla vorhin gesagt hatte? Gehört hatte sie dieses Wort noch nie. Es mußte mit dem Buchstaben »r« enden.

»Na«, sagte der alte Herr, »das wirst du nicht wissen.«

Wie war doch das Wort? Wie war es nur gewesen? »Oh, ich weiß schon«, rief sie fröhlich, »ein Nator!« und schon kritzelte sie das Wort in das Rätsel.

»Was? – Ein Nator? Du meinst wohl einen Notar?«

Erna wurde ein wenig rot. Hastig glitt sie darüber hinweg. »Und jetzt noch ein Lineal.«

Der alte Herr riet, – er fand nichts. »Zeig einmal her, Kleine.«

»Ja, es ist etwas schwer, aber ich werde es schon rausbekommen.«

Plötzlich lachte der neben Erna Sitzende. »In Griechisch scheinst du besser zu sein als im Lesen. Ein Mineral sollen wir suchen, kein Lineal. Das wird wohl Stein sein, – du kleiner Pfiffikus. – Wer hat dir denn bei dem Rätsel schon geholfen?«

Erna faltete die Zeitschrift zusammen, rutschte von der Bank hinunter und sagte freundlich: »Jetzt muß ich aber gehen, meine Tante und der Junge im blauen Wagen warten auf mich.« Dann lief die Kleine rasch davon. Sie fühlte sich von dem alten freundlichen Herrn durchschaut. Eigentlich war es nicht richtig, daß sie sich den Anschein gab, als wisse sie das alles. Aber die Sache mit dem Kreuzworträtsel machte ihr so viel Spaß, daß sie immer wieder diesen Scherz vorbrachte. Wie oft hatte sie sich in Heidenau von Onkel Forstrat die Kreuzworträtsel raten und ganz dünn vorschreiben lassen, um damit die Bewunderung der Erwachsenen zu erregen. Hier hatte sie sich in ihrem Eifer blamiert. Der Beamte hieß – hieß – – jetzt hatte sie das schwere Wort schon wieder vergessen, und daß sie sich beim Mineral verlesen hatte, war auch schlimm. Aber man wußte ja nicht, was das schwere Wort zu bedeuten hatte.

Erna bog in einen Seitenweg ein und fand wieder eine Bank, auf der ein junger Mann saß. Er hatte beide Arme hinterrücks um die Lehne geschlungen und sah gelangweilt aus. Erna zögerte ein Weilchen. Der junge Mann gefiel ihr nicht recht, trotzdem setzte sie sich zu ihm auf die Bank, um ihr Spiel aufs neue zu beginnen.

»Ein Leuchtkörper der Bergleute, – – na, das kann eigentlich nur eine Grubenlampe sein.«

Sie kritzelte ein Weilchen. Der junge Mann schien nicht auf sie zu achten.

»Ein griechischer Buchstabe – – ja, ein griechischer Buchstabe, – das ist schon schwerer.« Sie stützte die Stirn in die kleine Hand und schien furchtbar nachzudenken, schloß die Augen und sagte halblaut: »Es könnte wohl Eta sein.«

Weiter versank Erna in Nachdenken. Da erhob sich der junge Mann und ging davon. Erna blieb ruhig sitzen, schaute durch die Finger, die sie über die Augen gelegt hatte, dem Burschen nach, der eine immer schnellere Gangart einschlug und schließlich in einem Seitenwege verschwand.

»Ich bin ein Weltwunder, hat er gesagt«, murmelte die Kleine mit verklärtem Gesicht. »Na, wenn keiner mehr hier ist, kann ich ja weitergehen. – Oh, das macht aber Spaß!«

Sie faltete die Zeitschrift zusammen und wollte nach ihrem roten Handtäschchen greifen, das sie neben sich auf die Bank gelegt hatte. – Es war nicht mehr da. Erna schaute unter die Bank, aber auch dort war die Tasche nicht zu sehen. Erna umschritt ängstlich die Bank, lief dann den Weg zurück, den sie gekommen war, eilte zu der Bank, auf der sie neben dem alten Herrn gesessen hatte. Dort saß noch immer der freundliche Herr.

»Ah, da kommt ja meine kleine kluge Freundin wieder.« Mit diesen Worten wurde sie empfangen.

»Ich hab' vorhin 'ne kleine rote Tasche gehabt, die lag hier.«

»Ja, daraus hast du den Bleistift genommen, um das Rätsel zu raten. Das Rätsel mit dem Urkundenbeamten und dem griechischen Buchstaben.«

»In der Tasche habe ich drei blitzende Markstücke gehabt – nun ist die Tasche weg.«

Erna suchte auf der Erde, alles Suchen war vergeblich.

»Hier hast du die rote Tasche nicht liegen lassen, mein Kind. Als du davongingst, hast du sogar sehr damit geschaukelt, das habe ich gesehen. Wo bist du dann hingegangen?«

»Auf eine andere Bank.«

»Hat dort auch jemand gesessen, der dir beim Rätselraten helfen sollte, du kleines Rackerchen?«

»Ja, da saß auch ein Mann.«

»Du hast doch sicher die Tasche gehabt, als du dich auf die andere Bank setztest?«

»Ja, da habe ich sie ganz bestimmt gehabt! Ich habe den Bleistift rausgenommen und mir meine Geldstücke angesehen. – Ach, meine schönen blitzenden Markstücke!«

»Dann wollen wir mal suchen gehen.«

»Ich hab' schon überall gesucht«, sagte Erna und begann zu weinen, »es ist nichts da!«

Teilnahmsvoll erkundigte sich der freundliche alte Herr, wo Erna die Tasche hingelegt habe, wo der Mann, der auf der Bank gesessen, hingegangen sei.

Erna wies mit dem Fingerchen den Weg, den der Bursche eingeschlagen hatte.

»Dem wollen wir gleich einmal nachgehen, vielleicht finden wir den jungen Mann.«

Bitterlich weinend schritt Erna an der Seite ihres neuen Freundes einher. Die schöne rote Handtasche war ein Geschenk der Mutti für die Reise. Vor allem aber schmerzte Erna der Verlust des vielen Geldes, das Klein-Goldköpfchen von daheim erhalten hatte. Wieder klang es schluchzend:

»Sie blinkerten so schön, und es war sooo viel Geld!«

Man bog in den Seitenweg ein, – da lag auf dem Rasen, unter einem Baum, die rote Handtasche. Erna schrie vor Freude laut auf, lief hin und holte ihre Tasche zurück. Stürmisch drückte sie sie ans Herz.

»Ich war schon so in Angst!«

Der alte Herr machte ein bedenkliches Gesicht. »Nun mach einmal die Tasche auf und hole dein Taschentuch heraus.«

Das Taschentuch war vorhanden, aber die drei blitzenden Markstücke fanden sich trotz genauesten Suchens nicht vor. Aufs neue strömten Ernas Tränen, dann eilte sie abermals auf den gepflegten Rasen, kniete dort nieder, wo die kleine Tasche gelegen hatte und suchte eifrig. Daß ihr der junge Bursche ihr Vermögen herausgenommen haben könnte, glaubte sie nicht. Und doch war es so gewesen. Der Bursche hatte die Tasche an sich genommen, dann das Geld, das er bei Erna gesehen hatte, zu sich gesteckt, und das Täschchen, das ihm nichts nützen konnte, wieder fortgeworfen.

»Ich find's nicht, ich find's nicht«, weinte das Kind.

»Wirst du wohl vom Rasen heruntergehen«, ertönte eine barsche Stimme, »es ist verboten, im Stadtpark den Rasen zu betreten.« Es war der Parkwächter, der Erna unsanft anfuhr.

Erna wurde blaß. Der Verlust des Geldes machte sie schon sehr unglücklich, und nun kam noch ein Mann, der sie schalt.

»Ich suche doch nur meine blitzenden Geldstücke«, schluchzte sie.

Der alte Herr sprach mit dem Parkwächter und gab ihm alle nötigen Erklärungen. Da wurde der bärtige Mann sanfter. »Das Geld brauchst du nicht weiter zu suchen, Kleine, das hat man dir fortgenommen. Aber den Schlingel werde ich erwischen, er hat es schon einmal so gemacht. – Hast ihm wohl dein Geld gezeigt?«

»Nur ein bißchen, es blinkerte doch so schön – – und dann wollte ich doch, – – daß er sieht – – wie reich ich bin.«

»Das war recht unklug von dir, Kleine. – Wenn du schon dein Geld anderen Leuten zeigst, mußt du auch gut auf das Geld aufpassen.«

So mußte sich Erna damit abfinden, daß die drei Mark für immer verloren waren. Sie schluchzte jämmerlich, verabschiedete sich dann artig von den beiden Männern und lief zurück zum Spielplatz, wo noch immer Tante Karla mit ihrem kleinen Harald war.

»Tante Karla«, tönte es schon von weitem, und wieder flossen die Tränen, »all mein vieles Geld ist fort!«

»Was ist denn geschehen, Klein-Goldköpfchen?«

Erna erzählte unter Schluchzen. Sie sprach von dem Manne, der neben ihr auf der Bank gesessen hatte und sich entfernte, als sie über das Rätsel nachdachte.

»Du kannst doch noch kein Kreuzworträtsel raten, – was soll dieser Unsinn, Erna?«

»Ach, es macht doch soviel Spaß! Die Leute denken dann, ich bin ein Weltwunder.«

»Da siehst du, daß du ein törichtes Mädchen bist und kein Weltwunder. Nun hast du die Strafe dafür, daß du dich mit fremden Federn schmückst.«

»Ich habe aber keine Federn – –«

»Ich will damit sagen, es ist die gerechte Strafe dafür, daß du dich für klüger ausgibst, als du bist. Du willst den Menschen etwas vormachen, und dabei glaubt doch niemand, daß du heute schon weißt, wie ein griechischer Buchstabe oder eine Segelstange heißt. Du wirst nicht nur ausgelacht, du wirst sogar bestohlen. Es ist dir ganz recht geschehen.«

»Ach, Tante Karla, nun habe ich gar kein Geld mehr!«

»Nimm es als gerechte Strafe hin. Es ist besser, du spielst mit Kindern und läßt die Erwachsenen in Ruhe. Ich finde es gar nicht nett, Erna, daß du dich zu fremden Menschen auf die Bank setzest und diesen Unfug treibst.«

»Es machte doch sooo viel Spaß – –«

»Es war ein teurer Spaß, mein Kind. – Und nun geh hinüber zum Sandhaufen und spiele mit den Kindern oder bleibe artig bei mir sitzen.«

Erna blieb bei Tante Karla sitzen. Von Zeit zu Zeit öffnete sie die rote Handtasche und suchte darin herum. Daß alle drei blitzenden Markstücke genommen waren, wollte der Kleinen unmöglich scheinen.

Endlich kehrte man nach Hause zurück. Erna eilte sofort zum Opa.

»Ach, meine schönen blitzenden Markstücke sind weg, einer hat sie genommen!«

Mitleidsvoll ließ sich Herr Wagner erzählen, was geschehen war. Etwas zögernd, aber wahrheitsgetreu berichtete die Kleine.

»Ja, mein Klein-Goldköpfchen, diesmal kann ich dir wirklich nicht helfen, diesmal bist du im Unrecht. Nun hast du für den Vorwitz die Strafe erhalten. Laß in Zukunft das Rätselraten hübsch bleiben und gib auf deine Sachen acht.«

»Helfen könntest du mir schon, lieber Opa«, sagte Erna und öffnete die Tasche weit, »vielleicht hast du ein bißchen Geld übrig.«

Da legte der Großvater ein Fünfzigpfennigstück in die rote Tasche und sagte: »Mehr gibt es nicht, eine Strafe mußt du haben.«

Kurz darauf stand Erna vor der Großmama und erzählte ausführlich von ihrem Jammer. Auch ihr wurde die geöffnete Tasche hingehalten. Die Oma legte ein Zehnpfennigstück hinein.

»Es blitzt aber wenig«, sagte Erna, »ich hätte viel lieber was Silbriges gehabt.«

»Nein, mein kleines Goldköpfchen, wer so unachtsam mit seinem Gelde umgeht, braucht nicht soviel.«

»Na«, meinte Erna, »wenn Onkel Kuno morgen für mich Zeit hat, wird er mir vielleicht auch was schenken. Denke mal, liebe Oma, der Tante Karla habe ich alles erzählt, aber sie hat mir gar nichts gegeben.«

»Ja ja«, lachte die Oma, »du hast uns gestern gesagt, wir seien keine sparsamen Leute, als du die Scherbenkiste durchstöbertest. Nun wollen wir dir beweisen, daß wir doch sparsame Leute sind, und darum können wir mit den Silberstücken nicht so herumwerfen.«

Da zog Klein-Goldköpfchen den Kopf zwischen die Schultern und ging davon.


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