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Jagd auf den Teufel

»Sie sind ein dä. K.«, sagte Stefan und warf mit einem Kirschkern nach Adrian.

Der gutmütige Hausdiener ließ sich in seiner Arbeit nicht stören. Seelenruhig spülte er im Hofe Flaschen und Gläser. Stefan, Jürgen und Ernst umstanden ihn, schauten längere Zeit aufmerksam seiner Arbeit zu und begannen aufs neue mit ihren Fragen. Der Hausdiener meinte endlich, es gäbe in vielen Häusern einen Teufel. Warum solle er nicht auch hin und wieder in der Autogarage sein?

»Man müßte ihn hinausjagen«, sagte Fritz. »Wie kann man den Teufel wohl fortkriegen?«

»Der geht von ganz allein, wenn man ihn in Ruhe läßt. Wenn man ihn jedoch ärgert, wird er wild, springt auf seinen Angreifer, stößt ihn mit den Hörnern, und, was das Schlimmste ist, er nimmt den Schwanz und schlägt damit auf seinen Angreifer ein.«

»Das muß furchtbar weh tun«, sagte Fritz ängstlich.

»Dä. K.«, wiederholte Stefan gelassen. »Meinen Sie, ich glaube Ihnen nur ein Wort? Ich habe vorhin an der Garage längere Zeit gestanden und gerufen: Guck mal aus dem Fenster, Teufel!«

Adrian lachte laut. Um fünf Uhr konnte Stefan rufen, soviel er wollte, da war Frau Kirschner längst aus dem Zimmer gegangen. Er empfand seit der kurzen Zeit, da Goldköpfchen in Dillstadt weilte, schwärmerische Verehrung für die tüchtige Frau. Nun glaubte er ihr den größten Dienst dadurch zu erweisen, daß er die drei übermütigen Knaben von der Garage zurückschreckte.

»Ich glaub's auch nicht«, lachte Jürgen verschmitzt, »Sie reden uns was vor, Baldrian! In den Fenstern dort oben wohnt bestimmt kein Teufel.«

»Ich gebe euch den guten Rat, den Teufel nicht zu ärgern. Wenn der zuschlägt – –«

»Mit dem Schwanz?« fragte Fritz nochmals.

»Ja! Klitsch – klatsch, klitsch – klatsch! Er schlägt euch auf den Rücken, an die Beine, wohin er trifft, und das tut so weh, wie wenn man mit dem Besen was abbekommt.«

Fritz nickte. »Jawohl, mich hat mal der Peter Weiz mit einer Rute an die Beine geschlagen, das tat sehr weh!«

»Siehst du«, frohlockte Adrian, »wenn der Teufel seinen Schwanz nimmt und zuschlägt, ist es noch viel schlimmer.«

»Kommt doch weg«, rief Jürgen, »wir wollen was unternehmen!«

»Aber nur nichts gegen den Teufel«, mahnte Adrian.

»D. b. d.!« klang es verächtlich von Stefans Lippen. Dann ließen die drei den Hausdiener stehen und gingen auf neue Entdeckungsfahrten aus. Sie hatten Glück. Die Tür des großen Holzstalles war heute nicht verschlossen. Eine Rolle starker Draht stach den Kindern in die Augen. Mit so vielem Draht konnten sie mancherlei anfangen.

Stefan nahm die Rolle. »Wollen wir eine elektrische Leitung durch den Garten legen? Es ist genug Draht vorhanden, oder – wollen wir heute abend ein Gartenfest mit Lampions machen und dafür schon jetzt den Draht ziehen?«

»Hat der Großvater soviele Lampions? Wir brauchen hundert.«

»Pah, wenn er keine hat, muß er welche kaufen. Da ist doch nichts weiter dabei.«

Eben waren die Knaben im Begriff, die Drahtrolle zu entwirren, als Jürgen auf den Gedanken kam, zuvor mit kleinen Steinchen an die Fenster der Garage zu werfen, um den Teufel, falls er darin sei, ein wenig zu ärgern.

»Die Fenster dürfen wir aber nicht einschmeißen«, lachte Stefan, »wir haben vorige Woche vom Großvater 'ne Ohrfeige bekommen, weil wir ein Fenster einschmissen.«

»Ich weiß was«, rief Fritz mit blitzenden Augen, »in der Küche steht eine Schüssel mit Kirschen. Die holen wir uns und spucken die Kerne nach oben. – Wollen mal sehen, wer so hoch spucken kann.«

Es war die sechste Abendstunde, als die drei Knaben an der Garage vorüberkamen.

»Seht mal«, flüsterte Stefan und verhielt den Schritt, »dort – dort – –«

Die grüne Tür, die seitwärts zu den oberen Räumen führte, war nur angelehnt. Das Hausmädchen war vor wenigen Augenblicken hinaufgegangen, um das Zimmer aufzuräumen. Es hatte die Tür nicht verschlossen.

»Haben wir Glück«, flüsterte Jürgen den Brüdern zu.

Er war auch der erste, der die Tür vorsichtig öffnete. Er sah eine Treppe von etwa achtzehn Stufen vor sich, die gerade in die Höhe führte. Jürgen und Fritz blieben zögernd unten stehen, während Stefan ganz vorsichtig, auf Zehenspitzen, einige Stufen emporstieg.

»Glaubst du, daß der Teufel wirklich dort oben wohnt?« fragte Fritz.

»Blödsinn!«

»So kommt doch«, rief Stefan von oben herab, dem es auch nicht ganz wohl war, allein auf der Treppe zu stehen.

Alle drei Knaben lauschten gespannt nach oben. Behutsam stiegen sie Stufe um Stufe hinan. Sie sahen, daß auf den kleinen Flur zwei Türen mündeten.

»In dem einen Zimmer wohnt der Teufel, in dem anderen seine Großmutter«, klang es ängstlich aus Fritzens Munde.

»Wollen wir den Teufel fangen?«

»Laß nur, Stefan«, meinte Jürgen kleinlaut, »wir haben nu' gesehen, wo er wohnt, und wollen den Großvater fragen, ob er Lampions hat.«

»Feigling!« zischte ihn Stefan an.

»Wie willst du ihn denn fangen?«

Stefan wies auf die Rolle Draht. »Wir verschnüren damit die Türen. – Sieh mal, dort ist ein Haken, da ein Pfosten. – Hier, Fritz, halte die Rolle.«

»Leise, ganz leise! – – Wenn der Teufel aber über den Draht springen kann?«

»Ach was, wir spannen ihn ganz dicht.«

Fritz hielt sich beständig in der Nähe der Treppe auf, während Stefan und Jürgen begannen, die Drahtrolle, die an Fritzens Arm hing, zu entwirren. Kaum hatten sie den ersten Meter abgewickelt, als aus dem einen Zimmer das Rücken eines Stuhles deutlich zu hören war. Im nächsten Augenblick wurde von innen gegen die Tür geschlagen.

Eine kurze Weile waren die drei Knaben starr. Dann schrie Fritz: »Der Teufel hat uns bemerkt!« Und obwohl er der nächste an der Treppe war, wurde er von Jürgen und Stefan zur Seite gestoßen. Mit langen Sätzen stürmten die Knaben hinab. Fritz folgte ihnen.

»Der Teufel! Der Teufel!« Fritz schrie die Worte gellend heraus. »Zu Hilfe, er ist hinter mir, – er schlägt mich mit dem Schwanz!«

Fritz rannte die Treppe hinunter, hinter den beiden fortstürmenden Brüdern her, immer lauter schreiend: »Er schlägt mich mit dem Schwanz! – Au – – au – – Hilfe!«

Je jämmerlicher Fritz schrie, je rascher eilten Stefan und Jürgen davon. Keiner von beiden dachte daran, dem bedrängten Bruder, der vielleicht von einem Ungeheuer verfolgt wurde, zu Hilfe zu kommen.

»Au – – au – –! Bitte, Teufel, laß mich los! – Au – – au – –!«

Fritz rannte aus Leibeskräften, aber je schneller er lief, je öfter schlug das Ende des aufgewickelten Drahtes gegen seine Waden. Machte er Sprünge, so sprang das Ende mit, immer wieder wurde der arme Knabe gepeinigt. Schließlich fiel er in seiner Erregung zu Boden, und die Drahtrolle flog zur Seite. Fritz wartete geduldig darauf, daß ihm der Teufel nun die Hörner in seine Sitzgelegenheit stoßen werde. Leise ächzte er. Da machten Jürgen und Stefan endlich halt. Sie hatten Deckung hinter einem dicken Baumstamm genommen und hielten Ausschau nach dem Bruder. Der lag wie tot auf der Erde. Jürgen war der erste, der sich langsam vorwagte.

»Fritz, was machst du denn?«

»Der Teufel! – – Der Teufel!« klang es von Fritzens Lippen, während ihm die dicken Tränen über die Wangen rollten.

Als Jürgen die Erregung des Bruders sah, war er voll Mitleid. »Es ist kein Teufel da, Fritz, du hast es dir nur eingebildet.«

»Dä. I.«, schluchzte Fritz, »er ist wohl da, immerfort hat er mich geschlagen!« Dann streifte er die Strümpfe herunter, und wirklich zeigten sich an den Beinen rote Striemen. »Mit dem Schwanz! – Mit dem Schwanz!« heulte er erneut auf.

Kritisch betrachtete Jürgen die langen roten Striemen an den Beinen des Bruders. Er wollte noch immer nicht recht an den Teufel glauben, doch hier hatte er den sichtbaren Beweis, daß jemand hinter Fritz hergewesen und ihn geschlagen hatte.

»Wir werden den Teufel in Zukunft in Ruhe lassen, Fritzchen. Nu weine nicht mehr. – Komm, wir ziehen jetzt den Draht für die Lampions im Garten. Dabei tut uns der Teufel nichts.« Jürgen zog das Taschentuch aus der Hosentasche, um dem Bruder damit die nassen Augen zu trocknen, steckte es aber blitzschnell wieder ein. Er hatte heute vormittag das Taschentuch dazu benutzt, um dicke Regenwürmer darin zu sammeln. So wies es noch deutliche Spuren dieser Tätigkeit auf.

Nun kam auch Stefan langsam näher an die beiden heran, beschaute gleichfalls tiefsinnig die roten Striemen an den Beinen des Bruders und meinte: »Vielleicht war es ein Gespenst oder sonst was. Mir soll es einerlei sein. Ich kümmere mich nicht mehr darum. In solchen alten Häusern spukt es immer!«

Oben am Fenster des Zimmers über der Garage stand Marie, das Hausmädchen. Sie hatte das laute Geschrei der Knaben gehört, sah die drei davonstürmen, sah auch als Letzten Fritz mit der Rolle Draht und rief hinter ihm her: »Fritz, du wirst fallen, du ziehst ja den Draht hinter dir her!« Aber keiner der Geängstigten hörte ihr Rufen. Sie stürmten weiter, bis Fritz nicht mehr konnte.

So kam es, daß Marie als erste die Kinder aufsuchte. »Was schreit ihr denn so laut?«

»Der Teufel hat mich mit dem Schwanz geschlagen, immerzu an die Beine. – Sieh mal!«

Marie lachte auf. »Ich werde euch mal den Schwanz vom Teufel zeigen.« Während das Mädchen ging, den Draht aufzunehmen, stürmten die drei Knaben in heller Erregung davon. Fritz humpelte wohl ein wenig, doch vergaß er den Schmerz, aus Angst, der Teufel könne erneut auf ihn springen und ihn peinigen.

In der Laube hockten sie beisammen und berieten.

»Wenn wir das Biest doch fangen könnten«, meinte Jürgen. »Aber wie?«

»Ausräuchern!«

»Nein, das geht nicht. Hier in der Apotheke ist es überall feuergefährlich. – Was können wir mit ihm machen?«

Immer wieder wurde beraten. Das eine stand für die drei Knaben jedoch fest: daß die Großeltern und die Mutti nicht erfahren durften, wie feige sie heute gewesen waren.

»Es wohnt doch überhaupt kein Teufel über der Garage, das weiß ich genau«, meinte Stefan.

»Ist alles Blödsinn«, stimmte Jürgen zu, »ich habe gar keine Angst vor dem Teufel. – Wir werden ihn schon noch kriegen!«

Immer neue Vorschläge wurden gemacht, wie man am einfachsten an den Teufel herankomme.

»Ich werde mir was ausdenken«, sagte Stefan wichtig.

»Heute wollen wir ihn in Ruhe lassen, aber morgen – –, da bekommt er seine Strafe.«

»Wenn wir Kirschkerne auf die Treppe legten? Vielleicht rutscht er aus und bricht sich die Beine.«

»Dann läuft er auf dem Schwanz. – Das hat auch keinen Zweck!«

»Dä. I. – Mit dem Schwanz kann keiner laufen, du o. K.!«

»Schimpft ihr schon wieder?« Großpapa Wagner trat in die Laube. Er suchte seit einer Viertelstunde die Knaben. Daß sie hier so still und friedlich in der Laube wären, glaubte er nicht recht. Er war zunächst in den Keller gegangen, dann hinauf auf den Hausboden gestiegen, nun fand er endlich die drei in lebhafter Unterhaltung im Garten.

Stefan legte den Finger auf den Mund, um den Brüdern nochmals anzudeuten, daß sie schweigen sollten. Aber der Großpapa hatte diese Handbewegung gesehen.

»Was gibt es denn?«

»M.h.!«

»Ich bemühe mich zwar, euer Mistisch zu verstehen, aber diese Vokabel habe ich noch nicht gelernt. – Was heißt das?«

»Ach, Großvater, du lernst aber schwer! Wir haben Mistisch sehr schnell gelernt.«

»Und ihr wißt alle Vokabeln?«

»Alle!«

»Nun gut, – w. i. n. e. m. E. u., z. i. e. d. O. l.! So, nun wißt ihr es!«

Die Knaben schauten sich verständnislos an.

»Ihr kennt ja alle Vokabeln der mistischen Sprache.«

»Ja, Großpapa, machen wir!«

»So? – W. i. d. w. m., s. e. e. T. p.«

»Fabelhaft, Großpapa, aber nun wollen wir mal nachforschen, ob du auch richtig gesprochen hast. – Wie heißt es?«

»Ihr Lümmel! Meint ihr, ihr könnt mich aufs Glatteis führen? Aber ich will es euch verdeutschen. Marie hat sich sehr darüber geärgert, daß sie im ganzen Hof die Eierbriketts zusammensuchen mußte. Jetzt werde ich es euch übersetzen: Wenn ihr noch einmal mit Eierbriketts umherwerft, ziehe ich euch die Ohren lang.«

»Richtig, Großvater, – du hast unsere Sprache fabelhaft gelernt. Es stimmt genau!«

»Ihr seid eine Rasselbande! – Was habt ihr jetzt wieder vor?«

»Großvater, hast du hundert Lampions? Wir machen heute abend ein Gartenfest. Wir haben noch sehr viel zu tun.«

»Hundert Lampions habe ich nicht. Aber in einer Kammer muß eine Kiste mit Lampions stehen.«

»Wo? – Komm und zeige sie uns!« klang es.

»Für heute ist es schon zu spät. Wenn das Wetter schön bleibt, wollen wir am Sonntag ein Gartenfest machen. Ich werde inzwischen die Lampions heraussuchen.«

»Wir suchen mit«, klang es dreistimmig. »Wir kramen furchtbar gern in den alten Kisten. – Großvater, komm doch, wir wollen gleich suchen!«

Wagner versuchte vergeblich die Kinder davon abzubringen. Sie ließen ihm keine Ruhe. So mußte er mit ihnen in die betreffende Kammer gehen. Dort wurden Kisten und Koffer geöffnet, und die drei sorgten dafür, daß vieles durcheinander geworfen wurde. Als etwa zwanzig Lampions aufgestöbert waren, erklärte Wagner, jetzt müsse alles wieder ordentlich eingepackt werden. Aber die Knaben klemmten die Lampions unter die Arme, liefen davon und ließen den armen Großvater im Schweiße seines Angesichts die Kisten allein einräumen.

Der nächste Tag war drückend schwül. Trotzdem beschloß Karla, mit den Kindern am Vormittag eine Autofahrt zu unternehmen.

»Ich muß Vater ein wenig Ruhe schaffen«, sagte sie zu Kuno, »er sieht elend und angegriffen aus. Die drei Jungen hängen wie Kletten an ihm und lassen ihm keine Ruhe.«

»Mir tut der Vater unendlich leid«, sagte Goldköpfchen. »Ich fühle mich wieder frisch und ausgeruht, ich könnte mich tatsächlich wieder mehr meinen Kindern widmen.«

»Nein Bärbel, laß das, in einer halben Stunde fahren wir los und sind erst zum Mittagessen wieder zurück. Ich werde –« Sie schwieg, denn aus dem Nebenzimmer ertönte dröhnendes Gelächter. Goldköpfchen machte ein besorgtes Gesicht. Sie wußte, daß im Nebenzimmer der gute Vater mit den Kindern über die bevorstehende Ausfahrt sprach. Da wurde die Tür aufgerissen, Jürgen und Marlene stürmten ins Zimmer.

»Mutti, denke mal, der Großvater ist so alt, daß wir alle zusammen noch nicht so alt sind wie er! Denke mal, – alle acht Kinder! Ist das ein alter Mann! – Daß der überhaupt noch kriechen kann!«

»Mutti, wir haben alle zusammengezählt, und immer waren wir noch nicht so alt wie der Großpapa allein.«

»Da haben wir Fräulein Rettich noch auf ihn draufgesetzt. Dann hat es gelangt. – Ach, ist das ein alter Mann!«

»Aber er kann noch fein laufen«, meinte Fritz, der soeben ins Zimmer kam. »Wir haben einen famosen Großpapa!«

Aus dem Nebenzimmer war noch immer Stefans Stimme zu hören. »Also noch mal. Dreizehn und neun und neun und dann sieben und sechs. Ach, Großvater, wie lange lebst du noch?«

Goldköpfchen machte dieser wenig netten Unterhaltung rasch ein Ende. »Beeilt euch, Kinder, Fräulein Rettich wartet bereits unten am Auto.«

»Mutti, Tante Karla ist noch nicht da. Wenn die nicht da ist, kann es nicht losgehen!«

Dann war es soweit. Der Wagen wurde von den Kindern und Fräulein Rettich besetzt. Es gab noch reichlich Püffe und Stöße, allerhand Mistisches wurde dabei gesprochen, aber schließlich kam Ordnung in die kleine Schar, und strahlend fuhren sie ab. –

Nach glücklicher Heimkehr wurde während des Essens nur von der schönen Ausfahrt erzählt. Alle Kinder schrien durcheinander. Großvater und Großmutter waren von dem Lärm recht nervös geworden, so beschloß Apotheker Wagner, am Nachmittag auch ein Schläfchen zu machen, zumal die Kinder nach der Fahrt das Bedürfnis haben würden, ruhig im Garten zu spielen und zu erzählen. Goldköpfchen wurde, wie immer, noch ehe man die Kinder aus dem Eßzimmer gehen ließ, abgeschoben, damit sie in dem kleinen Zimmer über der Garage ihre ungestörte Mittagsruhe halten konnte.

Der Tag war heiß. Bärbel öffnete das Fenster weit, zog aber die Vorhänge vor und legte sich auf den unter dem Fenster stehenden Diwan. Die Hitze machte sie müde, so fielen ihr bald die Augen zu.

Um die Garage schlichen drei Knaben. Stefan hatte einen Hammer in der Hand, Jürgen trug den Kasten mit den Nägeln. Die beiden Knaben waren auf den Gedanken gekommen, die grüne Tür zu vernageln, damit der Teufel ausgehungert werde. Noch war der erste Hammerschlag nicht getan, als aus dem Munde Fritzens ein Freudenschrei ertönte.

»Der Schlauch, – der Wasserschlauch!«

Neben der Garage lag zusammengerollt der lange Gartenschlauch. Adrian hatte ihn herausgelegt, um das Auto zu säubern oder den Garten zu sprengen.

»Sieh mal, der Teufel hat das Fenster offen gelassen. Nur die Vorhänge sind davor. – Wasser kann er nicht leiden.«

Der Hammer wurde fortgeworfen, Jürgen stellte den Kasten mit den Nägeln auf die Erde. Alle drei Knaben beschäftigten sich mit dem Schlauch.

»Wir ersäufen den Teufel dort oben«, flüsterte Fritz. »Paßt auf, ich weiß, wo der Baldrian den Schlauch anschraubt!«

Wenn nur jetzt der Baldrian nicht herbeikam! Das geöffnete Fenster dort oben, an dem nur die Vorhänge hingen, sollte als Zielscheibe dienen. Das ganze Zimmer würde man voll Wasser pumpen.

Es wurde nicht viel gesprochen, um niemanden aufmerksam zu machen. Der Schlauch wurde angeschraubt, dann hielten Stefan und Fritz das Ende des Schlauches in die Höhe; genau ins Zimmer hinein sollte der Wasserstrahl gehen.

»Aufdrehen, aber gleich feste!« kommandierte Stefan.

Jürgen drehte den Hahn auf, soweit er sich drehen ließ.

Ein dicker Wasserstrahl schoß gegen die weißen Vorhänge.

Goldköpfchen erwachte jäh aus süßem Schlummer. Was war denn das! Der Vorhang wehte ins Zimmer hinein, unter ihm sprühten Wassermengen hervor, sie schossen derartig herein, daß in wenigen Augenblicken der Fußboden schwamm. Auch der Diwan bekam einen kräftigen Regen ab. Mehr und mehr Wasser schoß ins Zimmer.

Es war Bärbel sofort klar, daß ihre Kinder die Anstifter waren.

»Wollt ihr das sogleich unterlassen«, rief sie. Es war unmöglich, ans Fenster zu treten, der Wasserstrahl, der sich ins Zimmer ergoß, war zu mächtig. Ihr Rufen wurde von den Knaben draußen nicht gehört. Goldköpfchens helles Kleid war vollkommen durchnäßt und klebte ihr am Körper. Von unten herauf klang ein geradezu jubelndes Lachen.

»Ob er schon ersäuft!« vernahm sie.

»Vielleicht kommt er ganz plötzlich aus dem Fenster gesprungen.«

»Kannst du nicht noch mehr aufdrehen?« klang es wieder an Goldköpfchens Ohr. »Feste, immer feste!«

In dem kleinen Zimmer stand das Wasser bereits einige Zentimeter hoch. Da faßte Goldköpfchen einen heldenhaften Entschluß. Vor dem Diwan lag ein Vorleger aus braunem Fell. Rasch hob sie ihn auf, nahm ihn vor das Gesicht und nicht des Wasserstrahles achtend, neigte sie sich zum Fenster hinaus. Das Fell schützte ihr Gesicht.

»Was soll das!«

Stefan und Fritz, die das Fenster nicht aus den Augen ließen, sahen plötzlich, wie oben ein Ungeheuer erschien. Ein braunes Fell wurde sichtbar. Das konnte nur der Teufel sein! Nun richtete Stefan mit sicherer Hand den Strahl auf das Fell. Goldköpfchen fühlte einen heftigen Schlag im Gesicht, wurde rückwärts geschleudert und fiel auf den durchnäßten Diwan. Unten aber waren die Knaben jetzt von banger Sorge erfaßt. Gleich würde der Teufel nochmals erscheinen oder gar zur Tür herauskommen. So warf Stefan den Schlauch auf die Erde, Fritz war bereits fortgelaufen und rief Bruder Jürgen erregt zu:

»Komm schnell fort! Gleich springt der Teufel aus dem Fenster! Wir haben ihn gesehen!«

In der Laube suchten sie Schutz. Dort fühlten sie sich sicher. Vergessen war der Wasserschlauch, der die feuchten Massen weiter ausspie. Unglücklicherweise war seine Öffnung gegen das Haus gerichtet, er ergoß sich gerade an der Stelle, wo sich die Kellertreppe befand. Im Hause ahnte niemand, daß die Wassermassen wie ein kleiner Fluß die Kellertreppe hinabflossen und sehr bald der erste Raum unter Wasser stand. Erst Marie wurde durch ein sonderbares Rauschen aufmerksam und trat aus dem Hause. Da kam auch schon durch den Garten eine Gestalt geeilt, – Frau Bärbel. Wie aber sah sie aus? Marie hatte den Eindruck, als komme sie aus dem Wasser. Von den Kleidern tropfte es, ebenso von dem blonden Haar.

Nun sah auch Bärbel den Schlauch.

»Abdrehen, schnell abdrehen, der Keller läuft sonst voll!« Sie achtete nicht der durchnäßten Kleider und drehte den Hahn ab.

Zehn Minuten später betrachtete man den angerichteten Schaden. Das durchnäßte Zimmer über der Garage machte wenig Eindruck, aber unten im Keller waren viele Vorräte verdorben.

Nachdem sich Bärbel umgekleidet hatte, suchte sie ihre Kinder auf. Die drei Mädchen spielten mit der Großmama friedlich im Hause.

Auf das Rufen der Mutter kamen die Knaben herbei. Sie waren recht guter Dinge, denn noch ahnten sie nicht, daß ihnen heute ein besonderes Strafgericht bevorstand.

»Wir wollten doch den Teufel ersäufen«, sagte am Abend Jürgen niedergedrückt, als man ihn endlich von dem Stubenarrest befreite. »Wir haben es gut gemeint und ihn wirklich gesehen.«

Der Großvater erklärte den Knaben, daß der Ferienaufenthalt sofort abgebrochen werde, wenn noch einmal etwas Ähnliches geschähe. Das nützte! Es gefiel den Kindern gar zu gut in dem großen alten Hause in Dillstadt.

»Wie wäre es«, meinte der Vater zu seiner Tochter, »wenn ich dich nachmittags im ›Goldenen Anker‹ einmietete? Denn hier hast du keine Ruhe.«

»Es ist besser, du lieber Vater, wenn ich dich dort einmiete. Du siehst schon recht abgejagt aus.«

»Laß nur, mein Goldköpfchen, die letzten acht Tage halte ich auch noch durch. Außerdem kommt morgen dein Mann, er wird ein Machtwort sprechen.«

»Ich glaube, Vati, wir haben es falsch angefangen. Ich hätte den Kindern sagen sollen, daß ich dort oben meine Nachmittagsruhe halte, daß ich Ruhe brauche. Sie lieben mich.«

»Sie lieben dich viel zu sehr. Sie ließen dir auch keine Ruhe, als du oben bei Karla lagst.«

»Inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, daß ich einen Nachmittagsschlaf brauche.«

»In der durchnäßten Bude kannst du nicht mehr liegen, mein Kind, ich will dich doch besser im ›Goldenen Anker‹ anmelden.«

»Tue es nicht, lieber Vati. Ich will heute noch einmal mit meinen Kindern reden. Oben im zweiten Stock habt ihr für Ewald ein Zimmer hergerichtet. Dort werde ich am Nachmittag ruhen. Ich weiß, daß mich die Kinder von nun an in Ruhe lassen werden.«

Noch am selben Tage rief Goldköpfchen die sechs zusammen und erzählte ihnen, daß sie sich oben ins Zimmer über der Garage zurückgezogen hatte, um ein wenig Ruhe zu haben.

»Mutti«, rief Fritz entsetzt, »dort wohnt doch der Teufel!«

»Kommt einmal mit, ich will euch zeigen, wie ihr das Zimmer zugerichtet habt.«

Marlene weigerte sich mitzugehen, auch Fritz verspürte keine Lust dazu. Schließlich wagte er es doch. Man hatte den Großvater gebeten, voranzugehen. Nun schlichen die Kinder neben der Mutter hinauf in das geheimnisvolle Zimmer. Dort zeigte ihnen Goldköpfchen die braune Haut des Teufels, das Fell, das die Knaben in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Sie schwiegen beschämt. Nur Stefan sagte endlich: »Ich habe es ja gewußt, daß hier oben kein Teufel wohnt, ich habe es dem Baldrian nie geglaubt!«

Dann ging es hinauf ins zweite Stockwerk des Hauses.

»In diesem Zimmer, in dem von morgen ab der Vater wohnen wird, mache ich täglich meinen Nachmittagsschlaf. Nun will ich sehen, wer seine Mutti wirklich lieb hat und ihr die Ruhe gönnt.«

Als Doktor Kirschner am anderen Tage eintraf, wunderte er sich über seine braven Kinder.

»Ihr müßt ein Erziehungsinstitut eröffnen«, lachte er, »ich möchte euch meine Kinder zu allen Ferien herschicken, sie würden wahre Prachtexemplare werden.«

Als dann Goldköpfchen nachmittags äußerte, sie werde sich jetzt zum Schlafen niederlegen, schüttelte Doktor Kirschner lachend den Kopf.

»Du willst schlafen? Dich werden die Kinder in Ruhe lassen? Eher fällt die Apotheke zusammen.«

»Warte es ab, Ewald.«

Am Nachmittag zog sich Bärbel wirklich zurück. Der Vater aber wurde bald von diesem, bald von jenem seiner Kinder ermahnt, nicht so laut aufzutreten, denn die Mutti schlafe.

Als Doktor Kirschner mit seinem Schwiegervater und Kuno im Wohnzimmer saß und man laut lachte, kam Erna ins Zimmer gelaufen:

»Ich wollte nur bitten, nicht so laut zu sein. Unsere Mutti schläft.« Dann ging sie wieder davon.

»Was haben Sie nur mit meinen Kindern angestellt, bester Schwiegervater?«

»Wir gar nichts. Unser Goldköpfchen! – Warten Sie nur ab, in zwei Stunden, wenn sich Goldköpfchen wieder zeigt, ist die Stille aus.«

Trotzdem ging es in den letzten acht Tagen leidlich friedlich zu. Großpapa Wagner gab sich allerdings die größte Mühe, die Kinder zu beschäftigen. Es lag ihm selbst daran, seinem Schwiegersohne zu zeigen, daß die Kinder auch artig sein konnten. Verstohlen wischte er sich freilich oft dicke Schweißtropfen vom Gesicht. Daß er manchen Abend vor dem Kalender stand und schwere Seufzer ausstieß, hörte niemand.

»Noch vier Tage! – – Noch drei Tage! – – Gottlob, nur noch zwei Tage!« – –

Dann kam der Tag der Abreise heran. Goldköpfchen sah wieder frisch und rosig aus. Sie fühlte sich auch seelisch erfrischt.

»Alles das danke ich euch, liebe Eltern. Dir, liebe Karla, und dir, lieber Bruder Kuno. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Vati ist sehr angegriffen.«

»Sei ruhig, Bärbel, ich habe mich schon in einem Badeort angemeldet. Am Sonnabend fahre ich mit Mutter ab. – Ja, ich brauche Erholung und Ruhe. Trotzdem freue ich mich von ganzem Herzen, daß der alte Mann durchgehalten hat.«

Der Abschied von Dillstadt wurde allen sehr schwer. »Großvater, wir kommen zu den Herbstferien alle wieder!«

»Bitte, lieber, lieber Großvater, erlaube, daß ich dann meinen Freund mitbringen kann. Das ist ein armer Kerl, der braucht auch mal ein paar schöne Tage!«

»Ich habe auch einen Freund«, schrie Fritz, »den bringe ich mit. Großvater, wie lange ist es noch bis zu den Herbstferien?«

»Wenn ihr brav seid, kommt ihr im nächsten Sommer wieder her.«

»Gelacht«, brüllte Stefan, »wir kommen zu den Herbstferien, – basta!«

»Wer hat hier zu bestimmen?« fragte Doktor Kirschner seinen Ältesten.

Jürgen puffte den Bruder in die Seite. »Sei jetzt mal still! Später wird er es erlauben. Wir werden es schon einrichten, daß wir im Herbst wiederkommen.«

Noch in der Abschiedsstunde mußte Doktor Kirschner feststellen, daß seine Kinder keine Musterkinder waren. Sie machten Wagners das Leben bis zum letzten Augenblick schwer. Hätte er nicht ein energisches Machtwort gesprochen, so wäre Stefan aus dem Zuge gefallen.

Endlich fuhr der Zug aus der Halle.

Wieder tupfte der Großpapa dicke Schweißtropfen von der Stirn: »Frauchen, haben wir uns eine Badereise verdient oder nicht?«

»Ach ja, liebster Mann, ich glaube, du hast sie sehr nötig!«


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