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8.
Bärbel will Glück stiften

»Wenn du heute abend heimkommst, Harald, bin ich nicht hier. Ich fahre mit Jürgen nach Dresden.«

»Dann bestelle recht schöne Grüße an die Großmama.«

»Nein, Harald, ich werde die Großmama nicht besuchen. Ich werde Besorgungen machen, oh, ich habe allerlei einzukaufen, – vielleicht gehe ich am Abend eine halbe Stunde hinauf zu ihr, doch weiß ich es noch nicht. Das wird ganz darauf ankommen, wie es – na ja, du wirst schon sehen.«

»Ist es nicht ein wenig unpraktisch, den kleinen Jürgen mitzunehmen, wenn du Besorgungen machst? Er wäre bei Frau Leuschner doch gut aufgehoben.«

»Jürgen ist an dem heutigen Ausgang gerade das Wichtigste.«

»So so, – da soll wohl für den kleinen Mann allerlei eingekauft werden?«

»Er soll das Glück bringen.«

»Na, Bärbelchen,« lachte Harald, »was hast du dir denn nun wieder ausgedacht?«

»Etwas ganz Wunderschönes, – du wirst staunen, Harald! Ich bin nämlich unter die Diplomaten gegangen.«

»Du? – Aber, Bärbel, du hast zu tausend Dingen Talent, aber zum Diplomaten bist du ganz und gar nicht geschaffen.«

»Du wirst dich wundern, Harald, – ich habe einen Schlachtplan entworfen, – einfach großartig. Listig wie eine Schlange umzingle ich mein Opfer, Jürgen hilft mir dabei, das Netz ist über die Betreffende geworfen, sie kann nicht mehr entfliehen.«

Harald Wendelin machte ein bedenkliches Gesicht. »Mein liebes Goldköpfchen, es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn ich auch etwas von deinem großangelegten Plan erfahren könnte. Sage es mir getrost. Ich würde nämlich keine rechte Ruhe in der Fabrik haben, wenn ich daran denken müßte, daß du, als meine Frau, allein dein Opfer umzingelst. – Kann ich dir nicht ein wenig dabei helfen? Ich zingele gerne mit.«

»Nein, lieber Harald, heute kann ich dich gar nicht brauchen. Das ist Frauenarbeit. Du verstehst natürlich viel mehr als ich; aber heute muß ich die Geschichte ganz allein fingern, sonst mißglückt alles. Ich habe etwas Großartiges vor, – ach, wenn es doch gelingen wollte!«

»Eine Andeutung könntest du mir wenigstens machen.«

Bärbel lachte herzlich. »Ich denke, Männer sind nicht neugierig?«

»Es ist nur die Sorge wegen der Umzingelung. Daß dir der Jürgen nur nicht die ganze Geschichte verdirbt. Ich finde, du hast dir keine guten Hilfstruppen gewählt, mein liebes Kind.«

»Ach, Harald, – der Jürgen wird es machen! Der ist so niedlich, so drollig, – wenn der losplappert, hat man seine helle Freude an ihm. Der Hermann ist schon gewitzter, den kann ich heute schlechter brauchen. Ich sage dir, der Jürgen schafft es.«

Der Oberingenieur überlegte. Er konnte sich gar nicht denken, was seine Frau mit dem Söhnchen in Dresden wollte. Das Glück wollten sie bringen? Aber wem? – Bärbel hatte ein so gutes Herz, hatte sie sich wieder einmal etwas einreden lassen? Sie war vielleicht in ihrer Arglosigkeit drauf und dran, eine Unüberlegtheit zu begehen.

»Soll ich dir das Auto herschicken, damit du nach Dresden fahren kannst?«

»Nein, Harald, ich habe dem Kleinen versprochen, mit der Eisenbahn zu fahren, und er freut sich schrecklich darauf.«

»Dann wünsche ich also guten Verlauf deines diplomatischen Vorgehens. – Wann darf ich dich am Abend erwarten?«

»Erst zwischen acht und neun.«

»Aber, Bärbel, – sonst muß der Jürgen um sieben zu Bett, heute schleppst du das arme Kind bis gegen neun Uhr draußen herum?«

»Es ist heute eben ein ganz besonderer Tag. Für das Glück eines anderen muß man 'mal ein Opfer bringen können.«

»Nun gut, ich will in deine Geheimnisse nicht eindringen, mein Goldköpfchen.«

»Möchtest es aber doch gerne wissen,« lachte ihn Bärbel an.

Er nahm ihren Kopf zwischen beide Hände, schaute ihr zärtlich in die Augen und meinte: »Nicht aus Neugierde, mein Liebstes, dir kann ich vertrauen, nur aus Sorge um dich. Führt dich dein gutes Herz nicht wieder einmal einen falschen Weg?«

Bärbel wurde ernst. »Nein, Harald, es gilt heute einen Versuch, von dem ich gar viel erhoffe. Es handelt sich um meine liebste Freundin, um Edith. Du weißt, wie treu wir in der Schulzeit und auch später, während meiner Lehrzeit, immer zusammengehalten haben. Seit ihrer Verheiratung aber sind wir uns immer fremder geworden. Das tut mir sehr weh. Aber noch mehr leide ich darunter, daß Edith so unglücklich ist. Sie hat dabei gar keinen Grund dazu, eine Leere ist in ihr, sie sucht das Glück an ganz falschen Stellen.«

»Ich denke, sie war von dem Aufenthalt in Düsseldorf so begeistert? Hat sie nicht bei Helene Werffen sehr viele Zerstreuungen gehabt?«

»Freilich, Harald, nun ist sie zurückgekommen und ist unbefriedigter denn je.«

»Und nun willst du ihr das Glück bringen, mein Kleines?«

»Ja, Harald, ich habe mir alles lange und reiflich überlegt. Wenn ich an mich denke, wenn ich einen Blick in mein Heim tue, überall Freude und Sonnenschein. Edith hat nichts davon. Nun möchte ich ihr zeigen, wie man sich selbst das Glück verschaffen kann, an dem man auch in schweren Zeiten zehrt, ein inneres Glück, das durch nichts verlorengehen kann.«

»Wie soll dir das gelingen, mein Bärbel? Es gibt Menschen, die niemals zufrieden, niemals glücklich sind, die immer nach anderen ausschauen, immer glauben, dem Nachbar gehe es viel besser.«

»Weißt du, was Edith fehlt, Harald? Sie hat einen guten, fleißigen Mann, der viel zu nachsichtig ist. Sie kann sich gar manches leisten, aber ihr Leben ist trotzdem leer, sie ist unbefriedigt. Edith müßte ein ganzes Dutzend kleiner Kinder um sich haben, Lärm aus allen Ecken, sie müßte von morgens bis abends auf ihre Rangen aufpassen, schelten, verzeihen, küssen und prügeln, – das fehlt ihr.«

»Edith ist keine Kinderfreundin, mein Bärbel, viel zu oft hat sie das schon gesagt.«

»Na, Harald, warte erst 'mal ab. Ich habe gestern mit ihr telephoniert und sie kräftig beschwindelt.«

»Was? – Du?«

»Diplomatische Notwendigkeit, – ich habe ihr gesagt, daß ich Jürgen heute wegen verschiedener Einkäufe brauche, daß ich ihn dann irgendwo absetzen möchte, weil er mich behindert. Zur Großmama könnte ich heute nicht gehen, sie sei eingeladen. Ich habe sie gebeten, ob sie mir den Jungen nicht für einige Stunden abnehmen wolle.«

»Eine Freude wirst du ihr damit sicherlich nicht gemacht haben.«

»Für den Anfang gewiß nicht, Harald, aber sie soll erst einmal sehen, wieviel Freude es macht, ein solches Würmchen um sich zu haben. Jürgen erzählt so niedlich, sie wird sich an dem Jungen freuen und so ganz langsam zu der Erkenntnis kommen, daß ein Haus, in dem kein Kinderjubel herrscht, eine öde Stätte ist.«

»Mein gutes Goldköpfchen hat sich da einen recht braven Plan zurechtgelegt. Aber so leicht ist ein Mensch nicht umzuwandeln, mein liebes Bärbel. Wenn Edith unseren Jungen für Stunden behüten will, ist das sehr nett von ihr. Bestelle ihr herzliche Grüße. Dir aber wünsche ich, daß dir dieses diplomatische Manöver auch Erfolg einbringt.«

Bärbel erhoffte von diesem Nachmittage sehr viel. Sie konnte gar nicht recht froh werden, wenn sie an Edith dachte. Mit inniger Liebe hing sie an der Schulfreundin, und oft zerbrach sie sich den Kopf, wie sie ihr helfen könnte. Edith war aus Düsseldorf zurückgekehrt, hatte erzählt, was Helene für ein herrliches Leben führe. Feste und Gesellschaften jagten sich geradezu, und trotzdem fühle sich die reiche Frau freudlos und innerlich leer. Erst kürzlich hatte man ihr Kind in eine Anstalt gebracht, doch bestand keine Hoffnung, daß der Zustand gebessert werden könne. Der Gatte Helenes widmete sich trotz seiner Krankheit der Arbeit. Alltäglich kamen und gingen Dutzende von Beamten, die seine Anordnungen entgegennahmen, in der Villa aus und ein, während Helene sich bei allen Festlichkeiten zeigen sollte, um die Firma zu repräsentieren. Dieses Leben in Reichtum und Luxus hatte Edith anfangs geblendet, aber allmählich war auch ihr zur Erkenntnis gekommen, daß alles dies ein Herz nicht auszufüllen vermöge.

Auf Bärbels Anraten hin, hatte sich Edith in der Wohlfahrt ehrenamtlich betätigt, doch auch das machte ihr sehr bald keine Freude; sie ließ es wieder sein, saß unbefriedigt daheim und wartete auf das Glück, das nicht kommen wollte.

Jürgen Wendelin war ein sonniges, kluges Kind, das durch seine drolligen Äußerungen die Herzen der ganzen Nachbarschaft eroberte. Auf ihn setzte Bärbel alle Hoffnungen, und frohen Herzens fuhr sie am zeitigen Nachmittag nach Dresden, um ihren Sohn als Medizin bei Edith abzugeben.

Edith empfing die Freundin herzlich. Sie fand die Idee reizend, ihr den Knaben anzuvertrauen, und berichtete, daß sie schon heute früh allerlei Spielzeug besorgt habe, damit sich Jürgen nicht langweile.

In kindlichem Vertrauen setzte sich Jürgen auf den Schoß der guten Tante und versprach der sich verabschiedenden Mutter, daß er auf Tante Dita sehr toll aufpassen wolle, die Mutti könne ruhig gehen.

Während der Besorgungen, die Bärbel machte, weilten ihre Gedanken bei der Freundin und dem kleinen Jürgen. Würde Edith des Kindergeplauders bald überdrüssig werden, oder würde Bärbel mit ihrem Plan doch Siegerin bleiben? Mehrfach drängte es sie, die Besorgungen abzubrechen, um zu Edith zurückzukehren, aber sie bezwang sich tapfer. Jetzt hieß es eben, alles auf eine Karte setzen. Fand Edith an Jürgen Gefallen, kam ihr durch das Kindergeplauder der Gedanke, daß durch Kinder Segen und Glück ins Haus komme, so war es gut, wenn sie sich mehrere Stunden lang mit dem Kleinen beschäftigte. Wurde ihr aber der Knabe lästig, nun, dann mußte sie eben auch für die nächsten Stunden der Freundin das Opfer bringen, den Kleinen zu betreuen.

Kurz nach sechs Uhr hielt es Bärbel nicht länger aus. Eiligen Schrittes begab sie sich zu Edith zurück. Ihr war recht bänglich zumute, als sie läutete und das Mädchen öffnete. Im gleichen Augenblick hörte sie aber auch ein zweistimmiges Gelächter, sie erkannte die Stimme ihres Kindes, in die sich die der Freundin mischte.

»Dem Himmel sei Dank,« sagte Bärbel leise, eilte dann hastig in das Zimmer und blieb an der Tür stehen. Auf dem Teppich lag die junge Frau, und über sie hin kletterte der kleine Jürgen. Alles das geschah unter Jubel und Lachen.

»Bist du schon da? Du willst doch nicht etwa deinen Buben abholen?«

»Jürgen bleibt noch hier, Mutti!«

»Ach – ich habe noch einen Gang vergessen, Edith,« stammelte Bärbel, und die Freude verlegte ihr fast die Stimme, »ich will rasch noch einmal gehen.«

Weg war sie. Unten auf der Straße aber stand sie lange und faltete andächtig die Hände.

»Lieber, lieber Himmel, du hast mir, seitdem ich auf der Welt bin, unendlich viel Glück geschenkt, daß es fast zuviel für mich ist. Gib nun der dort oben auch ein bißchen davon ab, zeige ihr den rechten Weg, laß meinen Plan gelingen, damit ich Edith wieder voll und ganz zurückgewinne, damit sie sich aber auch nicht selbst verliert. Ach, mach' sie doch auch glücklich!«

Bärbel ging die Straße auf und ab, – ab und auf. Noch immer schien ihr die Zeit nicht gekommen, um wieder hinaufzusteigen. Dort oben sollte eine Frau immer klarer erkennen, was Kinder für Glück bringen.

Sieben Uhr war längst vorbei, als sie sich wieder einfand. Mit strahlenden Augen empfing sie Edith. So froh hatte die Stimme der Freundin lange nicht mehr geklungen.

»Wenn du mich lieb hast, Bärbel, wenn du wirklich meine Freundin bist, mußt du mir den kleinen Jürgen öfters bringen. Alle Woche mindestens einmal. Es war heute zu schön!«

»Es war zu schön,« wiederholte der Knabe. »Mutti, ich bleibe hier!«

»Was, – du willst nicht wieder zu deiner Mutti kommen?«

Einen Augenblick schwankte das Kind, dann lief es mit ausgebreiteten Ärmchen auf Bärbel zu.

»Na ja,« meinte der Knabe gönnerhaft, »bei dir ist es auch schön!«

Bärbel mußte energisch Einspruch erheben, daß ihrem Jürgen nicht von Edith alle Taschen mit Süßigkeiten vollgestopft wurden.

»Du darfst mir den Jungen nicht so sehr verwöhnen, liebe Edith.«

»Bleibe doch noch eine halbe Stunde hier, Bärbel, dann kommt mein Mann heim.«

»Nein, Edith, es wird zu spät, der Junge muß zu Bett, sonst schläft er längst um diese Zeit.«

»Ach, bitte, nur noch eine halbe Stunde.«

Da gab Bärbel nach. Es war gewiß nicht richtig, daß sie dem Knaben den Schlaf entzog, aber vielleicht war es ganz gut, wenn Just Rindermark seine Frau in dieser glücklichen Stimmung antraf, wenn auch er das Geplauder des kleinen Jürgen hörte und wenn auch ihm die Sehnsucht nach solch einem Glück ins Herz zog.

»Ich will wenigstens mit Harald telephonieren, daß er sich nicht ängstigt.«

»Das wollen wir gleich machen. Bärbel.«

Bärbel war am Apparat recht kleinlaut. »Ich lasse ihn morgen bis Mittag schlafen, Harald, sei nicht böse. Ich denke, es klappt alles!«

»Nun gut, Bärbel, handle, wie du es für richtig findest.«

Kurz vor acht Uhr kam Just Rindermark heim. Bärbel sah sofort, daß er auf das höchste erstaunt war, seine Frau in solch guter Laune anzutreffen. Sie mochte den ernsten, pflichttreuen Mann gut leiden und wünschte ihm von Herzen das Glück. Jürgen war dem Prokuristen gegenüber nicht schüchtern, im Gegenteil, er machte auch jetzt wieder so drollige Bemerkungen, daß Rindermark sehr bald von der allgemeinen Fröhlichkeit angesteckt wurde und es lebhaft bedauerte, als Bärbel ernstlich zum Abschied drängte.

Man brachte sie bis zum Bahnhof. Rindermark ließ es sich nicht nehmen, den ganz plötzlich müde werdenden Knaben zu tragen. Als man sich voneinander verabschiedete, lagen die Hände der beiden Freundinnen fest ineinander. Bärbel schaute Edith tief in die Augen.

»Wenn dich der Lärm nur nicht gestört hat, Edith. Als Mutter ist man glücklich, ein so lebhaftes Kind um sich zu haben, aber du bist das nicht gewöhnt.«

»Es war so schön, Bärbel, – schicke ihn mir nur recht bald wieder her.« – – –

Wenige Tage später rief Edith telephonisch bei Bärbel an, ob es ihr recht wäre, wenn sie mit ihrem Manne am Sonntag nach Heidenau hinauskäme.

»Ich habe Sehnsucht nach meinem kleinen Freunde.« »Ihr seid uns natürlich herzlich willkommen,« erwiderte Bärbel, »wollt ihr nicht schon zu Tisch herauskommen?«

So kam es, daß schon Sonntag mittag Herr und Frau Rindermark in der Villa in Heidenau weilten, und daß Bärbel ganz absichtlich viel draußen in der Küche war, denn Edith spielte reizend mit den beiden Knaben. Die beiden Herren saßen zusammen im Nebenzimmer und lauschten zeitweilig hinüber, über das Antlitz des Prokuristen glitt oftmals ein Freudenschimmer, wenn er aus dem Munde seiner Frau ein fröhliches, lange entbehrtes Lachen vernahm.

Als Bärbel am Nachmittage die Kinder hinausschicken wollte, damit die Erwachsenen allein bleiben konnten, fuhr Edith beinahe entrüstet auf.

»Nein, Bärbel, die Kinder laß nur hier, ich habe lange nicht mehr so fröhliche Stunden verlebt wie bei ihrem lustigen Geplauder.«

Am Abend war man schließlich doch allein. Immer wieder berichtete Edith von den drolligen Äußerungen der beiden Kinder, und immer wieder lachte sie herzlich in Erinnerung an die spaßigen Ausdrücke.

»Ein ganzes Kinderbuch kann man über deine Kleinen schreiben, Bärbel. Höre nur, Just, wie ein Bube den anderen belehrt: Da will mein kleiner Freund wissen, warum die kleinen Hühnchen aus den Eiern schlüpfen, und Hermann gibt ihm zur Antwort: ›Weil sie nicht wollen, daß man sie mitkocht.‹«

Sie lachte immer wieder herzlich auf.

»Die kleinen Trabanten machen meiner Frau mitunter recht viel zu schaffen; in Ihrer Häuslichkeit sieht es gewiß viel ordentlicher aus als bei uns. Sie brauchen um Vasen und Teller nicht zu zittern, Frau Edith, bei uns klirrt es manchmal.«

»Das ist doch nicht schlimm, dafür sind es doch Kinder.«

»Ja,« pflichtete Bärbel bei, »dafür sind es Kinder, die das Glück ins Haus bringen. Wenn ich an alle die kleinen Episoden zurückdenke, wird alles Unangenehme reichlich aufgewogen. Da vergißt man, daß zu Weihnachten beinahe das Zimmer im Elternhause ausgebrannt wäre, daß erst vor wenigen Tagen mein Schlafzimmerspiegel zerschlagen wurde, eine Kristallschale zerbrach, daß man mit meinem Seidentuch die Zimmer aufwischen wollte. Da gibt es Hunderte von kleinen Erlebnissen, die eine Mutter glücklich machen.«

»Wenn man nur die Gewißheit hätte, daß die Kinder geraten.«

Nachdenklich schaute Bärbel vor sich nieder. »Wenn man sich immer wieder Mühe gibt, wenn man genau auf die Entwicklung in den kleinen Herzen achtet, merkt man doch schon zeitig, ob die Saat, die darin aufgeht, stark von Unkraut durchsetzt ist. Ich hoffe, daß ich an meinen beiden Jungen später Freude erleben werde. Sie sind gut, meine Buben, hat doch erst gestern früh mein Jürgen mit dem Fingerchen von seinem Brötchen die Marmelade heruntergestrichen und mir vor den Mund gehalten, weil ich geäußert hatte, daß mir gerade diese Marmelade sehr gut schmecke. Ich sollte sie haben, er wollte meinetwegen verzichten. Und Hermann hat mir zu Weihnachten sein Schaukelpferd geschenkt. Ich weiß, es ist ihm sehr schwer geworden, aber er hat es getan, um mir eine Freude zu machen. So könnte ich dir Hunderte von kleinen Zügen erzählen, liebe Edith, die mir beweisen, daß die Herzen meiner beiden Jungen gut sind.«

»Sie übertreiben ihre Güte mitunter,« lachte Harald, »hat mich doch erst am vorigen Sonntag der Hermann gebeten, ich möchte keine Strümpfe mehr tragen. Er meinte, die Mutti hätte gejammert, daß so viel zu stopfen sei. Er wollte mir durchaus keine Strümpfe geben, um seiner lieben Mutti Arbeit zu ersparen.«

Edith war immer stiller geworden. Wie glücklich konnte Bärbel sein, wie viel Freude bot dieser doch ihr Heim.

Sie schüttelte gewaltsam ihre schwermütige Stimmung ab. »Heute bekam ich einen Brief von Helene aus Düsseldorf. Sie fährt in den nächsten Tagen über Dresden und möchte uns wiedersehen. Wir wollen uns bei mir treffen.«

»Arme Helene,« sagte Bärbel, »wenn ich sie doch auch so recht glücklich machen könnte!«

»Vielleicht – vielleicht,« begann Edith stockend, »müßte sie sich ein Kindchen annehmen.«

»Ich glaube nicht, daß ihr der Gatte das gestatten würde. Sie muß ja so häufig zu Vergnügungen gehen, muß die eigenen Gäste empfangen. Da hat sie wenig Zeit für solch ein kleines Wesen. Aber freilich, sie würde das Glück kennenlernen, wenn sie ein Kindchen hätte.«

Sehr spät erst ging der Besuch wieder heim.

»Ich habe das Gefühl,« sagte Bärbel beim Abschied, »daß wir uns wieder nähergekommen sind, liebe Edith, ich hatte schon Sorge, daß ich dich verlieren könnte. Aber heute war es mir wieder warm ums Herz, komm doch recht bald wieder.«

Sie waren gegangen. Bärbel schmiegte sich an ihren Gatten und sprach beglückt auf ihn ein. »Sie war so froh, Harald, vielleicht wird sie doch noch einmal recht glücklich.«

»Ich glaube beinahe, daß es der kleinen Diplomatin gelungen ist, Frau Edith zu umzingeln. Es will mir so scheinen, als hättest du ihr wirklich ein Netz über den Kopf geworfen.«

»Meinst du?« fragte Bärbel jauchzend.

»Kleine, gute Glückspenderin! Ich möchte es Edith wünschen, daß auch sie zu der Erkenntnis kommt, was der Inhalt des Lebens ist.« – – –

Gegen Ende der Woche war Helene für einen Tag in Dresden eingetroffen. Sie hatte Bärbel davon benachrichtigt und sich dann mit ihr in Ediths Wohnung getroffen, um dort einige Plauderstunden gemeinsam zu verbringen.

Helene sah heute fast noch gedrückter aus als damals, wo man sich im Café der Blau-Blümelein getroffen hatte. Und wieder jagten hinter Bärbels Stirn die Gedanken, ob sie nicht auch diese Schulkameradin ein wenig glücklicher machen könnte. Ganz absichtlich begann sie von ihren Kindern zu erzählen, voller Begeisterung stimmte Edith in das Lob der beiden Knaben mit ein. Aber plötzlich verstummte Bärbel. Sie bemerkte den trostlosen Ausdruck in den Augen der reichen Frau, verstohlen gab sie Edith einen Wink. Aber diese war nun einmal von Jürgen so begeistert, daß sie nicht sogleich aufhören wollte.

»Den Jungen müßtest du sehen, Helene, ich kenne kein süßeres Kind. Du hättest ihn mitbringen müssen, Bärbel.«

»Wir haben neulich davon gesprochen, du müßtest dir ein Kind ins Haus nehmen. Helene, denn es ist gar zu drollig, mit solch einer kleinen Krabbe zu spielen.«

Helene Werffen machte eine abwehrende Handbewegung, doch Edith redete immer dringlicher auf sie ein. Da sprang die andere plötzlich erregt auf.

»Wenn du nicht willst, daß ich sofort von dir gehe, Edith, so höre davon auf!«

»Und ich meine es doch gut, Helene,« erwiderte Edith betreten.

»Glaubst du denn, ich hätte nicht schon lange diesen Gedanken gehabt? Ich weiß sehr wohl, wie trostlos es ist, immer allein zu sein. Nur immer allein. – Ich sehe mein leeres Leben. Und es wird in Zukunft noch öder und jammervoller sein. Aber ich darf nicht, ich darf ja nicht Mensch sein, nicht Frau, – nicht Mutter. Ich bin nur die reiche Frau, die Repräsentantin der Weltfirma. – Ach, wie beneide ich dich, Bärbel! – Aber jetzt seid still davon, mein Leben ist leer und bleibt leer!«

»Wir wollten dir nicht wehe tun, liebe Helene,« sagte Bärbel bedrückt.

»Du meinst es gut mit mir, Bärbel, herzlich gut, ich weiß es, aber mir kann nicht geholfen werden. Jede Frau, sei sie noch so arm, kann sich ihr Glück schaffen, – ich darf es nicht! Mich hat man mit Ketten an unser Hüttenwerk geschmiedet, ich habe Pflichten, die mich langsam zugrunde richten, da mir die Freude im Leben fehlt. Aber laß uns jetzt nicht länger davon reden, – ich muß mein Leben ertragen.«

Man hatte vergeblich versucht, wieder eine etwas heitere Stimmung zu schaffen; es war nicht gelungen. Schweren Herzens hatte man sich endlich getrennt. Als Bärbel von Edith Abschied nahm, umschlang sie die Freundin weinend:

»Sie ist die Unglücklichste von uns, Bärbel, ein jeder kann sich sein Glück schmieden, – sie, die Ärmste, darf es nicht!«

»Und du, – die du bisher so unbefriedigt gewesen bist?«

Da drückte Edith ihre Lippen lange auf den Mund der Freundin.


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