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4.
Elternfreuden aller Art

»Es bedarf keines Dankes, Herr Wendelin, ich freue mich, Ihren lieben Jungen für ein paar Stunden bei mir haben zu können. Ich weiß aus Erfahrung, in welcher Unruhe man lebt, wenn solch lebhafter Bursche auf sich selbst angewiesen ist; ich hole nachher Ihren Hermann ab und bringe ihn erst wieder zurück, wenn Ihre letzten Gäste gegangen sind.«

»Wissen Sie auch, Herr Forstrat, was Sie auf sich nehmen? Unser Junge ist ein sehr lebhaftes Kerlchen.« »Natürlich, – ich kenne den kleinen Burschen ja ziemlich genau. Da ich nun einmal mit Ihnen in einem Hause wohne, können wir uns doch solche kleine Gefälligkeiten erweisen. Hermann und ich sind die besten Freunde, und auch meine Frau freut sich herzlich auf heute nachmittag. Sitzen Sie nur ruhig bei Ihren Gästen, es wird Ihrem Hermann nichts zustoßen, und er wird keine Langeweile haben.«

Forstrat Schmeling schüttelte dem Oberingenieur kräftig die Hand. Er war ein alter, aber noch sehr rüstiger schlanker Herr, dem die Villa in Heidenau gehörte. Er hatte sie nach seiner Pensionierung erworben und war mit seinen Mietern im ersten Stockwerk recht zufrieden. Die junge Frau mit ihrer hellen Stimme und dem goldigen Haar gefiel dem alten Herrn über alle Maßen. Auch er nannte Bärbel nie anders als »Frau Goldköpfchen«, und der jetzt drei Jahre alte Hermann war sein ganzes Vergnügen. Wie oft hatte er über den Bengel schon herzlich gelacht, wenn der im Hof oder im Garten umhersprang und voller Wissensdurst nach diesem und jenem fragte. Wie hatte der Knabe gestaunt, als er im Zimmer des Forstrates die vielen Geweihe sah, die er höchst unehrerbietig als krumme Stöcke bezeichnet und nicht glauben wollte, daß so etwas auf den Köpfen der Tiere wachse.

Nun hatten der Forstrat und seine Gattin eine Einladung zum Sonntag erhalten, Wendelins gaben wieder einmal ein Mittagessen. Doch die beiden alten Leute hatten abgelehnt, der Forstrat litt an einem heftigen Magenkatarrh, und seine Gattin fühlte sich gleichfalls nicht ganz wohl. Der Forstrat hatte Wendelins das Anerbieten gemacht, für den Sonntag den kleinen Hermann zu sich zu holen, und dieser Vorschlag wurde von den Eltern dankbar angenommen.

Goldköpfchen hielt es für richtig, ihrem Sohne erst noch einige ernstliche Ermahnungen zu erteilen. Daß Hermann bei Forstrats allerlei anstellen würde, war sicher.

»Nichts anfassen, Hermann, und auch nicht zu viel fragen. Der gute Onkel Forstrat ist sehr lieb zu dir, er ist aber ein alter Herr, so darfst du nicht so viel lärmen.«

Hermann drehte verzückt seine blauen Augen zum Himmel. »Oh, wie schön, – Hermann freut sich auf den grünen Opa!«

»Du sollst ›Onkel Forstrat‹ sagen.«

»Ist doch der grüne Opa von Hermann,« meinte der Knabe. Wie sollte man sonst einen Unterschied zwischen all den Opas machen. Der Forstrat, der immer noch seine grüne Uniform trug, war eben der grüne Opa, während der alte Milchmann, der Milchopa war. »Hermann wird sehr artig sein, Mutti, Hermann ist das ganze Glück vom grünen Opa!«

»Was bist du?«

»Der grüne Opa hat gesagt: ›Hermann ist sein ganzes Glück!‹ – Mutti, kommen viele Leutens heute zu dir?«

»Ja, zwölf Stück.«

»Eßt ihr dann auch von goldenen Tellern? – Warum kommt denn der grüne Opa nicht mit? – Du hast wohl nur zwölf goldene Teller?«

»Der Onkel Forstrat ist krank, mein Junge.«

»Oh, – muß er im Bett liegen? Gibt ihm der Onkel Doktor pfuischmeckende Tropfen?«

»Nein, der Onkel Forstrat hat einen Magenkatarrh und darf nicht viel essen.«

»Oh –«

»Du darfst ihn auch nicht ärgern, sonst verschlimmert sich der Magenkatarrh. – Also heute sehr brav sein, Hermann, sonst ist die Mutti böse.«

»Kann ich nun zum grünen Opa gehen?«

»Nein, du mußt noch etwas warten. Aber du kannst jetzt hinein zum Vati gehen, er zieht sich schon an. Mutti hat noch viel zu tun. Störe sie nicht.«

Hermann ging zum Vater. Der stand in Hemdärmeln vor dem hohen Spiegel. Der Knabe brach in jauchzendes Lachen aus.

»Vati, – du Dreckfink!«

Wendelin fuhr herum. Er war gerade dabei, sich zu rasieren, und hatte das Gesicht voller Seifenschaum. Hermann lachte so herzlich, daß er sich auf den Boden setzen mußte.

»Mutti – Mutti,« schrie er dann aus Leibeskräften, »ach, komm doch, Mutti! – Sieh doch 'mal den Vati!«

»Der Vati rasiert sich, mein Junge.«

»Hermann will sich auch rasieren.«

»Halt, Kleiner, das ist nichts für dich. Setze dich ruhig dort in die Ecke, dann kannst du zusehen.«

»Die Mutti haut dich wohl nicht, wenn du dir das Gesicht beschmierst?«

»Nein, das tut sie nicht!«

»Aber die Mutti haut den Hermann.«

»Der Hermann braucht sich auch nicht zu rasieren. Das ist nur etwas für große Leute.«

Mit weit geöffneten Augen verfolgte der Knabe jede Bewegung des Vaters. Als der Oberingenieur fertig war, nickte der Knabe wohlgefällig mit dem Kopf.

»Ist gut, Vati, – daß du dir all das Dreckzeug wieder aus dem Gesicht gewischt hast, sonst wäre die Mutti sehr böse.«

»Das ist kein Dreckzeug, mein lieber Junge. Solch häßliche Ausdrücke nimmt ein junger Mann nicht in den Mund. – Merke dir das.«

Eine halbe Stunde später, als man schon in den größten Vorbereitungen war, erschien Forstrat Schmeling persönlich, um sich den kleinen Hermann abzuholen. Er nahm den jubelnden Knaben an der Hand, führte ihn hinab in die Parterrewohnung, in der Frau Schmeling schon wartete.

Durch die Fenster sah man die Gäste kommen. Neugierig wandte sich der kleine Hermann an den Forstrat.

»Bist du traurig, daß du oben nicht mitfuttern kannst?«

»Nein, mein lieber Junge.«

»Darfst nicht! – Nicht wahr? Hast einen Magentrara?«

»Ja, kleiner Mann, den habe ich.«

»Sitzt der hier?« Der kleine Knabe tippte dem Forstrat auf den Leib.

»Ein bißchen höher, – hier, im Magen.«

»Hermann möchte auch einen Magentrara haben. – Der Hermann soll immerzu essen und mag doch nicht.«

»Wenn du ein großer, kräftiger Junge werden willst, mußt du tüchtig essen. – Bist ja so dürr. Hier muß überall Fett hin. – Hast ja nur Knochen. Mit jedem Tage muß solch ein kleiner Bursche dicker und runder werden. – Also, immer tüchtig essen.«

»Hahaha,« lachte Hermann fröhlich, »grüner Opa, du bist ja auch so dünn!«

»Das ist erst seit dem Magenkatarrh. Als ich Oberförster war, war ich dick und kugelrund.«

»Oberförtner bist du auch gewesen? Wie der alte Mann draußen beim Vati in der Fabrik? – Ach, Onkel Opa, was machst du für komische Sachen!«

Frau Schmeling hatte natürlich dafür gesorgt, daß man für ihren kleinen Hermann reichlich Kuchen, Schokolade und Schlagsahne bereitstellte. So war denn der Kaffeetisch lecker gedeckt, und der Forstrat wies auf die guten Dinge.

»Jetzt wird tüchtig gegessen, Hermann. Gleich fangen wir damit an, warte noch einen Augenblick, die Oma holt den Kaffee, und ich hole mir eine Zigarre.«

Man schob einen hohen Stuhl, auf dem mehrere Kissen lagen, an den Tisch heran und ließ Hermann für wenige Augenblicke allein. Dessen blaue Augen gingen über die leckere Torte, die Schokoladenkuchen hinweg und öffneten sich weit, als sie die runde Schüssel mit der Schlagsahne sahen. Hermann sah in Gedanken den Vati vor sich stehen, der sich vorhin das Gesicht mit genau solchem weißen Zeug beschmiert hatte. Wie würde sich der grüne Opa freuen, wenn sich Hermann jetzt auch rasierte!

Er zog die Schüssel zu sich heran, griff mit beiden Händchen hinein und klebte sich die Sahne ins Gesicht.

»Opa – Opa,« jauchzte er, »der Hermann rasiert sich!«

Der Forstrat, der nur für wenige Augenblicke ins Nebenzimmer gegangen war, kam mit raschen Schritten näher. Es bot sich ihm ein eigenartiges Bild. Der Knabe hielt den Kaffeelöffel in der Hand, schabte damit in dem Gesichtchen hin und her, mit der anderen Hand klebte er sich neue Sahne ins Gesicht. Der dunkelblaue Samtanzug war über und über bespritzt.

»Junge!«

»Der Hermann rasiert sich!« klang es beglückt zurück, »der Hermann macht wie der Vati!«

Der Forstrat begann schallend zu lachen. Dieses über und über beklebte Kindergesichtchen, die genau abgesehenen Bewegungen wirkten zu stark auf seine Lachmuskeln. Hermann aber nahm dieses Lachen als Aufforderung, sein Tun fortzusetzen.

»Grüner Opa, – soll dich der Hermann auch 'mal rasieren?«

Von der hocherhobenen Kinderhand flogen die Schlagsahnflocken über den Tisch. In diesem Augenblick erschien Frau Schmeling mit dem Kaffee.

»Um Himmels willen, was ist denn hier los?«

»Er rasiert sich,« sagte der Forstrat noch immer lachend.

»Er rasiert sich,« echote Hermann und war sehr erstaunt, als Frau Schmeling hastig nach einer Papierserviette griff und dem Knaben damit Gesicht und Hände abwischte. Aber nur ein kurzes Weilchen dauerte dieses Entsetzen, dann jubelte der Kleine von neuem:

»Wie der Vati!«

Er griff nach dem Tischtuch, um den Löffel daran abzuwischen. Genau so hatte er es beim Vati auch gesehen.

Nun begann erst eine gründliche Reinigung des Knaben. Ebenso mußte der Kaffeetisch in Ordnung gebracht werden, denn überall zeigten sich die Spuren der eigenartigen Rasierseife.

»Du hättest den Jungen nicht allein lassen dürfen,« sagte leise die Hausfrau zu dem Gatten.

Der Knabe hatte diese Worte gehört und nickte mit dem Kopf. »Ihr hättet den Jungen nicht allein lassen sollen. – Aber nicht wahr, grüner Opa, der Hermann ist dein ganzes Glück?«

»Das bist du, mein Junge, aber das Rasieren läßt du in Zukunft bleiben.«

Während des ganzen Nachmittags beschäftigen sich die beiden alten Leute ununterbrochen mit Hermann. Allerlei kleine Spiele wurden ersonnen, der Forstrat erzählte von seinen Streifzügen durch den Wald, von den darin lebenden Tieren, von den Hirschen mit den riesigen Geweihen, und er zeigte dem aufmerksam zuhörenden Kinde das an der Wand hängende Gehörn.

Die Zeit verlief überraschend schnell, und als Schmeling sagte, daß es nun Zeit sei, wieder hinaufzugehen, schüttelte Hermann das Köpfchen.

»Der Hermann findet nicht, daß es Zeit ist, hinaufzugehen. Der Hermann bleibt noch beim grünen Opa.«

Eine Viertelstunde später erschien Oberingenieur Wendelin persönlich, um seinen Knaben abzuholen.

»Haben Sie tausend Dank, gnädige Frau, und auch Sie, Herr Forstrat. Hat er auch nichts angestellt?«

»Nichts Schlimmes.«

»Hermann hat sich rasiert!« jauchzte der Knabe, »oh, Vati, der Hermann ist ein Dreckfink gewesen, – das ganze Gesicht war voll!«

Fragend schaute der Oberingenieur auf das Ehepaar, erneut begann der Forstrat herzlich zu lachen.

»Zum Schauspieler hat Ihr Junge Talent. – Wie er dasaß, wie er sich mit der Schlagsahne rasierte, man mußte dazu lachen. – Das hätte man knipsen müssen. – Zum Schreien komisch. Ein ganz famoser Bengel!«

»Vati, – famoser Bengel!« rief Hermann, stemmte die Arme in die Hüften und schaute den Vater mit strahlender Herausforderung an.

Es gab neue Entschuldigungen, aber das Ehepaar Schmeling wehrte ab.

»Wir haben sechs Stück gehabt,« sagte die Forsträtin, »da ist nun nichts mehr neu, Herr Wendelin. Sie werden auch noch vieles erleben, und das Rasieren wird nicht das Schlimmste sein.« – –

Lange hatte Goldköpfchen überlegt, ob sie am heutigen Nachmittage ihre Freundin Edith in Dresden besuchen wolle oder nicht. Edith hatte schon mehrfach telephonisch angerufen und erklärt, sie sei bereits recht gekränkt, daß Bärbel so selten zu ihr komme. Aber Goldköpfchen ließ ihren kleinen Sohn so ungern mit Grete allein. Wenn auch das Mädchen ordentlich und fleißig war, mangelte es ihr doch an Überlegung, und meistens hatte sich etwas Unangenehmes ereignet, wenn Goldköpfchen für Stunden aus dem Hause war. Aber der Besuch bei Edith ließ sich nicht länger aufschieben.

»Ich werde heute abend nicht vor sieben Uhr zurück sein, Harald, bitte, komm doch recht pünktlich heim, Hermanus soll nicht so lange ohne Aufsicht bleiben.«

»Mach' dir keine Sorgen, Bärbel, Grete wird den Kleinen schon für die kurze Zeit im Zaume halten. Fahre nur ruhig nach Dresden, ich werde ganz pünktlich heimkommen.«

Gegen drei Uhr machte sich Bärbel auf den Weg, nachdem sie das Mädchen eindringlich ermahnt hatte, auf Hermann gut aufzupassen.

»Wenn du heute ein ganz besonders lieber und artiger Junge bist, bringt dir Mutti aus Dresden etwas mit.«

»Was denn?«

»Das wirst du ja sehen. – Also sei recht brav und artig!«

Mit schwerem Herzen machte sich Bärbel auf den Weg. Grete hatte zwar versichert, daß sie den Knaben nicht aus den Augen lassen werde, aber ein unglücklicher Zufall wollte es, daß Grete gerade an diesem Nachmittag den Besuch einer auswärtigen Freundin bekam. Wohl behielt sie den Kleinen bei sich in der Küche, doch dem Knaben wurde die Unterhaltung bald zu langweilig, und voller Unruhe verlangte er, daß Grete mit ihm spielen solle. Das junge Mädchen sah unten auf dem Hofe den Enkelsohn der Pförtnersleute, öffnete das Fenster und rief den neunjährigen Fritz, er möge heraufkommen und mit Hermann spielen.

Es geschah. Aber schon eine Viertelstunde später äußerte Fritz, man könne doch viel besser hinunter auf den Hof gehen, das Wetter sei doch so schön. Da Hermann häufig auf dem Hof herumspielte, machte sich Grete keine Gedanken, zumal sie vom Fenster aus fast den ganzen Hof übersehen konnte.

Es gab so viel zu erzählen, daß Gretes Gedanken von dem kleinen Hermann völlig abgelenkt wurden. Hin und wieder hörte sie das fröhliche Lachen des Kindes und die laute Stimme seines Spielgefährten Fritz.

Es war aber auch herrlich! Zwei Männer waren gekommen, die hatten hohe Stiefel an und zwei große Schachteln auf dem Rücken. Dann waren im Hofe viele Bretter fortgenommen worden, und unter den Brettern lag ein Haufen Asche. In der Asche aber befanden sich allerlei Schätze, nach denen Fritz aufmerksam suchte. Da waren kleine Flaschen, Blechbüchsen, Nägel, Draht, kurzum, diese geheimnisvolle Grube spie eine Menge köstlicher Dinge aus. Jedesmal, wenn die beiden Männer wieder einen Kasten voll Asche fortholten, kam neues, herrliches Spielzeug zutage. Das Beste aber war, daß, wenn man in die Asche sprang, eine dicke Wolke aufwirbelte, die immer ärger wurde, je mehr man in der Grube umherhüpfte.

»Hu, – ich rauche!« schrie Hermann begeistert.

Die beiden Männer lachten, als sie die beiden Knaben sahen, die über und über mit einer dicken Staubschicht bedeckt waren.

»Ihr Ferkel, – aber nicht wahr, das macht Spaß?«

»Ach, es ist so schön,« sagte der kleine Hermann glücklich.

Mit Geschrei stürzten die beiden Knaben auf jeden Scherben, auf jede sichtbar werdende Blechbüchse. In der einen Hofecke hatten sie einen ganzen Haufen solcher Dinge zusammengetragen, und immer noch kamen neue, wunderschöne Dinge hinzu.

Die Grube wurde leerer und immer leerer. Es kostete den kleinen Hermann schon viel Mühe, wieder aus ihr herauszukommen. Der Fritz mußte ihm dabei tüchtig helfen.

Und nun, – nun zeigte sich etwas ganz Neues. Aus der Müllgrube kam eine Flasche hervor, eine große, kantige Flasche, die oben mit einem Korken versehen war.

»Tiefschwarze Tinte,« buchstabierte Fritz.

»Ist mir!« rief Hermann und riß die Flasche an sich. Sie wurde sogleich eingehend untersucht. Die kleinen Finger arbeiteten so lange daran herum, bis der Korken entfernt war. Das Kind drehte die Flasche um, mehrere schwarze Tropfen kamen heraus und fielen auf den braunen Spielanzug.

»Ach, – sieh nur!« rief Hermann und tippte mit den Fingerchen auf die feuchte Stelle. Aber sofort mußte er niesen, die feuchte Nase wurde schnell mit den Fingern getrocknet, in dem stark verstaubten Gesicht zeigten sich mehrere schwarze Streifen.

In diesem Augenblick schaute Forstrat Schmeling aus dem Fenster seines Arbeitszimmers in den Hof hinaus. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das war doch der kleine Hermann Wendelin? – Aber wie sah der Junge denn aus? Schuhe, Strümpfe, der Anzug, ja selbst die blonden Haare waren von einer dicken Aschenschicht überzogen, dazu die zahlreichen Tintenspuren im Gesicht, auf den Händen und der Kleidung.

Sofort eilte er hinaus. »Hermann – Hermann! – Was hast du denn gemacht?«

»Wir haben so schön gespielt, grüner Opa!«

»Na, – der Vati wird sich freuen, wenn er dich so sieht, und die Mutti auch!«

Hermann hob den Kopf empor und schaute den Forstrat an.

»Wird er sich freuen?«

»Ja, mein Junge, der wird sich freuen,« sagte der Forstrat mit Nachdruck, »wenn der dich so sieht, – na, das kann ja nett werden!«

»Fritz, Fritz,« schrie Hermann, »der Vati wird sich freuen!«

»Komm 'mal herein, kleiner Mann, wir werden dich ausziehen. Ist denn niemand daheim?«

»Mutti ist fortgegangen.«

»So komm herein, daß wir dich ein wenig säubern.«

»Ach – der Hermann spielt gerade so schön, grüner Opa!«

Der Forstrat ging zurück in sein Zimmer. Er nahm sich vor, den Knaben auszuziehen, seine Sachen tüchtig auszuschütteln und die Spuren von Asche und Tinte zu beseitigen. Man wollte den Kleinen gründlich waschen, um ihn dann, wenigstens einigermaßen gesäubert, nach oben zu schicken.

Ehe diese menschenfreundliche Tat aber zur Ausführung kam, kehrte Oberingenieur Wendelin heim. Nichtsahnend betrat er den Vorgarten, hörte im Hof die jauchzende Stimme seines Knaben. Da durchzuckte ihn jäher Schreck. Er sah, daß die Müllgrube ausgeleert wurde, und wenn sein Hermann während dieser Arbeit zugegen war, würde er wohl nicht sehr sauber aussehen.

»Hermann!«

Aus dem Hofe kam der Knabe gelaufen. Als er den Vater erblickte, streckte er beide Ärmchen hoch in die Luft und rief voller Begeisterung:

»Vati, – freust du dir!«

Obwohl Harald Wendelin schon an manches gewöhnt war, blieb ihm die Antwort in der Kehle stecken. Daß ein solches Aussehen überhaupt möglich war, hatte er nicht geglaubt.

»Hermann! Wie kommst du denn hierher? Jetzt marsch hinauf!«

Bei der strengen Stimme des Vaters wurde das strahlende Kindergesichtchen recht ernst.

»Komm jetzt hinauf, aber nicht die Vordertreppe, sondern hinten. Und zuerst schüttelst du dich gründlich ab.«

Nun hatte Wendelin auch Fritz erblickt.

»Kannst du nicht ein wenig aufpassen, Fritz? Schämt ihr euch denn nicht, in dem Müll herumzuwühlen? Jetzt klopfe deinen Spielgefährten 'mal gut ab.«

Fritz tat es, und als Hermann notdürftig von der gröbsten Asche befreit worden war, mußte er die Hintertreppe vor dem Vater hinaufgehen.

In der Küche saß Grete noch immer eifrig plaudernd mit ihrer Freundin. Als sie den Knaben erblickte, schrie sie entsetzt auf, begann zu weinen; doch Wendelin schnitt ihre Entschuldigungen mit den Worten ab:

»Der Knabe wird sofort gesäubert. Hat Ihnen meine Frau nicht gesagt, daß Sie auf ihn achten sollen?«

Hermann war recht kleinlaut geworden. Aber es war doch so schön gewesen, in der Asche herumzuwühlen und alle die Herrlichkeiten herauszusuchen.

»Meine guten Sachen,« rief er plötzlich, »der Fritz wird mir meine guten Sachen fortnehmen. – Ich will meine Spielsachen haben!«

Aber Grete schalt den Knaben kräftig aus, so daß Hermann schließlich ganz kleinlaut wurde.

Eine halbe Stunde später stand er wieder frisch gewaschen und gekleidet vor seinem Vater. Harald hatte die Absicht aufgegeben, den Kleinen zu züchtigen. Er erinnerte sich, daß er selbst als Kind so gern im Straßenstaube gesessen und gespielt hatte. Es war doch immer das gleiche. Grete traf hier alle Schuld, die auf den Knaben nicht genügend geachtet hatte. Schließlich war das Unglück ja nicht weiter groß, Wasser und Seife beseitigten die Spuren bald wieder. Hermann hatte bereits seine Strafe erhalten, wahrscheinlich hatte ihn Grete von oben bis unten kräftig abgeseift, und das Waschen war niemals nach Hermanns Geschmack.

»Sollst du in der Müllgrube spielen, Hermann?«

Unsicher blickte der Kleine zu seinem Vater auf, aber die Stimme klang jetzt nicht mehr so streng wie vorhin. Da war es wohl das richtigste, wenn er wieder sein fröhliches Kinderlachen aufsetzte und dem Vater die kleinen weißen Zähnchen zeigte.

»Du hast doch so viel Spielzeug, Hermann, da brauchst du doch nicht im Schmutz zu wühlen.«

»Der Hermann möchte so gern sein schönes Spielzeug haben.«

»So komm, wir holen den Bär und das Pferd.«

»Nein, Vati, der Hermann will das schöne Spielzeug haben.«

»Wo ist es denn?«

»Unten, in der Mistgrube!«

»Was ist denn das für Spielzeug?«

»Ach, Vati, so viele schöne Sachen, – eine schöne Flasche und Eisenbindfaden, – und allerlei Schönes, – und das wird mir nun der Fritz alles wegnehmen. Das ist doch aber Hermanns Spielzeug.«

»Das alles habt ihr euch wohl aus der Müllgrube aufgelesen?«

»Ja, Vati, so viel schönes Spielzeug.«

»Das ist kein Spielzeug, mein Junge, du hast doch viel nettere Sachen. – Hier hast du das Steckenpferd.«

»Der Hermann will nicht das olle Steckenpferd.«

»Das andere Spielzeug gibt es nicht. Hier, so nimm den Bär!«

»Der Hermann will nicht den Bär, – der Hermann will sein schönes Spielzeug aus der Mistgrube!«

»Hast du nicht gehört, daß es das nicht gibt? Hier hast du den Bär!«

Hermann ergriff das Stofftier und schleuderte es mit Gewalt auf den Fußboden.

»Der Hermann will nicht den Bär!«

»Was fällt dir denn ein, mein Junge?«

»Hermann ist das ganze Glück vom grünen Opa! Oller dämlicher Bär!«

»Du hebst den Bär sofort auf!«

»Der Hermann will nicht!«

»Aber der Vati will es, – hast du verstanden?«

Die blauen Augen des Kindes wurden dunkel und trotzig. »Der Hermann will aber nicht!«

»So, – du willst nicht?«

Scheu blickte das Kind dem Vater nach, der in die Ecke ging und den Rohrstock holte.

»Nun, – wie wird es nun? Du hebst sofort den Bär auf.«

Hermann begann zu weinen. »Der Hermann will doch sein schönes Spielzeug haben, – der Hermann will –«

Weiter kam er nicht. Aber Grete hörte draußen in der Küche, daß drüben wieder einmal Gericht gehalten wurde.

»Ist ihm ganz recht,« sagte sie, noch immer ärgerlich, »wenn er doch solch ein Dreckfink ist!«

Hermann wurde in die Ecke des Zimmers gestellt. Harald Wendelin war in sein Zimmer hinübergegangen, hatte aber die Tür offen gelassen, damit er die Ecke übersehen konnte.

Da stand nun der kleine Sünder, hatte beide Daumen in den Mund gesteckt, schluchzte von Zeit zu Zeit noch einmal auf und murmelte halblaut:

»Der Hermann will doch sein Spielzeug aus der Mistgrube!«

Ein Weilchen gab sich Harald den Anschein, als höre er nicht, was der Kleine murmelte. Als dann aber das Weinen erneut begann, als es nicht mehr Töne des Schmerzes, sondern Töne des Eigensinns waren, betrat er erneut das Kinderzimmer.

»Willst du nun endlich ruhig sein, oder soll der Rohrstock noch einmal tanzen?«

Nur noch einige glucksende Laute; dann war Hermann mäuschenstill geworden. Doch von Zeit zu Zeit trat der kleine Fuß auf den Boden und schlug den Takt zu den nichtgesprochenen Worten: ›Der Hermann will doch sein Spielzeug aus der Mistgrube.‹


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