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Mutter Claudia.

Isko war mit seinen Begleitern über die Brücke geritten und hatte dann, die nach Süden führende Straße vermeidend, den Weg stromab eingeschlagen. Diomed war nicht ohne Besorgnis, aber Isko hegte den Wagemut der Jugend und Medor zeigte sich wie immer still und gottergeben.

Der schöne Strom, die lieblich zwischen Grün und Blumenschmuck ruhenden Dörfer, des öftern ein anmutiges Landhaus oder ein den Göttern geweihter Tempel, das alles machte die Reise durch das Tal des Arnus reizvoll.

Von dem blauen Himmel Italiens strahlte hell die Sonne hernieder. Würzig war die Luft, die von der See her das Flußtal heraufkam.

Sie strengten ihre Pferde nicht mehr an, als erforderlich war, und erreichten abends vor einem Dorfe eine Herberge, die an einem Kreuzwege lag. Auch hier zweigte eine Straße nach Süden ab.

Mit Tagesgrauen setzten sie die Reise wieder fort.

Als sie während der Mittagshitze in einem am Wege liegenden Pinienhain rasteten, vernahmen sie eilenden Hufschlag auf dem Wege, den sie gekommen waren. Der immer besorgte und mißtrauische Diomedes erhob sich, um durch die Büsche nach den Reitern auszuschauen, die trotz der Hitze so rasch ritten. Er erkannte einen Legionsoldaten und zu seinem Schrecken einen Gerichtsboten, kenntlich an dem Stabe, den er trug.

Nun hegte der Grieche keinen Zweifel mehr, daß man sie auch auf diesem Wege suchte oder wenigstens die Behörden am Flusse ihretwegen benachrichtigen ließ, und teilte seine Besorgnis Isko mit.

Trafen diese Vermutungen zu, dann war ihr fernerer Ritt gefährdet, obgleich sie nur zu dreien waren und Athemar, der dem Präfekten von Florentia am gefährlichsten gewesen und sich am nachdrücklichsten seinem Gedächtnis eingeprägt haben mußte, nicht bei ihnen weilte.

Man beschloß, den Tag über in dem Gehölze zu bleiben, das sie vor neugierigen Augen von der Straße her deckte, die freilich nur ein rauher Landweg und keine Heerstraße war, und die Reise erst am Abend fortzusetzen.

Isko fragte, ob es nicht geraten sei, vom Flusse abzubiegen und etwas südlicher nach Westen vorzudringen.

»Die Straßen nach Westen laufen hier nur längs des Arnus, o Sohn Ingomars. Wir würden es weiter südlich sehr schwierig finden, nach Westen zu gelangen; auch erregen Reisende wie wir da doppelten Verdacht. Bleibt ruhig hier! Ich will zu Pferde steigen und langsam die Straße hinreiten; ich bin am unverdächtigsten von uns, vielleicht daß ich etwas erkunde, was uns nützt.«

»Tue so, Diomed; du bist ein Kind des Landes und waffenlos.«

»Sollte ich den Pfiff hören lassen, mit dem wir uns oft in den Wäldern deiner Heimat verständigten, dann ist Gefahr im Anzuge.«

»Er wird seine Wirkung tun.«

Diomed ritt auf die Landstraße hinaus, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie leer sei.

Er lenkte sein Tier auf dem Wege nach Florentia zurück und wandte es, nachdem er einige Stadien zurückgelegt hatte, wiederum der Richtung ihres Zieles zu. Er ritt sehr langsam, oftmals haltend und sich scheinbar die Gegend besehend.

Was er gehofft, trat ein.

Zwei Landleute auf Maultieren kamen hinter ihm her und holten ihn bald ein.

Sie grüßten, und als Diomed, dessen sanftes, hübsches Gesicht sehr für ihn einnahm, den Gruß höflich erwiderte, ritten sie neben ihm weiter.

»Du bist fremd im Lande, Jüngling,« sagte der eine, »ist dein Weg noch weit?«

»Ich reite nach Colonia Pisana, Freund.«

»O, das ist noch eine weite Strecke. Aber wie kommt es, daß du allein reitest?«

»Ich bin ein armer Gelehrter und kann keine Sklaven halten. Ich hoffte in Florentia meine Kenntnisse zu verwerten, aber es herrscht Überfluß an Schriftgelehrten dort und darum will ich mein Heil in Pisana versuchen.«

»O, du kommst von Florentia?«

»Ja.«

»Man hat dort den Präfekten ermorden wollen; weißt du etwas davon?«

»Nein, ich hörte nichts davon. Das muß geschehen sein, nachdem ich die Mauern der Stadt bereits verlassen hatte.«

»Wir hörten es von Leuten, die ausgesandt sind, die Mörder zu verfolgen. Sind sie nicht an dir vorbeigeritten?«

»Ganz recht; es ritten zwei Männer in voller Eile an mir vorüber, doch schenkten sie mir keine Beachtung.«

»Ja, die Florentiner setzen alles daran, sie einzubringen. Der Präfekt wollte einen großen Staatsverräter verhaften, doch haben ihn germanische Strolche befreit und den Präfekten überfallen, der dem Tode nur durch seine unglaubliche Tapferkeit entgangen ist. Jetzt sucht man alle miteinander, denn der Staatsverbrecher, der Domitian ermorden wollte, soll auch den Arnus entlang entflohen sein. Den zu erwischen wäre gut; es soll ein hoher Preis auf seinen Kopf gesetzt sein.«

Unter solchen Gesprächen ritten sie dahin, bis Diomed genug wußte und sagte:

»Hört, Freunde, ich bin matt von dem Ritt, denn ich sitze selten im Sattel; ich möchte bald rasten. Wo finde ich eine gute Herberge?«

»O Jüngling, vor dir hast du unweit ein freundliches Städtchen. Gleich rechts am Wege liegt eine Herberge; da bist du gut aufgehoben. Wir müssen uns jetzt trennen, denn unser Weg liegt links ab, aber die Götter mögen mit dir sein!«

»Und mit euch, ihr Freunde!«

Sie schüttelten ihm die Hand und bogen nach links um.

Nach einiger Zeit ritt Diomedes zu dem Piniengehölz zurück. Er brachte leider die Gewißheit, daß die Verfolger am Werke und schon vor ihnen waren.

»Da bleibt uns also nur die Nacht,« sagte Isko, »und am besten wäre es vielleicht, wir kreuzen den Fluß.«

»Meinst du, daß das andere Ufer nicht durchsucht wird?«

Isko dachte mit Schrecken an seinen Bruder.

»Sie suchen nicht nur uns, sondern auch Sentius Saturninus«, fuhr Diomed fort. »Wie es scheint, glauben die Verfolger, ihn oder uns vor sich zu haben. Ich halte daher eine Herberge noch immer für ungefährlicher als die Landstraße bei Nacht und in einem Lande, das wir nicht kennen; denn es ist nicht sicher, ob wir jedesmal bei Tagesanbruch ein Versteck finden. Augenblicklich haben wir noch Nahrungsmittel und zum Glücke fanden die Tiere hier Wasser und Gras. Ich denke, Isko, wir senden Medor voraus, damit er sich, so gut er kann, von der Sicherheit der Herberge überzeugt; er wird keinen Verdacht erregen.«

»Ich will gern gehen,« sagte Medor.

»Wir reiten dann nach, wenn die Sonne sinkt.«

»Gut so, laß Medor gehen!« sagte Isko zustimmend.

Der Zimmermann bestieg sein Maultier.

»Es wird besser sein, Medor, du meldest uns nicht an und kennst uns nicht, wenn wir kommen.«

»Es ist gut.«

»Scheint dir die Herberge sicher, dann stehe an der Tür, wenn wir anreiten; im anderen Falle gehe uns entgegen.«

»Abgemacht.«

Medor ritt vorsichtig auf die Straße und dann diese entlang auf das unweit liegende Städtchen zu.

Mit großer Freude bemerkte sein forschendes Auge, als er der Ortschaft näher kam, hier und da an einem Zaun oder einem Baum das Zeichen des Fisches. Das war in jenen Tagen ein allgemeines Verständigungs- und Erkennungszeichen für die Anhänger des Gekreuzigten. Jetzt wußte er, daß der Ort Christen barg und er dort Freunde finden würde.

Er kam zu der Herberge, einem Holzgebäude mit Veranden, das von Grün umgeben war, ritt in den Hof und fand dort einen hochaufgeschossenen Jungen, der ihn mit stieren Augen anblickte.

»Wo ist der Wirt, mein Bursche?«

Der junge Mensch grinste ihn an, lachte blödsinnig und sagte: »Weißt du's nicht?«

Medor erkannte, daß er es mit einem geistig nicht normalen Menschen zu tun hatte. Er nahm eine Silbermünze aus der Tasche und zeigte sie ihm.

»Dies wirst du bekommen, wenn du jemand rufst, der mir das Maultier abnimmt.«

Der große Bursche lachte vergnügt und schrie jetzt laut: »Mutter Claudia, komme schnell; hier ist ein Fremder, der schönes Geld hat.«

Gleich darauf erschien eine hochgewachsene, ärmlich gekleidete Frau, deren mageres Gesicht blaß und verhärmt aussah.

»Ich danke dir, mein Sohn,« sagte Medor zu dem Jungen und gab ihm die Silbermünze, die dieser mit großem Entzücken betrachtete.

»Kann ich mein Tier hier abstellen und etwas zu essen bekommen, Frau?«

»Beides, Fremder; sei willkommen! Nimm das Maultier, Knabe, führe es in den Stall, reibe es ab und gib ihm Futter!«

»O ja,« sagte der Bursche sehr freundlich, »der Mann ist gut; er hat Hormas Geld gegeben. Ich werde sein Tier pflegen.«

Medor, der dem Burschen ungern das Maultier anvertraute, sah die Frau fragend an.

Diese verstand ihn und sagte: »O, sei unbesorgt, Hormas weiß mit Tieren umzugehen; er wird das deine pflegen. Er ist viel klüger, als er scheint.«

Der Junge, der körperlich sehr kräftig aussah, lachte geschmeichelt und führte das Maultier sorgfältig nach dem Stall.

»Setz dich in die Laube, Fremder; ich will dir gleich Fisch und Brot und Wein bringen.«

Medor nahm in der von Lorbeerbüschen beschatteten Laube Platz.

Hier zog er unter seinem Gewande einen kleinen, aus Holz geschnitzten und blau bemalten Fisch hervor, den er so hinlegte, daß die Frau ihn sehen mußte, wenn sie kam.

Gleich darauf erschien diese auch und brachte Speise und Trank. Als sie es vor dem Gast niedersetzte, gewahrte sie den Fisch und ein freudiges Lächeln überflog ihr trauriges Gesicht.

»Gelobt sei Jesus Christus,« sagte sie leise und Medor erwiderte: »In Ewigkeit, Amen.«

»Sei doppelt willkommen, mein Bruder! Welcher Gemeinde gehörst du an?«

»Der in Genua, der großen Meeresstadt. Ich heiße Paulus bei den Brüdern, wenn mich auch die Welt Medor nennt.«

»Ich habe in der heiligen Taufe den Namen Maria empfangen. Unsere Gemeinde hier ist nur klein, Bruder, doch du findest treue Anhänger des Herrn darin.«

»Ich kann sie nicht aufsuchen, Schwester, denn mein Weg ist noch weit und mit Dornen besäet.«

»Möge sie der Herr aus deinem Pfade räumen! Sind Feinde hinter dir her?«

»Sind wir unbelauscht, Schwester?«

»Niemand hört uns.«

»Ja, ich werde von den Leuten von Florentia verfolgt, ich und zwei Freunde mit mir, die noch an der Straße versteckt sind.«

»O Bruder Paulus, die Häscher waren bereits hier!«

»Ich habe sie gesehen; sie versuchen, uns den Weg zu verlegen. Wir wollen nach Pisana und von da zu Schiff nach Rom.«

»Ach, Rom,« seufzte die Frau, »wie sehne ich mich nach dir! Dort bin ich in die Gemeinde aufgenommen worden.«

»Bist du Römerin?«

»Du sagst es. Aber sie verfolgen einen Hochverräter, die Heiden von Florentia; wenigstens sagten sie dies.«

»Das sind wir nicht; aber wir haben den Grimm des Präfekten erweckt, und werden wir gefangen, ist der Tod unser Los.«

»Sind deine Freunde Diener des Herrn?«

»Nein, Schwester – aber sie werden ihn, hoffe ich, noch erkennen. Der eine ist ein germanischer Fürstensohn, ein edler Mann und gütigen Herzens, der andere, ein junger Römer, sein Geheimschreiber.«

»Und da wagt ihr es, Bruder, Rom aufzusuchen?«

»Wir suchen dort Schutz; wir haben Freunde in seinen Mauern. Ist hier in der Nähe eine Brücke, die über den Strom führt?«

»Auf viele Milien weit nicht, aber es gibt unterhalb der Stadt eine Furt durch den Arnus, die freilich im Dunkeln schwer zu finden ist. Einer der wenigen, die den Weg durch das Wasser auch in der Nacht kennen, ist der Knabe, der dir das Maultier abnahm.«

»Ist es dein Sohn?«

»Nein, meiner Schwester Sohn. Ich bin in das Haus gekommen, als sie starb, des Armen wegen und um Gaius die Wirtschaft zu führen; ich bin die Schwägerin des Wirtes.«

»Wirst du uns beistehen, wenn etwa Gefahr droht, Schwester Maria?«

»Ja, Bruder, soweit ich kann und so wahr ich auf des Herrn Verheißung hoffe!«

»Ich danke dir. Du meinst also, der Bursche – er scheint gestört im Kopfe – könnte uns im Notfall auch bei Nacht durch die Furt bringen?«

»Das kann er sicher, und du hast bereits sein Herz gewonnen. Er ist nicht im Geiste gestört; sein Denken ist nur träge. In manchen Dingen ist er klug genug, und gerade den Fluß kennt er wie kein anderer.«

»Mit der sinkenden Nacht werden meine Freunde kommen. Wo ist denn der Wirt?«

»Er arbeitet auf dem Felde.«

»Darf man ihm vertrauen?«

»Nein – nein – er ist ein falscher, habsüchtiger Mensch, der meine Schwester unglücklich gemacht hat und dessen Haus ich verlasse, sobald ich kann. Mir tut nur der arme Junge leid, sonst wäre ich schon längst fort.«

Es begann jetzt, langsam zu regnen.

Der Wirt kam vom Felde herein, ein vierschrötiger, unfreundlich aussehender Mann.

Er warf einen Blick auf den Gast, dessen Äußeres keine besondere Zeche zu versprechen schien, und fragte kurzweg: »Wer und was bist du denn, Fremder? Es ist uns eingeschärft worden, ein Auge auf die Durchreisenden zu haben.«

»Du erweisest mir mehr Ehre, als ich verdiene, Gaius. Ich bin Zimmermann und gehe nach Colonia Pisana. Es werden neue Galeeren dort gebaut und da findet ein williger Handwerker eher sein Brot als im Innern des Landes.«

Das Äußere Medors strafte ihn keineswegs Lügen; die gewaltigen, ausgearbeiteten Hände zeugten für den schwer arbeitenden Mann. Jedenfalls gehörte der Handwerker nicht zu den Personen, welche die hohe Obrigkeit suchte.

Gaius, der Wirt, schenkte dem Zimmermann also weiter keine Beachtung; dergleichen Leute kamen oft den Fluß herab. Er schrie jetzt seine Schwägerin rauh an: »Schaff etwas zu essen; ich bin hungrig.«

Schweigend entfernte sich die Frau ins Haus; der Wirt folgte ihr.

Als der Abend sank – es regnete immer noch – ging Medor zu der Tür, die nach der Landstraße führte, und ließ sich dort unter dem Schutzdach nieder, scheinbar nachdenklich in die Weite starrend.

Er brauchte nicht lange zu harren, bis Isko und Diomed vom Regen triefend ankamen.

Medor tat der Verabredung nach nicht, als ob er sie kenne.

»Heda, Wirt!«

Gaius erschien in der Tür und betrachtete die beiden Reisenden. Isko in seinem Sagum (römischer Kriegsmantel) machte den Eindruck eines jungen Kriegsmannes und der Grieche ließ augenblicklich erkennen, daß er ein Mann des Friedens sei.

»Hast du Raum, Hospes, für zwei hungrige und durchnäßte Reisende?«

»Tretet ein, werte Herren! He, Hormas –« der Bursche erschien – »führe die Pferde der Fremden in den Stall und füttere sie. He, Claudia!«

Auch die kränkliche Schwägerin des Wirts erschien. Isko und Diomed stiegen ab, während Hormas, nicht ohne Medor freundlich zuzunicken, die Pferde fortführte.

»Claudia, bewirte die Fremden mit dem Besten, was das Haus vermag. Seid willkommen, ihr Herren, bei Gaius Aper!«

Er führte sie in den Raum, der zunächst an die Haustür stieß, und dann in ein dahinter liegendes Zimmer. Die Räume waren einfach, doch luftig, dem Klima angemessen.

Während der Wirt die Fremden ins Innere geleitete, fragte Claudia Medor: »Sind das deine Freunde, Bruder?«

»Sie sind es, Maria.«

»Der Jüngling sieht edel aus.«

»Er ist es auch.«

Sie sah zum ersten Male einen jugendlichen Germanen von vornehmer Abkunft, und die nordische Schönheit Iskos, seine helle Gesichtsfarbe, seine frischen Wangen, die blauen Augen machten auf die Römerin einen besonderen Eindruck.

»Aus diesen Zügen, diesen Augen spricht nur Gutes. Der Herr möge ihm und euch beistehen! Aber,« fuhr sie ängstlich fort, »sieh nach den Pferden, im Fall ihr sie braucht.«

»Ich will es tun.«

Der spitzbübisch aussehende Wirt bediente Isko und Diomed, nachdem seine Schwägerin ihnen Speise vorgesetzt hatte, im hinteren Zimmer, wobei er sie nicht ohne Mißtrauen betrachtete. Die Sendboten des Präfekten, die bei ihm angehalten hatten, sprachen von einem großen Staatsverbrecher, der verfolgt werde, und einer Schar von fünf Reitern, die dem Präfekten Florentias nach dem Leben gestrebt hatten; ein Germane unter diesen sei besonders gefährlich. Auf die Verhaftung der Gesuchten waren hohe Preise gesetzt. Statt der fünf Reiter hatte er freilich nur zwei vor sich; der eine aber war sicher ein vornehmer Germane, wenn auch im römischen Kleide, während das Äußere des anderen auf eine südliche Abkunft deutete. Anderseits waren die beiden Leute sehr jung, der eine, der mit dem Kleid und dem Aussehen eines Gelehrten, sogar unbewaffnet. Dennoch verließ den braven Hospes ein gewisses Mißtrauen nicht.

Während Diomed und Isko speisten, ging Medor langsam nach dem Stalle, der etwas vom Hause entfernt stand. Er fand dort den Knaben, der die nassen Pferde abwischte. Durch einen Kienspan war der Stall einigermaßen erhellt.

»Ah,« sagte Medor freundlich zu dem Jungen, »ich sehe, Hormas ist klug; er weiß mit Pferden umzugehen.«

Der geistesschwache Junge grinste bei diesem Lobspruch vor Vergnügen.

Medor überzeugte sich, daß den Tieren das Zaumzeug zwar abgenommen, aber nahe zur Hand war. Die Tür des Stalles war breit; wie er noch bei Tageslicht gesehen hatte, konnte man durch sie leicht das Gehöft verlassen und die Straße erreichen.

Er streichelte dem Jungen den buschigen Kopf und ging wieder nach dem Hauptgebäude zurück. Gewahrt hatte ihn niemand.

Nun ließ er sich wieder unter dem Vordach nieder, in der Nähe der Tür; hier war er vor dem Regen geschützt und konnte doch zugleich auf alle Geräusche der Landstraße horchen.

Bald darauf vernahm er Hufschlag und alsbald erschienen drei Reiter, die den Helm und die Rüstung der Legionäre trugen. Medor erkannte dies in dem schwachen Lichtschein, der aus der offenstehenden Haustür drang.

Der Wirt eilte herbei und auch Hormas wurde durch das Geräusch aus dem Stalle gelockt und kam, um seines Amtes als Stalljunge zu warten.

»He, heda, Wirt,« schrie ein bärtiger Reiter mit den Abzeichen des Dekurio, den Regen vom Mantel abschüttelnd. »Zum Hades mit dem Wetter – hast du Gäste?«

»Drei, dir zu dienen, o Dekurio; hier siehst du gleich einen.« Er deutete auf Medor, der sich ehrfurchtsvoll von der Bank erhob.

Der Soldat betrachtete ihn.

»Wann kam der Mann?«

»Bald nach Mittag.«

»Was bist du?«

»Ein Zimmermann, dir zu dienen, und auf dem Wege nach Colonia Pisana.«

»Sitzest du schon lange hier draußen?«

»Ja, schon längere Zeit.«

»Hast du nicht einen eilig vorbeigaloppierenden Reiter gewahrt?«

»Nein, Dekurio.«

»Lügst du, kostet es dich den Hals!«

»Warum sollte ich lügen? Was gehen mich die Reiter der Landstraße an!«

»Und du hast auch keinen flüchtigen Reiter gesehen, Wirt?«

»Nein.«

»Und doch hatten wir ihn vor uns,« wandte sich der Soldat mürrisch zu seinen Begleitern. »Er muß sich in den Büschen am Wege verkrochen haben. Es wäre ein Unglück, wenn der Bursche entkäme; fünftausend Sesterzien wären verloren.«

Hormas, dem die Unterhaltung zu lange dauerte, griff nach des Pferdes Zügel. »Steig ab, Herr, ich will das Tier abreiben,« sagte er, erhielt aber von dem übelgelaunten Soldaten einen Stoß in die Seite, daß er mit einem Aufschrei zurücktaumelte.

»Und deine übrigen Gäste?« fuhr der Soldat fort.

»Sie sitzen bei der Abendmahlzeit, ein Gelehrter und ein junger Germane, wie es den Anschein hat.«

»So? Nun die will ich mir doch besehen.«

Er gab den Zügel seines Tieres einem Soldaten und stieg ab.

»Wann kamen die?«

»Mit Sonnenuntergang.«

Er ging mit dem Wirt ins Haus.

»Wen suchst du, o Dekurio? Es waren heute morgen schon Beamte hier, die mir einschärften, ein waches Auge auf die Durchreisenden zu haben.«

»Ach – ich hatte den Staatsverräter Saturninus vor mir. Die Nacht und der Regen haben mich von seiner Spur abgebracht, aber er muß noch hinter uns sein; entkommen kann er nicht. Es steht ein hoher Preis auf seinem Kopf, den der Kaiser gern fallen sehen möchte, und du mußt wachsam sein.«

»Sei versichert, daß ich es bin.«

»Aber wir suchen auch noch andere und besonders einen frechen Germanen, der dem Verräter durchgeholfen hat. Laß mich zunächst einmal einen verstohlenen Blick auf deine Gäste werfen.«

Er folgte dem Wirt, der ihn in ein Zimmer führte, das neben dem lag, wo Isko und Diomed saßen.

Weder der Wirt noch der Soldat hatten Claudia bemerkt, die bewegungslos im Hintergrund des dunklen Raumes stand und die Unterredung mitanhörte.

Der Dekurio warf durch die Tür einen Blick auf die beiden jungen Leute.

»Beim Herkules, die Burschen sind verdächtig! Es waren fünf – ich weiß es von einem, der dem Saturninus nachsetzte, als er zur Villa seines Vaters floh – zwei Germanen in der Tunika, ein Veteran, wahrscheinlich auch einer von der Bärensippe, ein elender Schreiber und noch ein Knecht. Festhalten will ich diese Knaben da; vielleicht, daß der Griff gut ist.«

Claudia hatte kaum diese Worte vernommen, als sie geräuschlos nach dem Vorhaus eilte, wo Medor noch weilte, und ihm erregt zuflüsterte: »Deinen Freunden droht Gefahr – flieht!«

Medor erhob sich.

»Ich will durch Hormas die Pferde aus dem Stalle holen lassen. Er kann euch führen; er kennt alle Wege hier und findet sie in dunkler Nacht. Auch durch die Furt kann er euch bringen; dann seid ihr sicher.«

»Gut, Schwester, ich danke dir.«

Er ging nach der Rückseite des Hauses, wo das Zimmer lag, in dem die beiden jungen Leute weilten.

Schon kam auch Claudia und rief mit leisem Ton nach Hormas. Der von dem Stoß des Dekurios sehr erbitterte Bursche schlich herbei.

»Du bist klug, Hormas, klug und gut –«

»Ja, klug bin ich – aber die Soldaten sind bös –«

»Ja, und sie wollen die Fremden töten –«

»Oh, sie sollen kommen! Der gute Mann hat mir einen Sesterz gegeben, sie sollen ihm nichts tun.«

»Hole rasch die Pferde der Fremden und das Maultier des guten Mannes aus dem Stall – er wird dir noch einen Sesterz geben – lege ihnen die Zügel an und bringe sie dort zu den Platanen.«

»Ja, Mutter Claudia.«

»Dann führe die Fremden in die Nacht hinein und über den Fluß. Du findest doch die Furt?«

»O Mutter, finde ich den Weg zum Stalle?«

»So geh, mein guter Hormas, und ganz leise, sonst kommen die Soldaten und stoßen dich wieder.«

Der Bursche huschte fort, nach dem Stalle zu. Claudia ging in das Haus zurück, aus dem jetzt laute Stimmen ertönten.

Der Dekurio hatte seine beiden Leute absitzen lassen und hereingerufen; nun trat er, während sie an der Tür harrten, in das Zimmer der jungen Leute.

In rauhem Tone redete er sie an: »Wer seid ihr? Wo kommt ihr her? Wo geht ihr hin?«

»Wer bist denn du, Geselle,« war Iskos mit hochmütiger Miene gegebene Antwort, »daß du es wagst, in diesem Tone mit mir zu reden?«

Trotzig erhob sich der Jüngling.

»Das wirst du gleich erfahren. Herein!«

Die beiden Legionsoldaten traten ein, gleichzeitig der Wirt und hinter ihm angstvoll Frau Claudia. Auch Medor erschien, aber in einer Tür von der anderen Seite.

Auf ihn lief Claudia zu und raunte ihm ins Ohr: »Wendet euch links; bei den Platanen stehen die Pferde.«

Niemand von allen sah den Fremden, der, aus dem Dunkel draußen auftauchend, durch das Fenster hereinblickte, das nach dem Hofe ging. In seiner Hand funkelte ein blankes Schwert.

»Ihr seid meine Gefangenen,« brüllte der Dekurio jetzt Isko an, »ihr habt dem Verräter Saturninus durchgeholfen – ihr müßt nach Florentia zurück, lebendig oder tot!«

Augenblicklich blitzte Iskos Waffe im Lichtschein und auch die Römer zogen die Klingen. Der Wirt aber, der kein Freund von Schwerthieben sein mochte, lief hinaus.

Der Dekurio griff Isko an, aber er erhob kaum das Schwert, als es, ihm durch einen kunstvollen Hieb des Jünglings aus der Hand geschleudert, am Boden klirrte.

»Hier hinaus!« sagte Medor und öffnete die Hintertür, durch die er eingetreten war.

»Auf sie! Fangt sie!« schrie der Dekurio.

Die Soldaten drangen vor, aber schon waren Isko und Diomed an der Tür.

Medor riß mit Riesenkraft den Tisch empor und schleuderte ihn den Soldaten zwischen die Füße, dann trat auch er zur Tür.

Der Dekurio hatte sein Schwert wieder aufgerafft und drang wütend auf Isko ein. Dieser parierte nun den Hieb, schob Medor hinaus – Diomed war schon draußen – und folgte ihnen.

Blind vor Zorn stürzte der Dekurio nach. Aber kaum erschien er in dem Rahmen der Tür, als draußen ein Schwert aufzuckte und der Mann schwer getroffen zu Boden stürzte, während Medor, Isko und Diomed in Regen und Dunkelheit nach links hin liefen.

Der Mann vom Fenster, der den Dekurio niedergehauen hatte, folgte ihnen. Die Legionsoldaten schienen sich, durch das Schicksal ihres Vorgesetzten gewarnt, nicht in die Nacht hinauszutrauen.

»Hormas!« flüsterte Medor.

»Hier, Herr.«

Da stand der Knabe und hielt die Pferde.

»Nehmt sie am Zügel.«

Aus dem Hause tönte eine wilde Stimme: »Tötet das Weib; sie hat ihnen davongeholfen.«

»O Herr, führe sie in dein himmlisch Reich,« betete Medor inbrünstig.

»Nehmt die Pferde und folgt mir!« flüsterte der Knabe.

Sie taten so.

Neben Diomed tauchte jetzt der Fremde schattenhaft auf.

»Nimm mich mit, Diomed; ich bin sonst verloren.«

»Um der Götter willen – bist du –?«

»Ja, Sentius, der eifrig Gesuchte.«

»Komm, bleib bei uns. Hast du ein Pferd?«

»Mein abgemattetes Tier steht dort hinter dem Schuppen.«

»Hole es!«

Der Römer ging, kehrte gleich darauf mit seinem Roß zurück und schloß sich dem Zuge an.

Auf der Straße jagten jetzt Reiter von Florentia heran und hielten.

Vom Wirtshause her tönten Schreie und wilde Rufe.

»Ja, sucht nur,« dachte vergnügt der Knabe, während sie unter den triefenden Bäumen hinschritten. »Hormas kennt die Wege auch bei Nacht; Hormas ist klug.«

Sie kamen an das Ufer des Arnus, dessen Fluten düster und drohend vorüberrauschten. Die Stelle war rings von Bäumen eingeschlossen.

»Fürchtet ihr euch vor dem Wasser?« fragte Hormas. »Hier ist die Furt. Kein anderer wagt es in der Nacht, hinüberzugehen.«

Stumm blickten sie auf die dunkel flutenden Wellen, auf die der Regen herniederplätscherte; sie waren ziemlich gestiegen.

Jetzt gewahrte Isko den Fremden.

»Es ist Sentius Saturninus, Sohn Ingomars« erklärte Diomed.

»Die Götter seien gepriesen! Halte dich zu uns, Sentius; wir sind in gleicher Not.«

Er schüttelte dem Römer die Hand.

»Jetzt geht alle hinter mir her,« sagte der Knabe, der eine lange Stange trug. »Wer es nicht tut, muß ertrinken; nur Hormas findet die Furt in der Nacht.«

Der düstere Himmel, die waldige Einfassung, die kleine Wiese, auf der sie standen, die geheimnisvoll murmelnden Wasser, das Geräusch des fallenden Regens, vor ihnen der geistesschwache Knabe, auf dessen Hilfe sie allein angewiesen waren, das waren Umstände, die festen Entschluß und kaltes Blut erforderten.

Hormas ging in das Wasser und schritt mit der Stange tastend weiter; nur schattenhaft war seine Gestalt wahrnehmbar. Ihm folgte, sein Pferd führend, Sentius Saturninus, diesem Diomed und Isko und den Schluß machte Medor, der erstaunt den Fremden in ihrer Mitte gesehen hatte.

Der Strom reichte ihnen bis zur Hüfte, aber nicht weiter; die Pferde, am Halfter geführt, waren folgsam. Einer sorgfältig hinter dem anderen sich haltend, gelangten sie in wenigen Minuten sicher zum anderen Ufer.

Alle lobten den Knaben.

»Ja, Hormas ist klug und niemand kennt das Wasser so gut wie er.«

Sie gaben ihm einige Geldstücke, und Hormas tanzte vor Vergnügen umher.

»Das gebe ich Mutter Claudia, dafür soll sie sich eine neue Tunika kaufen.«

»O, sage ihr, Knabe, wie sehr wir ihr danken; sie hat uns gerettet. Hoffentlich haben die Götter sie vor Unheil geschützt.«

»Doch, Hormas, wo finden wir jetzt die Straße?«

»Ihr müßt den Feldweg reiten, der dort drüben läuft,« – er deutete die Richtung an – »der führt euch zu der Straße.«

»Der Herr wird Claudia vergelten, was sie an uns getan hat; sage ihr, Hormas, daß die Brüder für sie beten werden,« ließ sich Medor hören.

»Ja, Claudia ist gut.«

»Leb wohl, Junge, und Herzensdank für deine treue Hilfe!«

Alle schüttelten ihm die Hand, und während sie davonritten, ging Hormas durch den Arnus zurück.

Als sie die Straße erreichten, ließ der Regen nach; helle Sterne zeigten sich am Himmel. Sie begrüßten das als ein Glückszeichen.

Bei Tagesanbruch gewahrten sie ein Dorf vor sich, das am Arnus lag. Auch sahen sie viele Bauern, die sich zur Feldarbeit anschickten, sowie Händler und Karrenführer. In Gruppen standen diese beisammen und plauderten eifrig miteinander. Galt es den Vorgängen der jüngsten Nacht, droben in der Herberge des Gaius Aper?

Dieser Anblick war nicht erfreulich für die Flüchtlinge, zumal sie nicht wußten, wie weit sie noch von Colonia Pisana entfernt waren.

Daß ihre Durchquerung des Stromes schon auf dem rechten Ufer bekannt geworden sei, nahmen sie nicht an; doch hegten sie keinen Zweifel, daß auch auf diesem Ufer Sendboten des Präfekten durchgeritten waren und folglich Feinde auf sie lauerten.

Medor erbot sich, nach dem Dorfe zu reiten, Erkundigungen anzustellen und Nahrungsmittel einzukaufen, was dankbar angenommen wurde.

Es war ein kühler Morgen. Noch waren die Kleider nicht getrocknet und die Italer fröstelten; nur Isko, dem eine solche Temperatur nicht fremd war, schien die Kälte nicht zu fühlen.

»Meine lieben Freunde,« wandte sich Sentius Saturninus, ein hochgewachsener, edel aussehender Mann, an Ingomars Sohn und Diomed, »ihr habt mir zum zweiten Male Rettung aus Todesgefahr gebracht, denn die Häscher waren gestern abend dicht hinter mir. In meiner Erregung, als ich euch auf der Landstraße begegnete, erkannte ich euch nicht. Wie konnte ich auch Ingomars Söhne im Römerland vermuten, in römischer Tracht! Erst als ich sicher war, fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich wußte, daß ich Athemar vor mir gesehen hatte. Die Götter mögen euch eure Hilfe lohnen! Ich aber würde euch übel danken, wenn ich in eurer Nähe bliebe und euch dadurch noch größerer Gefahr aussetzte, als euch schon bedroht. Mich sucht der Tyrann auf dem Palatin und ihr seid mit mir dem Beil verfallen, wenn man uns zusammen einfängt. Darum werde ich mich von euch trennen.«

»Aber wo willst du hin, Sentius?«

»Ich will nach Rom; die Riesenstadt wird mich besser verbergen als jeder andere Teil des Reichs. Wie ich dahin komme, liegt freilich in des Schicksals Hand.«

»Bleibe bei uns,« sagte Isko, »wir tragen zusammen, was die Götter verhängen.«

Ehe der junge Römer noch antworten konnte, nahm ihre Aufmerksamkeit die Gestalt eines Mannes in Anspruch, der unweit von ihnen aus den Büschen trat und die Straße kreuzen wollte.

Es war eine markige Gestalt in der Tracht des Landmanns, die sie vor sich sahen. Der Mantel aus seinem Tuch, den er über die Schulter geworfen hatte, deutete an, daß er besseren Standes, vielleicht Grundbesitzer sein müsse.

Er sah einen Augenblick verwundert auf die Reitergruppe und setzte dann seinen Weg nach dem unfernen Flusse fort.

Nach wenigen Schritten aber blieb er stehen und musterte noch einmal scharfen Blickes die Fremden. Etwas Besonderes mußte ihm auffallen; das sah man ihm an. Dann trat er auf sie zu.

Der Mann mit gebräuntem, narbigem Gesicht und kurzem grauem Haupthaar verleugnete in seiner ganzen Haltung den Soldaten nicht. Er schritt ohne weiteres auf Sentius zu, der etwas abseits von den anderen hielt, und fragte leise: »Um der Götter willen, Jüngling, bist du der Sohn des Antonius Saturninus?«

Sentius erschrak. Es war überraschend und gefährlich zugleich, hier auf der Landstraße von einem Fremden erkannt zu werden. Der Landmann gewahrte es und fügte hinzu: »Fürchte nichts; ich war ein Soldat des Legaten.«

Sentius blickte in das martialische Gesicht, in die ehrlichen blauen Augen des Mannes und erwiderte dann entschlossen: »Ich bin der, den du meinst; ein hoher Preis ist auf meinen Kopf gesetzt und die Schergen sind mir auf den Fersen. Das Geld ist leicht zu verdienen.«

»Du sprichst bittere Worte. Sagte ich dir nicht, daß ich deines Vaters Soldat war?«

Der Landmann schaute nun auch Isko an und warf einen flüchtigen Blick auf Diomed.

»Sind das deine Freunde?«

»Ja, das sind sie; zweimal haben sie mich schon vor dem Tode bewahrt.«

»Du sollst nicht zu Grunde gehen, Sohn meines Feldherrn, wenn Athaulf es verhindern kann. Kommt mit mir,« sagte er dann laut, allen verständlich, »mein Gehöft liegt unweit. Ihr und die Tiere müßt Ruhe haben; ich biete euch Gastfreundschaft. Kommt, ehe man uns hier auf der Landstraße gewahrt.«

Da Sentius dem Mann zu vertrauen schien, dessen Äußeres auf germanische Abkunft deutete, ob er gleich nur lateinisch mit ihnen sprach, folgten ihm auch die anderen gern.

Er führte sie einen mit Büschen besetzten Seitenweg entlang auf das Feld. Bald darauf sahen sie ein umfangreiches Bauerngehöft und eine Wiese vor sich, auf der Pferde und Rinder weideten. Alles, auch die gutbestellten Felder, machte den Eindruck der Wohlhabenheit.

Der Mann ging voran und Sentius ritt neben ihm.

»Hier hause ich seit zwölf Jahren, Sentius. Zwanzig Jahre habe ich in der achtzehnten Legion gedient und in drei Feldzügen unter deinem Vater gefochten. Ich war zuletzt der erste Dekurio der zweiten Zenturie der ersten Kohorte und habe daher, wie du siehst, ein gutes Landlos bekommen. Deinen Vater liebten wir alle. Mit Trauer haben wir von seinem Schicksal erfahren, aber einem gleichen soll sein Sohn nicht verfallen, wenn ich es hindern kann.«

»Aber weißt du, o Freund – wie nenne ich dich?«

»Athaulf hieß ich einst, Clodius ist mein Kriegsname.«

»Weißt du, welcher Gefahr du dich aussetzest?«

»Wenn ich einigen Fremden Gastfreundschaft gewähre? Meine Treue ist nicht zweifelhaft und man hütet sich wohl, mit Veteranen rauh umzugehen. Sei deshalb unbesorgt; auch wollen wir vorsichtig sein. Ich erkannte dich an der Ähnlichkeit mit deinem Vater; doch wäre sie mir wohl kaum aufgefallen, wenn ich nicht gestern davon gehört hätte, daß man den Sohn des Legaten vom Rhein auf Tod und Leben verfolgt. Wer sind deine Gefährten?«

»Ein junger kattischer Adeliger, der Kriegsgefangener war und entfloh; der andere Jüngling ist der Geheimschreiber meines Vaters. Doch verzeih, Clodius. Wir haben einen der Unseren nach dem Dorfe geschickt, um Nachrichten einzuziehen; er wird uns bei seiner Rückkehr vergeblich suchen.«

»Es ist gut, daß du mir das sagst.«

Er rief einen auf dem Felde beschäftigten jungen Menschen an.

»Beschreibe ihm den Mann!«

Sentius tat es, indem er die Hünengestalt und das Maultier Medors schilderte, ihm auch dessen Namen nannte.

»Gib auf ihn acht, Gesius, und bringe ihn zu uns; aber sei vorsichtig, besonders wenn Soldaten kommen. Hörst du? Verrate nichts von den Fremden hier.«

»Sei sicher, Herr; ich will schon achtgeben.«

Der Bursche entfernte sich eilig nach der Straße zu.

»Doch, Sentius, was gedenkst du zu beginnen? Wäre nicht das Gebirge mit seinen Wäldern sicherer für dich als die Meeresküste?«

»Mir blieb kaum eine Wahl. Ich war auf dem Wege nach meines Vaters Villa, um mir dort Geld zu holen und einige wichtige Papiere an mich zu nehmen, als ich in Florentia erkannt wurde, wo der elende Fuscus regiert. Wie durch ein Wunder bin ich entkommen. Ich gehe jetzt nach Rom,« und er wiederholte dem Veteranen, was er schon Isko gesagt hatte. »Ich will versuchen, auf dem Meere nach Ostia zu gelangen; zu Lande wäre es zu gefährlich. Kannst du mir dazu helfen, werde ich dir dankbar sein.«

»Wir wollen sehen, was sich tun läßt.«

Gleich darauf erreichten sie das Gehöft, wo eine stattliche Frau, die Gattin des Clodius, die augenscheinlich auch germanischen Blutes war, sie freundlich empfing.

»Gäste, Paulina, Freunde. Laß auftragen! Sie sind hungrig und durstig; mach der Gastfreundschaft des Hauses Ehre!«

Paulina hieß die Fremden willkommen. Sie stiegen ab; ein Knecht führte ihre Pferde in den Stall. Bald saßen sie behaglich um den Herd des Hauses, auf dem ein wärmendes Feuer brannte, das den Flüchtlingen sehr wohltat, nicht minder wie die heiße Morgensuppe, die ihnen aufgetragen wurde.

Sie verscheuchten die Gedanken an die nahe Gefahr und gaben sich dem Augenblicke hin. Erschöpft waren alle.

Nach kurzer Zeit erschien Medor.

Nichts Verdächtiges war ihm aufgefallen; auch er hatte keinen Verdacht erregt. Doch irgend etwas zu erfahren, was auf die Lage der Flüchtlinge Bezug hatte, war ihm nicht vergönnt gewesen. Zwar hatte er die Bekanntschaft eines Christen gemacht, doch auch diesem war von Flüchtlingen und deren Verfolgern nichts bekannt. Letztere schienen also wesentlich auf dem linken Ufer des Flusses tätig zu sein.

Während er sich zum Mahle niedersetzte, fragte der Wirt Isko: »Du bist ein edler Katte, Jüngling?«

»Ich bin der Sohn Ingomars, des Fürsten vom Lahngau.«

»Ich bin ein Bataver vom Niederrhein, und Katten und Bataver sind blutsverwandt; sei mir doppelt willkommen! Jung bin ich in römischen Dienst getreten, habe selbst meinen Namen vertauscht und bin zum Römer geworden; aber die Liebe zu den Leuten meines Stammes ist nicht erstorben. Es geht mir gut hier und ich bin ein Freier auf freiem Grund und Boden. Wo führt dich dein Weg hin, Sohn Ingomars?«

»Ich werde verfolgt gleich Sentius und suche auch den Weg nach Rom, um Schutz zu finden bei Catualdus, einem Freunde meines Vaters, und mit seiner Hilfe zur Heimat zurückzugelangen.«

»Catualdus, der Kriegstribun, ist ein gewaltiger Mann; er wird dir helfen können.«

»In Pisana erwartet mich Athemar, mein Bruder, der über die Alpen gekommen ist, um mich heimzuholen. Vielleicht müssen auch wir den Weg über das Meer nehmen.«

»Hm, Sohn Ingomars, wir sprechen noch darüber. Aber jetzt lege dich schlafen; du hast noch rauhe Tage vor dir.«

Die Frau des Hauses wies Isko und Medor Lagerstätten an und beide sanken in tiefen Schlaf.

Während Clodius, der Wirt, mit Isko sprach, hatte Diomedes Sentius beiseite genommen.

»Verzeihe, wenn ich jetzt eine Frage an dich richte, Sentius. Aber sie ist von großer Wichtigkeit für mich, und wer weiß, wie bald uns das Schicksal wieder trennt!«

»Ich höre dich, Diomed.«

»Wie stehe ich zu dir? Bin ich dein Sklave als Erbteil deines Vaters?«

Höchst erstaunt sah der junge Römer den Griechen an.

»Was für Worte sagst du, Diomed? Warst du bei uns nicht der Sohn des Hauses und mein Freund?«

»Ihr waret alle gütig gegen mich armen Knaben, aber, verzeihe, wie ist mein gesetzliches Verhältnis zu euch, das heißt, jetzt zu dir? Rufus hatte mich auf dem Markte zu Athen gekauft.«

»Das tat er, weil ihm der kleine, anmutige Knabe gefiel und er ihn vor einem schlimmeren Schicksal bewahren wollte. Hat er dich nicht wie seinen Sohn behandelt?«

»Er war mir ein gütiger Vater.«

»Er würde dich – ich weiß es von meinem Vater – sogar adoptiert haben, wenn nicht ein jäher Tod seinem Leben ein Ende gemacht hätte. Im Sklavenregister hast du nie gestanden –«

Diomedes atmete tief auf, als ob ihm eine Last vom Herzen falle.

»Du warst nur Gast in seinem Hause. Da aber Rufus auch kein Testament hinterließ, in dem er dich sicher bedacht haben würde, und mein Vater, als seiner Schwester Sohn, einen guten Teil des Nachlasses erhielt, nahm er dich, den Mittellosen, zu sich und du warst Gast bei uns wie bei Rufus, Diomed. Du bist so frei wie ich. Mein Vater hat sogar Rufus' Versäumnis gutgemacht und dich in seinem Testamente bedacht. Freilich kann ich dir,« setzte er mit bitterem Lächeln hinzu, »deinen Anteil jetzt nicht auszahlen, denn der Mann auf dem Palatin hat seine Hand auf all unser Eigentum gelegt. Aber du wirst, sowie der Wind aus anderer Richtung weht, auch noch zu dem Deinen kommen. Der Gott Domitian ist nicht unsterblich. Selbst in meines Vaters Villa bei Florentia liegt mehr Geld, als der Tyrann sich träumen läßt, und suchen wird man es vergeblich.«

»Ich danke dir, Sentius,« sagte der tiefbewegte Grieche, »ich atme als freier Mann.«

»Es tut mir herzlich leid, daß du alle die Jahre in bangen Zweifeln schwebtest. Warum hast du aber auch nicht früher gesprochen? Überhaupt bist du manchmal ein recht seltsamer Kauz. Du gingst auf Wunsch meines Vaters ins Kattenland, um römische Art dort zu verbreiten. Warum bliebst du dann so lange unter den Barbaren?«

»Sieh, Sentius, ich fühlte mich in der Römerwelt trotz eurer Güte nicht glücklich, denn ich hielt mich für einen Sklaven. Auch hast du unrecht, wenn du die Germanen Barbaren nennst. Sie haben trotz all ihrer Derbheit viele empfehlenswerte Eigenschaften und gebieten über einen Schatz tiefsinniger Lieder, die sie an den langen Winterabenden an den Feuern hersagen; die Poesie aber hatte es mir von jeher angetan. Auch sind Ingomars Söhne, Athemar und Isko, nicht nur todesmutige Krieger, sondern edle Menschen.«

»Ich höre es mit Freuden, denn ich bin beiden Dank schuldig. Doch nun, mein Freund, laß uns das Lager suchen; ich bin matt wie ein abgehetzter Wolf. Hoffentlich schirmt der alte Soldat meines Vaters unsern Schlummer.«

Auch sie gaben sich nach langer wilder Fahrt dem Schlafe hin, Diomed glücklich, daß der düstere Schatten seines Lebens geschwunden war.

Sie schliefen lange und erwachten erst, als die Sonne weit über den Zenit hinaus war.

Nichts Beunruhigendes war vorgefallen und kräftig sprachen sie dem Mahle zu, das die Herrin des Hauses angerichtet hatte.

Dann berieten sie mit ihrem Gastfreunde, was geschehen sollte.

»Also, ihr wollt nach Rom, ihr Freunde?« begann dieser.

Sie bejahten es.

»Zweifellos ist der Weg zur See der sicherste, doch auf den kleinen Küstenfahrzeugen nicht immer der schnellste.«

»Wir fragen wenig danach, ob wir bald oder spät ankommen.«

»Gut, ihr wollt also nach Rom und Colonia Pisana ist der Ort, um zur See zu gehen. Hört jetzt zu! Ich sende morgen drei Wagen mit meinem Weizen beladen nach Pisana. Da halte ich es für dich, Sentius, am sichersten, du ziehst im Gewand eines Fahrknechtes nach Colonia Pisana und von da mit dem Getreidehändler, der ein zuverlässiger Mann und ein treuer Freund von mir ist, zu Schiff nach Ostia. Hast du dort Freunde?«

»Ja, die finde ich dort.«

»Und hast du Geld? Etwas kann ich dir geben, wenn auch nicht viel; Gold und Silber sind selten bei uns auf dem Lande.«

»Ich danke dir von Herzen, Clodius, aber mein Ledergürtel birgt mehr, als ich brauche.«

»Bist du einverstanden, deinen Weg so zu nehmen, wie ich dir rate?«

»Durchaus, Clodius, denn ich weiß, du rätst mir gut.«

»Es wäre zu gefährlich,« wandte er sich nun zu Isko und dessen Freunden, »euch alle zusammen als Fuhrknechte neben drei Wagen laufen zu lassen; jedes Kind würde den Verdacht schöpfen, daß ihr mit der Fracht nichts zu tun habt. Ähnlich lägen die Dinge, wenn ich euch alle in dem kleinen Schiffe des Getreidekaufmanns unterbringen wollte. Ich werde euch daher ein Lasttier mit allem nötigen Vorrat mitgeben, damit ihr keine Herbergen mehr aufzusuchen braucht; auf diese Art könnt ihr die Nacht zur Reise benützen und tagsüber Schutz und Schlaf in den Gebüschen suchen, die längs der Straße sich zahlreich vorfinden. Um dann in Pisana ein Schiff zu finden, dem ihr euch alle fünf ohne Sorge anvertrauen könnt ...«

»Ich,« fiel hier Medor ein, »werde die Freunde nur bis an die See begleiten, und wenn ich sie sicher auf einem Fahrzeug weiß, den Weg zu Lande nehmen.«

»Warum, Medor, willst du nicht bei uns bleiben?« fragte Isko verwundert.

»Es mindert die Gefahr für euch und zu Lande kann ich meine Glaubensbrüder aufsuchen, die still in den Städten wohnen. Sie werden mir den Weg nach Rom bahnen.«

»Bist du ein Nazarener, Mann?« fragte der Veteran überrascht.

»Du sagst es, Clodius.«

»Sprich nicht zu laut davon! Man weiß, daß ihr die Götter und besonders die Gottheit Domitians verleugnet; es könnte dir Gefahr bringen.«

»Ich werde nur reden, wenn ich muß, doch dann furchtlos und treu dem Herrn, der für uns starb.«

»Mir,« fuhr er zu Isko gewendet fort, »drohen auf dem Lande keine Gefahren; ich stehe zu niedrig. Auch finde ich überall Arbeit als Zimmermann.«

»In diesem Falle«, bemerkte Clodius, »ist es wohl das beste, Medor reitet allein voraus. Ich rate dir nämlich, Isko, steige nicht in der Herberge zur Luna ab; dein Bruder könnte dort bereits beobachtet werden. Wähle eine andere; geh zu meinem Freunde Furius am Arnus und sage ihm, daß du von Athaulf, dem Schildhalter, kommst. Merke dir den Namen, dann weiß er, daß du mein Freund bist. Furius ist treu und zuverlässig und verkehrt mit den Schiffern des Hafens; er kann unauffällig deinen Bruder warnen und euch dann an Bord eines Fahrzeugs helfen. Laß darum Medor vorangehen, deinen Bruder benachrichtigen und Furius aufsuchen.«

»So sei es«, sagte Medor. »Ich gehe voran, Isko, und erwarte dich und Diomed dort am Tor.«

Auch an Isko richtete der Veteran die Frage, ob er Geld habe, was dieser getrost bejahen konnte.

Bald setzte sich der Christ auf sein Maultier und ritt auf Pisana zu, das in zwei Tagen zu erreichen sein sollte.

Später wurde Sentius Saturninus in das derbe Gewand eines Fuhrknechts gehüllt. Seinen Gürtel trug er unter diesem und in dem Filzmantel versteckt sein Schwert, das er nicht lassen wollte.

Auch Isko und Diomed rüsteten sich, als die Sonne sank, zur Abreise.

Nicht ohne Rührung nahm der Jüngling von dem wackeren Bataver und dessen Frau Abschied, ebenso auch von Sentius und unter den Segenswünschen des Ehepaares ritten sie davon.


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