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Durch Feindesland.

Die beiden Flüchtlinge setzten die Tiere wieder in eine schnellere Gangart. Nach einiger Zeit vernahm Iskos scharfes Ohr, daß ihnen Reiter entgegenkamen, doch noch war es zu dunkel, um sie zu erkennen.

»Wir wollen uns zur Seite wenden,« sagte Medor, »nicht immer reiten in der Nacht ehrliche Leute auf der Straße.«

Sie ließen ihre Tiere langsam an den Rand des Weges treten, wo dichtbelaubte Platanen sie in ihren Schutz nahmen.

Die Reiter kamen näher; schattenhaft waren sie schon zu erkennen. Sie ritten im Schritt und sprachen miteinander. Man hörte Laute, ohne die Worte zu verstehen.

Bei dem Klang einer jugendlichen, sanften Stimme bebte Isko zusammen. Welch bekannten Ton trug der Lufthauch zu ihm her?

Näher ertönte der gemessene Hufschlag. Als jetzt der Ton einer anderen, tieferen Stimme zu seinem Ohre drang, stieß der Germanenjüngling einen solch gellenden Jubelschrei aus, einen Schrei so von Glück und Freude durchbebt, daß er dem überraschten Medor nicht nur erschütternd zum Ohr, auch zum Herzen drang.

Hinaus spornte Isko ungestüm sein Roß, auf die Reiter zu.

»Athemar! Athemar!«

»Vater Wodan – Isko!« und in den Armen lagen sich die Brüder, herzlich, innig.

Des Jünglings Augen, der tapfer im blutigen Männerkampfe gestanden hatte, entflossen ganz unmännliche Tränen bei diesem unerwarteten Wiedersehen und auch Athemar hielt nur mit Mühe die seinen zurück.

»Isko, Liebling – die Götter führen dich mir entgegen, während ich dich suche – sie sind uns hold.«

»Athemar – welche Freude – welche Freude! Die Mutter – der Vater?«

»Ich verließ sie in voller Lebensfrische und sie erwarten dich und mich.«

»Den Ewigen Dank! O Diomed, du auch? Deine Stimme erkannte ich zuerst.« Er reichte dem Griechen die Hand.

Der Morgen dämmerte empor und die Brüder konnten sich sehen, beide gleich erstaunt, den anderen im Römerkleid zu erblicken, denn auch Athemar trug eine römische Tunika und einen Mantel.

Jetzt erblickte Isko auch einen Begleiter seines Bruders, der ein beladenes Saumtier am Zügel führte, doch fragte er nicht weiter nach ihm.

Diesem rief Athemar zu: »Wie du siehst, Bodmar, ist unser nächster Zweck durch der Götter Willen erreicht; Isko ist gefunden.«

»Ich sah und hörte. Heil euch, ihr Söhne Ingomars!«

»Den Weg nach Ravenna setzen wir natürlich nicht fort,« wandte Athemar sich an Diomed. Dann sah er sich bei dem steigenden Lichte nach einem Ort um, der eine kurze Rast gewähren könne, begierig, zu erfahren, welch wunderbare Fügung ihm den Bruder entgegenführte.

Da fiel Isko sein Begleiter ein, der still und bescheiden abseits auf seinem Maultier hielt. Medor hatte trotz der fremden Sprache wohl begriffen, welch ein ergreifender Vorgang sich vor seinen Augen vollzog, und harrte geduldig.

»Mein guter Medor, verzeih, daß ich dein vergaß; aber es ist mein lieber Bruder, dem ich hier unverhofft begegnete. Das Glück machte mich vergeßlich.« Dann sich an Athemar wendend: »Dies ist mein Freund Medor, der mir Leben und Freiheit gerettet hat; sei gütig gegen ihn.«

Athemar reichte dem Zimmermann die Hand. »Du stehst hoch in meiner Liebe, o Medor; mein Bruder sagt mir eben, was er dir dankt.«

»Es war des Herrn Wille, des Erlösers, der auch euch hier zusammengeführt hat.«

Athemar verstand nicht ganz, was der Mann meinte, fuhr aber fort: »Weißt du hier einen Ort, wo wir ungestört Rast machen können?«

»Dort drüben ist ein Kastanienwäldchen; das wird uns neugierigen Blicken wohl entziehen.«

»Führe uns, Medor!«

Er geleitete sie nach dem Wäldchen, von dem er sprach. Es lag von der Straße ab und ein Bach rieselte hindurch, der den Tieren willkommen war.

Dort verließen sie die Sättel. Athemar, Isko und Diomed ließen sich im Grase nieder, während der Mann, der Bodmar genannt wurde, und Medor die Tiere tränkten.

Die Sonne vergoldete bereits die Wipfel der Kastanien und auf der Straße begann es lebendig zu werden.

Nun fing Isko zu berichten an, von seiner Gefangennahme, seinem Aufenthalt bei Spurio und der letzten Katastrophe, die ihn dem Henkerbeil nahe brachte. Er vergaß auch nicht, Medors hingebende Treue hervorzuheben.

»Und so siehst du uns auf der Flucht; wir sind auf dem Wege nach Bononia, wie Medor die Stadt nennt.«

»Hast du eine Verfolgung zu befürchten?« fragte besorgt der ältere Bruder.

»Die Gefahr scheint nach Medors Ansicht nicht dringend zu sein, denn sie suchen mich im Norden und auf den Schiffen im Hafen; auch haben wir seit Mitternacht eine gute Strecke hinter uns gelegt.«

Das wirkte beruhigend.

Darauf berichtete Athemar, wie man den Liebling des Hauses für tot beweinte, und welche Freude eingekehrt sei, als die Botschaft kam, daß er noch lebe. Er erzählte von Diomeds Nachforschungen, und wie er sich selbst dann rasch entschlossen habe, den Bruder durch das Römerreich zu suchen und zurück an der Mutter Herz zu bringen, um deren tiefes Leid in Freude zu verwandeln.

»Schwer war es, mich aus einem Katten in einen Römer zu verwandeln; aber es war nötig und du siehst mich im Kleide des Feindes. Schwerer schien es noch, in Roms Reich zu kommen, besonders als Katte; doch gelang es mir, mich einer Gesandtschaft von Alemannen anzuschließen, die nach Rom zum Cäsar ging. In deren Schutze kam ich über das Gebirge ins Reich. In Verona trennte ich mich von Chuodemar, dem Alemannenfürsten, der sie führte. Dann suchten wir dich, Liebling, Diomed und ich. Er glaubte ermittelt zu haben, daß der Eigentümer einer Gladiatorenschule dich angekauft habe; daher richteten wir unsere Schritte nach Genua, nach Mediolanum (Mailand) und endlich nach Ravenna, um dich mit Geld, List oder Gewalt zu lösen. Hätte ich den klugen Diomed nicht bei mir, ich wäre verloren gewesen unter dem fremden Volke, dessen Sprache ich wohl hinreichend, dessen Sitte und Art ich aber gar nicht kannte. Der schlaue Grieche wußte überall zu verbreiten, ich sei Zenturio in den prätorischen Kohorten und auf einer wichtigen verschwiegenen Sendung begriffen. Den Gesellen, den ich da bei mir habe, denn ohne Diener konnte ich nicht reisen, las ich in Genua auf. Bodmar ist ein entlassener Legionär, der lange in Afrika und Asia gefochten hat, aber kattischen Blutes, stammt sogar von der Lahn und hat sich treu erwiesen. Auch wußte er, was mich ins Reich führte. Doch die Sonne steht am Himmel; wir wollen das Frühmahl halten.«

Bodmar, ein derber, kriegerisch aussehender Gesell von vielleicht vierzig Jahren, brachte von dem Saumtier einen ledernen Beutel und einen Weinschlauch; alle setzten sich zusammen und sprachen dem zu, was er zur Stärkung gewährte.

In einem ungewöhnlichen Glücksgefühl saß Isko neben dem Bruder, der ihm in der Römertracht überaus gefiel.

»Du siehst gut aus, Isko; du bist stärker geworden, deine Glieder runder und muskulöser,« sagte dieser.

»Ja,« seufzte der Jüngling, »den Körper und die Muskeln haben sie in Spurios Schule wohl gepflegt. Umsomehr litt das Herz; oftmals abends sagte ich mir auf meinem Lager unsere alten Lieder vor, um zwischen jenen zweifüßigen Tieren nicht stumpfsinnig zu werden. Lenken wir jetzt den Schritt zur Heimat, Athemar?«

»Unser Weg zur Heimat, Liebster, geht über Rom; nur in Rom kann ich die Mittel erwerben, ohne Gefahr an den Rhein zurückzugelangen. Zwar herrscht jetzt Friede zwischen den Katten und den Römern; aber jeder germanische Mann, der nicht den Helm des Kriegers trägt, wird diesseits des Gebirges nur mit Mißtrauen angesehen.«

»O, setzest du deine Hoffnung auf die Stadt des Cäsars?«

»Höre! Unser Vater focht in seiner Jugend auch in den Legionen, um den römischen Kriegsdienst kennen zu lernen. Er kämpfte in Pannonien zur Zeit Cäsar Caligulas Schulter an Schulter mit einem edlen Sigambrer Catuald und sie tranken den Blutbund miteinander. Vater Ingomar kehrte bald zur Heimat zurück, aber Catuald blieb im Dienste Roms.

»In der letzten Zeit ist nun die Kunde zu uns gedrungen, daß Catualdus ein mächtiger Krieger in Rom ist. Da sagte der Vater zu mir: ›Du wirst die Wege im Lande der Römer schwierig finden und besonders die Rückkehr, denn dir fehlt die Schlauheit des Römers. In aller Not wende dich an Catuald; er ist mein Blutsbruder und wird dir helfen.‹ Ich habe schon jetzt die Wege im Lande schwierig gefunden und es ist mir zur Gewißheit geworden, daß wir ohne einen mächtigen Schutz nimmer zur lieben Heimat wieder gelangen können. Auch Diomed teilt meine Ansicht.«

»Ich füge mich dir, Athemar; du weißt, was uns not ist.«

»Wir müssen den Weg zur Stadt des Cäsars nehmen und dort Catualdus aufsuchen. Er soll ein hohes Kommando in der Schar der Leibwache des Kaisers einnehmen; da kann er uns beistehen. Auch wird man dich in Rom am wenigsten suchen.«

»Und keinen anderen Weg gibt's zum Vaterlande zurück?«

»Das Erdenrund,« äußerte der Grieche, »gehört den Römern; nur die Deutschen haben sie noch nicht unterjocht.«

»Und wir werden uns gegen das Joch wehren! Ach, wenn wir einig wären wie im Teutoburger Walde, wie sollte der Römer es büßen, deutsches Land feindlich zu betreten!«

»Ja, Teutoburgs Wälder haben eure Eigenart gerettet, wie meine Vorfahren,« fügte Diomed mit leuchtenden Augen hinzu, »bei Marathon und Salamis die Welt vor den Persern retteten. Auch Domitian wird an den Kampf an der Lahn denken; ich habe in Moguntiacum vernommen, welch schwere Verluste die Römer erlitten.«

»Nun, jetzt gibt es Frieden am Rhein und wir dürfen selbst in Rom unser Haupt zeigen. Doch nun fragt es sich,« wandte Athemar sich an Bodmar und Medor, »ob unsere Freunde uns nach der Stadt der Städte begleiten werden?«

»Ich gehe mit dir, Sohn Ingomars; ich will die ewige Roma noch einmal sehen, ehe ich mich in den Wäldern des Kattenlandes begrabe,« sagte Bodmar.

»Auch ich folge dir gerne nach Rom,« erklärte Medor. »Ich finde dort Freunde und Brüder, die gleich mir im Dienste des Herrn stehen.«

So wurde beschlossen, den Weg nach Rom zu nehmen.

Athemars Auge hatte, seitdem der Tag angebrochen war, nicht ohne Staunen die ungewöhnlich kräftige Gestalt und die mächtigen Muskeln des Zimmermanns betrachtet, die auf eine geradezu riesige Körperkraft deuteten.

»Bist du ein Gladiator, Medor?« fragte er.

»Nein,« erwiderte der Christ mit seinem sanften Lächeln, »ich bin kein Mann des Schwertes; meine Welt ist nicht diese Welt, wie auch des Herrn Reich nicht von dieser Welt ist.«

Athemar, der diese Worte wieder nicht verstand, denn er wußte nichts von Christen, sah verwundert den riesenhaften Mann an, der so seltsame Reden führte. Aber er unterdrückte jede Bemerkung; Medor hatte ja Isko gerettet.

»Es ist freundlich, wenn du mit uns gehst,« sagte er dann, »die Fahrt nach Roma ist lang. Kennst du den Weg?«

»Wir müssen auf dem Wege, den ihr kamt, zurückreiten und dann das Gebirge, den Apenninus, überschreiten.«

»Kennst du auch die Heerstraße, Bodmar?«

»Ich bin sie oft im Schweiße meines Angesichts einhergetrottet. Dies ist die Straße nach Bononia, aber nach Südwest biegt unweit die Straße ab, die über das Gebirge nach Florentia führt. Das ist unser Weg.«

»Also zwei Führer auf einmal! Laßt uns reiten!«

Sie bestiegen die Tiere – Medor nahm zuvorkommend das Saumtier in seine Obhut – und ritten auf die Landstraße hinaus.

Sie zeigte sich belebt durch Frachtfahrzeuge und Lasttiere, die ihre Ladungen der Hafenstadt Ravenna zuführten; auch einzelne Reiter ließen sich sehen.

Unsere Freunde trafen die nach Südwest abzweigende Heerstraße und schlugen sie ein. Zur Nacht rasteten sie in einer Herberge am Wege. Umlaufende Gerüchte, daß der Weg über das Gebirge unsicher sei, beachteten sie nicht; auch Bodmar legte ihnen keinen Wert bei.

Südlicher wurde die Vegetation und die beiden Deutschen sahen sie staunend. Der festgebaute, glatte Weg, die wohlbestellten Felder, die Brücken, die Tempel auf den Höhen, die kleinen reinlichen Ortschaften und Städte mit ihren eigenartigen, mit Pflanzen und Blüten geschmückten Häusern erregten immer von neuem die Bewunderung der beiden Kattensöhne. »Ja,« dachte Isko, »dagegen sind wir doch Barbaren!«

Am Morgen des dritten Tages ritten sie in das Gebirge hinein. Die Straße war gut, doch wenig belebt, was Diomed wunderte, denn es war eine der Hauptverkehrsstraßen zwischen dem Osten und Westen des Landes.

Gegen Mittag rasteten sie im Schatten einiger Pinien zur Seite des Weges. Als sie aufbrachen, traf ihr Ohr der Klang von Maultierglocken, die ihnen entgegenkamen; aber sie vermochten, da der Weg eine Biegung machte, die Tiere nicht zu sehen. Gleich darauf vernahm man Geschrei, Hilferufe und Waffenklang.

Athemar, Isko und Bodmar zogen bei diesen Lauten sofort die Schwerter und jagten vorwärts.

Medor gab dem waffenlosen Griechen sein Saumtier zu halten und ritt nach. Langsam folgte Diomed, der zum Männerkampf wenig geeignet war.

Als die drei Deutschen an die Biegung kamen, sahen sie Saumtiere und eine von Maultieren getragene Sänfte vor sich. Darin saß ein alter Herr, während seine Begleiter und Diener sich mit einem guten Dutzend rauh und wild aussehender Burschen herumschlugen.

Es waren sicher Raubgesellen, die hier einen Reisenden überfielen, denn sie bemühten sich, die beladenen Saumtiere fortzuziehen, die von den Überfallenen verteidigt wurden.

Die Angreifer waren stärker; zwei der Begleiter des Greises lagen schon verwundet am Boden. Athemar stieß nun den hellen Schlachtruf der Katten aus und alle drei jagten auf die kämpfende Gruppe zu. Die Angreifer stutzten, schienen aber nicht geneigt, den Rückzug anzutreten, sondern schickten sich zur Abwehr an. Zwei Schwertstreiche Iskos und Bodmars streckten zwei der Burschen zu Boden, die in Lederwämser nach Art der Legionäre gekleidet waren.

Der Sänfte, worin der alte Mann saß, nahte ein narbiger Geselle und holte drohend mit dem Schwerte aus. »Ergib dich, Alter, oder ich mache einen Leichnam aus dir.«

Das Schwert Athemars zuckte hernieder und mit gespaltenem Haupte brach der Räuber zusammen.

Die Begleiter des Herrn in der Sänfte hatten bei dem zur rechten Zeit kommenden Beistand wieder Mut gefaßt und gingen kräftiger gegen die Angreifer vor, aber auch diesen kam aus dem Walde Unterstützung. Jetzt wurde die Sache ernst, und die drei Katten, die ohne Rüstung waren, fanden sich gleich darauf in einem wütenden Handgemenge.

Nun zeigte Isko, hell aufjauchzend, seine erlesene Fechterkunst, die er in Ravenna erworben hatte. Dennoch wären die Deutschen, die an Flucht nicht dachten, unterlegen, wenn ihnen nicht eine völlig unerwartete Hilfe gekommen wäre.

Medor war abgestiegen und hatte, unbeachtet von den hitzig angreifenden Räubern, sich in deren Rücken geschlichen. Die Katten, Diomed und der alte Herr sahen staunend, wie plötzlich, von den riesenhaften Armen des Zimmermanns erfaßt, ein, zwei, drei Leute gleich Bällen in die Luft und zur Seite geschleudert wurden, wo sie regungslos liegen blieben. Jauchzend drangen die Katten vor, ebenso die Begleiter der Sänfte; aber die Angreifer, von der Riesenkraft, die hier eingriff, verblüfft und eingeschüchtert, liefen, als der vierte Mann wie von einer Maschine emporgeschleudert wurde und im Fallen noch zwei seiner Gefährten mit zu Boden riß, davon und verschwanden schnell, wie sie aufgetaucht waren, im Walde.

Donnernder Hufschlag dröhnte die Straße her. Ein Zenturio jagte in voller Rüstung heran, das Schwert in der Hand; seine Reiter folgten in schnellster Gangart.

Ehrerbietig nahte er sich der Sänfte und neigte sich tief vor dem Greise, der während des wilden Kampfes seine vornehme Ruhe nicht einen Augenblick verloren hatte.

»Den Göttern Dank, daß du gerettet bist! – O Herr, miß mir keine Schuld bei, daß ich nicht zu deinem Aufbruch da war; aber ich wurde zu spät benachrichtigt und konnte dir nur in aller Eile nachreiten.«

»Es war meine Schuld, o Zenturio, wenn ich in Gefahr geriet,« sagte der Herr gütig zu dem sichtlich ängstlichen Kriegsmann, »ich hätte nicht ohne dich reisen sollen. Aber ich glaubte nicht an die Mär, daß Räubergesindel diese Straße beunruhige.«

»Es sind entlassene Legionäre, hoher Herr, die sich hier auf das Räuberhandwerk verlegen.«

»Ich werde dafür sorgen, daß die Straße wieder sicher wird.«

Er sah sich dann nach seinen Rettern um. Athemar ritt herbei und verneigte sich vor dem Greise, dessen kluge Augen freundlichen Blickes auf ihm ruhten.

»Dir danke ich das Leben, Freund,« sagte der Alte.

»Die Götter sandten uns noch zur rechten Zeit.«

»Darf ich deinen Namen wissen?«

»Ich bin Athemarus, ein Germane vom Rhein, und auf dem Wege nach Rom.«

Der alte Herr musterte die römisch gekleidete Gestalt, blickte in das offene, ehrliche Antlitz des jungen Fürsten, verließ die Sänfte und sagte: »Komm, ich möchte mehr von dir wissen. Vielleicht kann ich dir in Rom nützen.«

Die Haltung, das würdevolle Äußere des Greises waren so vertrauenerweckend, daß Athemar, als er mit ihm in einiger Entfernung von den anderen langsam auf und ab schritt, offen von sich und seiner Fahrt ins Römerland zur Befreiung seines Bruders erzählte.

»So seid ihr Katten?«

»Ja, Herr.«

»Nun, wir haben jetzt Frieden mit euch. Aber was willst du in Rom?«

Athemar sagte ihm, daß er dort einen Blutsbruder seines Vaters, den Prätorianer Catualdus aufsuchen wolle, um durch dessen Hilfe in das Heimatland zurückzugelangen.

»Ja, geh zu ihm; er ist ein ehrlicher Mann, und ich denke, er wird deinen Wunsch erfüllen können. Gern möchte auch ich dir meine Dankbarkeit beweisen, denn wie du Catualdus vorfindest, ist zweifelhaft; in Rom wechselt fortwährend alles. Ich bin Coccejus Nerva, der Senator. Jedermann wird dir in Rom mein Haus zeigen. Brauchst du Hilfe irgendwelcher Art, Schutz gegen Gewalttat, Geld, Pferde, Waffen, wende dich ohne Säumen an meinen Hausmeister Annius.«

Er nahm aus einem kleinen Beutel, den er unter der Tunika trug, einen silbernen Denar von altem Gepräge und überreichte ihn Athemar. »Gib dem Annius dieses Zeichen und er wird alles für dich tun, was er vermag. Kehre ich nach Rom zurück, während du noch dort weilst, dann suche mich auf.«

Einen wundervoll gearbeiteten goldenen Armring abstreifend, sagte er: »Dies behalte zur Erinnerung an den dankbaren Coccejus Nerva – es ist ein Erzeugnis griechischer Künstlerhand aus alter Hellenenzeit.«

Athemar zögerte, das wertvolle Geschenk zu nehmen.

»Durch eine Ablehnung würdest du mich kränken.«

Da nahm der Katte das Armband und streifte es über.

»Kommst du auch mit deiner Reisekasse aus, Athemarus?« fuhr Nerva fort. »Du hast noch einen langen Weg vor dir und es würde mir Freude machen, ihn dir ebnen zu können. Bediene dich rücksichtslos meines Beutels, hier oder in Rom – ich bin reich – meine Freunde sollen nicht in Bedrängnis geraten!«

Dankend lehnte Athemar ab.

»Doch nun stelle mir deine Begleiter vor.«

Athemar winkte Isko herbei, der sich vor dem vornehmen Greise anmutig verbeugte.

Nerva sah sichtlich mit Vergnügen dieses jugendliche, wohlgefällige Menschenbild und reichte dem Jüngling die Hand.

»Du bist trotz deiner Jugend ein wackerer Krieger, Jüngling, und hast dein Leben für einen alten, dir unbekannten Mann eingesetzt. Ich danke dir und wünsche, daß du und dein Bruder, wenn ihr nicht vorzieht, bei uns zu bleiben, als Freunde Roms zur Heimat zurückkehret.«

Isko, auf den die Persönlichkeit des alten Herrn einen mächtigen Eindruck machte, fand keine Worte auf seine Anrede, sondern verbeugte sich nur dankend.

Als Bodmar kam, sagte Nerva lachend: »Du bist ein alter Legionär, Mann, das sehe ich. In welcher Legion hast du gedient?«

»In der siebenten, Herr.«

»Da kennst du also das Land der Parther. Du wirst es nicht übelnehmen, wenn ich dir einen Ehrensold verleihe.«

Er winkte seinem Diener. Dieser reichte ihm einen seidenen Beutel und Nerva gab dem Veteranen eine Handvoll Goldstücke.

»Mein Dank, Mann, für deine Hilfe bleibt dir alle Zeit.«

Schmunzelnd steckte der alte Kriegsknecht das Gold ein.

»Das ist ein großer Herr,« murmelte er.

Mit Staunen blickte der Senator jetzt auf die riesigen Gliedmaßen des jungen Zimmermanns.

»Wahrlich, ein Sohn des Herkules! Was wären wir alle ohne dich, Mann, und deine unnahbaren Hände! Deine Riesenkraft hat allein uns gerettet.«

»Der Herr war mit mir im Streite.«

»Welcher Herr?« fragte verwundert Nerva.

»Der Herr des Himmels und der Erde, unser Herr Jesus Christus. Gelobt sei er!«

Ernst sah ihn der Senator an.

»Du bist ein Christianer, Mann?«

»Ja, Herr.«

»Sage das nicht zu laut in Rom; man ist dort deinesgleichen nicht hold.«

Medor wollte etwas erwidern, doch Nerva unterbrach ihn: »Ich bin dir aufrichtigen Dank schuldig. Darf ich auch dir einen Ehrensold verabreichen?«

»Ich nehme ihn für die Armen, Herr; sie sollen für dich beten.«

Auch er erhielt eine Handvoll Gold.

»Bist du in Not, Mann, komme zu Coccejus Nerva.«

Er reichte noch einmal Athemar die Hand. »Grüße Catualdus von mir, gewinne Rom und sein Volk lieb und sei fortan unser Freund!«

Auf seinen Befehl geleitete eine Dekurie der Reiter Athemar und sein Gefolge über das Gebirge, während er die Reise nach Osten fortsetzte.

Unbehelligt erreichten Athemar und die Seinen den westlichen Abhang des Apennin und ritten auf die große Stadt Florentia zu. Immer unterhielten sie sich noch von dem vornehm-würdevollen und gütigen Senator Nerva.

Früh brachen sie eines Morgens von einer Herberge auf, von der sie, nach Aussage des Wirtes, Florentia in wenigen Stunden erreichen konnten. Die im Schatten deutscher Buchen erwachsenen Jünglinge liebten die Morgenfrische; die Mittagshitze unter der italischen Sonne war für sie quälend. Die Straße, die sie hinritten, war breit und wohlgepflegt; schattende Bäume faßten sie ein. Noch war sie leer von Menschen und Wagen. Zu ihrer Rechten erhob sich auf leicht ansteigender Höhe eine ebenso stattliche als schöne Villa, die von Bäumen und duftenden Gärten umgeben war. Der Anblick war so lieblich, daß alle die Rosse anhielten, um sich seiner länger zu erfreuen.

Ein Geräusch eilender Pferdehufe lenkte ihre Aufmerksamkeit ab. Gleich darauf sahen sie in der Richtung von Florentia her auf der Straße einen Reiter nahen, der ein, wie es schien, gänzlich erschöpftes Pferd zur letzten Kraftanstrengung antrieb. Über den Hals des Tieres gebeugt, sah er erst im letzten Augenblick die Fremden.

Er sprang ab, ging auf Athemar zu, der ihm am nächsten war, und sagte in flehendem, erregtem Ton: »Ich werde verfolgt, o Freund, von den Häschern des Tyrannen; mein Leben liegt in deiner Hand. Bei den unsterblichen Göttern beschwöre ich dich, verrate nicht, wenn sie kommen, daß du mich gesehen hast; hier,« er deutete auf die Villa, »hoffe ich Hilfe zu finden.«

Das Gesicht des Mannes war mit Schweiß und dem Staube der Landstraße bedeckt und dazu noch halb verhüllt von der Kapuze seines Mantels. Dennoch hatten Haltung und Sprache des gleich seinem Roß gänzlich erschöpften Mannes etwas Einnehmendes und Edles, so daß Athemar ohne Zögern sagte: »Geh, wir haben nichts gesehen.«

»Die Götter mögen es dir lohnen!«

Mit diesen Worten verlor sich der Flüchtling eilig in den Büschen der die Villa umgebenden Gärten, seines Rosses nicht achtend.

Isko und die anderen hatten aus einiger Entfernung gesehen, was da vorging.

Kaum war der Mann verschwunden, als Diomed, der am weitesten zurück hielt, in großer Aufregung herangeritten kam.

»Das war Sentius Saturninus,« stammelte er, bleich vor innerer Erregung.

Mit nicht geringem Erstaunen vernahmen die Brüder das. »Ich habe ihn nicht erkannt,« sagte Athemar.

»Er uns auch nicht. Erst im letzten Augenblicke, als er zu den Büschen ging und da die Kapuze zurückwarf, konnte ich sein Gesicht deutlich unterscheiden. O Athemar, die Häscher sind hinter ihm. Wie helfen wir ihm?«

»Wir sind machtlos, Diomed. Aber beruhige dich; er hoffte Hilfe in dem Hause dort zu finden.«

»Wenn man den Gaul hier sieht, wird man wohl leicht erraten, wo der Flüchtling steckt,« sagte Bodmar, stieg ab, riß einen Dornenzweig ab und brachte ihn geschickt unter die Schwanzwurzel des Pferdes, das, durch die kurze Rast zu Atem gekommen und durch den Schmerz zu neuem Laufe beflügelt, die Straße entlang galoppierte und bald den Blicken der Reiter entschwand.

»Und jetzt vorwärts, damit man uns nicht vor dieser Villa trifft! Die Götter mögen Sentius schützen!«

Sie trieben die Pferde an und waren bald weit von der Villa entfernt. Dann ließen sie die Tiere wieder im Schritt gehen.

»Wenn wir dort an der Biegung sind, liegt Florentia im Tale vor uns,« sagte Bodmar.

Zu dem betrübten Griechen äußerte Isko: »Dein Herz leidet, Diomed?«

»Ich sorge mich um Sentius – er hier, in der Nähe des Tyrannen – schütze ihn, Vater der Götter und Menschen!«

»So sei es!«

Als sie sich der Biegung nahten, von der Bodmar gesprochen hatte, sahen sie im weiten Tale die Blumenstadt vor sich liegen und glitzernd im Sonnenstrahle leuchtete ihnen der Arnus (Arno) entgegen.

Athemar hielt mit den Seinen und schaute auf die Stadt wie in Bewunderung versunken hernieder.

Mehr aber noch als der liebliche Anblick nahmen ihre Aufmerksamkeit bald drei Reiter in Anspruch, die ihnen rasch entgegenkamen.

Es waren städtische Diener, wie es schien; hinter ihnen gewahrte man unten noch andere Reiter und weiterhin einen Wagen.

Diomedes, der wußte, wie ungern Germanen, selbst zu einem guten Zwecke, die Unwahrheit sagen, hatte sich so aufgestellt, daß die drei Reiter mit den Amtsstäben in der Hand zuerst auf ihn treffen mußten. Er wollte die Lüge um Sentius' willen auf sein Gewissen nehmen.

»He, Jüngling,« rief ihn der Voranreitende an, »ist euch nicht ein Reiter auf abgemattetem Pferde begegnet, der es sehr eilig haben mußte?«

»Nein,« erwiderte Diomed, »wir sind früh von der Herberge in Casona aufgebrochen und bis jetzt niemand begegnet.«

»Ich sagte es ja,« wandte sich der, der gefragt hatte, zu seinen Begleitern, »er wird nicht so töricht sein und den Weg zu seines Vaters Villa nehmen.«

Also die Villa, die sie bewundert hatten, war Eigentum des Legaten.

»Nachsuchen müssen wir,« äußerte ein anderer.

»Natürlich müssen wir das, aber die dreitausend Sesterzien, die auf seinen Kopf gesetzt sind, entgehen uns dabei! Diese Straße hat er nicht eingeschlagen; er ist sicher zum Meere hin. Wo wollt ihr hin, Fremde?«

»Nach Florentia, o Freund. Du suchst wohl einen großen Verbrecher?«

»Du sagst es, einen Verräter. Seines Vaters Haupt fiel schon unter dem Beile und Domitian hat befohlen, die ganze Brut zu vertilgen. Doch vorwärts,« wandte er sich an seine Begleiter, »der Präfekt kommt uns sonst auf den Hals.«

Sie grüßten und ritten eilig weiter.

Andere Reiter folgten, diesmal Legionsoldaten, die aus der Ferne gesehen hatten, wie die Stabträger sich mit den Reisenden unterhielten.

»Habt ihr den Flüchtling gesehen, Fremde?«

»Nein, o Zenturio.«

»Vergebliche Jagd!« brummte auch dieser verdrießlich, und sie ritten vorüber.

Langsam setzten sich Athemar und seine Begleiter in Bewegung.

Immer näher kam der leichte, schöngebaute Wagen, den zwei prächtige Renner zogen. Ein Diener mit dem Stabe der Stadtbeamten ritt ihm voran.

In dem Gefährt saß ein in einen Staubmantel gehüllter Herr, dessen hochmütige Miene wenig für ihn einnahm.

Plötzlich ließ er den Wagen quer vor die langsam Dahinziehenden drehen und zwang sie so zum Halten.

»Steht mal. Was für Leute seid ihr denn?«

In ruhig-vornehmer Weise fragte Athemar: »Wer bist du, der in dieser Weise fragt?«

Das Gesicht des Mannes im Wagen nahm einen gehässigen Ausdruck an.

»Das wirst du bald erfahren, wenn ich dir im Turm Aufenthalt gebe. Antworte!«

»Nicht eher, als bis ich weiß, ob du ein Recht hast, hier zu fragen.«

»Ist es dir genügend, wenn der Präfekt von Florentia dich fragt, Mann?«

»Dem Präfekten werde ich antworten.«

»Wo kommst du her?«

»Von Faventia.«

»Da muß dir der Flüchtling begegnet sein.«

»Ich kann dir nicht mehr sagen, als ich bereits deinen Dienern antwortete.«

»Schweig! Du bist ein Germane und willst ihm durchhelfen. Die Verräter waren ja stets Freunde der Wilden am Rhein.«

»Ich verstehe dich nicht und ersuche dich, mir den Weg freizugeben.«

»Spricht man so mit Marcus Fuscus, dem Sohne des berühmten Feldherrn, dem Präfekten von Florentia, der sich hoher kaiserlicher Gunst erfreut?«

Die dummstolze Art des Menschen hätte Athemar nur ein Lächeln abgenötigt, wenn die Macht, über die der Mann gebot, nicht so groß gewesen wäre.

»Ich finde ihn schon,« fuhr der Präfekt fort, »und werde ihm das Haupt vor die Füße legen lassen. Ergreift man ihn in seiner Villa nicht – sie hat kunstvoll angelegte Verstecke, ich weiß es wohl – dann lass' ich sämtliche Sklaven dort kreuzigen und auch du sollst es bereuen. Wer bist du?«

»Ich bin Mitglied einer alemannischen Gesandtschaft an den Kaiser.«

»Ach so – schicken die Barbaren wieder ihre Bärenprinzen zu uns? Wie kommst du denn da über den Apennin? Ist das der Weg nach Rom?«

»Das erzähle ich dir ein anderes Mal. Gib nur Raum!«

»Du scheinst mir sehr verdächtig, Germane; von dir möchte ich doch mehr wissen.«

Er schaute sich um, doch bis auf den ihn begleitenden Stadtbeamten war niemand von den Reitern in der Nähe; sie waren sämtlich der Villa des Saturninus zugeritten, die jetzt selbstverständlich kaiserliches Eigentum war und auf die der biedere Fuscus sich Hoffnung machte.

Er wandte sich an den Stabträger. »Begleite diese Leute,« befahl er ihm, »und übergib sie dem ersten Soldaten oder Diener der Stadt, dem du begegnest. Sie sind Gefangene. Folgt diesem Manne,« herrschte er dann Athemar und die Seinen an, »und, bei eurem Leben, macht keinen Fluchtversuch! Ich lasse euch sonst unweigerlich das Haupt vor die Füße legen. Im Reiche Domitians verhöhnt man die kaiserliche Gewalt nicht ungestraft.«

Dieser Haftbefehl des gewalttätigen Mannes, der, wie es schien, ein außerordentliches Machtbewußtsein besaß, erbitterte die Söhne Ingomars ungemein. Selbst Bodmar, der Veteran, hatte seine grimmigste Miene aufgesetzt. Diomed war bleich geworden, denn er allein kannte dem ganzen Umfang nach die Gefahren, denen sie entgegengingen, und die unbegrenzte Macht der Werkzeuge Domitians.

Noch war die Straße unbelebt, denn der Weg über das Gebirge wurde seit einiger Zeit gemieden. Sich auflehnen gegen kaiserliche Gewalt hier inmitten des Reiches war sehr gefährlich. Ob aber gefährlicher, als in die Gefängnisse Florentias wandern? Wo sie, die Fremden, verschollen für die Welt, ganz in der Hand dieses kleinen Tyrannen waren? Es war ein entscheidungsvoller Augenblick.

In Athemar, auf den alle schauten, wurde der wilde, rücksichtslose Germanenmut lebendig.

»Gut, Präfekt, müssen wir zu Hel hinabgehen, soll es wenigstens in deiner Begleitung geschehen.«

Er schwang sich blitzschnell aus dem Sattel in den Wagen des Präfekten und umklammerte mit der Linken dessen Kehle, während er mit der Rechten das Jagdmesser zog, von dem er sich nach Kattengewohnheit auch im Römerkleide nicht getrennt hatte.

Starr waren alle.

»Medor, reiß den Kutscher herab; Bodmar, wirf den anderen dort vom Pferde! Rasch, es geht ums Leben!«

Ein kurzer Augenblick verging, dann lag der Kutscher am Boden und der Stadtdiener befand sich entwaffnet neben seinem Pferde.

»Willst du mich morden, Germane?« stöhnte der totenbleiche, zitternde, halberstickte Präfekt, der mit Entsetzen auf die blinkende kleine Waffe in der Hand Athemars schaute.

»Diomed, setz dich auf den Kutschbock! Isko, führe mein Pferd! Bodmar, nimm das Pferd Diomeds und du, Medor, das des Stabträgers!«

Es geschah mit großer Eile.

»Schone mein Leben,« jammerte der Präfekt wieder. »Ich will dir Sicherheit gewähren, dir Geld und Kostbarkeiten geben – erbarme dich!«

»Für unsere Sicherheit birgt dein Leben, Römer. Hüte dich vor diesem Kattenmesser; es macht ein schnelles Ende.«

»Ihr da,« rief Athemar jetzt dem Kutscher und dem Beamten zu, »haltet euch ruhig. Dem Präfekten geschieht nichts; sein Leben ist nur in Gefahr, wenn wir bedroht werden.«

Die beiden Leute standen verblüfft und stumm da, keines Wortes mächtig.

Iskos tiefer Grimm über die Art, wie ihnen der Tyrann von Florentia begegnete, war bei der überraschenden Kühnheit des Bruders grenzenlosem Jubel gewichen, den er kaum zu bändigen wußte.

Diomed atmete kaum noch vor Entsetzen, so ungeheuerlich erschien ihm das alles. Der alte Soldat dagegen grinste vor Vergnügen, so sehr gefiel ihm der verwegene Streich Athemars. »Ein Wodanskind, der Sohn Ingomars – echter Kattenschlag,« brummte er vor sich hin.

Nur Medor nahm auch das, was hier geschah, mit stiller Ergebung in einen höheren Willen hin.

»Zur Stadt, Diomed!« sagte Athemar. »Ihr anderen bleibt etwas hinter uns zurück; wir stehen alle unter dem mächtigen Schutze des Präfekten.«

Glücklicherweise verstand Diomed die Zügel zu führen und die prächtigen Rosse folgten ihm willig.

»Was hast du mit mir vor?« fragte bebend der Präfekt.

»Siehst du, Marcus Fuscus, ich habe mich weder gegen die kaiserliche Gewalt noch gegen dich vergangen. Ich bin ein friedlicher Reisender und du tatest unrecht, deine Macht mir gegenüber zu mißbrauchen. Ich verspüre wenig Lust, die Bekanntschaft der Gefängnisse in Florentia zu machen, die du mir eben freundlich in Aussicht stelltest, denn ich habe es etwas eilig. Jetzt bist du in meiner Gewalt, und sei sicher, ich werde sie im Notfall brauchen, aber nicht mißbrauchen. Ich suche nur Sicherheit für die Meinen. Führe uns also um die Stadt herum auf möglichst wenig besuchten Wegen bis an die Grenze deines Gebietes; dort wollen wir dich freigeben.«

Der zitternde Präfekt atmete auf.

»Vergiß nicht, daß du zuerst zum Hades gehst, wenn uns Gefahr droht,« schloß Athemar.

Der eingeschüchterte, ganz willenlose Präfekt gab gehorsam Diomed die Wege an und in weitem Bogen umfuhren sie die schöne Blumenstadt. Des öftern zeigte sich eine Villa, die aber meistens unbewohnt schien. Wenige Leute begegneten ihnen, die dem prächtigen Gespann mit den kostbaren Rossen ehrfurchtsvoll grüßend Platz machten.

In weiterer Entfernung folgten Athemars Begleiter.

Endlich nahten sie sich einer Anhöhe, die weithin dunkler Wald bedeckte. Im Tale wand sich der glitzernde Arnus durch wohlbestellte Felder.

»In dem Walde vor uns ist die Grenze des Stadtgebietes.«

»Gut für dich. Wie weit dehnt sich der Wald aus?«

»O, wohl vierzehn Milien.«

»Wo können wir jenseits des Waldes über den Fluß gehen? Unser Weg führt nach Süden.«

»Du wirst, aus dem Walde tretend, vor dir am Flusse ein Dorf sehen. Dort findest du eine Brücke und kannst leicht auf die große Straße nach Sena gelangen.«

»Gut. Ich danke dir.«

Der Wagen fuhr in den Wald und Athemar winkte jetzt Isko und die anderen heran.

Als sie wohl die Mitte des ziemlich dichten Waldes erreicht hatten, ließ Athemar den Wagen halten und forderte den Präfekten auf, auszusteigen.

Der Mann erschrak.

»Was hast du mit mir vor? Du versprachest, mir kein Leid zuzufügen.«

»Das soll auch nicht geschehen; aber du wirst es uns nicht verdenken, wenn wir einige Vorsichtsmaßregeln treffen, um uns deinem Zorne noch für einige Zeit zu entziehen.«

»Ich schwöre dir –«

»Wir verlassen uns lieber auf unsere Schutzmaßregeln als auf deinen Schwur.«

Zum größten Entsetzen des Römers befahl Athemar jetzt, ihn mit Riemen, die dem Saumtier entlehnt wurden, an einen Baum zu binden. Bodmar vollbrachte dies mit viel Geschicklichkeit.

»Wollt ihr mich hier inmitten des Waldes allein lassen?«

»Das wollen wir. Wie ich aus den Spuren sehe, wird dieser Weg gar nicht selten betreten. Du wirst also nicht lange auf die Lösung deiner Bande warten dürfen.«

»Wollt ihr mir auch meinen Wagen entführen?« jammerte der Präfekt.

»Nein, das nicht, aber wir werden ihn noch eine Strecke mitnehmen, damit du nicht zu rasch unsere Verfolger aufbieten kannst. Und nun gehab dich wohl!«

Ohne die Bitten des geängstigten Mannes zu beachten, setzten sie ihren Weg in beschleunigter Gangart fort und nahten nach einer Stunde dem Ausgang des umfangreichen Waldes. Sich dem Rande vorsichtig nähernd, sahen sie in ein fruchtbares Tal hinab, durch das der Arnus sich in einer schönen Linie wand. Sie sahen Dörfer und eine Brücke, die über den Strom führte.

»Was nun, Bodmar, alter Kriegsmann? Wohin lenken wir den Weg? Daß unser Freund, der berühmte Präfekt Fuscus, alsbald alles aufbieten wird, uns einzufangen, ist sicher genug. Rate!«

»Ich denke, Sohn Ingomars, wenn wir die Heerstraße nach Süden ziehen, wird man uns bald genug haben. Ich an deiner Stelle würde am Arnus hinab nach Westen gehen. An seinem Ausflusse liegt eine große Hafenstadt, Colonia Pisana; von da aus fahren wir über das Meer nach Ostia, der Hafenstadt Roms.«

»Was meinst du, Diomed?«

»Ich glaube, Bodmar hat das Richtige getroffen. Zu Lande kommen wir nimmer nach Rom. Pisana ist in der Tat ein großer Hafen.«

Athemar sann nach.

»Es wird das Richtige sein.«

»Und dann, Athemar,« sagte Isko, »wird es gut für uns sein, wenn wir uns teilen. Ich ziehe mit Diomed und Medor auf dem linken Ufer des Flusses hin, du dagegen bleibst mit Bodmar auf dem rechten.«

»Soll ich mich von dir, dem kaum Gefundenen, schon wieder trennen?«

»Herzlieber Bruder, wir sind fünf Männer, also den Verfolgern von weitem kennbar. Teilen wir uns, dann verwirren wir sie und haben größere Aussicht, zu entkommen.«

»Ich gab der Mutter das Wort, ihr den Liebling heimzubringen, wenn mich die Götter ihn finden ließen.«

»Sieh, Athemar, bleiben wir zusammen, erreicht uns gemeinsam das Unheil, das die Norne spinnt, und Vater Ingomar und Mutter Berchta verlieren beide Kinder zumal. Trennen wir uns aber, dann gelangt vielleicht einer von uns zur lieben Heimat zurück, um der Mutter Tränen um den anderen zu trocknen. Sind uns jedoch die Götter günstig, reiten wir beide Hand in Hand ins Lahntal ein.«

Ernst sah Athemar vor sich hin.

Er sagte sich, daß eine Trennung, wie Isko sie vorschlug, nur vorteilhaft für sie sein konnte, und doch sträubte sich sein Herz dagegen, sich von dem geliebten Bruder zu trennen.

Da nahm Diomed das Wort: »Isko hat ganz recht. In der Trennung liegt die größere Sicherheit, und sei überzeugt, Athemar, daß Medor und ich im Notfall unser Leben für ihn opfern.«

»Das werden wir,« sagte Medor einfach.

»So mag es sein! Die Götter, die mich den Bruder auf nächtlicher Heerstraße finden ließen, werden uns ferner beistehen.«

Hierauf gab er Befehl, das Pferd des Gerichtsboten freizulassen. Der Last des Saumtieres wurden die notwendigsten Nahrungsmittel entnommen, Medor und Bodmar anvertraut und dann auch dieses Tier fortgejagt.

»Schirre die Pferde vom Wagen, Medor, und laß sie laufen!«

Während Medor dies tat, bemerkte Athemar im Wagen eine Papierrolle, die dem Präfekten entfallen sein mußte, und rief Medor zu, sie dem Griechen zu reichen.

Diomed entfaltete sie und las:

»›Auf Befehl unseres Herrschers und Gottes Domitian wird der Vorzeiger dieses den Staatsverräter Sentius Saturninus, den Sohn des hingerichteten Antonius Saturninus, lebendig oder tot nach Rom liefern. Alle kaiserlichen Behörden sind bei schwerer Strafe verpflichtet, ihm dazu den nötigen Beistand zu leihen.

Der Stadtpräfekt von Florentia:
Marcus Fuscus.‹«

»Gut, das können wir vielleicht brauchen,« rief Athemar. »Wo treffen wir in Pisana wieder zusammen, Bodmar?«

»In der Herberge zur Luna; ich kenne den Wirt.«

»Merke dir es, Diomed! – Und nun, Liebling, fahr wohl! Auf fröhliches Wiedersehen; die Götter mögen dich beschützen und uns eine glückliche Heimkehr bereiten!«

Er umarmte Isko sehr bewegt.

Der gerührte Jüngling, der sich auch nur schweren Herzens vom Bruder trennte, sagte mit unsicherer Stimme: »Allvater sei mit dir, Athemar! Auf Wiedersehen!«

Auf Anordnung Athemars wählte Isko mit seinen Begleitern die nächste, vom Wald aus sichtbare Brücke, um sich auf das linke Ufer des Arnus zu begeben und an diesem hin nach Westen zu ziehen.

Athemar hielt diesen Weg für weniger gefährlich als das rechte Ufer, denn daß der Präfekt jene Frage nach der Straße nach Süden für etwas anderes ansehen werde als für ein Mittel, ihn irrezuführen, nahm er nicht an. Ließ Fuscus überhaupt am Arnus suchen, dann sicher besonders am rechten Ufer.

Lange noch sah Athemar dem Bruder nach, bis dessen schlanke, geschmeidige Gestalt hinter den Bäumen verschwand.

»Nun komm, Bodmar; auch wir wollen reiten.«

Daß der übel behandelte Präfekt von Florentia alles daransetzen werde, die Frevler in seine Gewalt zu bekommen, war nicht zu bezweifeln und die Macht eines solchen Mannes Staatsverbrechern gegenüber – und das waren in seinen Augen sicher die Germanen, die sich an seiner geheiligten Person vergriffen hatten – ging weit. Wie bald er seine Häscher ihnen nachhetzen würde, hing einzig davon ab, wann er seiner Bande entledigt wurde.

Die Umgebung Florentias war bevölkert; schon darum konnte seine Gefangenschaft nicht lange dauern. Auch war anzunehmen, daß seine Leute ihn eifrig suchen würden.

Doch sein eigenes Geschick war Athemar gleichgültig, wenn nur der Mutter Herzeleid gemindert, ihr Liebling gerettet wurde.

Die Pferde waren gut und noch frisch; im Galopp ritten sie die schmale, wenig begangene Straße dahin.

Am Abend des fünften Tages erreichten Athemar und Bodmar Pisana und stiegen in der Herberge zur Luna ab, deren Wirt ein alter Kriegskamerad Bodmars war. Isko mit den beiden anderen war noch nicht eingetroffen.

Schon unterwegs hatte sich Athemar bittere Vorwürfe gemacht, daß er Isko nicht das rechte Ufer des Arnus überlassen hatte, das ihn selber ohne Fährlichkeiten nach der Hafenstadt kommen ließ. Den Bruder schon vorzufinden, hatte er ja nicht erwartet. Doch harrte er von jetzt seiner Ankunft mit ungeduldiger Sehnsucht, die mit jeder Stunde merklich zunahm.


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