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Die Brandstätte

Am Abend des vierten Tages erreichten sie das Tal, in dem die Hazienda del Roca gelegen war. Schon von weitem sahen sie die geschwärzten Ruinen des Hauptbaues. Pablo schüttelte es; sein Herz krampfte sich zusammen. Eine alte Indianerin kam ihnen entgegen; sie erkannte Pablo. Schrecken und Freude malten sich gleichzeitig auf ihrem Gesicht.

»Oh, Don Pablo, du lebst noch!«

»Wie du siehst, Madrecilla.«

Die Alte wies auf die Trümmer. »Oh, es ist furchtbar«, jammerte sie.

»Sage mir, wie es gekommen ist.«

Es erwies sich schnell, daß die Alte kaum etwas wußte. Das Feuer war gegen Mitternacht ganz plötzlich ausgebrochen und viel zu spät bemerkt worden. Als der Wächter rief, stand bereits alles in lodernden Flammen. Der Mann mußte geschlafen haben.

»Weiß man, wodurch das Feuer entstanden ist?« fragte Pablo.

Man wußte es nicht. Niemand wisse es, behauptete die Alte.

»Wo hat es angefangen?«

»Die Diener sagen: dort, wo Doña Maria schlief. Darum konnte sie auch nicht gerettet werden.«

»Wurden keine Versuche gemacht, sie zu retten?« Pablo wunderte sich, daß er so ruhig zu fragen vermochte. Aber vor ihm stand ein altes Xinkaweib, ihr konnte man keine Gefühle enthüllen.

»War ja alles zu spät«, jammerte die Alte. »Als man die Leute rief, war schon alles zu spät. Die Señora wurde gerettet. Oh, sie lief herum, weinte, betete und schrie um die Señorita, dann fiel sie in Ohnmacht. Es war schrecklich. Und zu löschen war nichts; es brannte schon alles.«

»Wo habt ihr Doña Maria begraben?« Pablo schauderte es vor der Kälte seiner eigenen Stimme.

»Begraben? Oh, es war nichts zu begraben«, jammerte die Indianerin, »das Feuer hat die Señorita ganz verzehrt.«

»Hat man denn nicht nach – – ihren Überresten gesucht?«

»Oh, alle haben gesucht; die Señora selbst, wir alle. Wir haben nur Trümmer und Asche gefunden.«

»Wo ist die Señora?«

»Fortgereist. Ganz weit fort. Weiß nicht.«

»War Don Antonio nicht hier?«

»Don Antonio im Krieg. War hier mit altem General. Ist fortgeritten und nicht wiedergekommen.«

»Ist der Majordomo hier?«

»Ja, Don Estevan ist hier.«

»So will ich ihn aufsuchen. Er wird mir Obdach geben. Adios, Madrecilla.«

Sie ritten zu den Wirtschaftsgebäuden hinüber, die vom Feuer nicht berührt waren, und trafen auch bald auf den Majordomo, der über Pablos Rückkehr nicht wenig erstaunt war.

Und auch er wußte nichts zu sagen. Seine Mitteilungen bestätigten im wesentlichen nur die Aussage der alten Indianerin. »Es ist uns allen ein Rätsel, wie das Feuer so schnell um sich greifen konnte«, sagte er. »Der linke Flügel, der ja freilich nur ein Holzbau war, brannte bereits lichterloh, als wir wach wurden. Wenn irgendein denkbarer Grund vorhanden wäre, müßte man glauben, das Feuer sei angelegt worden.«

»Ich bin überzeugt davon, daß es angelegt wurde«, sagte Pablo und biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Der Majordomo sah ihn verblüfft an. »Sie haben einen bestimmten Verdacht?« fragte er. Aber Pablo äußerte sich nicht mehr. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen; sie suchten das Lager auf.

Schon bald nach Sonnenaufgang stand Pablo im Freien. Im Morgenlicht wirkte das Bild des zerstörten Hauses noch schrecklicher. Langsam ging der Jüngling um den Trümmerhaufen herum. Hinter ihm tauchte bereits Tenanga auf. Pablo suchte sich die Lage der einstigen Räumlichkeiten in die Erinnerung zurückzurufen. Da alles durcheinandergestürzt war, war das gar nicht so einfach. Aber er tastete sich schließlich zu der Stelle durch, wo ungefähr sich Marias Zimmer befunden haben mußte. Auf einem halbverkohlten Balken ließ er sich nieder und stützte den Kopf in die Hand. Hier soll sie also – –, dachte er, es ist nicht zu denken. Er nahm gar nicht wahr, daß Tenanga dabei war, jede Einzelheit der Trümmerstätte zu untersuchen.

Ein älterer Mann kam heran. Es war der Vaquero, den Don Antonio seinerzeit ausgesandt hatte, die Soldaten zu den Felsenpässen zu führen, als der Conde de Lerma auf del Roca weilte. Er hatte inzwischen wie alle anderen von Pablos Rückkehr gehört und rief ihn jetzt an. »Eine traurige Heimkehr, Don Pablo«, sagte er leise.

Der Jüngling sah auf; er erkannte den Mann nicht, aber er nickte. »Ja«, sagte er, »anders, als ich sie mir gedacht hatte.«

»Sie hätten den alten General sehen sollen; er war ganz gebrochen.«

»Der General?«

»Der General de Lerma, ja. Er hatte doch gerade erst in Dona Maria das Kind seiner Tochter wiedergefunden.«

Jetzt hob Pablo abermals den Kopf. »Was sagst du da?«

»Ich bin lange auf del Roca«, sagte der Vaquero. »Viele Jahre. Ich war damals dabei, als Don Antonio Doña Maria und dich von den Wracktrümmern herunterholte. Niemand hat in all den Jahren gewußt, wer Doña Maria war. Als der General de Lerma unlängst hier war, kam es heraus. Sie war seine Enkelin.« Und er berichtete von den Vorgängen auf del Roca, die Pablo noch nicht kannte.

Der hörte nur mit halbem Ohr zu. So, Maria hatte also ihre Angehörigen gefunden. Wie närrisch das war. Und nun also war sie tot, verbrannt, zu Asche verbrannt. Er senkte wieder den Kopf. »Ja, der alte Mann mag wohl traurig sein«, sagte er stumpf.

»Es waren damals heiße Tage hier«, fuhr der Vaquero fort, »in den Bergen wurde hart gekämpft. Ich habe die Soldaten nach den Felsschluchten geführt, damit die Motineros dem Conde nicht in den Rücken fallen konnten. Da erwischten wir deinen alten Freund, den Jäger Tamay, den Don Antonio fortgejagt hatte; er wollte den Verräter spielen; er kannte die Pässe. Leider ist der Bursche uns entkommen. Ich bereue, daß ich ihn nicht gleich unschädlich gemacht habe.«

»Tamay war vor kurzem hier«, sagte Tenanga, der in der Nähe zwischen den Trümmern herumwühlte.

Der alte Hirte fuhr zusammen: »Was sagst du da? Wer bist du?«

»Don Pablos Diener.«

Auch Pablo sah nun auf. »Tenanga ist mein Freund«, berichtigte er.

»Wo war Tamay?« fragte der Vaquero.

»Hier. Ich habe seine Spur gesehen.«

»Die möchte ich auch sehen, mein Junge«, sagte der alte Benito.

»So komm.« Tenanga kletterte über das Geröll hinweg und führte den Alten zu den Blumenrabatten, die sich um das Haus herumzogen. Pablo war aufgestanden und ging hinterher; er hatte kaum auf das Gespräch geachtet.

Tenanga blieb stehen. »Kannst du auf dem Boden lesen, Vaquero?« fragte er.

»Mindestens habe ich bisher geglaubt, daß ich's könnte.«

»So sieh her.« Tenanga deutete auf eine in dem weichen Boden noch ganz gut zu erkennende Fußspur; sie war erhalten geblieben, weil es inzwischen noch nicht geregnet hatte.

»Erkennst du diese Spur?« fragte Tenanga.

Der Hirte kniete sich nieder und sah aufmerksam hin. Dann erhob er sich wieder und schüttelte den Kopf. »Nein, ich erkenne sie nicht.«

»Hier hat Tamay gestanden«, sagte Tenanga, »es ist gar kein Zweifel. Eine Spur, die ich einmal gesehen habe, vergesse ich nicht wieder.«

»Du könntest recht haben, mein Junge«, sagte Benito langsam, »er hat einen ungewöhnlich langen Fuß. Aber was mag er hier gewollt haben?«

»Er hat das Haus angezündet.«

»Was?« Pablo schrie auf und stand gleich darauf mit funkelnden Augen neben dem jungen Spurenleser. »Er?« fragte er, »Tamay? Tamay soll es getan haben?«

»Was sollte er sonst hier? Er hatte Grund, sich an Don Antonio zu rächen. Und er tat es nach der Art eines Bandidos. Er hat auch geraubt. Sieh hier, die Spur eines Negers.«

»Eines Negers?«

»Erkennst du nicht den Plattfuß mit der langen Ferse? Das ist der Fuß eines Negers. Sie haben gemeinsam etwas getragen. Sieh, wie die Füße stehen. Weil sie etwas trugen, haben sich die Spuren tiefer eingeprägt, sonst wären sie wohl schon verwischt.«

»Wenn das alles stimmt, bist du ein großer Rastreador, mein Junge«, sagte Benito, »meinen Respekt. Ich bin ziemlich alt geworden, aber dergleichen habe ich noch nicht erlebt.«

»War er es, ist sein Leben verwirkt«, knirschte Pablo.

Er wandte sich ab und zwängte sich wieder durch die Trümmermassen zu der Stelle vor, wo er vorher gesessen hatte und wo sich seiner Meinung nach Marias Zimmer befunden haben mußte. Tenanga folgte ihm lautlos; er kletterte wie eine Katze; seine funkelnden Augen schweiften ruhelos umher. Pablo aber lehnte sich gegen einen geschwärzten Mauerrest und sah, fast sinnlos vor Schmerz, vor sich hin.

Er zuckte zusammen, als Tenanga plötzlich vor ihm stand. Der sah ihm mit einem langen und ernsthaften Blick in die Augen. »Herr«, sagte er, »traure nicht mehr. Doña Maria ist nicht verbrannt.«

Pablo sah ihn an, als habe der andere den Verstand verloren.

»Sie ist nicht verbrannt«, wiederholte Tenanga, »sie ist geraubt worden.«

Pablo umklammerte seinen Arm, »Tenanga«, flüsterte er, »mach mich nicht wahnsinnig. Überlege dir, was du sagst.«

»Sie ist nicht verbrannt«, sagte Tenanga fest. »Wir hätten etwas von ihren Überresten finden müssen. Es ist nichts vorhanden, nichts. Sie wurde geraubt; Tamay und ein Neger haben sie fortgetragen.«

»Und du meinst, daß sie – – noch leben könnte?«

»Ich hoffe es. Warum sollten sie sie wegschleppen, wenn sie sie töten wollten?«

Pablo machte sich los. »Ich glaube – ich fühle, daß du recht hast«, sagte er leise. »Ich war wie erschlagen, aber im Innersten habe ich es immer noch nicht begriffen, daß sie tot sein soll. Suche, Tenanga, biete all deinen Spürsinn auf; alles, was ich habe, gehört dir.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Und wenn ich mich dennoch täusche«, flüsterte er, »wenn du dich täuschst? Was sollte den Mann bewogen haben, das Mädchen zu entführen?«

»Das Haus hat er sicherlich aus Rache angezündet. Don Antonio hat ihn vor den Leuten beschimpft und fortgejagt. Sage dir selbst, daß ein Indianer das nicht vergißt. Dabei ist ihm die Señorita in die Hände gefallen, und er hat sie mit seinen Spießgesellen fortgeschleppt, um Lösegeld zu erpressen.«

Pablo schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht«, sagte er düster. »Wäre das der Fall, sie hätten sich schon gemeldet.«

»Herr«, sagte Tenanga, »ich weiß es nicht. Es ist nur eine Vermutung. Laß uns suchen. Wir haben das eine Ende einer Spur, das andere werden wir finden. Wir wissen, daß Tamay hier war, wir werden ihn finden. Alle Mayas stehen dir zu Diensten, Herr. Ich kenne den Fuß des Negers, der dabei war; wir werden auch den Schwarzen ermitteln. Fasse Mut, Herr, wir werden am Ende auch Doña Maria finden.«

Pablo ergriff die Hände seines treuen Gefährten und drückte sie. »Ich danke dir, Tenanga«, sagte er, »ja, wir wollen suchen.« Sie traten aus den Trümmern heraus.

»Auch ihr habt nichts von den Überresten der Señorita gefunden«, sagte Benito, der gewartet hatte, »ich wußte es gleich. Wir haben sofort nachgeforscht, als das Feuer erloschen und die Brandstätte betretbar war. Wir haben alles um und um gewühlt; es war nichts zu finden, die Glut war gerade hier viel zu groß, es ist nur Asche zurückgeblieben.« Tenanga schwieg.

Pablo aber, der sich plötzlich ruhiger fühlte, da er wieder einen wenn auch noch so schwachen Hoffnungsschimmer sah, wandte sich an den Vaquero. »Du sagtest vorhin etwas von einem General«, bemerkte er, »ich habe nicht richtig zuhören können, war abwesend mit meinen Gedanken, was war das mit dem General?«

Der Vaquero berichtete noch einmal, wie der alte General de Lerma an völlig untrüglichen Anzeichen in Doña Maria seine Enkelin wiedererkannte. Der Majordomo kam in diesem Augenblick dazu und bestätigte Benitos Ausführungen.

»Ja«, sagte er, »die Señorita, lebte sie noch, hieße nun Maria de Pinnol, wäre die Enkelin des Conde und eine der reichsten Erbinnen des Landes. Es gibt nur einen Menschen, der sich darüber nicht freut, das ist der Señor de Mendez, der Großneffe des General de Lerma, der das Erbe schon in der Tasche zu haben glaubte. Ich gönne ihm die Enttäuschung.«

Als man dem erfahrenen Manne berichtete, was Tenanga entdeckt hatte, und als Don Estevan hörte, daß der Jäger Tamay hier gewesen sein sollte, zeigte er sich sehr wenig überrascht und wenig überzeugt. »Tamay hier?« sagte er, »hier, wo der Strick auf ihn wartet? Immerhin, zuzutrauen dürfte dem Burschen alles sein, auch Brandstiftung und Menschenraub. Trotzdem, es scheint mir ziemlich unwahrscheinlich. Hören Sie, Señor«, wandte er sich an Don Pablo, »es ist wahrhaftig nicht meine Sache, fremde Menschen zu verleumden, aber es gibt einen Menschen, dem alles daran gelegen sein müßte, daß die Señorita verschwindet – ich nannte ihn schon.«

In Pablos Augen funkelte es gefährlich. »Mendez?« sagte er leise. Er dachte daran, wie dieser Bursche ihn einst mit der Peitsche bedrohte; kalter Haß kam in ihm hoch. »Weißt du, wo der Mann steckt?« fragte er.

»Quien sabe? Wer weiß es? Beim Heer war er nicht. Ist hier einmal mit dem alten General zusammengetroffen und dann fortgeritten. Sonst weiß ich nichts.«

»Laß, Don Estevan, ich danke dir. Tenanga hat eine Spur – und ich habe nun auch eine; wir werden den Spuren folgen.«

Der Majordomo bat Pablo zum Frühstück. Als sie sich gegenübersaßen, fragte der Jüngling: »Ist mein Brauner noch da?«

»Gewiß, Señorito.«

»Das ist gut. Ich will ihn reiten.«

Der Majordomo wollte gerne wissen, wie es Pablo während seiner Abwesenheit ergangen sei, und Pablo berichtete ihm in großen Zügen, was er erlebt hatte.

Tenanga kam und meldete, daß er die Spur eine Strecke lang weiter verfolgt habe. Sie führe auf die Straße zu.

»Gut«, sagte Pablo, »wir wollen uns unverzüglich auf den Weg machen. Lassen Sie den Braunen satteln, Don Estevan, und geben Sie auch Tenanga ein gutes Pferd; die unseren sind ziemlich erschöpft.« Der Majordomo gab die erforderlichen Befehle.

»Wo lebt Doña Inez?« erkundigte sich Pablo.

»In San José«, antwortete der Majordomo. »Dort wird sie auch bleiben, bis hier ein neues Haus entsteht.«

»Können Sie einen Boten nach San José« schicken?«

»Gewiß.«

»So will ich ihr gleich ein paar Zeilen schreiben.«

Don Estevan führte Pablo in sein Arbeitszimmer. Dieser schrieb der Señora kurz und knapp von seinen Erlebnissen und deutete auch vorsichtig seine Hoffnung Maria betreffend an. Den Brief übergab er dem Majordomo.

Unterdessen waren die Pferde gesattelt, und Tenanga hatte alles zur Abreise vorbereitet. Als sie schon im Sattel saßen und im Begriff waren, sich zu verabschieden, fragte Pablo: »Was haben Sie vom Krieg gehört? Wissen Sie, wo gekämpft wird?«

»Ich weiß nicht viel«, antwortete Don Estevan. »Wir haben hier nur vorübergehend Bekanntschaft mit dem Krieg gemacht. Nachrichten kamen immer nur spärlich und zudem sehr verspätet hierher. Es wird im Süden und Südosten gekämpft. Wenn die letzten Nachrichten nicht täuschen, soll sich die Regierungssache inzwischen gebessert haben. Die Hauptstadt ist aber noch im Besitz der Rebellen.«

Pablo nickte und reichte dem Majordomo die Hand. Gleich darauf verließ er, von Tenanga gefolgt, die Trümmerstätte von del Roca.


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