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Im Moor

Ein müder Sommerabend. –

Die Heide träumt im letzten Strahle der sinkenden Sonne.

Von dem braunen Boden steigt betäubender Duft auf. Es zittert heiß über dem Moore, und die Sonne stirbt.

Die Nacht kommt. –

Die Schafe blöken im Stalle des einsamen Heidehäuschens. –

Ringsum Garten und ein wenig Feld. Kartoffel- und Buchweizenacker.

Weiter hin liegen ein paar Findlinge, riesige Granitblöcke im gelben Sande, den nur einzelne kurze Grasbüschel durchbrochen haben. – –

Drüben zieht sich der Wald hin, ein Gewirr von verkrüppelten Tannen, Birken, Erlen; hie und da saftige Buchenhaine mit blumigen Matten.

Überall dichtes Unterholz. –

Aus dem Walde treten zwei – ein Mann und ein Mädchen.

Er hält den Leib des Mädchens umschlungen. Sie ist jung, kaum siebzehn Jahre. Sie ist schön; nur die Augen blicken so seltsam, nicht offen und treuherzig. Wie ein Geheimnis liegt es darin.

Sie gehen auf das Haus zu.

Neben den langen Gräben, in denen sich das schmutzige Wasser fängt, liegt gestochener schwarzer Torf aufgeschichtet. Sie lassen sich nieder, und der Mann spricht. Er redet leise in sie hinein.

Es muß was trauriges sein. – Das Mädchen lehnt sich an ihn und umschlingt seinen Hals, und sie küssen sich.

Dann stehen sie auf. Das Mädchen wirft sich an seine Brust. Es ist ein Abschied, wenn auch nur für kurze Zeit. Der Mann muß in die Stadt auf drei Wochen zum Militär.

Er ist ein Bauernsohn und sie die Tochter des Köthners, des armen Torfstechers. Er küßt sie noch einmal und sucht nach ihren Augen, aber sie schlägt den Blick zu Boden.

Dann läßt er sie, und sie geht langsam dem Hause zu. Noch ein paarmal bückt sie sich, um eine blühende Heideblume zu pflücken. Dann tritt sie in den leichtumzäunten Garten ein. Eine Kuh brüllt ihr aus der halbgeöffneten Stallthür entgegen, und die Schafe stoßen ihren scharfen, blökenden Schrei aus.

Sie tritt in das Haus. Unter der Thür wendet sie sich noch einmal um. Sie glaubt in der Ferne eine Gestalt zu erkennen.

Aber sie winkt nicht. – –

Die Stimme der Mutter ruft sie ...

Es ist dunkel geworden, und das Öllämpchen schimmert fahl aus dem einen Fenster.

Der Mann ist stehn geblieben und hat dem Mädchen nachgeschaut, wie es langsam fortgegangen ist.

Er will sie zurückrufen, doch wozu?

Sie haben ihm gesagt, sie sei es nicht wert, daß er so an ihr hänge und dem Vater trotze.

Er hört nicht auf sie, die das sagen, denn er liebt das Mädchen.

Sie ist schön; auch in den beschmutzten, dunklen Kleidern, an denen die Spuren des Moores sich finden. Denn sie muß den Torf graben, eine mühselige, schmutzige Arbeit.

Der Mann sieht ihr noch immer nach. Es ist so dunkel geworden, daß er sie kaum noch erkennen kann, als sie in die Hütte tritt.

Jetzt ist sie verschwunden. –

Es ist Nacht. –

Über der Heide lagert totenhafte Ruhe. Kein Wind regt sich, kein Laut klingt auf, kein Vogel streift vorüber.

Die Heide schläft. – – – – – – – – –

* * *

– – Aus dem Neumonde ist Vollmond geworden.

Der Mann kehrt zurück. Den ganzen Tag ist er gereist. Zu Hause hat er von der Stadt erzählt und hat dann zu Abend gegessen. Dann ist er hinaufgegangen, um sich schlafen zu legen.

Er hat gesagt, er sei müde. Auch die Alten legen sich schlafen.

Noch einmal werden alle Laden nachgesehen und die Thürklinken gerüttelt, dann wird es still im Hause ...

Stille im Hause! – Draußen aber braust der Sturm durch die Nacht. Bald liegt die neblige Heide im tiefschwarzen Dunkel, bald im grellen Strahle des Mondes, der aus den wehenden Nebeln phantastische Gebilde formt. Die Nebel steigen aus dem Boden und wollen sich über die Erde lagern, aber der Sturm kommt und zerfetzt das luftige Gewebe und treibt das leichte Gewölk vor sich her.

Die schwarzen Wolken drängen sich am Himmel zu Hauf, wie Schafe bei einem Gewitter ... Wenn sie sich der vollen Scheibe des Mondes nähern, scheinen sie zu zerflattern, der Mond scheint sie aufzulösen.

Die dunklen mächtigen Wolkenwände lassen keinen Strahl durch. An den Rändern nur kann man es sehen, daß sie den Mond bedecken. Da schimmert es gelb und blau auf. –

Und der Sturm singt sein Lied. – –

In dem großen Bauernhofe knarrt ein Fenster.

Hat der Wind einen Laden losgerissen? –

Jetzt ist es ganz finster ...

Horch! ein knistern und jetzt ein kratzen an einer Kalkwand. –

Vielleicht Diebe! – Doch die Hunde sind still.

Jetzt huscht eine Gestalt durch die Hecke und birgt sich hinter einer Holzstiege, denn das weite, baumleere Moor liegt im hellen Mondlicht da; der Sturm hat den Nebel fortgetrieben, nur über dem struppigen Heidekraut liegt es schneeweiß, daß der Fuß durch Gewölk zu schreiten scheint. – Jetzt schiebt es sich schwarz über die Ebene. Eine Wolke hat den Mond verschlungen. –

Ein Mann jagt über die Heide, als ob ihn der Sturmwind verfolge, als ob er mit den Wolken um die Wette laufen wolle.

Es geht an dem Walde vorbei, jenseits erst bleibt er aufatmend stehn.

Dort liegt die Hütte des Torfbauern, vom Nebelgewölk umraucht, vom Liede des Sturmwinds umheult.

Drei Wochen sind vergangen, seit der Mann an dieser selben Stelle stand und Abschied nahm. Jetzt gilt sein erster Gang dem einsamen Häuschen.

Er geht auf dasselbe zu. Hinter dem Stalle duckt er sich. Er muß um das Haus herum. Das Mädchen schläft hinten.

Er will sie heute noch sehn, noch sprechen ... Der Sturm hat sich eine Weile gelegt. Die Nebel wallen zitternd hin und her, und die Mondesscheibe ist verdeckt.

Er tritt näher. In der Hand hält er ein Häufchen Sand. Er will die Körner an das Kammerfenster werfen, damit sie erwache. –

Jetzt stockt sein Fuß.

Vor ihm raschelt etwas, aber er vermag nichts zu erkennen. Nacht und Nebel sind zu dicht.

Jetzt sieht er: es ist ein Mann! – Kommt außer ihm noch einer hierher? – Sein Blut siedet auf.

Er geht weiter, vorsichtig ... aber ein dürrer Ast des aufgeschichteten Brennholzes knackt laut unter seinem Fuße. Droben schlägt ein Fenster an.

Jetzt sieht er eine weiße Gestalt sich herauslehnen. Das Mädchen, das sich niederbeugt, um zu sehen, wer da draußen sei.

Da schrickt er zusammen.

– Gute Nacht, Franz! flüstert es leise herab.

Er erschrickt. –

Der Mann dort winkt hinauf. Dort steht eine Leiter, nur wenig beiseite geschoben.

Und plötzlich hat er begriffen: Ein anderer neben ihm! –

Dort tappt er vorsichtig der Hecke zu.

Der Sturm heult mit einmal, als wolle er das Häuschen dem Erdboden gleich machen. Aber durch das Getöse klingen Laute verzweiflungsvoller Wut. Das aufgeschichtete Holz bricht kollernd zusammen ...

Dort an der Hecke ringen zwei lautlos. – Die Hunde schlagen mit Gebelfer an. – Das Mädchen ist mit einem Schrei vom Fenster verschwunden. Sie stürzt aus dem Hause. Die offene Thür schlägt im Winde hin und her, als wolle sie zersplittern.

Ein Todesschrei gellt durch den Nebel, dann wird es ganz still. – – –

Die Hunde sind ausgebrochen. Aber ihr bellen dauert nicht lange. Mit eingekniffenem Schwanze kriechen sie um einen am Boden liegenden Menschen. Eine Blutlache umgiebt ihn. Über ihn beugt sich ein anderer Mann.

Jetzt springt er auf, und die Axt, die – er weiß nicht wie – ihm in die Hand gekommen, gleitet aus seinen Fingern.

Das Mädchen steht vor ihm. Ein Mondstrahl huscht über die drei Gestalten. Das Mädchen hat in dem sterbenden den Mann erkannt, dem sie eben das gute Nacht zugerufen hat, sie stürzt sich über ihn, Franz! rufend.

Dem anderen zuckt die Hand: fast möchte er die Waffe von neuem erheben, um das Weib auch niederzuschlagen.

Da regt es sich im Hause ...

Lichter nähern sich. – Er sieht um sich, plötzlich begreift er.

Mit einem wilden Satze ist er über die niedere Hecke gesprungen, und wieder jagt er über die Heide, pfeilschnell. Doch diesmal verfolgt ihn der Mord. Hinter sich hört er das heulen der ihm nachsetzenden Hunde. Aber sie können seiner Spur nicht folgen. Der Nebel ist zu dicht. Sie schnüffeln ratlos am feuchten Boden hin und stoßen langgezogene Klagelaute aus. Die schlagen dem gehetzten an das Ohr. Der Sturm trägt sie ihm zu.

Er glaubt die Verfolger dicht hinter sich, wenn auch die Stimmen der Hunde allmählich leiser werden und dann ganz verstummen. – Jetzt rauscht der Wald vor ihm auf, in dem der Sturm sich verfängt. Mit mächtigen Armen teilt er die Büsche; und die feuchten Zweige schlagen rauschend hinter ihm zusammen.

* * *

Es ist Nacht. – – –

Aber die Nacht eines dumpfen Kerkers. Man hat den Mörder gefangen und in die Stadt gebracht. – Eine kleine, düstere Zelle, groß genug, um langsam darin zu ersticken. Ein Fenster, so klein und mit so starken Eisenstäben vergittert, daß selbst am Tage das Licht nur schwer einzudringen wagt. Von draußen hört man das Geräusch des wogenden Lebens. Wagen fahren vorbei, Fußgänger drängen sich an den hohen Mauern hin, denn das Untersuchungsgefängnis liegt mitten in der großen Stadt.

Er hört das lärmen und das rollen der Fuhrwerke und sieht Licht zu sich heraufschimmern, schwach und ersterbend.

Er ist gefangen, und hinter diesen Mauern soll er seine Tage verbringen, endlose Jahre. Er wird nur als Toter hinausgebracht werden.

Und wenn man ihn begnadigen wird, dann ist er doch ein müder Greis mit kraftlosen Armen.

Er denkt an seine weite, freie Heide. An die jubelnden Lerchen, an die weidenden Schafe; und der narkotische Duft des Moorlandes umweht ihn.

Er blickt um sich. –

Enge feuchte Mauern. – Ein hartes Lager und kärgliche Nahrung ...

Und er setzt sich auf das eiserne Bett und denkt an das Mädchen, und wilder Groll schwellt seine Brust. Zorn und Abscheu empören sich in ihm.

Er kann die That nicht bereuen. –

Das Mädchen hätte mit sterben müssen ...

Wie sie ihn gehetzt haben, wie er sich im Dunkel der Wälder verkrochen hat; nicht als sei er ein Mensch, sondern ein wildes Tier! Und dann – als er gehört, daß sie, die er geliebt, gegen ihn sich erhoben hatte!

Seine Schuld wurde erst durch ihre Aussagen bekräftigt, und es mußte ihr Wonne bereitet haben, ihn so dem Henker überliefern zu können. Es schüttelt ihn, wenn er daran denkt, wie sie ihn verraten.

Und nun die jahrelange, grauenvolle Buße für seine Rache! ...

Er steht auf und blickt aus dem kleinen Fensterloche. Da drunten ist die Freiheit, das Leben, – hier ewige Gefangenschaft und Tod!

Er rüttelt an den Eisenstäben, aber sie spotten seiner Kraft.

Und gebrochen sinkt er zusammen. –

Dann reißt er mit vieler Mühe die Decke seines Lagers in Streifen und knüpft sie sorgsam zusammen. Seine Hände zittern ein wenig, aber er zwingt sich zur Ruhe ...

Und eifrig arbeitet er an seinem Werke, die Streifen fest zusammendrehend, daß sie nicht zerreißen können. –

* * *

Als man am grauen Morgen in seine Zelle tritt, um ihn zur Arbeit zu holen, finden sie ihn tot.

Er hat sich erhängt.– – – – – – – – –

* * *

Die Raben krächzen um das einsame Heidehaus, und an dem Fenster sitzt ein bleiches Mädchen und starrt in das schlafende Moor hinaus – und schrickt zusammen, jedesmal wenn die schwarzen Totenvögel ihren krächzenden Schrei ausstoßen.

Sie blickt glanzlosen Auges in die Ferne, wo sich die Heide in dem grau der Wolken allmählich verliert. –

Heute ist die Nachricht hierher gedrungen, daß er sich erhängt hat im Kerker ...

Sie schauert zusammen und blickt reglos hinaus in das feuchte braune Heideland ...

Und die dampfende Heide schläft weiter. – –

Die Raben krächzen ... und langsam schieben sich graue trübe Regenwolken über das sumpfige Moor ...


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