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Im Quartier

Wir standen seit Wochen auf französischem Boden.

Drei Nächte hinter einander schon hatten wir im Bivak gelegen, unter strömendem Regen, daß uns buchstäblich das Wasser in den Stiefeln stand.

Es war unmöglich, ein Zelt aufzuschlagen, denn ein heulender Novembersturm jagte über die kahlen Brachfelder hin, und wir hörten ihn in dem Walde, an dessen Rande wir lagerten, sein jauchzendes Zerstörungswerk treiben.

Unsere Kräfte waren erschöpft, und das Bataillon wurde in Reserve zurückgehalten, während frische Truppen zwischen unsern Linien hindurch dem Feinde entgegengeworfen wurden.

Seit mehr als acht Tagen waren wir kaum mehr mit Menschen in Berührung gekommen und hatten nichts anderes zu Gesicht gekriegt, als Uniformen.

Den Tag über hatten wir noch auf freiem Felde zubringen müssen. Erst mit Einbruch der Dunkelheit sollten wir Quartier beziehen, einen Weiler, der eine halbe Stunde vor unserer bisherigen Stellung lag, und um den wir zwei Tage lang erbittert gekämpft hatten.

Der Regen fiel in klatschenden Strömen, und die einzelnen Kompagnien rückten in ihr Lager ab.

Ich war mit meinem Zuge detachiert nach einem, in einem Gehölze fast ganz versteckt gelegnen Gute; wie mir unser Quartiermacher meldete, einem schloßartigen Gebäude, zu dem ich mich mit meinen Leuten sofort auf den Weg machte.

Nach einer guten halben Stunde langten wir vor dem Landhause an. Weder hier noch im ganzen Dorfe war eine Menschenseele zu entdecken.

Ich brachte meine Leute im Erdgeschosse unter, und stieg dann mit meinem übermütigen Fähnrich die Treppen hinauf, weil wir es uns dort oben bequem machen wollten.

Wir fanden droben einen Salon, ein Zimmer mit zwei Betten, das ich dem Fähnrich und dem Vizefeldwebel anwies, während ich selbst von dem andern Schlafzimmer Besitz ergreifen wollte.

Nachdem ich zuvor noch alle nötigen Anordnungen getroffen hatte, war es unser erstes, an dem von den Leuten in einem Zimmer des Erdgeschosses schnell angemachten prasselnden Feuer unsere steifen Knochen zu wärmen.

Der kleine Fähnrich tanzte vor dem Kamin herum, rieb sich die erfrornen Hände und ließ seine durchweichte Uniform lustig dampfen, während er dabei einem selbstgebrauten starken Grog eifrigst zusprach.

– Herrgott, ist das ein Wetter! schimpfte er, nachdem er mir seine Meldung gemacht. Endlich mal wieder ein bißchen Wärme. Ist hier ganz behaglich. Hoffentlich bleiben wir ein paar Tage liegen. Wenn in diesem verfluchten Neste nur ein Mensch aufzutreiben wäre. Und kein Weib! ... kein Weib! – Es ist schauderhaft ...

Als ich lachte, machte er sein ernsthaftestes Gesicht und erwiderte:

– Das wäre alles ganz schön mit dem Kriege; aber ich habe jetzt vier Wochen lang kein Weib zu sehen gekriegt. Unsere Jungens haben zuweilen noch was. Aber unsereiner kann doch nicht mit so 'ner dreckigen Bauernkröte anbinden. Und dann das Französisch! Wenn ich mal ein Wort verstehe, bin ich ja froh wie ein Stint. Unsere Kerle fragen nicht lange. Zugegriffen – fertig! –

– Ja, lieber Muck, daran müssen Sie sich schon gewöhnen. Wir können doch nicht für Ihre Specialbedürfnisse einen Weibertrain mitführen. – Also bezwingen Sie gefälligst Ihre Gefühle.

– Rührt Sie denn das eigentlich gar nicht? – fragte er ganz naiv.

– Na, ich bin nicht grade von Stein; und finde allerdings, daß gerade die Strapazen und die lange Entbehrung Begierden erzeugen, unter deren Nichterfüllung wir eben insgesamt leiden müssen ... Man muß sich drein finden ...

– Verflucht noch mal, mir wäre schließlich eine jede recht. Ich halte das nicht mehr länger aus ... Ein Königreich für ein Weib! ...

– Aber lieber Muck – das wird ja ganz gefährlich. Gehen wir hinauf, man wird bei uns jetzt ein bißchen Ordnung geschafft haben. – Franz! –

– Herrr ... Leutnant! ...

– Ist droben alles in Ordnung? –

– Z' Befehl, Herr Leutnant! – 's ist alles da. Da muß mal ein Frauenzimmer gewohnt haben, da oben.

– Na, ich gratuliere, meinte Muck. Da schlafen Sie am Ende in so 'nem keusch jungfräulichen Bette. Das kann nett werden.

Ich mußte lachen über den schweren Seufzer, und wir stiegen die breiten teppichbelegten Treppen hinauf. Es war alles stehn und liegen geblieben, wie es war.

Wir nahmen gemeinsam unser Abendessen. Muck revidierte noch mal. Von zwei Uhr an sollte er wachen und den Feldwebel ablösen. Ich war froh, einmal eine Nacht im warmen Bette schlafen zu können, und ging in mein Zimmer hinüber, wo Franz die beiden vor dem großen Ankleidespiegel stehenden hohen Bronzelampen angezündet hatte, die das Gemach mit leichtverschleiertem Lichte erfüllten.

Schnell die durchweichte Uniform vom Leibe. Wir waren gesichert genug, daß man sich dieses Vergnügen schon gestatten konnte.

Dann sah ich mich im Zimmer und vor allem im Schlafzimmer um.

Franz hatte recht. Eine Dame mußte hier gewohnt haben. Der Duft eines mir fremden, aber sehr angenehmen Parfüms strömte durch das hohe, helle Gemach mit seiner lichten Goldtapete, deren Muster aus kleinen Rosenknospen bestand, die sich aus dem Goldgeschlinge leise abhoben.

Ein dichter Smyrnateppich lag auf dem Parkett. Vor dem breiten, niedern französischen Bette, das von einem blauseidenen Himmel überdacht wurde, lag ein weißes japanisches Ziegenfell.

Und neben diesem weißen Meere lag ein zierlicher roter Pantoffel, umgestürzt, daß die weiße Sohle und der hohe Hacken nach oben lag.

Ich sah mich nach dem anderen um. Er lag fast ganz unter dem Bette, und ich holte ihn hervor. Die Sohle war keine drei Finger breit und kaum so lang wie meine Hand.

Es mußte ein sehr zierlicher Fuß sein, und ich stellte mir dabei unwillkürlich ein schlankes, junges Mädchen vor. – Ich betrachtete den Schuh von allen Seiten und ließ ihn dann wieder fallen.

Ich hatte mich in meinen Mantel eingehüllt und trat in das Nebenzimmer, ein Boudoir, elegant überladen ausgestattet. In dem grauen Kamine knisterte ein Holzfeuer.

Die Fenstervorhänge waren von Franz überall zugezogen. – –

Vielleicht, daß sich irgendwo das Bild der Besitzerin fand ...

Ich sah mich um, aber ich entdeckte nichts. Auch nicht auf dem zierlichen Damenschreibtische, der dicht am Fenster stand.

Nur ein paar sehr lange, graue Handschuhe lagen dort, schmal wie für eine Kinderhand, und ein Briefbogen mit einem dicken Klex und dem Anfange: Chère amie, ...

Steife Buchstaben, eine Pensionatsschrift. –

Einen Augenblick kam mir die Versuchung, den Sekretär genauer zu untersuchen; aber schon im nächsten wies ich eine solche Indiskretion energisch von mir ab.

Ich ging in das Schlafzimmer zurück und wandelte hier eine zeitlang auf und ab.

Diese mädchenhafte Einrichtung kam mir so seltsam vor, zumal jetzt, wo wir drei Tage lang nicht unter Dach und Fach gewesen waren.

Wenn die Besitzerin ahnen könnte, wer sich jetzt in diesen Räumen aufhielt, die man in hastiger Flucht verlassen haben mußte. –

Dort auf einem Sessel lag ein Haufen weißen Zeuges. Ich trat näher. Es waren ein paar verknitterte gelbseidene Unterröcke, ein verführerisches Gewirr von Spitzen und darunter heraushängend ein schwarzseidener langer Strumpf mit kleinen roten Blümchen in dem seinen Gewebe.

Ich mußte lächeln, als ich dieses Genrebild sah, und zerrte den Strumpf hervor. Er hatte vorn ein ganz kleines Loch, und wie im Übermute konnte ich es nicht lassen, diesen Strumpf über meinen Arm zu ziehen, – er war so lang, daß er bis an meine Schulter reichte – und den kleinen Finger durch das Löchlein zu bohren.

Im nächsten Augenblicke hatte ich ihn herabgerissen. Auf was für Dummheiten man nicht verfiel. – Wenn das jemand sah! –

Und ich ging wieder im Zimmer auf und ab, bis mir ein großer Schrank auffiel, dessen Thür halb geöffnet war.

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen. Die Garderobe der Besitzerin.

Ehe ich mir recht klar war, was ich that, hatte ich eine der Roben herausgenommen; und es war kein Zweifel mehr für mich, daß hier eine junge Dame geweilt hatte.

Sie mußte ziemlich groß und schlank sein, aber voll entwickelt, das konnte man deutlich genug ersehen.

Ich hing das Kleid wieder fort und versuchte es, mir ein Bild von ihr zu machen.

All diese Intimitäten reizten meine Phantasie.

War sie hübsch? – Sie mochte es wohl sein.

Diese anheimelnde Eleganz, von der wir seit Monaten keine Ahnung mehr hatten, ließ mit Bestimmtheit darauf schließen. Dieser etwas perverse Chic ließ auf die Schönheit einer Weltdame schließen.

Ein eigentümlicher Zauber schien von dem allen auszugehen, ein Gefühl wonniger Behaglichkeit.

Die Gegenstände ringsum empfingen Leben für mich, sie wirkten auf mich, als gehörten sie einem mir bekannten Wesen an.

Als ich im Nebenzimmer die Handschuhe zwischen die Finger nahm, schien es mir, als seien sie eben erst von einer kleinen schmalen Hand abgestreift, als hafte an ihnen noch der Duft des Lebens.

Und dieses seltsame Parfüm, das die Luft schwängerte ...

Ich hatte einen Fensterflügel weit aufgerissen. –

Die Nacht dehnte sich schwarz und schweigend ringsum. Nur in der Ferne loderten ein paar Lagerfeuer blutrot durch den Regen auf.

Und drunten hörte man den gleichmäßigen knirschenden Schritt des Postens, der das Schlößchen umkreiste.

Die kühle Nachtluft hatte mir wohlgethan. Ich sah nach der Uhr. Es war elf. Auf meinen Vize konnte ich mich verlassen. Die Müdigkeit lag mir schwer in allen Gliedern.

Ich wollte mich schläfrig genug niederlegen, als mir der Gedanke kam, daß ich meine zerschlagenen Glieder auf Kissen betten wollte, wo gewiß sonst ein hübscher Mädchenkopf von allem schönen und lieblichen der Erde zu träumen pflegte.

Ich zauderte einen Moment, und als mein Blick auf das etwas zerknitterte Betttuch und die Kissen fiel, auf denen ich noch den Eindruck zu entdecken glaubte, wo die Schläferin sonst ihr müdes Haupt ausruhte, sah ich ein paar lange blonde Haare, die ich vorsichtig von den schneeweißen Kissen nahm und zum Lichte trug.

Es war das herrlichste Goldhaar, und ich hatte immer eine Passion für goldblondes Haar gehabt. –

Kurz entschlossen löschte ich endlich das Licht im Schlafzimmer und ließ nur die Lampen im Nebenzimmer brennen.

Wie wohlig das war, sich einmal wieder in einem ordentlichen Bette ausstrecken zu können.

Eine angenehme Wärme flutete durch meine erstarrten Glieder.

Wie sein und weich das Leinen war ... Und wie ich darüber hinstrich und das Oberbett fester um mich zog, mußte ich wieder an das hübsche Mädchen denken. Ich sah sie vor mir, mit ihrer Schönheit, mit ihrem blonden Haar, und ich sah, wie diese goldenen Fluten sich auf dem Kissen ausbreiten mußten zur Nachtzeit.

Und nun zu denken, daß ich an ihrer Stelle lag.

Ich hatte geglaubt, gleich einschlafen zu können. –

Der feine Duft, der aus den Kissen aufstieg, beirrte mich; ein seltsames Gemisch von Parfüm und dem Hauche eines jugendfrischen Mädchenleibes.

Es schien ihnen etwas körperliches anzuhaften, als seien erst Minuten verflossen, seit sie verlassen waren ...

Einmal war ich im Begriffe, aufzuspringen. Es war wie ein Halbtraum, als sei etwas neben mir, fast gespenstisch und doch blutwarm ...

Vom Nebenraume fiel ein feiner Lichtstrahl in das Schlafzimmer und warf seinen Schein gerade auf eines der zierlichen roten Pantöffelchen.

Ich drehte mich herum, aber im nächsten Augenblicke schon warf ich mich wieder auf die andere Seite.

Es war, als gehöre jemand zu diesen kleinen Schuhen, als ständen sie da und harrten auf ihre Besitzerin, die in der Nähe sein mußte; die kommen würde zu mir, der ich sie hier sehnsüchtig in ihren Kissen erwartete. –

Zum Teufel noch einmal! was war denn mit mir? ... Ich war doch nicht besessen? ...

Mit einem Fluche sprang ich aus dem Bette und warf die armen Schuhe in die dunkelste Ecke. –

Allein es half nichts. – Ich konnte nicht einschlafen ...

Ich blieb auf dem Rücken liegen und horchte auf den Wind und den Regen, der gegen die Scheiben sickerte, ich hörte das rauschen der kahlen Baumzweige und dann das leise zitternde ticken einer Stutzuhr aus dem Salon. –

Im andern Flügel schlief mein Muck wahrscheinlich schon lange den Schlaf des Gerechten.

Wenn ich ihm doch nur das Zimmer gegeben hätte. Der Feldwebel legte sich ja doch erst um zwei Uhr hin, und konnte auch drunten sein Bett finden.

Ich war im Begriff hinüberzugehen, um mit dem Fähnrich zu tauschen; denn ich fühlte, hier würde ich nicht schlafen können. Aber es sah zu dumm aus, und so ließ ich es. Dieser Muck war mit daran schuld, mit seinem elenden Gejammer nach den Weibern! Setzt sich der Kerl hin und seufzt wie ein verliebter Kater und bringt einem erst zum Bewußtsein, woran man sonst kaum gedacht hätte. –

Und dann die Strapazen, die dem Körper eine innere brennende Kraft geben, – und zuletzt noch dieses Schlafzimmer einer jungen Dame, diese elegante, fast frivole Intimität. – Da mochte der Teufel seine Ruhe behalten ...

Herrgott, was hätte ich jetzt nicht für das erste beste Weib gegeben; und dabei das Phantasiebild der Inhaberin dieser im Zimmer umherliegenden Dinge wie leibhaftig um sich zu fühlen; diesen jungen Mädchenleib in seiner Lebenswärme sich vorstellen zu müssen, durch jeden Gegenstand an Dinge erinnert zu werden, die – zum Teufel! ...

Wie oft mußte der Spiegel nicht die Scene wiedergegeben haben, wenn sie langsam ein Stück ihrer Kleidung nach dem andern abwarf, bis sie endlich geschmeidig unter die leichte Decke schlüpfte, die wie eine Bergeslast auf mir lag und mir fast den Atem raubte. –

Die Uhr im Nebenzimmer schlug wieder. Es war Mitternacht vorüber, und noch immer kein Schlaf.

Sollte ich vielleicht aufstehen und in dem Regenwetter eine Ronde machen? – Aber wozu ...

Endlich, nach stundenlangem wachen, verfiel ich in einen unruhigen, fieberhaften Halbtraum, aus dem ich wiederholt aufschreckte ...

Das Bild, das ich mir von der Inhaberin meines Zimmers gemacht, verließ mich auch nicht im Traume.

Es schien wirklich, als ob ich besessen sei. –

Erst gegen Morgen mußte ich eingeschlafen sein, denn mein Bursche Franz stand am Bette und weckte mich nicht ohne Anstrengung.

Wir sollten uns um dreiviertel acht mit der Kompagnie vereinigen und vorrücken, da das Bataillon zusammen Quartier beziehen sollte.

Als ich in den Salon eintrat, wo noch die Lampen brannten, und Franz seine Kunst, Kaffee zu kochen, wieder einmal trefflich bewährt hatte, trat mir mein Fähnrich frisch und lustig entgegen, während mir diese schwüle Fiebernacht noch in allen Gliedern steckte.

Während er sich an den Tisch setzte und den Zucker in seinen Mokka warf, sagte er plötzlich:

– Gott sei Dank, daß wir weiter kommen, in ein großes Nest. – Hoffentlich findet man da endlich einmal ein anständiges Weib ... – Das ist ja –

– Zum Teufel, Muck, lassen Sie mich mit Ihrer Brunstwut in Ruh! – schnauzte ich ihn an, daß er hastig vom Stuhle auffuhr und ein stramm dienstliches: Zu Befehl, Herr Leutnant! herausplatzte.

Dann mußte ich selbst lachen und wünschte ihm alles nur erdenkliche Glück, dem guten Kerl! ...

* * *

Woche um Woche war vergangen, daß wir vor Paris gelegen. Endlich hatte sich die Stadt ergeben; ich war mit meiner Kompagnie zur Besetzung eines Forts zurückgeblieben.

Eines Nachmittags ging ich mit einem Kameraden in einer Allee des Bois auf und ab, als wir einem alten Herrn begegneten, der sich auf den Arm einer etwa neunzehnjährigen jungen Dame stützte und langsam auf dem schneebedeckten Wege einen Fuß vor den andern setzte, während ein herrschaftlicher Wagen in einiger Entfernung folgte.

Die Sonne flimmerte durch die schneebedeckten Äste der Bäume, und es ging ein angenehmer Wind, ein Zeichen des herannahenden Frühlings.

Ich sah nach der jungen Dame hinüber, die so vorsorglich sich um den alten Herrn mühte. Sie war groß und schlank, mit einem Gesichte, wie man es in Frankreich selten findet, ruhige Züge von vollendeter Schönheit; nur daß eine gewisse Herbheit des Ausdrucks etwas störte. Das Haar war goldblond, überreich und in einer breiten Flechte um den Kopf gelegt.

– Der Marquis de Rivonne! flüsterte mein Begleiter, während er die Hand grüßend zur Mütze führte.

Der alte Herr blieb stehen und grüßte freundlich ernst wieder, während die junge schlanke Dame den Kopf kaum merklich neigte und eigentlich nur mit den Augen grüßte.

Mir war bei Nennung des Namens – ich hatte mich seinerzeit nach dem Besitzer der Villa, wo ich einquartiert gewesen, wohl erkundigt – und bei dem Anblick des jungen Mädchens das Blut in das Gesicht gestiegen ...

Ich hatte Mühe, um nicht zu verraten, wie sehr ich mich schämte. Denn mir standen aufs neue alle Scenen wieder vor Augen, die ich in jener Nacht erlebt hatte; und der Gedanke, was jenes Mädchen empfinden würde, wenn es eine Ahnung von dem allen haben könnte, trieb mir das Blut in die Wangen.

Unwillkürlich griff ich an die Brust, denn ich hatte die gefundenen Goldfäden, in Anwandlung einer seltsamen Laune, mir derzeit aufgehoben. –

Und während mir mein Kamerad erzählte, daß ihre Mutter eine Schwedin und sie mit einem jungen Offizier verlobt sei, der in unsere Gefangenschaft geraten war, sah ich mich noch einmal um, wie sie ihren Vater stützend dahinschritt mit hocherhobenem Haupte, stolz und makellos, ohne zu ahnen, welch einen Aufruhr der Empfindung sie unbewußt einmal in meinem Innern erregt hatte. –

Die Goldfäden ihres Haares habe ich in Erinnerung an jene seltsame schwüle Fiebernacht ausbewahrt, – sie selbst habe ich niemals wieder gesehn ...


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