Leo Tolstoi
P. Ssergij
Leo Tolstoi

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IV

In der Butterwoche des sechsten Jahres des Einsiedlerlebens Ssergijs, unternahm in der Nachbarstadt eine lustige Gesellschaft von reichen Männern und Frauen nach einem Abendessen mit BlinyRussische Fastnachtsspeise, eine Art Pfannkuchen. (Anm. d. Übers.) und Wein eine Troikafahrt. Die Gesellschaft bestand aus zwei Rechtsanwälten, einem reichen Gutsbesitzer, einem Offizier und vier Damen. Die eine war die Frau des Offiziers, die andere die des Gutsbesitzers, die dritte die unverheiratete Schwester des Gutsbesitzers und die vierte eine hübsche und reiche geschiedene Frau, die die ganze Stadt durch ihre tollen Streiche in Erstaunen und Aufruhr setzte.

Das Wetter war herrlich, der Weg wie Parkett.

Nachdem sie an die zehn Werst vor die Stadt gefahren waren, ließen sie den Schlitten halten und berieten sich, wohin sie nun fahren sollten: zurück oder weiter.

»Wohin führt denn diese Straße?« fragte die hübsche geschiedene Frau Makowkina.

»Nach Tambino sind von hier noch zwölf Werst,« sagte der Rechtsanwalt, der ihr den Hof machte.

»Und weiter?«

»Weiter nach L., am Kloster vorbei.«

»Wo P. Ssergij wohnt?«

»Ja.«

»Kassatskij? Der schöne Einsiedler?«

»Ja.«

»Meine Damen und Herren! Fahren wir zu Kassatskij. In Tambino wollen wir ausruhen und etwas essen.«

»Aber so kommen wir heute nacht nicht mehr heim.«

»Macht nichts, wir übernachten bei Kassatskij.«

»Es gibt dort allerdings eine sehr gute Klosterherberge. Ich bin dort gewesen, als ich den Machin verteidigte.«

»Nein, ich werde bei Kassatskij übernachten.«

»Na, das wird Ihnen trotz Ihrer Allmacht nicht gelingen.«

»Es wird mir nicht gelingen? Wetten wir!«

»Gemacht. Wenn Sie bei ihm übernachten, kriegen Sie von mir, was Sie wollen.«

»A discrétion.«

»Sie auch?«

»Gewiß. Fahren wir.«

Man gab den Kutschern Schnaps. Dann holte man den Korb mit Pasteten, Wein und Bonbons hervor, und die Damen hüllten sich in weiße Pelze aus Hundefell. Die Kutscher stritten, wer voraus fahren sollte; ein junger Bursche setzte sich seitwärts auf den Bock, schwang die lange Peitsche, schrie die Pferde an – und die Schellen begannen zu klingen und die Kufen zu knirschen.

Die Schlitten zitterten und schwankten leise, das Seitenpferd galoppierte lustig und gleichmäßig mit seinem kurz angebundenen Schweif über dem verzierten Kreuzriemen, die glatte Fastnachtsstraße enteilte schnell unter den Kufen, der Kutscher hantierte elegant mit den Zügeln, der Rechtsanwalt und der Offizier, die den Damen gegenüber saßen, logen etwas der Nachbarin der Frau Makowkina vor, sie selbst aber saß unbeweglich, fest in den Pelz gehüllt da und dachte sich: »Immer dasselbe, und alles gleich ekelhaft: die gleichen nach Wein und Tabak riechenden, rotglänzenden Gesichter, die gleichen Worte und Gedanken, und alles dreht sich um die gleiche Gemeinheit. Dabei sind sie alle zufrieden und überzeugt, daß es so sein müsse und daß sie so bis zu ihrem Tode leben können. Ich kann es nicht. Es ist mir langweilig. Ich brauche etwas, was dies alles umwürfe und zunichte machte. Wenn es wenigstens so käme, wie in Ssaratow, glaube ich, wo eine ganze Gesellschaft bei einer Schlittenpartie erfror. Was würden aber diese machen? Wie würden sie sich benehmen? Sicher auf die gemeinste Weise. Ein jeder würde nur an sich denken. Auch ich würde mich ebenso gemein benehmen. Aber ich bin wenigstens hübsch. Und sie wissen das. Nun, und der Mönch? Hat er denn dafür kein Verständnis mehr? Es kann nicht sein. Das verstehen sie alle. So war es auch im Herbst mit dem Kadetten. Was war er doch für ein Dummkopf.«

»Iwan Nikolajewitsch!« sagte sie.

»Was steht zu Diensten?«

»Wie alt ist er doch?«

»Wer?«

»Kassatskij.«

»Ich glaube, so über vierzig.«

»Empfängt er alle?«

»Ja, alle, aber nicht immer.«

»Decken Sie mir die Füße zu. Nicht so. Wie ungeschickt Sie sind! Nun, noch, noch, ja, so. Aber Sie brauchen mir dabei meine Füße nicht zu drücken.«

So fuhren sie bis zum Walde, in dem sich die Zelle befand.

Frau Makowkina stieg aus und bat die anderen, weiterzufahren. Sie rieten ihr ab, sie wurde aber böse und bestand auf ihrem Wunsch. Der Schlitten fuhr davon, sie schlug aber in ihrem weißen Hundepelz einen Fußpfad ein. Auch der Rechtsanwalt stieg aus und blieb, um zuzuschauen.


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