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[2]

Zwei Wochen später, noch vor dem Weihnachtsfest, waren wir in Petersburg.

Unsere Reise nach Petersburg, ein achttägiger Aufenthalt in Moskau, unsere beiderseitigen Verwandten, die Einrichtung der neuen Wohnung, die Fahrt, die neuen Stätten und Menschen – alles das ging wie ein Traum vorüber. Alles das war so mannigfaltig, so neu, so unterhaltend, und dabei von seiner Gegenwart und Liebe so hell und warm durchleuchtet, daß unser stilles Landleben mir als etwas längst Abgetanes, Nichtiges erschien. Zu meinem großen Erstaunen fand ich bei den Menschen, mit denen ich zusammenkam, durchaus nicht jenen weltmännischen Stolz und kalten Hochmut, den ich erwartet hatte, vielmehr traten mir alle, nicht nur die Verwandten, sondern auch Fernerstehende, mit so ungeheuchelter Freude und Liebenswürdigkeit entgegen, daß es schien, als hätten sie alle nur an mich gedacht, nur mich erwartet, damit ihnen selbst so recht wohl würde. Ebenso unerwartet war es für mich, daß, wie ich entdeckte, mein Mann in den Kreisen der Gesellschaft, selbst derjenigen, die mir die allererlesenste schien, sehr viele Bekannte besaß, von denen er niemals mit mir gesprochen hatte. Ich war nicht selten ein wenig peinlich berührt, wenn ich hörte, wie er über verschiedene dieser Leute, die mir so vortrefflich erschienen, ein recht strenges Urteil fällte. Ich konnte nicht begreifen, warum er so kühl mit ihnen verkehrte und so mancher Bekanntschaft, die mir für uns recht wertvoll schien, aus dem Wege zu gehen suchte. Ich war der Meinung, wir könnten nicht genug von diesen trefflichen Menschen kennen lernen, und nach meiner Ansicht waren sie alle ganz vortrefflich.

»Wie müssen zusehen, wie wir zurechtkommen,« hatte er vor unserer Abreise nach Petersburg gesagt. »Hier auf dem Lande sind wir kleine Krösusse, dort aber werden wir nicht gerade als reiche Leute auftreten können. Wir werden also nur bis Ostern in der Stadt bleiben können und uns von der Gesellschaft fernhalten müssen, sonst können wir leicht in Schwierigkeiten geraten; ich möchte es auch deinetwegen nicht ...«

»Was sollen wir in der Gesellschaft?« antwortete ich. »Wir wollen ins Theater gehen, die Verwandten besuchen, die Oper und sonstige gute Musik hören – und dann wollen wir, noch vor Ostern, aufs Land zurückkehren.«

Kaum aber waren wir in Petersburg angelangt, als auch alle diese braven Absichten schon vergessen waren. Ich fand mich plötzlich in eine so neue, glückliche Welt versetzt, so viele Freuden stürmten auf mich ein, so viele unbekannte, interessante Eindrücke drängten sich mir auf, daß ich im Handumdrehen, wenn auch unbewußt, meine ganze Vergangenheit und alle guten Vorsätze, die ich früher gehabt hatte, verleugnete. »Alles, was ich bisher erlebt habe, war eitel Spielerei, das wirkliche, echte Leben hatte für mich noch nicht begonnen – nun erst liegt es vor mir, dieses Leben!« dachte ich. Jene Unruhe, jene schwermütigen Anwandlungen, die ich auf dem Lande gehabt hatte, waren plötzlich wie durch Zaubermacht ganz und gar verschwunden. Die Liebe zu meinem Gatten war ruhiger geworden, und ich kam hier niemals dazu, darüber nachzugrübeln, ob seine Liebe zu mir nicht vielleicht im Abnehmen begriffen sei.

Wie hätte ich schließlich auch an dieser Liebe zweifeln sollen, da er doch jeden meiner Gedanken erriet, jedes meiner Gefühle teilte, jeden Wunsch erfüllte. Seine Ruhe war hier verschwunden, oder sie reizte mich doch nicht mehr zum Widerspruch. Überdies hatte ich das Gefühl, daß neben seiner früheren Liebe noch eine andere Empfindung bei ihm sich zu regen begann: der Stolz auf mich, das Wohlgefallen an meinen Erfolgen. Nicht selten, wenn wir einen Besuch abgestattet, eine neue Bekanntschaft gemacht oder eine Abendgesellschaft bei uns gehabt hatten, bei der ich in beständiger Angst vor irgendeiner Ungeschicklichkeit die Hausfrau gespielt hatte, sprach er nachträglich zu mir: »Sehr gut hast du deine Sache gemacht, meine Kleine, nur keine Angst! Wirklich ausgezeichnet!« Und ich war sehr erfreut über solches Lob. Bald nach unserer Ankunft in Petersburg hatte er an seine Mutter einen Brief geschrieben; er bat mich, auch meinerseits ein paar Zeilen hinzuzufügen, wollte jedoch nicht, daß ich läse, was er geschrieben hatte; ich bestand nun erst recht darauf, es zu lesen, und las: »Sie würden Mascha nicht wiedererkennen, liebe Mutter, wie auch ich selbst sie nicht wiedererkenne. Woher hat sie nur diese liebenswürdige, graziöse Sicherheit, diese gewandte Sprache, diesen Weltton und Schick? Und alles das erscheint an ihr so natürlich, so lieb, so gutherzig. Alle sind von ihr entzückt, und auch ich selbst kann sie nicht genug bewundern; und wenn's überhaupt möglich wäre, würde ich sie noch viel mehr lieben, als ich es ohnedies tue.«

»Ah, so also bin ich!« dachte ich im stillen. Und es war mir so freudig und wohl zumute, als ich dies las, und es schien mir sogar, als liebe ich ihn jetzt noch mehr als zuvor. Mein Erfolg in den Kreisen aller unserer Bekannten kam mir vollkommen unerwartet. Von allen Seiten hörte ich, daß ich dort ganz besonders dem Onkel gefallen habe, daß hier die Tante in mich ganz verliebt sei; der eine sagte mir, es gebe in ganz Petersburg keine zweite junge Frau, die so reizend wäre wie ich, und ein anderer behauptete, ich brauchte nur zu wollen, und ich würde die gesuchteste Dame der Gesellschaft sein. Die schmeichelhaftesten Dinge sagte mir namentlich eine Cousine meines Mannes, eine Fürstin T., die als ältere Dame in der Gesellschaft noch eine große Rolle spielte und mich ganz und gar in ihr Herz geschlossen hatte. Sie verdrehte mir völlig den Kopf und lud mich – – es war das erstemal, daß mir das widerfuhr – zur Teilnahme an einem Balle ein. Als sie meinen Mann um die Erlaubnis dazu anging, wandte er sich nach mir um und fragte mich mit einem kaum merklichen spöttischen Lächeln, ob ich denn hinfahren wolle. Ich nickte bejahend mit dem Kopfe und fühlte, daß ich dabei errötete.

»Wie eine Verbrecherin, die ihre Übeltat eingesteht!« sprach er gutmütig lachend.

»Du meintest allerdings, wir könnten keine Gesellschaften mitmachen, und du liebtest das überhaupt nicht,« versetzte ich lächelnd, während ich ihn bittend ansah.

»Wenn dir so viel daran liegt, gehen wir hin,« sagte er.

»Wir lassen es doch lieber ...«

»Liegt dir ... sehr viel daran?« fragte er noch einmal.

Ich gab keine Antwort.

»Die Gesellschaft an sich ist noch kein so großes Übel,« fuhr er fort – »aber die Wünsche, die sie rege macht, ohne sie befriedigen zu können – die sind vom Übel. Unbedingt müssen wir hinfahren – ja, wir müssen hin,« sagte er in entschiedenem Tone.

»Ich will dir die Wahrheit gestehen: nichts in der Welt würde mir so viel Freude machen, wie der Besuch dieses Balles,« sagte ich.

Wir fuhren hin, und das Vergnügen, das mir diese Festlichkeit bereitete, übertraf alle meine Erwartungen. Es schien mir, als sei ich auf dem Balle noch mehr als bisher der Mittelpunkt, um den sich alles drehte, als sei dieser große Saal nur um meinetwillen so hell erleuchtet, als spiele die Musik nur für mich, als seien alle diese Leute nur zusammengekommen, um über mich in Entzücken zu geraten. Vom Friseur und der Kammerzofe bis zu den Tänzern und den alten Herren, die den Saal durchwandelten, schienen alle mir sagen zu wollen, daß sie mich liebten. Das allgemeine Urteil, das sich auf diesem Balle über mich bildete, und das meine Cousine mir natürlich sogleich übermittelte, ging dahin, daß ich ganz anders sei als die andern Frauen, daß ich etwas ganz Besonderes, ländlich Frisches, Entzückendes an mir habe. Dieser Erfolg schmeichelte mir so sehr, daß ich meinem Manne offen sagte, es sei mein sehnlicher Wunsch, in diesem Jahre noch zwei oder drei Bälle mitzumachen, »um der Sache gründlich überdrüssig zu werden,« fügte ich – nicht ganz aufrichtig – hinzu.

Mein Mann ging gern darauf ein und machte die ersten Bälle mit sichtlichem Vergnügen mit; er freute sich über meine Erfolge und schien ganz vergessen zu haben, was er früher über diesen Punkt gesagt hatte, oder er schien doch jetzt ganz anderer Meinung zu sein.

Nach einiger Zeit jedoch begann er sich anscheinend zu langweilen und des Lebens, das wir führten, überdrüssig zu werden. Ich selbst war darüber anderer Ansicht; wenn ich bisweilen auch seinem ernst forschenden, fragend auf mich gerichteten Blicke begegnete, begriff ich doch dessen Bedeutung nicht. Ich war so berauscht von dieser Sympathie, die ich ganz plötzlich in so vielen mir sonst fremden Menschen erweckt zu haben meinte, von dieser Atmosphäre der Schönheit, der Freude, des Niegeahnten, die ich hier zum erstenmal einatmete, und ich fühlte mich plötzlich so frei von seinem erdrückenden moralischen Übergewicht, empfand es so angenehm, mich innerhalb dieser Sphäre mit ihm zu vergleichen und ihm überlegen zu fühlen, dafür jedoch ihn noch stärker, noch selbständiger zu lieben als früher, daß ich nicht begreifen konnte, was ihm eigentlich an meinem Verkehr in der Gesellschaft so mißfallen konnte. Ich hatte ein bisher nicht gekanntes Gefühl stolzen Selbstbewußtseins, wenn bei meinem Eintritt in den Ballsaal aller Augen sich mir zuwandten, während er, als sei es ihm peinlich, sich so vor aller Welt zu meinem Besitz zu bekennen, mich rasch allein ließ und in der Menge der schwarzen Fräcke verschwand.

»Wart',« dachte ich oft, während ich mit den Augen seine wenig auffallende, gelangweilt aussehende Gestalt am andern Saalende suchte – »wart', wenn wir erst zu Hause sind, dann wirst du schon verstehen und sehen, für wen ich mich schmücke, für wen ich zu glänzen suche, und was allein ich von alledem liebe, das mich am heutigen Tage umgibt.«

Ich selbst war vollkommen überzeugt davon, daß meine Erfolge mir nur darum so viele Freude machten, weil ich sie ihm zu Füßen legen konnte. Nur eine Gefahr konnte mir in diesem Leben in der Gesellschaft erwachsen, dachte ich – daß ich mich in einen der Männer, denen ich dort begegnete, verliebte und die Eifersucht meines Gatten weckte; doch er vertraute mir so sehr, er schien mir so ruhig und gleichmütig, und alle diese jungen Leute kamen mir im Vergleich mit ihm so unbedeutend vor, daß diese, wie ich meinte, einzige Gefahr, die mir drohte, mich nicht weiter erschreckte. Die Aufmerksamkeit so vieler Leute machte mir Vergnügen, schmeichelte meiner Eitelkeit, ließ mich in meiner Liebe zu meinem Manne etwas besonders Verdienstvolles sehen und bewirkte, daß ich im Verkehr mit ihm selbstbewußter wurde, ja sogar mich ein wenig gehen ließ.

»Ich habe wohl bemerkt, wie lebhaft du dich heute mit der N. N. unterhalten hast,« sagte ich eines Tages, als wir vom Ball nach Hause zurückkehrten, zu ihm und drohte ihm mit dem Finger. Ich hatte eine der bekanntesten Damen der Stadt genannt, mit der er sich in der Tat an diesem Abend unterhalten hatte. Ich sagte ihm das, um ihn aufzumuntern – er war an diesem Abend ganz besonders schweigsam und trüb gestimmt.

»O, sprich nicht so, Mascha! Wie kannst du nur so reden?« sagte er, den Mund schmerzlich verziehend und die Stirn runzelnd, als wenn er einen körperlichen Schmerz empfände. »Wie schlecht dir das zu Gesicht steht! Überlaß doch solche Worte den andern: diese Unaufrichtigkeiten könnten unser Verhältnis leicht übel beeinflussen – das, wie ich hoffe, bald wieder ganz klar und gut sein wird ...«

Ich schämte mich und schwieg.

»Was meinst du, Mascha – wird es bald wieder gut sein?« fragte er.

»Es ist noch niemals anders als gut gewesen und wird auch nie anders werden,« sagte ich, und ich glaubte wirklich, aufrichtig zu sprechen.

»Gott möge es so fügen,« sagte er – »sonst wäre es vielleicht besser, daß wir nach Hause zurückkehren.«

Es war das einzigemal, daß er so mit mir sprach, während all der übrigen Zeit meinte ich, es sei ihm ebenso wohl ums Herz wie mir selbst, deren Seele von Freude und Lust erfüllt war. Wenn er sich jetzt ein klein wenig langweilt – tröstete ich mich – so habe auch ich mich dafür auf dem Dorfe um seinetwillen gelangweilt; und wenn unsere Beziehungen sich in etwas gewandelt haben sollten, so wird sich das alles von selbst wieder ausgleichen, sobald wir im Sommer erst wieder mit Tatjana Semjonowna zusammen in unserem Hause auf Nikolskoje sind.

So ging der Winter vorüber, ehe ich's merkte, und ganz gegen unsere ursprüngliche Absicht brachten wir auch die Osterzeit in Petersburg zu. Am Sonntag nach Ostern machten wir uns zur Abreise fertig, unser Gepäck stand schon bereit, und mein Mann, der bereits die Reiseandenken und verschiedene Einrichtungsgegenstände für unser Haus auf dem Lande gekauft hatte, war in besonders zärtlicher und froher Stimmung. Da erschien plötzlich seine Cousine bei uns und bat uns, doch noch bis zum Sonnabend zu bleiben und einen Rout, der an diesem Tage bei der Gräfin R. stattfinde, zu besuchen. Sie sagte, die Gräfin lege ein ganz besonderes Gewicht auf mein Erscheinen, und der gerade in Petersburg weilende Prinz M., den ich auf dem letzten Balle kennen gelernt hatte, komme eigens zu dem Rout, um mich noch einmal zu sehen: er habe mich für die schönste Frau in ganz Rußland erklärt. Die ganze Stadt werde da sein, und es würde von mir sehr unrecht sein, wenn ich nicht auch hinkäme.

Mein Mann sprach mit irgend jemandem am andern Ende des Zimmers.

»Nun, Mary, werden Sie kommen?« fragte die Cousine.

»Wir wollten übermorgen aufs Land fahren,« versetzte ich unentschlossen und sah meinen Mann an. Unsere Blicke kreuzten sich, und er wandte sich hastig ab.

»Ich will ihm zureden, daß er noch dableibt,« sagte die Cousine. »Wir wollen dann am Sonnabend zu R. fahren und den Männern die Köpfe verdrehen – wie?«

»Das würde unsere Pläne stören, wir haben schon unsere Sachen gepackt,« antwortete ich, im stillen schon nachgebend.

»Am besten macht sie dem Prinzen wohl gleich heute abend ihre Aufwartung,« bemerkte mein Mann in einem Tone, aus dem die verhaltene Erregung hervorklang, vom andern Ende des Zimmers her. Noch niemals hatte ich ihn in diesem Tone sprechen hören.

»Ach, er ist eifersüchtig, das bemerk' ich zum ersten Male!« sagte die Cousine lachend. »Aber es geschieht doch nicht des Prinzen wegen, Sergjej Michajlowitsch, sondern um unser aller willen, daß ich ihr so zurede. Die Gräfin R. läßt Sie herzlichst darum bitten.«

»Es hängt ganz von ihr ab, ob sie hingehen will oder nicht,« sagte mein Mann kalt und ging aus dem Zimmer.

Ich sah, daß er erregter war als sonst; das war mir peinlich, und ich gab der Cousine kein bestimmtes Versprechen. Kaum hatte sie uns verlassen, als ich sogleich meinen Mann aufsuchte. Er ging, tief in Gedanken versunken, auf und ab und sah und hörte nichts, als ich auf den Zehenspitzen ins Zimmer geschlichen kam.

»Er träumt schon von seinem lieben Hause in Nikolskoje,« dachte ich, während ich ihn ansah – »vom Morgenkaffee in dem hellen Frühstückszimmer, von seinen Feldern und Bauern, von den Abenden im Divanzimmer und den geheimnisvollen nächtlichen Imbissen ... Nein,« entschied ich bei mir selbst – »alle Bälle der Welt und die Komplimente aller Prinzen gebe ich hin für seine freudige Verwirrung, seine stillen Liebkosungen.« Ich wollte ihm sagen, daß ich die Gesellschaft nicht besuchen würde und überhaupt keine Lust hätte, noch irgend etwas mitzumachen, als er sich plötzlich umwandte und mich erblickte. Der zärtlich-nachdenkliche Ausdruck seines Gesichtes verschwand, und er runzelte die Stirn. Wiederum erschien darauf jene überlegene, forschende Miene, mit einem Ausdruck gönnerhafter Ruhe gepaart. Er wollte nicht, daß ich in ihm den schlichten, natürlichen Menschen sähe; es war ihm ein Bedürfnis, stets vor mir auf einem Piedestal als ein Halbgott zu stehen.

»Was gibt's, meine Liebe?« fragte er, sich gleichgültig und ruhig nach mir umwendend.

Ich antwortete nicht. Ich ärgerte mich, daß er sich vor mir verstellte und sich mir nicht so zeigen wollte, wie ich ihn liebte.

»Willst du am Sonnabend die Gesellschaft besuchen?« fragte er.

»Ja,« antwortete ich, »aber du siehst es ja nicht gern. Und dann haben wir ja auch schon gepackt,« fügte ich hinzu.

Noch niemals hatte er mich so kalt angesehen, noch nie so kalt mit mir gesprochen.

»Ich reise vor Dienstag nicht ab und lasse alles wieder auspacken,« versetzte er – »du kannst also hingehen, wenn du willst. Tu mir den Gefallen und geh hin. Ich werde nicht abreisen.«

Wie immer, wenn er erregt war, ging er mit ungleichen Schritten im Zimmer auf und ab und sah mich nicht an.

»Ich begreife dich wirklich nicht,« sprach ich, während ich stehen blieb und ihm mit den Augen folgte – »du sagst, du seist immer so ruhig« – er hatte das in Wahrheit nie gesagt – »warum sprichst du nun in so sonderbarem Tone mit mir? Ich bin bereit, deinetwegen auf dieses Vergnügen zu verzichten, und du verlangst auf eine so ironische Art, wie du noch nie mit mir gesprochen hast, daß ich hinfahren soll!«

»Ach so – du verzichtest also!« sagte er, das letzte Wort ganz besonders betonend. »Nun denn – auch ich verzichte darauf, meine Wünsche durchzusetzen. Was will man noch mehr? Ein Wettkampf der Großmut! Was fehlt uns nun noch zum rechten häuslichen Glück?«

Es war das erstemal, daß ich so boshaft höhnische Worte von ihm hörte. Doch sein Hohn rief nicht das Gefühl der Beschämung, sondern das der Gekränktheit in mir hervor, und die Bosheit seiner Worte erschreckte mich nicht, sondern weckte vielmehr in mir gleichfalls ein böses Empfinden. War er es denn wirklich, der so zu mir sprach – er, der stets alle Phrasen in unserem Verkehr so sorgfältig vermieden hatte, stets so einfach und aufrichtig gewesen war? Und warum das alles? Einzig darum, weil ich wirklich in aller Aufrichtigkeit ihm ein Vergnügen geopfert hatte, in dem ich nichts Böses sehen konnte, weil ich eben noch so redlich bemüht gewesen war, ihn liebevoll zu verstehen und ihm gerecht zu werden? Unsere Rollen waren also jetzt vertauscht: er bemühte sich, einer einfachen, ehrlichen Erklärung aus dem Wege zu gehen, während ich es gerade auf eine solche abgesehen hatte.

»Du hast dich sehr verändert,« sagte ich mit einem Seufzer. »Was habe ich mir denn gegen dich zuschulden kommen lassen? Es ist nicht diese Gesellschaft, deretwegen du mir böse bist, sondern irgend etwas anderes, das du schon lange gegen mich auf dem Herzen hast. Warum diese Unaufrichtigkeit? War sie dir nicht früher ganz besonders verhaßt? Sag's doch ganz offen, was du gegen mich hast!«

»Was wird er nur antworten?« dachte ich – ich konnte mir getrost das Zeugnis ausstellen, daß ich mir während dieses ganzen Winters in keiner Weise etwas vergeben hatte.

Ich war mitten in das Zimmer getreten, so daß er ganz dicht an mir vorübergehen mußte, und sah ihn an. Er wird auf mich zukommen, dachte ich, wird mich in seine Arme schließen, und alles wird wieder gut sein – fast bedauerte ich schon, daß ich keine Gelegenheit haben würde, ihm zu beweisen, wie sehr er im Unrecht sei.

Aber er blieb ganz am Ende des Zimmers stehen und sah mich an.

»Du begreifst noch immer nicht?« sagte er.

»Nein.«

»Nun, dann will ich es dir sagen. Es widert mich an ... ja, zum erstenmal widert es mich an, was ich empfinde, und was ich unbedingt empfinden muß ...«

Er hielt, offenbar über den rauhen Klang seiner Worte erschrocken, in seiner Rede inne.

»Was denn?« fragte ich, und die Tränen traten mir vor Erregung in die Augen.

»Es widert mich an, daß dieser Prinz dich hübsch findet, und daß du ihm deshalb, deinen Gatten, dich selbst und deine Frauenwürde vergessend, nachlaufen willst; es widert mich an, daß du nicht begreifst, was dein Gatte empfinden muß, wenn er sieht, daß dir das Gefühl für deine eigene Würde so ganz und gar mangelt; es widert mich an, daß du deinem Gatten sagen kannst, du verzichtest auf diese Ehre, dieses große Glück, dich Seiner Hoheit zu zeigen – ein geradezu maßloses Glück, aber du verzichtest eben ...«

Je länger er sprach, desto mehr erhitzte er sich am Klange seiner eigenen Stimme, der geradezu hart, verletzend und grausam wurde. Ich hatte ihn niemals so gesehen, noch es überhaupt für möglich gehalten, daß er so sein könnte; alles Blut drang mir zum Herzen, und ich fürchtete mich vor ihm, zugleich aber ergriff mich ein Gefühl unverdienter Beschämung und verletzter Eigenliebe, und ich bekam Lust, mich an ihm zu rächen.

»Ich habe das längst erwartet,« sagte ich, »immer sprich nur, sprich!«

»Ich weiß nicht, was du erwartet hast,« fuhr er fort. »Ich habe jedenfalls das Schlimmste erwartet, als ich dich Tag für Tag in dem Schmutz, der Trägheit, dem Luxus dieser törichten Gesellschaft sah, und nun ist's eingetroffen ... Ja, es ist wirklich eingetroffen, was mich mit Schmerz und Scham erfüllt, wie ich sie noch nie empfunden – daß diese deine Freundin mir mit ihren unsauberen Händen ans Herz greifen und von Eifersucht sprechen kann, von meiner Eifersucht – gegen wen? Gegen einen Menschen, den du so wenig kennst, wie ich ihn kenne! Und du – du tust dir noch etwas darauf zugute, daß du mich nicht verstehen magst, du sprichst von verzichten, von Opfern, die du bringst – ja was opferst du denn eigentlich? ... Scham erfüllt mich, Scham über deine Erniedrigung! ... Ein Opfer!« wiederholte er.

»Das ist also die Macht des Mannes!« dachte ich. »Die Frau beleidigen und erniedrigen, wenn sie noch so unschuldig ist – darin bestehen die Rechte des Mannes! Doch ich werde mich nicht fügen, niemals ...«

»Nein, ich werde dir keine Opfer bringen,« sagte ich, während ich deutlich fühlte, wie sich meine Nüstern weiteten und das Blut aus meinem Gesichte wich. »Ich werde am Sonnabend die Gesellschaft besuchen, ganz bestimmt besuche ich sie!«

»Gott gebe dir deinen Segen dazu – zwischen uns aber ist alles aus!« rief er in einem Ausbruche jäher Wut. »Du sollst mich nicht länger quälen. Ich war ein Narr, daß ich ...« begann er von neuem, doch seine Lippen erbebten, und er tat sich sichtlich Zwang an, um den begonnenen Satz nicht zu beenden.

Ich fürchtete und haßte ihn in diesem Augenblick. Ich wollte ihm so vieles sagen und mich rächen wegen all der Beleidigungen, die er mir angetan hatte – aber ich wäre in Tränen ausgebrochen und hätte meiner Ehre etwas vergeben, wenn ich jetzt nur den Mund aufgetan hätte. Schweigend verließ ich das Zimmer – kaum aber vernahm ich seine Schritte nicht mehr, als ich plötzlich von jähem Schreck über das, was wir getan hatten, erfüllt ward. Eine wahre Angst ergriff mich, daß das Band, das mein ganzes Glück ausgemacht, wirklich für immer zerrissen sein sollte, und ich wollte wieder umkehren.

»Aber wird er auch schon ruhig genug geworden sein,« dachte ich, »um mich zu verstehen, wenn ich ihm schweigend die Hand reiche und ihn anblicke? Wird er meine Großmut begreifen? Und wenn er meinen Schmerz als Heuchelei bezeichnet? Oder wenn er im stolzen Bewußtsein seines Rechts mit hochmütig ruhiger Miene das Geständnis meiner Schuld und Reue entgegennimmt und mir gnädig verzeiht? ... Ach, warum, warum hat er, den ich so sehr liebte, mich so grausam beleidigt!«

Ich ging nicht zu ihm, sondern begab mich in mein Zimmer, wo ich lange allein saß und weinte. Ich rief mir jedes Wort unseres Gesprächs ins Gedächtnis zurück, ich ersetzte die einzelnen Worte durch andere, fügte neue, gütige Worte hinzu und gedachte mit einem Gefühl des Schreckens und der Kränkung alles dessen, was vorgefallen. Als ich am Abend zum Tee kam und in Gegenwart eines Bekannten, der gerade zum Besuch da war, mit meinem Manne zusammentraf, da fühlte ich deutlich, daß vom heutigen Tage an ein jäher Abgrund zwischen uns gähnte. Der Gast fragte mich, wann wir abzureisen gedächten, ich fand jedoch keine Zeit, ihm zu antworten, denn mein Mann sagte rasch:

»Am Dienstag ... wir wollen noch die Gesellschaft bei der Gräfin R. besuchen. Du fährst doch hin?« wandte er sich an mich.

Ich erschrak über den seltsamen Ton seiner Stimme und blickte schüchtern nach ihm hin. Seine Augen waren gerade auf mich gerichtet, Bosheit und Spott lagen in seinem Blick, und seine Stimme klang, bei aller Natürlichkeit, kalt und gemessen.

»Ja,« versetzte ich auf seine Frage.

Als wir am Abend allein waren, trat er auf mich zu und reichte mir die Hand.

»Vergiß, bitte, was ich zu dir gesagt habe,« sprach er.

Ich nahm seine Hand, ein zitterndes Lächeln glitt über mein Gesicht, und ich wollte in Tränen ausbrechen, aber er zog seine Hand zurück und setzte sich, als fürchte er sich vor einer rührseligen Szene, ziemlich weit von mir auf einen Sessel.

»Glaubt er wirklich noch immer im Recht zu sein?« dachte ich, und alles das, was ich ihm sagen wollte, alle guten Worte, und auch die Bitte, mir doch den Besuch der Gesellschaft zu erlassen, blieben unausgesprochen.

»Wir müssen die Mutter davon benachrichtigen, daß wir unsere Abreise verschoben haben,« sagte er, »sonst beunruhigt sie sich.«

»Wann gedenkst du denn abzureisen?« fragte ich.

»Am Dienstag nach der Gesellschaft,« antwortete er.

»Hoffentlich bleibst du nicht meinetwegen länger hier?« sagte ich und sah ihm in die Augen; aber diese Augen waren wie durch einen Schleier vor mir verhüllt, ich konnte nichts in ihnen lesen. Sein Gesicht erschien mir plötzlich alt und unangenehm.

Wir besuchten die Gesellschaft, und äußerlich schienen unsere Beziehungen wieder ganz freundschaftlich und herzlich geworden zu sein, in Wirklichkeit jedoch waren sie von ganz anderer Art als früher.

Am Abend, bei der Gräfin R., saß ich eben inmitten der Damen, als der Prinz sich mir näherte, und zwar von der Seite her, so daß ich aufstehen mußte, um mit ihm zu sprechen. Während ich mich erhob, suchten meine Augen unwillkürlich meinen Mann, und ich sah, wie er vom andern Ende des Saales zu mir herblickte und sich abwandte. Ein Gefühl der Scham und des Schmerzes ergriff mich, ich geriet in eine peinliche Verwirrung und errötete jäh unter dem Blicke des Prinzen. Ich mußte jedoch stehen bleiben und anhören, was er zu mir sprach, während er mich von oben herab betrachtete. Unser Gespräch währte nicht lange – er konnte nicht neben mir Platz nehmen, und er hatte jedenfalls das Gefühl, daß die Unterhaltung mir sehr peinlich sei. Sie drehte sich um den letzten Ball, um meine Pläne für den nächsten Sommer usw. Als er mich verließ, sprach er den Wunsch aus, auch die Bekanntschaft meines Gatten zu machen, und ich sah, wie sie dann am andern Ende des Saales einander begegneten und sich unterhielten. Der Prinz muß wohl auch meine Person in die Unterhaltung hineingezogen haben, denn ich bemerkte, wie er mitten in der Unterhaltung sich lächelnd nach der Seite, wo ich mich befand, umwandte. Mein Mann fuhr plötzlich heftig auf, verneigte sich tief und ließ den Prinzen stehen. Ich errötete unwillkürlich – mit einem Gefühl der Beschämung suchte ich mir klarzumachen, welchen Eindruck der Prinz wohl von mir und meinem Gatten erhalten haben mochte. Ich war überzeugt, daß alle Anwesenden bemerkt haben mußten, wie verlegen ich während des Gespräches mit dem Prinzen gewesen war, und wie sonderbar mein Mann sich benommen. Gott weiß, wie sie das alles deuten mochten: ob sie vielleicht gar ahnten, was zwischen mir und meinem Manne vorgefallen?

Die Cousine brachte mich nach Hause, und unterwegs sprachen wir von meinem Manne. Ich konnte nicht an mich halten und erzählte ihr alles, was aus Anlaß dieser unglücklichen Abendgesellschaft zwischen mir und ihm vorgefallen war. Sie suchte mich zu beruhigen, meinte, das seien alles nur nichtssagende, kleine Zwistigkeiten, die überall vorkommen können und spurlos vorübergehen; sie sagte mir ihre Meinung über den Charakter meines Mannes, den sie als sehr verschlossen und stolz bezeichnete. Ich pflichtete ihr bei, und es schien mir, als ob ich selbst ihn mit einem Mal ruhiger und besser zu beurteilen anfinge.

Als ich jedoch dann später wieder mit meinem Gatten allein war, lag dieses Urteil mir wie ein Verbrechen auf der Seele, und ich hatte das Gefühl, als wäre die Kluft, die mich von ihm trennte, noch größer geworden.


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