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Eine Verlobungsfeier.

Makellos
Gleichwie beim Mann die Ehre, muß die Liebe
Beim Weibe sein. Ein Flecken und der Himmel
Verleugnet diese seine schönste Tochter.
» Die Töchter der Sterne,« IV. Scene.


In dem Hinterhause eines ansehnlichen Gebäudes in der Steinstraße befand sich das Comptoir des Herrn Adolph Welden. Er galt für den reichsten Kaufmann in der Stadt, zugleich aber auch für den geizigsten. Es ist ein Lieblingsgedanke der Leute, Geld und Geiz auf's engste zu verbinden; Reichthum wird immer geschmäht und beneidet, selten verziehen und gegönnt. Selbst wenn sich der Reiche in Wohlthaten erschöpft, vermag er dem bösen Leumund selten Genüge zu thun.

Es war Abends gegen neun Uhr, die Zeit wo gewöhnlich das Comptoir geschlossen wurde. Von den drei Commis des Herrn Welden hatten sich bereits zwei entfernt, und der dritte schrieb mit behaglicher Zufriedenheit den letzten Satz eines Handlungsbriefes nach Valparaiso. Er blickte zuweilen horchend nach einer kleinen schmalen Wendeltreppe, die in ein höher gelegenes Gemach führte, wo Herr Welden arbeitete.

Dieses Zimmer war sehr beschränkt und von vernachlässigter Einrichtung. Die Wandtapeten waren verschossen und von Tabaksrauch geschwärzt, der Teppich des Fußbodens an vielen Stellen durchlöchert und von zweifelhafter Farbe. Das Mobiliar bestand aus dem Nothdürftigsten, einigen Stühlen, einem Sopha, einem Schreibpult für zwei Personen, einer eisernen Geldkasse und einem Bücher- und Briefschrank, der eine ganze Wandseite einnahm. Die nüchterne Einfachheit der ganzen Einrichtung und auch eine gewisse Unsauberkeit legten das schärfste Zeugniß dafür ab, daß der Inhaber auf den Comfort keinen Werth legte.

Und doch verrieth etwas in dem Zimmer wenigstens eine Laune, wie sie reichen Leuten eigen ist. Das war an dem einzigen Fenster ein großer goldener Käfig, der sonderbarer Weise einem gezähmten Falken und einem Stieglitz zur gemeinsamen Wohnung diente.

An dem Pulte, den eine tragbare Gaslampe beleuchtet, sitzt Herr Welden in Rechnungsbücher vertieft. Seine Figur ist klein, unansehnlich, von auffallender Hagerkeit. Die Züge des Gesichts sind ernst, scharf, streng, um die Mundwinkel spielt hie und da ein flüchtiges Lächeln. Ist es wohlwollend oder sarkastisch? Man weiß es nicht. Die stark gefurchte Stirn, zwei tiefe Falten an der Nasenwurzel, die farblosen eingefallenen Wangen bilden einen undurchdringlichen Schleier. Das Haar ist durch die Zeit bedeutend gelichtet, es fällt spärlich in einzelnen weißen Streifen über den Hinterkopf und die eingedrückten Schläfe. Das Auge aber, obwol von unbestimmter Farbe, blitzt noch in einem Feuer, das bei einem so alten Manne in Erstaunen setzen muß. Seine Kleidung ist, im Widerspruch mit der nächsten Umgebung und seiner Persönlichkeit, sehr sauber, fast elegant, wenigstens von ausgesuchter Sorgfalt.

Die Einsicht in die Rechnungen mußte eine zufriedenstellende sein, denn Herr Welden schloß die Bücher mit dem Ausruf: »Es ist gut!« – Hierauf blickte er nachdenklich auf den leeren Platz ihm gegenüber, stand auf und machte einige Gänge durch das Zimmer. Seine Haltung war gebückt, sein Gang unsicher und schwankend. Ein ungewöhnlich starkes Geräusch, das vom Fenster kam, lenkte seine Aufmerksamkeit dahin.

Die beiden zahmen Bewohner des Vogelkäfigs, die so lange Zeit in der friedlichsten Eintracht zusammengelebt hatten, standen plötzlich im ernstlichsten Kampf. Auf der höchsten Stange saß der Falke mit ausgebreiteten Flügeln, die er heftig auf und niederschlug. Den Hals hielt er eingezogen, die Augen glühten verderbensprühend, sie suchten den kleinen schwachen Gefährten, der ängstlich hin und her flatterte. Jetzt, mit einem Ruck dehnt der Falke den Hals, sein Schnabel hackt in den Leib des kleinen Stieglitz, dieser zuckt zusammen, blutet, verendet. Sein letzter Blick fiel auf den Kaufmann, der müssig, ja gleichgültig dem ungewohnten Schauspiele zusah; so sehr war er innerlich und mit ganz Fernliegendem beschäftigt.

Von einem Gedanken ergriffen, ging er jetzt die Treppe hinab in das untere Gemach. Er trat so geräuschlos auf, daß er von dem noch immer beschäftigten Commis nicht eher bemerkt wurde, als bis er ihm gegenüber saß. Ohne dem sichtlich Erschrockenen Zeit zur Erholung zu lassen, fragte er:

»Wissen Sie nicht, Holger, wo mein Sohn ist?« –

Der Commis wurde verlegen; erst nach einer Pause antwortete er zögernd:

»Ich glaube im Theater.«

»Hm, im Theater!« wiederholte der Kaufmann mit einem fatalen Lächeln, indem er eine Feder ergriff und auf ein Blatt Papier Figuren malte.

Eine Pause trat ein. – Er hörte auf zu zeichnen und überreichte, sich mit verschränkten Armen im Sessel zurücklehnend, das Blatt dem Commis. Dieser betrachtete es mit nicht geringer Verwunderung. In den schülerhaftesten Zügen, aber doch erkennbar, stellte die Zeichnung eine allegorische Gruppe vor. Eine weibliche Gestalt, deren Haupt ein überreicher Lorbeerkranz zierte, streckte mit flacher Hand beide Arme aus. Vor ihr kniete, neben sich gewichtige Geldsäcke aufhäufend, ein Mann, dem Gott Mercurius zornig den Rücken wandte.

»Was halten Sie von diesem Rebus?« fragte Welden, den Blick durchdringend auf Holger gerichtet.

»Ich kann ihn nicht lösen.«

»Nicht? ... Nun ich bemerke, ich habe nicht allein einen tüchtigen Commis, sondern mein Sohn hat auch einen wahren Freund an Ihnen. Ich weiß das zu schätzen. Aber, Holger, Sie sollten minder schweigsam sein, es handelt sich hier um mein einziges Kind.«

Die Stimme des Kaufmanns zitterte, man wußte nicht ob vor Altersschwäche oder aus Gemüthsbewegung.

»Ich weiß Ihnen wirklich nichts zu sagen, Herr Welden!«

Der alte Welden ergriff das Papier wieder, lehnte sich über das Pult und erklärte, mit dem Finger die Figuren bezeichnend, folgendermaßen den Rebus:

»Das ist mein Sohn, der Mann der vor dem Frauenzimmer kniet. Die Aehnlichkeit ist nicht groß, aber sie sitzt hier in meinem Herzen. Das Geld, das er vor sich liegen hat, ist das meinige. Sie wissen, Holger, an jedem Beutel klebt der Schweiß eines Arbeitsjahres. Mercur, der Gott des Handels, wendet ihm zornig den Rücken. Vielleicht kehrt er als Diebesgott zurück! So weit, Holger, will ich Ihren Gedanken entgegenkommen. Nun aber sollen Sie mir erklären, wer hier das Frauenzimmer ist!« –

Er schwieg und zog die zitternde Hand von dem Papiere zurück.

Holger rückte verlegen auf seinem Sessel hin und her. Er konnte antworten, wußte jedoch nicht wie er es anfangen sollte. Ein wiederholter Zuruf seines Prinzipals löste ihm endlich die Zunge.

»Nun denn, Herr Welden, die weibliche Figur wird wahrscheinlich Fräulein Lauen sein.«

»Wer ist diese Person?« –

Der Kaufmann wußte es recht gut; die Frage geschah nur, um den Commis irre zu leiten, ihn gesprächiger zu machen.

»Die erste Liebhaberin am hiesigen Stadttheater.«

»Ganz recht, Holger. Die Kunst geht nach Brot. Wir haben nun glücklich die Lösung meines Rebus gefunden.«

Er zerriß das Blatt und verbrannte es langsam Stück für Stück.

»Sie thun Fräulein Lauen Unrecht, Herr Welden,« wagte Holger einzuwenden; »ihr Ruf ist fleckenlos, und Ihr Sohn hat gewiß nicht nöthig, seine Besuche zu bezahlen.«

»Man sagt das Gegentheil an der Börse, und das ist ein schlimmes Zeichen. – Ich besuche nie das Theater. Ist sie schön, Holger?«

»Sie ist es.«

»Schön!« –

Der Kaufmann murmelte vor sich hin, schlug die Beine übereinander und schloß die Augen. In dieser Stellung blieb er einige Minuten.

Die Verlegenheit Holger's steigerte sich. Er wußte, daß er jetzt noch nicht fortgehen dürfe, so gern er es gethan hätte; in solcher Weise pflegte sein Prinzipal stets etwas Wichtiges zu überlegen. Die Minuten wurden für Holger zu eben so vielen Stunden. Es überschlich ihn ein leises Grauen, das in Angst überging, je länger er die Gesichtszüge des Kaufmanns betrachtete. An sich abschreckend, bekamen sie durch den darauffallenden trüben Lichtschimmer einen Ausdruck von so finsterer Furchtbarkeit, daß er selbst Entsetzen einflößen konnte. Die ringsum herrschende Stille erhöhte den peinlichen Eindruck. Zitternd und von der Situation beklommen, verwechselte Holger die Adressen und schickte die nach Valparaiso bestimmten Briefe nach China, die nach Calcutta bestimmten nach seiner Vaterstadt. Ein Irrthum, der sich erst später, nach Monaten aufklärte.

Endlich öffnete Welden wieder die Augen und schlug die Beine auseinander

»Was ist die Uhr?« fragte er leise, ohne sich zu erinnern, daß er selbst eine in der Tasche führte.

»Neun vorüber.«

»Wann ist das Theater aus?«

»Gewöhnlich um diese Zeit.«

»Was thut mein Sohn nachher? Bringt er noch einige Stunden bei Fräulein Lauen zu?«

»Nein, Herr Welden. Sie hat es ihm abgeschlagen.«

»Abgeschlagen? –Holger! Ist das auch wahr?« –

Sein Blick drang bis in das Herz des Gefragten.

»Ich weiß es bestimmt, Herr Welden.«

»Ist es schwer, bei der ersten Liebhaberin Zutritt zu erhalten?« –

Die Frage geschah so spöttisch, daß sie den Unbefangensten empfindlich berühren mußte, um wie viel mehr den Commis, der sich zu den eifrigsten Verehrern der Künstlerin zählte. Gern hätte er seiner Aufwallung Worte gegeben; er bezwang sich aber und erwiderte kurz:

»Ich weiß es nicht; nur so viel, daß Clara Lauen ihre Mutter bei sich hat.«

»Hm, hm! Holger, Sie glauben, ich hänge an Vorurtheilen. Nein, ich bin nur ein Freund der Vorsicht. Ich brauche Ihnen wol nicht zu versichern, daß ich einige Erfahrungen gemacht habe und daß ich nicht ohne Schaden, aber auch mit Nutzen alt geworden bin. Bin ich recht unterrichtet, so ist nächstens mein siebzigster Geburtstag. Ich habe eine lange Vergangenheit hinter mir. Sie war mit wenigen Unterbrechungen eine durchweg trübe. Ich mußte ringen und arbeiten. Die Zukunft hat aber das größere Recht auf den Menschen, ein Blick rückwärts ist ein Hemmschuh für die Gegenwart und für jene. Wir gewinnen nichts, wenn wir uns der Erinnerung zu sehr überlassen. Verlorne Zeiten sind unwiderruflich dahin, und das Brüten über entschwundene Träume macht uns für das Nächste untauglich, betrügt uns nicht allein um die Zeit, sondern auch um den klaren Blick für das, was geschehen soll. – Nach dieser Ansicht handle ich stets für die Zukunft. Wird diese, kann diese eine beruhigende sein, wenn ich Eduard, meinen Sohn, für leichtsinnig, für einen Fant erklären muß, der sich durch ein schönes Gesicht, durch äußern Schimmer bestechen läßt? Es ist für seine Erziehung Alles geschehen, für seine Ausbildung nichts verabsäumt worden. Ich liebe ihn aus vollem Herzen, in ihm beruhen alle meine Hoffnungen. Er sollte eben so fest an mir halten, wie ich an ihm, denn wir sind allein in der Welt, seine Mutter ruht längst unter der Erde und fordert nicht mehr ihren großen Antheil von Liebe. Statt dessen vernachlässigt er mich, das Haus, unser Geschäft. Er hat kein Vertrauen zu mir, vergeudet Zeit und Geld, und versetzt mich in ewigen Kummer. Sein Gesundheitszustand ist nicht der beste, denn eine starke Leidenschaft zehrt an Mark und Seele.«

Holger war erstaunt. Noch nie hatte sich sein Prinzipal so offen gegen ihn ausgesprochen. Er mußte sich heimlich gestehen, daß die Vorwürfe in Betreff Eduards nicht grundlos waren. Das Geschäft litt sichtlich durch seine Nachlässigkeit. Zu dieser Erkenntniß trat noch das Mitleiden mit dem Vater, der mit Anstrengung, öfter unterbrochen durch stockenden Athem, seine Ansichten ausgesprochen hatte.

Dieser selbst war aufgestanden und ging im Zimmer auf und nieder, um seine Erregung zu verbergen oder zu unterdrücken. Er schien sich dieser jetzt zu schämen, denn sein Gesicht, das einen Augenblick einen mildern Ausdruck zeigte, legte sich wieder in die Falten des strengsten Ernstes und der tiefsten Unergründlichkeit. Seine Stimme, vorhin weich und nicht ohne Wohllaut, nahm wieder den gewöhnlichen scharfen Ton an, als er die Glocke zog und dem eintretenden Diener zurief:

»Stock und Hut! – Begleiten Sie mich, Holger?« setzte er hinzu mit einer Miene, die keinen Widerspruch erwartete.

Der Commis schloß das Pult und folgte seinem Prinzipal, der im Hofe angelangt, welcher das Hinterhaus von dem Vordergebäude trennte, stehen blieb und gedankenvoll den Stock auf das Pflaster stieß. Holger, in so naher Berührung mit Welden wie nie zuvor, konnte, hinzugetreten, die Frage nicht unterdrücken:

»Wie kommt es, Herr Welden, daß Sie das Vorderhaus gar nicht benutzen? So lange ich auf Ihrem Comptoir arbeite, und dies sind fast drei Jahre, blieb es geschlossen. Ihr ältester Diener weiß nicht genug von der Pracht im Innern zu erzählen. Oeffnen Sie es dem Vergnügen, geben Sie Gesellschaften, Bälle, und Sie werden mehr Freunde haben.«

Der Kaufmann schielte nach den vom Mondschein hell beschienenen großen Fenstern und antwortete tonlos:

»Kein Mensch hat Freunde, nur das Geld; wer arm ist, ist es in jeder Beziehung.«

»Man hat aber ein Recht, vom Reichthum zu fordern, daß möglichst Viele Theil daran haben.«

Welden, der wol im Innern über die Bemerkungen des Commis lächeln mochte, entgegnete, indem er weiter ging:

»Nun, vielleicht wird Ihr Wunsch erfüllt, Holger! Es ist möglich, daß ich in der nächsten Zeit einige Bälle gebe. Arbeitet Ihr Schuhmacher gut, Holger?«

»Wie das, Herr Welden?«

»Nun, Sie sind ein hübscher Mann, es wird Ihnen nicht an Tänzerinnen und Liebhaberinnen fehlen.« –

Sie befanden sich auf der Straße; der Kaufherr schlug den Weg nach dem Stadttheater ein. Als sie an einem großen schönen Hause vorübergingen, rief Holger unwillkürlich aus:

»Hier wohnt sie!«

»Wer?«

»Fräulein Lauen.«

Der Kaufmann blieb stehen, kreuzte die Hände auf dem Rücken und blickte zu den Fenstern hinauf. In demselben Augenblicke rollte ein Wagen durch die Straße und hielt vor dem Hause. Welden flüsterte seinem Commis etwas zu und Beide stellten sich in den Schatten des Portals. Das volle Gaslicht einer Straßenlaterne fiel auf die Aussteigenden. Es war die Schauspielerin mit ihrer Mutter, denen ein junger Mann aus dem Wagen half. Alle drei hielten noch einen Augenblick vor dem Aufgang der Treppe, sprachen einige Worte, und trennten sich dann.

Inzwischen faßte der Kaufmann seinen Commis am Arm und flüsterte ihm zu:

»Sie liebt ihn nicht. Mein Sohn ist ein Thor!«

»Herr Welden!«

»Als sie ihm die Hand reichte, geschah es flüchtig, mit dem Blick nach der Treppe. Das Herz einer Geliebten muß auch im Händedruck liegen. Gott, Gott!« –

Er folgte hierauf seinem Sohne, der langsam durch die Straßen wandelte. An einer Biegung rief er ihn an. Eduard, ein junger hübscher Mann von 25 Jahren, war erstaunt, seinen Vater noch so spät anzutreffen, da derselbe nach neun Uhr selten das Haus verließ. Sein Erstaunen ging aber in Schreck und Verwirrung über, als ihm sein Vater mit kurzen Worten anzeigte, daß er sofort eine Reise anzutreten habe. Eduard protestirte, aber vergebens; der Vater bestand auf augenblickliche Abreise. Mit den Worten: »Es handelt sich um bedeutende Geldverluste!« wies er jeden Einwand zurück. Seinen Commis, der die Absicht seines Prinzipals durchschaute, bat er, sogleich Extrapost zu bestellen und die nöthigen Vorkehrungen zu treffen. Er selbst nahm seinen Sohn unter den Arm und geleitete ihn nach Hause. Kein Wort verlor er über das Verhältniß zu Fräulein Lauen, nicht die leiseste Anspielung konnte seinem Sohne verrathen, daß der Vater darum wisse. Als Eduard sich endlich mit verzweiflungsvoller Resignation in sein Schicksal ergab, ließ er sich die wiederholte Zusicherung geben, daß die Reise nicht länger als acht Tage dauern solle. Der Vater gab sie ihm, indem er heimlich dachte: In acht Tagen vernarbt keine tiefe Wunde, aber sie beginnt zu heilen, und nach Umständen werden meine Geschäftsfreunde dafür Sorge tragen, daß er länger wegbleibe! –

Die Postpferde standen vor der Thüre, Alles war zur Abreise bereit. Als Welden seinen Sohn zum Wagen geleitete, umarmte er ihn herzlich, strich ihm die Haare aus dem Gesicht und blickte ihn lange und innig an.

»Eduard,« sprach er mit zitternder Stimme, »ich brauche Dir wol nicht zu sagen, wie sehr ich Dich liebe. Du weißt es, denn ich habe es Dir in jeder Weise zu erkennen gegeben. Die Nothwendigkeit gebietet, daß Du eine Reise antrittst; vergieb es mir!«

Es giebt nichts Demüthigenderes für ein Kind, als wenn es aus irgend einem Grunde von den Eltern um Verzeihung gebeten wird. Die Ordnung, das Gesetz der Natur kehrt sich um, und nur ein versteinertes Herz kann dabei die Thränen unterdrücken. Eduard war nicht bösartig, aber im höchsten Grade selbstsüchtig. In seiner Leidenschaft zu Clara ganz und gar befangen, nur an sie denkend, für sie athmend, hatte er keine Worte, keinen herzlichen Händedruck für seinen alten Vater. Er grollte ihm, daß er diese Reise antreten mußte, die ihm durchaus nicht so wichtig erschien, als sie ihm der Vater darstellte. Der Abschied von seiner Seite war kalt, im Grunde beleidigend. Der Wagen rollte fort. –

 

Am anderen Morgen gegen Mittag kleidete sich Herr Welden mit besonderer Sorgfalt an. Er ließ anspannen und befahl dem Kutscher, bei Fräulein Lauen vorzufahren. Seinen Diener hatte er bereits vorausgeschickt und sich melden lassen. Mutter und Tochter waren der Meinung, daß unter dem Angemeldeten der jüngere Welden zu verstehen sei und wunderten sich über die ungewohnte Förmlichkeit. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als sich ihnen ein gänzlich Fremder, Eduard's Vater, vorstellte. Mit dem Zwecke des Besuches nicht vertraut, zeigte sich eine merkliche Verwirrung in ihren Zügen. Eine Künstlerin jedoch, die täglich eine andere Gestalt annehmen, jeden Ton der Seele, alle Leidenschaften und Empfindungen kennen und erschöpfen muß, weiß sich zu beherrschen. Ueberdies kam ihr der Kaufmann zu Hülfe. Nichts in seiner Unterhaltung konnte sie zu dem Glauben veranlassen, daß er seines Sohnes wegen zu ihr käme. Er drückte ihr seine Bewunderung über ihr großes Darstellungstalent, ihr vortreffliches Spiel aus und sagte ihr mit der ehrlichsten Miene von der Welt, daß er längst darnach getrachtet habe, ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Sie schien erfreut und sprach sich auf verbindliche Weise darüber aus, ohne zu ahnen, daß Welden seit Jahr und Tag das Theater nicht mehr besucht hatte.

Clara war schön, einnehmend beim ersten Blick, ihre Unterhaltung war gefällig, schmiegsam, doch für die Dauer nicht belebend genug und ohne geistigen Nachdruck. Eine Unterhaltung ist dann nur von Werth, verfliegt sie nicht mit unserer Entfernung, reizt sie nachhaltig unsere Gedanken an. Auch verfiel sie häufig in einen Fehler, den man fast bei allen Künstlern findet, der aber dem wahrhaft Gebildeten unangenehm auffällt. Sie sprach gar zu gern von ihrer Kunst, vom Schauspiel, wobei sie jedoch nicht vergaß, die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf sich zu lenken. Die Mutter unterstützte sie darin mit erstaunenswerther Geschicklichkeit und bewundernswürdiger Ausdauer. Sie hatte keine Ahnung davon, daß es bei einer solchen Unterhaltung immer einen leidenden Theil gibt. –

Während des Gesprächs faßte der alte Herr unbemerkt alle Gegenstände des Zimmers scharf ins Auge. Als er sich erhob und um Wiederholung seines Besuches gebeten hatte, stieß er mit Absicht eine werthlose Tasse, die zufällig auf dem Tische stand, herunter. Das Gesicht Clara's verfinsterte sich, ihre Mutter verstummte inmitten einer noch lange nicht beendeten Rede. Mit dem ihm bei gewissen Gelegenheiten eigenthümlichen und fatalen Lächeln entschuldigte sich Welden, indem er auf das verbindlichste versicherte, den gemachten Fehler verbessern zu wollen. Im Eifer eines rasch wieder aufgenommenen Gespräches vergaßen beide Damen, die Artigkeit zurückzuweisen.

Der alte Herr kam sehr heiter nach Hause. Zu Holger, den er in sein Zimmer nöthigte, äußerte er, langsam Hut und Handschuhe ablegend:

»Fräulein Lauen ist sehr schön, sorgen Sie doch für ein möglichst kostbares Service und übersenden Sie es ihr mit meiner Karte!« –

Der Commis war über diesen Auftrag sehr erstaunt, entledigte sich aber desselben mit gewohnter Pünktlichkeit. Diese wurde von nun an in jener Beziehung öfter in Anspruch genommen, denn Welden wiederholte seinen Besuch bei der Schauspielerin sehr bald, dann täglich, und niemals, ohne sich vorher einen freundlichen Empfang durch ein Geschenk zu sichern. Die ganze Stadt sprach von der auffallenden Handlungsweise des reichen Kaufherrn. Mit seiner gewohnten Schweigsamkeit vermied er aber jede Aufklärung und zuckte die Achseln, wenn ihm ein allzu bereitwilliger Börsenfreund zu einer so glänzenden Eroberung Glück wünschte.

»Die Menschen sind doch die tollsten und verächtlichsten Schmeichler, die Gott erschaffen hat,« äußerte er einst zu Holger, eben von der Börse kommend, wo man sich nicht oft genug nach dem Befinden der Schauspielerin erkundigen konnte.

»Wie das, Herr Welden?«

»Denken Sie sich, Holger! Man gratulirt mir zu einer Verbindung mit der Schauspielerin, man geht so weit, mich nach dem Hochzeitstage zu fragen! Betrachten Sie mich. Ist eine Gestalt wie die meinige wol fähig, auf eine so schöne junge reizende Dame wie Fräulein Lauen Eindruck zu machen?«

»Der Reichthum kann Alles,« entgegnete der Commis mit einem traurigen Gedanken an Eduard.

»Aber mein Alter, mein graues Haar, Holger!«

»Der Reichthum verjüngt auch, Herr Welden.«

Der Kaufmann zwickte mit den Augen und betrachtete seinen Commis von der Seite. Er überlegte, und nickte seinen eignen Gedanken beifällig mit dem Kopfe zu. Nach einer Weile erhob er das Haupt, blickte durch das Fenster des Comptoirs über den Hof nach dem gegenüberliegenden Vordergebäude, trat dem Commis näher und fragte ihn, im gleichgültigsten Tone:

»Führen Sie eine Privatcorrespondenz mit meinem Sohne, Holger?«

Ein unwillkürliches Ja entschlüpfte dem emsig schreibenden Commis, der seine Unvorsichtigkeit im selben Augenblick bereute. Verwirrt und verlegen blickte er auf seinen Prinzipal. Dieser schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit, fuhr in seiner Betrachtung des Gebäudes fort und trommelte mit den Fingern auf einer Fensterscheibe.

»Er muß noch einige Tage wegbleiben, Holger. Schreiben Sie ihm das,« sagte er hierauf mit dem vorigen gleichgültigen Tone. »Aber recommandiren Sie den Brief, damit ich auch überzeugt sein kann, daß er jetzt noch nicht kommt!« fügte er ironisch hinzu.

Holger, noch immer verlegen, versicherte, daß der Brief gewiß abgehen würde. Der Kaufherr wandte sich vom Fenster ab, blickte über die Schulter seines Commis in die vor diesem liegenden Briefe und warf die Worte hin:

»Ich will heirathen, Holger.«

Dieser ließ vor Ueberraschung die Feder aus der Hand fallen und machte ein etwas auffallendes Punktum.

»Der Klecks war unnöthig, Holger. Ich will wahrhaftig wieder heirathen, ersuche Sie aber, darüber vorläufig noch zu schweigen. Heute Abend wird Ihr Lieblingswunsch erfüllt. Das Vordergebäude, das seit dem Tode meiner ersten Frau geschlossen blieb, wird eben geöffnet und zum Empfange von Gästen eingerichtet. Diesen Abend haben wir große Gesellschaft und Ball. Die Einladungskarten sind bereits besorgt, der Conditor und der Koch unterrichtet. Sie sind ein hübscher Mann, Holger, es wird Ihnen nicht an Tänzerinnen fehlen; doch verschonen Sie mir zu Gefallen die Königin des Festes, Fräulein Lauen, mit einem Antrag.« –

 

er Kaufherr entfernte sich nach diesen Worten so langsam, mit so vollkommener Ruhe, als ob er Holger die Nachricht von der Geburt eines jungen Kaffern mitgetheilt hätte. Dieser war dagegen in nicht geringer Bestürzung. Er wußte nicht, was er von seinem Prinzipal denken sollte. War er in seinem Alter kindisch geworden, oder war er wirklich der kalte herzlose Mensch, für den er allgemein galt, und der aus verächtlicher Selbstsucht zum Verräther an seinem einzigen Kinde wurde? Gegen das Erste sprach die klare Ruhe und Sicherheit im Entschlusse, gegen das Zweite die heimlichen Wohlthaten, die der Kaufherr Vielen erwies und bei denen Holger den Vermittler spielte, außerdem die tausendfachen Beweise seiner Vaterliebe für Eduard, die Keinem unbekannt waren.

Holger konnte sich aus dem Wirrwar seiner Gedanken nicht herausfinden; er war schwankend, was er thun sollte. Im ersten Augenblick ergriff er die Feder, um Eduard von diesem überraschenden Entschlusse seines Vaters sogleich Anzeige zu machen; ein plötzlicher Gedanke brachte ihn aber von diesem Vorhaben wieder ab. Er hoffte auf Clara, und glaubte nun und nimmer, daß sie einem alten häßlichen Manne die Hand reichen würde. Wozu also durch eine voreilige Mittheilung seinem Freunde einen Schmerz bereiten? –

Der gute Holger wählte den besten Theil, den ihm der Zweifel erlaubte, wobei ihn noch die glückliche Mittagsstunde unterstützte, die ihn zum Essen abrief, und traf seine Vorkehrungen zu dem abendlichen Ball.

Eine Stunde vor Beginn desselben besichtigte der Kaufherr das nun seit langer Zeit endlich wieder erschlossene Vordergebäude. Es enthielt prachtvolle Zimmer und Säle, Alles was der Reichthum an Geschmack, Bequemlichkeit und Eleganz vereinigen kann. Es gehört auch in dieser Beziehung ein gewisses Geschick dazu, die Ueberladung zu vermeiden. Bei den reichen Mittelklassen findet man Ueberladung sehr häufig, selten haben sie einen Begriff von jener Einfachheit, die sich mit Gediegenheit und Pracht recht gut vereinigen läßt und die dem Auge so wohl thut. Der Kaufherr aber besaß dieses Geschick oder mußte es besessen haben: man stieß in den reich ausgestatteten Gemächern nirgends auf Gegenstände, die nur kostbar und nicht auch zugleich nothwendig und künstlerisch schön waren.

Vor einem großen Oelgemälde blieb Herr Welden stehen. Es war das Bild seiner vor bereits zehn Jahren verstorbenen Gattin. Er hatte mit ihr Freude und Schmerz, Sorgen und Kummer durchlebt, sie hatte ihm nie Veranlassung zu einer Klage gegeben, ihr Andenken war ihm eine heilige Erinnerung, die ihn keinen Augenblick verließ. Er ehrte es jetzt auch dadurch, daß er einen Kranz der ausgewähltesten Rosen über das Bild hing und leise v« sich hinsprach:

»Du hast mir ein großes Geschenk zurückgelassen, unsern Sohn Eduard! Hilf mir ihn beschirmen, jetzt, wo ihm eine Gefahr droht, wenn meine Kraft nicht ausreichen sollte!« –

Lange noch stand der Kaufherr vor dem Gemälde in Betrachtungen versunken. Er ließ die Erinnerung, die er sonst immer verscheuchte, in seinem Innern leise heraufklingen mit all' ihren Freuden und Schmelzen, mit all' ihren heitern und trüben Tagen.

Schritte dröhnten durch den Saal; Welden wandte sich um. Holger kam ihm in großer Verwirrung entgegen, und hielt einen Brief in der Hand.

»Was giebt's, Holger?« fragte der Kaufherr, schnell alle Betrachtungen zurückdrängend, mit der gewohnten Ruhe.

»Eben erhalte ich diesen Brief, er ist von Eduard, wir können ihn jede Stunde erwarten.«

»Darf ich den Brief lesen?«

Holger überreichte ihm denselben und suchte den Eindruck des Inhalts auf dem Gesichte des Kaufherrn zu beobachten. Das war nun freilich eine vergebliche Mühe, denn ohne die mindeste Veränderung seiner Züge las der Vater Eduard's die verzweiflungsvollen Ausbrüche seines Sohnes. Er faltete das Papier wieder zusammen, gab es zurück und sagte im gleichgültigsten Tone:

»Der unberufene Freund meines Sohnes, der ihn von Allem unterrichtete, ist sein Feind. Er streut zwischen ihm und mir den Samen des Hasses aus und trennt sein Herz immer mehr von dem meinigen. Eduard ist leidenschaftlich und wie die Jugend überhaupt ein Spielball des Augenblicks. Jugend und Leidenschaft verbannen die Ruhe. Was würde es geholfen haben, hätte ich den Versuch gemacht, meinen Sohn durch Vernunftgründe von seiner thörichten Liebe zu Clara zu heilen? Ich würde sie durch meinen Widerspruch nur noch mehr entstammt haben. Ich weiß nicht, ob Sie das begreifen, Holger?«

Dieser machte ein Gesicht, wie ein Hogarth'scher Kater auf dem Dache, und suchte emsig den widerspenstigen Knopf seines Handschuhes einzuhaften.

Mit vieler Theilnahme die mühselige Arbeit seines Commis verfolgend, fuhr der Kaufherr fort:

»Gefährliche Krankheiten erfordern die äußersten Mittel. Eduard würde mir nicht geglaubt haben, was er wissen muß, um sein krankes Herz zu heilen: daß ihn Fräulein Lauen nicht wiederliebt. Die Gewißheit werde ich ihm verschaffen!«

Der Commis hatte glücklich den Handschuh eingeknöpft und blickte jetzt fragend auf. Der Kaufherr konnte ihm keine weitere Erklärung geben, denn eben traten die ersten Gäste in den Saal. Ihnen entgegengehend, rief er Holger nur noch zu:

»Nach elf Uhr haben Sie wol die Güte, zu mir auf mein Comptoir zu kommen, ich habe Ihnen noch Einiges mitzutheilen.«

Die Gesellschaft, die sich nach und nach einfand, war zahlreich und durch alle Stände vertreten. Die Unterhaltung, die in zum ersten Mal geöffneten Salons niemals eine freie und ungezwungene ist, war auch hier eine befangene und stockende. Die ungebundene heitere Fröhlichkeit, die von wahrhaft Gebildeten stets geleitet und begrenzt wird, erfordert eine gewisse Vertraulichkeit mit den Räumen und den Zusammentreffenden. Ueberdies gab die so plötzliche Veränderung des Hausherrn zu vielen Vermuthungen Anlaß, welche zergliedert und erwogen das Gespräch einförmig machten. Welden, der Millionär, der seit Jahren in der größten Zurückgezogenheit gelebt, seinen Reichthum vor der Oeffentlichkeit verleugnet hatte, zeigte sich jetzt so verschwenderisch, wie ein junger leichtsinniger Graf, der im Begriff steht seinen alten Stammbaum auszumünzen.

Erfrischungen und Weine waren köstlich, in ausgesuchter Menge, anlockend für den verschiedensten Geschmack, die Ballmusik köstlich. –

Noch war die Königin des Festes, Clara Lauen, nicht erschienen. Aus weiblicher Coquetterie ließ sie lange auf sich warten. Es ist jedenfalls ein beneidenswerther Moment, in eine große Versammlung mit dem Bewußtsein zu treten: Jetzt richten sich alle Augen auf Dich! Ob das zur Kunst gehört? Wer will das einer Schauspielerin bestreiten, die einen hohen Begriff von ihrer Künstlerschaft hat! –

Endlich erschien sie in Begleitung ihrer Mutter. Sie war schön, es sagten's Alle, auch die bekanntesten neidischen Zungen, und was von besonderem Gewicht ist, sie sagte es selbst durch ihren Blick, ihren Gang, durch ihr stolzes Auftreten. Ihr Anzug war reich, gewählt, aber in Stoff und Farbe etwas ungewöhnlich, für den Aufmerksamen verrätherisch und charakteristisch. Ihrer ganzen Erscheinung fehlte der höchste Reiz der Weiblichkeit – Einfachheit.

Mit der süßen Miene eines Liebhabers ging ihr Welden entgegen. Er ergriff die dargebotene Hand mit der Zierlichkeit eines provençalischen Troubadours und küßte sie wiederholt, auf eine Weise, die allgemein auffiel.

»Der Handschuh ist zu köstlich parfümirt!« – damit entschuldigte er sich gegen die Umstehenden.

Der Ball nahm seinen Anfang. Die Paare flogen durch den Saal, als wollten sie der Unsterblichkeit zu Hülfe kommen. Wer achtet auf die Migräne des folgenden Tages!

Clara tanzte nicht. Sie saß mit ihrer Mutter und dem Kaufherrn in einem kleinen Nebenzimmer, welches die Aussicht auf den Saal bot, und war augenscheinlich in eine sehr wichtige Unterhaltung verwickelt. Diese schien zu allseitiger Zufriedenheit geendet zu haben, denn Welden stand auf, nahm Mutter und Tochter unter den Arm und trat in den Saal, wo eben die Musik eine Pause machte. Inmitten desselben hielt er an, präsentirte nochmals die beiden Damen der Gesellschaft und sagte mit erhobener Stimme:

»Ich habe die Ehre Ihnen meine Schwiegermutter und Braut vorzustellen!«

Wer will das Erstaunen ausmalen, das Alle erfaßte! Unsere Civilisation hat aber tausend Hülfsmittel gegen Überraschungen, die nicht beleidigen sollen. Ein Augenblick, und die abnorme Verschiedenheit des verlobten Paares, ihre gesellschaftliche Stellung war vergessen; ein Strom von Huldigungen, wahr oder ironisch verhüllte am besten die Meinung des Einzelnen.

Der alte Herr mußte weitere Vorkehrungen getroffen und auf das Jawort Clara's im voraus gerechnet haben, denn ein Diener überreichte ihm jetzt auf einem silbernen Präsentirteller eine reiche Myrthenkrone, durch die sich goldene Lorbeerblätter schlangen. Mit zitternden Händen schmückte der Kaufherr das Haupt seiner Braut, indem er ihr einige schmeichelhafte Worte sagte, worauf er sich an Clara's Mutter mit der leisen Frage wandte:

»Erinnern Sie sich nicht, Madame, eines ähnlichen Vorfalls aus Ihren jüngeren Jahren?«

Das seliglächelnde Gesicht der Angeredeten verfinsterte sich, sie besann sich eine Sekunde, und dann wie vom Blitz getroffen, heftete sie bebend und zitternd das Auge auf Welden. Sie wollte in seiner Seele lesen. Er hatte sich aber wieder bereits zu Clara gewendet und überreichte ihr einen kostbaren Diamantring mit den Worten:

»Der Ring ist Tausende werth; möge Sie das Geschenk für eine Stunde Schmerz entschädigen!«

Wie bedenklich die Worte klangen, wie sonderbar auch der Gesichtsausdruck des Kaufmanns war, Clara achtete in dem Triumph ihrer Eitelkeit nicht darauf. Mit vieler Grazie hielt sie ihm die Hand hin. Welden küßte und zierte sie mit dem Ringe. Als er faunisch lächelnd wieder sein Haupt erhob, fiel sein Blick auf die Eingangsthüre des Saales. Er zuckte erschrocken zusammen ...

Tief in einen Mantel gehüllt, lehnte an der Pfoste eine hohe Mannesgestalt, die sich sogleich entfernte, als ihr Blick dem Auge des Kaufmanns begegnete. Vater und Sohn hatten sich erkannt ...

Einen Sekundenschlag stand der Kaufmann betroffen. Sein Auge verfolgte den langsam Davongehenden, als sollte ihm sein blitzendes Feuer den Weg erhellen. Als er keine Spur mehr sah, wandte er sich mit raschem Entschlusse zu Clara, die er um Entschuldigung bat, daß er sich für eine kurze Zeit entfernen müsse. Er schützte dringende Geschäfte vor und übergab sie mit ritterlicher Galanterie einem jungen Doctor, der längst vor Begierde brannte, mit ihr einen Walzer zu tanzen.

In großer Eile durchflog er alsdann den Saal, um Holger aufzusuchen. Er achtete nicht früher auf die Gäste, die über seinen trippelnden Gang und seine ungewohnte Hast lächelten und zusammenflüsterten, als bis er vor dem Gesuchten stand und dieser ihn selbst mit bedenklicher Miene empfing.

»Haben Sie meinen Sohn gesehen?« raunte er ihm in's Ohr.

»Nein, Herr Welden.«

»Folgen Sie mir auf mein Comptoir!« –

Holger gehorchte nur ungern, er hatte unter den Damen zwei sehr weiche Herzen getroffen, welche dem galanten Commis keinen Tanz versagten und die Erzählung seiner Reiseabenteuer mit einer Aufmerksamkeit verfolgten, die ungewöhnlich und wohlthuend für ihn war. Indessen seine Freundschaft für Eduard, sein abhängiges Verhältniß zum Hause bestimmten ihn, seinem Prinzipal zu folgen.

Welden spähte, während er den Saal verließ und die Treppe, welche nach dem Hofe führte, hinunterstieg, überall nach Eduard umher, doch vergeblich. Ebenso nutzlos blieben seine Erkundigungen bei den Dienern des Hauses. Keiner wollte ihn gesehen haben.

Mißmuthig gelangte er in sein Zimmer. Holger war ihm auf dem Fuße gefolgt und zündete auf seine Bitte die Lampe an, während der Kaufherr selbst sich in das Sopha warf und gedankenvoll das Haupt in beide Hände stützte.

»Wußten Sie, Holger, um die Ankunft meines Sohnes?« fragte er endlich nach einer längeren Pause, während welcher es dem Angeredeten glücklich gelungen war den Docht anzubrennen.

»Nein, Herr Welden.«

»Sie wissen auch nicht, wo er sich jetzt befinden mag?«

»Eben so wenig.«

»Sie kennen aber jedenfalls alle Locale, die er gewöhnlich zu besuchen pflegt! Nicht war, Holger? Antworten Sie mir! Ein geängstigtes Vaterherz fragt Sie darum.«

»Sie sind mir alle bekannt.«

»Nun denn, Holger, ich bitte Sie um einen großen Dienst.«

Er stand bei diesen Worten auf, legte die Hand auf die Schulter des Commis und blickte ihn so schmerzlich an, daß es diesem durch's Herz schnitt.

»Befehlen Sie über mich, Herr Welden!«

»Suchen Sie meinen Sohn auf! Ich werde Sie zu entschädigen wissen für das Vergnügen, das Sie durch die Entfernung vom Balle verlieren; nur bringen Sie mir Eduard sogleich hierher! Sie kennen seinen Jähzorn, seine übersprudelnde Heftigkeit, die maßlos Alles zerstört. Er war im Saale, in demselben Augenblicke, in welchem ich der Schauspielerin den Ring an den Finger steckte und sie als meine Verlobte vorstellte. Im Haß gegen seinen Vater ist er fortgestürzt, ich ahne nichts Gutes. Sehen Sie mich an, Holger, mein Haar ist weiß und gelichtet, Sie werden mich doch keiner Thorheit mehr für fähig halten? Ich sagte Ihnen einmal, Menschen wie Eduard können nur durch gleich heftige Mittel von einer starken Leidenschaft befreit werden. Leidenschaft macht blind und benimmt die Vernunft. Eduard mußte sehend gemacht werden, hören lernen. Clara hat kein Herz, sie liebt ihn nicht, sie liebt nur sich; ihr soll Alles zum Schemel ihrer Eitelkeit dienen. Dazu ist mir Eduard zu gut. Er hätte mir nicht geglaubt, würde ich es ihm einfach und schlicht auseinandergesetzt haben; jetzt muß er es glauben, wenn er hört und sieht, daß eine junge schöne Dame den Sohn aufopfert, um dem Vater, einem Greise, ihre Hand zu reichen – um möglichst bald seinen Reichthum zu erben. Hätte ich sie anders gefunden, keinen Augenblick würde ich zögern, sie als meine Schwiegertochter in mein Haus aufzunehmen. So aber muß ich sie verwerfen, mein Sohn darf nicht unglücklich werden. – Wenn Ihnen, Holger, nach dieser Erklärung mein Benehmen gegen Fräulein Lauen zu hart erscheint, wenn Sie mich beschuldigen, zu weit gegangen zu sein, so erfahren Sie auch, daß ich in meiner Jugendzeit an Geist und Körper ruinirt worden bin, daß ich meine wohlhabenden Eltern an den Bettelstab brachte – durch meine blinde, grenzenlose Leidenschaft zu Clara's Mutter. Ich erkannte sie am ersten Ton ihrer Stimme – sie hatte den Namen Welden vergessen.« –

Mit ungewöhnlicher Aufregung hatte der Kaufherr gesprochen; er schwieg erschöpft und drohte unter einem heftig ausbrechenden Husten zu ersticken. Holger stand unentschlossen; er legte die Hand an die Tischglocke. Welden winkte abwehrend und murmelte sich zum Lächeln zwingend:

»Es ist ja kein Diener in der Nähe. Gehen Sie und bringen Sie mir meinen Sohn, das ist die beste Arznei für mich!«

Holger eilte aus dem Zimmer.

 

Der Husten war hartnäckig und ließ nur langsam nach. Der alte Herr zitterte am ganzen Körper und konnte sich kaum aufrecht erhalten. Sein Blut rollte heißer wie gewöhnlich durch die Adern und stieg ihm zu Kopfe. Mit dem Aufgebot aller Energie suchte er einige Ruhe zu gewinnen. Er trat an's Fenster und blickte hinaus in die Nacht. Es schienen weder Mond noch Sterne, nur von drüben aus dem Ballsaale zitterten einige Lichtstrahlen herüber, und die Klänge eines Walzers unterbrachen die ringsum herrschende Stille.

Der alte Welden lehnte sein heißes Haupt an die Fensterscheiben und dachte seit langer Zeit zum ersten Male wieder an entschwundene Jugendträume, trügerische Hoffnungen, bittere Täuschungen ...

Ein lautes Geräusch schreckte ihn empor ... es kam die Treppe herauf ... rasch wurde die Thür aufgerissen – Eduard stand vor ihm.

»Mein Sohn!« rief der Vater und streckte die Arme aus.

Ein höhnisches Gelächter war die Antwort.

»Höre mich! Aus Barmherzigkeit!« wiederholte der Greis und schwankte ihm entgegen.

Eduard lachte wieder auf, hell, scharf, schneidend, daß es dem Alten durch Mark und Beine ging. Er warf den Mantel ab, den Hut, und faßte mit einer wilden Bewegung nach der Brust seines Vaters.

»Also darum mußte ich reisen!« rief er mit vor Wuth bebender Stimme, – »betrogen und bestohlen um meine Liebe durch den eigenen Vater! Alter Mann, hast Du denn noch Blut? Du siehst ja so frostig aus! Sprich, durch welche Künste hast Du sie bethört!«

Vergebens machte der Greis eine Anstrengung, ihm in's Wort zu fallen; Eduard, blind vor Wuth, faßte ihn an beiden Schultern und schüttelte den morschen Körper, daß die Glieder zuckten.

»Wie hast Du sie bethört? Sprich, sprich!« wiederholte er zähneknirschend, indem er den unter seinen Händen zusammenbrechenden Greis hoch in die Höhe zog.

Ein entsetzlich bleiches, verzerrtes Antlitz starrte ihn an. Auf der kahlen Stirn stand der Todesschweiß in einzelnen kalten Tropfen, – das Auge blickte leblos, gläsern, – noch einmal zuckte es auf, es war der letzte Lichtstrahl von Liebe, dann sank es in ewige Nacht. Der Schlag hatte den Greis getroffen; der Sohn hielt die Leiche seines Vaters im Arm. –

Noch bemerkte es Eduard nicht, noch hielt er den Körper des Vaters eisern fest, er preßte ihn an die Brust, er hielt seinen Mund an die Lippen des Todten; – dann fuhr er zusammen wie von einer Viper gestochen, der Todte entglitt seinen Händen, und stürzte nieder auf den Boden.

Lange starrte Eduard auf den Entseelten; die Zeit schien still zu stehn; dann stürzte er mit einem furchtbaren Angstschrei an der Leiche des Vaters nieder. –

 

Eine Stunde verging, tiefe Stille herrschte in dem Zimmer, nur zuweilen knisterte die Gasflamme auf; am Fenster regte der Falke schlaftrunken die Flügel.

Es kam Jemand eilends die Treppe herauf; Eduard hörte nicht. Er kniete nieder und hielt den Kopf des Entseelten in seinem Schooße. Rasch wurde die Thür geöffnet und Holger trat in's Zimmer. Ueber einen Mantel stolpernd, machte er eine vertikale Bewegung, die ihn zu fröhlichem Lachen reizte. Ein Blick auf die Gruppe und er verstummte.

Eduard starrte ihn an, theilnahmlos, bleich, mit fürchterlicher Ruhe. Endlich stand er auf, ergriff den Entseelten und legte ihn auf das Sopha.

»Ich bin der Zeit zuvorgekommen, Freund,« sprach er tonlos, auf die Leiche deutend, »ich habe meinen Vater durch meine Heftigkeit ermordet, ihn bat der Schlag getroffen.«

»Und Alles das um nichts!« fiel Holger erschüttert ein, »ich suchte Dich überall, um Dich über seine Handlungsweise aufzuklären!«

Mit kurzen Worten machte er ihn mit Allem bekannt. Eduard horchte hoch auf. Er preßte das Haupt zwischen die geballten Hände, bis endlich ein Strom von Thränen der gefolterten Brust Linderung verschaffte.

Wieder war es sehr still im Zimmer. Man hörte nur ein unterdrücktes Schluchzen und den Falken, der seinen Schnabel an den goldenen Stäben des Käfigs wetzte. –

 

Jetzt brausten die Klänge eines rauschenden Galopps herüber. Eduard zuckte zusammen und lauschte.

» Sie ist ja noch auf dem Balle!« rief er mit unheimlichem Lächeln und sich ermannend. »Sie hat mich hintergangen, ihr Spiel mit mir getrieben, wie ihre Mutter einst mit meinem Vater, kommen Sie, Holger, ich will ihr das Brautgeschenk ihres Verlobten überbringen.«

Er warf noch einen Blick auf den Todten und verließ von dem Freunde gefolgt das Zimmer.

Die Gesellschaft war munterer, ungezwungener geworden; der reichlich gespendete Champagner verfehlte seine Wirkung nicht. Die Abwesenheit des Hausherrn wurde kaum beachtet. Die nicht Tanzenden versammelten sich in kleinen Gruppen, Eis und Erfrischungen schlürfend, ziemlich laut die Tagesneuigkeiten besprechend. Ein kleiner Hofrath hetzte in einem größeren Kreise, in welchem sich auch Clara mit ihrer Mutter befand, seinen spärlichen Witz zu Tode. Da er es aber verstand in seine Albernheiten galante Huldigungen einzustreuen, denen kein Frauenherz widerstehen kann, so wurde er gerechterweise belacht und bewundert. An einer Aeußerung, in welcher er sie mit einer Purpurrose verglich, die auch den Wurm bezaubere, der im Begriffe stehe den Kelch anzunagen, fand die Künstlerin so hohes Behagen, daß sie dem trefflichen Witzbold erlaubte, zu ihren Füßen zu sitzen. Wie erschrak sie aber, als in demselben Augenblicke Eduard vor ihr stand! Er kreuzte die Arme und blickte sie durchbohrend an. Sie fühlte die Anwandlung einer Ohnmacht; gewohnt aber, alle Leidenschaften zu beherrschen, bezwang sie sich mit Gewalt, legte die Züge des Gesichts in ein graziöses Lächeln und hieß ihn willkommen.

Eduard erbebte, aber nichts verrieth seine innere Bewegung. Eine Zeitlang in seiner Stellung verharrend, trat er ihr dann lebhaft einige Schritte näher, legte die Hand auf ihr Haupt und riß ihr den Kranz herunter.

Die Gesellschaft trat erschrocken zurück, der Kreis erweiterte sich, die Musik verstummte.

Clara war sprachlos, sie zitterte heftig, der Fächer entglitt ihren bebenden Händen. Die Mutter blickte bald hier- bald dorthin, sie wußte nicht was sie denken, beginnen sollte.

Nichts beachtend, sprach Eduard mit starker Stimme, daß es weithin durch den Saal erscholl:

»Madame, der Kranz ist in dieser Stunde welk geworden. Es thut mir leid, Ihnen die Nachricht mittheilen zu müssen, daß mein Vater so eben vom Schlage getroffen wurde. – Sie sind die Braut eines Todten!« –

Er zerriß, indem er dies sagte, den Kranz; die grünen Myrthenblätter, der goldene Lorbeer bedeckten den Boden.

Betäubt, raffte Clara ihre letzte Kraft zusammen. Einen Blick noch warf sie Eduard zu, aus welchem Verständniß des Geschehenen, Wuth und Rache blitzten; dann verließ sie den Saal, und noch in derselben Nacht die Stadt.


Wenige Tage darauf wurde der Greis begraben. Es giebt Verbrechen, die furchtbar sind und doch vor dem Richterstuhle der Menschen straflos erscheinen. Ein solches war der Mord Eduard's an seinem Vater. Aber Eduard blieb unvermählt; er führte ein einsames trauriges Leben. Gram und bittere Reue nagten an seinem Herzen, bis es brach.



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