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Schloß Wallamor.

O love, be moderate, allay the exstasy,
In measure raise thy joy, scant this excesse.


Ein Reiter jagte mit verhängten Zügeln über die Haide. Sein jugendliches Gesicht drückte Müdigkeit und eine starke Besorgniß aus, die Kleider waren bestaubt, an vielen Stellen durch dorniges Gesträuch zerrissen; ein breitkrempiger runder Hut deckte eine Fülle von hellblonden Haaren, ein willkommenes Spielwerk des Windes. Das Pferd, eines der edelsten Gattung, schlank, feurig, flüchtig wie ein Schemen der arabischen Wüste, trof von Schweiß und zeigte hie und da Tropfen Bluts. –

Immer weiter jagte der Reiter dahin. –

Die Gefahr mußte ihm auf den Fersen sein, denn öfter wandte er das Haupt zurück und spähte mit den tiefblauen Augen nach allen Seiten scharf umher. Das Pferd drohte zu ermüden. Er klopfte ihm schmeichelnd Bug und Hals und sprach bekümmert:

»Sulma, nur eine Stunde halte noch aus, eine Stunde, bis die Nacht hereinbricht!«

Und Sulma verstand ihn; laut wiehernd brauste es dahin durch Dorn und Gesträuch, über Moor und Sumpf ...

Ein Wald nahm den Reiter auf ...

Er athmete freier, ein leises Lächeln glitt über seine Lippen und, munter seinem Pferde zurufend: »Dank dir, du treues Thier! nun ist die Gefahr bald vorüber,« ließ er die Zügel sinken. Langsam ritt er tiefer in den Wald, versäumte aber nicht zur Vorsicht ein scharf geladenes Pistol aus der Halfter zu nehmen, es aufzuziehen und in der Hand zu behalten. Ein breiter Graben trennte ihn von der Landstraße. Er wollte darüber wegsetzen, das Pferd strauchelte, der Reiter schwankte im Sattel, versuchte sich unwillkührlich mit beiden Händen festzuhalten, die Mündung des Pistols berührte Sulma's Hals, der Schuß entlud sich und, tödtlich getroffen, stürzte das Pferd zusammen. –

Wer vermöchte den Schmerz des Reiters zu schildern! Vergebens suchte er die Thränen zurückzuhalten, weinend warf er sich auf das treue Thier und bemühte sich, das hervorquellende Blut zu stillen. Nicht ein Thier lag hier im Sterben; sein Freund, sein zweites Selbst. –

»Und durch mich, durch mich getödtet!« klagte der Reiter, während ihm der Gedanke in's Herz schnitt, daß hier jede Hülfe vergeblich sei und daß dem Pferde noch ein langer Todeskampf bevorstehe. Er sprang auf ... das stöhnende Thier sah ihn an, so schmerzlich und so ängstlich bittend ... Entschlossen griff er rasch nach einem zweiten Pistol ... er zielte ... sein Herz stockte ... er zögerte ... ein leises Wiehern schien ihn zu ermuntern ... er wandte sich ab ... ein Fingerdruck ... das Pferd gab keinen Laut mehr von sich. –

 

Eine Stunde mochte wol verflossen sein, ehe sich der Reiter von seinem Schmerze erholte; er saß am Rande des Grabens, den Kopf in die Hände gestützt und schien über den eben erlebten Verlust die Gefahr, die ihn bedrohte, das Verfolgen seiner Flucht ganz vergessen zu haben. – Ringsum herrschte tiefe Stille, die nur zuweilen durch den eintönigen Ruf des Kukuks, oder durch das heisere Schrillen einer Möve unterbrochen wurde. Die Sonne, im Scheiden begriffen, warf ihre röthlichen Strahlen auf das Laub der Bäume, das noch einmal aufzitterte, als fühlte es den Kuß des belebenden Lichts und sich dann, Blatt an Blatt, zur Ruhe legte.

Der Reiter stand auf, blickte, sich seiner Lage erinnernd, gedankenvoll auf die Landstraße und da er keinen verrätherischen Laut vernahm, wandte er sich noch einmal zu seinem Pferde und sprach:

»Sollte dein Tod durch meine Hand mir eine böse Vorbedeutung sein? Ich habe dich geliebt, du warst mir an's Herz gewachsen, deine Treue und Ausdauer gab dir ein Recht auf meine warme Freundschaft, aber es scheint meine Bestimmung zu sein, selbst das zu zerstören, was sich mir naht in Freundschaft oder Liebe.« –

Er hatte die Worte kaum vollendet, als sich aus der Straße das Rasseln eines Wagens vernehmen ließ. Rasch sprang er in das Dickigt des Waldes zurück, in ein Gebüsch, das ihm eine freie Aussicht bot, ohne daß er selbst entdeckt werden konnte. In dem Wagen, der jetzt näher heran kam, saßen eine alte Frau und ein stämmiger Bursche, der, ein lustiges Liedchen trällernd, die Zügel lenkte. An der Stelle, wo das todte Pferd lag, angekommen, verstummte er und machte, mit der Peitsche hindeutend, seine Begleiterin darauf aufmerksam.

»Was giebts, Jack?« fragte die Frau, die ihrer Kleidung nach dem Mittelstande anzugehören schien, mit einer vor Altersschwäche zitternden Stimme.

»Ein todtes Pferd, Mistreß Damby, ein schönes Thier, wie die Gräfin von Wallamoor keines im Stalle hat; vermuthlich hat es seinen Herrn abgeworfen und ist dann verunglückt.«

»Oder es ist Jemand beraubt worden, Jack?«

»Nein, Madam, das glaub' ich nicht, denn der Dieb würde dann auch gewiß das prächtige Geschirr mitgenommen haben; so etwas läßt man nicht einem Todten.«

Der Bursche belachte wohlgefällig seinen Einfall und wollte weiter fahren, als ihm Mistreß Damby zu halten befahl und die Frage an ihn richtete:

»Wo liegt das Pferd, Jack?«

»Ja so, Madam, Ihr könnt es nicht sehen, Ihr habt schwache Augen und es dunkelt stark; wollt Ihr herabsteigen und näher treten?«

Er hätte noch gar zu gern hinzugefügt, daß er recht wisse, wie neugierig sie sei, aber er hütete sich wol, es auszusprechen, da er wußte, daß Mistreß Damby keine Späße, am allerwenigsten auf ihre Kosten liebe. Bereitwillig sprang er ihr zu Hülfe, als sie Anstalten machte, den Wagen zu verlassen und, während er die Matrone an die gewünschte Stelle geleitete, unterstützte er sie mit einer Sorgfalt, die nahe an Verehrung grenzte, in der That jedoch nichts anderes war, als Furcht vor ihrer Gewalt auf dem Herrenschlosse von Wallamoor, auf welchem er diente.

Der Besitzer des Pferdes, das jetzt ein Gegenstand der Neugierde wurde, hatte dem Gespräch mit steigender Aufmerksamkeit zugehört. Die Namen Damby und Wallamoor waren ihm aufgefallen, er gestand sich, daß er sie schon gehört habe; wo und unter welchen Umständen, darüber konnte er sich freilich keine Rechenschaft geben. Er sah ein, daß er von den beiden Ankömmlingen nichts zu befürchten habe, zögerte aber aus Widerwillen gegen die Matrone immer noch, aus seinem Versteck hervorzutreten, obgleich die hereinbrechende Nacht, die fremde Gegend, die er zum ersten Mal betrat, die noch nicht entschwundene Besorgniß vor weiterer Verfolgung ihn dazu drängten und er wenigstens hoffen durfte, über den Weg, den er einschlagen wollte, Auskunft zu erhalten. Seine Abneigung gegen die alte Frau stieg, als er jetzt bemerkte, wie sie mit ihren zitternden Händen das Geschirr des Pferdes betastete und, wie den Werth desselben prüfend, bald den Kopf langsam schüttelte, bald hin und her wiegte. Eine Ermahnung Jack's, daß es spät sei, nahm sie mit Unwillen auf, mit einem zornigen Blicke aus ihren kleinen grauen Augen.

Immer gespannter, was sie denn eigentlich beabsichtige, lauschte der Reiter aus seinem Versteck; als sie jedoch dem Burschen den Befehl gab, das Pferd abzuschirren und Alles auf den Wagen zu laden, sprang er ohne Weiteres aus seinem Versteck hervor. Bei seinem Erscheinen lief Jack aufschreiend davon, während die Matrone nicht die mindeste Ueberraschung zeigte, nur langsam das Haupt erhob und, die Hand über die Augen legend, gleichsam um schärfer zu sehen, starr nach dem Fremden blickte. Dieser fühlte sich ihr gegenüber nur noch unheimlicher; die eingefallenen tiefgefurchten Züge, das spärliche eisgraue Haar, das unter der schwarzen Spitzenhaube hervorsah, die kleine magere Gestalt machten sie freilich zu keiner angenehmen Erscheinung, obwol die ringsumherrschende Stille, das Licht des Mondes, der inzwischen aufgegangen war, zu diesem Eindruck das Meiste beitragen mochten.

Die Matrone schien zu erwarten, daß sie der Fremde anreden würde, als er sich jedoch von ihr weg zu dem fernstehenden Jack mit der Bitte wandte, ihm den Weg nach der Clew Bay zu bezeichnen, unterbrach sie ihn mit den Worten: »Und was will Sir Richard Rudy in der Clew Bay?«

Eine gewaltige Ueberraschung malte sich auf dem Antlitz des Fremden, der hier unter den eigenthümlichsten Umständen, in einer ihm ganz unbekannten Gegend, von einer Person, die er nie im Leben gesehen zu haben sich bewußt war, seinen Namen mit einer Gewißheit aussprechen hörte, die von vornherein jeden Zweifel zurückdrängte. Er betrachtete die Matrone fortan mit einer Mischung von Furcht und Grauen und entgegnete auf die Frage, ausweichend:

»Ich will von dort aus nach dem Süden von Irland, wenn Sie mir aber einen kürzeren Weg angeben können, um dahin zu gelangen, werden Sie mich verpflichten.« –

Mistreß Damby, ohne die Antwort zu beachten, befahl Jack, der sich mit den Pferden beschäftigte und ungeduldig mit der Peitsche knallte, den Mantelsack des Gentleman auf den Wagen zu laden und, als dieser heftig Einwendungen machen wollte, erwiderte sie leise und im ruhigsten Ton, der aber etwas Bezwingendes hatte:

»Sie werden doch nicht die Nacht auf dem freien Felde zubringen wollen? Weit und breit finden Sie keine Taverne und gegen den Meeresstrand hin, der einige Meilen hinter diesem Walde beginnt, nur Haide und Moor; jedenfalls für Jemand, der nicht gesehen sein will, eine gefährliche Gegend.«

»Und wohin wollen Sie mich bringen?« fragte Richard rasch, den hinzutretenden Jack bemerkend.

»Nach dem Schlosse Wallamoor.« –

Richard machte weiter keine Einwendungen und ließ es ruhig geschehen, daß der Bursche sein Pferd abzäumte und das Geschirr auf den Wagen lud; die sonderbare Verkettung von Umständen, der Gedanke, Aufschluß darüber zu erhalten, reizten ihn, das Abenteuer zu verfolgen.

Als sie im Wagen saßen, befahl Mistreß Damby dem Burschen schnell zu fahren; mit Sturmeseile rollte der Wagen dahin. Richard bat nach einiger Zeit die Matrone um eine Erklärung ihres Benehmens. Etwas zuvorkommender wie früher, entgegnete sie:

»Ich war in Castibar, wo ich Einkäufe und verschiedene Aufträge zu besorgen hatte. In der Wirthsstube zum ›goldenen Reichsapfel‹ saßen königliche Landreiter, die sich laut davon unterhielten, daß sie Euch, Sir, verfolgen sollten. Sie hatten aber dem Branntwein so stark zugesprochen, daß ich wol merkte, sie würden erst in mehreren Stunden aufzubrechen im Stande sein. Auf dem Wege nach Hause fanden wir das todte Pferd und ich dachte mir gleich, Sie würden sich in der Nähe aufhalten.« –

 

So einfach und natürlich Alles klang, so war Richard doch wenig mit dieser Erklärung zufrieden. Wenn er auch wußte, daß die Verfolgung ihre Richtigkeit hatte, so sagte er sich doch, daß Mistreß Damby ihm nicht die ganze Wahrheit enthüllt habe, daß ihr Interesse für ihn aus einer andern Quelle entspringe. Eine neue Frage deshalb blieb unbeantwortet, und in seinem steigenden Mißmuth bemerkte er kaum, daß sich die Gegend inzwischen verändert hatte. Zu beiden Seiten des Weges tauchten einzelne Häuser auf, niedrig von Lehm aufgebaut, Hütten mit niedrigen Thüren, und Fenstern, anstatt mit Glasscheiben mit Papier verklebt, jedem Wind und Wetter preisgegeben – Alles unbeschreiblich elend. Hie und da standen Baumgruppen, vereinzelt, spärlich und verkümmert. Weiterhin wurde die Gegend etwas belebter und plötzlich zeigte sich ein Bild, das Richard nicht erwartete. Der atlantische Ozean lag vor ihm, still und ruhig, und oben am Strande, der sich hier steil und senkrecht zu einer Felsenkette erhob, lag ein großes alterthümliches Gebäude mit Zinnen und Thürmen, das Schloß Wallamoor. Im vollen Lauf kamen sie in demselben an. –

Mistreß Damby befahl einem herbeieilenden Diener vorzuleuchten, ertheilte an Jack noch einige Verhaltungsbefehle, die Wohnung ihres Gastes betreffend, und führte Richard durch mehrere Gänge und Treppen in ihre eigenen Zimmer. Der kleine Saal, in den sie eintraten, war nicht reich, doch geschmackvoll ausgestattet. Die Meubles, obgleich von etwas veralteter Form, waren gut erhalten und von einer Reinlichkeit, die wohlthuend wirkte. An den hohen Fenstern rankten sich Blumen und Schlinggewächse empor. Was aber der Behaglichkeit, die man in diesem Zimmer fühlte, noch hätte fehlen können, ersetzte im reichsten Maße eine weibliche Gestalt, die sich beim Eintritt der Mistreß sogleich erhob, freudig auf sie zueilte, bei dem unerwarteten Anblick eines Fremden jedoch schüchtern zurücktrat. –

Es war ein Mädchen von vollendeter Gestalt und Bildung. Eine Fülle von hellblonden Locken fiel auf Nacken und Schulter, das Antlitz war der reinste Spiegel der Schönheit, mild und sanft wie der Begriff der Verklärung. Das tiefblaue Auge, jetzt von langen Wimpern verhüllt, verrieth eine Seele, die keine rauhe Seite menschlicher Eigenschaften zu kennen schien. –

Ueberrascht betrachtete Richard die bezaubernde Erscheinung, er konnte sich von ihrem Anblick nicht losreißen und als sie ihm Mistreß Damby als ihre Enkelin, Siona, vorstellte, erschien ihm die Matrone auf einmal so liebenswürdig, daß er nicht Worte genug finden konnte, ihr seine Verehrung und Dankbarkeit auszudrücken. Die Matrone, nur mit ihrer Enkelin beschäftigt, überhörte seine extasischen Versicherungen.

»Ich bin wol lange ausgeblieben?« fragte sie.

»Für meine Sehnsucht ja, Mütterchen,« entgegnete Siona, mit einem flüchtigen Blicke den Fremdling streifend, und ihr erröthendes Gesicht an dem Busen der Mistreß verbergend.

»Und wo ist die Lady?« forschte diese weiter, während eine Magd den Tisch deckte und Anstalten zu einem Abendessen traf.

»Arabella, Großmutter?«

»Ja, mein Kind.«

»Sie ist Nachmittag ausgeritten und vor einer Stunde ließ sie sich durch Tom auf die See hinausfahren; ich wollte nicht mit, da ich Dich erwartete.«

Mistreß Damby küßte sie auf die Stirn und nöthigte ihren Gast zum Sitzen. Sie schien im Kreise ihrer Häuslichkeit völlig verändert, wenigstens glaubte es Richard zu bemerken, der das Mißgeschick zu segnen anfing, das ihn hierher geführt hatte. In der That war die alte Frau viel redseliger und freundlicher, als während der Fahrt; sie wußte tausend Dinge zu erzählen, die an sich unbedeutend, dadurch Werth erhielten, daß aus ihnen eine große Menschenkenntniß und hauptsächlich eine aufopfernde Liebe zu ihrer Enkelin sprach; eine vollkommene Harmonie herrschte zwischen dieser und ihr.

Richard, der früh das Haus seiner Eltern verlassen und nach ihrem Tode Italien und Deutschland bereist hatte, kannte das Glück der Häuslichkeit nicht; er stand allein in der Welt, ohne Freunde, ohne zärtlichen Anhang. Schwankend in Allem, war er es auch in der Wahl seines Umgangs und die Flüchtigkeit seines Wesens, zu der sich noch ein Grad von Mißtrauen gesellte, zerstörte von vornherein jedes engere Band. Er machte sorgfältige Pläne zu einer nützlichen und geregelten Lebensweise, verwarf sie aber, sobald sich der Ausführung unerwartete Hindernisse in den Weg stellten; der Zufall bestimmte seine Handlungen. Sein bedeutendes Vermögen hatte ihn vor Entbehrungen geschützt, deren fühlbarer Druck ihn vielleicht zu Vergehungen verleitet haben würde, welche die Welt verurtheilt; er war zum Guten gleich fähig wie zum Bösen.

In diesem traulichen stillen Kreise fühlte er sich seit langer Zeit zum ersten Male gehobener, wahrhaft zufrieden und glücklich. –

 

Die Tafel nahte sich ihrem Ende, als die Thür geöffnet wurde und eine Dame von hoher schlanker Gestalt ins Zimmer trat. Sie war in schwarze Seide gekleidet, und nicht mehr in der ersten Blüthe der Jugend, aber die scharf ausgeprägten, geistig belebten Züge, die durchsichtige blendend weiße Gesichtsfarbe, das sprühende dunkle Auge und das noch dunklere Haar machten sie zu einer Erscheinung, die keine Nebenbuhlerin zu fürchten hatte, die jedem Salon zur Zierde gereichen würde. Mit Verwunderung, doch ohne Verlegenheit betrachtete sie Richard, der sich von seinem Stuhle erhob und achtungsvoll verbeugte. Einen fragenden Blick, den sie auf Siona und Mistreß Damby richtete, beantwortete er selbst, indem er sich ihr unter seinem Namen vorstellte. Dadurch aufmerksam gemacht, nannte ihm die Matrone die Gräfin Arabella von Wallamoor. –

Nachdem die erste Befangenheit, die sich an eine neue Bekanntschaft knüpft, vorüber war, nahm Arabella an der Unterhaltung ungezwungenen Antheil. Siona wagte nur hie und da eine schüchterne Bemerkung und auch Richard wurde bald still und schweigsam; das Bild ihm gegenüber fesselte ihn so sehr, daß er sich selbst vergaß und in Träumereien versank. –

Es war in der That ein reizender Anblick! Arabella, an der Seite Siona's sitzend, hielt diese mit schwesterlicher Vertraulichkeit umschlungen; verschieden in allem, in Kleidung, Gestalt und Formen, waren sie doch wieder eng vereinigt durch das verwandtschaftliche Band einer seltenen Schönheit. Glich Arabella einer von den Frauen, die man sich nicht ohne eine prächtige Umgebung denken kann; vielleicht einer Purpurrose, die, nicht in jedem Garten heimisch, durch ihre glühende Farbe alle andern Blumen überstrahlt, und Staunen und Bewunderung erregt; so glich Siona dagegen einem Muttergottesbilde, das, umrankt und geschmückt mit einer Fülle herrlicher Blumen, durch den frommen milden Ausdruck seiner Züge sogleich die erste Aufmerksamkeit auf sich lenkt und sie bleibend fesselt. –

Es war ziemlich spät geworden, als sich Richard den Frauen empfahl und in sein Zimmer begab. Er konnte lange nicht einschlafen; bald umgaukelten ihn die lieblichen Mädchengestalten, bald quälte er sich mit Vermuthungen über das Benehmen der Mistreß Damby ab. Während des Abendessens hatte sie kein Wort von seinen Verhältnissen fallen lassen, die sie doch genau zu kennen schien; und daß sein Aufenthalt auf dem Schlosse von keiner langen Dauer sein könne, verschwieg er sich ebenfalls nicht, zitterte aber davor, da sich in seine Gedanken das Bild Siona's mischte. Mit einem leisen Gruß an sie, schlief er endlich ein. –

 

Am andern Morgen machte er der Lady seine Aufwartung. Sie empfing ihn, grade in einem Gespräch mit Mistreß Damby begriffen, in einem mit ausgesuchter Eleganz ausgestatteten Zimmer. Sogleich rief sie ihm zu:

»Gut, daß Sie kommen, Sir, wir sprechen von Ihnen!« –

»Und darf ich fragen, was, Lady?«

»Sie haben sich eines großen Vergehens schuldig gemacht; es wird Mühe kosten, es auszugleichen.«

»Lady, meine Absicht war, mich nach der Clew Bay zu begeben, wo mich das Schiff eines Freundes erwartet, das mich nach Frankreich bringen soll.«

»Sie sind an der Clew Bay.«

»Ich bin es?«

»Ja, jedoch die Regierung sandte mir vor einigen Tagen den Befehl, jede Landung zu verhüten; sie muß von Ihrem Vorhaben Kenntniß haben.«

»Also bin ich hier ein Gefangener?«

Richard, mit einem Blicke auf Mistreß Damby, trat zurück.

»Wenn Sie sich als solchen betrachten wollen, allerdings,« entgegnete lächelnd die Lady, »doch Sie sind ein Mann, das Schloß ist nur von Frauen und meinen Leuten bewohnt, und daß Sie sich mit diesen herumschlagen sollen, kann ich von einem Gentleman nicht fordern.« –

Es lag in den Worten eine kleine Bosheit, die Richard sogleich herausfühlte; er entgegnete etwas gereizt:

»Meine That ist eine beklagenswerthe; da ich nicht verlangen kann, daß sie von Ihnen, Lady, entschuldigt werde, nimmt es mich nur Wunder, wie Mistreß Damby es auf sich nehmen konnte, mich in Ihr Haus einzuführen.« –

Etwas ernster erwiderte die Lady:

»Dieses Schloß besitzt ein altes Asylrecht, und nach der Schlacht bei Azincourt ertheilte König Heinrich V. der Familie Wallamoor für ewige Zeiten die Berechtigung, bei jedem neuen Regierungswechsel am Throne ein Gesuch niederlegen zu dürfen, das ihr nicht verweigert werden darf; Mistreß Damby weiß das und wol nur aus diesem Grunde und im Vertrauen auf mein mildes Herz verschaffte sie mir die Ehre Ihrer Bekanntschaft.«

Richard küßte ihr beschämt die Hand und wandte sich zu der Mistreß, die ihn mit ihren kleinen grauen Augen starr betrachtete, als wollte sie in das Innerste seines Herzens dringen, mit der Frage:

»Welcher Ursache verdank' ich es, Madam, daß Sie mir Ihre Theilnahme schenken?«

Die Matrone, dicht in einen Shawl gehüllt und in einer Sophaecke sitzend, entgegnete in ihrer gewöhnlichen herben Weise:

»Sie haben kein Vergehen begangen, sondern ein Verbrechen; ich kann darüber nicht so nachsichtig urtheilen, wie die Lady. Wie war doch der Vorfall?«

»Wie war er?« rief Richard grollend aus – »Sie wissen so viel, daß ich wol nicht nöthig habe, Ihnen mehr zu sagen.«

»Nein!« erwiderte die Matrone aufstehend, im strengen Ton und ihm näher tretend, »denn der Dr. Clarington in Dublin, der an seinen Wunden schwer darniederliegt, ist mein Bruder.«

Erschrocken blickte Richard auf und ein schreckliches Licht begann in ihm aufzudämmern. »Wie, wenn die Handlungsweise der alten Frau nur ein Fallstrick, um dich desto gewisser zu verderben, wenn alles Maske wäre?« Diese Gedanken stiegen blitzschnell in ihm auf. Auffahrend, eine stolze Antwort auf den Lippen, wandte er sich um, doch Mistreß Damby hatte bereits das Zimmer verlassen und sein Auge begegnete nur den Arabella's.

»Lady,« rief er stürmisch, »ich bin kein Verbrecher! Mein heißes Blut trägt die Schuld, wenn ich zum Mörder wurde!«

»Warum entziehen Sie sich bei dieser Ueberzeugung den Händen der Justiz?« entgegnete die Lady, ohne das Auge von ihm abzuwenden.

»Weil ich mich nicht langsam hinmartern lassen will durch Verhöre, Verhandlungen und jahrelanges Gefängniß, weil ich nicht Willens bin, meine Jugend in Ketten zu vertrauern.«

»Also diese verdienen Sie doch?«

»Ich weiß es nicht, Lady! Dr. Clarington hat mich beleidigt, er hat meine Ehre angegriffen, als ich mich den Wählern von Charlestown vorstellte; ich konnte nicht anders handeln, nachdem er mir jede Genugthuung verweigert hatte.«

»Ihm aber wie ein Strauchdieb aufzupassen, wie ein Highwayman, verkappt bis an die Zähne, schwarz maskirt, ihn so zu überfallen – ich weiß nicht, ob das zu Ihrer Rechtfertigung beitragen kann.«

»Er reiste in Begleitung, ich war allein,« erwiderte Richard aufgeregter, »ich wollte ihn aus der Mitte herausnehmen und zum Duell zwingen; als ich mich ihm näherte, fiel mir unglücklicher Weise die Maske vom Gesicht, er erkannte mich und rief mir höhnend zu: ›Sind Sie ein zweiter Rob Robin geworden, Sir Richard Rudy?‹ Der Hohn in seiner Stimme, der Name des berüchtigten Freibeuters reizten meine Wuth, ich riß ein Pistol aus dem Gurt und schoß ihn nieder.«

»Und weiter?«

»Ich trieb mich eine Zeitlang in der Provinz Connaught herum, besuchte einige Freunde, wollte durch diese mein Vermögen aus der Dubliner Bank erheben lassen und, wie gesagt, mich zu Schiff nach Frankreich begeben. Von königlichen Landreitern verfolgt, suchte ich den Weg nach der Clew Bay zu gewinnen, das Uebrige wissen Sie!«

Richard, endend, heftete einen halb fragenden, halb bittenden Blick auf Arabella, die mit einer Blumenvase tändelnd, erst nach einer längeren Pause entgegnete:

»Auf Ihrem Vergehen steht der Tod durch den Strang.«

Richard erbebend, senkte den Blick zu Boden. Es war ihm schmerzlich, bei der Lady so wenig Theilnahme zu finden; er bereute immer lebhafter den Augenblick, da er sich durch Mistreß Damby bestimmen ließ, ihr zu folgen, doch der Gedanke an Siona stimmte ihn wieder heiterer und mit mehr Ruhe wandte er sich an Arabella:

»Sie haben mir ein Asyl gewährt, Lady, wofür ich Ihnen innig danke, aber fern sei es mir, Ihnen durch meine längere Anwesenheit Unannehmlichkeiten zu bereiten, die unvermeidlich sind; ich verlasse dieses Schloß.« –

»Um ins Gefängniß zu wandern, dem Tode sicher entgegen zu gehen« – fiel Arabella ein, »nein, nein, das darf ich schon der Mistreß Damby zu Liebe nicht thun.«

»Können Sie mir vielleicht sagen, wodurch ich das Interesse dieser Frau erregt habe? Unmöglich kann ich glauben, daß ihre freundliche Rücksicht nur eine Maske sei, um mich desto sicherer zu verderben.«

»Ich habe keinen Grund, Sir, das Letztere anzunehmen, wenn ich auch unbeachtet lassen will, daß es nur mir zusteht, Sie der gerichtlichen Behörde auszuliefern oder nicht. Mistreß Damby ist seit vielen Jahren Verwalterin dieses Schlosses, sie war es schon lange vor dem Tode meines Gemahls, und muß –«

»Ihres Gemahls?« unterbrach sie Richard.

»Ganz recht; ich bin nach einer kurzen Ehe seit zwei Jahren Wittwe.«

»Also, Mistreß Damby?« – lenkte der Sir wieder ein, da es ihm schien, als wolle die Lady weitere Erörterungen vermeiden.

»Muß,« fuhr diese auch sogleich fort, »Ihr Haus von früherher kennen, da sie mir erzählte, sie habe an dem Geschirr Ihres todten Pferdes das Wappen Ihrer Familie erkannt.«

Richard konnte sich jetzt das Benehmen der Matrone damals im Walde erklären, deshalb immer nicht den Grund ihrer Theilnahme für ihn. Einige wiederholte Anfragen in dieser Beziehung beantwortete Arabella verneinend. Als er, im Begriff sich zu entfernen, ihr nochmals seinen lebhaftesten Dank aussprach, entgegnete sie:

»Ich habe noch nichts gethan, wofür ich Ihren Dank verdiente; die Gastfreundschaft ist Pflicht und Vergnügen. Sie werden sich an ein einsames Leben gewöhnen müssen. Ist es Ihnen Recht, so reiten wir zusammen aus, arrangiren eine kleine Wasserparthie, oder etwas Aehnliches.«

»Nimmt Siona daran Theil?« fragte er lebhaft.

Mit einem leisen Schrei der Ueberraschung entzog sie ihm die dargebotene Hand, während ein eigenthümliches Lächeln um ihre Lippen spielte.

»Hat meine Freundin so schnell Ihr höchstes Interesse erregt?« fragte sie in anscheinend gleichgültigem Ton, der indeß einem scharfen Beobachter ein leises Vibriren verrathen hätte.

Flüchtig erröthend erwiderte Richard ausweichend und sich verabschiedend:

»Lady, ich habe keinen höheren Wunsch als den, immer in Ihrer Nähe zu sein.«

 

Arabella verfolgte ihn mit ihren Blicken bis er aus der Thüre verschwand, worauf sie unruhig bald im Zimmer auf und nieder ging, bald stehen blieb, oder sich in einen Sessel warf. Ein Gedanke folterte sie, der aus einem Fehler entsprang, der sie in diesem Augenblicke vollständig bemeisterte. Arabella hatte neben vielen vortrefflichen Eigenschaften die schlimme mit fast allen Frauen gemein, daß sie keine Nebenbuhlerin vertragen konnte, allein gehuldigt sein wollte, ohne deshalb am öftersten mehr zu fühlen, als die Befriedigung ihrer Eitelkeit. Dieser Fehler, der bei der übrigen Leidenschaftlichkeit ihres Charakters gleichfalls sehr stark ausgeprägt war, wurde für sie eine Quelle von Unruhe und Unzufriedenheit, die sie selten verließen. –

Aus unerklärlichem Widerspruch, der jedoch bei weiblichen Naturen sehr häufig anzutreffen ist, liebte sie es dann wieder, sich zu eigener Selbstqual an eine Freundin anzuschließen, die ihr gefährlich sein konnte; vielleicht, um ihre Gewalt zu erproben und zu stärken, oder – durch Geist und Liebenswürdigkeit die Nebenbuhlerin in den Schatten zu stellen.

So war es in den aristokratischen Salons von Dublin und London, so auf ihren Reisen vor und während ihrer Vermählung, die mehr aus Familienrücksichten, als aus großer Neigung geschlossen worden war. –

Nach dem Tode ihres Gemahls machte die Gräfin die unangenehme Entdeckung, daß sein hinterlassenes Vermögen keineswegs hinreiche, um das gewohnte Leben in den exklusiven Kreisen der Welthauptstadt fortsetzen zu können, sie beschloß deshalb aus ehrenhaftem Stolz sich auf ihre Güter in Irland zurückzuziehen. Schloß Wallamoor mit seiner einsamen Lage, am Strande des Meeres, fern von dem Geräusche der Welt, übte im Anfang einen wohlthätigen Einfluß auf ihren unruhigen Geist, doch nach und nach erlahmte sie unter der Einförmigkeit der Tage und die Sehnsucht fing an, sie mit verlockenden Bildern zu umgaukeln. Ihr Herz, das mit ganzer Seele an Siona hing, war dennoch nie ganz befriedigt und der vertraute Umgang mit Mistreß Damby, deren große Herrschaft auf dem Schlosse, die ihr von dem verstorbenen Lord eingeräumt worden war, sie noch vergrößerte, entsprang mehr aus vornehmer Gleichgültigkeit gegen materielle Interessen, als aus unbedingtem Vertrauen und aufrichtiger Hingebung.

Das plötzliche Erscheinen Richard's warf einen Funken von gefährlicher Tragweite in ihre Träume. Er war ein Mann von vollendeter Gestalt und Bildung und – ein Flüchtling! Das weibliche Herz sieht in einem solchen, der noch dazu von dem äußern Stempel aller Vorzüge unterstützt wird, fast immer nur einen Unglücklichen, der ein Recht auf Theilnahme hat. Die Motive der Flucht, die That selbst bleiben gleichgültig, nur die sich daran knüpfende Gefahr verringert oder erhöht das Interesse, und der innere Mensch kommt selten oder nie in Frage. –

Sein Benehmen am gestrigen Abende, an dem er kein Auge von Siona wandte, hatte sie gereizt, durch die Unterhaltung am folgenden Tage vergrößerte sich ihre Empfindlichkeit. Sie verhehlte sich nicht, daß Siona einen lebhaften Eindruck auf Richard gemacht habe und diese Erkenntniß stachelte sie zu einem Widerstande auf, der für sie zur Folter, für einen Theil verderblich werden mußte. Sie vermied mit Mistreß Damby zusammenzutreffen und nur dann suchte sie sie auf, wenn sie wußte, daß sie Richard, den sie alsdann mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln des Geistes und der Schönheit herausforderte, bei ihr finden würde. Die Herzlichkeit für Siona wich nach und nach einer kalten Höflichkeit und binnen vierzehn Tagen war die Eintracht eines glücklichen Familienlebens zerstört. –

Mistreß Damby bemerkte die Veränderung an der Lady zuerst und machte ihr darüber einige leise Vorwürfe. Mit Bitterkeit entgegnete Arabella:

»Ich muß Ihnen nochmals danken, Madam, für das Vergnügen, das Sie mir durch die Ankunft Sir Richard's bereitet haben. Ich bin seinetwegen mit der Regierung in einen Rechtsstreit verwickelt, tagtäglich kommen und gehen Boten von und nach Dublin, Verdrießlichkeiten aller Art stehen mir bevor, ohne daß sich der junge Herr im geringsten darum bekümmerte. Handelte es sich nicht um das Asylrecht dieses Schlosses, das man antasten will, wahrhaftig, Madam, ich würde Sie bitten, mich je eher je lieber von dem lästigen Besuche zu befreien.« –

Mistreß Damby war eine zu kluge Frau, als daß sie nicht längst die finstere Quelle ihres Unmuths entdeckt hätte. Die Vorwürfe der Lady waren gesucht und ungerecht, denn nur zwei Mal war von der Regierung eine Anfrage in Betreff Sir Richard's aufs Schloß gelangt, und sie kannte die Gefahr Englands und Irlands zu genau, als daß sie nicht hätte wissen sollen, daß an ihnen kein Buchstabe verletzt werden dürfe. Dennoch war sie überrascht, als die Lady fortfuhr:

»Der junge Herr scheint die Gefahr, der er durchaus noch nicht entgangen ist, ganz und gar vergessen zu haben, er verfolgt Siona wie ihr Schatten, er hat nur Aug' und Ohr für sie – er liebt!«

»Liebt?« wiederholte die Matrone aufhorchend und gespannter.

»Ja, Madam, und auch Siona läßt sich von seinem gefälligen Aeußern und seinen Schmeichelreden bethören, sie flüstern miteinander, halten heimliche Zusammenkünfte, verrathen ihr Einverständniß jeden Augenblick. Ich sage Ihnen das, weil Sie eine alte schwache Frau sind, von der das Pärchen recht gut weiß, daß Sie Ihr Augenlicht fast verloren haben und deren Nähe man nicht zu fürchten hat.«

Die Matrone war von dem Unerwarteten so betroffen, daß sie lange Zeit nicht antworten konnte. Hatte sie auch an die Möglichkeit einer Liebe zwischen Richard und ihrer Tochter gedacht, so beruhigte sie doch der Gedanke, daß Siona vor ihr kein Geheimniß haben würde, daß sie ihr bis jetzt nicht den geringsten Umstand verschwiegen hatte. Die gute Matrone vergaß so ganz die Vergangenheit, die Zeit ihrer Liebe! Keimt diese nicht leise, unbewußt, unklar empor, namentlich in schüchterm Gemüthe wie das Siona's? Lernen sie nicht an Liebe dann erst glauben, wenn die Flammen mächtiger aufzucken, wenn das verzehrende Feuer der Leidenschaft um ihr Herz lodert? Die erste Liebe kennt nur Glück und schützt sich, ahnt es Verderben, an der Brust des Geliebten; die Vernunft ist der Schutz der Erfahrung und der reifern Jahre. Die erste Liebe hat keine Vertraute, die Oeffentlichkeit ist eine Entheiligung ihrer Gefühle; Blumen und die Einsamkeit sind ihre Lieblinge ...

Arabella, ohne die Erregung der Matrone weiter zu beachten, fuhr fort:

»Weshalb, Madam, nehmen Sie ein großes Interesse an Sir Richard? Ich kann doch nicht glauben, daß das bloße Mitleid Sie zu dieser Handlungsweise bestimmt?«

Mistreß Damby schwieg und schien die Frage überhört zu haben; die Lady mußte sie wiederholen, worauf jene entgegnete:

»Die Familie der Barone Rudy ist mir von London aus bekannt.«

»Nun, Madam?«

»Die Mutter Sir Richard's nahm mich, das einzige Kind eines in Armuth verstorbenen Advokaten, mit dem ihr Gemahl in Geschäftsverbindungen gestanden hatte, als Gesellschafterin in ihr Haus.«

Die Erinnerung an die Vergangenheit mußte für sie peinlich sein, denn sie schwieg abermals und fuhr erst auf die wiederholte Aufforderung Arabella's fort:

»Lady, ich war jung, unerfahren und, man sagte, schön. Sir Lionel Rudy, der Vater Richard's erklärte mir seine Liebe und ich war schwach genug, sie zu erwiedern. Seine Gemahlin war sanft und mild, immer gütig gegen mich, dennoch glaubte ich nur den Worten des Geliebten, der mir hundert Mal die Versicherung gab, daß er unglücklich sei, daß ihn die Last einer verhaßten Ehe erdrücke. Lionel hatte nur ein Spiel mit mir getrieben, wie mit vielen Andern. Der Verlauf meiner Geschichte ist der gewöhnliche; endlich wurden mir die Augen, ehe es ganz zu spät war, geöffnet. Mit gebrochenem Herzen warf ich mich der Lady zu Füßen und flehte um Vergebung. Kein Wort des Vorwurfs entfloh ihrem Munde. Sie empfahl mich dem Vater ihres späteren Gemahls, Lady, als Verwalterin und so kam ich nach Schloß Wallamoor, wo ich, wie Sie wissen, die Bekanntschaft des Master Damby machte, den ich später heirathete. Wenn ich mich des Sir Richard annehme, so bezahle ich nur einen kleinen Theil meiner Schuld gegen seine Mutter.«

Die Worte der Matrone blieben nicht ohne Eindruck auf Arabella; mit der alten Herzlichkeit drückte sie ihr die Hand, zog sie neben sich auf das Sopha und sagte leise:

»Warum mußte er kommen und unser schönes Einverständniß zerstören!«

»Sie lieben ihn?« fragte Mistreß Damby forschend und gedankenvoll.

»Ich weiß es nicht,« entgegnete die Lady zögernd, »oft vermiss' ich ihn, oft nicht. Zuweilen ist es mir, als sollte ich die ganze Welt durchfliegen, um etwas Unerklärbares, Unnennbares aufzusuchen, eine Unruhe ergreift mich, die mich aus einem Zimmer in das andere treibt, von da hinaus in Feld und Flur, eine Beklemmung lastet auf meinem Herzen, die ich vergebens abzuschütteln suche; ich besteige ein Pferd und jage hinaus in den Wald, aber nicht Wind und Wetter, nicht lachendes Grün und Sonnenschein beruhigen den Sturm in meinem Innern. Ich besteige ein Boot und fahre hinaus auf das wilde Meer, fahre mitten durch die Brandung, da wo sich die Wellen an den Klippen brechen, aber nicht Wogen und Schaum, nicht die gewaltige Sprache der grollenden See kühlen und besänftigen die Gluth meiner Wangen. Ich komme zurück, da sah' ich ihn, mein Blut stockt ... einen Sekundenschlag und – mächtiger schlagen die Pulse, wilder rollt das Blut, heißer brennt es in den Adern. Er geht, geht, ohne mehr als den gewöhnlichen Gruß an mich zu richten – und ich lerne ihn hassen. Ich möchte ihm nacheilen, die Hand auf seine Schulter legen und Aug' in Aug' ihn vor mir zusammenbrechen sehen; ich glaube, der Haß hat sich bei mir mit der Liebe eingestellt und beide sind gleich stark.«

»Der Haß gilt Siona.«

Die Matrone sprach die Worte kalt, ohne Nachdruck; die Lady fühlte recht gut die Wahrheit und den Vorwurf derselben. Sie sprang auf, ging einige Mal durchs Zimmer und blieb wieder vor Mistreß Damby stehen:

»Wir haben glückliche Stunden miteinander verlebt, sie haben ein Ende genommen, oder werden es. Sie waren mir eine mütterliche Freundin, Siona eine Schwester und so stark ist die Liebe zu mir, ich weiß es, daß ich auch jetzt darauf rechnen kann, in dem Augenblicke, da ich sie aufgeben muß.«

»Aufgeben muß, Lady!«

»Ja, Madam; zwischen uns ist das Band der Eintracht für immer zerrissen. Was hülfe es uns, wollten wir uns länger über die Verhältnisse täuschen.«

Mistreß Damby stand auf, ergriff Arabella's Hand und sprach mit zitternder Stimme:

»Ich bin eine alte Frau, Lady, die den größten Theil ihrer Jahre hinter sich hat und muß die Hoffnung aufgeben, den Rest friedlich zu verleben. Ich habe Ihnen sehr viel zu danken, meine Tochter jedoch steht mir näher; nicht wahr, Sie zürnen mir deshalb nicht? Auch Sie liebte ich wie mein Kind, aber ich habe kein Recht Sie zurückzuhalten, wenn Sie sich von einem mütterlichen Herzen losreißen wollen.«

Arabella von den einfachen Worten ergriffen, drückte ihr leise die Hand, erwiderte aber nichts und sie, die langsam zur Thür hinausging, eilte an ihr vorbei in den Schloßgarten. Sie durchschritt hastig einige Gänge und setzte sich auf eine von Fliedergebüsch und hohen Bäumen umschattete Bank, die den freien Anblick auf den Ozean gewährte.

 

Es war gegen Abend, die Sonne fast im Verscheiden. Eine tiefe Ruhe lag über Land und Meer, selbst der Gesang der Vögel war verstummt, und nur am Fuße des Felsens, auf dem das alte graue Schloß stand, kräuselten sich kleine Wellen, um murmelnd in den großen Schooß des Wassers zurückzufahren. Die hohen Bäume senkten ihre Zweige und standen lautlos, als lauschten sie hinüber auf die unendliche See, die erröthend in den letzten Strahlen der Sonne, leise ihren Spiegel erhob und einen letzten Lufthauch zurücksandte, der von Blüthen und Laub rauschend empfangen wurde.

Auf Arabella machte die tiefe feierliche Stille keinen Eindruck; zu sehr mit eigenen Gedanken beschäftigt, hatte sie kein Verständniß für die lautlose und doch so beredte Sprache der Natur.

Das Haupt in die Hand gestützt, mit Bildern der Vergangenheit und Gegenwart beschäftigt, machte sie die erschreckende Entdeckung, daß sie keine Beleidigung, keine Verletzung ihres Herzens verzeihen könne, daß sie Richard liebe und jeden Widerstand, der sich zwischen sie und ihn stellen würde, mit dem äußersten Mittel zu bekämpfen im Stande sei. Ihre Einbildung führte sie noch weiter und flüsterte ihr ins Ohr, daß ein so weiches mildes Wesen wie Siona, einem Manne wie Richard, der schwankend in allen Entschlüssen, heute mit starker Hast das ergriff, was er morgen gleichgültig fallen ließ, auf die Dauer nicht genügen könne, daß ein größeres Entgegenkommen ihrerseits ihn bald umstimmen müßte. Zu all' diesen Gedanken traten noch die verführerischen Bilder einer beglückten Liebe. Sie sah sich im Arme des Geliebten, sein Kuß brannte auf ihren Lippen ... sie sprang auf und verbarg ihr glühendes Gesicht in den Händen ...

Ein Geräusch schreckte sie empor ... Sie lauschte gespannt und immer gespannter ... sie hörte flüsternde Stimmen. Rasch und leise bog sie die Zweige auseinander ... mit einem unterdrückten Schrei zog sie sich zurück ... In dem Dunkel einer Laube, nur einige Schritte von ihr entfernt, saßen Richard und Siona, Arm in Arm im leisen Gespräch ...

Gefoltert von Eifersucht und Leidenschaft blickte sie wieder und wieder hin, immer tiefer drang das Gift der Verzweiflung in ihre Adern, der letzte Funke von Liebe zu Siona entfloh aus ihrer Brust und langsam stieg der Haß in ihr empor, der Haß einer glühenden Seele ...

Noch zitternd vor Erregung eilte sie in ihr Zimmer zurück und befahl einem Diener Sir Richard zu ihr zu bitten. Eine Stunde verging, ehe er kam. Mit kalter mühsam erzwungener Höflichkeit ging sie ihm entgegen.

»Sir,« sprach sie, »es thut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß ich Ihnen keinen länger n Schuh gewähren kann.«

»Gräfin?!«

»Ich kann es nicht mehr.«

»Und warum?«

»Die Regierung hat mir diesen Wunsch zu erkennen gegeben.«

»Und aus diesem Grunde? Gräfin, Sie haben ein zu edles Herz, als daß Sie darauf das geringste Gewicht legen sollten. Ich habe einen Mord begangen, der von den Richtern verdammt werden muß, das ist wahr, aber die Meinung der Welt wird mich entschuldigen. Sir Clarington hat mir öffentlich meine Jugend, meine Unwissenheit, mein wüstes Treiben, wie er sich ausdrückte, vorgeworfen, als ich mich in das Parlament wählen lassen wollte. Er ist todt oder vielleicht genesen, ich mache mir diese Handlung nicht zum Vorwurf, nachdem er mir jede andere Genugthuung verweigert hatte. Lady, ich habe Sie immer großmüthig schildern hören, Sie selbst so gefunden und rechnete auf etwas anderes, als meine Verbannung aus Ihrer Nähe, was eben so viel heißen würde, als dem Tode entgegen gehen. Königin Victoria hat den Thron bestiegen, Sie können an diese fürstliche Frau ein Gesuch richten, das Ihnen nicht abgeschlagen werden darf; vergeben Sie, wenn ich mir einen Augenblick schmeichelte, Sie würden ein solches zu meinen Gunsten einreichen.«

»Sie rechnen, Sir, auf meine Großmuth zu sehr und verdienen Sie doch nicht.«

»Wie das, Gräfin? Hat mein Betragen diesen Vorwurf wirklich verdient?«

»Ja!« fuhr die Gräfin rasch heraus.

»Und darf ich wissen, wodurch?«

Nicht mehr Herrin ihrer Gefühle, mit aus Leidenschaft heftig zitternder Stimme entgegnete die Lady:

»Sie haben die Rechte der Gastfreundschaft gemißbraucht, haben den Frieden glücklicher Menschen gestört. Sie kamen hier an als ein Flüchtling, ein Geächteter und vergaßen denselben Tag noch den Dank für die Wohlthat, die man Ihnen durch Ihre Aufnahme erwies. Ohne Ihre gefährliche Lage zu bedenken, rauben Sie gewissenlos das letzte Herz einer Matrone, die nichts Anderes mehr auf der Welt hofft und erwartet. Siona –«

Bei diesem Namen stockte und kam sie zur Besinnung; mit einem Schrei und das Antlitz verhüllend sank sie in einen Stuhl und ihre gepreßte Brust machte sich in einem Strom von Thränen Luft ...

Sprachlos vor Erstaunen hatte ihr Richard zugehört, er stand rathlos und unschlüssig, was er thun und antworten sollte. Plötzlich durchzuckte ihn ein Gedanke ... er wollte ihn verbannen., umsonst ... immer kehrte er zurück und immer deutlicher, bestimmter. »Siona!« der Name machte ihm Alles klar und deutlich. Arabella liebte ihn, er konnte keinen Zweifel mehr darüber haben. Diese Gewißheit wurde ihm zur Folter. Er sah einen Abgrund zu seinen Füßen, den er nie geahnt hatte. Nach dem, was er von Arabella gehört und gesehen, mußte er sich gestehen, daß ihre Leidenschaft jedes andere Gefühl unterdrückt und vernichtet hatte. Er hatte keinen Beistand mehr von ihr zu erwarten und war verloren, wenn er das Verhältniß zu Siona nicht aufgäbe. Bei diesem Gedanken bebte er zurück, als ihm aber auf der andern Seite die Gefahr des Todes immer klarer vor den Augen schwebte, gewann die Lust nach Freiheit und zum Leben die Oberhand, und das Bild Siona's trat immer mehr in den Hintergrund ...

Unschlüssig blickte er auf Arabella und neue Gedanken stiegen in ihm auf. Ihre Gestalt war ihm nie verführerischer erschienen, als jetzt, wo sie hingegeben dem Schmerze, jeden Zwang vergaß. Unwillkührlich stellte er Vergleichungen zwischen ihr und Siona an, und seine überwiegend sinnliche Natur neigte sich in diesem Augenblicke zum Vortheile Arabella's. Dort sollte er erst erringen und durch wie viele mißliche Umstände! was er hier nur zu fordern brauchte, um es gewährt zu sehen. Die gänzliche Umgestaltung seiner Verhältnisse durch sie, ersetzte in seiner Schale der Ueberlegung das fehlende Gewicht und jetzt ein Blick aus dem thänenumflorten Auge Arabella's rief noch sein Mitleid an ... er sank vor ihr auf die Kniee, preßte ihre Hand an die Lippen und rief flehend:

»Arabella!«

Sie zuckte zusammen, von ihren Lippen entfloh ein Lächeln, leise, schüchtern wie ein Sonnenblick aus Gewitterwolken, um sogleich wieder zu verschwinden. Als er aber kühner geworden, jetzt einen Kuß auf ihre Lippen drückte, drang die Seligkeit, die heiße Wonne eines ungekannten Glücks aus den Thränen-Schauern hervor und innig, hingebend, Alles vergessend, erwiederte sie seinen Kuß ...

 

Mehrere Tage waren verflossen. Richard irrte umher, ohne Ruhe zu finden, nirgends konnte er sich von Angst und Befürchtung befreien; der innere Feind ließ sich nicht verscheuchen. Siona und Mistreß Damby hatte er seit jener verhängnißvollen Begegnung mit Arabella vermieden, aber das Bild der ersteren stand nie lebhafter vor ihm, als eben jetzt, wo er sie für immer verlieren sollte. Dachte er an ihre vertrauensvolle Hingebung, an ihr edles weiches Herz, so zitterte er vor den Folgen des jähen Sturmes, der sie bedrohte; und dieser war unvermeidlich.

Arabella, entschlossen zum Aeußersten und durch die Gewalt der Leidenschaft blind für alle Rücksicht, drang auf eine baldige Vermählung, und er, die Unmöglichkeit eines Widerstandes einsehend, hatte nachgegeben. Ein Gesuch um seine Begnadigung war an die Königin abgegangen und an dem Tage ihrer Begnadigung, die wie sie nicht zweifeln durfte, erfolgen würde, sollten sie verbunden werden. In ihrer Nähe, hingerissen von dem Reize der Verführungskunst, der Gluth ihrer Liebe, der Leidenschaft ihres Wesens, vergaß er wol die sanftere Siona, aber desto gewaltiger fiel in einsamen Stunden die Last seiner Schuld auf ihn.

In einem solchen Augenblicke, nicht mehr im Stande den Drang seines Herzens zu bewältigen und da er wußte, daß Arabella sich nicht im Schlosse befand, eilte er zu Mistreß Damby, die ihn ohne Zeichen der Ueberraschung empfing. Auf seine hastige Frage nach Siona verfinsterten sich ihre Züge und sie erwiderte frostig:

»Ich weiß nicht, wie meine Tochter zu der Ehre kommt, Sir, daß Sie sich nach ihr erkundigen.«

Richard fand keine Antwort und sah verlegen vor sich nieder. Auch diese Frau hatte er getäuscht und hintergangen, auch ihr das letzte Glück gestört! Dieser Gedanke machte ihn verstummen. Seine Lage war peinlich und obwol er daran dachte, der alten Frau seine Schuld reumüthig einzugestehen, ihren Rath sich zu erbitten, hielt falsche Scham ihn davon zurück. Die Matrone schien etwas der Art zu erwarten und fuhr erst nach einer Pause fort:

»Sie sind mit Lady Arabella verlobt?«

Er antwortete mit einem leisen Ja.

»Dann,« entgegnete die Matrone aufstehend, »muß ich Sie bitten, zu gehen. Was können Sie noch von einer alten Frau verlangen? Mit mir und meiner Tochter ist's doch vorbei.«

»Vorbei?« ...

Ein leises Geräusch ließ sich aus dem anstoßenden Kabinet vernehmen. Erbleichend rief er: »Siona!« und wollte auf dieselbe zu; rasch trat ihm die Matrone entgegen und, die Hand gebietend ausgestreckt, hieß sie ihn, das Zimmer zu verlassen. Er zögerte und beschwor sie, ihn noch einmal zu Siona zu führen, ihm noch einmal ihren Anblick zu vergönnen. Die Matrone verharrte in ihrer Stellung und antwortete mit gedämpfter Stimme:

»Es wäre ein Verbrechen an meiner Tochter! Sie ist krank, vielleicht, daß sie durch Ihren Anblick gerettet würde, aber auch in diesem Falle würde ich nie die Einwilligung zu einer Verbindung geben, jetzt nicht, da ich weiß, daß sie doch nicht glücklich werden könnte und früher oder später an gebrochnem Herzen sterben müßte. Sie haben Siona nie geliebt, die Selbsterhaltung ist Ihre Ehre und Liebe.«

»Nein, nein, Madam, Ihre Furcht ist Übertreibung!«

Das Rasseln eines Wagens, der die Rückkehr Arabella's verkündete, ließ sich draußen vernehmen.

»Gehn Sie,« fuhr die Matrone fort, »gehn Sie, wohin Sie die Pflicht Ihres Wortes ruft, zwischen uns ist jedes Band gelöst.«

Noch einmal wagte es Richard sie zu beschwören, er bat heiß und flehend, vergebens, die Matrone blieb unerschütterlich; verzweifelnd stürzte er fort.

 

Die Matrone sank erschöpft in die Kniee, faltete die Hände und sprach ein leises Gebet, dann trat sie in das Kabinet. Siona lag in Fieberphantasien und wilde Träume schienen sie zu beängstigen. Beim Eintritt der Mutter, die sich leise über sie beugte und mit zitternder Hand das herabgefallene Haar aus ihrer Stirne strich, schien sie sich etwas zu beruhigen und eine schwache Röthe flog über ihr bleiches Gesicht. Nach einer Weile öffnete sie die Augen, heftete sie groß auf die Mutter, als müßte sie sich auf ihren Anblick besinnen, und da diese einen leisen Ausruf des Schmerzes nicht unterdrücken konnte, erwachte sie endlich aus ihrer Betäubung. Ein leises Lächeln spielte um ihre Lippen, das sogleich auf das Antlitz der Matrone überging, die mit brechendem Herzen die Besorgniß über das Leben ihres einzigen Kindes verbergen wollte; sie hatte oft am Lager von Kranken gesessen und häufig die Bemerkung gemacht, wie diese durch den trüben Blick ihrer Umgebung noch mehr beunruhigt würden. Obwol sie sich keinen Augenblick den gefährlichen Zustand Siona's verhehlte, der wie bei allen Menschen von tiefer Empfindung doppelt groß war, so hoffte sie doch wieder auf die Stärke und Kraft ihrer Jugend. Siona war aber mild, zart und weich, ein Wesen, das Thränen für Freude und Schmerz hatte, eine zeitige Frühlingsblume, die nur in fortwährendem Sonnenschein gedeihen kann, die des Winters Rückkehr entblättert. –

Das jugendliche Haupt an das greise der Mutter gelehnt, den Arm um ihren Nacken geschlungen, fragte sie schüchtern nach Richard.

»Er war hier,« antwortete die Matrone und, von einer plötzlichen Idee ergriffen, fügte sie hinzu: »er fühlt das große Unrecht, das er an Dir und mir begangen und kam, meine Vergebung zu erbitten.«

»Unrecht, Mutter?«

»Ja, mein Kind; Du weißt, mein Bruder, der Dr. Clarington wurde meuchlings überfallen und tödtlich verwundet. Er ist zwar gerettet, doch –«

»Nun, was hat Richard mit diesem Vorfall zu thun?«

»Ich habe Dir bis jetzt verschwiegen, daß er der Mörder ist.«

»Mutter? O mein Gott!«

»Es ist so, mein Kind. Ich theile Dir das Alles mit, weil ich wünsche, daß Du Dich nach und nach an Entsagung gewöhnen möchtest. Sieh, eine Verbindung zwischen Euch ist unmöglich; die katholische Kirche, in der Du erzogen bist, würde sie nicht dulden.«

Ihre Absicht, auf das fromme Gemüth der Tochter zu wirken, war gelungen, aber in anderer Weise, als es die gute Frau vermuthete; in dem Herzen Siona's hatte noch ein leiser Strahl von Hoffnung geschlummert, der ihr die Rückkehr und Vereinigung des Geliebten verhieß, durch die Mittheilung der Mutter war auch der letzte Schimmer geschwunden, der letzte Lebensfaden gelockert, leer und öde wurde es in ihrem Innern und eine Kluft legte sich zwischen ihr Dasein, die nicht mehr auszufüllen war. Lange, lange starrte sie vor sich hin, dann erfaßte sie die Hand der Matrone und sprach mit leisem stockenden Ton:

»Ich habe ihn unendlich, unsäglich geliebt, Mutter. Ich habe nicht gefragt, wer er war, woher er kam, als er bei uns eintrat, ich liebte ihn vom ersten Blick und werde ihm treu bleiben bis zum Tod. Ich habe ihm sehr viel zu danken. Als er das erste Mal zu mir in den Garten trat, verschönerten sich alle Blumen, als würden auch sie von dem Strahl seiner Augen getroffen; die Gräser und Bäume schienen zu lauschen, als er sprach, und die Vögel schmetterten munterer und fröhlicher dazwischen; der Himmel zeigte kein Wölkchen und Sonne und Sterne lachten herunter, als hätte sie Sturm oder Nebel nie getrübt; Alles gewann durch ihn höheres Leben und frischern Reiz; so wenigstens erschien es meinen Augen. Eine Ruhe und stille Seligkeit war über mich gekommen, die ich früher nie gekannt hatte. Auch dann, als ich hörte, daß er sich von mir abwandte, verlor die Natur nichts von ihrer lockenden Anmuth, freilich schritt ich öfter darüber hin mit trübem Auge, aber ein glücklicher Gedanke an ihn belebte wieder Alles um mich her. Er liebt mich nicht mehr. Es ist traurig, das zu wissen, aber vielleicht verdiene ich auch nicht seine Liebe. Arabella ist schöner, verständiger, als ich; sie weiß zu fesseln, da ich nichts mehr zu geben habe, da ich am Rande bin mit meiner vollen Empfindung. Sie hat ein glühendes Herz, das keine Schranken kennt, und er verlangt ein solches; er hat es mir oft gesagt. Eines nur thut mir leid; Arabella kommt nicht mehr. Warum bleibt sie aus? Wir haben uns geliebt wie Schwestern, ich werde nie aufhören es zu sein. Weiß sie nicht, daß ich krank bin? O sag' es ihr Mutter, sie kommt gewiß! Ihr gutes Herz wird sich keine Stunde verleugnen und sie sagte mir einst, man könne Jemand öfter sehr wohlfeil eine Freude bereiten; sag' es ihr, daß sie kommt.«

Die Mutter versprach es unter Thränen. Die Worte ihres Kindes schnitten ihr ins Herz, während gleichzeitig ein bitteres Gefühl sich ihrer bemeisterte und ein leiser Gedanke an Rache in ihr aufstieg. Ihre Ohnmacht, zu helfen, da sie ihr letztes Kleinod zu verlieren dachte, reizte sie zu einem verzweifelten Widerstande. Sie umfaßte ihre Tochter, die tiefer in die Kissen zurückgesunken war und immer bleicher wurde, und schrie entsetzt auf:

»Stirb nicht mein Kind, sonst müssen sie auch Deine alte Mutter begraben!«

Siona versuchte zu lächeln und entgegnete, ihr die Hand reichend:

»Ich sterbe nicht, sei getrost, Mutter. Ich werde zu Gott bitten, daß er mich genesen läßt, da ich weiß, daß Du mich nicht überleben würdest. Wie vergelte ich Dir Deine Liebe! Durch Schmerz und Sorge! Aber wenn auch der Körper noch so stark ist, die Seele ist ihr ewiger Bekämpfer.«

Der eintretende Arzt unterbrach sie, als sie weiter fortfahren wollte. Da er seinen Wohnort nicht im Schlosse, sondern in der benachbarten Stadt hatte, konnte er nicht so oft herüber kommen, als es wol der Zustand Siona's erforderte und die Mutter wünschen mochte. Die Aerzte im Allgemeinen sind selten gute Rathgeber bei außergewöhnlichen Seelenzuständen; sie betrachten all' derartige Symptome als Nervenanfälle, und so werden sie auch behandelt. Der Dr. Clifford machte hiervon eine Ausnahme; sorgfältig erkundigte er sich nach Allem und da er Siona schon von früher her kannte, so nahm er die Mutter in das nächste Zimmer und fragte sie rund heraus, ob vielleicht die Liebe ihre Tochter in diesen Zustand versetzt habe.

»Das Mädel ist gesund durch und durch,« fügte er hinzu, »nur ihr Herz ist krank und das bedenklich. Ist es nicht so?«

Als ihm die Matrone den ganzen Hergang berichtete, runzelte er die Stirn, schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin:

»Hm, hm! Die Sache ist ernster, als ich glaubte. Solche Wesen, aus Aether und Duft zusammengesetzt, sterben dem Arzt unter der Hand weg. Ich hatte schon einmal eine Kranke, die am gebrochenen Herzen sterben wollte, aber sie war doch noch etwas anders, als Siona; sie ist mit meiner Hülfe und der eines jüngeren Mannes glücklich wieder genesen, aber so etwas steht bei Ihrer Tochter nicht zu erwarten; die liebt nur einmal und einen Einzigen. Ich fürchte wirklich, Mistreß –«

»Um Gotteswillen, Herr Doktor!«

»Nun, nun, wir wollen noch nicht alle Hoffnung aufgeben. Hüten Sie vor allem, daß ihr Niemand Neuigkeiten über das Verhältniß des Sir Richard und der Lady Arabella zuträgt; vermeiden Sie es überhaupt, diese Namen zu nennen. Vielleicht, daß ihre starke Natur die Krankheit dies Mal überwindet.«

Nachdem er ihr noch einige Verhaltungsbefehle gegeben, entfernte er sich mit dem Versprechen, öfter wiederzukommen. Er hielt sein Wort redlich, ohne daß sich jedoch der Zustand Siona's verbessern wollte. Tag und Nacht wachte die Mutter an ihrem Lager, sorgfältig vermied sie Alles, was den geringsten nachtheiligen Einfluß auf die Genesung haben könnte, ja, sie vernachlässigte sogar die Berufs-Geschäfte ihrer Stellung, um nur fortwährend bei ihrem Kinde sein zu können, aber für all' diese Mühseligkeiten und Entbehrungen fand sie keinen Trost, keinen Ersatz; der Zustand Siona's wurde nicht besser, ihr Aussehen immer kränker und verfallener und zuletzt mußte sie aus den Mienen des Arztes lesen, daß er von Tag zu Tag weniger Hoffnung habe.

 

In dieser Sorge und Pein, nur immer mit den Gedanken an ihr Kind beschäftigt, wurde sie eines Morgens zu Arabella, die sie seit längerer Zeit nicht gesprochen hatte, gerufen. Ihre erste Frage galt Siona.

Sie war in diesem Augenblicke wirklich aufrichtig, die alte Frau aber sah in ihrem Betragen nur einen versteckten Triumph. Sie blickte starr und kalt in das fröhliche Gesicht Arabella's, und wäre diese nicht zu lebhaft mit den Gedanken ihres bevorstehenden Glückes beschäftigt gewesen, so hätte sie wol einen Blitz aus dem Auge der Matrone bemerkt, der sie hätte erschrecken können.

Es ist etwas Gewöhnliches im Leben, daß das Uebermaß des Unglücks oft die besten Gemüther verwandelt, daß an die Stelle der Ergebung und Läuterung ein bitteres Gefühl tritt, nach und nach Groll und Haß und zuletzt ein gewisser Reiz selbst zum Verbrechen; wird dieser Reiz durch die herausfordernde Miene Glücklicher, die es nach unserer Ueberzeugung nicht verdienen, genährt und unterstützt, so wird sehr häufig der Trieb zur That ...

Arabella, von erklärlicher Unruhe bewegt, entschuldigte ihr Wegbleiben von Siona mit wenigen Worten und entgegnete auf das Befragen der Matrone, weshalb sie gerufen sei.

»Ich wollte Ihre Dienste in Anspruch nehmen, Madam, aber ich sehe, daß ich sie entbehren muß.«

»Meine Dienste?«

»Ganz recht; ich habe die Begnadigung Sir Richard's ausgewirkt. Es wird Ihnen wol kein Geheimniß sein, daß ich im Begriff bin, mich mit ihm zu vermählen?«

»Nein.«

»In Castebar, der benachbarten Stadt, ist das übliche Aufgebot bereits geschehen, alle Vorbereitungen sind so weit gediehen, daß übermorgen die Verbindung stattfinden kann. Ich habe zu diesem Behufe die Schloßkapelle herrichten lassen; es thut mir nur leid, daß ich Ihre Gegenwart dabei entbehren soll.«

»Wenn Sie befehlen, Lady,« entgegnete die Matrone frostig, »werde ich keinen Augenblick zögern, meine Pflicht zu erfüllen. Ich stehe in Ihren Diensten, ich habe zu gehorchen.«

»Nein, nein, Madam, nicht diesen Ton. Ich weiß wol, es ist etwas zwischen uns getreten, was die frühere Harmonie gestört, aber deshalb sollen Sie in Ihrem freien Willen nicht behindert werden.«

Sie schwieg und heftete einen fragenden Blick auf Siona's Mutter, gleichsam als erwartete sie ein Entgegenkommen auf das angespielte Verhältniß; als dieses nicht geschah, überschlich sie wol ein leises Gefühl des geschehnen Unrechts und mit noch größerer Zuvorkommenheit in Wort und Bewegung sprach sie: »Haben Sie irgend einen Wunsch, Madam, den ich erfüllen kann, so soll es gewiß geschehen. – Sie haben keinen?«

»Nein.«

Das frostige Benehmen fing an Arabella zu reizen; sie machte einige Schritte durch das Gemach und wollte eben eine neue Frage an Mistreß Damby richten, als Richard rasch in das Zimmer trat. Er sah bleich und verstört aus, das Glück wohnte nicht auf seinem Antlitz. Beim Anblick der Matrone zuckte er zusammen, urplötzlich fiel das volle Gewicht seiner Schuld auf ihn und unwillkührlich entschlüpfte ihm die Frage:

»Wie geht's Siona?«

Ein lautes bitteres Lachen Arabella's war die Antwort. Die Zweideutigkeit seiner Situation erkennend, nahm er schnell eine heitere Miene an, eilte auf sie zu und küßte ihr die Hand, während die Matrone, der das Gelächter der Lady tief ins Herz schnitt, Beide mit einem durchdringenden Blicke streifend, langsam das Zimmer verließ.

 

Der Tag der Vermählung war gekommen; sie sollte um die Mittagsstunde stattfinden. Bis jetzt war noch keine Kunde davon bis zum Bette der Kranken gedrungen und die Mutter schärfte es ihrer Umgebung nochmals ein, ihr davon nichts mitzutheilen, was auch Alle gelobten. Ihre Absicht ging auf Anrathen des Arztes dahin, wenn es der Zustand ihrer Tochter irgend wie erlaubte, sie in aller Stille aus dem Schlosse zu bringen und ihre vollständige Genesung in einem benachbarten Orte abzuwarten.

Das Geläut der Glocken rief die Schloßbewohner in die Kapelle. Mistreß Damby, vom Krankenbette ihrer entschlummerten Tochter kommend, stand unentschlossen, ob sie der Trauung beiwohnen sollte; ein Blick durch das Fenster auf den Platz, wo das Brautpaar vorüberkommen mußte und wo jetzt ein großes Gedränge entstand, ohne daß sie die Hauptpersonen unterscheiden konnte, brachte sie zum Entschluß; der Neugierde, ein hervorstehender Zug ihres Charakters, konnte sie nicht widerstehen. Sie rief Kathy, eine Dienerin des Hauses, und gab ihr den Auftrag, nicht aus dem Zimmer zu gehen, worauf sie sich auf den Weg machte.

Kathy, ein junges munteres Mädchen, fand an dem Posten einer Krankenpflegerin wenig Gefallen, wagte aber nicht der Matrone zu widersprechen und machte sich im Vorderzimmer zu thun, wo sie bald Jack, ihr Geliebter, aufsuchte, nachdem er Mistreß Damby hatte weggehen sehen. Mit vieler Weitschweifigkeit erzählte er von der prächtigen Kleidung der Lady, von dem stattlichen Aussehen des Bräutigams und von den Gästen, die aus der benachbarten Gegend sich eingefunden hatten. Ihre anfangs flüsternd geführte Unterhaltung wurde nach und nach lebhafter, und zuletzt, als Beide im weiteren Fluß der Rede einige zärtliche Vertraulichkeiten einfließen ließen, sehr laut und verständlich.

»Denke Dir,« rief Jack, »es giebt heute Abend auch einen Ball!« –

»Einen Ball?«

»Ja, ich mußte die Musik aus Castebar bestellen; Kathy, wir tanzen unten im Gesindezimmer, während oben die Herrschaften ihre Schuhe zerreißen! Sir Richard, der bei der Königin in sehr gutem Ansehen stehen muß, ist gänzlich begnadigt worden und hat aus Dankbarkeit für uns Dienstboten Porter und Kuchen in Menge anschaffen lassen, während seine Braut, unsere gnädige Lady uns Feierabend giebt.«

Kathy, entzückt über die fröhliche Nachricht, reichte ihm den Mund zum Kusse. Ein leises Geräusch erschreckte sie; sie wandten sich um – mit einem lauten Schrei fuhren sie auseinander. Hinter ihnen, in der Thür des Kabinets stand Siona, im bloßen Hemd, die Füße nackt, Schulter und Anne entblößt; das Gesicht entsetzlich bleich; das Haar wallte lang und verworren herab, das Auge, ohne Glanz und Ausdruck, blickte starr vor sich hin, um den Mund spielte ein Lächeln, leis', wie der Schatten der Nacht. Das Haupt hielt sie vorgebeugt, als lauschte sie, während der Körper bewegungslos blieb und die Arme schlaff herunterhingen. Kathy und Jack wagten kaum zu athmen, sie standen zitternd, rathlos, unentschlossen; eine Grabesstille herrschte im Zimmer, nichts war vernehmbar, als der Angstschlag dreier gemarterter Herzen. –

Siona mußte die Stille auffallen; sie erhob das Haupt, blickte um sich und als ihr Auge auf die beiden Diener fiel, schien sie sich auf etwas zu besinnen, sie ging langsam auf sie zu, legte die Hand auf die Achsel Jacks, der bebend am ganzen Körper sich ihr nicht zu entziehen wagte, und sprach mit leiser flüsternder Stimme:

»Warum hast Du mich an meinen Hochzeitstag erinnert? Du thatest nicht recht, man muß die Freude geheim halten; nehmen mehr als Einer daran Theil, verkehrt sie sich in Trauer. Ich habe seit langer Zeit wenig Freude gehabt, auch der Gedanke an ihn wollte erlöschen. Du sprachst vorhin von ihm; was doch nur gleich? ... Mein Gedächtniß ist schwach geworden, und doch hat mich sein Name aufgeschreckt ... ich hörte ihn deutlich von Dir, und stand auf. Ich verstand Dich recht gut und doch wurde es plötzlich so finster in mir, tiefe, dunkle Nacht ...«

»Jesus Maria, sie ist wahnsinnig!« rief Kathy mit gedämpfter zitternder Stimme aus. –

Siona horchte auf; ihr Blick fiel auf die Blumen am Fenster; sie trat näher. Wie ein Kind beschäftigte sie sich mit den Myrrhen und Rosen, die von keiner sorgsamen Hand mehr gepflegt, ein trauriges Ansehn gewährten; bald riß sie einen Zweig ab, bald warf sie ihn wieder fort. Jack, der sich endlich von seinem Schreck etwas erholte, flüsterte Kathy zu:

»Ich will sie ins Bett zurücktragen; wahrscheinlich hat sie unser Gespräch behorcht und ist deshalb aufgestanden.«

Das Mädchen nickte ihm zu, seinen Vorsatz auszuführen. Er näherte sich Siona und versuchte es, sie erst durch Güte vom Fenster zu entfernen, als ihm dies nicht gelingen wollte, faßte er sie um den Leib, doch in demselben Augenblicke kehrte der Brautzug zurück, und Siona, von dem bunten Schauspiel angelockt, suchte sich loszuringen. Verzweifelnd, von Furcht und Angst gepeinigt, rang er mit ihr, mit einem Male stieß sie ihn zurück, ihr Auge heftete starr nach unten ... sie erkannte Richard an der Seite Arabella's ... mit einem durchdringenden Schrei stürzte sie zu Boden, und gleichzeitig trat ihre Mutter ins Zimmer ...

Mit hastigen Worten suchte Kathy ihre Nachlässigkeit und den Vorfall zu entschuldigen, die Matrone hörte aber nicht; verzweifelnd warf sie sich neben Siona nieder und rief sie bei Namen; keine Antwort erfolgte. Sie legte ihr Ohr an's Herz; kein Schlag ließ sich vernehmen; sie küßte den Mund; der Athem war erloschen; sie blickte in steigender Seelenangst in das Auge; es war starr, gebrochen, todt ...

Wie jeder Mensch sich gegen einen entsetzlichen Gedanken, eine furchtbare Begebenheit mit ganzer Willenskraft sträubt, auch dann noch, wenn ihn die volle Wahrheit bewältigt, so konnte auch die Matrone an den Tod ihres einzigen Kindes nicht glauben, immer und immer wartete sie auf ein Lebenszeichen, und immer wieder sah sie sich getäuscht. Ihr Gesicht war vom Schmerze furchtbar entstellt, doch keine Thräne entrollte ihrem Auge, der aufsteigende gewaltige Haß gegen die Urheber eines so grausamen Schicksals ließen sie nicht aufkommen.

Als sie sich endlich, nach langer, langer Zeit von der Gewißheit des Todes überzeugen mußte, erhob sie sich und befahl Jack, die Leiche in das Kabinet zu tragen. Als dies geschehen war, entließ sie Beide, indem sie ihnen aus freien Stücken erlaubte, den Abend fortzubleiben. –

Nach ihrer Entfernung öffnete die Matrone das Fenster des Kabinets, das bis jetzt geschlossen gehalten worden war und die Aussicht auf das Meer gewährte; schob die Vorhänge zurück und setzte sich an die Seite der Verblichenen, wo sie den Blick auf das bleiche, jetzt verklärte Antlitz gerichtet, in regungsloser Stellung verblieb ...

Stunde um Stunde verging, sie machte keine Bewegung; der Abend senkte sich herab, die letzten Strahlen der untergehenden Sonne fielen in das Gemach ... Jetzt erhob sie sich, holte aus dem Nebenzimmer einige Myrthenzweige, wand diese zum Kranz, legte ihn auf das Haupt der Tochter und, indem sie noch einmal einen Kuß auf ihre Lippen drückte, sagte sie tonlos: »Ein Engel ist todt, die Bösen dürfen nicht leben.« –

Hierauf trat sie ans Fenster, blickte über das Meer und sprach ein leises Gebet. Sie hatte damit noch nicht geendigt, als sich der bis dahin klare Himmel veränderte, dunkle, schwarze Gewitterwolken aufstiegen, während aus dem Saale des Schlosses rauschende Klänge von Musik herübertönten. Die Matrone horchte lange darauf und versank, während ein bitteres Lächeln auf ihr Antlitz trat, in ein träumerisches Hinbrüten.

Man hatte ihr Alles geraubt, in ihrem Herzen war es so kalt und leer, das Leben erschien ihr fortan so schaal und elend, daß der entsetzliche Gedanke an Selbstmord in ihr aufblitzte. Sie hing sich daran, wie an einen Rettungsanker, wußte sie doch, wie zäh das Unglück ist und wie selten der Tod zur rechten Stunde eintritt. Sie verwarf zwar bald wieder dieses Vorhaben, aber desto gehässiger trat der Undank Richard's und Arabella's vor ihre Seele; Beiden hatte sie wesentliche Dienste geleistet, jenem sogar das Leben gerettet und man hatte ihr gelohnt – durch den Tod ihres einzigen Kindes.

Je mehr sie darüber nachdachte, je heftiger wurde ihr Groll und ihr Haß und plötzlich stand abermals der Gedanke nach Rache vor ihr und lebhafter denn je. Ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu lassen, zündete sie eine Lampe an und schritt, mit einem letzten Blick auf ihre Tochter, durch einen langen Corridor nach den Magazinen, wo der ganze Sommer-Vorrath von Heu und Stroh aufgespeichert lag. Niemand begegnete ihr, Niemand ließ sich hören, nur von fern tönte die Musik fort und über ihrem Haupte das leise Rollen des Donners. Geräuschlos öffnete sie eine kleine Nebenthür und trat in die hohen Gewölbe. Sie waren bis an die Decke gefüllt und diese bestand aus hölzernen Balken, eine willkommene Beute für das Feuer. Die Matrone löste einige trockne Späne von einem Sparren, zündete sie an, warf sie von sich und eilte auf dem Wege zurück.

Das Gewitter war inzwischen immer heftiger geworden, der Donner rollte furchtbar, Blitz folgte auf Blitz, Schlag auf Schlag. Ein Sturm erhob sich von zerstörender Gewalt; von den Dächern des Schlosses stürzten Balken und Ziegeln, und das Meer brauste auf, als wollte es den grollenden Himmel übertäuben. –

 

Wieder saß die Matrone an der Seite ihres Kindes, wieder regungslos wie ein Bild von Stein. Plötzlich schreckte sie empor ... verworrene Stimmen ließen sich vernehmen ... man eilte hin und her ... ein Laufen und Rufen ... Sie hörte Jemand sagen: »die Treppe nach dem Saale ist vom Feuer ergriffen!«

Sie springt auf, eilt in das Nebenzimmer ... blickt aus dem Fenster ... ein Feuermeer strömt ihr entgegen, gierig lechzen die Flammen am Fundament, an Dach und Giebel, überall keine Hülfe, keine Rettung ... überall Ruf von Sterbenden, überall Jammergeschrei, Flüche, Verwünschungen ... Auf dem Pflaster des Schloßhofes liegen Verstümmelte, Verwundete, die sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten wollten ... Dazwischen das Rollen des Donners, das Gebrüll brandender Wogen ...

Entsetzt von dem furchtbaren Schauspiel, schließt die Matrone die Augen, bedeckt mit den Händen das Gesicht, tritt vom Fenster zurück ... Da, mit einem Mal., ein heftiger Donnerschlag, der das Schloß bis auf den Grund erschüttert ... ein Blitz ... zerschmettert liegt die Matrone am Boden, und gierig schlagen neue Flammen zu den alten empor. –

Am andern Morgen sah man nur noch rauchende Trümmer von dem Schlosse Wallamoor.



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