Ludwig Tieck
Die Theegesellschaft
Ludwig Tieck

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Erster Auftritt.

(Werners Zimmer.)

Werner. Ehlert in Stiefeln, Rock und Ueberrock, mit einem langen Stock mit seidenem Bande.

Werner. Und wie lebst Du? – Mich freut es, nur endlich Dich einmal wiederzusehn! – Du hast Dich in den paar Jahren recht verändert!

Ehlert. Das Amt, das man bekömmt, der Verstand, der einem zuwächst, können den Menschen zu einem ganz andern Geschöpfe machen.

Werner. Und Du bist zufrieden? glücklich?

Ehlert. So sehr man es nur sein kann.

Werner. Ich habe in manchen Stunden eine recht innige Sehnsucht gehabt, Dich wiederzusehn, Dich wieder so vor mir zu haben, – und nun ist es mir endlich so gut geworden. Du mußt mich auch darum nicht so schnell wieder verlassen.

Ehlert. Je nun, einige Tage bliebe ich wohl hier, aber dann muß ich weiter reisen. – Mit Erlaubniß – Er legt Stock und Hut ab, und zieht den Ueberrock aus. Sieh, der Mensch hat gewöhnlich seine Absichten, wenn er reist, so auch ich. Ich komme nachher wieder über Berlin zurück, und habe denn die Ehre, Dir zugleich meine junge Frau vorzustellen.

Werner. Ei, ei! und davon habe ich sogar nichts gewußt?

Ehlert. Ich wollt's Dir immer schreiben, und dann ward es mir wieder leid. In einem Briefe hab' ich's Dir doch zu verstehn gegeben; ich habe gern manches mit mir selber geheim; aber ich konnt's doch nicht lassen.

Werner. War das etwa der Brief mit den vielen juristischen Floskeln?

Ehlert. Ganz recht, eben der; ich dachte gleich, daß Du nicht so recht klug daraus werden würdest, und darum wurde ich eben so vertraulich.

Werner. Du bist und bleibst der Alte.

Ehlert. Und wie geht es Dir? – Du siehst nicht recht munter aus.

Werner. Und doch bin ich es – Gefällt es Dir in Südpreußen noch immer?

Ehlert. Warum nicht? – Die Menschen sind Narren, wenn sie nicht dort leben wollen. Die Gesellschaft ist nun freilich nicht die beste; aber man gewöhnt sich an alles.

Werner. Gesellschaft? – Ich muß immer lachen, wenn ich das Wort höre! – Wo ist sie denn gut?

Ehlert. Aber in einer Residenz –

Werner. Ach lieber, ehrlicher Freund, man kömmt hier zusammen wie anderswo. man verläumdet, lügt, rezensirt, und ennuyirt sich hier trotz der kleinsten Stadt in der Welt. Man kann aus einem Hause in das andre gehn, – es bemerken, wie das gesellige Thier, Mensch genannt, unter einer Menge seiner geistreichen Mitbrüder sitzt, und von Herzen gähnt. Ich war einmal Thor genug, Gesellschaft zu suchen, – wie bald kam ich aber davon zurück!

Ehlert. Ei! Ei! was Du mir sagst? – Aber Du schriebst mir einmal von interessanten Frauenzimmern, die Du kennen gelernt hättest.

Werner. Ich weiß es wohl. Es ging mir wie den Kindern, die mit ihren Puppen sprechen und diese wieder sprechen lassen, und dann über ihre eignen Einfälle sich herzlich freuen.

Ehlert. Du bist der wahre Timon von Berlin.

Werner. Nein! denn es giebt hier nichts zu hassen, die Menschen sind zu armselig dazu.

Ehlert. Ei! wie bitter!

Werner. Doch, genug davon. Man kann wenigstens immer etwas Gescheidteres thun, als auf die Menschen schimpfen. – Geht die Reise nach der Frau weit?

Ehlert. Etwa zwölf Meilen.

Werner. Ich wünsche Dir von Herzen Glück.

Ehlert. Schön Dank! – Nun, daß ich gleich nach dem Wichtigsten frage, – wie ist denn Dein Casus? Ist der Prozeß der Liebe nunmehr zu Ende? Julie, – ei! Du machst ja ein wahres Romeo-Gesicht! – Doch kein Trauerspiel, kein verliebter Zwist, kein Schießen und Erstechen? – das wolle Gott verhüten!

Werner. O laß Deine altfränkischen Späße! – Es giebt sicher nichts lächerlicheres und bejammernswürdigeres, als wenn sich zwei Leute einbilden, daß sie sich lieben: – aber vollends der Vertraute, der sich dann zwingt, Theil zu nehmen, zu rathen und zu trösten, – o laß diese Rolle fallen, sie ist Deiner ganz unwürdig.

Ehlert. Nun, nun, – Du bist heut nicht aufgelegt.

Werner. Gerade umgekehrt: so lustig als ich selten bin, besonders weil ich Dich wiedersehe. – Setz Dich nieder, ich will nun ganz aufrichtig mit Dir sprechen, denn ich hasse nichts mehr, als wenn ein Freund dem andern die Worte aus dem Munde zerren muß. – Was ist es denn mehr? ich habe mich lächerlich gemacht, wie schon tausend andre vor mir gethan haben.

Ehlert. Bald hätt' ich über das Sprechen vergessen: – hier hab' ich Dir Briefe von einigen andern Freunden mitgebracht. Er öffnet die Brieftasche und giebt sie ihm.

Werner. Ich danke Dir.

Ehlert. Nun? – Ich glaubte aber ohne Spaß zur Hochzeit zu kommen.

Werner, indem er die Brieftasche aufbricht und nachlässig liest. Es wäre auch beinahe geschehen. – Nun, siehst Du, – was Teufel!

Ehlert. Was ist Dir?

Werner. So, so? – Er sitzt nachdenkend.

Ehlert. Was willst Du? – Pause. Er steht auf, und blättert in einem Buche.

Werner. Setz Dich nieder.

Ehlert. Der Matthisson ist doch ein schöner Dichter. – Es ist die neuste Ausgabe, nicht wahr?

Werner. Ja doch. – Ehlert setzt sich wieder. Wie ich Dir sage, es hätte fast so zutreffen können, – aber Gottlob! es ist nicht geschehen.

Ehlert. Gottlob?

Werner. Es giebt doch warlich nichts lächerlicheres, als sich die Hände zu drücken und zu seufzen: – Geliebte! – Theure!– und denn heimlich zu gähnen, zärtlich Abschied zu nehmen, und morgen wieder das langweilige Spiel von vorn anfangen. – Also,– um ein altes und mir sehr fatales Wort zu brauchen, – ich war verliebt!

Ehlert. Und es ist nun ganz vorbei?

Werner. Völlig! zwar gab ich nicht die erste Veranlassung, und das würde vielleicht manchen andern an meiner Stelle sehr ärgern.

Ehlert. Natürlich.

Werner. Julie schien mich zu lieben, bis ein gewisser abgeschmackter fremder Baron auftrat, der mir bald im ganzen Hause den Rang ablief. – Aber ich muß lachen, eben durch diese Briefe hier, – laß es gut sein. Es ändert sich vielleicht noch vor heut Abend vieles.

Ehlert. Wie so?

Werner. Sie hob nun das Verständniß mit mir auf; – der Oheim, ein alter Narr, that endlich auch das seinige. –

Ehlert. Ich habe Briefe an ihn, – ich nahm sie mit, um ihn kennen zu lernen, weil ich glaubte, er würde Dein Verwandter werden.

Werner. Du verlierst an der Bekanntschaft nicht viel. Es ist ein eitler unwissender Mensch, der desto mehr Worte macht, je weniger er denkt: er spricht über alles, weil er den Grundsatz hat, daß man doch wenigstens über alles ein Wort sprechen könne; weil er sich nicht auszudrücken weiß, so bereichert er unsre Sprache immer mit einer Menge von neuen Wörtern, – was er in der vorigen Minute behauptet hat, vergißt er in der folgenden, und widerspricht sich unaufhörlich, um nur das Gespräch nicht abzubrechen.

Ehlert. Ein wahres Original.

Werner. Dieser fühlt sich natürlich durch einen adlichen Gemal seiner Nichte so geehrt, daß ich bald in den Hintergrund, Clairobscur, in ein Dämmerlicht gerieth, wie er sich auszudrücken pflegt. – Ich bin übrigens noch sein guter Freund; ja ich bin heut sogar zum Thee und Abendbrod gebeten, aber ich werde nicht hingehen.

Ehlert. Du nimmst die ganze Sache doch sehr leicht.

Werner. Hol der Henker alle Ernsthaftigkeit! Es ist mit dem ganzen Leben nichts, und nun vollends noch ein sauer Gesicht zu machen, ist die unnützeste Mühe, die man sich nur immer geben kann.

Ehlert. Du bist aber zu leichtsinnig.

Werner. Als ich verliebt war, nahm ich alle Dinge sehr wichtig; ich ging mit meiner Braut in die Komödie und sah mit großer Andacht Kotzebue's Stücke; ich raisonnirte sehr gründlich über den Vortrag der hiesigen Prediger; ich las, um meinen Geschmack in einer guten Balance zu erhalten, die Literaturzeitung: ich ging selbst im schlechten Wetter mit seidenen Strümpfen, und las ihr mit vieler Rührung den Woldemar vor; – ich – kurz, lebte so gescheidt und bedächtig, als man es nur verlangen kann; aber das hat jetzt alles der Henker wieder geholt. Ich fing sogar schon an, mich nach einem Amt umzusehen, um außer meinem Vermögen noch ein andres Einkommen zu haben; denn, so wie man vernünftig ist, hat man auch eine große Liebe zum Gelde.

Ehlert. Ei, ei! Du übertreibst wieder einmal! – Und wie lebst Du denn nun jetzt?

Werner. Beschreiben läßt es sich schwerlich. – Ich kann halbe Tage sitzen, und an nichts denken, oder aus dem Fenster sehen und mit den Bekannten sprechen die vorübergehen, oder mir einige Cramersche Romane holen lassen, die ich mir denn selber vorlese, – manchmal hab' ich schon gewünscht, ich könnte Taback rauchen.

Ehlert. Wunderlicher Mensch!

Werner Oft geh' ich nach dem Thiergarten, oder betrachte unter den Linden die seltsamen Menschengesichter; in den Zelten hör' ich oft der Musik und den Leuten mit großer Andacht zu, und mache mir dann weiß, ich höre Konzert und Gespräch. Des Abends lauf' ich herum, seh' in den Kuckkasten, wie sich Pilatus die Hände wäscht, oder Herodes zum Fenster heraussieht; oder ich sitze in einem Bierkeller und erfahre die neuesten Vorfälle aus den Zeitungen.

Ehlert. Liesest Du die Zeitungen nicht mehr? – Du warst einmal ein großer Politiker.

Werner. Keine einzige. Das ewige Schlagen und Zurückziehn, die Vaterlandsliebe und das Gleichgewicht von Europa, das Direktorium und Pitts Maaßregeln, – alles, alles ist mir gleich zuwider! daß es die andern nicht auch endlich überdrüßig werden!

Ehlert. Du bist und bleibst ein wunderlicher Schwärmer.

Werner. Wie man's nimmt. – Lieber Freund, man kann auch in der Thorheit selbst vernünftig sein; – die meisten Menschen aber fassen nur einen Zipfel und schleppen das übrige hinter sich, so, daß bald einer hie, der andre dort darauf tritt. Wenn man sie aber ganz wie einen Mantel um sich nimmt, und geht so durch die Welt hin, so hält sie vortrefflich warm.

Ehlert. Nimm's mir nicht übel, ich bin Dein guter Freund, – das klingt so ein bischen geniemäßig.

Werner. Mag's klingen wie es will; jeder hat seine Art zu leben und die Sachen anzusehen; behüte Gott, daß alle Menschen auf eine und dieselbe Art vernünftig wären! – Ich versichere Dich, daß ich manchmal lieber den Sprüchen von alten Wahrsagerweibern zuhöre, als die gewöhnlichen vernünftigen Bücher lese.

Ehlert. Dagegen läßt sich nun nichts sagen. – Am Ende bist Du doch noch verliebt.

Werner. Ich? – Es ist freilich eine eigene Lust, sich selbst zum Besten zu haben, aber ich freue mich deren. – Wegen meiner Seltsamkeit hat sich jetzt ein Narr an mich gehängt, der sich für meinen Freund ausgiebt. Er beobachtet mich wie einen Kometen, theils um aus mir einen poetischen Stoff zu ziehn, (denn er macht Verse, und Stücke, und dergleichen,) theils um sich vor der Einseitigkeit zu hüten, in die ich nach seiner Idee versunken bin; er geht daher noch mit einigen andern Narren um, die ihn wieder von der andern Seite auf die rechte, in der Mitte liegende Bahn zurücktreiben sollen. Er lebt in einer ewigen Beobachtung, und hat daher unmöglich Zeit, Erfahrungen zu sammeln; er nennt mich Kerlchen, Biedermann, drückt mir die Hände und geht mit mir spazieren. Ich kann es nicht lassen zu übertreiben, wenn er bei mir ist, und so erschein' ich gewiß nächstens in einem recht abgeschmackten Buche, auf die ausführlichste Art abgehandelt, und in das grellste Licht gestellt.

Ehlert. Vor dem Menschen muß man sich hüten. – Wie heißt denn der?

Werner. Rothmann.

Ehlert. Je, den kenn' ich noch von alten Zeiten her. – Es klopft.

Werner. Gewiß dieser schöne Geist. Er öffnet die Thür.



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