Ludwig Tieck
Der Schutzgeist
Ludwig Tieck

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Es war nur wenige Zeit verflossen, als der Arzt, wie er im Palast anfragte, zu seinem Erstaunen erfuhr, daß die Kranke an diesem Morgen schon um drei Uhr abgereiset sei, um das nahe bevorstehende Osterfest in Straßburg zu feiern. Er war fast eben so beschämt als verwundert, weil er jedem Hausgenossen und Befreundeten mit der größten Zuversicht gesagt hatte, daß die Gräfin diesen Tag, an welchem sie die Reise angetreten hatte, unmöglich erleben könne. Er stand lange in Betrachtung vertieft und sagte endlich zum Haushofmeister: Es ist etwas Unbegreifliches mit dieser Dame! Heut, wo ich Anstand nahm, mein Pferd zu besteigen, bei 56 diesem Sturme und rauhen kalten Wetter, abwechselnden Regengüssen, fährt sie fort, sie, die bis jetzt aus Schwäche das Bett nicht verlassen konnte: und wie haben Sie es nur zugeben können? Sie hätten sie mit Bitten, ja Gewalt zurückhalten müssen.

Als wenn die gnädige Frau uns jemals gefragt hätte, antwortete der Alte: auch wußte keiner im Hause etwas von ihrem seltsamen Vorhaben. Plötzlich, wir ließen es uns nicht träumen, war der Wagen angespannt und fuhr vor, die große Kutsche mit den beiden großen, starken Rappen. Wir fuhren von den Betten auf, und dachten, daß etwa Gäste ankämen. Und da schritt die gnädige Frau die Treppe herunter, als wenn ihr gar nichts fehlte, und stützte sich kaum auf die Kammerfrau Dorothea, daß es nur eine wahre Lust war, es anzusehn. Im Wagen ist außer den beiden noch der geistliche Herr, Herr Theodor, und drei Bediente auf dem Bock und hinten, weil die Wege noch dazu unsicher sind. Wir glaubten, sie morgen oder übermorgen begraben zu müssen, und nun ist sie auf und davon, um sich in Straßburg einen guten Tag zu machen. Zu wagen ist ja überhaupt nichts mehr, da sie doch, wie Sie schon lange versicherten, nicht mehr zu retten ist. Ob sie hier oder in der Stadt verscheidet, ist doch auch dasselbe.

Da das Wetter so ungestüm war, ließ der Doctor sein Pferd in den Stall ziehn und bestellte sich ein gutes Frühstück und Mittagsessen, um, wo möglich, gegen Abend zurück zu reiten. Dann begab er sich in die Bibliothek und suchte sich einige unterhaltende Bücher, um im bequemen Sessel den Sturm und Regen abzuwarten.

Es war nicht zu verwundern, wenn der Geistliche, Theodor, der auf dringendes Ersuchen der Gräfin diese begleitet hatte, bei dem fortwährenden und zunehmenden Sturme die 57 Kranke ersuchte, wieder umzukehren, um sich im sichern Hause vor dem Unwetter zu schirmen. Als sie sich kaum eine Meile vom Gute entfernt hatten, kam ihnen ein Diener zu Pferde entgegen, der schon am frühsten Morgen war abgeschickt worden, um die große Fähre zu bestellen, damit man auf diese nicht warten dürfe. Der Wagen hielt und als der Diener seinen Bericht abgestattet hatte, seufzte die Gräfin und schwieg eine lange Weile, in tiefem Nachsinnen verloren. Jetzt glaubte der Geistliche mit Gewißheit, daß der Befehl zur Rückkehr erfolgen würde, denn der Reitende hatte berichtet, daß die ungestümen Wasser und der Sturm schon am vorigen Tage die Fähre zerbrochen und weggetrieben habe, woran freilich auch die Schiffsleute Schuld seien, die bei dem schlechten Wetter, da sie auf keinen Reisenden rechnen konnten, das Fahrzeug ganz außer Acht gelassen hatten. Jetzt hatte die Gräfin die Augen geschlossen, doch indem sie sie weit öffnete, rief sie mit lauter Stimme: Wir fahren weiter, es müssen sich am Flusse selbst Gelegenheiten finden, hinüber zu kommen, denn ich darf jetzt die Reise weniger als je unterlassen. Mit Grüßen an die Hausgenossen ging der Reitende nach dem Schlosse der Gräfin zurück.

Alle erstaunten und man fuhr langsam weiter, denn die Wege waren schlecht und aufgeweicht. Die Gräfin aber, welche die Verlegenheit und Verwunderung ihrer Begleiter bemerkte, war jetzt so heiter und gesprächig, daß es schien, als wenn sie von ihrer Krankheit völlig genesen sei. Der Priester dankte Gott in seinem Herzen, daß so unvermuthet eine so auffallende Besserung eingetreten war. Nach einiger Zeit, da der Wind nicht nachließ, befahl die Gräfin, daß der älteste Diener, welcher hinten auf dem Wagen saß, zu ihr einsteigen solle, um den vierten Platz auszufüllen. Der Mann weigerte sich anfangs, mußte aber auf ihr Zureden 58 Folge leisten. Nun fuhr man weiter, und nachdem Alle lange geschwiegen hatten, fing die Gräfin an: Sie können, würdiger Freund, meinen Entschluß nicht begreifen, der Ihnen seltsam, ja vielleicht ungereimt dünkt. Indem ich aber vorher nachsann, was zu thun seyn möchte, überwältigte mich der Gedanke, daß ich diese Reise, die ich mir seit lange als ein heiliges und unverbrüchliches Gelübde auferlegt hatte, nicht aufgeben dürfe, um körperliche Unbequemlichkeit zu vermeiden. Im Sinnen tauchte aber plötzlich das Bild meines Sohnes auf, und die feste Ueberzeugung, daß ich ihn noch heut, aber wohl in der Nacht erst, in der Stadt sehen werde. Das Gemälde des jungen Mannes stand in dunkler Umgebung, von seltsamen Gestalten umringt, die ich nicht genau unterscheiden konnte. Haben Sie darum Geduld mit mir, und stehn Sie mir in dieser meiner Unternehmung bei, die Sie nicht Eigensinn schelten müssen.

Ich ehre alle Ihre Wünsche, Ueberzeugungen, Ahndungen und selbst Träume, erwiederte Theodor: ich glaube, daß, wenn auch dieser Ihr Wunsch sich nicht erfüllt, diese Reise, die andere krank machen würde, Sie zur vollkommenen Gesundheit herstellt. Und auch das ist für ein Wunder zu achten.

Glauben Sie das nicht, sagte die Gräfin sehr lebhaft, ich fühle es bestimmt und deutlich, daß diese Aufreizung nur so lange dauern kann, bis sich das erfüllt hat, was ich mir vorgesetzt habe, nachher fällt die Maschine, deren Kraft in Ueberspannung gebrochen ist, zusammen. Und am Ende ist Leben und Sterben ein eben so freiwilliger Aktus, wie alle unsre übrigen Handlungen. Alles hat seine Zeit, den richtigen Anfang und ein eben so nothwendiges Ende. Warum will man denn nicht seine Einwilligung geben, daß, wenn das Schauspiel wirklich beschlossen ist, auch der Vorhang, 59 ohne unnütze Zögerung, falle? Wahrscheinlich sind unserem unsterblichen Geiste doch vor der Geburt die Bedingungen des hiesigen Daseins bekannt gemacht, er hat sich dem Leben ergeben, lasse er sich, wenn das geschehn, was er nur hier erfahren und einlernen konnte, sterben, das ist, neu geboren werden, zu einer andern Bestimmung mit ihren Bedingungen. Denn ohne solche kann ich mir kein Dasein denken. Was heißt das Wort »Ewigkeit?« Es ist eben so leer als allumfassend; aber wir können das Bild nicht ertragen, weil unser Geist in Allem Anfang und Ende will. Vor dem ewigen Dasein zittert er noch mehr, als vor der Vernichtung zurück: nur, daß die Menschen sich niemals mit Ernst in diese ungeheure Betrachtung versenken. Wir erleben es schon hier, daß ein Räthsel sich nur scheinbar auflöset, indem ein höheres, innigeres, noch unbegreiflicheres an dessen Stelle tritt. Und so sollte es nicht immerdar seyn? Giebt es für uns etwas Entzückenderes, als zu lernen? Und es sollte nach den Klippschulen, Gymnasien und Universitäten endlich einmal eine allerhöchste Schule geben, die dann auch geschlossen würde? Wie verstehn nur die Menschen das Wort von der Allgegenwart Gottes immer so schlecht. Ach ja, wir spielen am liebsten und auch recht pedantisch mit den ernstesten Dingen, und daß dies möglich ist, ist eben auch wieder so schön menschlich. Wir entfliehen uns immerdar, um auch auf den seltsamsten Umwegen uns wieder zu finden. Wir können das Schöne, Erhabne und Göttliche nur im Gefühl der Vergänglichkeit fassen: ein Ewiges, Dauerndes, Niewandelndes ist für uns, wie wir geschaffen sind, ein völlig Unverständliches, Unfaßbares, – und auch von jeder Entzückung müssen wir uns in der Zerstreuung, vom höchsten Leben im scheinbaren Nichtsein erholen.

Sie gelangten erst eine Stunde vor Mittag an den 60 hoch angeschwollenen Strom. Als der Wagen anhielt, stieg die Gräfin rasch auf das Ufer hinaus und sah einige Kähne und Fischerhütten ganz in der Nähe. Sie ließ die Leute herbeirufen, ging mit ihnen zu den kleinen Booten und Nachen und suchte die größten und stärksten mit kundigem Blicke aus. Nun machte sie den erstaunten Fährleuten deutlich, wie sie zwei der besten Nachen zusammen binden müßten, um ihre Kutsche an das jenseitige Ufer zu schaffen. Das erklärten aber die Schiffer rund aus für eine völlige Unmöglichkeit. Dem guten Willen ist nichts unmöglich! rief sie erhitzt. Sie ging mit den kräftigen Männern selber in ihre Hütten, man suchte Bast und Stricke hervor, und nun zeigte sie ihnen, wie an den Stellen, wo die Ruder eingelegt würden, die beiden Nachen, die von gleicher Länge waren, zusammen gebunden werden müßten, um in diese verbundenen Kähne, die dann nur ein Schiff bildeten, den Wagen gleichförmig mit angestrengten Kräften hinein zu heben. Das begreifen wir wohl, sagte der älteste der Fischer, – aber wie nachher – auf dem Strom, wenn Sturm uns faßt, und Kutsche und alles umstürzt: auch ist es nicht möglich, das tobende Wasser zu bezwingen, mit den schwachen Rudern und bei der künstlichen Maschine, die regiert werden soll.

Christoph, der sich geehrt fühlte, und auch gerührt über das Wohlwollen seiner Herrschaft, die ihn zu sich in den Wagen genommen hatte, rief jetzt heftig: Es muß gehn! Ich bin wohl sonst auch dabei gewesen! Er legte nun eifrig mit Hand an und bald waren die Nachen mit starken Banden an einander befestigt. Die Gräfin hatte indessen abseits mit dem obersten dieser Schiffer und Fischer ein Abkommen getroffen und ihre Freigebigkeit und freundliches Zureden brachte diese Menschen jetzt dahin, daß sie für ausführbar hielten, was sie noch kürzlich für widersinnig und unmöglich 61 gehalten hatten. Jetzt galt es, den nicht leichten Wagen fast in die Kähne hinein zu tragen, doch Christoph, der verständige mannhafte Kutscher, noch zwei Diener und die Schiffer selbst, machten es endlich möglich. Hierauf ließ sich die Gräfin nicht abhalten, selbst in den Doppel-Nachen zu steigen und der Geistliche und die Kammerfrau begleiteten sie. Sie vertheilten sich künstlich und warteten nur, bis die beiden Pferde, jedes in einen Kahn, gebracht waren. Diese stampften, schlugen aus und geberdeten sich sehr unwillig; doch gelang es dem Kutscher und Christoph, die Thiere zu besänftigen, so daß sie endlich verständig überschritten und jedes zitternd in seinem Kahne stand. In einen vierten Nachen drückte sich nun die übrige Dienerschaft hinein und man stieß, nachdem die Schiffer sich andächtig bekreuzt und gebetet hatten, vom Ufer ab. Alle waren in Lebensgefahr, denn der Sturm erhob sich mit neuer Kraft. Der Schleier der Gräfin flog weit in die Luft hinein, wie ein wehendes Segel, und der Geistliche, der an dergleichen Anstrengungen nicht gewöhnt war, verlor fast seine Fassung und befand sich sehr übel. Die Dienerschaft war in ihrem Nachen, der am leichtesten zu führen war, voraus, und man sah endlich, wie sie jenseit landeten, indeß die Kutsche noch nicht die Mitte des Stromes erreicht hatte, und die Pferde noch weiter zurück blieben.

Der Kahn, welcher die Diener gelandet hatte, wurde von den Schiffern wieder herbei gerudert, um dem Doppel-Nachen Hülfe zu leisten. Man rief sich zu, aber der Sturm brausete so laut, daß die Stimmen sich im Wellengetöse und dem Sausen des Windes unverstanden verloren.

Indessen kamen die Schiffer dem Wagen nahe, und zum Glück im Augenblick, wo ihre Hülfe am nöthigsten war, denn eine große Woge, die zugleich mit einem plötzlichen und 62 heftigen Windstoß den Nachen und Wagen packte, hätte fast das künstliche Fahrzeug umgeworfen. Die Schiffer stemmten sich aber kräftig von der andern Seite gegen den Kahn, daß die Gefahr beseitigt wurde. Die Kammerfrau schrie heftig auf und der Geistliche stürzte von dem gewaltigen Stoß in die Knie, nur die Gräfin blieb unerschrocken.

Man kam, durch ungeheure Anstrengung der Schiffenden, dem Ufer näher. Die Kähne, welche die beiden Pferde trugen, waren jetzt auch nicht weit vom Lande entfernt. Das Ausschiffen des Wagens war aber nicht minder beschwerlich, als dessen Hineinschaffen in die Kähne, da aber alles half, schob, trug, hob, so gelang es endlich: die Leute schrieen, um sich zu ermuntern, oder sich Zeichen zu geben, und mit einem lauten Krachen stand die Kutsche jetzt auf dem Lande. Darüber aber erschrak der eine der Rappen, welcher sich schon immer unbändig gezeigt hatte, so, daß er aus dem Kahn in das Wasser sprang, und als er das Ufer erreicht hatte, in den Wald hinein rannte. Als der Kutscher, welcher die Pferde mit der Leidenschaft eines Kenners liebte, diese traurige Begebenheit wahrnahm, gerieth er in Verzweiflung. Ohne nur Abrede zu nehmen, oder auf die Worte seiner Gebieterin hinzuhören, setzte er springend und mit Geschrei dem flüchtigen Thiere nach, und bald waren beide im Walde verschwunden.

Die Gräfin berieth sich nun mit Christoph, was geschehen könne. Da man eine Weile gewartet hatte und der Kutscher nicht wiederkehrte, spannte man das andere Pferd ein, und Christoph faßte die Zügel. Er klagte nur darüber, daß er schwerlich durch den Wald die Wege zur großen Straße und zur Stadt finden würde, da er nur einigemal, und zwar in seiner Jugend, in diesem Reviere gereiset sei, denn die Gräfin hatte beschlossen, unverzüglich, wenn auch 63 langsam, weiter zu reisen, da sie voraussetzte. daß der verständige Kutscher sein Pferd bald würde eingefangen haben und mit diesem sie früher oder später einholen würde. Außer ihrem großen vorausbedungenen Lohn erhielten jetzt die Schiffer noch ein ansehnliches Geschenk, worüber sie so gerührt waren, daß der Kundigste sich freiwillig erbot, den Reisenden als Wegweiser zu dienen, da er überzeugt war, daß er die Nebenwege durch den Wald finden würde. Die Schiffer beurlaubten sich dankend, um nach ihren Hütten jenseit des Flusses zurück zu fahren, und die Reisenden hatten sich jetzt wieder eingerichtet, in der Hoffnung, Straßburg, wenn auch nur in der spätesten Stunde, an diesem Tage noch zu erreichen. Der Zug ging langsam fort, denn das eine Pferd, das auch von der langen Anstrengung schon ermüdet war, konnte sich nicht rasch fortbewegen, der Führer ging neben her, und die beiden Bedienten waren auch abgestiegen, theils um sich im Gehen zu erwärmen und theils um die Last des Wagens zu vermindern.

Allen dünkte der dichte und dunkelnde Wald angenehm, weil sie hier vor dem Unwetter und den Stürmen mehr geschützt waren. Der Führer sang ein fröhliches Lied und die Diener unterhielten sich mit alten, sonderbaren Geschichten, die in dieser Gegend vorgefallen seyn sollten.

Der Priester, welcher wieder beruhigt an der Seite der Gräfin saß, sagte zu dieser: So wäre denn jetzt die eigentliche Gefahr, mit des Himmels Hülfe, überstanden. Sie zürnen mir gewiß nicht, verehrungswürdige Freundin, wenn ich ohne alle Uebertreibung sage, daß ich Sie heute habe bewundern müssen. Sie haben sich nicht als Kranke, sondern als Heldin gezeigt, und es dürfte wohl nur wenige Männer geben, die in allen bedenklichen Augenblicken so viel Fassung, Kälte und besonnene Entschlossenheit darlegten. Sturm, 64 Kälte, Regen, die Nässe der Wellen, Schreck und Gefahr, nichts scheint Ihnen etwas anhaben zu können. Ich wünschte nur, unser skeptische Arzt wäre zugegen gewesen, um auch an seinem System einmal irre zu werden.

Irren Sie sich auch nicht? erwiederte die Gräfin mit einem leichten Lächeln. Was ist unsre selbsteigne Kraft? Sie vergessen die schon sprichwörtliche Aussage, daß uns alles Gewaltige, Starke, alles, was die gewöhnlichen menschlichen Kreise überschreitet, von oben kommt. Die Wahrheit dieses Ausspruchs erfährt jeder an sich, mag er ihn übrigens auslegen, wie er will. Die Alten nannten es oft einen Dämon, welcher sie antrieb, das, was unmöglich schien, zu unternehmen und mit Glück zu beendigen. Manche Neuern nennen es geradezu Glück, ihren Stern, ein Schicksal, welches sie führt und über Ströme und Klippen zu einem bestimmten Ziele reißt, allen Gefahren vorüber. Alexander glaubte, mehr als Sterblicher, der Erzeugte eines Gottes zu seyn. Diese innere, unbegreifliche Leidenschaft ist es, die mir eine scheinbare Gesundheit auf wenige Stunden gegeben, die mich geschützt, gegen Wind und Wetter unempfindlich gemacht hat; die mich aufrecht erhalten wird, bis ich mein Ziel erreicht habe. Es ist uns zuweilen, als wenn wir aus Wald und Fels, aus Strom und Luft Kräfte in uns auf Augenblicke durch starke Willkür zusammenraffen könnten; oder als wenn sich durch die Gewalt unsers Herzens Geister unsichtbar zu uns gesellten, um allenthalben mit Hand anzulegen, zu tragen, zu heben, und vor allem, was droht, uns zu beschützen. Darum glauben auch so viele, daß Gefahr, Unglück, Tod, Leiden und Krankheit, Verletzung und grausame Vernichtung nur durch andre boshafte Geister herbei geführt werden. Der Glaube an Zauberei ist schwachen Menschen, wenn sie mit Phantasie begabt sind, sehr natürlich; und in manchen 65 Stunden überfällt uns alle dieser Aberglauben. Erklären läßt es sich auch kaum, wie dies und jenes, ein unglücklicher Zufall, eine Widerwärtigkeit, Leiden und Krankheit gerade in diesem, diesem Augenblick, und unter solchen Umständen, oft so unerwartet, eintreten. Da ist unsre angewöhnte Folge von Ursache und Wirkung gar nicht wieder zu erkennen.

Ein Streit hatte sich zwischen dem Wegweiser und dem Pferde lenkenden Christoph entsponnen. Man war schon ziemlich weit gefahren, der Abend fing an herein zu dunkeln, und der Weg wurde immer schlechter und bedenklicher, so daß Christoph die Furcht äußerte, sie möchten wohl gar auf einen Waldweg gerathen seyn, der zuletzt, mitten im dichtesten Gebüsch, ganz aufhören könne. Der Wegweiser bekämpfte mit vielen Gegengründen diese Meinung, doch endlich hielt der Wagen, und Christoph stieg vom Bock herab, um sich zu überzeugen, indem er mit den Händen fühlte, ob das, was sie unter den Füßen hätten, wirklich noch ein Weg zu nennen sei. Es war so dunkel geworden, daß diese Maßregel des forschenden Dieners nicht zu verwerfen war. Die Gräfin ließ das Fenster nieder und fragte, welche Hemmung den unvermutheten Stillstand veranlaßte. Ach! gnädige hohe Herrschaft! rief der Wegweiser in weinerlichem Ton, ich bin ganz verhext, ein Kobold hat es mir angethan, ich habe alle meine Merkmale, alle Marken im Walde nicht finden können, und nun sind wir perplex und total verirrt.

Er hat uns immer tiefer in das Dickicht hinein vexirt, und nun mag der Teufel (Gott verzeih mir meine schwere Sünde!) sich aus diesem Leberrinde wieder herausfinden. Und noch dazu ist das ganze Waldicht hier immer verdächtig gewesen, weil es oft voll Strauchräuber steckt, so daß man ungern am Tage, und noch viel weniger in der Nacht, sich hier herum treibt.

66 Gnädigste Madame, rief der Wegweiser, es ist mir, meiner Seel, angethan, denn so was geht nicht mit rechten Dingen zu. Mir war schon seit einer Stunde ganz dumm zu Muth, und wahr ist es, daß hier oft Spitzbuben auflauern, denn die Gegend und Gelegenheit ist recht appetitlich dazu, weil sich der Brühgant gleich in den Wäldern verstecken kann, wo ihn selbst kein Jagdhund wiederfinden würde.

Aber was zu thun? sagte die Gräfin: wir müssen durchaus weiter zu kommen suchen, bis wir irgend ein Gebäude erreichen, um etwas auszuruhn; auch das arme Pferd zu erquicken, welches sich kaum mehr fortschleppen kann.

Aus jedem Busch, sagte Christoph, kann eine Mordbestie hervortreten, wir müssen uns also vorsehn. Er nahm seinen Hirschfänger hinten vom Wagen und hängte ihn um, der Jäger nahm sein Gewehr und gab das zweite dem Diener, nachdem er nachgesehn hatte, ob beide noch geladen wären. Die geladenen Pistolen steckten sie in den Gürtel, und so, indem Christoph unten beim Pferde blieb, zog dies langsam den Wagen Schritt vor Schritt weiter, die Diener sich ermunternd, die Augen wacker und in ihrem Gemüth auf alles gefaßt.

Nun bin ich wieder vernünftig, sagte der Schiffer, die Augen sind mir auch wieder frisch, und vorher lief ich neben dem Wagen her, als wenn ich eine Nachtmütze über das ganze Gesicht gezogen hätte. Man hatte sich aber auf dem vertrackten Strome so abgerackert, daß man keinen Menschenverstand und Merksauf übrig behielt; und nachher noch die niederträchtigen Hexen zum Ueberfluß. Die alten Weibsen können doch nichts als Böses stiften. Auf die armen Schiffer haben sie es immer am meisten abgesehn.

Die Gräfin wendete sich zum Geistlichen: Sie sehn, sagte sie, daß wir noch nicht alle Gefahren überstanden haben. 67 Wer weiß, was uns noch bevorsteht. Sein wir nur muthig und auf alles gefaßt, denn morgen, das weiß ich, sind wir doch im Münster.

Die Vorsehung, sagte der Geistliche, hat uns bis hieher geholfen, sie wird uns auch jetzt nicht fallen lassen.

Die Nacht war nun mit so tiefem Dunkel und mit so starkem Regen herein gebrochen, daß es ganz unnütz war, sich noch um den sogenannten Weg zu bekümmern. Man ließ also das Pferd frei wandeln, wohin es nur wollte, und wo es zwischen den Büschen noch irgend eine Oeffnung fand. Die Dienerschaft war dafür besorgt, allenthalben umzusehn, ob nicht ein Graben oder Abgrund sich plötzlich aufthue, in welchen der Wagen hinunter stürzen konnte.

So mochte man sich etwa eine Stunde fortgequält haben, als Christoph laut aufschrie, weil er ein Licht in den Bäumen wollte entdeckt haben. Der Jäger sah mit seinen scharfen Augen hin und bestätigte nach wenigen Augenblicken den Ausspruch des Alten. Dahin wurde nun gelenkt und alle waren von der Hoffnung erfrischt, daß ihr trauriger Zustand jetzt sein Ende erreicht haben würde. Mit neuem Muthe ging auch das Pferd jetzt rascher vor und wirklich öffnete sich der Wald, man sah Licht hinter kleinen Fenstern eines unansehnlichen Gebäudes und vor den Reisenden lag ein dunkler Fleck, welches eine Mauer und Zaun seyn mußte, was das Haus vom Walde und dem Wege trennte.

O weh! o weh! greinte jetzt der Schiffer, wir sind viel zu weit, viel zu weit rechts gerathen, und das ist hier die verruchte Plunderschenke, wo sich nur das schlechteste Gesindel einfindet.

Man tappte umher und überzeugte sich nach einiger Zeit, daß man vor einem sogenannten Thorwege stehe, der aber verschlossen war. Der Jäger wollte eben anpochen, 68 als er entdeckte, daß die Thür im großen Thor, durch die ein Mensch eingehen könne, nur angelehnt sei. Er meldete dies der Gräfin und beredete sie, auszusteigen, indem man, wenn sie erst ein Unterkommen gefunden, dann das Thor öffnen, für das Pferd sorgen und den Wagen unterstellen wolle. Der Geistliche und die Kammerfrau wollten der Gräfin folgen, man öffnete die Thür und sah in einen wüsten, schmutzigen Hof, dessen Traueranblick man durch die Lichtstreifen, die von den wenig erhellten Fenstern herab schimmerten, wahrnehmen konnte. Da lief der Wegweiser herbei und stellte sich dicht an die Reisenden, die eben in den Hof hinein treten wollten, indem er mit ganz leiser und furchtsamer Stimme sagte: Bleiben Sie um Gottes Willen hier, meine Herrschaften, dort steht des grauen Gottlieb seine Schecke an den Baum gebunden, der Mordbrenner ist also mit seiner Bande hier, der Kerl, weil er gemordet und geraubt hat, so ist schon seit lange ein großer Preis auf seinen Kopf gesetzt. Aber wer ist wohl so dreist, den zu verdienen? Wir sind ihm und seinen Mordgesellen schon manchmal begegnet, wir danken aber Gott, wenn der Bösewicht uns nur zufrieden läßt. – Man wollte sich berathschlagen, als sie aus dem Walde her den Hufschlag eines herantrabenden Pferdes vernahmen. Da kommen noch mehr von der Bande, schrie der beängstigte Wegweiser. Es war aber Niemand anders als der Kutscher, der jetzt zur Freude Aller mit seinem Rappen herbei eilte. Er war eben so erfreut, wie die übrigen, und sagte: Das gute liebe Vieh hat gewiß die Witterung von seinem Bruder da gehabt, daß es in der letzten Zeit so schnell machte. Er band, als er die Umstände erfahren hatte, sein Pferd an den Wagen und vorsichtig und leise betraten Alle den Hof.

Als man einige Schritte gemacht hatte, sah man im 69 Hause eine Thür und auf eine steile Treppe fiel ein Lichtstrahl, der aus einer offen gelassenen Stube oben zu kommen schien. Der Jäger, vorangehend, wollte schon die Treppe besteigen, als die Gräfin, ihr ganz nahe, ein Aechzen zu hören glaubte. Christoph stolperte über etwas, als er sich nähern wollte, und als man fühlend untersuchte, waren es zwei Menschen, die dort gebunden und geknebelt lagen. In diesem kritischen Augenblicke zeigte die Kranke am meisten ihre Fassung und ihren umsichtigen Verstand. St! St! zischelte sie laut genug, daß es alle vernehmen konnten: haltet euch alle ganz ruhig, laßt die Männer dort jetzt liegen, damit nicht zu früh Lärm entsteht, das Wichtigste ist das Zimmer dort.

So fand sich's auch. Denn als sie oben waren, sahen sie nach geöffneter Thür eine wilde Gestalt, die mit gezücktem blanken Messer sich über einen gefesselten Offizier beugte, der in seiner Uniform auf einem schlechten Bette lag. Eine andere Gestalt zog eine schwere Chatulle unter dem Kopfkissen hervor, als der Jäger diesen niederstürzte und Christoph und der andere Diener den Offizier befreiten. Wunderbar erschien dem Geistlichen wieder die Gräfin, die, indem man die beiden Bösewichter mit Stricken band, scheinbar ruhig aus das Lager zuschritt, den Knebel mit starker Hand vom Munde löste, die Seile aufknüpfte und mit der lieblichsten Stimme sagte: Mein Sohn, mein geliebter Sohn! Ich wußte es ja, daß ich Dich heut noch sehen mußte; ach, und daß ich Dich retten konnte, wie sind dadurch alle meine Leiden vergütet. Nun kann ich erst mit der höchsten Freude mein Osterfest feiern. Gelobt sei der Herr!

Als man sich erst besinnen konnte, war die gegenseitige Erkennung wunderbar und die Freude unaussprechlich. Es zeigte sich, daß der Obrist seine Mutter hatte überraschen 70 wollen. Ihm war ein Auftrag geworden, mit einer schweren Kasse voll Gold nach Straßburg zu gehn. Am Flusse erfuhr er, daß die gewöhnliche Fähre von der Gewalt des Wassers zerstört worden. Er kehrt um, wandert im Walde und wird von treulosen Gaunern und Helfershelfern hieher in das verödete Haus gewiesen, wo Wirth und Wirthin so wie Dienerschaft dem Mordbrenner, dem sogenannten grauen Gottlieb, unterthänig sind. Der Obrist hat kein Arges und verläßt sich auf zwei starke Soldaten, die seine Begleiter und Diener sind. Man weiß aber, daß er eine große Summe in Gold mit sich führt: es ist vergeblich, es zu verschweigen und den Schatz zu verstecken. Unter dem Anschein der Treuherzigkeit lassen sich die Begleiter von den Wirthsleuten hintergehn, von diesen werden sie trunken gemacht, und als sie eingeschlafen sind, gebunden und geknebelt. Indessen kommt der graue Gottlieb, der schon alles wußte; eben will er den Obrist ermorden und plündern, als dieser in demselben Augenblick auf wunderbare Weise gerettet wird.

Man bewachte die Bösewichter, die nachher den Gerichten ausgeliefert wurden. Die Mutter brachte mit dem Sohne glückliche Stunden in dieser Nacht zu; der Geistliche suchte eine einsame Ruhestelle, um sich von den Beschwerden des merkwürdigen Tages zu erholen. Die Gräfin schlief nicht und fuhr mit ihrem Sohne am folgenden Morgen als höchstbeglückte Mutter in Straßburgs Thore hinein, indem die Glocken eben feierlich zur Messe einläuteten, und des hohen Festes wegen von den Thürmen mit Trompeten und Posaunen geblasen wurde.


Als man sich der Stadt näherte, brach die Sonne hervor, und die Wolken verzogen sich allgemach, so daß ein 71 heitrer Tag sich über die Landschaft verbreitete. Die Gräfin stieg auf kurze Zeit in ihrem väterlichen Hause ab, um sich zu erholen und umzukleiden. Dann ging sie, vom stattlichen Sohn und dem Geistlichen begleitet, nach dem Münster. Als sie um die Ecke der Straße bogen, und ihnen das Portal des Domes in seiner ganzen Herrlichkeit entgegen leuchtete, bemerkte man, wie das Gesicht der Gräfin sich in Freude verklärte. Der Tempel war sehr von Menschen angefüllt, alles war in Freude, die Musik erklang, und die Kranke flüsterte ihrem Freunde Theodor zu: O wie bin ich hier so glücklich! Der Priester stand ihr nahe, aber etwas von der Seite, so daß er sie und den Ausdruck ihres Gesichtes genau beobachten konnte. Nicht lange, so bemerkte er zu seinem Erstaunen, daß sich ein wunderschönes Kind durch die Menschenmenge drängte, oder vielmehr machte jeder gern, der es gewahrte, dem holdseligen Wesen freiwillig Platz. Die Sonne fiel schräg durch die Fenster, so daß sein Antlitz leuchtete, so stellte es sich lächelnd dicht an die Gräfin hin, welche mit einem großen Blick aufsah, als das Kind sie begrüßte. Es hielt ein glänzendes, kostbares Büchlein in der Hand, welches die Kleine der kranken Frau überreichte. Die Gräfin drückte das Buch inbrünstig an die Lippen, sprach dann einige Worte mit der Kleinen. Nun ertönte die Glocke des Meßners, zum Zeichen, daß das Hochwürdigste erhoben würde, die Gräfin bekreuzte sich und ließ den Kopf dann sinken. In dieser Stellung blieb sie, und als Theodor den Blick von ihr erhob, konnte er das Kind nicht wiederfinden.

Die Menge verlief sich, die Kirche war nach und nach leer geworden. Der Obrist trat hinzu, um seiner Mutter aufzuhelfen; er fand sie als Leiche, ein seliges Lächeln auf den Lippen, das kostbare Gebetbuch hielt sie fest in der Hand. Der Obrist nahm es und fand auf einem Blatte vorn 72 die Handschrift seines Großvaters, dessen Namen und den Wunsch, daß seine Tochter für dieses Geschenk an ihrem siebenten Geburtstage stets fromm, gottesfürchtig, und den Eltern gehorsam seyn möge.

Als die Gräfin in der Gruft ihrer Vorfahren beigesetzt war, kehrte der Geistliche zum Schlosse und seiner Gemeine zurück. Er fand sich aber nicht berufen, seinen Bekannten dort von der letzten wundersamen Erscheinung zu erzählen. Die Erinnerung an diese und den Tod der Gräfin versetzte ihn stets, wenn er dieser Begebenheit gedachte, in die frömmste wie heiterste Stimmung.

 


 


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