Ludwig Tieck
Der Schutzgeist
Ludwig Tieck

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Es war ein Brief vom Obristen angelangt. Er schrieb, daß es ihm unmöglich sei, so wie er ehemals versprochen hatte, in einer bestimmten Zeit zurück zu kommen. Der Mutter bangte sehr nach ihm und der Geistliche war tief betrübt, weil er nun mit Gewißheit voraussehen konnte, daß der Sohn die Kranke nicht mehr im Leben finden würde. Diese war sehr nachdenkend und saß im Bette aufrecht, Stunden und Tage an den Fingern abzählend.

Ich werde ihn doch noch sehn, sagte sie dann nach einer Pause. Es ist doch ein seltsames Gefühl, wenn man, so nah an der Pforte des Todes, die Minuten fast berechnen und geizig und knausernd, wie die letzten Münzen eines Verarmten, in Anwendung bringen muß: den Heller und Pfennig dreimal umkehren und prüfend ansehn, ehe man ihn ausgiebt. Ich habe mir aber fest vorgenommen, vor Ostern nicht zu sterben, und nicht, bevor ich meinen lieben Sohn wieder gesehn habe, und dabei wird es denn auch sein Verbleiben haben. – Sie sehn mich verwundert an, und schütteln mit dem Kopfe? Es wird sich zeigen, wer sich von uns beiden in seiner Rechnung irrt.

Als der Arzt wieder kam, erzählte dieser umständlich von den mancherlei Unglücksfällen, die sich durch die neulichen Ueberschwemmungen in benachbarten Provinzen ereignet hätten. Man kann, beschloß er, die Natur und ihre Elemente immer noch nicht so bändigen, daß der Mensch nicht von Zeit zu Zeit von ihrem Humor leiden müßte. Stellt sich 14 die Natur einmal eigensinnig oder erboßt auf die Hinterbeine, so sind unsre Dämme und Schleusen, Brücken und Verwallungen nur Kinderspiel. Das alles legen wir sorgfältig und mit Nutzen an, im Vertrauen auf den stillschweigenden, aber niemals laut ausgesprochenen Contract, daß die Alte sich vernünftig betragen, daß sie Lehre annehmen, daß sie sich gesittet aufführen würde. Sie ist auch im Wesentlichen schon recht gut erzogen und hat ihre schlimmsten Unarten abgelegt; denn wie ungefüge sie sich in den frühesten Zeiten mag geberdet haben, davon können wir uns schwerlich eine Vorstellung machen. Die kleinsten Späße ihrer wilden Kinderspiele liegen noch als die Granitblöcke von tausend Zentnern in den Feldern umher, die letzten wilden Wasserstürze in der Schweiz und des Niagara und einige in Norwegen, die noch nicht eingezogen sind, um sie Mühlen und Fabriken dienstbar zu machen.

Sie haben sehr Recht, sagte die Kranke. Oft ist es, als wenn diese sogenannte Natur in Schlaf versunken wäre und saumselig so hin träumte, ihrer selbst nicht bewußt. Dann gedenkt sie manchmal plötzlich ihrer Riesenkräfte und verhöhnt die Anstalten und den Hochmuth des kleinen Menschengeschlechtes. Alle Sagen und Propheten träumen auch von einer Zeit, in der sie sich ihrer alten Stärke erinnern wird, und noch einmal wüthen und rasen, um sich selber zu vernichten.

Mit dem Menschen, diesem Mikrokosmus, sagte der Priester, ist es ja eben so beschaffen. Auch den frömmsten, sanftesten, der sich am meisten gebildet hat, wie man sich ausdrückt, kann die Raserei der Leidenschaft wieder einmal überraschen, um ihn sich völlig unähnlich zu machen.

Sehr oft, sprach die Kranke, als der Arzt sich verabschiedet hatte, indem sie plötzlich in einen andern Ton fiel, 15 ist es uns, als ahndeten wir in näherer Anschauung das eigentliche Wesen unsrer Seele. Wie wir uns selbst, sprichwörtlich, immer die nächsten sind, im Erkennen, in der Ausbildung unserer Talente, im Bewußtsein unsrer Kräfte: so ist doch jenes ächte Bewußtsein, weshalb wir allen diesen Reichthum besitzen, wohin uns diese mannigfaltigen Fähigkeiten führen sollen, immerdar ein Räthsel, oder wir stellen uns vielmehr diese Frage nicht. Unsre Seele, unser innerstes Selbst, steht uns so immerdar in einer unendlichen Ferne, wie unerkennbar, fabelhaft, und wenn wir denn im gewöhnlichen Leben so dreist von ihr sprechen, von ihrer Bestimmung, Hoffnung, künftigen Seligkeit, so ist das ganz mythologisch, um nicht fabelhaft zu sagen. Wir beruhigen uns dann an Bildern, Worten, sind mit halben Gestaltungen im blaßfarbigen Nebel zufrieden, um vor uns selber nicht zu erschrecken, ja uns innigst zu entsetzen. Wir sterben vielleicht, müssen wohl verscheiden, wenn wir uns selbst wahrhaft und ganz nahe gewahr werden. Wir gehn mit uns selbst immer nur im Bilde um, wie mit einer dritten Person: daher ist, so angesehn, der Glaube an uns selbst immer nur ein halber. Und es muß wohl so seyn, daß wir uns nur in einem Spiegelbilde erkennen, und doch, wenn wir uns besinnen, es recht gut wissen, daß jene scheinbare Wesenheit nur eine Spiegelung ist.

Sie helfen mir, sagte der Geistliche, zu Ausdruck und Verständniß, die mir sonst nicht so deutlich aufgehn wollten.

Und dann, fuhr die Kranke fort, kommen wohl diese Momente, Blitze, Orakel, wo uns (wie mir es eben geschah) aus dem tiefsten Unbewußtsein, jenem Urbenennen des Lebens und der Ewigkeit, ein Wort, ein deutliches, sich ablöset, empor tönt und unser ganzes Sein, alle diese vielfachen Ringe, Netze und Fäden durchklingt, und die ewige nothwendige 16 Täuschung fällt nieder, und ich bin bei mir selbst. Nun weiß ich auch, oder fühle, oder sehe (hier passen die Worte gar nicht mehr), weshalb ich bin, und wohin ich gelangen soll. Aber wie kann unsre menschliche Rede, diese Zwillingsschwester der Lüge, das, was ich in diesen Momenten der Wahrheit erfahren habe, nur irgend aussagen, oder andeuten?

Der Geistliche sah sie mit einem durchdringenden Blicke an und sie schlug das große begeisterte Auge vor seiner Anfrage nicht nieder, so daß sich die Seelen im feinen Element des Lichtes begegnen konnten. Ja wohl, sagte er nach einer langen Pause, ist der Mensch schon als Mensch unaussprechlich glücklich. – Könnte man dies nicht, sagte er ruhiger, was wir jetzt erlebt haben, das ächte Hellsehen nennen? Das, was jetzt so sonderbar betrieben wird, ist mehr ein subtilisirter Traum vom Traum, ein Vergröbern oder Vernichten unserer Fähigkeiten, und den Kunst-Kranken steht ihre Seele noch um tiefe Fernen weiter und unkenntlicher entrückt, als in ihrem gewöhnlichen Zustande.

Gewiß, antwortete sie, giebt es von dieser Krankheit auch tausend Arten und Abarten. Und wo ist der Arzt, in ihnen die höheren zu erkennen: wo der Magus, sie zu veredeln? So oft geht sein Gemüth und Wesen bis auf Zufälligkeit oder Rohheit in die Kranke über; oder sie wird wieder kindisch zum Kinde. alle Schatten verwundenen Aberglaubens verfinstern wieder den Geist, und grobe Lüge handthiert enthusiastisch in dem vibrirenden Netz der Krankheit aufgeregter Nerven.

Unser Gespräch, sagte der Priester, erinnert mich lebhaft an eine alte Geschichte, soll ich sie Abentheuer des Geistes oder theologische Novelle (wie man denn, jetziger Mode nach, alles Novelle nennt) oder Metamorphose, Umgestaltung eines großen, mächtigen Geistes nennen?

17 Erzählen Sie, sagte die Kranke, und lassen Sie Titelschrift, Eintheilung und Namenregister fahren: ich bin in der Stimmung, mich durch eine solche Zerstreuung zu erbauen.

Morgen, sagte der Geistliche, indem er Abschied nahm; Sie, Gräfin, bedürfen des Schlafes, und mich rufen einige kirchliche Geschäfte in mein Haus. Ich habe die Erzählung vor einigen Jahren schon niedergeschrieben, und morgen, wenn Sie noch denselben Wunsch haben, werde ich sie Ihnen mittheilen. Man kann sich bei dieser geistigen Begebenheit vielerlei denken, und in dieser Stimmung, verehrte Freundin, Gedanken zu erzeugen und zu hegen, sind Sie fast immerdar.


Die Gräfin hatte in der Nacht nur wenig schlafen können. Sie selber war ungewiß, ob die Schmerzen oder die aufregenden Gespräche sie munter erhalten hatten, aber sie fühlte sich am Morgen ziemlich wohl, und beschloß also, ihrem zu redseligen Arzte diese Schlaflosigkeit nicht zu klagen.

Der Geistliche begrüßte sie, und sagte nach einigen gewechselten Reden: Der Gegenstand unsers gestern abgebrochenen Gespräches ist kein geringerer, als der berühmte große Tauler, ein wahrhafter Mann Gottes, einer von jenen Erleuchteten, an welchen sich die Gnade vorzüglich kund gethan hat.

Ich habe, erwiederte die Gräfin, schon vor Jahren in seinen Predigten hie und da gelesen, weiß aber von seiner Geschichte nichts. So weit ich seine tiefsinnigen Worte verstehn konnte, die doch so klar und einfach lauten, ist er ein ächter Prophet. Ich will damit sagen, daß jeder seiner Sprüche eine von ihm selbst erlebte Wahrheit ist, und daß seine Seele zugleich mit allen ihren Kräften sich so still und ruhig hält, ohne Widersetzung des Talentes oder gar Stolzes 18 und Eigenwillens, daß die göttliche Kraft in ihm Raum findet, sich im Worte zu äußern, fast ohne andere Hülle, als wie sie unsre sterbliche Sprache nothwendig macht.

Ja wohl, erwiederte der Priester, und wie es zugleich die Zeit gebietet, die gewaltigste Beherrscherin unsrer Seele, wie wir diese in unserm dermaligen Zustande kennen. Denn durch die Folge der Worte und Gedanken in der Zeit erfährt unser Geist nur von sich selbst etwas, und nur so kann Gefühl, Kraft und Ueberzeugung auf ihn einwirken; in Pulsen und ruhenden Zwischenräumen, wie Blutlauf und Athemholen. Nun nach einigen Momenten der Blitzstrahl der höchsten Entzückung, oder der wahren Idee, welcher Bewußtsein und den Wellenschlag der Zeit auf einen Augenblick vernichtet. Oder die Idee und Entzückung leuchtet in uns auf, und der ordnende Geist richtet nun in Worten und Zeitfolge die himmlische Erscheinung in sein Fachwerk des Gedankens ein, um sich im Bewußtsein und Gedächtniß die Einwirkung der göttlichen Kraft zu erhalten: dauernd, aber auch nur wie nachschattend, bis denn irgend einmal diese Gedankenfolge wieder in jenen Glanz des unmittelbaren Göttlichen zurück fliegt.

Und so werden wir, antwortete sie nachdenklich, auch wohl in Zukunft in der Zeit und ihren Pulsen leben müssen, wenn uns auch die Gegenwart klarer und näher treten sollte, die der Mensch eigentlich fast ganz entbehrt, so wie das Thier nur in dieser zu leben scheint. – Doch jetzt zu Ihrer Erzählung oder Geschichte.

Der Geistliche nahm einige Blätter aus seiner Tasche, indem er sagte: Ich habe nur ausgezogen, was sich weitläuftiger in den alten Ausgaben der Taulerschen Predigten findet. Die Geschichte ist mir merkwürdig als ein Vorbild von dem, was sich auf diese oder jene Art im Leben eines 19 jeden Menschen findet, und das sich wohl nach dem Tode in der Seele derer entwickelt, die nicht diesseit die große Erfahrung gemacht haben. – Er las:

Um das Jahr 1340 lebte ein hochberühmter Prediger, der Doctor der Theologie, Tauler, in Straßburg.

Ei! unterbrach die Kranke: sehn Sie, Freund, was der Mensch ein schwaches und gebrechliches Wesen ist! Da steht mir nun mein Geburtsort Straßburg, und in ihm der herrliche Münster, das unendlich schöne Gebäude vor Augen, so daß ich gleich im Anfang mich von Ihrer Erzählung abwende. Also dort war dieser große Mann einheimisch? – Ich muß nun auch von allen zufälligen Bildern abstrahiren (ein Ausdruck, den mein wunderlicher Onkel immer brauchte) und Ihnen aufmerksam zuhören.

Der Priester Theodor lächelte und las in seinen Blättern also weiter: Der Ruhm dieses Mannes war damals weit verbreitet, so daß viele gelehrte Theologen von fernen Gegenden kamen, um ihn predigen zu hören, sich an seinem frommen Wandel zu erbauen und durch seine Gespräche zu belehren. Es schien auch, als wenn durch seinen Mund ein Geist der Weihe redete, denn Seegen verbreitete sich durch seine Ermahnungen und selber verstockte Herzen erweichten sich, von seinen erschütternden Reden angerührt. Die Stadt war stolz darauf, den großen Mann den ihrigen nennen zu dürfen, und jeder Fremde von Bedeutung, der durch die Thore eintrat, machte es sich zu einer wichtigen Angelegenheit, diesen Mann Gottes kennen zu lernen, oder im Tempel wenigstens eine von seinen Predigten zu hören.

So war es denn nicht auffallend, daß sich aus einer entfernten Gegend ein Laie aufmachte, diesen weitberühmten Mann, den großen, vielbegabten Tauler zu sehn und die Worte seines geweihten Mundes zu vernehmen. Dieser Laie 20 ging in die Kirche, zu welcher die Menge hinströmte, um die herrlichen Reden Taulers zu hören und ihr Gemüth für das Unsichtbare vorzubereiten. Als der Fremde den Prediger zurück gekommen glaubte, besuchte er diesen selbst, um im mündlichen Gespräch ihm näher zu kommen.

Er fand den berühmten Tauler als den sanftmüthigsten und bescheidensten Mann, so daß er einsah, er möchte und dürfte mit ihm ganz aus vollem Herzen sprechen. So bat der Laie denn, der Priester möge seine Beichte hören, und ihm darauf das heilige Abendmahl reichen. Das geschah. Nach einiger Zeit, als der Meister den Laien als sein Beichtkind angenommen hatte, und dieser schon manche seiner Predigten mit großer Aufmerksamkeit angehört hatte, sagte der Fremde in einer vertrauten Stunde zum Priester: Lieber Herr und Meister, ich bin aus weit entlegener Stadt über dreißig Meilen hieher gereiset, um Euch zu sehn und zu hören, Ihr habt mich auch freundlich und christlich aufgenommen, mir auch manches aus dem Schatze Eurer Weisheit mitgetheilt, seit zwölf Wochen bin ich nun hier in Straßburg, und ich muß bald darauf denken, wieder in meine Heimath zu kehren, darum bin ich so dreist, Euch, als meinem Befreundeten, eine Bitte vorzutragen, die mir zunächst am Herzen liegt.

Rede, mein Sohn, antwortete Tauler, und was ich vermag, soll Dir gewährt seyn.

Schenkt mir noch eine Predigt, sagte hierauf der Laie, die uns lehrt, wie der Mensch in diesem Leben auf das Höchste kommen, auf welche Art er zu Gott, so viel es irdisch möglich, am nächsten gelangen möge.

Tauler sah den Bittenden mit einem großen Blicke lange an, dann sprach er: Lieber Sohn, was sollte das, wenn ich es vermöchte, uns beiden nützen? Denn, wenn mir diese 21 große Aufgabe gelingt, so möchtest Du mich doch schwerlich verstehn, weil Du in den Tiefsinn des göttlichen Wortes nicht eingeweiht bist. Wenn es mir aber gelingen soll, vielleicht Manche meiner Gemeine zu diesem allerhöchsten christlichen Standpunkt hinauf zu führen, so muß ich mich lange zu dieser Predigt vorbereiten und alle meine Kräfte sammeln: ein Studium und eine Anstrengung, die Zeit und Erholung des Gemüths erfordert.

Der Laie ließ aber nicht nach mit Bitten, daß Tauler endlich versprach, jene Predigt bald zu halten, die er auch am Sonntage, als seine Gemeine in der Kirche versammelt war, dieser verhieß, als eine Anweisung, den Weg zu finden, wie der Christ in diesem Leben sich zur höchsten Stelle erschwingen könne.

Diese tief durchdachte Rede, in welcher Tauler alle seine Kraft und Kenntnisse niederlegte und allen Tiefsinn seines Geistes entwickelte, zeigte in vier und zwanzig Artikeln, was der fromme Glauben nur in seiner Seele und seinem Herzen thun müsse, um jene hohe Staffel zu erklimmen, auf der schon im Leben der Mensch als himmlisch verklärt wird. Alle Frommen der Stadt waren erbaut und meinten, so hoch verständig, so tiefsinnig und eindringend habe der große Mann noch niemals gepredigt.

Am andern Tage kam der Laie zum Priester. Seid Ihr nun zufrieden, junger Mann? fragte dieser: hat Euch mein Sermon Genüge geleistet? Der Laie antwortete: Hochwürdiger Vater, ich habe die Nacht damit zugebracht, aus meinem Gedächtniß Eure ganze Rede und alle die Artikel, welche sie enthielt, genau aufzuzeichnen, seht selbst diese Blätter durch, ob etwas mangelt, oder ob ich Euern Sinn verstanden habe. Tauler nahm das Papier und las es mit wachsendem Erstaunen; als er geendigt hatte, sagte er: Mein Bruder, ich 22 hätte niemals geglaubt, daß Ihr so weise und gelehrt wäret, auch habt Ihr Euch niemals, weder im Gespräch noch in der Beichte, etwas von Eurer großen Wissenschaft merken lassen. Der Laie antwortete hierauf nichts weiter, sondern beurlaubte sich, um nach seiner Heimath zurück zu kehren. Tauler aber, der den Fremden erst jetzt lieb gewonnen hatte, da er zugleich seine Gelehrsamkeit achten und seinen Tiefsinn bewundern konnte, drang mit Bitten in ihn, zu bleiben, und versprach, da er von jenem verstanden werde, noch mehr, und vielleicht noch bessere Predigten zu halten, an welche er mit voller Liebe seinen ganzen Fleiß wenden wolle.

Woher das, geehrter Meister? antwortete ihm der Laie. Ich bin Euch überflüssig und Ihr könnt mir nichts helfen, denn Eure große Gelehrsamkeit, Euer Scharfsinn, die rührende Sprache, womit Euch der Himmel begabt hat, alles das ist es nicht, was uns hinauf führt auf jenen Standort, welchen ich meinte, und der dem Christen durch die Gnade des Vaters, die Schrift und die Offenbarung des göttlichen Sohnes zu besteigen gegönnt wird. Ihr freut Euch noch menschlich andrer hoher Gaben, Ihr sucht nicht Gott, sondern Euch selbst: Euch ist das Geheimniß noch nicht erschlossen worden, durch Demuth, durch die Vernichtung Eurer selbst den Ewigen und dessen unergründliche Liebe zu finden. Ihr webt und lebt noch im Buchstaben, im Wort, Ihr dient, so geistlich Ihr Euch dünkt, der Welt und ihrem Schimmer. Wenn Ihr in die Tiefe Eures Wesens steigt, so ergründet Ihr nur immer mehr und mehr Wohlgefallen an Euch selbst, die Liebe, die Ihr zu Euch selber tragt, die Kräfte, die Ihr in Euch entdeckt, und die Euch wie Minen Goldes entgegen glänzen, rühren und erfreuen Euch innigst, und Ihr wähnt dann, vom Strahl Gottes und seiner Liebe angefaßt zu seyn. Könnt Ihr nicht Alles, was Ihr bis 23 jetzt gelernt und geschätzt habt, von Euch werfen, so bleibt Euch der Weg zum wahren Heil verschlossen. Im Traum wurde ich in meiner Heimath von einer Stimme dreimal aufgerufen, hieher zu reisen, um Euch aufzusuchen, nachdem ich schon lange vorher von Euch, Eurem frommen Wandel, Eurer Gottesfurcht und Eurer unvergleichlichen Prediger-Gabe gehört hatte. So ließ es mir keine Ruhe, bis ich Eure Worte vernommen und Eure Gestalt gesehn hatte. Nun kann ich von Euch scheiden, weil ich es weiß, daß unsere Wege ganz und auf immerdar auseinander gehen. So lebt denn wohl, Meister, denn ich glaube fast, Ihr versteht meine Meinung nicht, denn Ihr seid, wie so mancher würdige Lehrer, wie so viele, die dennoch Nutzen stiften, nicht ein sich selbst Verleugnender, sondern einer, der sich selber sucht, ein Pharisäer. –



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