Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Das Land schien dieser Parteien, des kleinen Krieges, der Auflösung der Ordnung und aller jener Uebel, die eine ohnmächtige und gestörte Regierung herbeiführt, schon gewohnt zu werden, und so sehr die Verständigen diese Uebel beklagten, so war doch keine Hoffnung, daß Hülfe und Abstellung dieser Noth bald eintreten könne, als plötzlich ein Vorfall alle Gemüther von neuem spannte und die Aussicht auf einen dauernden Frieden wieder erweckte.

Es erschien nehmlich vor Mons mit aller Pracht und Feierlichkeit und mit großem glänzenden Gefolge ein französischer Herold, welcher mit öffentlichem Ausruf den sich so nennenden Balduin, Grafen von Flandern und Kaiser von Griechenland, so wie Johanna, regierende Gräfin von Flandern, vor einen Gerichtshof citirte, den der König Ludwig der Achte von Frankreich in eigener Person im offenen Felde vor Mons, in Gegenwart der Grafen Conrad und Hugo, halten wolle, um, von der jungen Fürstin dazu aufgefordert, zu entscheiden, ob jener sich so nennende Balduin ihr Vater sei oder nicht. Der König habe um so lieber diesem Aufruf Folge geleistet, als dadurch am sichersten dem landverderblichen Kriege ein Ende gemacht werde. Anbei gebe Ludwig sein königliches Wort, daß Balduin so wie jedem Betheiligten freies Geleit und Sicherheit zugesagt werde, der sonderbare Rechtshandel möge sich entscheiden, wie er wolle.

Balduin und Hugo berathschlagten erst, ob sie sich dieser königlichen Entscheidung unterwerfen sollten; da aber alle ihre Räthe und Tillen, wie die übrigen Ritter darauf drangen, und sie einsahen, daß jede Weigerung nur ihre Sache verschlimmern könne, so gaben sie mit Dank ihre Zustimmung. Als der Herold nach Mons kam, erschrak erst Graf Conrad über diese Berufung, konnte ihr aber, da sie von Johanna selbst ausgegangen war, ebenfalls nicht widersprechen.

Ferdinand hatte den kranken König in Paris gefunden. Er war so glücklich gewesen, sogleich vorgelassen zu werden. Ludwig war über die bedrängte Lage Johannens sehr bekümmert, er erzählte, wie er sie einige Mal besucht und das schöne Kind immer geliebt habe. Dann sprach er von Balduin, und ließ sich die Begebenheit, von der er schon gehört hatte, genau vortragen. Ich bin erfreut, sagte hierauf der gütige König, noch in meinen letzten Tagen für ein gutes Volk und geliebte Freunde etwas Nützliches thun zu können; denn allerdings glaube ich im Stande zu seyn, den wahren Balduin, wenn er es ist, wieder zu erkennen.

Was Ferdinand rührte und in Verlegenheit setzte, war, daß der König einen besondern Antheil an ihm und seinen Schicksalen zu nehmen schien. Er erkundigte sich genau nach seinen Eltern, seiner Erziehung, allen seinen Bekanntschaften, und als ihm Ferdinand offen seine Klage mitgetheilt hatte, wie verwaist und unglücklich er sich fühle, weil er Niemand angehöre, versprach ihm Ludwig, bei dieser Gelegenheit zu ermitteln, wer seine Eltern gewesen. –

So kam Ferdinand erfreut und von Hoffnungen begeistert zurück, als er, ohne gehört zu werden, in das Gefängniß geworfen ward. Er hatte es verschwiegen, daß Johanna ihn zum Könige gesendet habe, und als Hugo es jetzt errieth, hielt dieser es nicht für nöthig oder nützlich, weitere Kenntniß davon zu nehmen, weil ihm zuviel daran lag, seiner Rache genugzuthun, und er glaubte, der König selbst werde sich, wenn er zugegen sei, um einen einzelnen gemeinen Boten nicht sonderlich kümmern.

Der kranke König ließ sich in einer Senfte tragen, und konnte nur kurze Tagereisen machen. Der eilfjährige Dauphin, von welchem sich der König nicht gern trennte, so wie Blanka, seine Gemahlin, begleiteten ihn. Im Gefolge war auch der alte und fromme Bischof von Beauvais, der lange das Vertrauen Philipps von Frankreich genossen und der Balduin persönlich gekannt und vielerlei mit ihm verhandelt hatte.

Auf der Wiese vor der Stadt wurde für die Zusammenkunft ein prächtiges großes Zelt aufgeschlagen. Der König kam an, und bewohnte in Mons das Schloß, wo ihm Johanna mit Demuth ihre Dienste widmete. Sie war entzückt, ihren Beschützer endlich zu sehn, dessen heiterer Blick und edles Antlitz sie schon im voraus sicher stellten, daß sie keinem kleinlichen Eigennutz und ähnlichen Planen, wie ihre Widersacher sie gesponnen hatten, erliegen würde. Die edle Königin Blanka tröstete und beruhigte Johannen völlig, die mit Erstaunen und Freude den Dauphin, den kleinen Ludwig, betrachtete, der wie eine überirdische Erscheinung in rührender Schönheit das Auge entzückte. Man trennte sich, um am andern Tage die große Streitfrage, die das ganze Land in Bewegung gesetzt hatte, entschieden zu sehn.

Die Glocken wurden geläutet, unter dem Gesange religiöser Hymnen zog die Prozession aus der Stadt. Die geistlichen Brüderschaften, die Aebte und singenden Schüler begleiteten den ehrwürdigen Bischof von Beauvais, Johanna war im fürstlichen Schmuck so groß und schön, daß sie, als sie die Straße betrat, Alle in Erstaunen setzte; der edle, fromme König war schlicht und einfach gekleidet, nur sein Mantel zeigte seine Würde; der Dauphin war ein so liebliches Kind, daß Alle, die ihn erblickten, Heil und Segen über ihn riefen. Blanka ging mit Johanna und tröstete sie erheiternd, die vor dem Gedanken zitterte, nun Den mit ihren Augen anschaun zu müssen, der sich ihren Vater nannte. Die Ritterschaft in der Stadt begleitete den König und die des Lagers ging ihm ehrfurchtsvoll entgegen. Als Hugo und Conrad sich im Felde begegneten, wechselten sie seltsame Blicke.

Im Zelte nahm König Ludwig seinen Sitz ein, zu seinen Füßen nahm der Dauphin Platz, Johanna und Blanka saßen nebeneinander. Jetzt erschien, indem das Zelt weit geöffnet wurde, mit einem glänzenden Zuge Balduin, in aller Pracht des orientalischen Gebieters. Der weite Kaisermantel floß um seine Schultern, er trug die Krone auf dem Haupt und das Scepter in seiner Hand. Ludwig stand auf, indem er eintrat, Balduin verneigte sich vor ihm und bestieg dann ruhig und mit edelm Anstande die Stufen, um sich auf dem Sessel niederzulassen, der ihm, dem Könige gegenüber, war bereitet worden.

Das feierliche Schweigen unterbrach hierauf Ludwig und sagte: Den sonderbarsten Rechtshandel zu entscheiden, bin ich als Richter herbeigerufen worden. Balduin, unser alter Freund, zeigt sich wieder und wird von vielen Kampfgenossen erkannt, indem sich Andere ihm widersetzen, das ganze Land erklärt sich einstimmig für ihn, nur nicht die Tochter, deren erfahrene Räthe den Vater Lügner und Betrüger nennen. Sie muß fliehen, und der Gewalt, der sie nicht widerstehen kann, Schlösser und Städte, alle Provinzen wider ihren Willen übergeben. Plötzlich erkennt Hugo, der stärkste Widersacher, ebenfalls den wiedererstandenen Kaiser, und es scheint, Johanna muß sich endlich allen Stimmen und Forderungen gefangen geben – siehe, da verläßt Conrad, Er, der zuerst den Kaiser im Eremiten wiederfand, ihn mit aller seiner Macht und seinen Schätzen unterstützte, der sein vertrautester Rathgeber war, diesen siegreichen, anerkannten Balduin, und nennt ihn Betrüger und sich selbst getäuscht, hintergangen. Dadurch schilt er sich aber auch unwahr, lügend und gegen seine rechtmäßige Fürstin und sein Land verrätherisch. Welcher Faden soll aus diesem Labyrinthe führen? War Hugo früher ein Verräther, oder ist er es jetzt? Machte Conrad boshafte Entwürfe, oder ist er jetzt seinem Fürsten und seiner Ehre treulos? Wodurch soll dieser Balduin sich unwidersprechlich als der wahre und echte Fürst dieses Landes darstellen, wenn seine ältesten und vertrautesten Freunde an ihm irre werden, ihn erst verleugnen und dann anerkennen, ihm anfangs mit feierlichen Schwüren huldigen und dann ihn mit derselben Zunge als einen frechen Betrüger brandmarken? Sind wir, die wir vor Jahren den edeln, tapfern Mann kannten und liebten, schon von diesem sonderbaren Räthsel tief ergriffen, wie muß nicht diese furchtbaren Wochen hindurch die arme geängstete Tochter sich abgehärmt haben, in dem unentschiedenen Gefühl, ob sie von Bösewichtern verderbt oder an einem großen Vater zur Sünderin werde.

Bei diesen Worten verbarg Johanna ihr weinendes Angesicht. Blanka, die Königin, faßte ihre Hand und trocknete ihr zärtlich die Augen. Johanna schaute dann wieder nach jener großen, ehrwürdigen Gestalt hin, der sie, wenn nicht Alles Lüge war, die innigste Liebe bezeigen mußte.

Jetzt nahm Balduin das Wort und sprach mit fester Stimme: Mein edler Vetter, berühmter König von Frankreich! es ist schon eine geraume Zeit, daß wir Euer theures Angesicht nicht gesehen haben, damals waret Ihr kräftig, gesund und ritterlich, und so sehr ich meinem Heiland danke, daß er es mir vergönnt hat, noch einmal in das Auge des allerchristlichsten Königs, meines Freundes, zu schauen, so schmerzt es mich doch, ihn krank und nicht mit den Kräften ausgerüstet zu erblicken, die wir und alle Guten ihm wünschen. Daß mein Schicksal ein wundervolles, mein Verhältniß zum Lande und zu meinen Freunden hier ein räthselhaftes ist, kann nicht geleugnet werden. Wie unnatürlich, daß mein geliebtes Kind, um welches meine alten Augen so viele Thränen vergossen haben, mir dort fern sitzt, mißtrauisch gegen mich aufgeregt und in Krieg. Es ist bekannt, daß ich mich nicht vordrängte, nicht Städte und Märkte durchzog, sondern in stiller Klause ein unbekanntes Leben führte, namenlos, freundlos, nur der Betrachtung überirdischer Dinge und dem Gebete hingegeben. Man riß mich gewaltsam aus meiner Zelle, nachdem man mich zufällig erkannt hatte, man zwang mich, meinen Titel und meine Würden wieder anzunehmen. Wenn es erlaubt ist, den Finger Gottes in den weltlichen Begebenheiten anzuerkennen, so ist das unbegreifliche Glück, welches mir, nach nur geringem Kampfe, alle meine Länder wieder zuwarf, wohl als eine Bestätigung des Himmels anzusehn, daß meine Sache eine gerechte sei. Viele Ritterschaft und Geistlichkeit war Zeuge, wie genau mich Graf Conrad damals befragte und prüfte, wie ungern er nur der Ueberzeugung Raum gab, endlich aber laut und mit Eiden bekennen mußte, ich sei Balduin. Ist dieser Mann jetzt schwach und thöricht genug, Alles zu leugnen, seine Eide wieder abzuschwören, so muß ich wohl mit Recht fragen: was kann ich für diese seine Leidenschaft und Treulosigkeit? War er damals überzeugt, ich sei wahrhaft sein Fürst und Gebieter, und hatte er, wie die Zeugen jener Erkennung, Gründe dafür: nun, so muß er diese erst entkräften und ungültig machen, und kein baares Nein, von der Leidenschaft und dem Eigennutz eingegeben, kann mir Würde, Namen und Fürstenthum rauben. War er aber schon gleich im Beginn des Glaubens, ich wolle ihn und die Welt bethören, und er benutzte diesen Glauben nur, um seine selbstischen Plane mit meiner Hülfe durchzusetzen, so muß ich wieder fragen: was hat mein gutes Recht mit der Zweideutigkeit dieses Mannes zu schaffen, wie kann es nur im mindesten auf seine Aussage hin in Zweifel gestellt werden? Log er schon damals, freiwillig, ungezwungen und schwur feierliche Eide gegen sein Gewissen: wie kann, wie mag man ihm denn jetzt trauen? Suchte er in mir nur den Betrüger, der ihm helfen sollte, so stellte ihm das ernste Schicksal seinen wirklichen Herrn entgegen, an dem er sich jetzt, der Verblendete, schwer versündigt hat. Auch Hugo war verblendet, und ist jetzt zurückgekehrt; wohl möglich, daß dies allein den neidischen Conrad bewog, mir wieder den Rücken zuzuwenden. Alle diese, hoch und niedrig, treu und zweideutig, sind meine Vasallen, und es ist nicht zu verargen, wenn Mancher glaubt, sie dienen mir, um Vortheil zu haben, sie widersetzen sich mir aus Bosheit und eigennütziger Rücksicht; darum war es ein weiser Gedanke meiner guten Tochter und ganz einer Regentin würdig, die Sache in die Hände Eurer Majestät, meines geliebten Vetters, auf den Ausspruch eines großen Monarchen, eines Unparteiischen zu legen, der durch mich weder verlieren noch gewinnen kann, und dessen hohen Adel und ungefälschte Frömmigkeit alle Fürsten Europas kennen und verehren.

O Himmel! sagte Johanna leise, zur Königin Blanka gewendet: so kann nur der wahre Balduin, so kann nur mein Vater sprechen. Erlaubt mir, daß ich ihm zu Füßen stürze und meine schwere Sünde gegen ihn mit brennenden Thränen abbüße.

Mäßige Dich, sagte Königin Blanka leise, liebes gutes Kind, denn die Sache ist noch nicht entschieden.

Was Ihr gesagt, antwortete Ludwig, würde Euch mein und jedes Herz gewinnen, denn so spricht der Fürst und Landesherr; käme nicht so Großes in Sprache, so möchte ich Euch meine Ueberzeugung nicht verweigern: aber eben wenn Ihr Balduin seid, müßt Ihr diese meine Zweifel rechtfertigen. Würdet Ihr doch selbst nicht anders verfahren, wenn Ihr in ähnlicher Sache zu meinem Amte aufgerufen wärt. Der würdige Bischof von Beauvais ist hier zugegen, der Euch oft und in vielen Verhältnissen sah, als noch mein Vater Philipp lebte. Er wird Euch einige Fragen vorlegen, durch welche, wenn Ihr mit der richtigen Antwort nicht zögert, Eure Aussage und Rechte bestätiget werden.

Ich habe schon, sagte Balduin, mit Freuden den frommen Herrn in Euerm Zuge gesehn, und wenn ich nicht Jeden einzeln begrüße, so ist es nur der Zeit, den Umständen und nicht der Nachlässigkeit oder Unkenntniß zuzuschreiben.

Dem Bischofe wurde ein großes Buch gebracht, welches an Philipps Hofe vor Jahren ein erfahrner Mann verfaßt, in welchem er alle Denkwürdigkeiten, die Reisen des Königs, die Vorfälle am Hofe, Besuche der Fremden eingetragen und genau verzeichnet hatte. Ein Geistlicher schlug es vor dem Bischofe auf, der die Stellen heraussuchte, die schon angedeutet waren. Die Fragen betrafen, wann und unter welchen Umständen, mit welchen Edeln zugleich Balduin zum Ritter geschlagen sei, wer dabei zugegen gewesen, wer ihm Schwerdt und Schild gereicht, den Helm aufgesetzt und die Sporen angelegt habe; wer bei seiner Vermählung Zeuge gewesen, welcher Geistliche den Segen gesprochen, was sich am Hofe an diesem Tage ereignet habe. Dieses hatte jener Chronist in früheren Tagen verzeichnet, und noch einige andere Umstände, die Balduin betrafen, kleine Begebenheiten am Hofe zu Gent, wie in Paris, die der Graf von Flandern in seiner Jugend erlebt hatte, wurden ihm jetzt in die Erinnerung gebracht, und der Bischof von Beauvais, der auch damals als junger Mann Zeuge der meisten jener Vorfälle gewesen und Balduins Vertrauen genossen hatte, war, durch jene Chronik unterstützt, am besten geeignet, die Richtigkeit der Antworten zu prüfen.

Balduin sah den König und den alten Geistlichen forschend an und sagte: diese und ähnliche Dinge muß freilich Niemand so genau wissen, als ich; bedenkt Ihr aber, Ihr verständigen Herren, daß seitdem so viele Jahre verflossen sind, was ich nachher erfahren und erduldet habe, so ist es wohl begreiflich, daß mir Manches, besonders von den geringfügigern Umständen, mag entfallen seyn. Doch gefragt, erwiederte er, nach kurzem Besinnen, auf Alles, was ihm vorgelegt wurde; er nannte Zeit und Ort, die Männer und Frauen, die zugegen gewesen, und erzählte Einiges mit so großer Umständlichkeit, daß der Bischof selbst sich erst jetzt wieder einiger Nebensachen erinnerte, die ihm entfallen waren und die auch jenes Buch nicht meldete. Viele der Gegenwärtigen, die mit Zweifeln in diese Versammlung getreten waren, erstaunten, Ludwig und der Bischof schienen geneigt, den Ausspruch zu thun, daß Balduin der ächte, der Kaiser Griechenlands seyn müsse, und die zitternde Johanna wollte sich erheben, um sich ihm weinend und stehend zu Füßen zu werfen; sie sprach zur Königin: in welchem ungeheuern Irrthum sind wir Alle befangen gewesen! Wie schändlich haben mich meine eigennützigen Räthe hintergangen! Kann mir der Vater, kann mir die Welt meine Härte jemals vergeben? – Die Königin Blanka tröstete sie wieder und rieth, sie möge sich ruhig verhalten, bis Ludwig die Untersuchung für geschlossen erklärt.

Graf Conrad erhob sich rasch, sah nach Hugo hinüber und warf einen drohenden Blick auf den Kaiser. Es schien, als ob er sprechen wolle, aber das verweisende Auge des Königs, das dem seinigen begegnete, erstickte seine Rede. Ludwig sagte hierauf: Es scheint, daß wir Euch werden nachgeben müssen, so gewaltig, beredt, wahrhaft edel und kundig zugleich erweiset Ihr Euch in allen Dingen. Es bleibt mir nur noch ein Ding zu erforschen übrig, und wenn Ihr mich dessen eben so bescheiden könnt, so darf ich nicht länger zweifeln, daß Ihr unser verlorner Balduin seid.

Hugo warf einen triumphirenden Blick in die Versammlung und Conrad biß die schmalen Lippen. Balduin sah jetzt mit festem Auge zur bleichen Johanna herüber und alle seine Anhänger, die das Zelt erfüllten, erhoben mit stolzem Bewußtsein des Rechts ihre Häupter. Der Bischof von Beauvais ließ durch einen Geistlichen die Chronik wieder wegnehmen, und es hatte den Anschein, daß Alle die Unterredung und das Verhör für geendigt hielten.

Der Dauphin, der kleine schöne Knabe Ludwig, erhob sich jetzt, trat zum Vater und sprach halblaut zu ihm: Erlaube mir jetzt, theurer Vater, daß ich zu jenem großen Mann hineile, damit dieser Balduin mich an seine Heldenbrust drücke. Ich möchte weinen, wenn ich seine Thaten erwäge und was er hat erleiden müssen. Immer ist mein Herz bewegt, wenn ich nur einen Pilgrim sehe, der Jerusalem und die heiligen Oerter besucht hat, noch mehr, wenn ich einen Krieger erblicke, der an dem Kreuzzuge Theil genommen hat. Etwas Göttliches scheint mir dann auf Erden zu wandeln. Wie mehr aber, wenn ich diesen Mann so nahe vor mir schaue, der das Wundervollste gethan und erduldet hat!

Der König liebkosete dem schönen Kinde und Aller Augen waren auf die Erscheinung hingerichtet, denn Alle glaubten in dem wunderbaren Knaben eine große Zukunft zu lesen. Sie suchten sich an dieser Hoffnung zu trösten, um so mehr sie die Krankheit des Königs, der noch kein hohes Alter erreicht hatte, und sein nahes Ende bekümmerte. Dieser sprach, nachdem der Dauphin sich wieder gesetzt hatte: Doch, ehe ich meine letzte Frage thue, wie kommt es, daß ich den jungen Ferdinand hier vermisse, der uns auch in der Stadt seine Dienste nicht entboten hat?

Graf Hugo nahm das Wort: Mein hoher König und Herr! viel Gnade, daß Ihr nach diesem Unwürdigen zu fragen geruht; er liegt nahe bei im Gefängniß.

Und was hat er begangen? fragte König Ludwig.

Wir müssen ihn für einen Verräther halten, erwiederte der Graf, denn er hat sich mit unwürdiger Frechheit in das Vertrauen unserer jungen Fürstin gedrängt, hat dieselbe, statt sie mir bei dem Rückzug aus Gent zu übergeben, heimlich und auf unedle Weise hiehergeführt, bezüchtigt mich und meinen Sohn der Giftmischerei und hat diesen, als er wieder erschien, auf den Tod verwundet.

Der König schwieg lange, indem er den Grafen mit festem Blicke betrachtete, es schien, als schwebe ihm eine harte Rede auf der Zunge, aber er unterdrückte den Zorn, indem eine leichte Röthe über das blasse Angesicht zog; zu Balduin gewendet, fragte er: Und Ihr seid auch von der Bosheit des Jünglings so überzeugt, daß Ihr Eure Einwilligung gabt, ihn in Fesseln zu legen?

Ich kenne ihn nicht, antwortete der Kaiser, Hugo ließ ihn neulich in meiner Gegenwart verhaften, weil der Sohn tückisch von ihm verwundet wurde.

Ludwig sah den Bischof Beauvais an, ohne gleich Etwas zu erwiedern, dann sagte er: Laßt meinen Wunsch vorläufig gelten, diesen Jüngling hier zu sehn, wir wollen dann auch seine Sache entscheiden. Er kam zu mir als eiliger Gesandter seiner Fürstin, der Gräfin Johanna. Aus dieser Reise, Graf Hugo, wenn sie Euch gleich verschwiegen wurde, werdet Ihr ihm doch kein Verbrechen machen oder sie Verrath gegen seine Herrin und Euch nennen wollen? Er ist hauptsächlich Ursache, daß Ihr mich hier seht; ich konnte, so schwach ich mich fühlte, seinen dringenden Bitten und der Kunst seiner Ueberredung nicht widerstehn. Da ich Freude an diesem Jüngling hatte und mich sein Schicksal rührte, so versprach ich ihm auch, ihm seine Eltern und Verwandte finden zu helfen.

Hugo, der erschreckt schien, sandte schnell einen Ritter, um Ferdinand aus seinem Gefängniß in die Versammlung zu führen.

Der König fuhr dann fort: Ihr mögt indeß erfahren, Herr Balduin, daß Margarethe, Eure Muhme, die portugiesische Prinzessin, in einem Kloster in Lyon kürzlich verschieden ist, nachdem sie viele Jahre hindurch allen Nonnen als ein Muster der Tugend und Frömmigkeit vorgeleuchtet hat. Ihr erinnert Euch doch der merkwürdigen Geschichte ihres Lebens und ihrer traurigen Schicksale?

Wohl sind sie mir nicht fremd, antwortete Balduin, obgleich ich von ihr seit lange nichts vernommen habe.

Natürlich, antwortete der König, denn da Ihr selbst der Einsamkeit lebtet und die Fürstin sich in ein Kloster verschlossen hatte, so könnt Ihr erst jetzt durch mich ihr Hinscheiden erfahren. Dagegen kennt Ihr um so genauer die Geschichte ihrer Jugend und müßt es mit mir schmerzlich beklagen, daß sie uns nun gerade entwichen ist, da sie endlich die Ihrigen wiedersehn und anerkennen durfte, da nach Jahren möglich ward, was mein Vater Philipp so sehnlich wünschte, als Ihr ihm damals, bevor Ihr nach Griechenland zoget, das Geheimniß entdecktet und ihn beschwuret, für Margaretha und die Frucht ihrer Ehe Sorge zu tragen. Ihr erinnert Euch doch aller Umstände noch genau? O gewiß, denn da Euch weder die Zeugen Eures Ritterschlages noch Eurer Vermählung, die Reden und Scherze bei beiden Festen, die Sieger und Besiegten im Turnier entfallen sind, so wird Euer Gedächtniß auch das Kleinste dieser höchst wichtigen Begebenheit aufbehalten haben.

Alle sahen gespannt auf Balduin hin, der seiner Fassung Gewalt anthat, um seine Verlegenheit zu verbergen. Er sagte mit unterdrückter Stimme: Erlaubt mir, großer König, mich zu sammeln, denn wie wichtig und schmerzhaft mir auch dieser Theil meines Lebens ist, so wie Alles, was sich an jene Zeiten knüpft, so ist es mir doch zu peinlich, hier in diesem großen Kreise, vor so vielen fremden, vielleicht feindlichen Männern, diese quälenden Erinnerungen mir wiederholen, von jener bedauernswerten Fürstin so laut sprechen zu müssen.

Euer Wink, antwortete der König milde, trifft zum Ziel, und ich will Euch nur noch fragen, da mir das Nähere der Begebenheit auch entfallen ist: ob jenes Kind ein Sohn oder eine Tochter war, und was aus ihm geworden ist?

Eine Tochter, antwortete der Kaiser mit fester Stimme, und sie ist auch schon früh in der Pflege einer frommen Aebtissin verschieden.

Mich freut es, sagte Ludwig, dies von Euch zu erfahren, denn dieser Umstand war mir gänzlich verborgen. Doch ändert dies die Sache völlig und die Rücksichten schwinden, die diese Begebenheit bis jetzt als Geheimniß versiegeln mußten, und so können wir auch öffentlich und freundlich uns darüber besprechen, und es muß Euch nicht unlieb seyn, wenn auch Euer Schmerz dadurch erneuert wird, Euch Eurer Jugendjahre wieder zu erinnern.

Der Ritter trat jetzt mit Ferdinand ein, der sich vor dem Könige, der ihn freundlich begrüßte, auf ein Knie niederließ. Auf einen Wink Ludwigs erhob sich der Jüngling und unvermuthet traf sein Auge die schöne Johanna, die ihn, die ganze Versammlung in diesem Moment vergessend, hold anlächelte. Er stellte sich dann in die Ferne zu den jungen Rittern und vermied es, den Blicken Hugo's oder Conrads mit den seinigen zu begegnen.

Ihr wißt also, begann Ludwig wieder, mein freundlicher Balduin, daß Euer nächster Vetter und Blutsfreund drei Jahre vor Euerm Zuge sich mit der portugiesischen Prinzessin Margaretha verlobte, Beide in inniger Liebe zu einander entbrannt. Doch der König, die Verwandten und der Adel war gegen diese Verbindung. Ein Priester wagte es, den Liebenden im Namen der Kirche den Segen zu geben und sie zur rechtmäßigen Ehe zu verbinden. Ihr wart damals, so sehr Ihr abriethet, der Vertraute ihrer Schmerzen und Freuden. Doch bald darauf starb Euer Freund, der tapfere Anton, im Kriege, und sie, die Aermste, guter Hoffnung, wie die Welt es nennt, aber trostlos und von aller Welt verlassen, pilgerte nach dem heiligen Jakob von Compostella, und von dort, mit Bewilligung der königlichen Familie, nach unserm Reiche, wo mein Vater Philipp ihr Schutz und Trost gewährte. Sie kam nieder und Euch wurde die Tochter zur Erziehung übergeben; die Prinzessin Margaretha ging, wie ich schon sagte, in das Kloster zu Lyon, wo sie in diesen Tagen starb, eben, als auch in Portugal alle Hindernisse gehoben sind, um sich öffentlich die Mutter einer hoffnungsvollen Fürstin nennen zu dürfen. Doch, da diese, wie Ihr mir eben gemeldet habt, ebenfalls nicht mehr lebt, so ist freilich diese ganze Begebenheit mit allen ihren Folgen völlig aus dem Gedächtniß der Menschen verschwunden, und billig sollte ich auch diese meine Erzählung bereuen, die vielleicht hätte unterbleiben mögen. – Tretet indessen heran, Ihr armer Ferdinand, fuhr der König mit erhöhter Stimme fort, Ihr liebenswerther Jüngling, für den ich, meinem Versprechen gemäß, gern etwas thun möchte. Schon früher, edler Kaiser, wie man mir gesagt hat, habt Ihr erklärt, daß Ihr Euch nicht erinnern könnt, welchen Eltern er angehört; aus einem Kriege, einer geplünderten Stadt, wie Ihr meint, habt Ihr ihn mit Euch geführt und in Gent an Euerm Hofe erziehen lassen.

So ist es, erwiederte Balduin; und wie soll ich, nach Jahren, der ich damals, und wie viel mehr seitdem, so große Dinge zu bedenken hatte, noch genau den Ursprung der Waise kennen? –

Jetzt hört mich, rief der König, so laut er es vermochte, seid still und aufmerksam! – So sage ich denn, Du, der sich Balduin nennet, bist der größte Schalk und der frechste Betrüger dieser Erde! –

Alle wurden von dieser plötzlichen Wendung wie mit einem ungeheuern Schreck erfaßt. Balduin fiel todtenbleich in seinen Lehnsessel zurück und zitterte heftig am ganzen Körper, seine Knie schlugen aneinander und der kostbare Scepter fiel aus seiner Hand und schlug klirrend auf den Boden.

Ja, fuhr Ludwig mit laut tönender Stimme fort, wärst Du, frevler Sünder, Der, für den Du Dich ausgiebst, so würdest Du diesen Jüngling, diesen von Dir verfolgten Ferdinand, theurer wie den Apfel Deines Auges bewahren, denn er, er ist der heimlich erzeugte und geborne Sohn jener Ehe. Anton, der Vetter Balduins, war sein Vater und Margaretha von Portugal seine Mutter, dies bestätige ich hier laut mit meinem königlichen Worte. Mein Vater Philipp wußte das Geheimniß und dieser, mein frommer Bischof hier; als Balduin nach Griechenland zog, empfahl er diesen Ferdinand in einem Briefe noch einmal meinem Vater, dieser Brief ist hier und alle Großen mögen ihn einsehen: er wünscht in diesem Schreiben, daß, wenn seine Tochter Johanna in reifen mündigen Jahren von keiner andern Neigung gehindert werde, sie diesen seinen Vetter Ferdinand zum ehelichen Gemahl annehmen möge.

Johanna war einer Ohnmacht nahe und lag weinend am Busen der Königin Blanka. Dem erschütterten Ferdinand dünkte, die Welt drehe sich rund um ihn, er wußte eine Zeitlang nicht, ob er träume oder wache. Er küßte kniend des Königs Hand, warf sich vor der Königin Blanka nieder, drückte in taumelndem Entzücken einen Kuß auf die Wangen des kleinen Dauphin und setzte sich dann, auf Befehl der Königin, neben Johanna, die von Allem, was geschehen war, wie betäubt, aber zugleich in Entzücken aufgelöst war. Ein allgemeiner Tumult war im Zelt; Freude, Schreck, Erstaunen, Ueberraschung, Zorn, Wuth, Verlegenheit, Scham und Reue hatte Jeden erfaßt, und der Dauphin sagte zu seiner Mutter: Ach, Mutter, was sind die Menschen? Kann es solchen Betrug geben? Duldet Gottes Langmuth dergleichen?

So eben, erwiederte die Königin, hat er durch seinen Stellvertreter die Frevler zu Schanden gemacht.

Tritt hervor, rief jetzt der Herold mit donnernder Stimme, die alles Geräusch wieder in Stille verwandelte, Du Bernhard Rais, der sich Balduin von Flandern nannte, und bitte zu den Füßen des Königs um Gnade.

Der König sagte in wiederbesänftigtem Ton: Bernhard, tritt zu mir und bekenne Dein Verbrechen, so sollst Du begnadigt werden. Ich habe Dir außerdem freies Geleit zugesagt, und ich will mein Königswort aufrecht erhalten, daß Du weder am Leibe noch an Freiheit beschädigt werdest, wenn Du bereuest und Deine Bosheit bekennst. Thue den Mantel von Dir und nehmt ihm die Krone vom Haupt, die an ihm ihre Würde verloren haben.

Der falsche Kaiser ward entkleidet und Bernhard Rais, wie er sich jetzt nannte, warf sich gedemüthigt, zitternd, aller Haltung beraubt, vor dem Thron des Königs nieder. Er gestand, daß er schon seit lange mit dem braunen Robert, und durch diesen mit dem Grafen Conrad in Verbindung gestanden. Diese haben ihm in seiner Einsiedelei alle Nachrichten verschafft, um sich zu der Rolle vorzubereiten, die er nachher mit mehr Glück, als er selbst erwartet, gespielt. In früher Jugend sei er Bauernknecht, nachher Handlanger in einem Kaufmannshause in Antwerpen gewesen. Dann sei es ihm gelungen, einer von den Waffenträgern des Grafen Balduin zu werden; er sei selbst bei dem Ritterschlage und der Vermählung des nachherigen Kaisers zugegen gewesen, und darum habe auch sein Gedächtniß alle Vorfälle jener Tage so genau behalten. Schon damals habe die Dienerschaft ihn oft damit verspottet, daß er dem Landesherrn so ähnlich sehe. Er habe auch die Reise nach Griechenland mitgemacht, sei aber früh wieder umgekehrt, worauf er in Deutschland und Frankreich als Schildknappe einiger Ritter in Diensten gestanden. Nachher sei er zum Schirmvogt eines Klosters in Brabant gekommen, hier sei er von den Geistlichen geliebt und unterrichtet worden, und durch sie habe er jene Einsiedelei im Walde bei Valenciennes erhalten. Hier habe er sich stets im würdigen Betragen geübt, sich Balduins lebhaft erinnert und ihm nachzuahmen gesucht. Schon vor Jahren habe ihn der braune Robert, als dieser mit einer Räuberbande umherzog, wiedererkannt und ihn aufgefordert, den Kaiser zu spielen und so Beute zu machen; er habe aber den Versucher damals mit Ernst von sich gewiesen, bis er späterhin mit Graf Conrad in geheime Verbindung gerathen sei. Als man Gent erobert habe und das ganze Land ihnen zugefallen sei, habe sich Conrad allgemach von ihm zurückgezogen, weil dessen Sohn Wachsmuth sich in Krankheit verzehrt. Da Conrad also die Ehe des Sohnes mit der Fürstin Johanna, die immer sein größter Wunsch gewesen sei, nicht mehr für möglich gehalten habe, sei er selbst in seinem Eifer lau geworden, um so mehr, da er, der vorgebliche Balduin, Jenem nicht die Regierung so unbedingt überlassen habe, als Conrad es gefordert. Dies habe er nicht gekonnt, um die Vasallen nicht aus ihrer Täuschung zu erwecken. Um aber das letzte Hinderniß fortzuräumen, habe er nun selbst mit Hugo Unterhandlungen angeknüpft, und der Regent sei ihm eilig entgegengekommen. Ein neues Schauspiel der Prüfung, von der die Fragen und Antworten wieder verabredet waren, habe man den Freunden gezeigt.

Conrad, eben so wie Hugo, wollten sich entschuldigen, sie seien selber getäuscht worden, aber ihre Worte fanden keinen Glauben, und selbst ihre bisherigen Freunde und Diener entfernten sich mit Verachtung und Hohn von ihnen.

Ferdinand und Johanna wurden nun feierlich miteinander verlobt. Alle Vasallen und Ritter aus Flandern huldigten ihnen. Conrad und Hugo wurden jeder auf eins ihrer Schlösser verbannt, ihre übrigen Güter fielen zur Strafe ihres Verraths an den Landesherrn zurück. Sie entfernten sich Beide, gedemüthigt und beschämt, ihnen folgte Bernhard Rais, der bisher die Person des Kaisers Balduin dargestellt hatte. Der braune Robert hatte sich schon früher aus der Versammlung geschlichen, als er sah, welche Wendung die Untersuchung nahm.



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