Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Ferdinand war glücklich, denn er war zum Diener in den innern Gemächern des Palastes angenommen worden, eine Stelle, die nur Edelleute erhielten und die ihm oft Zutritt zu Johannen verschaffte. Auf ihre Vorsprache hatte ihn Hugo zu diesem Ehrenamte befördert. Dieser Vorschritt trieb ihn um so mehr zu jenem alten Rathe Berthold hin, bei dem er nach Kunde von seiner Familie forschen wollte. Der greise Mann, der vor Alter schon etwas blödsinnig schien, sann hin und her, ging die Namen aller Familien durch, so wie alle Begebenheiten, die ihm in seinem langen Leben zugestoßen waren, und sagte endlich: nein, mein junger Sohn, ich kann Euern Wunsch in keiner Weise befriedigen, denn so gut auch sonst mein Gedächtniß ist, so kann ich doch, was Euch betrifft, nirgend anknüpfen. Ihr wart schon hier, als Kind, und zwar im Schloß, bevor Balduin nach Jerusalem ging, er nahm sich Eurer an, hat aber Keinem von uns gesagt, wem Ihr zugehört. Ob Ihr also eine Waise oder ein Findelkind seid, oder ein unechter Sohn von ihm oder Einem aus seiner Verwandtschaft, alles Das kann ich wenigstens nicht aufklären, auch hat er uns, als er nach den Morgenländern reisete, nichts darüber zurückgelassen, ob ich gleich damals einen großen Theil an der Regentschaft hatte. Da er mir nichts vertraute, weiß gewiß Graf Conrad, der später aus Griechenland zurückkam, noch weniger davon, und ebenso kann unser Hugo nicht die mindeste Kunde davon haben. Aber, fügte er lächelnd hinzu, wie der Dichter sagt: flectere si nequeo superos, Acheronta movebo; da Ihr von mir nichts erforschen mögt, was Eure Eltern anlangt, geht doch zum alten Doktor Wenzesla, der Geister citirt, Horoskope stellt und in Krystalle schaut, vielleicht entdeckt er Euch Etwas durch Hülfe der Unterirdischen. Freilich hat unsere Kirche dergleichen schwer verpönt, indessen habe ich doch auch einmal einem unschuldigen Fürwitz nachgegeben und mir von ihm wahrsagen lassen, und Vieles davon ist eingetroffen.

Unwillig verließ Ferdinand den Alten, und ging nach seiner geliebten Stelle im Walde, wo er saß und dichtete:

    Will Alles mich verlassen?
Und nenn' ich gar nichts mein?
Nein, keine Hand erfassen
Darf ich und freudig seyn:
Still wandl' ich durch die Straßen,
Hell glänzt der Sonnenschein,
Doch Hohn, Verachtung, Hassen
Ist all' die Habe mein.

    Kein Mutteraug' erfreute
Sich meines Lächelns je,
In aller Fern' und Weite,
Wohin ich sehnend späh',
Wie ich die Arm' ausbreite,
Ist Schmerz nur, Angst und Weh;
O sprecht, ihr fremden Leute,
Saht Ihr was Aermres je? –

    Und doch bin ich zufrieden,
Tauschte mit Keinem nie:
Mir ist das Heil beschieden,
Ein Glück, ich weiß nicht wie,
Ich fand den Blick hienieden,
Wie Glanz der Morgenfrüh',
Aus süßen Augenlieden
Sah lächelnd auf mich Sie.

    So blüh' denn, Frühlingsanger,
Du blühst doch schöner nie
Mit tausend Blumen schwanger
Als sie, die Schönste, Sie,
Und wird mir bang und banger,
Erseh' ich sie, nur sie,
Bin ich der Frühlingsanger,
Und fühl' und denk' nur Sie.

In den Straßen, als er zurückgekehrt war, begegnete ihm Ingeram. Es dunkelte schon und sie standen zufällig vor dem Hause des Doktor Wenzesla. Wollt Ihr mich sprechen? rief Jemand von oben: es war der alte Philosoph, der aus dem Fenster sah. – Komm hinauf! sagte Ferdinand schnell, es ist wohl mein Schicksal, das mich zu ihm ruft!

Euer Schicksal? sagte der Kleine, indem sie schon auf dem Vorsaal unten standen. Junger Freund, habt Ihr denn an mir nicht schon als Narren genug, daß Ihr noch diesen hier aufsuchen müßt? Ihr schwelgt in Thorheit, und das wird Euerm geistigen Magen schlecht bekommen. Denkt Ihr denn, Schicksale werden gewirkt wie Teppiche und stehn zu Kauf? So hätte man für mich wohl auch ein anderes Muster und bessere Fäden hinein bestellen sollen, und nicht den groben, kümmerlichen Einschlag, wo die Fasern allenthalben heraushängen.

Man muß nicht immer verständig seyn wollen, antwortete ihm Ferdinand kurz, indem sie die Treppe hinaufgingen.

Im Saal erwartete sie der alte Mann. Den ganzen Tag, fing er das Gespräch an, war mir im Gemüth, als müsse mich Jemand besuchen, mit dem ich Wichtiges zu verhandeln hätte und der mir sonderbare und erfreuliche Nachrichten bringen würde. So ist der Tag vergangen, endlich, spät am Abend, seh' ich Euch da vor meiner Thür stehen bleiben und meine nun, Ihr seid der erwartete Botschafter.

Es steht schlimm, sagte Ferdinand, wenn Ihr von mir Etwas erfahren wollt, denn ich wanderte eben zu Euch, auf Anrathen des alten Herrn Berthold, ob Ihr mich nicht vielleicht in Ansehung der Sache, die mir die wichtigste seyn muß, etwas beruhigen könntet.

Der junge Mann trug ihm seinen Wunsch vor, und der Doktor sagte nach einigem Besinnen: Herr Berthold bleibt ein leichtsinniger Mensch, so alt er auch nun nach gerade schon wird, und darum hat er es auch nie im Leben zu Etwas bringen können. Immer war er das Spielzeug des Regenten und anderer Räthe, weil kein Ernst in ihm ist. Ich habe einmal seinen dringenden Bitten nachgegeben und ihm eine astrologische Rechnung gestellt, aber es ist unbesonnen, meinen Namen und meine Kunst so ohne Unterschied Jedem preiszugeben. Wir leben in einer gefährlichen Zeit, wo man so gern Alles, was das Alltägliche verläßt und überschreitet, mit dem Namen der Ketzerei verunglimpft, und Jedermann, der etwas Sonderliches denkt, vor das Gericht der Kirche und Priester zieht, als wenn diese allein das Recht behalten müßten, das Thörichte auszubreiten und die Leichtgläubigen irrezuführen. Außerdem, junger Mann, gehört die Frage, die Ihr mir da vorlegt, zu den allerschwierigsten, und was noch schlimmer ist, ich kann Euer Horoskop nicht ausarbeiten, da Ihr mir nicht den Tag und die Stunde Eurer Geburt anzugeben wüßt. Indessen tretet ein, wir wollen sehen, ob wir durch andere Kunststückchen der Sache vielleicht auf die Spur gerathen können.

Aus dem ganz finstern Vorsaal traten sie in ein nur schwach erleuchtetes Zimmer, in welchem eine Ampel von der Decke hing. Hier betrachtete der Doktor seinen jungen Gast genauer und sagte dann: Ich habe Euch wohl schon oft umherwandeln sehn, denn Euer Wesen ist mir nicht unbekannt, und Ihr habt eine angenehme Gesichtsbildung, die auf Glück deutet, sowie auch übrigens einen anmuthigen Leichnam. – Aber, fuhr er fort, indem er Ingeram näher ins Auge faßte, – was ist uns denn hier bescheert? Wahrlich, ich gehe zwar nicht viel aus dem Hause und in das weltliche Gedränge, aber ich möchte schwören, der kleine Gesell sei nicht von der gewöhnlichen Art der Menschen, auch wohl nicht aus den hiesigen Landen.

So ist es, sagte Ingeram lachend, ich war im Gefolge der Botschaft, die vor einiger Zeit aus England herkam. Der junge Herr, der sich schön zu seyn dünkte und vom König Heinrich hergeschickt wurde, hatte mich aus Eitelkeit mitgenommen, um gegen mich noch mehr abzustechen. Das ist ihm denn auch so gelungen, daß sich alle Weibsbilder in ihn verliebten. Mir aber, der ich die eigentliche Ursache davon war, hat keine einzige auch nur ein freundliches Wort darüber gesagt, und er selber hat sich auch so undankbar erwiesen, daß ich lieber gleich, als er wieder zu Lande fuhr, hier geblieben bin. Sonderlich achten sie mich hier auch nicht, aber England soll mein Gebein wenigstens nicht besitzen. Dünkt Euch das nun unpatriotisch, weiser Herr? Ich meine, mehr als ein ehrwürdiger Mann des Alterthums hat dieselbe Gesinnung geäußert.

Kleiner fremder Herr, sagte der Doktor, ich verstehe Euch eben nicht ganz; indessen wollen wir sehn, welchen Rath wir diesem feinen Jüngling ertheilen können. In das Krystall zu schauen, dazu ist keine Zeit, Beschwörungen vorzunehmen ist mißlich, da Ihr mir ganz unbekannt seid, die Hände zu besehen, fruchtet nicht, da sie nur Länge des Lebens und Glück in der Liebe verkündigen. Wir wollen in der Eile das Prophezeien aus dem Staube versuchen. Auch ein artliches Kunststück, wenn es irgend gelingt.

Er nahm eine fein gearbeitete silberne, flache Schüssel vom Gesims, wog sie sorgfältig und prüfend auf der Hand und setzte sie dann auf einen kleinen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand. Auf den Zehen leise schleichend ging er dann zu verschiedenen Schränken, in welchen vielerlei Geräth durcheinander lag. Er nahm feine Pulver, die sorgsam eingewickelt waren, und schüttete sie in die glänzende Schüssel. Erst einen feinen Goldstaub, dann gestoßenes Silber, rothe Farbe, grüne und blaue, dann weißes und schwarzes Pulver. Nachdem ihm die Menge und Mischung hinlänglich schien, holte er aus einem Kasten eine silberne Scheibe, auf welcher Hieroglyphen, Zahlen und allerhand magische Zeichen, Linien, Sterne und Bilder eingegraben waren. Diese paßte er sorgsam auf die Schüssel, daß der Kranz rundum beschlossen war. Murmelnd und leise singend schwang er sich die Schüssel dann um das Haupt, kehrte sie drei Mal um und forderte dann Ferdinand auf, dasselbe zu thun, aber ohne ein Wort zu sprechen und noch weniger vom prophezeienden Farbenstaube etwas zu verschütten. Nach diesen Ceremonien nahm er die vielfach beschriebene Scheibe von der Schüssel, die er wieder auf den Tisch stellte und die Lampe tiefer von der Decke herunterließ, um zu betrachten, welche Figuren und Bildungen sich innerhalb der Schüssel zusammengefügt hatten. Tretet nun näher, sagte er lächelnd, und leset selbst Euer Schicksal, wenn Ihr anders zu lesen versteht.

Die beiden Fremden gingen eilig näher und Ingeram sagte: Wahrlich, großer weiser Mann, Ihr gebt uns hier in dieser kleinen Schüssel ein lehrreiches Bild von unserer ganzen Welt oder Erde. Wie da auch die Gebeine aller Jahrhunderte und Völker, aller Länder und Menschen durcheinander gerüttelt werden und zu Staub verfallen, Knechte und Fürsten, Alexander, Perikles und Herodes der Judenkönig, der heilige Augustin, Hieronymus und der Ketzer Abälard, Barbarossa, unser Balduin und die schöne Cleopatra, und aus allem diesen Staube wieder Gras, Blumen und Gemüse farbig emporschießen, oder vielleicht Metalle, Krebse, Corallen und Steine, Vieles wieder neue Menschen genießend in sich nehmen, und sich Alles so fort und fort immer wieder verwandelt und neu gestaltet, und Nebucadnezar kurz nachher, nachdem er als Vieh selbst Gras gefressen, selbst von Vieh als Gras verspeiset wurde: so ist auch hier in dieser Schüssel das große, räthselhafte Verwandlungsfest und die Lauberhüttenfeier des Auszuges aus der Dienstbarkeit sichtbar geworden.

Indem Ferdinand die wolkigen, unbestimmten Figuren, die sich bunt und unkenntlich zusammengezogen hatten, schon scharf betrachtete, sagte der Alte, welcher empfindlich schien: ich vermuthe, Herr Zwerg, daß sie Euch vielmehr wegen zu großer Geschwätzigkeit dort aus dem Lande verbannt haben, denn hier wenigstens stört Ihr die nothwendige Ruhe und Aufmerksamkeit.

Ingeram sah ernsthaft mit in die Schüssel und sagte dann: seht nur, Herr Doctor, da ist wie grün, blau, roth und goldnes Wolkenwesen, wie ein Nordlicht, das durch einander zittert und funkelt; ist denn aus diesem glänzenden Besenreis, Auskehricht und struppichten, igelförmigen Schicksals-Lineamenten wirklich etwas Ernsthaftes herauszulesen, so buchstabirt uns doch ein wenig vor, daß wir glauben, aus Eurer Saat seien Worte hervorgewachsen.

Der Alte hatte noch eine Kerze angezündet, leuchtete aufmerksam in die Schüssel und hielt mit einem silbernen Griffel bald auf diese, bald auf jene Stelle derselben. Wer ungläubig ist, sagte er endlich ungeduldig, der sieht und hört nicht, der vermag auch keinen Gedanken zu fassen. Seht Ihr denn nicht einen Fürsten im rothen Purpurkleide auf seinem goldenen Throne sitzen? Nicht weit davon im himmelblauen Mantel, mit Hermelin verbrämt, ein noch größeres weibliches Gebild, wahrscheinlich seine Gemahlin oder Mutter? Hier steht ein großer Mann, im braunen Mantel, mit langem Bart, der ein Schwert emporhält, auf welchem oben eine goldene Krone schwebt. Im Winkel hier sitzt noch, wie im grünen Grase, eine kleine Figur, die mich auch wie ein König oder Fürst bedünken will. Seht, hier ist ein Kampf zwischen zwei Rittern, und Blut fließt. In der Ecke wird gar eine ganze Stadt mit Sturm eingenommen. Summa, Ihr seid, mein junger Freund, von vornehmem Geschlecht, aber Blut wird fließen, Kampf und Krieg wird es kosten, bevor Euer Wappen kann an das Tageslicht gezogen werden. Der Mann mit dem Schwert hier vorn ist entweder Euer Vater oder mächtiger Gegner.

Nun wahrlich, rief Ingeram aus, dagegen sind die Propheten, die mit schlichten Augen die Zukunft voraussehen, oder aus dem Antlitz der Menschen wahrsagen können, doch nur blind zu nennen! Aber könnte ich denn nicht vielleicht der ganz kleine Fürst seyn, der dort, wie Ihr sagt, im Grase kauert? Je mehr ich das kurze Ding betrachte, je mehr finde ich Aehnlichkeit mit meiner Gestalt. Seht nur selbst, wie zärtlich er, mehr mit dem Maul als mit den Augen, nach dem sitzenden Fürsten hinüberschaut? Immer mehr kommt die Vermuthung, guter Ferdinand, näher, die ich neulich schon äußerte, daß Ihr doch mein Sohn seyn möchtet.

Ferdinand erhob sich heftig bewegt. Keinen Dank, sagte der Doctor, noch weniger einen Lohn, – aber, – fügte er bittend hinzu, indem er die Hand des Jünglings faßte – wenn Ihr einmal Euerm wahren Stande zurückgegeben seid, so gedenkt meiner in Freundlichkeit.

Wie kann Euch, sagte Ingeram, als sie wieder auf der Straße standen, nur so kindischer Aberwitz in diese Bewegung setzen? Eben so gut möchtet Ihr Euch ja aus Morgennebel und Abendwolken Eure Ahnen herauslesen. Wohin kommt es mit Euch, junger Mensch, wenn jedes Spielwerk Euch Euerm Wesen abtrünnig machen kann?

Du sprichst eben, antwortete Ferdinand unwillig, wie man so spricht. Soll ich mich nicht ganz fallen lassen, daß es mir völlig gleichgültig ist, wie ich als Knecht und Tagelöhner im Schlamm untergehe, so muß mich Alles quälen, oder in Hoffnung erfreuen. Und ängstige mich nicht mit jenem scherzenden Wort, das Dir dort wieder beim Wahrsager entflogen ist: ich will Dich immer lieben, aber ich mag Dein Sohn nicht seyn.

Es ist ja noch die Frage, antwortete Ingeram ganz ernsthaft, ob ich Euch brauchen könnte, denn seht, Ihr habt eine herrliche Anlage zu einem aberwitzigen Liebhaber, aber auch nicht die geringste zu einem, auch nur mittelmäßigen, Sohne. Wir vertrügen uns schwerlich, denn ich würde Euch eine gar andere und strengere Erziehung zukommen lassen, als Ihr bis jetzt genossen habt. – O Balduin! Balduin!

Was meinst Du, was willst Du? fragte der Jüngling.

Nicht meine ich jetzt, antwortete der Alte, unsern berühmten, umgekommenen griechischen Kaiser: nein, ich dachte an jenen allerersten Grafen von Flandern. Wißt Ihr nicht die Geschichte?

Erzähle sie, sagte Ferdinand, ich kenne sie nicht.

Weil sie Euch schlecht und unwissend erzogen haben, fuhr jener fort. Versteht: in jenen uralten Zeiten, als hier noch viel Wald und Sumpf und wenig Verstand war, unter einem der Karolinger – war es der Kahle, Dicke, Magre, oder was weiß ich! – lebte ein Flandrer, der seinen großen, starken und schönen Sohn mit Prügel, Peitsche und hartem Wort erzog, wie es sich denn gehört, wenn aus dem Menschen was werden soll. Der junge Balduin fürchtete sich auch gewaltig vor seinem Vater, that deswegen aber doch oft, was jener verboten hatte, er aber durchaus wollte, denn glaubt, die starken Charaktere erwachsen nur und bilden sich durch Widerstand. So gerieth denn, als der Bursche groß genug war, der Balduin an den Hof jenes dicken oder kahlen Karl (vielleicht war er gar, wie es sich oft trifft, alles Beides) nach Paris, als Diener, junger Ritter, angestellter Müßiggänger. Der Bengel gefiel dem Könige und noch mehr dessen jungen, schönen Tochter. Das ist ja das alte Lied, das die Welt immer wieder singt. Nun, es war einmal sein Schicksal. Aber ebenso, daß die schöne Königstochter einem jungen Könige von England vermählt wurde. Was unser Balduin geseufzt, geklagt, geweint, oder in Liedern gesungen, davon steht in den Chroniken nichts aufgezeichnet. Damals war unser wildes Land noch ein Stück von Frankreich, es wurde auch wohl der Forst oder Wald genannt, man setzte Aufseher, Edelleute hieher, die in allen Dingen der Krone gehorchen mußten und dafür das Einkommen des Landes genossen. Zu einem solchen Oberförster wurde denn auch Balduin zur Belohnung seiner treuen Dienste hergeschickt. Nun hätte man denken sollen, da hier in den Wäldern bis zur See dort an den Dünen, auch am Meere selbst, so viel Raum und Platz war, um zu seufzen, daß er seinen Athem nicht würde gespart und sich erst recht auf Klagen und Schluchzen gelegt haben. Aber nichts weniger, der Mann regierte mit Verstand seine Unterthanen, baute mehr und bessere Schiffe, lichtete die dichten Wälder, übte seine Krieger, legte feste Schlösser an und gab gute Gesetze. So kam es denn, was er freilich nicht hatte berechnen können, daß der König von England starb. Der dicke, kahle Monarch ließ mit Pracht, großem Gefolge und schöngeschmückten Schiffen seine königliche Tochter und Wittwe von England herüberholen, um sie einem andern großen regierenden Herrn zu vermählen. Was thut aber nun unser Balduin? Er hatte das Trauern satt, setzt sich auf seine Flotte, nimmt die besten und kühnsten Gesellen mit, lauert in der engen See den Franzosen auf, entert, nimmt mit starkem Arm und Muth seine Geliebte in sein Schiff, und stellt es dem Gefolge frei, auf das Blut zu kämpfen und unterzugehn, oder ihrem Könige in Paris die Geschichte anzusagen. Sie wählen das Letzte und er fährt mit der glücklichen Braut nach Flandern. Der getäuschte, erschreckte Vater überlegt in Zorn und Güte, was zu thun sei, doch behält die Güte (er war wohl mehr dick als kahl) endlich die Oberhand. Das Abentheuer, die Kühnheit gefällt ihm. Er fügt zur Verzeihung seine Liebe hinzu, macht Flandern zur Grafschaft und seinen eingedrungenen Eidam zum ersten Grafen, wodurch auch die Macht und Unabhängigkeit des Landes zuerst begründet wurde.

Du wirst mich noch rasend machen! rief Ferdinand aus; was kann ich denn thun?

Rasend? Wer will hier rasen? schrie eine Stimme, die sie wohl kannten. Humberkurt war in großer Eil, und da die Dunkelheit die Gestalten verbarg, so heftig an sie gerannt, daß der Kleine zu Boden fiel. Oho! rief dieser, sacht! Wir suchen unsern Verstand hier auf schlichter Erde schon wieder zusammen. Humberkurt aber war schon fortgeeilt, ohne weiter etwas anzuhören, oder Rede zu stehen. Sollte der nicht auch verliebt seyn? sagte Ingeram: oder Jemand entführen wollen? Ihr laßt ihm bei alledem zu sehr den Vorsprung.

Indem sie in die Burg zurückkehrten, vernahmen sie, daß Humberkurt verstört und ängstlich zum Grafen Hugo geeilt sei, der etwas unpaß, sich schon zum Schlafen hatte entkleiden wollen. Hugo war fast erschreckt, seinen Sohn in diesem Zustande in sein Zimmer treten zu sehen. Was ist Dir begegnet? war die eilige Frage. – Alles gewonnen oder verloren! rief ihm der Sohn keuchend entgegen: ich höre von einem Vertrauten, der eilig nach der Stadt kam, es sei in der Landschaft das Gerücht, unser Balduin sei wieder erschienen.

Balduin? schrie der Graf und fiel wie ohnmächtig auf das Ruhebett; – o Conrad! Conrad! Du spielst ein großes Spiel.

Aber, sagte der Sohn, wenn es wäre, könnten wir so nicht Alles gewinnen? Und auf näherem Wege? Und mit mehr Sicherheit? Und sollt' es denn völlig unmöglich seyn?

Unmöglich ist es! rief der Vater; der Fürst ist dahin, das leidet auch nicht den mindesten Zweifel. Dahin also, dahin strebte diese Ruhe und der Hang zur Einsamkeit? Nun wohl, wir müssen uns rüsten; denn da er es bis zum Aeußersten treibt, müssen wir freilich auch alle Mittel aufbieten. Der Krieg ist wieder da, und weil die Gerechtigkeit auf unserer Seite steht, so wird uns auch der Sieg krönen. Ein so plumpes Possenspiel kann keinen Verständigen täuschen oder verlocken.

Man hörte Pferdegetrappel auf dem Markt, und im Schlosse wurde es unruhig. Humberkurt ging hinaus und begegnete schon auf der Treppe einem Boten, der eben vom Pferde gestiegen war, und keuchend und athemlos einen wichtigen Brief in eigener Person dem Regenten zu überliefern verlangte. Hugo hatte schon die Thür seines Gemaches geöffnet und ließ den erhitzten und erschöpften Boten hereintreten. Seid Ihr es, rief er, mein getreuer Willibald? –

Ja, gnädiger Herr, antwortete dieser mit schwacher Stimme, ich bin seit gestern früh nicht von den Pferden gekommen, denn die Botschaft, die Euch Euer edler Freund, Graf Conrad, meldet, ist allzuwichtig. Gut, daß ich Euern Händen noch heut seinen Brief übergeben kann. Es war auch mein gemessenster Auftrag, sein geschärftester Befehl, von dem wunderbaren Ereigniß weder in der Landschaft, noch hier in der Stadt ein Wort verlauten zu lassen. Ich war gehorsam und bedarf jetzt der Ruhe. – Er beurlaubte sich, um zu ruhn und sich zu erquicken.

Hugo hatte den Brief mit der größten Spannung gelesen, las ihn wieder, ließ die Hände sinken und sagte dann in einem fast wehmüthigen Tone: nein, diesmal habe ich meinem alten Gegner Unrecht gethan, und er beschämt mich durch seine Großmuth. Jetzt muß ich auch glauben, daß es ihm mit seinem frommen Wandel, mit seiner Bekehrung ein Ernst sei; ja, ich muß es gestehn, er ist besser als ich. Höre denn, mein Sohn, den Brief des Mannes, und freue Dich mit mir, daß wir ohne Noth ihn anklagten. – Er las:

»In großer Eil, mein theurer Freund, fertige ich diesen Brief, damit Ihr früh genug ein sonderbares Ereigniß erfahren mögt und als Regent zur rechten Zeit die nöthigen Vorkehrungen dagegen treffen. Ein alter Einsiedler im Wald bei Valenciennes, den die Menschen bisher Bernhard Rais nannten, hat sich plötzlich, indem die Wallfahrten viele Menschen in jene Gegend zogen, für unsern Kaiser Griechenlands, Balduin, ausgegeben. Viele wollen ihn als solchen erkennen, wie die Menge denn nur zu gern jedem Neuen und Wunderbaren mit unverständiger Leidenschaft zuströmt. Leider haben sich manche Edle und Einige von der Geistlichkeit, wohl mehr aus Unzufriedenheit als Ueberzeugung, hinreißen lassen. Alle Umstände lassen mich befürchten, daß Alles nur eine List des Eigennutzes und schlechter Absicht sei, denn ein gewisser brauner Robert, der allen Besseren schon längst verdächtig war, ist es eigentlich, der zuerst mit übertriebenem Eifer und wilder Heftigkeit den Eremiten als Balduin erkannte und sogleich die bethörte Menge zu Aufruhr und Widersetzlichkeit ermunterte. Ein Zufall, indem ich eben von einem Kloster zurückkehrte, führte mich herbei, als dieses Schauspiel sich entwickelte. War ich gleich unbewaffnet und fast ohne Begleitung, so wagte ich es dennoch, diesen Rebellen verhaften zu lassen, damit er Euch als Empörer zu Verhör und Strafe übersendet werde. Auch fruchtete mein Wort und Ansehn, die aufgeregte Menge zu zerstreuen. Die folgende Nacht, nach Empfang dieses Schreibens, wird dieser Robert, der gewiß ein Bösewicht ist, gefesselt bei Euch anlangen. Diese Vorsicht habe ich anwenden wollen, damit nicht, wie es geschieht, zieht er am Tage ein, unnützes Geschwätz die Stadt erfülle. Erfahrt Ihr von ihm, wie ich nicht zweifle, den wahren Zusammenhang der Sache, macht diese bekannt und straft ihn dann öffentlich, so wird dieser Aufruhr sterben, indem er nur hat andeuten können, was seine Absicht war. Ihr mögt denn gebieten, was mit dem täuschenden Eremiten geschehen soll, und so sehr ich auch der Welt und ihren Geschäften entsagt habt, so will ich Euch doch hierin gern dienstlich sehn, um für mein Vaterland etwas Gutes noch zu thun und dessen Ruhe zu befördern.«

Hugo beschloß, der jungen Fürstin, um sie nicht zu früh zu betrüben, den Vorfall noch zu verschweigen. Humberkurt sollte am nächsten Abend mit Vertrauten und Bewaffneten selbst dem Zuge entgegenreiten, um in der Finsterniß unbemerkt den Verbrecher in die Stadt zu führen. In den Gefängnissen des Schlosses selbst sollte er dann verwahrt werden, damit dem Pöbel sein Anblick entzogen würde und er ohne alle Verhinderung im Stillen verhört werden möchte.

Am folgenden Morgen vernahm Hugo noch einmal den Boten und freute sich über Conrads weises Verfahren, der in der That Alles gethan hatte, um diesen Aufruhr, der von unzufriedenen Parteihäuptern angezettelt schien, in der Geburt zu ersticken.



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