Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Im Walde bei Valenciennes waren feierliche Wallfahrten herkömmlich, zu welchen viele Menschen strömten, aus allen benachbarten Städten und Dörfern. Es war seit alten Zeiten gewöhnlich, daß man an dem wichtigsten Tage der Prozessionen auch die Einsiedeleien besuchte, die dort gestiftet und von frommen Männern bewohnt wurden. Es mochten wohl schon zehn Jahre verflossen seyn, seit sich ein großer starker Mann in dem einsamsten Theile des Waldes angesiedelt hatte, den die Einwohner jener Gegenden nur den langbärtigen Eremiten zu nennen pflegten, weil der fromme Mann mit einem braunen Barte geschmückt war, der ihm bis über den Gürtel hinunterfloß. Man kannte des verehrten Mannes Vaterland und Schicksale nicht. Er nannte sich Bernhard, und Manche, die mehr von ihm wissen wollten, behaupteten, sein Familiennamen heiße Rais, und er sei in seiner Jugend Bauersmann gewesen, und in der Einsamkeit des Feldes und bei der Landarbeit habe er sich frommen Betrachtungen ergeben, die endlich sein Gemüth so bewegt hätten, daß es sein Beruf geworden sei, sich von der Welt zurückzuziehn. Andere behaupteten, man habe ihn früher als Einwohner von Antwerpen gekannt, wo er im Hause eines Kaufmanns erzogen worden sei, indem er hier als Gehülfe der Untergebenen Dienste geleistet habe. Andere erzählten wieder, der wundersame Mann habe lange im gelobten Lande für den Heiland gestritten und sei dort als vornehmer und sehr ausgezeichneter Kriegsmann geehrt worden. Seit einiger Zeit war in dieser Gegend von der Heiligkeit und den Schicksalen dieses merkwürdigen Mannes mehr als jemals die Rede, und Mißvergnügte, Politiker, oder Menschen, die Alles wissen, oder besser wissen wollten, wie die übrigen, machten, wenn die Rede auf den Heiligen kam, eine geheimnißvolle Miene und gaben zu verstehn, daß dieser Unbekannte, wenn er nur wolle, Wunder thun oder unglaubliche Dinge ausrichten könne. Das Vertrauen und der Glaube zu diesem Einsiedler hatte sich indessen so vermehrt, daß Kranke und Unglückliche aus allen Gegenden zu ihm wallfahrteten, die er heilen, oder denen er durch Gebet und Segen helfen sollte.

So geschah es, daß, nachdem die Prozessionen ihren vorzüglichsten Endzweck erfüllt hatten, sie auch den Wald besuchten, in welchem dieser weitberühmte Bernhard in seiner Klause lebte. Es hatten sich in diesem Jahre mehr von der Bürgerschaft, als jemals sonst, angeschlossen; was aber die Züge noch glänzender machte, waren die reichen, prunkenden Gesellschaften der Adeligen, der Barone und Grafen, die Alle, vom Eifer getrieben, zum Wald, zu den Kirchen und Kapellen, so wie zu den Einsiedeleien zogen.

Dadurch wurde der Hain, in welchem Bernhard wohnte, so abgelegen von der großen Straße er sich auch befand, so wenig er sonst belebt war, in diesen Tagen des Festes ein Tummelplatz von Reisigen, Rittern und Knappen, im bunten Gewimmel von Bürgern und Bauern, zwischen welchen man auch Geistliche und Aebte wahrnahm, die, gegen die Gewohnheit, ihre nahen oder fernliegenden Klöster und Städte verlassen hatten, um hier ihrer Andacht, auch außer ihrer Ordensregel, Genüge zu thun.

Es konnte nicht auffallen, daß auch der fromme Conrad mit seinem Sohne sich eingefunden hatte, um so weniger, da sein Schloß ganz in der Nähe lag. Seine Andacht war für viele andere Großen sehr erbaulich, und es schien, daß frühere Feindschaften und Fehden in dem höheren Gefühl erloschen oder vergessen waren. War der stille Eifer, die edle Weise des alten Grafen erhebend und rührend, so hatte die Art und Weise eines anderen Mannes, der auch in jener Gegend bekannt genug war, fast etwas Furchtbares und Abschreckendes. Dieser Alte, der bei jedem Kreuze im Walde mit so brennender Inbrunst betete, sich auf die Erde warf und dann heftig und wie rasend auf die Brust schlug, wieder niederstürzte und den Boden küßte, war jener Krieger und Bekehrte, den die Landschaft unter dem Namen des braunen Robert kannte. Eben war eine Menge um ihn versammelt, zu der er sprach, als man sich nach der Zelle des Einsiedlers Bernhard hin in Bewegung setzte. Wir Alle, rief Robert, die wir an dem Sturm von Konstantinopel Theil nahmen, wir Alle, Hohe und Geringe, können nicht Buße genug thun, unser Fleisch niemals genug kreuzigen, und niemals andächtige Gebete genug zum Himmel hinaufsenden, damit der Allerbarmende uns alle jene Gräuel und Sünden vergebe, deren wir uns Alle theilhaftig gemacht haben.

Graf Conrad ging betend im Zuge und sagte: Wohl, wohl sprecht Ihr die Wahrheit, Ihr mein alter Kriegsgefährte! Aber kann uns die ewige Güte jemals verzeihen? Wie können wir so gar nichts ersehen oder wieder gut machen von allem jenem Unglück und Elend, das wir über so viele Tausende im Taumel des Krieges und Uebermuthes der Gottlosigkeit herniederriefen. Darum leidet auch unser Land, darum haben wir unsern edlen Fürsten einbüßen müssen, darum kehrt die Freude nicht zurück und unser Herz ist immerdar die Beute der Reue und Gewissensqual.

Die Menge, die durch den Wald schwärmte, vereinigte sich jetzt dichter und gedrängter auf dem Platze vor einer Zelle, aus welcher der verehrte Bernhard trat. Er war von mehr als gewöhnlicher Größe, stark von Brust und Schultern, sein Haar noch braun, aber schlicht und lang, und ein breiter Bart wallte über Busen und Gürtel hinab, durch welchen er ein wundersames, von allen andern Menschen unterschiedenes Ansehn erhielt. Sein großes Auge leuchtete, in den Händen trug er ein mächtiges Kreuz, das aus zwei rohen Baumstämmen zusammengefügt war. Mit Riesenkraft erhob er die beiden schweren unbehaunen Stämme, indem er mit lauter Stimme ein langes Gebet hersagte. Von der Anstrengung erschwollen die Adern an den Händen und Armen, welche zum Theil entblößt waren, weil sich das weite Gewand zurückgeschoben hatte. Man sah es an den starken, nervigen Händen und ihrer rohen Form, daß der Einsiedler von Jugend auf sich in schweren Arbeiten geübt hatte, und die Gestalt der Finger widersprach fast dem edlen Anstand des Mannes, der freien, aufgerichteten Stellung, so wie der Miene des Antlitzes, dem blitzenden Auge und dem schönen Haupte, welches Alles einen vormaligen Helden und Ritter anzukündigen schien.

Der braune Robert, der von den Knieenden dem Einsiedler am nächsten lag, erhob sich jetzt, küßte erst die Füße, hierauf das Kleid des frommen Mannes, faßte dann dessen Hand und drückte seinem Mund an diese, fuhr schnell, wie entsetzt, empor, streifte die Aermel der Kutte noch weiter zurück, so daß auch der Oberarm des Einsiedlers sichtbar wurde, und schrie plötzlich mit weit aufgerissenen Augen, einem Besessenen gleich: Er ist es! Kaiser Balduin! und stürzte von neuem vor ihm nieder.

Balduin! schrie die Menge und der bleiche Graf Conrad wurde vor Schreck noch blasser und das baumhohe Kreuz fiel aus den Händen des zitternden Eremiten mit lautem Schall auf den Boden. Indessen war das Wort von Schaar zu Schaar durch den ganzen Wald mit der Schnelligkeit des Blitzes gelaufen, Alles rannte durch einander. Alle schrien: Balduin! Kaiser Balduin! ertönten tausend Stimmen und Jeder sah den Andern an, Jeder erstaunt und Jeder erfreut, dies Wunder erlebt zu haben. Ja, er ist es! schrie Robert, der auf eine Anhöhe gesprungen war: seht, er kann es selbst nicht leugnen, der erhabene Mann, so sehr hat ihn der Schrecken überwältiget, daß er von mir ist erkannt worden. Und kenne ich doch die Narben nur zu gut, jene Wunden, die seine Unerschrockenheit in Griechenland ihm schlug, auch jene Narbe an der Schulter oben, von der Todeswunde, die ihm noch ward, als man ihn an jenem schrecklichen Tage in die Gefangenschaft schleppte.

Alles drängte sich herzu, Kleid und Füße des wiedererkannten Fürsten, des längst verlornen Landesvaters zu küssen: Alle knieten und riefen Heil! Alle waren im Taumel begeistert und nur Conrad behielt seine ruhige Haltung und stand aufrecht, fest die Blicke auf den Einsiedler gerichtet, der sich an den nächsten Baum lehnte, laut weinte und Diejenigen, die ihn kniend und verehrend umgaben, aufzurichten bemüht war. Als man sich nach vielem vergeblichen Rufen, Sprechen und Winken etwas mehr beruhigt hatte, trat der Abt Ildefons durch die Haufen zum Grafen Conrad und sagte: Wie nun, verehrter Mann? Ihr seid der Einzige hier, der stumm verharrt? Erkennt Ihr in diesem heiligen Mann unsern rechtmäßigen Fürsten, oder ist es ein Irrwahn jenes frommen Robert, was er uns so begeistert verkündiget hat?

Er ist es! schrie Robert, wer hat den Muth, Nein zu sagen? Wer ist so schlecht und ruchlos, unsern großen Balduin zu verleugnen? – Er ist es! er ist es! schrien viele alte Krieger, die vormals den Zug nach Griechenland mitgemacht hatten.

Nach einer Pause, als es etwas ruhiger geworden war, sagte Conrad mit vernehmlicher Stimme: Herr Abt! fragt ihn selber, den ehrwürdigen Mann. Wie soll ich nach zwanzig langen Jahren, nach so vielen Schicksalen, einen Helden, den wir gestorben glaubten, wieder erkennen? Woran? Verhüte Gott, daß ein übereiltes Wort von mir das ganze Land in Irrsal stürze!

Als der Abt Ildefons sich jetzt zum Eremiten wendete, sagte dieser mit zitternder und sehr bewegter Stimme: Meine Freunde! – dieser Tag – ich konnte heut Morgen noch nicht ahnden, daß mir so Etwas, eben so erschrecklich, als wunderbar, begegnen sollte. Seit lange lebe ich vor der Welt verborgen und suche und finde nur in der Einsamkeit mein Glück. Ich habe die Welt vergessen und der Wunsch meines Herzens ist, daß sie mich ebenfalls und auf immer vergessen möge. Wäre Schwert, Herrschaft, Vermögen und Alles, was die Welt herrlich nennt, mein Wunsch, so trüge ich nicht dieses Kleid der Demuth und lebte nicht in diesem stillen Winkel, zu welchem nur heut Feierlichkeit und Zufall diese eben so lästige als gutmeinende Menge geführt hat. Ich bin nicht Der, für den Ihr mich haltet, ich will kein Rittersmann, kein Mann der Thätigkeit und der Welt seyn, vielweniger ein Fürst; aber mag ich auch gewesen seyn, was es irgend sei, so darf ich wünschen und bitten, daß man mein Geheimniß ehre, denn nur die wichtigsten Ursachen, nur unerläßliche Buße um die Last meiner Sünden haben mich auf immer vermocht, meinem ehemaligen Namen zu entsagen und Verwandte, Freunde und Kinder zu verleugnen. Wenn diese meine Nächsten nichts von mir erfahren haben und erfahren sollen, so mögt Ihr, meine Freunde, Hoch und Niedrig, Geistlich und Weltlich, mir das wohl auch erlassen, und ich denke, meine Bitte und Forderung ist keine unbillige.

Der ehrwürdige Alte hatte seine Rede mit fast ungewisser Stimme angefangen, sie aber mit solcher Majestät und Kraft, mit so edelen und doch gebietenden Tone geendiget, daß alle Umstehenden noch inniger überzeugt wurden, ihr herzlichst geliebter Fürst, ihr so lang beweinter Balduin sei wiedergefunden. Ein Sturm von Freudengeschrei erhob sich; der Zudrang ward noch ungestümer, die Geistlichen geboten Ruhe und Ildefons forderte den Grafen Conrad noch einmal auf, zu erklären, ob der Eremit der Kaiser Balduin sei.

Conrad erwiederte feierlich: behauptete ich fest und zuversichtlich, dieser edle fromme Mann sei nicht Balduin, so würde ich gegen mein Gewissen reden, denn ich weiß es nicht. Unwahrscheinlich ist es, indessen geschehen in allen Zeitaltern noch weit größere Wunder. Wer setzt mich hier zum Schiedsrichter, und wie darf ich es wagen, mich als einen solchen selber aufzuwerfen? Und wie lange Zeit, wie vertrautes Gespräch gehört mit dem frommen Helden dazu, um alle die Kennzeichen, die Erinnerungen wieder in das Gedächtniß zu rufen, die mich überzeugen möchten? Wenn ich den Ehrwürdigen aber vielleicht so früh als jener Robert für den wahren Balduin, unsern Fürsten, erkannt haben sollte, so handle ich dann am richtigsten, als Unterthan, in seinem Sinne, wenn ich ihn verleugne, denn alsdann ist es meine Pflicht, seine Gründe, wenn sie mir auch unbegreiflich sind, zu ehren, die ihn bestimmen können, sich dem Lande und einer geliebten Tochter zu entziehn.

Wir verstehn Euch, sagte der Abt, und Ihr handelt und sprecht ganz Euerm großen und frommen Charakter gemäß. Robert aber, der der Rede mit allen Zeichen des Zornes zugehört hatte, rief jetzt in Wuth aus: Der Graf ist ein Verräther, indem er seinen ächten Landesherrn verleugnet! Unser Balduin kann und darf sich nicht dem bedrängten Lande entziehn, er muß dem Druck und der Tyrannei ein Ende machen! Adel, Bürger und Landvolk wünschen nur seine Hülfe und ihre Errettung durch seine väterliche Hand! Es lebe der große Balduin!

Ein ungeheures Geschrei, das sich nicht wieder beschwichtigen ließ, wälzte sich tönend und von allen Seiten wiederhallend durch den ganzen Umfang des Waldes. Man sah Schwerter blitzen und Speere blinken, Rosse waren herbeigeführt und viele Ritter tummelten sich in den lichten Räumen des Forstes. Der Eremit rief jetzt mit lauter Stimme: Friede! Ruhe! Nur keine Gewaltthat! – Diejenigen aber, die sich um den braunen Robert gerottet hatten, achteten auf keinen Befehl, sondern Alle riefen, von ihm aufgemuntert: Hieher! Hieher! wer es mit dem Vaterlande, mit Gott und der Kirche gut meint! Unser Vater, unser Balduin muß uns wieder angehören!

Mit diesem Geschrei und Toben drängte man sich näher um Graf Conrad; seine Leute und Diener, die er hatte herbei kommen lassen, wurden gestoßen, man sprach von Verräthern, von undankbaren Freunden, von Bosheit und Tücke, die vorsätzlich die sonnenklare Wahrheit nicht anerkennen wolle. Endlich gelang es dem Grafen, Stille zu erzwingen, indem der Eremit sich mit ihm vereinigte. Hört mich, Freunde, sprach Conrad: nicht uns, dem Regenten des Landes, dem Grafen Hugo kommt es zu, diesen Fall zu schlichten. Dieser alte Krieger, Robert, hat sich in seiner Hitze zur Ungebühr und Empörung verleiten lassen, seine Schmähungen müssen den Regenten nicht minder kränken als mich. Hugo steht jetzt an der Seite unserer Fürstin Johanna als Vorstand des Landes; lebe Balduin oder sei er gestorben, so handelt, mit Bewilligung der Tochter, Hugo in seinem Namen, mag dieser fromme Eremit der Kaiser seyn oder nicht; indem Ihr ihn dafür erkennt, müßt Ihr seinem Willen gehorchen und er verlangt jetzt mit mir, daß dieser Robert, der sich auf jeden Fall wie ein Meuter erwiesen hat, dem Grafen Hugo gesanglich zum Verhör übersendet werde.

So darf ich es von Eurer Liebe, rief der Eremit, wenn Ihr mich liebt, verlangen.

Ein lautes, dann dumpfes Murren verlor sich endlich, und Robert, so trotzig er sich auch gebehrdete, ward bewaffneten Dienern übergeben, um ihn nach Gent zu führen. Hierauf ließ sich Conrad vor dem Eremiten kniend nieder, küßte dessen Hände und sagte laut weinend: Gebt mir, frommer, hoher Mann, nach diesen Erschütterungen, die heut mein Gemüth so unerwartet hat erdulden müssen, Euern Segen und schließt mich in Euer Gebet ein. Ich gehe jetzt nach meinem Schlosse zurück und erwarte bald von Euch Etwas zu vernehmen. Seid Ihr mein Trost und meine Stärkung, denn meine Kräfte brechen endlich zusammen und alle Hülfe verläßt mich.

Der Eremit erhob den Knienden, breitete die Arme aus und drückte den Grafen lange und herzlich an die Brust. Stumm hielten sie sich umarmt, indem ihre Thränen flossen. Die Nahestehenden, die diese Rührung sahen, konnten sich ebenfalls der Thränen nicht erwehren, und mit Bewunderung sah man dem Grafen Conrad nach, der sich jetzt auf sein Roß schwang und, nur von seinem Sohne begleitet, sich nach seiner Wohnung mit feierlichem Schweigen zurückbegab. Der Eremit gab dem erbauten und erschütterten Volke seinen Segen und ging dann ebenfalls in seine Zelle zurück, die er von innen sorgfältig verschloß, ohne noch ein einziges Wort zu sagen.

Von selbst folgten Volk und Adel dem Abte Ildefons in die große Kirche der nächsten Gemeinde. Alle waren überzeugt, trotz dem scheinbaren Leugnen des Grafen wie des Eremiten, daß der Einsiedler wirklich und in der That ihr rechtmäßiger Fürst Balduin sei. Alle jene Zweifel, wie er der Gefangenschaft habe entrinnen können, wenn er auch nicht umgekommen sei, warum er sich bei seiner Rückkehr nicht zu erkennen gegeben, sondern so lange verborgen gehalten habe, fielen in dieser aufgeregten Stimmung Keinem bei, oder wurden eilig und mit der Sucht am Geheimnißvollen auf mannigfache Art beantwortet. Als daher der Abt die Kanzel bestieg, um in einer begeisterten Rede zu behaupten, daß jeder Zweifel, ob auch der ächte Balduin wieder erschienen sei, schwere Sünde genannt werden müsse, fand er die lauteste und herzlichste Einstimmung aller seiner Zuhörer. Er bewies ihnen hierauf, daß es ihre Pflicht als Christen und treue Unterthanen sei, den zu frommen Fürsten zu nöthigen, selbst mit Gewalt, wenn jedes andere Mittel unzulänglich sei, sich ihnen und dem so schwer bedrängten Lande zurückzugeben. Balduin sei durch höhere religiöse Rücksichten gezwungen, das Regiment wieder in die Hand zu nehmen, selbst wenn er vielleicht ein Gelübde gethan habe, sich der Welt auf immer zu entziehn. Es sei nichts Geringeres als ein Wunder, daß der alte Robert heut auf der Wallfahrt, da sie alle mit andern Gedanken beschäftigt und Robert selbst dergleichen nicht habe erwarten können, den großen Fürsten plötzlich an seinen Narben erkannt habe. Er erinnerte, wie andere alte Krieger, Edelleute und Bürger nach dem ersten ausgesprochenen Worte ebenfalls alle Züge und Mienen des Kaisers in dessen Antlitz wiedergefunden hätten. Das Betragen des Grafen Conrad könne man ehren, es verpflichte aber keinen Andern, seinem Beispiel zu folgen. Es sei hinreichend, daß man ja deutlich wahrgenommen, wie er ebenfalls im Eremiten den wahren Balduin gesehn habe, und darum müsse man mit vereinter Kraft und wiederholten dringenden Bitten den großen Fürsten seiner ihm unziemenden Einsamkeit entreißen, das Land retten, die Tochter beglücken, und jenen Zustand der allgemeinen Wohlfahrt und des Ruhmes wieder herbeiführen, der Segnungen, deren sich alle Aelteren in der Grafschaft noch wohl erinnern könnten.

So aufgeregt und überzeugt Alle schon waren, war es ein Leichtes, sie dahin zu bewegen, daß sie noch an demselben Abend sich in den Wald zurückbegaben und den Eremiten aus seiner Zelle holten. Dieser, da er die Gewalt sah, die ihm ihre Liebe anthat, die Rührung der Menge und ihren brennenden Eifer, da er immer wieder von ihren Bitten bestürmt wurde, und der Abt und einige Mönche ihm seine Pflichten gegen sein Vaterland vorhielten, gab sich endlich zu erkennen und erklärte, er sei der verloren gewähnte Balduin und er dürfe um so eher sein Schweigen brechen, da gerade an diesem Tage die Zeit seines Gelübdes vorüber sei, welches er sich früher, in schweren Drangsalen, aufgelegt habe. Im Triumph ward der wiedergefundene Balduin, der Graf von Flandern und Kaiser von Griechenland, nach Valenciennes geführt, wo ihm ein Palast übergeben ward, indem die ganze Stadt in den Jubel und das Freudengeschrei seiner Begleiter einstimmte. –

Wachsmuth war indessen oft vor dem Zimmer seines Vaters gewesen, ohne ihn sprechen zu können, weil dieser sich verschlossen hatte. Am Abend spät ließ der Alte endlich den Jüngling zu sich kommen und sagte zu diesem: Nun, mein Sohn, wie ist Dir nach diesem sonderbaren Tage zu Muthe?

So, antwortete jener, daß ich heute am meisten des Rathes meines Vaters und älteren Freundes bedurft hätte. Wie denkt Ihr selbst nur über jenen wunderbaren Vorfall? Wie habt Ihr Euch dabei so beruhigen können? Ist jener seltsame Mann der Kaiser, so hättet Ihr, meine ich, es bestimmt und deutlich aussprechen sollen. Das Volk wird schwerlich wieder in diesem Enthusiasmus sich zusammentreffen. Der Augenblick ist vorüber, und Ihr habt durch Eure Unentschlossenheit dem Fürsten eben so sehr, als dem Lande geschadet.

Alles steht, sagte Conrad, in der Hand des Himmels. Ich habe mich durch Gebet vorbereitet, folge Du, mein geliebter, frommer Sohn, meinem Beispiel. Dem Würdigen wird ohne Zweifel der Preis in die Hand fallen, aber von oben her, ohne unser Zuthun. Wenn Du Johannen liebst, wie Du mir so oft versichert hast, und wie es die Thränen bezeugen, die Du seit unserm Aufenthalt hier vergossen hast, so darfst Du wohl noch auf ihren Besitz rechnen, auch wenn kein Balduin wiederkehrt, denn dem Himmel ist nichts unmöglich. Ehe aber Balduin sich selber bestimmter erklärt, ehe er mir nicht deutliche, unumstößliche Beweise gegeben hat, daß er es wirklich ist, darf ich in dieser höchst wundersamen Sache auch nicht den kleinsten Schritt thun, ohne mich zum Meuter und Rebellen zu stempeln und mich an meinem Freunde Hugo zu versündigen, mit dem ich mich wahrhaft als Christ ausgesöhnt habe und den ich als Regenten des Landes erkenne. Ihm und seinen Entschlüssen will ich nicht vorgreifen. – Du willst meinen Rath, so folge mir denn und lerne so von mir, wie man ein wahrer und getreuer Unterthan ist.



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