Johann Ludwig Tieck
Der wiederkehrende griechische Kaiser
Johann Ludwig Tieck

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Als die Gesandtschaft, ohne Etwas bewirkt zu haben, zu Balduin und Conrad zurückkam, ward alsbald beschlossen, mit der Anzahl von Kriegern, die sich schon versammelt hatten, vorzurücken, den Grund des Kampfes, die Ansprüche und Schicksale des alten Fürsten bekannt zu machen, und sich allenthalben, durch Güte oder Gewalt, der Besten und Städte zu bemächtigen. Es gelang über Erwarten, denn fast allenthalben kamen ihnen die Einwohner freiwillig entgegen und das Heer, in welchem Viele ohne Sold dienten, vermehrte sich mit jeder Stunde. So zogen sie weiter, um sich so bald wie möglich der großen Stadt Gent zu nähern, in der sich, wie sie glaubten, der Erfolg der Unternehmung entscheiden mußte. Graf Conrad, so wie andere Große und einige reiche Klöster, Abt Ildefons und manche Geistliche gaben ihre Schätze zu diesem Kriege, den Viele schon fast für geendigt hielten.

Hugo und die Seinigen rüsteten sich indessen auch. Täglich rückten Edle mit ihrem Gefolge in die Stadt ein. Manche alte Ritter, die lange auf ihren Schlössern gehauset hatten, suchten die alten Speere und Waffenstücke wieder hervor, man warb Krieger, verstärkte die Leibwache und Humberkurt vorzüglich war Tag und Nacht unermüdet thätig. Durch die Uebungen der Söldner und neueingetretenen Krieger, durch die Lust der jungen Adligen, die zu Roß sich tummelten und die Waffen brauchten, durch die Aufzüge Derer von der Bürgerschaft, die sich dem Regenten angeschlossen hatten, gewann die Stadt das Ansehn, als wäre sie belagert oder schon vom Feinde erobert worden.

Die Fürstin war in tiefer Trauer. Sie hatte durch diesen seltsamen Vorfall die Erfahrung gemacht, daß ihr eigentlich kein einziger treuer Freund zur Seite stehe, sie hatte gesehn, wie Jedermann, von dem sie Hülfe und Rath erwarten konnte, nur seine eigennützigen Plane im Auge habe. Bis dahin hatte sie in unbefangener Jugend die Menschen noch niemals beobachtet; jetzt empfand sie mit Bitterkeit, daß diese Epoche das Schicksal ihres ganzen Lebens entscheiden und daß sie Kräfte in sich aufregen oder erschaffen müsse, an deren Nothwendigkeit sie vorher nie gedacht hatte. Kurz, ihr war, als wenn die schöne Jugend schon so früh für sie beschlossen und geendigt sei. Mit Bewußtsein jeden Tag ableben müssen, sich nie unbefangen der Gegenwart und ihren Eindrücken hingeben zu dürfen, zu fühlen, wie nothwendig es sei, sich selbst und Andere immer zu beobachten, Allen zu mißtrauen und jedes Wort zu bewachen, schien ihr eine höchst unglückselige Bestimmung. Nun erfuhr sie, wie wahr es sei, was sie sonst wohl belächelt hatte, daß der Stand der Fürsten ein unerfreulicher sei.

Eben so gewaltsam und plötzlich hatte sich das Leben des jungen Ferdinand verwandelt. Er träumte nur Krieg und Schlacht, und alle die großen Thaten, die er für die geheime Geliebte seines Herzens thun wollte. Ingeram war ebenfalls ernster als gewöhnlich, und so fühlten Alle, daß Jedermann, bis zum Niedrigsten hinab, in einer ängstlichen Spannung war, und daß sich die quälende Gewitterschwüle bald in zündenden Blitzen entladen müsse.

Nun? sagte Ingeram zum sinnenden Ferdinand: ist es nicht noch schlimmer und besser gekommen, als ich es Euch vorhergesagt habe? Nun ist unsere Johanna in einer noch bösern Lage als Ihr, weil sie einen Vater hat, der ihr bis dahin fehlte: darum strebt nicht so sehr darnach, den Euern zu finden. Vielleicht möchte sie Euch den ihrigen gern um ein Billiges abtreten. Dieser Vater drängt sich auf, ohne gesucht zu werden, Ihr möchtet den Eurigen aus Bäumen und Felsen herausklopfen.

Wie kannst Du in dieser furchtbaren Zeit noch scherzen? antwortete der aufgeregte Ferdinand; jetzt, wo Alles, ihr Wohl, vielleicht ihr Leben auf dem Spiele steht?

Ich spaße gar nicht, erwiederte Ingeram: wenn Ihr nur jetzt wenigstens Ritter wärt, junger Mensch, so müßtet Ihr Euch von Eurer eingebildeten Liebsten den Befehl geben lassen und schnell nach Frankreich rennen, um in größter Eil den König Ludwig herbeizuholen. Ohne daß das junge Kind sich mit viel Staatsweisheit abgequält hat, war sie doch Diejenige, die diesen klugen, ersprießlichen Einfall gehabt hat, der einzige vernünftige, der bei dem unklugen Hader vernommen wurde.

Jetzt ist es zuerst noth zu kämpfen, antwortete Ferdinand. Dieses Herbeirufen eines Mächtigen könnte ja wirklich die schlimmsten Folgen nach sich ziehn. Dergleichen Hülfe möchte vielleicht zu theuer erkauft werden.

Und doch wird es das Ende vom Liede seyn müssen, sagte Jener, wenn irgend ein vernünftiger Schluß oder Gesangesweise herauskommen soll. Freilich fürchtet das junge Blut, der Herr möchte auch gleich einen neuen Freiersmann mitbringen, der vielleicht weniger widerwärtig, als dieser Humberkurt, ins Auge fiele. Aber laßt solche Grillen, und habt nur ihr Wohl in Gedanken, wenn Ihr sie wirklich liebt.

Frisch auf! rief jetzt Humberkurt, der hereinstürmte: ist es Euch Ernst, so könnt Ihr es zeigen, denn die Rebellen stehn nur noch wenige Meilen von der Stadt. Alle Landschaften fast sind ihnen zugefallen und ihr Heer ist ansehnlich. Gerühmte Namen und tapfere Ritter schämen sich nicht, sich zu ihnen zu gesellen und ihre schlechte Sache zu adeln.

Hugo kam mit großem Gefolge, gerüstet, und Ferdinand, der schon täglich alle Uebungen mitgemacht hatte, ward über eine Schaar von Reisigen gesetzt, die meist aus Bürgern der Stadt bestand, die freiwillig zum Streit auszogen. Der alte Freiherr Tillen führte den Oberbefehl, Humberkurt und einige Ritter waren ihm zunächst untergeordnet.

Als die Schaaren auszogen, sah man an dem Hohn und der Erbitterung der zurückbleibenden Bürger, wie die Stimmung der Stadt war. Ademar, der Metzgermeister, stand vor seiner Thür und lachte laut, von dem Platze kam eben Pustel, der Kupferschmied, mit seinen Gesellen, stellte sich, mit untergeschlagenen Armen, in die Mitte der Gasse, schien die Krieger zu überzählen und sagte dann höhnisch: Diese werden dem großen Balduin noch keinen Finger krümmen, denn der hat das Streiten wohl gelernt; und was wollen ihm diese Anfänger thun?

Der Zimmermeister Hattrich gesellte sich zu den Beiden, und als Ferdinand mit seiner Schaar vorüberzog, rief er aus: Ja, nun ist freilich Graf Conrad verloren, nun ihm solche Helden entgegenziehn! Ei, wo ist denn der kleine neckische Ingeram mit seinen Recken? Hat man die Beiden doch so viel zusammengesehn, sie sollten sich auch nicht in diesem großen Feldzuge trennen.

Hugo, der Alles hörte, war jetzt nicht stark genug, um dergleichen zu rügen, er behielt nur wenige der Reisigen und Trabanten zurück, um die Stadt zu beschützen.

Das Heer Balduins war größer, als dieses, und mehr der alten versuchten Krieger befanden sich in ihm. Dies wußte der alte erfahrne Tillen und war wegen des Ausgangs des Treffens mit Recht besorgt.

Balduin zeigte den Seinigen, daß er ein Krieger sei, dem die Erfahrung zur Seite stehe. Conrad hatte ihn sogleich ersucht, die Führung des ganzen Zuges zu übernehmen, und seine Anordnungen warm verständig und Jedermann erfreute sich ihrer. In allen Dingen war er rasch, seine Beschlüsse schnell, seine Ursachen verständig, wenn er sie darlegte. Alle bewunderten ihn, daß seine so lange Ruhe und Einsamkeit, seine Entfernung vom Kriege und Waffenhandwerk sein Feuer nicht vermindert und seine Einsicht als Feldherr nicht verdunkelt hatte. So waren Alle im Heere voll Zuversicht und hofften einen entscheidenden Sieg.

Als die beiden Parteien sich auf der Ebene trafen, wollte keine Schaar mehr von Unterhandlung hören, sondern jede drang auf den Ausspruch der Waffen. Als man sich gegenseitig geordnet hatte, geschah der Angriff mit großem Feuer, Alle kämpften mit Sicherheit und Eifer, lange sah man keine Schaar weichen, und die jungen Ritter Wachsmuth und Friedrich zeigten sich so tapfer, wie man von ihren Jahren nicht vermuthet hatte. Balduin und Conrad waren allenthalben, kämpfend und befehlend.

Humberkurt war mit seiner Schaar, als die Parteien sich im Kampf vermischt hatten, gegen den Befehl des Freiherrn Tillen zu weit vorgedrungen. Seine Wuth hatte ihn fortgerissen, als er Wachsmuth und dessen Panier war ansichtig geworden. Die beiden jungen Feinde trafen bald auf einander und es erzeugte sich ein heftiger und hartnäckiger Streit. Die Nebenbuhler hatten sich im Felde abgesondert, und ließen nicht von einander, bis Wachsmuth mit einer schweren Wunde auf den Boden stürzte. Als Humberkurt wieder umwendete, um sich mit seinem Heere zu vereinigen, fand er sich abgeschnitten. Er sah hinter sich Verwirrung und viele Paniere der Schaaren seines Vaters schon auf der Flucht nach der Stadt. Er war umzingelt und gab sich verloren, so tapfer die Seinigen auch stritten. Viele von diesen waren schon gefallen und Friedrich forderte ihn auf, sich zu ergeben, als er plötzlich fühlte, wie sein Rücken wieder frei wurde. Es war Ferdinand, der, seine Noth erspähend, sich bis zu ihm durchgeschlagen hatte. Auch er war mit einigen Schaaren, die ebenfalls von jungen Rittern angeführt waren, im Verfolgen der flüchtigen Feinde zu weit vorgeeilt und hatte sich schnell, seinen Irrthum bemerkend, auf den Haupttheil des Heeres zurückziehen wollen. Jetzt vereinigte sich, wieder freigemacht, die Schaar Humberkurts mit den Kriegern, die Ferdinand gefolgt waren, und nun galt es, die Feindlichen zu durchbrechen und sich mit der Stadt und Denen, die ihr zueilten, in Verbindung zu setzen. Am tapfersten kämpften Humberkurt und Ferdinand, es gelang ihnen, durch die verwirrten Massen der Feinde zu dringen und sich mit Tillen und seinen noch feststehenden Kriegern zu vereinigen. Als dies gelungen war, zog man sich in Ordnung nach der Stadt zurück.

Graf Hugo war durch die erste flüchtige Schaar sehr erschreckt worden. Er war mit großem Gefolge dem zurückziehenden Heere entgegengegangen, jetzt kehrte er mit diesem um, und es schien ihm am nothwendigsten, die große Stadt selbst zu vertheidigen, die, bei ihrer Festigkeit, es wohl auf eine Belagerung der Rebellen durfte ankommen lassen.

Die Thore wurden sogleich geschlossen und die Wälle bewacht, alle Thürme untersucht und Wurfmaschinen und Verteidigungswaffen mit der nöthigen Mannschaft hinaufgeführt. Doch war Hugo sehr unzufrieden, sowohl über seinen Sohn, der sich durch zu große Tollkühnheit gewagt und einen Theil des Heeres fast ins Verderben geführt hatte, wie über Ferdinand, obgleich durch diesen Humberkurt war befreit, ja wohl vom Tode errettet worden. Denn der erfahrene Tillen so wie andere Ritter wurden es nicht müde, das Lob des Jünglings zu verkündigen und ihm hauptsächlich die Rettung jener Schaaren zuzuschreiben, die der Feind schon abgeschnitten und fast gefangen hatte. Man pries Ferdinands Tapferkeit nicht weniger wie seine Klugheit, und Viele drangen in Hugo, in diesem Kriege, der noch lange nicht geendigt schien, dem jungen Manne, der so viel schon gethan hatte, einen wichtigen Posten zu vertrauen.

Humberkurt aber zürnte dem Jünglinge noch heftiger, denn sein Hochmuth erlaubte ihm nicht, sich diesem Unbekannten, der bisher in der Stadt und in jeder Gesellschaft so unbedeutend erschienen war, verpflichtet zu fühlen. Sein Knappe Dietrich hetzte ihn noch mehr und schalt den jungen Ferdinand einen Nichtswürdigen. Als das Getümmel sich am wildesten verwickelt hatte und Ferdinand gegen die Uebermacht kämpfte, sah er, wie dieser Knappe sich feige aus dem Kampfgedränge entfernen und so seinen Herrn, der in Lebensgefahr war, verlassen wollte. Ferdinand, erhitzt und von Kampfbegier begeistert, trieb den Feigen, ihn heftig mit der Fläche des Schwertes schlagend, in das Gefecht zurück. Manche der Krieger waren Zeugen dieses Schauspiels gewesen und hatten den Knappen laut verlacht, ihn aber noch mehr verspottet, als sie in die Stadt zurückgekehrt waren.

Johanna konnte sich durch keinen Gedanken erheitern. Es war ihr lieb, daß sie den verständigen Ingeram im Saale traf, als sie zum Garten gehen wollte. Seine Scherze zerstreuten sie und sie glaubte auf Augenblicke ihre unglückliche Lage vergessen zu können. Jetzt trat auch Ferdinand herein, dessen Lob sie schon von einigen Rittern vernommen hatte. Sie bewillkommte ihn freundlich, und dem Jüngling war, als wenn er ihr in diesem Augenblicke Vieles zu sagen habe. –

Was wird aus mir werden? sagte Johanna endlich: erst jetzt ist es mir deutlich geworden, ich bin durch diese erschütternde Begebenheit wie aus einem betäubenden Schlafe erweckt worden, der alle meine Sinne gefesselt hielt; ja, jetzt ist es mir deutlich, daß ich schon seit meiner Kindheit eine Gefangene war. Von meinem Glücke, vom Wohlsein meines Landes, von der Treue und Ergebenheit meiner Unterthanen war eigentlich niemals die Rede. Nur die verschiedenen Parteien zankten um Besitz und Ehre; und mein Name war der Vorwand, um ihre eigennützigen Ansprüche zu rechtfertigen. Mag siegen, wer will, ich habe immer nur verloren. Jenen Herrschsüchtigen ist es erwünscht, wenn meine Unterthanen verführt werden und sich in entgegenstehende Meuterrotten vereinigen. Ihnen ist es nicht unlieb, wenn immer wieder neue Parteien, neuer Zwiespalt sich erzeugen. Was verlieren sie? Sie können immer nur gewinnen, und beim schlimmsten Spiel kann ein Zufall Alles wieder zu ihrem Vortheil wenden. Ich sehe, daß ich die Beute werden soll, und wie eine entführte Taube habe ich im Neste des Habichts geschlummert. Ist es denn so, daß Macht, Ehre und Güter den Menschen nur schlecht und eigennützig machen? Alles empfingen diese Ungetreuen von meinem Vater und dessen Vorfahren, und seht nur, wie sie es gegen mich wenden! Kann denn wirklich nur der Arme tugendhaft seyn? Ja, Ferdinand, Ihr bleibt mir treu, wenn Alle von mir fallen; Ihr habt mit jenen Elenden nichts gemein.

Ferdinand war erschüttert, sein Herz hob sich, als wenn es ihn erdrücken wollte. Nein, Fräulein, bei Gott! ich bin Euer getreuer Diener. O könnte ich nur etwas, etwas Großes, etwas Entscheidendes für Euch thun!

Seid wachsam, sagte sie mit gedämpfter Stimme, und zog sich halb in die Wölbung eines Fensters zurück. Ein wahrer Freund kann jetzt viel für mich thun, und wahrlich, mir ist fast, als wärt Ihr dieser Einzige hier. Verlaßt mich nicht, wankt nicht, und es kommt wohl noch eine bessere Zeit, in der ich Euch vergelten kann. – Nehmt, hier ist ein Brief, den ich in dieser Nacht an König Ludwig von Frankreich geschrieben habe. Ich lege diese große Sache und ihre Entscheidung völlig in seine Hand. Es sind kaum sieben Jahre, als ich ihn in Mons sahe. Er ist gut, großgesinnt, König, er kann und wird niemals in die gemeine Weise dieser übermüthigen Vasallen eingehn. Die Klugheit, List, selbst die Treulosigkeit eines großgesinnten Monarchen ist auf anderer Wage, als die Schlechtigkeit der Diener gewogen. Er wird mit edler Rücksicht meine Lage ermessen und mich niemals so geradehin verrathen. Hält er den Balduin, wenn er ihn geprüft hat, für einen Abenteurer, so wird er mich ihm nicht ausliefern, und dieser, wenn er ein Lügner ist, wie ich glauben muß, wird in des Königs Gegenwart weniger frech seyn. Sei es wie es sei, ich bin dann von Jemand geschützt, dem es nicht um einen nächsten Besitz, um eine Gemeinheit zu thun ist, und der um Nichtiges sein königliches Wort nicht entweihen und die Frömmigkeit wird schmähen wollen, die seine Feinde Aberglauben taufen. – Entfernt Euch also heimlich, so bald Ihr könnt, denn öffentlich würde Euch Hugo nicht reisen lassen. Unterstützt, wenn Ihr das Glück habt, den edeln König zu sprechen, mit feurigen Bitten und Vorstellungen mein armes Gesuch, dringt in den Monarchen, der seit lange schon an Krankheit leidet, uns Alle in irgend eine seiner Städte oder der meinigen, welche er will, zu bescheiden, damit nur dieser unselige Krieg geendigt werde. Dies ist es, was meine Vertheidiger hier am meisten fürchten, denn sie möchten mich am liebsten in solche Drangsal bringen, daß ich aus Verzweiflung thue und eingehe, was sie mir vorschlagen. Um aber ihre Pläne durchzusetzen, darf nicht Friede und Ruhe seyn, weil sonst ihr Eigennutz die Nachbarn oder andere Theilnehmer ihrer eigenen Partei empören würde. Laßt Euch aber auch, junger Freund, gegen Niemand hier in der Stadt von diesem meinem geheimen Auftrage etwas merken, denn ich traue keinem Auge und keiner Zunge mehr. Schlimm genug, daß ich so einen einsamen Mann, ohne Begleitung, an den großen König als Gesandtschaft senden muß. Vielleicht bin ich auch jetzt zu mißtrauisch, wie ich früher zu leicht und gern vertraute: denn das ist das Unglück, daß wir oft zu unbedacht, nachher zu argwöhnisch werden. Doch besser zu viel fürchten, als zu wenig.

Ferdinand konnte anfangs keine Worte finden, um seinen Dank und seine Gefühle auszusprechen. Er rief begeistert aus: Nein! daß ich einst von Euch so hoch geehrt werden sollte, hat mir auch mein kühnster Traum nicht vorher gesagt. Nehmt mein Leben, das sich ganz Euerm treuen Dienste widmet. Ja, ich bin treu und unwandelbar, so wenig ich bin. Ich diene Euch, und sterbe Euch, ich bin der Eurige, ohne Erwartung des Lohns. – Ach! und dennoch! Wie schwach, wie ohnmächtig sind wir Alle! Ich fühle es ja doch, wie es keine reine, unbedingte Ergebung in Euch und Euern Willen ist, denn meine Seele ist ja von der Eurigen nicht getrennt, ich kann nicht anders fühlen, mir ist keine Wahl gelassen, und darum muß ich mit Erschrecken das Geständniß thun, keiner wohl aller Eurer Diener ist so habsüchtig, so eigennützig, als ich! Ein Blick Eurer Augen, ein Wort, ein Lächeln Eures Mundes sind mir ja mehr als des Orients Schätze. Darf ich mich also wohl Euern Getreuen nennen, Euern wahren Freund? Ist mein Beginnen denn nicht eben so schlecht, als thöricht? Darf ein Rasender hoffen, daß er Euch je wahrhaft dienen und helfen kann?

Diese übereilten Worte sagte Ferdinand in der tiefsten Erschütterung aller seine Kräfte, er wußte kaum, daß er sie sprach, eine plötzliche Gluth führte sie ihm über die zitternden Lippen. Mit den letzten Worten war er vor dem schönen Bilde niedergesunken, er ergriff die Hand des Fräuleins und küßte sie inbrünstig. Sie entzog sie dem Jünglinge nicht, sie legte die andere auf sein blond gelocktes Haupt und sagte mit leiser Stimme: Ich weiß ja, was Ihr mir seid. Euer Gefühl ist mir kein Geheimniß, nur erlaßt mir jede Antwort. Das ist mein Unglück und die Bestimmung meines traurigen Lebens, daß mein Mund nichts von meinem Herzen wissen darf. Wie in Euerm Leben Alles Geheimniß ist, so muß auch, aus anderer Ursache, Alles in meinem Leben seyn, dunkel, ungewiß, trauervoll immer. Sei Euch das Glück auf allen Wegen hold. Euer liebes Bild wird immer in meinem Herzen bleiben. Habe ich doch die Jugend einmal gekannt, ist mir doch einmal ein sehnender Blick Eures Auges erschienen, und hat, wie mit Magie, einen Frühling in meinem Innern angezündet.

Betäubt und entzückt erhob sich Ferdinand. Ein Weltall schwebte ihm in diesen räthselhaften und vieldeutsamen Worten. Wie er jetzt vor ihr stand, begegneten sich ihre Blicke. Der ihrige war so mild, so von süßer Rührung glänzend, so im zarten Ausdruck schwimmend, daß er Alles vergaß. Ein Kuß war geschehn: ob genommen, ob gegeben, wußte er nicht, er fühlte auch nicht, ob sie zürne, oder nur vor Ueberraschung und Scham erröthe. Lange standen sie noch nahe aneinander, er hielt noch ihre Hand in der seinigen, als sie zufällig die Augen aufschlugen und jetzt erst wahrnahmen, daß Hugo mit dem Sohne zugegen sei, die schon seit einiger Zeit eingetreten waren. Ingeram saß schon lange in einer fernen Ecke zusammengekrümmt, er hatte beim Eintritt des Grafen genieset und gehustet, aber Johanna so wenig wie Ferdinand hatten irgend Etwas vernommen, das um sie her vorging, so waren sie ganz in ihrem Innern.

Mit vielem Gleichmuth ging Johanna dem Grafen entgegen, Ferdinand aber war so verwandelt und unfähig, sich zu sammeln, daß er kaum die Eingetretenen durch eine Verbeugung begrüßte und mit taumelnden Schritten sogleich auf sein Zimmer eilte.

Als am Abend Hugo mit seinem Sohne im Schlosse allein war, nachdem Beide die Wachten besucht und alle Vorkehrungen für die Nacht getroffen hatten, sagte der Vater zu Humberkurt: Immer mehr drängt es, entscheidende Schritte zu thun, Viele von unsern ehemaligen Freunden, zu denen ich mich deß am wenigsten versehn hätte, sind von uns abgefallen; Manche, die noch auf unserer Seite stehn, sind zweideutig, der nächste Zufallswind schüttelt sie auch wie dürre Blätter vom Baum. Ausdauern nur müssen wir, so schadet mit der Zeit Jenen Dasselbe, was uns jetzt nachtheilig ist, denn die Strömung des Glücks muß, wenn wir diesen Krieg nur für ein Jahr aufrecht erhalten können, bald hiehin, bald dorthin gehn. Nur Johanna muß nicht in die Hände der Feinde gerathen, das ist unser wichtigstes Augenmerk. Aber – sie ist bei weitem weniger nachgebend und fügsam, als ich früher von ihr hoffte. Jeder Tag macht sie starrer und fester. Als ich ihr vorher deutlich machen wollte, wie gut es sei, ja wie nothwendig, den Entschluß zu fassen, Dir ihre Hand zu geben, damit ihr Gatte, ein Landesfürst, alle jene elenden Plane des Betrugs kräftig durchreißen, daß ich dann, als ihr wahrer Vater, Alles leichter ordnen könne, schlug sie bestimmter als je, mit größerem Widerwillen, als ich sonst an ihr wahrgenommen habe, diesen Antrag aus. Sie konnte sich selbst nicht so bezwingen, daß ich nicht eine gewisse Verachtung im Zorn ihres Gesichtes sollte wahrgenommen haben. Und ist nicht zu fürchten, daß jener unbekannte Bastard, jener Armselige, mit dem wir sie erst in so unziemlich vertraulicher Stellung fanden, durch sein listiges, verführerisches Wesen uns am Ende die schönsten Früchte unseres Sieges entreißen kann?

Um diesen seid unbesorgt, unterbrach ihn Humberkurt, mit ihm will ich und mein Dietrich schon Maßregeln treffen, daß er uns nicht lange mehr hinderlich seyn soll. Johanna ist jung und unerfahren, es ist Einigen gelungen, ihr ein Mißtrauen gegen unsere Familie und gegen die Redlichkeit unserer Absichten beizubringen. Die Fürstin ist wohl gar schwach genug, bei so unruhiger Zeit sich in ein Abenteuer mit diesem Bastard eines Unbekannten einzulassen.

Daß Wachsmuth, fuhr Hugo fort, fürs Erste durch Dich hat vom Schauplatz abtreten müssen, ist immer ein Gewinn für uns. Wenn er stirbt, hat das Unternehmen Conrads seine eigentlichste Kraft und Absicht verloren. Indessen gilt es jetzt vorzüglich, thätig und aufmerksam zu seyn, damit die Feinde nicht durch unsere Nachlässigkeit gewinnen.

Sie gingen, um die nöthigen Anstalten zu treffen. Ferdinand indessen war in die wundersamsten Träume versenkt; er war plötzlich so glücklich geworden, daß er sich dieses zu große Glück noch gar nicht anzueignen wußte. So im Sinnen, indem er sich die ganze Scene noch einmal zu vergegenwärtigen, sie zu begreifen strebte, traf ihn Ingeram. Wie ist Euch? fing dieser an, – und da er die seltsame Stimmung des Jünglings bemerkte, fuhr er fort: nun ja! da haben wir das vollständige Elend des zu großen Glücks. Armer Mensch! Eigentlich ist es mit Euerm Lebenslauf nun schon zu Ende. Denn was erst nach Jahren, nach hundert wichtigen Diensten hätte eintreffen, oder Euch noch immer wie eine Unmöglichkeit in weiter Ferne vorschweben sollen, ist Euch nun schon, wie eine überreife Frucht vom Baume, plötzlich in den Schooß gefallen. Nicht wahr? Nun müßt Ihr doch selbst einsehn, daß Sehnsucht mehr ist, als Erfüllung? Wenn Ihr aufrichtig seyn wollt, so müßt Ihr gestehn, daß Ihr aus allen Euern blanken Himmeln herausgestürzt seid. Ihr seid ausgepfändet, und alle Eure Kleinodien, und glänzenden Schränke und Sessel, und goldenen Tische sind auf dem Trödelmarkt, und die vier kahlen Wände der Wohnung sehn Euch nun trübselig an und bedauern Euch.

Ferdinand wendete sich um, und umarmte seinen kleinen Freund so herzlich, daß dieser rief: Haltet! Ihr zerdrückt mir den Leichnam. Das ist das erste Mal, daß Ihr mir eine solche Gunst erweiset, laßt es aber auch das letzte seyn, denn meine gebrechliche Maschine ist für dergleichen Liebkosungen nicht eingerichtet. Und überhaupt, guter Jüngling, reißt Euch aus diesen Träumereien. Es giebt viel zu thun, und die Feinde werden nicht so müßig seyn, wie Ihr. Glaubt mir nur, so viel ich habe beobachten können, ist den Bürgern der Stadt gar nicht zu trauen. Die stärksten Gewerbe sind auf Conrads Seite, und wenn sie sich jetzt ruhig verhalten, so ist es nur zum Schein und um die Gelegenheit abzuwarten.

Ferdinand entfernte sich, um die Schaar zu besuchen, deren Anführung ihm war anvertraut worden. Er fand auf den dunkeln Gassen viele Menschen, Gemurmel auf den Plätzen, Alles lief hin und wieder. Er bestieg einen Thurm der Mauer und sah in das Feld hinaus. Die Feinde schienen sich ganz ruhig zu verhalten und waren um ihre Wachtfeuer gelagert. Als er auf einem Umwege nach dem Schlosse zurückging, war der Tumult in den Straßen schon angewachsen. Alle Häuser auf dem Markt, viele in den vornehmsten Gassen waren ungewöhnlich stark erleuchtet, und als er um eine Ecke bog, trat ihm eine große Gestalt entgegen und fragte ihn: Ist es bald an der Zeit? – Was? fuhr Ferdinand ihn an und ergriff die Hand des starken Mannes. – Nichts für ungut, sagte dieser ruhig, indem er sich loszumachen strebte. So gingen sie einige Schritt, und Ferdinand erkannte jetzt den Vorsteher der Schlächterzunft, den hochstämmigen Ademar. So laßt mich doch los! rief dieser endlich. – Nicht, antwortete der junge Krieger, bis Ihr mir erklärt, was Ihr mit jener Frage gemeint habt. – Nun, sagte Jener, ob es denn nicht Zeit sei, einen Ausfall zu wagen? Ob wir denn hier so müßig wollen sitzen bleiben? Der Regent, dachte ich, würde uns Alle aufbieten, dem Feinde draußen einen nächtlichen Besuch zu machen. – Jetzt trat Hattrich, der Zimmermeister, herzu, dem viele Bürger folgten, und da sich Ferdinand immer noch nicht begnügen wollte, rissen sie ihren Gefährten mit Gewalt los, und Ferdinand, der wohl den bösen Willen Aller sah, mußte, ohne weitern Bescheid zu erhalten, nach dem Schlosse gehn. Er nahm sich vor, Alles dem Regenten vorzutragen.

Indem er unten an der Küche vorüberging, hörte er darin ein lautes Geschrei und Zanken, und er meinte die Stimme Ingerams unterscheiden zu können. Als er hineintrat, war Alles im größten Aufruhr, denn Dietrich, der Knappe, tobte in unbändigem Zorn gegen alle Küchendiener und schlug den kleinen Ingeram mit einem schweren Stecken unbarmherzig. Ferdinand fiel dem Knappen in den Arm, entriß ihm den Stock, und warf den Burschen so heftig gegen die Mauer, daß ihm Kopf und Glieder erkrachten. Der ist geliefert! sagte Pamphilus, der dicke Koch: wenn er nicht vielleicht die Scherben seiner Gliedmaßen vom Töpfer wieder zusammenleimen läßt. Ferdinand fragte, was der Aufruhr zu bedeuten habe, und Alle schrien laut durcheinander. Jetzt hatte sich aber Dietrich wieder besonnen, und schwur, er wolle seinem gnädigen Herrn Humberkurt die Sache melden, der wohl seine Unschuld gegen diesen jungen Ohnebart vertheidigen werde. Ja, Herr Unbekannt, schrie der Knappe in Wuth, der Ihr hier so unberufen den Gebieter spielt, der Schlag und Stoß soll für Euch schwer ins Gewicht fallen.

Er ging trotzig fort, und als es etwas ruhiger war, erzählte Ingeram, daß er ihn in einem heimlichen Gespräch mit Pamphilus betroffen, und gesehn, wie er diesem ein Pulver zugesteckt, das der Koch auch in die Schüssel gethan, welche für Ferdinand als Abendmahlszeit bestimmt gewesen. Ferdinand faßte den Koch ins Auge, der mit den heiligsten Schwüren und Betheuerungen das Gegentheil versicherte, die Sache völlig leugnete und den kleinen Ingeram einen Bösewicht und tückischen, lügenhaften Angeber schalt. Die Diener der Küche vereinigten sich gegen den armen Kleinen, alle schalten und lärmten von neuem, bis Ferdinand Stille gebot und rief: Wozu des Streites und der Anklage? Die Zeit drängt zu wichtigern Dingen, und es ist thöricht, sie über solch Gezänk zu verlieren. Ich gehe sogleich auf meinen Posten und werde gar nicht zu Nacht speisen. Hat Ingeram eine Thorheit und Schlechtigkeit ersonnen, um Euch und Dietrich zu schaden, so eßt Ihr, Freund Pamphilus, sowie Eure Helfershelfer sogleich von Dem, was für mich bestimmt war. Wenn Ihr das thut, will ich selbst, sowie es die Zeit nur vergönnt, Eure Klage gegen Ingeram führen.

Das kann ich wohl, sagte Pamphilus trotzig und blies sein rothes aufgeschwollenes Gesicht noch stärker auf. Er nahm die Schüssel vom Feuer und winkte einige Diener herbei. Indem er sich aber diesen näherte, fiel ihm der Hafen aus der Hand und zertrümmerte auf dem Boden. Ungeschickter Bengel! fuhr Pamphilus einen der Küchenjungen an: stößt mich so aus Freßbegier an den Ellenbogen, daß ich das liebe Gut auf die Steine des Fußbodens verschütten muß.

Gesindel! sagte Ferdinand kurz und entfernte sich, indem ihm Ingeram folgte. Als sie auf dem Schloßhofe standen, sagte der Kleine: Habt Ihr Eure berittenen Reisigen in der Nähe? – Sie halten, antwortete Ferdinand, gleich vor dem Schlosse, ich sprach sie vorher und habe sie um Mitternacht dahin beordert, weil es wohl einen Ausfall gilt. – Könnt Ihr ihnen trauen? – Unbedingt. – So will ich ihnen melden, daß sie auf Euern Befehl hieher in den innern Hof kommen sollen. Ein Damenpferd steht im Stalle schon gesattelt. – Was hast Du vor? – Ich habe für Euch gedacht, gehandelt und beobachtet, da Ihr keine Zeit und Stimmung dazu hattet, antwortete der Kleine. Es ist kein Augenblick zu verlieren, denn diese Nacht ist zu etwas Großem bestimmt. Ein Theil der Besatzung ist mit den Feinden einverstanden, sie werden sogleich den Versuch machen, sich der Stadt zu bemächtigen. Die Zunftmeister Ademar, Hattrich und Pustel haben es heimlich veranstaltet, indessen Alles auf den Wällen und in der Stadt kämpft, sich des Schlosses zu bemächtigen, um die Fürstin gefangen zu nehmen und sie auf jeden Fall dem vorgeblichen Balduin auszuliefern. Ich habe heimlich alle Gemächer und Thüren geöffnet (die Fürstin weiß darum), die die Nebentreppen herunter in diesen innern Hof führen; auch der Garten ist aufgeschlossen, durch diesen müßt Ihr, Freund, wenn das Getümmel es Euch möglich macht, entfliehen und Euch auf Nebenwegen nach Mons mit der Geretteten begeben. Ist sie dort in Sicherheit, dann schnell und unbemerkt mit Euerm geheimen Briefe zum Könige von Frankreich, denn sonst ist die Fürstin und Alles verloren; hat Conrad sie in seiner Gewalt, wie es nach den Umständen kaum fehlen kann, so ist es nachher fast nicht möglich, ihm die Macht wieder zu entreißen.

Ferdinand wollte vielerlei antworten und einwenden, aber Ingeram lief und holte eine Anzahl der berittenen Reisigen in den innern Hof, und als Ferdinand auf den Platz hinaustrat, hörte er Geschrei, Waffengetümmel, Reiter und Fußvolk liefen durcheinander; sie haben die Stadt, die Rebellen! riefen Viele; oder: Verrath! Verrath! Fackeln leuchteten und der Tumult wälzte sich näher. Plötzlich war der Schloßplatz von bewaffneten Bürgern angefüllt, die mit Geschrei nach der Burg sich wendeten. Sieg! Balduin! Graf Conrad hoch! schrie Ademar mit mächtiger Stimme und die übrigen Bürger wiederholten den Ruf. Indem Ferdinand noch überlegte, fühlte er sich am Gewande gezogen. Es war Ingeram, der ihm winkte und bedeutete. Er führte ihn die verborgenen Treppen zum kleinen Gang hinan, Johanna kam ihm bleich und zitternd schon entgegen. Das Frauenroß stand unten, sie schwang sich hinauf, den Ställen vorüber, durch den innersten Zwinger und Garten ritten sie eilig: und da sie durch die kleinen Straßen zogen, hörten sie in der Ferne den verwirrten Lärm. Als sie die Stadt hinter sich hatten und einen Augenblick umwendeten, sahen sie im Wiederschein der Lichter kämpfende Gestalten auf dem entgegengesetzten Wall, die Glocken der Thürme läuteten, ein Geschrei ertönte von allen Seiten und ein Theil des Schlosses leuchtete im Brande auf.

Als Ademar, Hattrich und Pustel die Fürstin nirgend, auch in ihrem Schlafzimmer nicht fanden, bemächtigte sich ihrer eine ungeheure Wuth, daß sie dem Grafen Conrad ihr Wort nicht halten konnten, ihm und dem Kaiser Balduin Johanna auszuliefern. Sie durchliefen tobend alle Räume und schleuderten in die Betten und Schränke erbost ihre brennenden Fackeln, so daß bald dieser Theil des Schlosses in Flammen stand.

In den Gassen, den Thoren, am Wall hatte unterdessen Kampf und Schlacht gewüthet. Es war den Feinden gelungen, Viele der Ihrigen unbemerkt in die Stadt zu lassen, denn die Bürger, die an den Mauern und dem Walle wohnten, hatten ihnen ihre Häuser geöffnet und selbst die Wachen erschlagen, die Graf Hugo zur Vertheidigung in diese gelegt hatte. Der Regent war durch diesen Verrath überrascht worden, er hatte den Einwohnern Gents zu viel vertraut, die Gegenwehr war ungenügend, die Anstalten fehlten und die Zeit war jetzt zu kurz, passende Befehle zu geben und sie auszuführen. Die wenigsten seiner Krieger waren gerüstet, nur Humberkurt und die Seinigen waren völlig zum Streit gewaffnet. Man widerstand und Mancher von den eindringenden Feinden ward erlegt, aber Hugo mußte sich zurückziehen, und als er in die Nähe des Schlosses kam, sah er, daß es von den rebellischen Bürgern schon erobert war und daß ihre Schaaren mit dem Geschrei: Balduin! ebenfalls auf ihn eindrangen.

Allenthalben Verwirrung, Mord, Rufen, Fragen, Schelten, und keine Ordnung, keine Haltung, kein Befehl. Um nicht gefangen zu werden, floh Hugo nach langem vergeblichen Kampf mit den Seinigen durch Haupt- und Nebengassen, von den Feinden verfolgt. Die Dunkelheit rettete den Grafen und seinen Sohn, und als Tillen und andere Anführer Alles verloren sahn, benutzten sie auch die Nacht und die Verwirrung, sich zu retten, so gut sie es vermochten. Keiner sah hinter sich und so vereinigten sich die Flüchtigen erst am Morgen wieder, indem sie schon einige Meilen von der Stadt entfernt waren.

Man hielt, man erwartete die Zurückgebliebenen. Nacht, Gefahr und Verwirrung hatten, so viel es möglich war, Plan und Ordnung ersetzen müssen. Hugo erfreute sich über jeden Ritter, der ihm noch geblieben war und mit der Helle des Tages sich wieder zu ihm fand. Man beschloß, sich nach dem festen Mons zu ziehn, wo der Graf die treusten Freunde zu finden hoffte. Am meisten schmerzte ihn, daß Johanna, wie er glaubte, nun in den Händen seiner Feinde sei, wodurch sein Einfluß und Ansehn noch tiefer sinken mußten.

So hatten Balduin und Conrad sich mit nur geringem Verluste der großen Stadt Gent bemächtigt, der vorzüglichsten und vornehmsten in Flandern, wo sie Waffen, Geld und Menschen im Ueberfluß fanden, um ihre Absichten durchzusetzen. Nur Johanna war ihnen, sie konnten nicht fassen wie, entronnen, da die Anstalten seit lange schon so gut getroffen waren.



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