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Frühling

Durch den Vogesenwald, lange vor dem dämmernden Morgen, schleicht eine Patrouille von sechs Mann. Der Hang liegt gegen Süden und ist schneefrei. Wo das Holz lichter ist und die Sonnenstrahlen durchläßt, ist der Boden trocken und das kurze Gras dürr geworden. Die Luft vom Grat herunter aber bringt noch Kühle und den Geruch von krankem Schnee.

Die Patrouille hält, und von den Landsturmmännern ist dem einen und andern beim Steigen warm geworden.

Der Unteroffizier, ein hochgewachsener, von keinem Fett beschwerter Mensch, schaut ihnen lächelnd zu und läßt sie verschnaufen. So wie er's daheim macht, wenn er die Jagdgäste seines Herrn führt, die unterweilen rasten und tief Atem holen müssen. Ihm selber bieten die niedrigen Berge oder Buckel, wie er sie heißt, keine Anstrengung. Er ist seiner Lebtag mühsamere Wege gegangen, und im Frühling über weichen Schnee auf den Sonnseiten der Berge herumsteigen, das macht die Sehnen in den Kniekehlen straff und stark wie die Saiten einer Baßgeige.

»San ma's?« frägt er flüsternd, und wie die Leute mit den hochroten Köpfen nicken, packt er den Weg wieder an. Schritt für Schritt, und lautlos, wie er das gewohnt ist als Jäger.

Manchmal reißt es ihn, und er schaut grimmig zurück, wenn ein Patzer auf einen dürren Ast tritt, und wieder auf einen, und ins Rutschen kommt.

»Staad! Herrgottsapperament!« Es ist Vorsicht nötig, denn sie sind über die eigenen Linien hinaus schon ziemlich tief in neutrales Gebiet gekommen, und jeden Schritt weiter kann man an feindliche Posten geraten.

Höher geht es, und der Wald wird lichter.

Der Unteroffizier erhebt warnend die Hand, und seine Leute bleiben stehen. Er schleicht von Stamm zu Stamm etliche zwanzig Schritte und kommt an den Waldrand.

Vor ihm ein Holzschlag, der sich abwärts senkt und eine Mulde bildet.

Seine Augen dringen durch die Dämmerung, und angestrengt horcht er, wohl zehn Minuten lang.

Dann ein leises Zischen. Die Mannschaft schleicht zu ihm hin, und nun gehen sie in die Mulde, hart unterm Grat.

Eine warnende Bewegung mahnt alle zur äußersten Vorsicht. Einer hinter dem andern, schieben sie sich gebückt vor, und endlich kommen sie in das jenseits der Mulde aufstrebende Hochholz.

Der Unteroffizier lächelt zufrieden. Das Schwerste ist getan. Noch ein paar hundert Schritte, die man im Wald gut gedeckt pürschen kann, dann sind sie an einer Stelle angelangt, von wo aus sie über baumfreie Schläge und Wiesen weg einen weiten Rundblick haben.

Er kriecht auf dem Bauche vorwärts, indes die Leute in guter Deckung liegen bleiben. Noch ist es zu dunkel, aber wird's Tag, dann läßt sich wohl am drüberen Hange was sehen; etliche hundert Meter tiefer liegt eine Hütte, die leicht ein Unterschlupf sein könnte für vorgeschobene feindliche Posten.

Stille ist ringsum, und kein Laut könnte den scharfen Sinnen des Jägers entgehen; der leiseste Schritt im Schnee, ja das Schlürfen der Schneeschuhe würde ihm auf gute Entfernung den Feind verraten. So paßt er, wie in Friedenstagen auf Wild, und die Zeit wird ihm nicht lang dabei.

Es verspricht ein klarer Tag zu werden.

Der Wind geht talwärts, leise, aber doch stark genug, daß ein Rauschen durch die Baumkronen geht. Ein Stern nach dem andern verblaßt, und das Dunkel am Himmel löst sich auf und weicht einer fahlen Helligkeit.

Da geht ein Ruck durch den Mann; er hebt den Kopf und horcht angestrengt rückwärts nach der Seite hin.

Der Nächste von der Mannschaft sieht es und wispert leise: »Was is?« Mit einer unwilligen Handbewegung wehrt ihm der Unteroffizier ab, horcht und horcht wieder, und dann geht ein fröhliches Lächeln über sein Gesicht, und er nickt beifällig mit dem Kopfe.

Jawohl, das ist keine Täuschung. Hinter dem Schnackler kommt ein Schleifer, so schön und kunstgerecht, wie auf irgendeiner Bergschneide daheim.

Ein Hahn balzt.

Er setzt aus, schlägt wieder an; und ob es nun ein Franzos ist oder nicht, es ist ein braver Auerhahn und ein guter Freund von dem Bergjäger, der hier auf Vorposten liegt, und er erzählt ihm schönere Dinge von der Heimat als irgendeiner von den Kameraden. »Teufel! Teufel!« denkt sich der Unteroffizier, »jetzt springen, jetzt halten, jetzt wieder ein paar Schritte vor, und dann wäre er wohl bald zu sehen.« Er faßt das Gewehr fester und malt sich's aus, wenn er nun langsam aufführe, gegen den Morgenhimmel visierte, und – bums! da rauschte der Hahn herunter durch die knackenden Äste …

Sapperadi, ob das noch einmal wahr wird daheim?

Die andern hören nichts und sind verwundert über ihren Unteroffizier, der immer nach der anderen Seite hinhorcht und alle Augenblicke vergnügt vor sich hinlacht.

 


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