Ludwig Thoma
Der Ruepp
Ludwig Thoma

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Fünfzehntes Kapitel

Die Stasi hatte recht gesehen. Wie sie unbemerkt zur Küchentüre hinausging, kam der Ruepp vorne herein und fragte nach dem Lukas.

Die Bäuerin, die sich in der Stube was zu schaffen gemacht hatte, sah ihn erstaunt an, denn seit Jahren war der Nachbar nicht mehr herüben gewesen, und sie wußte, daß er mit ihrem Bauern eine Feindschaft hatte.

Sie sagte aber freundlich, daß sie ihn holen wolle und ging in den Roßstall hinüber, wo sie ihren Mann antraf.

»Du, der Ruepp is drent . . .«

»Wer?«

»Der Ruepp. I ho mi aa g'wundert, aber er sagt, daß er mit dir was z' red'n hätt . . .«

»Mit mir? So, no mir wer'n ja sehg'n, was dös is . . .«

»Er werd do scho net zum Streit'n aufa kemma sei?« fragte die Bäuerin ängstlich.

»Ah na . . . streit'n tuat er bloß im Wirtshaus. Er werd was braucha, sinscht kam er wohl net.«

Gleich darauf stand der Lukas vor dem Ruepp.

»S' Good. Was geit's na?«

»I hätt mit dir a weng was z' red'n.«

»Z' red'n? Geh ma halt in d' Stuben eini.«

Er ging voran, der Ruepp hintnach.

»Siehgst,« fing der an . . . »i hab mir scho an öften denkt, jetzt haust mi so nah beinand und hat a Feindschaft . . .«

»I hab koane . . .«

»Na ja . . .«

»Na, i net. I leg koan Menschen was in Weg.«

»Daß mi ins halt z'kriagt hamm . . .«

»De Wirtshausg'schichten genga mi da herob'n gar nix o. I bekümmer mi um mei Sach, aber net um ander Leut . . .«

»Do hoscht recht, Lukas; bal ma auf d' Leut hört, werd all's ärger g'macht, und vo dem kimmt's aa.«

»I laß dir wohl dei Ruah und leg dir nix in Weg, Ruepp . . .«

»Und i bin aa net anderst g'sinnt, derfst ma's scho glaab'n, Lukas . . .«

»Ja, und was willst d' ma na sag'n?«

»Sag'n? Siehgst, du hoscht mir amal z' wissen g'macht, daß dir mei Feld am Weiherer Holz hint'n guat o'stand. Selbig'smal, i sag's aufrichti, hab i net mög'n, weg'n da Feindschaft, aber jetzt hon i mir denkt, geh zua, denk i mir, für'n Lukas hätt dös Feld an ganz an andern Wert als für di, net, weil's dir viel bessa g'leg'n is, und, denk i mir, gehst ummi dazua und gibst as eahm . . .«

»I dank dir schö, Ruepp, für dei guate Meinung, aba, i sag dir's, wia's is, i mog's nimma.«

»Du bist halt no zorni, weil i selbig'smal net mög'n ho . . .«

»Na. Z'weg'n dem schlaget i an Handel net aus, wann mir der Handel selm passet. Aba i kaff bei der jetzigen Zeit überhaupts nix mehr zuawi.«

»'s Feld is it schlechta wor'n, dös muaßt do selm sag'n, ehnder 's Gegenteil . . .«

»No, bessa is aa net wor'n, aba dös machet mir nix aus. I bracht's leicht in d' Höh . . .«

»Dös brauchst it in d' Höh bringa; schaug di o, wia da Habern dös Jahr g'standen is . . .«

»Gar so schö war er net, aba, wia g'sagt, mi bekümmert's net, weil i 's Feld ja do net kaff . . .«

»Z'weg'n de alt'n G'schicht'n solltst du an Profit it hint lassen!«

»Lasset i aa net, g'wiß net. Aba siehgst, selbig's mal, wia's du net mög'n host, hab i mir de Kreuzbroat'n vom Wirt kafft, und du werst scho wissen, daß de a schön's Geld kost hot, und san aa bei an acht Tagwerk. Und na hab i no, wia da Eckl z'trümmert wor'n is, net ganz zehn Tagwerk vom Juden kafft, und es is mir dös schier gar z'viel. Hot mi beinah g'reut, i sag dir's aufrichti, und hat aa d' Bäurin g'mamst, und jetzt kimmt no dazua, daß mir älter san. Wia lang geht's her, na übergib i an Schorschl, und, woaßt scho, da is ma froh um 's Bargeld, dös wo ma si dahaust hot, und waar do dumm, wann i's für Grundstück ausgab, de wo i do net g'halt und an Buam geb'n muaß.«

»Du kunnt'st dir ja an Austrag um dös bessa macha . . .«

»Na, da b'halt i scho liaba 's Geld. Was machet dös aus beim Austrag für de paar Tagwerk?«

»So schnell werst du net übergeben. I denk aa no net dro . . .«

»Da hülft mir 's Denk'n weni. Ma muaß scho, wenn da Bua herg'wachsen is, und g'spür'n tuat ma 's Alter aa . . .«

»Überleg dir's guat, Lukas! Wann i's an andern gib, reut's di . . .«

»Na, dös ko mi net reu'n. I sag dir ja, mir is eh scho z'viel wor'n, de Kafferei . . .«

»Gibst halt dafür was anders her, was dir net so g'legen is. Was du dir vom Eckl zuawi kafft host, is a so z'weit.«

»Vor etla Jahr hätt i mir's überlegt, aba jetza, seit dem daß i scho an d' Übergab denk, is 's z'spat. I dank dir schö, aba es geht nimma . . .«

»Is dös dei letzt's Wort?«

»Ja, i bleib dabei, weil's anderst koan Sinn hot. Dir ko's ja aa gleich sei, du bringst den Fleck leicht o.«

»An wen nacha?«

»Dös woaß i net in Augenblick, aba du findst scho oan.«

»Muaß ja net sei; i ko's leicht selm g'halt'n. I ho mir bloß denkt, daß i dir am End an G'fall'n tat.«

»Is mir recht, und mir hamm ja leicht red'n kinna über dös, aba es geht halt amal net . . .«

»Vielleicht . . . ah . . . vielleicht kunnt'n mir's anderst macha?«

»Wia anderst?«

»No ja . . . i ho mir denkt . . . net . . . also zum Beischpiel . . . vielleicht, daß dös gang, net wahr, daß du mir a Geld gabst auf a Monat oder zwoa, und zum Beischpiel . . . net wahr . . . bal i dir's net auf'n Tag z'ruckgab, g'höret dir mei Feld . . .«

Der Lukas sah mit seinen stahlgrauen Augen den Mann ruhig an.

Es war etwas Hastiges und Unsicheres in ihm, was ihm schon gleich aufgefallen war, und jetzt kam er mit dem Eigentlichen heraus.

»So was mach i net, Ruepp; i will di net beleidinga und möcht di net verzürna, i sag dir's aba schnurgrad, auf solchane Sachen laß i mi net ei. I hab koa Geld net zum Herleiha.«

»Für dös wer i dir no guat sei . . .«

»Na, net amal; i sag dir nix nach, aba wann's d' mi scho fragst, schneid i aa net lang um . . .«

»Du gehst halt aa dem G'red nach. I woaß guat, daß allerhand g'sagt werd, als wann i in die Schuld'n drin steckat . . .«

»G'sagt werd's, dös is wahr, und daß i mir meine Gedanken mach', wann du mit an solchan Vorschlag zu mir umma kimmst, dös is g'wiß, aba dös hat koan Bezug auf dös. I lasset mi auf so was net ei, und wann du no so guat stand'st bei de Leut. A sellas G'schäft steht mir net o.«

»A jeda ko amal in a Verlegenheit kemma, und i hätt g'moant, a Nachbar kunnt dem andern helfa . . .«

»I glaab's net, daß dir g'holfen waar, na . . . und von da Nachbarschaft, da hab i net viel g'spannt bis jetzt.«

»No ja, nacha net. Nimmt ma's von an Fremden, dös is scho so da Brauch . . .«

»Für so oan is a G'schäft, für mi waar's a Verdruß, und da is mir der erst liaba wia da letzt . . .«

»Also bfüa Good . . .«

»Adje . . . und oans möcht i no sag'n, Ruepp. Vo dem, was mir heut g'redt hamm, derfragt von mir koa Mensch was . . .«

»Von mir aus . . .«

»Na, dös is it gleichgültig. I woaß, warum i's sag. Wann's a G'red gibt, na bist du ganz g'wiß, daß 's von mir net ausgeht . . .«

Der Ruepp brummte was Unverständliches vor sich hin und ging.

»Was hat er denn woll'n?« fragte die Lukasin neugierig, wie ihr Bauer in die Küche kam.

»Ah nix. Weg'n an Grenzstoa hat's a si g'handelt, aba mi hamm ins ganz freundli g'redt mitanand . . .«

»Grenzstoa? So?«

Sie sah ihren Bauern recht zweifelhaft an, aber sie wußte, daß sie mit Fragen nichts ausrichten konnte; was der nicht gleich sagen wollte, sagte er in Jahr und Tag nicht.

Der Ruepp ging hastig vom Hof weg, als fürchtete er jetzt erst, daß ihn wer sehen und seinen vergeblichen Bittgang erraten könnte.

Er sprach vor sich hin.

»Also nix . . . wieder nix . . . du ko'st di leicht prahl'n, du . . . bal ma koa Sorg und koa Kümmernis hat . . . Da ko ma für an Menschen hi'steh und recht groß toa. I mag solchane G'schäften net . . . Ja, du machest as aa net anderst, wann dir 's Wassa so hoch raufsteiget . . .«

Der Ruepp war froh, daß ihn daheim niemand mit Fragen anging, und daß ihm die Bäuerin auswich. Am andern Tag blieb er noch im Bett liegen, als die Sonne schon hoch stand.

Er hatte keinen Willen zur Arbeit mehr, und ohne daß er sich Rechenschaft darüber gab, war es ihm, als hätte sie keinen Sinn für ihn und er kein Recht auf sie.

Er faßte Pläne, die er wieder aufgab, suchte Auswege und fand, daß ihm alle verschlossen seien.

Er schlenderte im Hof herum, ging in den Stall und wußte nicht, was er darin suchte, er sah den Zotzen-Peter und den Kaspar vom Felde heimkommen und wunderte sich, daß die noch etwas schafften, denn alles kam ihm nutzlos und leer vor.

Er sah finstere und scheue Blicke auf sich gerichtet und hatte nur den einen Wunsch, ihnen auszuweichen, sich vor ihnen zu verstecken.

Beim Essen redete er kein Wort; Leni setzte die Schüssel so hart auf den Tisch, daß ihr Unmut deutlich wurde, und beim Vaterunser sagte die Bäuerin das »Führe uns nicht in Versuchung« so laut aus den andern Bitten heraus, daß es allen auffiel. Sie schwiegen aber, und die Löffel klapperten auf den Tellern.

Es war, als säße ein Fremder am Tische oder ein Ausgestoßener, mit dem niemand Gemeinschaft haben wollte.

Der Zotzen-Peter sagte der Zenzi halblaut etliche Dummheiten, die das Weibsbild zum Lachen reizten; sie hielt aber die Hand vors Maul und kicherte in sich hinein, als wäre alles laute Wesen verboten.

Nach dem Essen lief der Ruepp weg; es war nicht zum Aushalten daheim, wo die Stille um ihn herum mit Fragen und Vorwürfen geschwängert war. Er holte sich nicht einmal Hut und Janker in der Kammer, damit niemand sein Fortgehen merkte.

War er noch Herr im Hause? War er nicht wie ein liederlicher Knecht, der blau macht, wie ein Bub, der auf verbotenen Wegen ging?

So warm war es wie an einem Sommertag, und doch so viel schöner. Vom tiefblauen Himmel herunter lachte die Sonne, und ihr Schein legte sich mild auf die Stoppelfelder.

Wo Leute arbeiteten, sah es sich gemächlich und friedlich an, so wie Arbeit am Abend kurz vor dem Feiern geschieht.

Auf den Höhen und drunten im Tale streckten sich die Bauernhöfe wohlig im Lichte, als fühlten sie sich mit ihren vollen Scheunen geborgen nach mühseligen Tagen.

Manchmal drang ein tiefes Brummen vom Orte herauf und zeigte an, daß eine Maschine die reiche Ernte ausdrosch.

Der Ruepp sah nichts, hörte nichts; er ging mitten durch den Segen wie einer, den er nichts anging. Er war in Gedanken verloren, rechnete mit falschen Zahlen und suchte hilflos nach einem neuen Betrug, der den alten unschädlich machen konnte.

Was wollte er eigentlich in Weidach?

Sich ins Wirtshaus hocken und sein Nichtstun zur Schau stellen?

Davor scheute er sich, und er machte einen Umweg.

Aus seinem Hof heraus grüßte ihn der Höchtl, der Kartoffel ablud.

»Wo aus?«

»A G'schäft han i . . .«

»Ah so . . .«

Der Höchtl schulterte seine Schaufel und kam näher.

»Hast d' Erdäpfi scho dahoam?«

»Ja . . .«

»De hamm heuer dageb'n. Sagst as net aa?«

»San ganz guat wor'n, ja . . .«

»Du, paß auf, laß da sag'n, is dös wahr, was neuling a Unterhandla beim Wirt verzählt hat?«

»Was hat der verzählt?«

»Daß de alt Loni ziemli a Geld g'habt hat, und daß du dös außa zahl'n muaßt?«

»Was waar na dös für an Unterhandla g'wen?«

»Der plattete; Schlehlein, glaab i, hoaßt a.«

»Der muaß's ja wissen, der Leutbetrüaga . . .«

»Is it wahr, gel?«

»A Schmarrn is . . . bfüad di Good, i muaß weida . . .«

Der Höchtl grüßte. Wie er zurückging, lachte er verschmitzt.

»I moan allaweil, di druckt was, Manndei. Gar so a Schmarrn werd's net sei . . .«

Der Ruepp bog vor dem nächsten Hofe ab.

Es hatte sich also schon herumgesprochen im Dorfe, und wer ihm jetzt begegnete und freundlich grüßte, schaute ihm schadenfroh und hämisch nach. Darum war's besser, keinem begegnen.

Weiter hinaus zu waren ein paar kleine Häuser, in denen Taglöhner wohnten. Das letzte mit einem verwahrlosten Vorgarten, in dessen Umzäunung verschiedene Latten fehlten, andere zerbrochen waren, gehörte dem Langgörgl.

Ein Weibsbild stand unter der Türe und hielt ein Kind auf dem Arme, dessen schmutziges Gesicht durch Rufen entstellt war.

Der Ruepp blieb stehen und fragte:

»Wo is denn da Langgörgl?«

»Wo werd er sei? Drinna hockt er.«

Die Antwort klang unfreundlich, aber der Bauer trat, ohne recht zu wissen warum, ins Haus.

In der Stube saß der Taglöhner auf einem Kanapee, dessen Überzug zerrissen war; vor ihm auf dem Tische stand eine Bierflasche, in der Fuselschnaps war, von dem es in dem niedrigen, unaufgeräumten Zimmer stank.

»Ah, da schau her, da Ruepp! Was schaffst?«

»Nix. I bin grad a so eina kemma, weil mi da Weg vorbeiführt hat.«

»Dös is recht. Hock di a weng her.«

Der Bauer setzte sich auf den wackligen Stuhl, der vor dem Tische stand, nachdem er vorher einen schmierigen Janker, der darauf lag, entfernt hatte.

Der Langgörgl erhob sich langsam und holte aus einem kleinen Wandschrank, in dem alles mögliche durcheinander lag, ein verschmutztes Schnapsglas.

»Magst a Stamperl?«

Der Ruepp nickte zustimmend.

»I hätt heut beim Schnacken helfa soll'n, Ruab'n außa toa, aba mir is gar it recht extra g'wen, da bin i dahoam blieb'n und kurier mi a weng aus. Bei dem Reg'n am Deanstag muaß i mi vakält hamm, aba jetzt is ja wieda dös allerschönste Weda. Is schier gar schad, daß ma da herin hockt, aba morg'n is aa no Zeit. De Ruab'n bringa ma leicht hoam . . .«

»Ja . . . ja . . .«

Der Langgörgl schwätzte gleichgültiges Zeug, und der Ruepp hörte kaum, was er sagte.

Er stürzte hastig ein paar Gläser Branntwein hinunter und stierte vor sich hin.

Von der Straße klang hie und da lustiges Peitschenknallen herein, und die Sonnenstrahlen ließen sich durch die schmutzigen Fensterscheiben nicht aufhalten, als wollten sie den Bauern herauslocken aus der Stube.

Wie kam er da herein? Wenn ihm einer vor Jahr und Tag gesagt hätte, daß er am hellen Werktag mit dem übel berufenen Menschen zusammenhocken und Schnaps saufen würde, er hätte es nicht geglaubt.

Und jetzt war er beinahe froh, bei ihm Ruhe vor seinen Gedanken und Sorgen zu finden.

»Trink ma no oans, Ruepp, weil's scho gleich is. Oha, jetz is d' Flaschen laar. Hansgirgl!«

Er schrie noch ein paarmal, da kam sein mürrisch dreinschauendes Weib zur Türe herein.

»Was willst d' an Buab'n?«

»An Schnaps soll er hol'n.«

»Es is koa Geld im Haus . . .«

»Was? Herrgottsaggerament! Da geht er halt ohne Geld zum Kramer aufi.«

»Der gibt eahm nix . . .«

»I schlag dir 's Kreuz o, du . . .«

»Laß guat sei!« sagte der Ruepp und legte ein Zweimarkstück auf den Tisch, das der Langgörgl an sich nahm.

»Also da! Jetzt schickst an Buam eina, aba g'schwind, sag i . . .«

Die Frau warf einen verächtlichen Blick auf die zwei Männer und ging.

Bald darauf humpelte ein zwölfjähriger Bub herein, der trotz seines verkrüppelten rechten Fußes flink genug war. Er nahm Geld und Flasche mit einem frechen Grinsen und kam nach kurzer Zeit wieder zurück.

»Hast d' nix außakriagt?« fragte der Vater grob.

»Na . . .«

»Was? I beutel di do scho glei, daß dir Hör'n und Sehg'n vageht. Kost' d' Flaschen it mehra wia'r a Mark!«

»Da Krama hat g'sagt, dös g'halt er z'ruck für dös ander . . .«

»'s Mäu halt! Und mach, daß d' außikimmst! Und an Krama zoag i's scho, ob mir der a Geld z'ruckhalt'n ko . . .«

Der Bub humpelte gleichmütig hinaus und schnitt unter der Türe eine Fratze.

»So ausg'schamte Leut als wia z' Weidach muaß 's net glei wieda geb'n,« schimpfte der Langgörgl. »Weil ma'r amal Unglück g'habt hat, treten s' auf oan umanand. Mir is ja ganz wurscht, aba dir sag i's, weil du a richtiga Mensch bist, der wo oan vasteht.«

Und er erzählte dem Ruepp, der ihn zuweilen mit gläsernen Augen anglotzte, die Geschichte, wie er, der Schaffler von Kemaden, ein Ehrenmann auf und auf, durch die Hinterlist der Menschen und durch die eigene Gutmütigkeit von seinem Sach gekommen war.

»Ja, mei Liaba, so hamm s' as mir g'macht, und jetzt gab mir so a Haderlump net amal aufs Geld außa, und a jeda möcht mi veracht'n. Aba du bischt anderst g'sinnt, und desweg'n steh i aa auf deiner Seiten, und derfst ma's scho glaab'n, i helf zu dir, bal aa de andern sagen, du hätt'st von an alt'n Deanstboten 's Geld druckt . . .«

Der Ruepp fuhr auf.

»Wer sagt dös?«

»I sag's net, de andern brachten's a so außa, aba i steh auf deiner Seiten, mei Liaba, und da gibt's nix . . .«

»Was scher i mi um dös G'red?«

»Da hoscht amal recht, um dös bekümmerst di gar nix, und bal's wieda oana zu mir sagt, dem sell'n zünd i a Liacht auf . . .«

»Hör auf vo dem!«

»Na, paß auf, laß da sag'n, i loos' da it zua. Was, sag i, an Ruepp möcht's ös schlecht macha, und a so bringt's as daher, sag i, als wann er an arma Weibsbild, de wo z'erscht nix g'habt hat, sag i, seine paar Groschen nahm . . .«

»I will nix hör'n davo . . .«

»Paß no auf, i red ja für di. Hab beim Wirt aa für di g'redt, wia der sell Bazi, den wo i scho von frühers her kenn, wia der g'sagt hat, daß 's beim G'richt anskemma waar, und daß s' di auf an Schwur hi'treib'n . . .«

»Moanst d' vielleicht, i schwör it?«

»Freili schwörst, und, laß da sag'n, wia's i dem hi'g'rieb'n hab. Di kennt ma, sag i, und neamd kennt di so guat, als wia'n i und da Ruepp, sag i, über den werst du wohl nix behaupten kinna, und, sag i, dös is an Ehrenmann. Der braucht von so oan, wia du bischt, koan Leumund durchaus net, und du werst'n eahm aa it nehma kinna. So hab i g'sagt, mei Liaba . . . Da trink no oans!«

»I mag nimma . . .«

»Ah, werst do net auf de Leut aufpassen. De kinnan ja di gar it moana, und du stellst di ganz oafach hi und schwörst, und bal di oana schlecht redt, da bin i scho da. Du helfst zu mir, und i helf zu dir . . .«

Der Ruepp schob das Glas zurück und stand auf.

»I geh jetzt . . .«

»Bleib do no da . . .«

»Na . . . Bin i was schuldi?«

»Geh zua! Hoscht ja du an Schnaps zahlt . . .«

»Ah so . . . ja . . . hab i an Schnaps zahlt . . . hab i . . .«

Er schwankte und konnte sich kaum aufrecht halten.

Und es war ihm gottesjämmerlich zumut; der Dunst in dem kleinen Zimmer und der ekelhafte Fuselgeschmack im Munde kamen ihm unerträglich vor.

Er wankte hinaus, hielt sich an der Türpfoste ein, und draußen drehte sich alles um ihn.

Wie er auf der Straße vorwärts wankte und sich bald an einem Zaune, bald an einem Wagen, der im Wege stand, einhalten mußte, liefen ihm die Buben lachend und schreiend nach.

»Ah! Da Ruepp! . . .«

Ein paar Weiber zogen sich scheu zurück, wie er vorbei kam, und traten wieder unter die Türen, um ihm nachzuschauen.

»Na, so was! Am helliacht'n Werktag!«

Außerhalb des Dorfes setzte er sich auf einen Feldrain und war bald eingeschlafen.

So sahen ihn etliche Leute, die von der Arbeit heimgingen.

Eine Magd wollte ihn aufwecken, aber der Knecht, der neben ihr ging, hielt sie zurück.

»Laß den b'suffen Kerl schlaf'n . . .«

»Auf'n Abend zua werd's eahm do z' kalt, bal so Nebel aufsteig'n . . .«

»Ah was! Wann dem so was schadet, waar er scho lang hi . . .«

Er wurde aber doch geweckt.

Vom Dorf her kam eine Frauensperson, die erschrocken stehen blieb, wie sie den Schlafenden sah, und die ihn heftig an der Schulter rüttelte.

»Was is? Wer sagt, daß i . . . ah, du bischt es . . .«

Der Ruepp sah in das zornige Gesicht seiner Bäuerin.

»Wo kimmst denn du her?« fragte er verschlafen und verdrossen.

»I möcht wissen, wo du g'wen bist. Wia du nach Schnaps stinkst! Schamst di gar it?«

»Mir is all's gleich . . .«

»Es scheint si. Da Herr Pfarrer hat aa g'sagt, Sie hamm einen schweren Stand, Rueppin . . .«

»Da Pfarrer? Bist du beim Pfarrer g'wen?«

»Ja, mi hat's dahoam nimma g'litt'n, daß d' as woaßt . . .«

»Unta da Woch zum Pfarra laffa,« brummte er und richtete sich langsam auf.

»Du woaßt guat, was mi hi'trieb'n hat. Aba jetzt geh zua; is ja a Schand, wia du da g'hockt bist vor alle Leut. Jetzt woaß i, warum der Ecklknecht so dumm g'lacht hat, wia'r a mir voring begeg'net is.«

»Was liegt denn da mir dro?«

»Dir liegt an nix was, dös is leider wahr.«

Sie ging etliche Schritte voran, und das Herz schwoll ihr so von Erbitterung an, daß sie ihm am liebsten ins Gesicht geschrieen hätte, wie seine Liederlichkeit alles, aber auch alles, zu Grund gerichtet habe.

Allein als sie sich umwandte und sah, wie er schwerfällig und müde mit unsicheren Schritten hinter ihr herwankte, kam sie wieder Mitleid an, und sie schwieg.

Er rief ihr halblaut nach.

»Afra!«

»Was denn?«

»Laff mir net davo!«

Sie blieb stehen, und wie er bei ihr war, brach er in Schluchzen aus, und die Tränen liefen ihm herunter.

»I bin der gar Neamd mehr . . . I bin scho der Allerschlechtest . . .«

»Hör do auf, mitten am Weg!«

»D' Leut wissen's eh scho. Sie sagen's im Wirtshaus und red'n dahoam davo. I bin der Allerschlechtest weit umanand . . .«

»Nimmst da's halt anderst für!«

»Nix helft mir, neamd helft mir. I bin da gar Neamd . . .«

»Geh zua, Michi, dös hat jetzt koan Wert gar it, da auf da Straßen . . .«

Er griff hastig nach ihrer Hand, in die er sich ganz verkrallte.

»Afra, du muaßt mir helfa . . .«

»Dös woaßt scho, daß ma dir hilft . . .«

»Na . . . na, du hoscht ma's ja abg'schlag'n, aba du muaßt as toa, sinst is all's hi . . .«

Sie blieb stehen und sah sich um, ob niemand in der Nähe sei.

»Schwör'n . . . moanst du?«

»Es muaß sei, Afra . . .«

»Dös werd nia,« sagte sie bestimmt, doch ohne Heftigkeit.

»Bitt di gar schö . . .«

»Laß guat sei. Wann i wollt, kunnt i net. I fallet um, wann i d' Hand aufhebat . . .«

»Bitt di gar schö . . .«

»Na, es muaß anderst aa geh, Michi, und mei Seligkeit verschwör i net wegen dem lumpeten Geld . . .«

»Bitt di gar schö . . .«

Er lief neben ihr her, und als sie ihre Hand losriß, hielt er sich an ihrem Rock fest. Wie ein Schulbub bettelte er.

»I ko net und i ko amal net,« sagte sie fest.

Er ließ los und blieb wieder etliche Schritte zurück. Dabei murmelte er undeutlich vor sich hin und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab.

Im Hohlweg wartete sie, bis er herangekommen war.

»Du legst di jetzt ins Bett, und i mach dir a warme Suppen, und morg'n red'n mir anderst von dera Sach . . .«

Er antwortete nicht und folgte ihr willenlos und ließ sich von ihr in die Kammer hineinschieben.

In der Küche sagte die Rueppin zur Leni. »Wir müassen an Vater a Suppen ausschmalzen; er is it recht beinand.«

»Ja, beinand! Was dem feit, woaß i scho. Stinkt ja da ganz Flötz nach'n Schnaps.«

»Jetzt sei it so unguat!«

»Is ja a Schand! Bei ins werd's allaweil no schöner . . .«

Leni riß die Herdringe zornig auf und machte Feuer; die Mutter half mit, und wie die Suppe fertig war, trug sie den dampfenden Teller in die Kammer.

Die Kammer war leer.

»Wo is denn . . .? Leni!«

»Was?«

»Da Vata is it da . . .«

»Er werd it weit sei . . .«

Aber die Rueppin war von einer großen Unruhe befallen, über die sie sich keine Rechenschaft geben konnte.

Sie ging in den Hof hinaus und rief. Niemand gab Antwort. Dann kam sie in die Küche zurück und fuhr die Leni heftig an.

»So schaug do, wo da Vata is!«

»Wo soll i denn schaug'n? Er werd scho wieda kemma . . .«

Aber er kam nicht.

Da lief die Bäuerin in den Stall hinüber.

»Is denn neamd da? Zenzi! Peta! . . .«

Die Zenzi tauchte auf; sie war gerade beim Melken.

»Wos geit's?«

»Is da Bauer net herin g'wen?«

»Na . . .«

»Wo is denn da Michel? Wo san de andern?«

Die Zenzi schaute verwundert die Bäuerin an, die immer aufgeregter wurde.

»De wer'n scho da sei . . .«

Im Hof draußen kam der Michel zu ihr.

»Host du an Vater it g'sehg'n?«

»An Vater? Na . . .warum . . .?«

»Frag it lang und steh it umanand! Suach'n halt!«

Aber alles Suchen war umsonst.

Der Ruepp war in Haus und Hof nicht zu erschreien und nicht zu finden.

Der Kaspar kam später, weil er den einen Gaul zum Beschlagen geführt hatte.

»Is dir da Vata it begeg'nt? Daß er am End nomal in's Dorf abi is?«

»Na, mir is neamd begeg'nt. Was tuast denn so narrisch? Der is scho öfta ausblieb'n . . .«

Michel mußte ins Dorf hinunterlaufen und im Wirtshaus nachschauen.

Er kam unverrichteter Sache zurück.

Da setzte sich die Rueppin auf einen Küchenschemel und fing zu weinen an.

»Dös geht it guat aus . . .«

Michel tröstete sie, die andern waren unwirsch, daß sie hatten aufbleiben müssen.

Als sie dann ins Bett gingen, blieb die Bäuerin in der Küche; immer wieder ging sie zur Haustüre hinaus und spähte und horchte.

Es rührte sich nichts.

Als der Tag graute, weckte sie alle.

»Da Vata is it hoamkemma; es is an Unglück g'schehg'n, i woaß g'wiß . . .«

Eine halbe Stunde später klopfte ein Mensch aufgeregt ans Küchenfenster.

»Jessas!«

Es war ein Knecht vom Lukas, der in aller Früh durchs Weiherer Holz gefahren war und den Ruepp gefunden hatte.

»I möcht's enk liaba it sag'n . . .« stotterte er.

Die Bäuerin schrie auf, die andern drängten sich um den Knecht.

»Was denn? . . .«

»Ja . . .«

Der Ruepp hatte sich nur ein paar Schritte vom Weg an einer Buche aufgehängt.

Es bleibt wenig mehr zu erzählen.

Kaspar, dem die verstörte Mutter das Anwesen übergab, konnte es mit dem Gelde, das er sich erheiratete, gerade noch erhalten und kam jahrelang nicht recht in die Höhe. Der Michel aber nahm Dienst bei einem Bauern in Weichs und hatte Mühe, sich Anerkennung zu verdienen.

Man hieß ihn den »lateinischen Knecht« und blieb lange mißtrauisch gegen ihn.

Er ließ sich nicht irre machen und schaffte redlich weiter, doch kam er nicht in die Höhe und blieb ein Dienstbot sein Leben lang.

Die Stasi vom Lukas heiratete nach Jahr und Tag den Moosrainer in Aufhausen und wurde eine rechtschaffene Bäuerin.


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