Ludwig Thoma
Der Münchner im Himmel
Ludwig Thoma

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Finstere Zeiten
oder
Der Leberkas

Volksschauspiel in einem Aufzug

Personen:
Der alte Eckmaurer
Xari und Schorschi, seine Söhne
Beni
Zenzi, Xaris Ehefrau
Zwei Kinder
Ein Volksredner

Spielt in einem Wirtsgarten in Giesing an einem sonnigen Montagnachmittag. Man hört eine Ziehharmonika aus der Ferne.

Der alte Eckmaurer traumverloren: Dös war selbigsmal, wie mir no zehn Stund g'arbet hamm...

Xari aufschreiend: Zehn... Schtund?!

Schorschi: G'arwat?!

Der alte Eckmaurer: Ja... ja... wenn i's sag... zehn Schtund...

Der Volksredner zornig aufschnellend:
Zehn Stunden Sklavenfron! Zehn lange Stunden!
Blutrünst'ger Sklaverei! Die harten Hände
Von Schwielen übersät, und so erlahmt,
Daß keine Faust sich ballen konnt... o Volk!

Schorschi: Lassen S' an Vater verzähln...

Zenzi ruft hinter die Szene: Pepi! Nanni! da kommts her! da kommts eina! Die Kinder kommen. Gehts zum Großpappi her, er verzählt von der bä... bä Arbeit... horchts no zua... daß 's beizeit'n an Abscheu kriagts... Die Kinder umdrängen den Eckmaurer.

Der alte Eckmaurer: Glei... glei. Wo hab i denn mei Brisilglasl?... Ah... so... Da waar i jetzt beinah mit 'n Arm drauf g'sessen... öffnet mit zitternder Hand das Brisilglas und haut sich eine Prise auf die Hand... Ja... meine liab'n Kinder... dös Brisilglasl da... dös war oft mei Trost im Unglück... in der Gschlaverei... Also dös war selbigsmal. Von sechsi in der Fruah bis um sechsi auf d' Nacht war i am Bau...

Beni: Dös san ja zwölf Stund!

Schorschi: Herrgottsaggera... wenn ma so was hört... heut derfat i koan Balier begegna... is guat, daß's Montag is...

Volksredner:
O Sonne! Kaum entstiegst du deinem Bette,
O Tag, kaum bleichtest du nach müder Nacht,
Da schleppt sich dieser Märtyrer der Arbeit
Zu neuer Qual...

Xari: An Vater laß red'n... Zwölf Stund... Vata?

Der alte Eckmaurer: Zwoa Schtund hamm ma Mittag gmacht, aber de ander Zeit... Ja, Leut, wenn man so dran denkt... um sechsi steigt ma nauf, ziahgt an Janker aus, ziahgt an Schurz o, suacht sei Latt'n, legt sei Brisilglas auf an Stoa, derwei hat ma sein Hammer vagess'n, steigt oba und holt'n, richt' sei Kell'n her und wart auf d' Mörteltruchn... Endli is simmi worn. Ja, Leut, da lernt ma, wia hart's Wart'n is... um simmi komma s' mit der Biertrag'n, no da nimmt ma sei Maß und trinkt amal, na nimmt ma an Stoa, dös hoaßt also an Ziagelstoa, und haut dro rum, bis der Genosse kimmt, der wo neben oan arwat und was wissen möcht. Na haut ma an Mörtelbatzen ani und setzt an Stoa auf und ruckt hin und ruckt her, und will mess'n, aber daweil hot der Genosse sei Latt'n vagess'n und hat de dei z'leich'n g'numma. No, na holt man sei Latt'n bei dem Genossen, und da fallt oan was ei, was ma wissen möcht, und na geht ma z'ruck und nimmt sein Stoa, nämli an Maßkruag, und trinkt amal. Und na nimmt ma d' Latt'n und meßt... no und mit dera Arwat is langsam halwi neuni worn. Da is de erste Brotzeit g'wes'n; da san s' mit der Biertrag'n komma... de hat a halbe Stund dauert, de Brotzeit.

Nachdem hat ma si wieder zu der Arwat g'richt, stellt sei Latt'n zuawi, legt sei Brisilglasl auf an Stoa und fängt wieder o. Ja Leut, aber dös war net dös härteste. Heute habts ös de Betriebsrät, de wo bloß Obacht geb'n, daß d' Arwat rechtzeiti aufhört, selbigsmal hat's Aufpasser geb'n, de beobacht hamm, daß d' Arwat rechtzeiti o'fangt...

Schorschi, Xari, Beni erregt: Ja... ja! Ja... Bluat von da Katz!

Der alte Eckmaurer mit erhobener Stimme: Balier hamm ma g'habt, Balier, de san g'wen, wia sag i denn glei? Wia de Hyänen; de san um oan rum g'schlicha, hamm de g'schlitzt'n Aug'n auf oan g'richt', san nimmer weg, hamm oan nimmer aus de Aug'n lass'n, und zählt hamm s', wia oft daß ma si schneizt, und aufg'schrieben hamm s', wia oft daß d' mit Reschpekt nunter g'stiegen bist zu dein Bedürfnis. Sehr aufgeregt. »Dös möcht i derleb'n«, hat amal zu mir a Balier g'sagt, »dös möcht i derleb'n, daß Sie in der Brotzeit d' Hos'n umdrahn«... in da Brotzeit, sagt er. »Sie«, sag i, »Herr Balier«, sag i... »d' Natur laß ma'r i von Eahna net vorschreiben, und von da Natur«, sag i, »laß i mir mei Brotzeit net verkürz'n...«

Der Volksredner:
Werktätig Volk, im innersten Empfinden
Gekränkt, beleidigt, vergewaltigt oft,
Wie mußte sich der Zorn in deinem Herzen
Zur Lava ballen, bis sie glühend dann
Von keiner Schranke mehr gehalten wurde,
Und rauchend, Flammen speiend, fürchterlich
Hernieder stürzte...

Schorschi: jetzt lassen S' an Vater red'n...

Der kleine Pepi: Großbabbi, wann bis denn in Dino danga?

Der alte Eckmaurer: Was sagt da Bua?

Zenzi: Er moant, wann du ins Kino ganga bist, weil i alleweil um vier Uhr einigeh... dös woaß der Bua.

Der alte Eckmaurer wehmütig: O mei Bua, zu derselbigen Zeit da hat's koa Kino geben für den armen Mann aus 'n Volk... Also, daß i weita verzähl... Im Nachmittag nach 'n Essa is dös gleiche g'wen. Bloß daß ma allaweil härter g'wart' hat, je näher da Feierabend komma is. O meine Leut, wenn da wo a Kirchenuhr g'wen is, wia oft hab i da de Zeiger zuag'schaugt, wia's oan Rucker um den andern macha, fünf Minut'n... no amal fünfi... no mal... Jessas! Jessas! Werds denn gar net sechsi? Und endli is as wor'n... endli...

Xari: Daß si de Menschheit dös g'fallen hat lassen!

Schorschi: Und ausg'halt'n... Daß du so a Leben ausg'halt'n hast, Vater!

Der alte Eckmaurer: Ja no... wia 'r i sag, mei Brisilglasl...

Beni: Und daß halt aa was Richtigs zum Essen geben hat...

Der alte Eckmaurer: Und a Bier. Mit dem Schäps da, mit dem g'farbt'n Wassa, hätt ma de Arwat net leist'n kinna. Mir hamm a Bier g'habt, was a Bier hoaßt. Und zu da Brotzeit an Leberkas, an warma, notabeni, und so groß wia 'r a Ziaglstoa. Da hat ma si sei Kraft wieda g'holt.

Der kleine Pepi: Großbabbi, was i denn a Lebadas?

Zenzi: Was a Leberkas is, fragt a.

Der alte Eckmaurer tief erschüttert: A Leba... Ja so... Du arma Bua! Dös Kind hat no koan Leberkas net g'sehg'n... Es kimmt oan vor, als kunnt so was net sei... an de Unmenschlichkeit denkt ma net... O mei Bua... Was a Leberkas is? Es is halt a Kas, woaßt, aber koa solchena Kas, wia der Kas, den wo du kriagst... es laßt sie net beschreib'n... du arms Kind, du woaßt ja nix von da guat'n alt'n Zeit...

Schorschi: Jetzt hoaßt d'as du a so?

Der alte Eckmaurer barsch: Brotzeit moan i natürli. Ös habts allerdings de besserne Arwatszeit errungen, aber de besserne Brotzeit hamm mir g'habt...

Der kleine Pepi heulend: I mecht an Lebadas!

Der alte Eckmaurer erschütternd: I glaab di's, du arms Kind... i mecht ja aa wieder oan. Mir alle mecht'n oan. Wann ma's richtig o'schaugt, waars ma glei liaba, a guats Bier, a Trumm Schwartnmag'n oder a Surhax'n und an Kabidalismus dazua...

Xari: Gegen de zehnschtündige Arwat hätt i mir scho helfa kinna...

Schorschi: Und gegen de Unterdrückung...

Beni: Hätt'n ma halt g'suffa, bis ma's nimmer g'spürt hätt'n.

Der alte Eckmaurer: Der alte Seehauser Ferdl hat's allaweil g'sagt. Hörts mir auf, hat a g'sagt, mit enkern G'schroa nach der neuen Weltordnung! I will de alte, wo 's blau macha lustig is und wo mi a jede Viertelstund freut, um de i an Balier b'scheiß... Jetzt hamm ma d' Freiheit...

Schorschi: Und de achtstündige...

Beni: Und an Plempi...

Xari: Und koan Leberkas...

Der Volksredner:
O Fluch der Menschheit, daß es nichts Vollkommnes,
Daß es kein wahres Glück gibt auf der Welt.
O elend Schicksal aller Erdgebornen!
Bedenk ich's recht, so war umsonst der Kampf,
Der heiß und lang geführte um die Freiheit...
Wir feiern unsern Sieg mit diesem Bier,
Das keiner unsrer Väter je getrunken...
Sind wir nicht tiefer noch als sie gesunken?

Der alte Eckmaurer, Xari, Schorschi, Beni unisono: Himmi... Herrgott... Bluat... Himmi... Herrgott

Der kleine Pepi: I mecht an Lebadas

Der Vorhang fällt über der trauernden Gruppe.


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