Ludwig Thoma
Der Münchner im Himmel
Ludwig Thoma

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Das Duell

Personen:

Professor Dr. Adolar Weller
Elsa, seine Frau
Botho von Lenin, Gutsbesitzer, Major a. D., und
Gertrud, seine Frau, Eltern der Frau Dr. Weller
Hans von Lenin, Assessor, deren Sohn
Fritz von Platow, Leutnant
Wilhelm von Sassen, Leutnant

Szene: Wohnzimmer des Dr. Adolar Weller. Gewöhnlich möbliert. Professor Weller sitzt am Schreibtische. Es klopft.

DR. WELLER: Herein! W. von Sassen in Infanterieuniform tritt ein.

SASSEN: Habe ich die Ehre, Herrn Professor Dr. Weller zu sprechen?

DR. WELLER: Gewiß.

SASSEN steif: Gestatten! Wilhelm von Sassen, Sekondeleutnant. Sie hatten gestern kleines Rencontre mit Kamerad von Platow?

DR. WELLER: Ich hatte eine sehr ernste Sache...

SASSEN: Na, das geht mich nichts an. Ich habe Ihnen im Auftrage des Herrn von Platow eine Forderung zu überbringen. Pistolen. Fünfzehn Schritt Distanz. Dreimaliger Kugelwechsel.

DR. WELLER: Was? Herr von Platow fordert mich? Das ist stark!

SASSEN: Ich bitte, keine Kritik. Bin lediglich Kartellträger. Wollen mir Dritten bestimmen, mit dem ich Näheres vereinbare.

DR. WELLER: Da hört doch alles auf.

SASSEN drohend: Sie verweigern die Satisfaktion?

DR. WELLER sehr bestürzt: Weigern? Nein. Das heißt, ja. Oder vielmehr, das ist unglaublich. Satisfaktion, das heißt doch Genugtuung, die verlangt doch nur der Beleidigte. Nicht der Beleidiger. Erlauben Sie mir, das ist doch keine Vernunft!

SASSEN: Das spielt hier keine Rolle. Ich komme in einer Stunde wieder und erwarte Ihre definitive Entscheidung. Ab.

DR. WELLER erregt auf- und abgehend: Das ist unglaublich. Das ist unerhört. Ich erwische den Herrn in der denkbar kitzlichsten Situation bei meiner Frau – und er will dafür von mir Genugtuung haben. Er von mir! Botho von Lenin, seine Frau und sein Sohn treten rasch ein: 'n Tag!

BOTHO VON L.: Hier sind wir.

DR. WELLER: Grüß Gott, Papa, grüß Gott, Mama.

BOTHO V. L.: Dein Telegramm kam gestern abend. Was ist los?

DR. WELLER: Eine sehr unangenehme Sache.

FRAU VON L.: Elschen ist doch nicht krank?

DR. WELLER: Sie ist sehr gesund – aber, um es kurz zu sagen, sie hat mich betrogen.

BOTHO VON L.: Herr Schwiegersohn!

FRAU VON L.: Eine Lenin betrügt nicht!

ASSESSOR VON L.: Was erlauben Sie sich eigentlich?

DR. WELLER: Bitte, es handelt sich nicht um glauben oder nicht glauben. Elsa ist geständig.

BOTHO VON L.: Wer ist der Schurke?

DR. WELLER: Ein Herr von Platow.

ASSESSOR VON L.: Der bei den Gardehusaren stand?

DR. WELLER: Ja.

BOTHO VON L.: Das ändert die Sache allerdings.

FRAU VON L.: Jedenfalls ist er von Familie.

DR. WELLER: Ich kann den Unterschied nicht sehen aber ich habe Elsa verziehen.

BOTHO VON L.: Na, sieh mal! Das ist doch das einzig Richtige!

ASSESSOR VON L.: Derartige Affären sind erst unangenehm, wenn Skandal entsteht.

DR. WELLER: Ich liebe Elsa – und ich dachte an ihre Jugend.

FRAU VON L.: Sie ist noch ein Kind, ein törichtes kleines Kind! Sie dachte sich vielleicht gar nichts dabei.

BOTHO VON L.. Es is ja nich schön – aber du lieber Gott! Wir sind alle mal jung gewesen. Je weniger darüber gesprochen wird, desto besser.

FRAU VON L.: Und wenn du nicht zu hart gegen sie warst, werdet ihr euch herzlich versöhnen, und sie wird dir auch nichts nachtragen.

ASSESSOR VON L.: Die ganze Kiste ist wieder beigelegt.

DR. WELLER: Es kommt noch ein Nachspiel.

BOTHO VON L.: Du wirst doch kein unliebsames Aufsehen erregen wollen mit Scheidung oder Prozeß oder so was?

FRAU VON L.: Nur keine Sensation!

DR. WELLER: Ich sagte euch doch, ich habe ihr verziehen – aber Herr von Platow hat mir eine Pistolenforderung geschickt.

BOTHO VON L.: Wieso?

ASSESSOR VON L.: Hat ein Wortwechsel stattgefunden?

DR. WELLER: Nein, eigentlich nicht. Die Sache ging zu schnell. Als er mich sah, stürzte er zur Türe hinaus, nimmt den Säbel vom Nagel, und die Treppe hinunter. Ich schrie ihm nach: »Sie sind ein gemeiner Mensch!« »Was?« sagte er. »Jawohl!« sagte ich. Da wollte er wieder herauf, mit dem Säbel in der Hand. Ich schlug aber schnell die Türe zu.

ASSESSOR VON L.: Na, also!

DR. WELLER: Was?

ASSESSOR VON L.: Da ist es selbstredend, daß er Sie fordert. Er darf doch keinen Schimpf hinnehmen.

DR. WELLER: Ich habe ja bloß die Wahrheit gesagt. Es war doch eine Gemeinheit.

ASSESSOR VON L.: Erlauben Sie, Verehrtester, in unseren Kreisen kann man mal eine Gemeinheit begehen, aber man läßt sich nicht gemein heißen.

BOTHO VON L.: Das ist doch ein kolossaler Unterschied!

FRAU VON L.: Das sollten Sie aber wirklich verstehen!

DR. WELLER: Wie? Er beleidigt mich auf das Schwerste, und dann verlangt er Genugtuung, als sei ihm Unrecht geschehen. Viel eher hätte ich doch Grund gehabt, ihn zu fordern.

ASSESSOR VON L.: Allerdings.

BOTHO VON L.: Wie konntest du das unterlassen?

DR. WELLER: Weil ich mich und Elsa nicht bloßstellen wollte. Ihr sagtet doch selbst, daß die Versöhnung das Richtige war.

ASSESSOR VON L.: Der Zweikampf ist etwas so Ritterliches, daß er niemals bloßstellen kann. Außerdem veröffentlicht man ja nicht die Gründe.

DR. WELLER: Wenn niemand etwas von der Sache weiß, brauche ich mich doch auch nicht zu schießen.

ASSESSOR VON L.: Aber erlauben Sie mal, Schwager!

FRAU VON L.: Welche Ansichten!

BOTHO VON L. pathetisch: Es gibt doch noch etwas Höheres in unserer Brust, so etwas, was man Ehre heißt.

DR. WELLER zornig: Das hättest du deiner Tochter gründlicher beibringen sollen, dann wäre es vielleicht nicht so weit gekommen.

ASSESSOR VON L. scharf.- Meine Schwester braucht keine Belehrung über Ehre. Die ist ihr angeboren. Sie wird jederzeit einen Skandal zu vermeiden wissen.

FRAU VON L.: So'n Kind!

DR. WELLER: Hat sie nicht ihre Frauenehre weggeworfen ?

ASSESSOR VON L.: Das sind populäre Phrasen!

BOTHO VON L.: In unseren Kreisen wirft man nicht mit so starken Ausdrücken herum, lieber Adolar. Und überdies, wie gesagt, solche intimen Familienvorkommnisse haben nur dann etwas Entehrendes, wenn sie publik werden.

DR. WELLER: Schön. Wenn das eure Moral ist, dann wendet sie gefälligst auch auf das Duell an.

ASSESSOR VON L. sehr scharf, jede Silbe im Gardejargon betonend: Herr Schwager! Ich bedaure sehr, daß Sie erst darüber belehrt werden müssen. Der germanische Ehrbegriff duldet keine Sophistik, absolut keine Sophistik. Die Ehre ist ein Spiegel, welcher durch den leisesten Hauch getrübt wird. Solche Flecken können nur mit Blut abgewaschen werden, einfach mit Blut. Das ist der germanische Ehrbegriff. Gott sei Dank!

DR. WELLER: Herr von Platow ist wohl auch Anhänger dieser Theorie?

ASSESSOR VON L.: Selbstredend. Als Edelmann und Offizier!

DR. WELLER: Dann verbietet also der germanische Ehrbegriff nicht, den Mann zu betrügen, an dessen Tisch man sitzt, und dessen Hand man schüttelt.

ASSESSOR VON L.: Sie sprechen in Tönen, welche wir schon kennen.

BOTHO VON L.: Das sind die alles nivellierenden Lehren, die vor nichts halt machen und selbst das Heiligste, was wir haben, unsere Armee, verunglimpfen.

DR. WELLER: Das sind Begriffe von Recht! Großer Gott!

ASSESSOR VON L.: Das sind Begriffe, die Geltung behalten werden. Jeder kann mal 'ne Dummheit machen. Ein Kavalier steht dann eben mit der blanken Waffe dafür ein.

BOTHO VON L.: Und tut damit genug. Daher der Name Genugtuung.

DR. WELLER: Ich will aber keine Genugtuung. Ich habe doch Elsa verziehen. Wenn ich ihr nicht verzeihen wollte, dann hätte ich das Gericht angerufen.

FRAU VON L.: Das Gericht! Pfui!

BOTHO VON L.: Beim Gericht sucht nur der Pöbel sein Recht.

ASSESSOR VON L.: Sich vor der Öffentlichkeit herumbalgen! So eine Idee!

DR. WELLER: Sie sind doch selbst Jurist! Und werden Richter!

ASSESSOR VON L.: Erlauben Sie, in solchen Fragen hat der Jurist einfach zu verschwinden. Ich bin in erster Linie Reserve- Offizier und Corpsphilister.

DR. WELLER: Mit Gründen ist bei euch nicht durchzukommen, weil ihr sie stets mit Phrasen totschlagt. Aber sagt einmal, zu den Eltern gewendet: wollt ihr, daß ich, der Mann eurer Tochter, mich mit ihrem Verführer schieße?

BOTHO U. FRAU V. L. unisono: Aber so eine Frage! Natürlich!

ASSESSOR VON L.: Der germanische Ehrbegriff!

DR. WELLER: Papa, du bist bekannt als eifrigster Anhänger der Kirche; du hast erst neulich im Abgeordnetenhaus eine große Rede gehalten, daß man das Volk zur Religion anhalten müsse.

BOTHO VON L.: Das Volk!

ASSESSOR VON L.. Immer diese Begriffsverwirrung!

DR. WELLER: Die Religion verbietet das Duell.

BOTHO VON L. salbungsvoll: Mein Sohn! Gewiß ist die Religion das Höchste, und gewiß bedürfen wir derselben in allen Dingen. Denn was wäre der Mensch ohne Religion? Gewiß ist das Duell eine Sünde. Aber wer ist ohne Sünde? So lange es eben eine Sünde gibt, wird es Streit unter den Menschen geben. Und so lange es verschiedene Menschen gibt, werden sie den Streit verschieden austragen. Die Religion kann und will aber sicher niemals die Standesunterschiede aufheben. Im Gegenteil. Wir können bedauern, daß es eine Sünde gibt, aber es wäre vermessen, sie abzuschaffen.

ASSESSOR VON L.: Und der spezifisch germanische Ehrbegriff.

BOTHO VON L.: Gewiß! Auch der hat Rechte. Wir müssen eben versuchen, als demütige Christen unsere Standespflichten mit der Religion so in Einklang zu bringen, daß beide sich vertragen. Wir müssen eben Kompromisse schließen.

DR. WELLER: Und was sagst du, Mama?

FRAU VON L.: Ich bin eine geborene von Connewitz.

ASSESSOR VON L.: Das jenügt!

DR. WELLER: Gut! Wenn ihr mich treibt, dann soll das Ärgste geschehen. Aber ich will zunächst Elsa hören. Sie soll entscheiden.

BOTHO VON L.: Da kommt sie gerade. Elsa tritt auf.

ELSA: Ihr seid hier?

BOTHO VON L.: Adolar hat uns telegraphiert.

FRAU VON L. umarmt sie: Armes Kind, was mußt du gelitten haben!

ELSA: Es war fürchterlich, Mamachen.

BOTHO VON L.: Wir wissen alles, aber wir verzeihen dir.

FRAU VON L.: Wie ist das nur gekommen?

ELSA: Ach, die Köchin ist schuld. Wenn sie nicht so den Kopf verloren hätte, wäre alles gut gegangen. Adolar hätte nichts gemerkt und wäre glücklich.

FRAU VON L.: Du hast das dumme Tier doch sofort hinausgeworfen?

ELSA: Natürlich. Noch gestern abend. Aber es ist ja alles wieder gut. Adolar hat mir verziehen.

FRAU VON L.: Wir wissen es.

DR. WELLER: Es ist aber noch nicht alles gut, Elsa. Ich habe dir verziehen. Herr von Platow jedoch verzeiht mir die Überraschung nicht und will, daß ich mich mit ihm schieße.

ELSA: Er ist doch jeder Zoll ein Kavalier!

DR. WELLER: Du findest das schön?

ELSA: Ich finde es selbstverständlich.

BOTHO UND FRAU VON L.: Sie ist unsere Tochter.

DR. WELLER: Du bist damit einverstanden, daß ich mich vor die Pistole stelle?

ELSA: Es ist doch allgemein Usus.

DR. WELLER: Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist, sagst du das?

ELSA: Ich kann doch nicht anders. Sei stark, Adolar!

DR. WELLER zum Assessor: Herr Schwager, die Nerven Ihrer Familie sind stärker als die meinigen. Ich will dem germanischen Ehrbegriff Folge leisten.

ASSESSOR VON L.: Höchste Zeit! Es klopft.

DR. WELLER: Herein! von Sassen tritt auf.

SASSEN: Pardong, wenn ich störe! Herr Professor haben sich entschieden?

DR. WELLER: Ich nehme die Forderung an. Mein Schwager, Herr von Lenin, Verbeugung, wird das weitere vereinbaren.

ASSESSOR VON L.: Gestatten! Wie lautet die Forderung?

SASSEN: Fünfzehn Schritte. Dreimaliger Kugelwechsel.

ASSESSOR VON L.: Sehr angenehm! Zeit und Ort?

SASSEN: Kann sofort stattfinden. In der Reitschule nebenan.

ASSESSOR VON L.: Dann mal los! Schwager, darf ich bitten!

DR. WELLER: Sofort! Alle drei gehen. An der Türe dreht er sich um und sagt: »Elsa!«

ELSA: Sei stark, Adolar! Assessor von Lenin, von Sassen und Weller ab. Gruppe.

BOTHO VON LENIN tritt an die Rampe vor: Meine Lieben! Er geht, um jenem uralten, edlen Brauche zu folgen, welcher aus der waffenfreudigen Gesinnung unserer Väter hervorgegangen, auch heute noch dem feingebildeten Ehrgefühle der Besten unseres Volkes als unentbehrliches Erziehungsmittel gilt, trotz aller Anfechtungen, welche schlechtberatene und übelwollende, vaterlandslose Menschen gegen sie richten, dieselben Leute, denen nichts heilig ist und die mit frechem Hohn gegen Thron und Altar ihre giftgetränkten Pfeile richten, und wie in allem so auch hier frivol den hohen, sittlichen Gehalt des Zweikampfes leugnen, uneingedenk jenes Dichterwortes »Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt in ihre Ehre«.

Hinter der Szene fallen in rascher Folge zwei scharfe Schüsse.

Bumm! Bautsch!

Aber die alles nivellierende Richtung unserer Zeit wird hier nichts vermögen, und ihre Wogen werden machtlos abprallen von diesem rocher de bronce, hinter welchem wir in geschlossenen Reihen stehen, fest entschlossen, das von den Vätern überkommene Palladium zu hüten und eingedenk, daß jeder Stand sein Besonderes hat, und daß wie dem Volke die Arbeit, so uns die Pflege der Waffenehre zukommt, und daß wir diese uns nimmermehr entreißen lassen, gerade so wenig, wie wir dem Volke die harte Arbeit und die Lust am mühevollen Schaffen abnehmen wollen.

Hinter der Szene fallen wieder zwei scharfe Schüsse.

Bumm! Bautsch!

Gewiß war es ein schöner Gedanke, das Duell abzuschaffen, allein wir müßten vorher den germanischen Ehrbegriff ausrotten, welcher uns zwar erlaubt, unsere Überzeugung der jeweils vorteilhaften Richtung anzupassen, aber immerhin in unserer Brust ein Gefühl zurückläßt, welches ohne Rücksicht auf unsern inneren Wert gegen jede äußere Verletzung sich aufbäumt und sich erst beruhigt, wenn im Gegensatz zu unserer sonstigen religiösen Gesinnung eine zwar von den Gesetzen verbotene, aber sonst hoch angesehene Verletzung erfolgt ist, für die wir, wie für alles, zwar keine genügende, aber doch althergebrachte und schön klingende Entschuldigung haben.

Hinter der Szene fallen wieder zwei scharfe Schüsse.

Bumm! Bautsch!

Und haben werden, so lange jene Worte des Dichters gelten: »Das Leben ist der Güter höchstes nicht«, wenngleich wir es durch uns und insbesondere durch andere möglichst schön gestalten. Amen!

Assessor von Lenin tritt feierlich ein. Von seinem Zylinder, den er aufbehält, wallt ein riesiger Trauerflor.

ELSA: Was ist geschehen?

ASSESSOR VON L.: Tot. Schuß in die linke Seite, zwei Zoll oberhalb der Herzspitze. Kugel noch im Körper.

FRAU VON L.: Ihm ist wohl.

BOTHO VON L.: Er fiel für das Höchste, für seine Ehre.

Gerührte Gruppe.

Vorhang


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