Ludwig Thoma
Der Münchner im Himmel
Ludwig Thoma

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Die Ludwigstraße

Eine schöne Straße, die Ludwigstraße in München. Mein Freund, der Bürgermeister, sagt, sie hätte einen monumentalen Charakter.

Südlich die Feldherrnhalle. Die Standbilder darin sind verdeckt durch zwei dicke Flaggenstangen. Mein Freund, der Bürgermeister, sagt, in Venedig hätten sie die nämlichen.

Weiter nördlich ein Rangierbahnhof. Belebt die Gegend großartig. Ein Motorwagen kommt an, ein Akkumulatorwagen fährt ab. Schaffner stürzen heraus, schreien, pfeifen, reißen eine Stange herum, koppeln die Wägen an. Der erste Führer läutet, der zweite läutet, alle Schaffner pfeifen. Der Zug fährt. Ein andrer kommt. Der Akkumulatorwagen kommt an. Ein Motorwagen fährt ab. Wie gesagt, sehr lebhaft. Mein Freund, der Bürgermeister, sagt, das Muster zu dem Rangierbahnhof hätte er nirgends gesehen. Ist Original. Weiter nördlich die eigentliche Ludwigstraße. Wie ein Lineal. Keine Unregelmäßigkeiten, keine Bäume; nur Fenster.

Bei schönem Wetter ist immer die Schattenseite belebt; auf der Sonnenseite laufen die Hunde. Bei Regen ist die Straße breiig. Unangenehme Sache.

Voriges Jahr passierte ein Unglück. Zwei Schulkinder versanken. Erstickten beide. Gab Anlaß zu Zeitungslärm und zwei Magistratssitzungen. Antrag auf Neupflasterung abgelehnt mit Hinblick auf den monumentalen Charakter der Straße.

Vorfall sei wohl bedauerlich, – allein, hätten sie zum Beispiel auf der neuen Brücke während des Einsturzes gestanden, wären sie auch tot. Dieselbe Sache. Übrigens tatsächlicher Überfluß an Schulkindern.

Heuer wiederholte Kalamität. Die Frau Bürgermeister überschreitet die Straße. Verliert beide Stiefel. Mußte in den Strümpfen heimgefahren werden.

Neue Magistratssitzung. Antrag auf Asphaltierung soll Aussicht haben.

Ende Mai komme ich an das Siegestor. Mein Freund macht mich auf einen Mann aufmerksam. Steht mitten in der Straße und zieht den Rock aus. Schaut links und rechts; kann den Rock nicht aufhängen. Kein Nagel im Siegestor eingeschlagen. Geht auf die andre Seite und hängt ihn an den Gartenzaun. Stellt sich wieder in die Straße neben einen Schubkarren. Holt eine Schaufel und Hacke heraus und legt sie sorgfältig auf den Boden.

Greift in die Hosentaschen und sucht etwas. Schüttelt ärgerlich den Kopf und geht wieder an den Gartenzaun. Zieht aus dem Rock eine kleine Flasche und hält sie gegen die Sonne. Zieht langsam den Stöpsel heraus und schaut wieder durch. Klopft damit auf den Handrücken, bis Tabak kommt. Schnupft. Steckt die Flasche ein und kommt wieder zu dem Schubkarren. Setzt sich darauf. Merkwürdiger Kerl! Was will er mitten in der Straße? Mein Freund weiß es nicht.

Der Mensch auf dem Schubkarren sucht wieder in seinen Taschen. Sieht uns stehen.

»Pst!« ruft er. »Pst! Sie!«

»Ja«, sage ich, »was gibt's?«

Er kommt auf uns zu. Rückt den Hut und fragt:

»Sie, Herr Nachbar, hamm S' a Schnellfeuer?«

»Zündholz?« – Habe ich nicht. Gebe ihm meine Zigarre. Er brennt seinen Stummel damit an.

Bläst den Rauch hinaus und sagt:

»Schön's Wetter. Wenn's so bleibt.«

»Jawoll. Sehr hübsch.«

»Aba warm.«

»Mhm, ja.«

Er gibt mir die Zigarre zurück. Schaut mich an. Schaut meinen Freund an.

»Die Herren san g'wiß fremd hier?«

»Nein.«

»Net? So? I ho mir denkt, Sie san fremd. Is schad, daß S' net fremd san.«

»Warum?«

»I hätt' Eahna die Gegend erklärt für a Maß Bier.«

»Kennen alles selbst. Sind Münchner.«

»So? Münchna? Sie, da san ma ja Landsleut! Vielleicht spitzen S' a Maß?«

Gebe ihm zwanzig Pfennig.

Der Mensch dankt und sagt, er wolle sich Bier kaufen. Müsse Kraft haben. Viel zu arbeiten. Schweres Stück zu machen.

Frage ihn, was er vorhabe.

Auftrag vom Magistrat. Einen Mordsauftrag. Müsse die Ludwigstraße umgraben. Ganz umgraben. Werde asphaltiert. Der Kerl geht kopfschüttelnd weg. Holt seinen Rock auf der andern Seite. Zieht ihn an. Schreit nochmal herüber: »Dös gibt a Mordsarbeit.«

Geht ins Wirtshaus.


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