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III. Die Mariendarstellungen

Seit dem Jahre 1269, in welchem Bonaventura auf dem Konvent von Assisi die Verordnung gegeben, erscholl allabendlich von den Türmen der Franziskanerkirchen der Glockengruß des ›Ave Maria‹ und weckte zum Lobe der Jungfrau bald alle die unzähligen Stimmen der christlichen Kirchen überhaupt. Er erweckte aber zugleich in dem Volke eine innigere liebende Verehrung der Mutter Christi, die in deren neuer künstlerischer Verherrlichung fortan ihren ewigen Ausdruck gefunden hat. Schon lange hatte der Marienkultus immer mehr der Herzen sich bemächtigt. Die ritterliche Verehrung der Frauen, der durch die Kreuzfahrer vermittelte Einfluß des Morgenlandes hatten das ihrige dazu beigetragen. Die christliche Frau, froh aller der Vorteile und Rechte, die ihr das Christentum verschafft, brachte ihren Dank der Mutter des Heilands dar. Als Vermittlerin und Fürbitterin vertrat diese freundlich und mitleidig das arme ringende und leidende Menschengeschlecht vor dem höchsten Richterstuhl, und ihren Lieblingen, wie dem frommen, liebereichen Bernhard von Clairvaux, zeigte sie sich huldvoll schon auf dieser Erde. Was so in allen Herzen lebte, haben die Franziskaner mit überströmenden Gefühlen in Liedern und Predigten ausgesprochen. Das reine, edle Menschliche, das sie in ihrer schlichten, empfindungsvollen Religionsauffassung suchten, trat ihnen in den Freuden und Schmerzen der Maria fast noch näher, als in dem Lebenswandel des Gottmenschen selbst. Maria zu verstehen und zu lieben, bedurfte es nichts, als volles, warmes Gefühl. So bildet, wie wir gesehen haben, in den Meditationes, wie in den Liedern Jacopones und in den Mysterien, Maria den eigentlichen Mittelpunkt. Erst mit dem Eintreten des ewig Weiblichen erhält aber auch die Kunst ihr höchstes Ideal. Durch Maria und an Maria lernt sie den Ausdruck tiefster Empfindung. Maria ist die eigentliche Hauptfigur, die Heilige der Renaissancekunst. Als sie ihr hehres Werk auf Erden vollbracht hat, schwingt sie sich aus Raphaels Bilde von San Sisto in die unendlichen Höhen, in die fortan der Faustische Mensch emporstreben muß, sie ahnend zu schauen.

Unzweifelhaft ist die mächtigste Anregung zur künstlerischen Verherrlichung der Maria von den Franziskanern ausgegangen, darf man dabei auch nicht vergessen, daß auch die anderen Orden, wie die Serviten, die Dominikaner, deren Bestrebungen ja vielfach mit denen der Minoriten parallel gehen, viel zu ihr beigetragen haben So beschlossen die Serviten 1233, daß ihre heiligen Gebäude mit einem Bilde der Maria versehen werden sollten. Archangelo Gianio: Annales Ord. Servorum B. M. V. T. 1. Lib. 1, 7, S. 23. Vgl. Kugler: Kleine Schriften. I, S. 32, A. 1..

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60. Assisi. Das Haus des Bernhard von Quintavalle, eines der ersten Gefährten des hl. Franciscus.

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61. Panorama der Stadt Assisi.

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62. Kirche und Kloster S. Francesco in Assisi.

Eine allgemeine Verbreitung der Marienbilder tritt im Laufe der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein, und eben zu der Zeit beginnt man die Kirchen mit zyklischen Darstellungen der Marienlegende zu schmücken, die bisher nur ausnahmsweise in miniirten Kodizes, z. B. in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Illustration von Werinhers' von Tegernsee ›Gedicht vom Leben der Maria‹ nachweisbar sind. Neben den italienischen Franziskanerdichtungen und Kompilationen, wie der ›Legenda aurea‹ des Jacobus a Voragine, entstehen eine Reihe von deutschen Gedichten, so die vom Ritter Konrad von Fußesbrunn, von Philipp dem Karthäuser und andere Vgl. darüber Schultz. Legende der Maria, S. 6., die aber für unsere Zwecke weniger in Betracht kommen. Zweierlei Auffassungen der Jungfrau sind für die Dichtung und Predigt, in nächster Folge für die Kunst des 13. und 14. Jahrhunderts charakteristisch: einmal erscheint sie als die irdische Mutter Jesu, die alle menschlichen Freuden und Leiden durchmacht, das andere Mal als Fürstin des Himmels, die, von Christus selbst gekrönt, herrschend an seiner Seite thront. Zu weit würde es führen, wollten wir auch die Darstellungen ihrer Legende selbst hier einzeln betrachten, nur die Entwicklung der Marienbilder und einiges sonst Wichtige möge kurz erörtert werden.

1. Die Darstellungen der Maria mit dem Kinde. In der älteren Kunst war Maria entweder allein, mit betend erhobenen Armen stehend dargestellt worden oder steif en face sitzend, das ebenso sitzende, segnende und herausschauende bekleidete Kind auf dem Schoße tragend, ohne es zu halten: die willen- und gefühllose Gottesträgerin. Erst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts macht sich eine leise Veränderung darin geltend, daß sie nun das segnende, halb nach links gewandte Kind auf dem Schoße oder dem linken Arme hält, selbst den Kopf halb nach rechts dreht und mit der rechten Hand eine steife Bewegung macht, als wolle sie auf Christus hinweisen Vgl. z. B. Fresko des Conxolus im Sacro Speco zu Subiaco (d' Agincourt. 100. Fig. 1.). – Griech. Mad. ebendas. T. 87. – Madonna im Dom von Siena.. Dieser Typus wird zum Ausgangspunkte für eine Reihe bedeutender toskanischer Werke, in denen die neue menschliche Auffassung zuerst Ausdruck gewinnt. Man bezeichnet dieselben wohl am kürzesten als die thronenden Madonnen S. Ausführliches über die Entwicklung dieser Darstellung in meinen »Studien zur Geschichte der ital. Kunst im 13. und 14. Jahrh. im Rep. für Kunstw.« 1890. Bd. XIII, S. 1 ff.. Maria, eine mächtige Erscheinung, den Mantel über den Kopf gezogen, halb nach rechts gewandt, sitzt in ganzer Figur sichtbar auf hohem, reich verziertem Thron mit hoher Lehne. Ihr Kopf ist etwas nach rechts gewandt und gesenkt, mit der Linken hält sie das nach halblinks gewandt sitzende bekleidete, segnende Kind. Hinter dem Thron oder zu dessen Seiten knien oder stehen meist Engel. Innerhalb dieses allen gemeinsamen Schemas aber macht sich eine Entwicklung nach belebterer natürlicher Darstellung geltend. Auf den nach meinem Dafürhalten ältesten Bildern, nämlich dem 1221 von Guido da Siena gemalten von S. Domenico zu Siena Jetzt im Palazzo publico. Der Versuch, die Jahreszahl als 1281 zu lesen, ist mißglückt. Man hat nicht beachtet, daß das Bild um 1300 und zwar vermutlich von Duccio übermalt worden ist. Abb. d'Agincourt Taf. 107. – Rosini T. IV. Crowe I, S. 150., den ihm gleichfalls zugeschriebenen in der Akademie daselbst, der ehemals in S. Francesco befindlichen Madonna des Margaritone in der Pinakothek zu Arezzo, dem frühen Bilde Cimabues in der Florentiner Akademie und dessen übermalter Madonna in S. Chiara zu Assisi, bewegt Maria in der älteren Weise die rechte Hand, als wiese sie auf das Kind hin Den Typus zeigt auch die bei Rosini abgeb. Madonna in der Opera zu Pisa. – Vgl. auch die Madonna des Montano d'Arezzo(?) in Montevergine bei Avellino. Crowe u. Cav. D. A. I, S. 159.. Auf seinen späteren Bildern, dem aus S. Francesco zu Pisa stammenden in Paris und dem in S. Maria novella In allen Handbüchern der Kunstgeschichte abgebildet. (womit das ehemals in S. Croce, jetzt in der Nationalgalerie zu London befindliche zu vergleichen ist) läßt Cimabue Maria mit der Rechten das rechte Bein Christi halten, der hier auch schon natürlicher mit etwas eingezogenem linken Bein sitzt und auch nicht mehr die Rolle hält, die übrigens auch Guido von Siena bereits weggelassen hatte Dieser Stufe gehört auch die Mad. Deodati Orlandis in der Ak. zu Lucca an. Das Kind hält hier die Rolle. Brustbild.. Eine weitere Stufe bezeichnet Cimabues Fresko in der Unterkirche zu Assisi. (Abb. S. 200.) Das viel lebendiger blickende Kind faßt mit der Hand die Linke der Mutter und setzt den rechten Fuß in ihre Rechte, welches Motiv auch die dem Coppo di Marcovaldo in den Servi zu Siena zugeschriebene Darstellung aufweist Vom Jahre 1261. Vgl. Crowe u. Cav. D. A. I, S. 165. Vasari I, S. 206. Rosini Taf. VI.. Auf dem Bilde in der Kirche der Servi in Bologna hat es sich sogar erhoben und faßt, während es den rechten Fuß in Marias Hand setzt, mit der Rechten deren Mantel am Halse. Ähnlich zeigt das Bild in Orsanmichele in Florenz, das offenbar eine von Lorenzo Monaco gefertigte Kopie des ehemals daselbst befindlichen von Bernardo Daddi ist, wie das Kind lebhaft bewegt mit der Rechten den Mantel der Mutter faßt Nach Vasari (I, S. 455) war hier ein Bild von Ugolino. Milanesi Comm. S. 463 bringt die Rechnungen und Belege für ein Bild des Bernardo Daddi von 1346 und 1347. Ich kann hier nur die Hand Lorenzo Monacos erkennen. Daddi mag Ugolino kopiert haben und Lorenzo wieder Daddi. Die Komposition weist auf etwa 1300 hin, der Vogel in Christi Hand ist Zutat eines der beiden Kopisten.. Auf Duccios Dombild in Siena sitzt es zwar ruhiger, aber Maria senkt zärtlicher, tiefer das Haupt Dohme: K. u. K. III, Dobbert: Duccio S. 9.. Fehlen die Engel auf Guidos Bilde in der Akademie und bei Margaritone gänzlich, so erscheinen sie in kleinen Figuren zu je drei angeordnet über dem Rahmen des Guido in S. Domenico, schweben ganz unvermittelt, nur zwei an der Zahl, auf dem Copposchen Bilde, stehen zu je vier auf dem von Cimabue in der Akademie, zu je drei auf dem in Paris zu Seiten des Thrones, denselben haltend, und knien zu je drei auf dem in S. Maria novella und in Orsanmichele. In Assisi sind sie bedeutend größer geworden und nur vier im ganzen. Bei Duccio schauen je zwei teilnahmsvoll belebt über die Lehne, den gleichen Platz nehmen zwei auf dem Bilde in Bologna ein. – Der Komposition nach entspricht diesem alten Typus der toskanischen Madonnen das Mosaik in Crisogono zu Rom und das kleine Fresko in S. Maria in Trastevere, obgleich die Haltung der Figuren hier viel steifer, altertümlicher ist und die Verhältnisse schlanker gehalten sind.

Eine neue Reihe von Marienbildern, denen in mancher Beziehung Madonnenstatuen des Niccolò, namentlich aber des Giovanni Pisano vorangehen, die eine größere Natürlichkeit, eine innigere menschliche Beziehung zwischen Mutter und Kind in dem gegenseitigen Sichanschauen zeigen, beginnt mit Giotto. Selbst in dessen altertümlichem Bilde der Akademie zu Florenz, auf dem die ruhige Haltung der Maria, welche mit beiden Händen das sitzende segnende Christkind hält, noch an Cimabues mittleren Stil erinnert, findet sich, abgesehen von der naturwahreren Zeichnung, manches Neue: so hat der Thron hier eine gotische Form mit Spitzgiebel, Maria ist nicht mehr so geneigt, sondern fast aufrecht. Die Engel zu Seiten des Thrones, unter denen Heilige erscheinen, sind perspektivisch in drei Reihen angeordnet, zwei Engel knien, Vasen mit Blumen haltend, vorn. Die Wandlung ist etwa dieselbe, die sich in dem Kruzifixus geltend macht: die geschwungene Haltung Marias sowohl wie Christi, die doch ihrerseits einen Fortschritt zu Leben und Natur bezeichnete, weicht der geraden und zugleich wird die Lebenswahrheit gesteigert. Entschiedenen Fortschritt bezeichnet die Halbfigur der Madonna in der Oberkirche zu Assisi, und zwar ist das Wesentliche hier, daß der kühne Versuch gemacht wird, das Christkind im Profil mit lebhaftem Ausdruck die Mutter ansehen zu lassen, die ihrerseits es ruhig auf ihren beiden Händen hält und fast aufrechten Kopfes herausschaut Daß das Kind die Mutter vorn am Gewande faßt, ist gleichfalls wohl ein neuer Gedanke Giottos.. (Abb. S. 362.) Auch trägt Maria hier zum ersten Male ein loses Kopftuch. Natürlicher bewegt noch erscheint das in ein Tuch gewickelte Kind, das einen Finger in den Mund steckt, auf dem Bilde der Sakristei in S. Peter zu Rom. An das Gemälde in Bologna erinnert Giottos ehemals ebendaselbst, jetzt in Bolognas Pinakothek befindliche Madonna. Hier erhebt sich Christus etwas, setzt den einen Fuß auf ihre rechte Hand, hält sich vorn am Gewande fest und greift mit der Rechten nach ihrem Gesichte. Man sieht: von Bild zu Bild wird die Beziehung zwischen Mutter und Kind, die Bewegung des Kindes lebendiger Maria hat ein weißes, um das Kinn gebundenes Kopftuch. Dies entlehnte der Bolognese Vitalis in seinem Bilde von 1345.. Zwei andere Bilder, das eine im Besitze von Mr. Murray in London, das andere ein fünfteiliges Altarbild in der Sakristei von S. Croce bezeichnen etwa dieselbe Stufe. Ist das erste, das höchst interessante Werk eines Malers um 1300 auch etwas altertümlicher, so zeigt es doch das Christkind in gleicher Weise bewegt, wie das andere. Jesus, auf der linken Hand der Maria sitzend, faßt mit der Rechten vorn ihren Mantel, mit der Linken ihre rechte Hand Stilistisch, in der Zeichnung, erinnert es sehr an Giottos Madonna in der Oberkirche zu Assisi, ist aber etwas später entstanden.. Dieselbe Phase auch bezeichnen die, wie mir dünkt, unter Giottos Einfluß entstandenen Madonnen der Cosmaten in S. Maria in Araceli, S. Maria in Trastevere und S. Maria maggiore in Rom Die letzte abgeb. bei Cicognara: Storia della scultura. Venedig 1816. I, Taf. 20..

Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die Schule Giottos im Laufe des 14. Jahrhunderts das zärtliche Verhältnis der Mutter zum Kinde nicht gerade in besonders neuer Weise zu schildern versucht, machen sich auch Fortschritte bemerkbar. Taddeo Gaddi zuerst, dessen Bild in Berlin noch eine Giottos Bilde in Assisi verwandte Auffassung zeigt, läßt auf seinen Gemälden in S. Felicità zu Florenz, in S. Giovanni zu Pistoja und in S. Pietro a Megognano bei Poggibonsi das Kind mit einem Vogel spielen, ein Motiv, das, fast zu gleicher Zeit von Pietro Lorenzetti (Bild in der Akademie zu Siena), von Nino Pisano in den ihm zugeschriebenen Statuen in S. Maria novella und im Museum zu Arezzo, dann von Stefano Fiorentino(?) und Agnolo Gaddi gebracht, bald sehr beliebt wird Stefano: Rosini Bd. II, 127. – Bernardo Daddi: Großes Altarbild in der Akademie, Florenz. – Agnolo Gaddi: S. Spirito, Florenz. Rosini II, 166. – Ders. ebendas.: Maria mit Kind, Giotto zugeschrieben. – Vgl. auch Lippo Dalmasio. Bologna, S. Domenico. – Giovanni da Pisa. Rosini Taf. XII. – Spinello: Akademie, Florenz u. a. mehr. Später namentlich in der umbrischen Schule.. Jener Stefano aber hat in dem jetzt zerstörten kleinen Tabernakel beim Ponte alla Carraja in Florenz nach Vasaris Beschreibung eine eigentümliche, sonst im 14. Jahrhundert gar nicht wiederkehrende Komposition gegeben: der nähenden Maria reicht der bekleidet sitzende Christusknabe einen Vogel. Eine von Rosini nach einem Bilde im Privatbesitz zu Pisa gegebene Abbildung zeigt eine ganz übereinstimmende Darstellung: Christus sitzt links auf niedrigem Schemel neben Maria, die sich eben im Nähen eines Röckchens unterbricht, und reicht ihr den Vogel und Kirschen. Oben fliegen zwei anbetende Engel Vasari I, 451. – Rosini II, 12. Diese Kopie(?) stammt der Zeichnung nach aus dem 15. Jahrhundert. Bild in Prato, Galerie Nr. 18.. Einen Fortschritt und originelle Auffassung bezeichnen einige Giovanni da Milano zugeschriebene Bilder, welche, die einzigen Beispiele des 14. Jahrhunderts, das Kind halbnackt (nur von einem Tuche bekleidet) und besonders lebendig bewegt darstellen. Auf der Lunette von S. Niccolò in Prato steckt es nach Kinderart den Finger in den Mund Phot. Alinari. – Vgl. auch Bild im Klosterhofe von S. Maria del Carmine in Florenz. Hier streckt Christus sehnend beide Händchen nach der Mutter aus.. Eine Blume hält es auf dem Altarbild Bernardo Daddis in der Akademie zu Florenz. Daneben findet sich wohl auch ein Zettel in seiner Hand Bild im Klosterhofe von S. Maria novella, das Crowe dem Gaddi, ich aber Giottino (Meister der Silvesterkapelle in S. Croce) geben möchte. – Altarbild in Sakristeikapelle von S. Croce, wo über Maria die acht kleinen Figuren der Tugenden fliegen.. Das Altarwerk eines Giovanni da Rimini von 1345 in der Galerie zu Urbino zeigt es im Begriffe, der Mutter auf den Schoß zu klettern.

Sehen wir also auch in Florenz ein entschiedenes Streben nach Natur und Wahrheit, so hat doch gleichzeitig die sienesische Malerei viel entschiedener und freier die Anschauung der Zeit zum Ausdruck gebracht. Auf der einen Seite feiert sie in mächtigen, figurenreichen Kompositionen die Madonna als Königin des Himmels inmitten eines großen Hofstaates, auf der andern Seite als zärtliche Mutter, die für nichts Blick hat als für ihren zarten Knaben. Duccio mit seiner großen Maestà im Dome gab das eine Vorbild: da scharten sich in Doppelreihen von je sechs die Heiligen um den von Engeln umgebenen Thron. Weiter wird dann von Simone Martini und von Lippo Memmi in den Palazzi publici zu Siena und S. Gimignano die Komposition ausgebildet. Auf zierlich reichem gotischen Throne unter einem weit ausgespannten, von acht die Stelle von Edelknaben vertretenden Engeln oder Heiligen gehaltenen Baldachin sitzt Maria, mit der Krone geschmückt, in kostbarem Brokatgewande: in Siena weicher und empfindungsvoller das Haupt etwas zu Christus neigend, bei Lippo Memmi steif und feierlich en face Abb. bei Lübke, Gesch. der it. M. I, 171. Mittelteil des Bildes in Siena bei Dobbert in Dohme K. u. K. III, S. 25.. Mit der Linken hält sie das bekleidete Kind stehend auf ihren Knien. Es setzt ›ganz en face‹ den rechten Fuß auf ihre Hand, segnet mit der Rechten und hält in der Linken einen Zettel. Zwei Engel stehen mit gekreuzten Armen zur Seite und schauen es an; in Siena sieht man außerdem, wie auf Giottos Bilde in der Akademie, vorn zwei andere knien, welche Schalen mit Blumen hochhalten. Links und rechts aber stehen in langer Reihe Heilige und hinter ihnen Engel. Man könnte glauben, einer feierlich abgemessenen höfischen Zeremonie beizuwohnen – so dachte sich etwa Berthold von Regensburg den Himmelshof! Recht als Königin spricht auch in der Inschrift Maria zu der Versammlung.

Ähnliche Auffassung zeigen die verschiedenen Statuen, welche Niccolò Pisano und seine Schule geschaffen. Von Sternen, dem Monde und Himmelsglorie umgeben hat sie, so viel ich weiß, zuerst Lippo Dalmasio auf einem Bilde in London (Nat. Gall. 152) dargestellt, etwa gleichzeitig auch jener Maler, der das Altarbild der Kapelle Rinuccini in S. Croce gemalt. Letzterer, der, offenbar ein schwächerer Meister als Giovanni di Milano, der Nachfolger desselben in der Ausschmückung der Kapelle wird, umgibt die Madonna mit Sternen und läßt ihre Füße auf dem Mond ruhen, ein Motiv, das erst über ein Jahrhundert später zumeist in Deutschland beliebt wird. Diese Darstellungen bleiben aber ganz vereinzelt – erst am Ende des Quattrocento beginnen Künstler in Norditalien (Mantegna, Giovanni Bellini und Schüler) die Madonna in den Wolken häufiger zu malen an.

Neben jenen drei großen sienesischen Bildern sind uns eine Reihe von Werken aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts erhalten, welche mehrfach, meist fünfgeteilt in der Mitte die Mutter Gottes, zu den Seiten Heilige in halben Figuren darstellen. Gemeinsam ist den Madonnen die weiche, empfindungsvolle Neigung des Hauptes und das häufig schleierartige Kopftuch unter dem Mantel. Halb nach rechts gewandt halten sie mit beiden Händen das häufig halbnackte, bloß in ein Tuch gehüllte sitzende Christkind, das die Enden seines Gewandes aufrafft Duccios Richtung: Siena, Akad. 23. oder den Schleier der Mutter an sich zieht Altarbild des Ugolino? Sakristei S. Croce. Nr. 6. Alinari 10 859.– Segna: Castiglione Fiorentino. – Im Stile des Segna: Prato, S. Francesco. Alinari 11 539. – P. Lorenzetti: Città di Castello, Galerie. oder wohl auch Blumen hält Duccios Richtung: Siena, Akad. – Simone Martini: Siena, Ak.. An solche früheren Werke lehnt sich auch Pietro Lorenzetti in seinem Bilde zu Arezzo Pieve. Phot. Alinari. an, während er auf anderen, wie denen zu S. Ansano bei Siena, in Cortona und in den Uffizien das allgemeine der Komposition, den Thron und die nebenstehenden Engel jenen älteren Cimabueschen Werken nachbildet Cortona, Kathedrale, Phot. Alinari. – Uffizien, Phot. Alinari.. Der Fortschritt zeigt sich bei ihm darin, daß er, wie Giotto, das Kind die Mutter ansehen läßt; in Florenz faßt es dieselbe am Kinn So auch bei Simone Martini: Orvieto, Domopera. – Barnaba da Modena: Modena, Gal., in S. Ansano wendet es sich wie erstaunt zum h. Antonius.

Aber über diese Stufe geht Ambrogio Lorenzetti weit hinaus. Was die Franziskanerdichter mit den zartesten Worten gepriesen, das höchste Mutterglück, wagte er mit seinem Pinsel zu verbildlichen. Für die Franziskanerkirche in Siena hat er Maria gemalt, wie sie dem auf ihren Händen ruhenden, von weißem Tuche wenig umhüllten, kräftigen Kinde die Nahrung reicht. (Abb. S. 289.) Mit liebenden Augen sieht sie es an, recht wohlgemut wendet Jesus in fröhlichem Behagen von der Mutterbrust weg den Blick auf den Beschauer und stemmt die Beinchen gegen der Mutter Arm. Natürlichkeit oder Empfindung, man weiß nicht, was man mehr an diesem Bilde bewundern soll! Diese Maria lebte zu den Zeiten Ambrogios in Siena. Hat er auch die folgenden Verse Jacopones gekannt?

Maria, o wie ward Dir,
Als Du ihn so erseh'n,
Mußtest versengt Du da nicht
Vor Liebe ganz vergeh'n?

Hast Du verzehrt Dich selbst nicht,
Wenn Du ihn still beschaut,
In seinem Fleisch verhüllet
Die Gottheit selbst erschaut?

Wenn an der Brust er saugte,
Welche Lieb' tat er Dir an?
Das Unermeßliche konnte
Die Milch von Dir empfahn?

Wenn Du die Brust ihm reichtest,
Und mit ihm scherztest froh:
Wurd'st Du nicht ganz verzehret
Von solcher Liebesloh? III, 6. O vergin più che femina. Str. 25-28.

Das Motiv selbst war nicht ganz neu. An der Fassade von S. Maria in Trastevere, an den Bronzetüren von Ravello war es im 12. Jahrhundert schon behandelt worden, aber erst in dem uns beschäftigenden Zeitraum seit der Mitte des 14. Jahrhunderts gewinnt es größere Verbreitung. Eben um dieselbe Zeit wie Ambrogios Bild mag das kleine Bild Lippo Memmis in Berlin entstanden sein Galerie N. 1072. Von ihm auch das gleiche Motiv in S. Agostino zu S. Gimignano.. Bald nachher tauchte die Darstellung der Madonna del Latte auch anderwärts auf. Nino Pisano stellt sie in einer Statue für S. Maria della Spina in Pisa dar, Lippo Dalmasio auf einem Bilde im Collegio di Spagna und einem andern bei Rosini abgebildeten, Barnaba da Modena auf einem Bilde in Ripoli und auf dem in S. Francesco zu Pisa befindlichen, Fra Paolo auf dem Gemälde der Galerie zu Modena, ein dem Altichieri verwandter Meister in den Eremitani zu Padua, Spinello Aretino in S. Bernardo zu Arezzo, ein Zeitgenosse von ihm in einer Terracotta über dem Seitenportal des Domes ebendaselbstR752 Nino. Abb. Cicognara I, 12. – Lippo (1) Phot. Alinari 10 561. (2) Rosini I, S. 20. – Auf die späteren Darstellungen einzugehen, würde zu weit führen.

Aber Ambrogio hat der sienesischen Schule auch ein anderes schönes Vorbild in einem Gemälde der Akademie hinterlassen, auf dem sich Christus innig Wange an Wange an die Mutter schmiegt und sie umhalst Phot. Lombardi. – Das gleiche Motiv auf einem vielleicht älteren, dem Segna nahestehenden Bilde in der Akademie zu Lucca und auf einem späteren in Empolis Kathedrale, das im Geschmacke des Bartolo di Maestro Fredi ist., ein Motiv, das überraschenderweise schon auf dem sehr mit Unrecht unbeachteten Diptychon des Berlinghieri in der Akademie zu Florenz erscheint. Solche zarte, weiche Emfindung entsprach der sienesischen Gemütsart mehr als der florentinischen. Aber Siena gab sein Bestes schon im 14. Jahrhundert und verharrte nun in der Folgezeit bei den altgewohnten Motiven, während in Florenz seit dem Beginn des Quattrocento mit der Kunst im allgemeinen auch das Madonnenbild sich mehr und mehr vervollkommnet. Damals nämlich fängt man an, Christus ganz nackt darzustellen und findet neue Ausdrucksweisen für das Verhältnis zwischen Mutter und Kind. Mit Gentile da Fabriano und dessen kleinem Bilde in der Casa della pia misericordia in Pisa beginnt, wie Hettner bemerkt hat, jene Darstellung von der ihr Kind anbetenden Mutter, die gleichzeitig in Norditalien von Jacobello del Fiore (wohl unter dem Einfluß Gentiles) gebracht wird Bilder in Bergamo: Gal. I, 21 und Mailand: Brera 166., in der umbrischen Schule in den Werken Pieros della Francesca, Fiorenzos di Lorenzo, Pinturichios und Peruginos so häufig wiederkehrt und durch Baldovinetti, Luca della Robbia u. a. in Florenz eingebürgert wird. Filippo Lippi gesellt der Gruppe den kleinen Johannes zu, und so kommt die Zeit heran, in der Raphael seine ewig jungen Madonnen malt. So unendlich erhaben an Schönheit und Formvollendung dieselben über die obenbetrachteten alten Bilder sind – in einem stimmen sie mit jenen überein: in der Empfindung! Dasselbe Ideal, das Ambrogio Lorenzetti vorschwebt, das Ideal jener alten Franziskanerdichter, ist das Ideal Raphaels in seiner Jugendzeit. Zu Raphaels Madonnen del Granduca und di Casa Tempi, aßt ebensowohl wie zu Ambrogios Bildern, was die Meditationes in einfach herrlichen Worten sagen:

»O Gott! Mit welcher Unruhe und Sorgfalt leitete die Mutter den Knaben, daß er des Kleinsten nicht entbehrte. Mit welcher Ehrerbietung und Vorsicht und mit welcher Scheu berührte sie ihn, den sie als ihren Gott und Herrn erkannte, hob sie ihn kniend auf und legte sie ihn in die Wiege. Mit welcher Fröhlichkeit, Vertrauen und mütterlicher Würde umarmte, küßte, drückte sie ihn süß an sich, wie freute sie sich an ihm, der ja ihr Sohn war. Wie oft vertiefte sie sich eifrig in den Anblick seines Antlitzes, jedes einzelnen Teils seines heiligsten Körpers! Wie ernst und schamhaft umhüllte sie mit Binden die zarten Glieder! Denn wie sie über alles demütig war, so war sie auch über alles klug: so diente sie ihm emsig im Wachen und im Schlafen, als er ein kleines Kind noch war und als er erwachsen. Wie gerne nährte sie ihn! Kaum konnte es geschehen, ohne daß sie beim Nähren eines solchen Sohnes eine große, anderen Frauen so nicht bekannte Süßigkeit verspürte Kap. X, S. 524.

Über der Mutter aber hat dann wieder Raphael ebensowenig, wie seine alten Vorgänger, wie Cimabue, Simone Martini, Giotto, die Himmelsherrscherin zu feiern vergessen. Auch ihm hat sie sich in aller Herrlichkeit auf dem Throne gezeigt – bis seinem Blicke selbst dieser, bis seinem Geiste Zeit und Raum entschwand, bis die Sixtinische Madonna ward!

2. Die Legende der Maria und sonstige Mariendarstellungen. Es war nur eine natürliche Folge des Aufschwunges, welchen der Marienkultus nahm, daß neben den Madonnenbildern auch der Legende der Jungfrau von der Kunst eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und die Franziskaner scheinen auch hierfür die Anregung gegeben zu haben. Schuf doch in ihrem Auftrag Cimabue im Chor von S. Francesco zu Assisi den ersten bedeutenden Zyklus der letzten Ereignisse in Marias Leben, wobei er sich allerdings für einzelne Darstellungen an ältere Vorbilder halten konnte. Giotto erzählt in Padua ihre Jugendgeschichte, in der jetzt übertünchten Kapelle der Tosinghi und Spinelli in S. Croce die Hauptereignisse ihres Lebens bis zur Himmelfahrt Vasari I, 374., und seinem Beispiel folgten Taddeo Gaddi in der Baroncellikapelle, Giovanni da Milano in der Rinuccinikapelle zu S. Croce, Giottino in dem ältesten Chiostro von S. Maria novella. Weiter Orcagna mit seinen Reliefs am Hochaltar zu Orsanmichele, und zwar schon im 15. Jahrhundert, aber stilistisch fast noch ein Trecentist, schilderte Taddeo Bartoli in S. Francesco zu Pisa und im Palazzo publico zu Siena, Ottaviano Nelli im Rathause zu Foligno die wichtigsten Vorgänge.

Auf die Entwicklung der einzelnen Kompositionen einzugehen, ist hier nicht der Platz, nur auf zwei Darstellungen möge kurz hingewiesen werden: die Himmelfahrt und die Krönung Mariä.

Noch Cimabue hatte die erstere in der Weise dargestellt, daß man unten um das offene Grab die zwölf Apostel versammelt sieht, dahinter in drei steifen Reihen zahllose Heilige, oben aber Maria, wie sie liebend von Christus umfangen neben diesem in einer Mandorla, die von vielen Engeln getragen wird, gen Himmel fährt S. S. 226. Ähnlich in der Komposition (nur die Heiligen sind weggelassen), ist das altertümliche, aber sicher in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstandene Fresko in der Unterkirche in Subiaco. D'Agincourt CXXVI, 4.. Die Schule von Siena hat daraus eine neue herrliche Komposition gemacht, indem sie den unteren Teil wegläßt und nur den Jubel der himmlischen Heerscharen schildert, welche in ihrer Mitte die Jungfrau, in einer Glorie sitzend, gen Himmel tragen. Die ältesten Denkmale dieser Szene, die bis 1500 in Siena besonders beliebt bleibt, sind der reizende Lippo Memmi in der Münchner Pinakothek und ein vermutlich nicht ihm, sondern Pietro Lorenzetti zuzuschreibendes ähnliches Bild der Akademie zu Siena. Die Darstellung Pietros in der Apsis der Pieve von Arezzo kann man sich nur aus der Beschreibung Vasaris (I, 474) in Gedanken ähnlich rekonstruieren. Sienesischen Einfluß verrät auch die von Vasari fälschlich dem Simone Martini zugeschriebene Darstellung im Campo santo zu Pisa, die, wie ich glaube, von Francesco Traini gemalt ist, und Orcagnas Relief in Orsanmichele In Siena selbst und Umgebung begegnet man häufig solchen Bildern.. Das Hauptmotiv bildet immer der frohe Festesreigen der singenden und musizierenden Engel, wie er von Jacopone in einem herrlichen Liede geschildert wird, nur daß auf den Bildern der Augenblick des Emporschwebens zum Himmel, im Gedichte der Eintritt in den himmischen Hof selbst – nicht unähnlich dem Fresko Cimabues – wiedergegeben ist.

Laßt frohe Lieder, süße Melodien
Uns alle weih'n der niederen Maria.

Maria niedrig hob sich in den Himmel,
Ein Fest begehn die Engel dort im Ew'gen,
Sie alle neigen sich, sie alle eifern,
Recht höfisch fein die Königin zu ehren.

O süße Kön'gin, heil'ge Kaiserin,
Du einz'ge unter Frauen, holder Phönix,
Laß schmecken mich mit Dir, was Du genossen,
So wie man sagt, als auf dem Weg Du warest.

Als Du verlassen diese dunkle Erde,
Froh Dir entgegen kam der große König,
Da flohen alle Feinde in die Tiefe,
Da sie erfüllt die Prophezeiung sahen.

Getreue Ihr der freudenreichen Jungfrau,
Eilt schnell dahin, bevor sie noch entschwunden,
Und kündet es den reinen Scharen droben,
Daß zu Marias Preise sie sich rüsten!

Aufmerkend steht ein jeder, heit'res Lachen
Bereit auf seinem Antlitz, schweigend wartend.
Doch wie Du kommst, ertönt es: Friede! Friede!
Maria Dir, Du glücklich sel'ge Jungfrau.

Die heil'gen Tugenden, Erzengel, Engel
Als erste Scharen kommen Dich zu grüßen,
Demütig beugten sie vor Dir sich alle
Und riefen: Heil der niederen Maria!

Die Herrlichkeiten und die sel'gen Mächte,
Die Fürstentümer auch im Bund der Liebe,
Wer sie umschlungen alle so gesehen,
Der hörte nimmer auf, zu benedei'n Dich!

Die Königin geht mitten durch die Throne,
Den Cherubim vorbei eilt die Seraph'sche,
Mit all der Schar bringt süße Dankesworte
Die göttlich hehre Frau dem Weltenschöpfer.

Ihr Seraphim versenkt in große Liebe,
Ihr wandeltet für sie die süßen Verse:
Statt Sanctus, Sanctus tönte Sancta, Sancta
Von euren Lippen nach dem Wunsch des Herrn.

Des empire'schen Himmels weite Straßen
Durcheilte Gabriel entflammt vom Feuer,
Der sel'ge Bote, rief zu dem und jenem:
Sie ist's, der ich die hohe Botschaft brachte!

Und die Propheten frohes Fest begingen,
Sie kamen jubelnd alle, sie zu grüßen,
Und David sang, denn vom Gefängnis hatte
Sie alle ja befreit die reine Jungfrau.

Die Patriarchen festgeschlossen standen
In Reih und Glied geschart mit ihrem Banner,
Und als den großen Lichtschein sie gewahrten,
Verließ ein jeder eilend seinen Posten.

Von allen Chören warst Du da umgeben,
Mit süßem Sang erfaßt und aufgehoben,
Und an die Seite Deines Sohnes setzten
Sie Dich und ehrten Dich als ew'ge Göttin.

Maria süße, mildgesinnte, fromme,
Mit Dank verherrlicht von so hehren Scharen,
Wer Dich nicht lobt, der hat den Weg verloren,
Zu Psalmensang nach oben zu gelangen B. III, 21. Conti giojosi e dolce melodia..

Alle Herrlichkeit des Himmels, Gesang und Saitenspiel der Engel, ein dichtes Gedränge der Heiligen umgibt aber auch die Krönung der Maria. Das arme irdische Weib wird zur Herrscherin des Himmels und der Würde teilhaftig, auf gleichem Throne mit dem Herrn zu sitzen. Noch auf dem Mosaik in S. Maria in Trastevere erscheint sie ruhig thronend neben dem sie umfassenden Christus. Die erste Darstellung der Krönung der Maria aber ist Torritis Mosaik in S. Maria maggiore vom Jahre 1295. Und gerade dieses Werk verdankt dem Franziskanerpapst Nicolaus IV. und dessen Kardinal Colonna seine Entstehung und reiht zuerst die beiden Heiligen Franz und Antonius von Padua ebenbürtig unter die alten Apostel Paulus, Petrus, Johannes den Täufer und Johannes den Evangelisten ein. In altertümlicher Weise noch sitzen Mutter und Sohn beisammen. In der Linken hält letzterer das offene Buch, mit der Rechten setzt er Maria, die erstaunt die Hände öffnet, die Krone auf. Eine Schar kleiner Engel fliegt rechts und links unterhalb des mächtigen Thrones, in gleichen kleinen Verhältnissen stehen steif links und rechts die Heiligen Abb. Gutensohn u. Knapp, Taf. 46. – Valentini: La patriarcale basilica Liberiana 1839, Taf. 55. – D'Agincourt. Taf. XVIII, 18. – Lübke: Gesch. d. M. I, S. 96.. Einen Fortschritt bezeichnet das angeblich von Gaddo Gaddi komponierte Mosaik über dem Mittelportal im Dom zu Florenz. Hier hat sich Christus der Maria zugewandt, welche die Arme über der Brust kreuzt und die Rechte erstaunt bewegt, und setzt ihr mit der Linken die Krone auf, während er sie mit der Rechten segnet. Die vier Evangelistensymbole umgeben den Thron und zu beiden Seiten befinden sich musizierende Engel. Zu ihrem vollen Rechte aber verhilft erst Giotto der neuen Komposition auf seinem fünfteiligen Altarbilde der Capella Baroncelli in S. Croce zu Florenz. Da drängt sich hinter den knienden musizierenden Engeln die unzählbare Menge der Heiligen um den Thron, auf dem der jugendlich ideale Christus, nach dem Vorbilde von Gaddis Mosaik nach links gewandt, mit beiden Händen der sich neigenden Maria, welche die Hände kreuzt, die Krone aufsetzt. Das merkwürdige Bild trägt recht deutlich, wie jene Madonnen Simone Martinis und Lippo Memmis, das Gepräge einer höfischen Zeremonie und wird darin, wie in der Komposition, namentlich der Hauptgruppe, bestimmend für die zahlreichen gleichen Darstellungen des 14. Jahrhunderts. So zunächst für das dem Ugolino da Siena zugeschriebene Altarwerk in der Akademie von Florenz, für Giottinos Fresko in der Unterkirche von Assisi, das Bildchen Bernardos da Firenze in Berlin (1064) und in der Folge für viele andere. Dagegen hält sich Barnas Bild am Tabernakel in S. Giovanni in Laterano mehr an die ältere einfache Weise, nach welcher Christus nur mit einer Hand die Krone hält D'Agincourt T. CXXVII.. Höfisches Zeremoniell, aber in etwas von Giotto verschiedener Weise, kennzeichnet auch die Handlung auf einem von d'Agincourt publizierten Bilde des Barnaba da Modena. Hier kniet Maria inmitten von musizierenden Engeln vor Christus, der unter einem Baldachine sitzt. Kniend wird Maria auch auf bolognesischen Bildern des Jacobus Pauli und Vitale dargestellt Jacobus Pauli: Bologna, S. Giacomo maggiore. Vitale: Bologna, S. Salvatore. Malvasia: Felsina pittrice I, S. 8 spricht von einer »Incoronata« vom Jahre 1244, die sich im Refektorium von S. Francesco zu Bologna befunden habe., während in Toscana dies Motiv zuerst von Fra Filippo im Dom zu Spoleto eingeführt wird. Mehr einer Kirchenversammlung als einem Hofstaat aber gleicht die Menge der perspektivisch reihenweis angeordneten, auf Bänken sitzenden Heiligen, die auf dem Fresko eines unbekannten Meisters in der IV. Kapelle links in S. Petronio zu Bologna der Krönung beiwohnen. Diese wird im Beisein des dahinter thronenden Gottvaters in der Höhe vollzogen, inmitten zahlloser Scharen von Engeln.

Indessen hier wie auch sonst sollte nur die erste Entwicklung der neuen Komposition angedeutet, nicht ein vergleichendes Studium derselben vorgenommen werden. Wichtig aber ist es, zu betonen, daß seit Torritis Mosaik immer wieder und ganz besonders die Krönung Mariä für den Schmuck der Franziskanerkirchen bestimmt gewesen ist, so daß sich die Annahme nicht zurückweisen läßt, die Franziskaner hätten zuerst die Idee dieses himmlischen Vorgangs erfaßt und verbreitet Jene Madonnenbilder, auf denen über Marias Haupt zwei eine Krone haltende Engel schweben, scheinen erst im 15. Jahrhundert sich zu verbreiten..

Nicht das gleiche läßt sich von einigen andern Mariendarstellungen sagen, die auch um 1300 entstanden sind und kurz hier erwähnt werden müssen. Da ist zunächst die Reihe jener Misericordiabilder zu nennen, auf denen Maria als Himmelskönigin auftritt, wie sie ihren Mantel ausbreitet über kniende Mönche und Laien. Das älteste mir bekannte ist das von einem Schüler Lippo Memmis gemalte, im Dome zu Orvieto befindliche und das ähnliche Gemälde auf dem Hauptaltar von S. Maria della Misericordia zu Arezzo. Aus derselben Zeit aber stammen auch eine Reihe von Reliefs mit derselben Darstellung. Eine andere Komposition, die im 14. Jahrhundert mit Bildern des Agnolo Gaddi in Figline bei Prato (via Cantagallo), eines späten Giottisten in S. Francesco zu Pescia, des Luca Thome in der Akademie zu Siena und des Gennaro di Cola in der Galerie zu Neapel auftaucht, ist die der Anna selbdritt. Anna hält Maria auf ihrem Schoße, diese das Christkind. Steif, wie Agnolo Gaddi die Gruppe gegeben, erscheint sie auch auf Masaccios Bilde in der Akademie zu Florenz. Mit Sansovinos Gruppe in S. Agostino zu Roma und mit Lionardos herrlichem Bilde im Louvre erreicht sie die Höhe der Vollendung.

Eher als von diesen ließe sich von gewissen Darstellungen der Maria als Fürbitterin, die nur in der umbrischen Kunst vorkommen, behaupten, daß sie speziell den Franziskaneranschauungen, und zwar den späteren des h. Bernhardin von Siena, entsprossen sind. Ich meine speziell jene Pestbilder des 15. Jahrhunderts, auf denen Maria den erzürnten Heiland abhält, die Pfeile des Verderbens auf das Volk abzusenden, wie deren eines von Buonfigli in S. Francesco, ein anderes in S. Fiorenzo zu Perugia hängt.

Zu jener Zeit auch erscheinen – allerdings ganz vereinzelt und nur in Umbrien – sehr eigentümliche Kompositionen, die lebhaft an jene obenerwähnten Lieder des 14. Jahrhunderts, die ›Kontraste‹ zwischen Maria und Teufel, erinnern: Maria entreißt durch ihre Intervention den Krallen des Satans ein gefährdetes Kind, das dessen angsterfüllte Mutter vergeblich vor jenem zu retten versucht. Derartige Bilder sind mir eines von Niccolò Alunno in der Galerie Colonna zu Rom, ein anderes von Melanzio in der kleinen Sammlung von S. Leonardo zu Montefalco und ein drittes von Gerino da Pistoja in S. Agostino zu Borgo San Sepolcro vorgekommen.

Noch ließen sich wohl einige andere eigenartige Mariendarstellungen hier anführen, doch würde dies ohne eine besondere Berücksichtigung gerade der Franziskaneranschauungen geschehen. Alles, was wir besprochen, reicht vollauf hin zu erkennen, welche höchste Anregung der Marienkultus durch Franz und seinen Orden erhalten. Man darf wohl kühn behaupten, daß die beiden Idealauffassungen der Maria, so wie sie für die ganze Renaissancekunst bestanden, für alle Zeiten künstlerisch bestehen werden: das Ideal der liebenden irdischen Mutter und das Ideal der königlichen Herrscherin des Himmels, von den Franziskanern in Dichtung und Predigt zuerst allgemein gültig ausgesprochen und verherrlicht worden sind. Damit aber hatte die italienische Kunst ihr höchstes Ideal erhalten.

 

Anhang:
Über einige Heiligen- und Legendendarstellungen

Neben der Passion Christi, den letzten Dingen und dem Leben der Maria, neben den Legenden der Ordensheiligen namentlich des Antonius von Padua und der Chiara, dann auch des Bernhardin von Siena finden wir als künstlerischen Schmuck der Franziskanerkirchen noch einige andere zyklische Darstellungen, die wenigstens kurz genannt zu werden verdienen, mit Vorliebe verwertet. Zunächst hängt es mit der mystischen, von Bonaventura verbreiteten Anschauung des Franziskus als siebentem Engel der Apokalypse, von der oben (S. 96 ff.) schon gesprochen worden ist, zusammen, daß die Minoriten eine besondere Verehrung für den heiligen Michael hatten. So malte schon Cimabue in der Oberkirche von Assisi die auf diesen bezüglichen Begebenheiten der Apokalypse, so schilderte er dessen Legende in zwei großen Wandgemälden später in einer Kapelle von S. Croce in Florenz. Vermutlich bezogen sich auch die apokalyptischen Bilder, die Giotto nach Vasari in S. Chiara in Neapel schuf, auf den Erzengel Vasari I, 390.. Später schmückte Spinello eine Kapelle mit Fresken, die Michaels Legende zeigen, in S. Francesco zu Arezzo.

Der andre Stoff ist die Legende vom heiligen Kreuze, deren künstlerische Verherrlichung von dem Kreuzeskultus der Franziskaner hervorgerufen wurde. Agnolo Gaddi hat sie im Chor von S. Croce, Cennino Cennini in einer Seitenkapelle von S. Francesco zu Volterra, endlich Piero della Francesca in S. Francesco zu Arezzo dargestellt.

Neben diesen beiden, recht eigentlich in den Minoritenkirchen einheimischen Zyklen, findet man in denselben auch mit Vorliebe den beiden Johannes und der Magdalena, dem Nikolaus und Antonius gewidmete und mit Darstellungen aus deren Legenden geschmückte Kapellen.


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